Computerspielabhängigkeit im Jugendalter Ergebnisse einer

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Computerspielabhängigkeit im Jugendalter Ergebnisse einer
Kriminologisches Forschungsinstitut Niedersachsen
Criminological Research Institute of Lower Saxony
Germany
Computerspielabhängigkeit im Jugendalter
Ergebnisse einer deutschlandweiten
Repräsentativbefragung
Florian Rehbein (Dipl.-Psych.)
Kriminologisches Forschungsinstitut
Niedersachsen e.V.
• Das KFN wurde 1979 vom damaligen Justizminister Niedersachsens, Prof.
Dr. Schwind, als unabhängiges, interdisziplinär arbeitendes
Forschungsinstitut gegründet.
• Zweck des Instituts ist es, als selbständige Forschungseinrichtung
praxisorientierte kriminologische Forschung zu betreiben und zu fördern.
• Das KFN wird vom Niedersächsischen Ministerium für Wissenschaft und
Kultur gefördert.
• Vorstand und Direktor: Prof. Dr. Christian Pfeiffer
• Ca. 20 Wissenschaftler/innen der Fachdisziplinen Psychologie, Soziologie,
Rechtswissenschaften, Pädagogik und Medienwissenschaften.
Ein Beitrag von Klicksafe zum Thema Computerspielabhängigkeit
Ausgangspunkt
Formen der sog. Cyber-Disorders (Young et al., 2000):
•
Cybersexual Addiction (Abhängigkeit von pornografischen Angeboten im
Internet)
•
Cyber-relational Addiction (übermäßige Pflege von Online-Beziehungen)
•
Net Compulsions (abhängiges Glückspiel, Kaufen und Handeln im Internet)
•
Information Overload (abhängiges Surfen oder Absuchen von Datenbanken)
•
Computer Addiction (abhängiges Computerspielen)
F. Rehbein - Computerspielabhängigkeit im Jugendalter
4
Ausgangspunkt
Uneinigkeiten in der Operationalisierung von Computerspielabhängigkeit
Bislang nur wenig empirische Daten zum Phänomen. Die vorhandenen Studien
arbeiten mit heterogenen Stichproben und Stichprobenzugängen (z.B. Schüler- &
Onlinebefragung)
Die wichtige Unterscheidung zwischen exzessivem Spielverhalten und
Computerspielabhängigkeit wird nicht konsequent eingehalten
Eine Verankerung in den klinischen Diagnosemanualen (ICD-10, DSM IV) ist bislang
ausgeblieben
F. Rehbein - Computerspielabhängigkeit im Jugendalter
5
Schülerbefragung 2007/08 des KFN
Stichprobe
Anzahl
Anteil in %
Gesamt
44610
100
männlich
22545
51,3
Förder-/ Hauptschule
10812
26,8
IHR/ Real-/ Gesamtschule
19988
43,4
Gymnasium/ Waldorf
13810
29,8
Alter (M)
Alter (SD)
15,3
.69
F. Rehbein - Computerspielabhängigkeit im Jugendalter
Befragungsgebiete:
Rücklaufquote: 88 %
(basierend auf
Nettostichprobe)
6
Methode
-
-
Standardisierte Befragungen durch eigens geschulte Interviewer in Schulklassen
während der Unterrichtszeit in Gegenwart eines Lehrers.
Die ersten zehn Seiten des Fragebogens wurden auf Overhead präsentiert und
laut und deutlich vorgelesen.
Betonung von Freiwilligkeit und Anonymität
Im weiteren Verlauf unterschieden sich die Interviews in Förderschulen und in
anderen Schulformen. (Es wurden nicht alle Formen der Förderschulen in die
Befragung aufgenommen, sondern nur Förderschulen mit dem Schwerpunkt
Lernen)
In Haupt-, Real-, Gesamtschulen und Gymnasien legten die Interviewer nur die
ersten zehn Seiten des Fragebogens auf und lasen diese vor, danach füllte jeder
Schüler für sich allein den Fragebogen aus.
In Förderschulen hingegen wurde der Fragebogen bis zur Seite 30 auf Folie
präsentiert. Dieses Vorgehen erhöhte die durchschnittliche Bearbeitungszeit von
zwei auf drei, in einigen Fällen auch vier Schulstunden.
Am Ende der Befragung wurden die Fragebögen eingesammelt und in einem
Briefumschlag verschlossen und versiegelt.
Methode
-
-
Der Fragebogen für Schüler der neunten Jahrgangsstufe umfasste je nach zum
Einsatz kommenden Modulen 36 und 43 Seiten.
Themen: Gewalt, Schulschwänzen und Drogen- bzw. Medienkonsum; zudem
wurden in der Fachliteratur als Ursachen von Gewalttätigkeit beschriebene
Themenkomplexe abgefragt (z. B. Gewalterfahrungen in der Familie).
Bis zur Seite 31 war der Fragebogen für alle Schüler identisch, dann 3 Module:
Ein Drittel aller Schüler füllte sechs Seiten zum Thema Computer- und
Internetnutzung aus, wobei ein Schwerpunkt auf die Erfassung von
Computerspielabhängigkeit gelegt wurde.
Die restlichen zwei Drittel wurden je nach Herkunft zu einem Modul geleitet, das
Integrationserfahrungen (nichtdeutsche Jugendliche) bzw. ausländerfeindliche
Einstellungen und Verhaltensweisen erfasst (deutsche Jugendliche). Gefiltert
wurden die Jugendlichen dabei über Fragen zur Staatsangehörigkeit und zum
Geburtsland – jeweils in Bezug auf die eigene Person und die leiblichen Eltern.
In den 61 Gebieten wurden jeweils lokale Koordinatoren (Polizeibeamte)
eingesetzt, die für die Durchführung der Erhebung verantwortlich waren.
Medienausstattung
61
Computer
78
28
stationäre Konsole
63
44
tragbare Konsole
58
72
74
Internetanschluss (falls Gerät)
Mädchen
Jungen
0
20
40
F. Rehbein - Computerspielabhängigkeit im Jugendalter
60
80
100
9
Schultag
Computernutzungszeiten
33
online
77
Wochenende
Schultag
täglich
Wochenende
53
gesamt
130
38
online
97
64
gesamt
167
34
online
83
täglich
Mädchen
Jungen
56
gesamt
141
0
50
100
150
Computerspielzeit in Minuten
F. Rehbein - Computerspielabhängigkeit im Jugendalter
200
10
Lieblingsspiele der Mädchen
Rang
Titel*
Genre
USK**
Häufigkeit
Anteil in %
1
Die Sims
Simulation
0
4853
22,6
2
Singstar
Partyspiel
0
1471
6,8
3
Need for Speed
Rennspiel
0 – 12
1042
4,8
4
Solitair
Denkspiel
0
779
3,6
5
Super Mario
Geschicklichkeit
0–6
620
2,9
6
Grand Theft Auto
Genremix
16 – 18
532
2,5
7
Counterstrike
Shooterspiel
16 – 18
513
2,4
8
FIFA (Fußball)
Sportspiel
0
291
1,4
9
Tomb Raider
Action- Adventure
12 – 16
273
1,3
10
World of Warcraft
MMORPG
12
272
1,3
*: Spielserie mit mehreren Folgen /Addons
**: unterschiedliche Einstufungen einzelner Titel einer Serie
F. Rehbein - Computerspielabhängigkeit im Jugendalter
11
Lieblingsspiele der Jungen
Rang
Titel*
Genre
USK**
Häufigkeit
Anteil in %
1
Counterstrike
Shooterspiel
16 - 18
6110
27,0
2
FIFA (Fußball)
Sportspiel
0
3647
16,1
3
Need for Speed
Rennspiel
0 – 12
2581
11,4
4
Grand Theft Auto
Genremix
16 – 18
2277
10,1
5
World of Warcraft
MMORPG
12
2222
9,8
6
Call of Duty
Shooterspiel
18
1766
7,8
7
Battlefield
Shooterspiel
16
1161
5,1
8
Warcraft
Strategiespiel
12
1118
4,9
9
Pro Evolution Soccer
Sportspiel
0
1092
4,8
10
Guild Wars
MMORPG
12
601
2,7
*: Spielserie mit mehreren Folgen /Addons
**: unterschiedliche Einstufungen einzelner Titel einer Serie
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12
Freizeitbudget eines Neuntklässlers
201
213
Fernsehen/Video/DVD
113
103
im Internet chatten
56
Computerspiele
Sport treiben
77
Familienunternehmungen
79
65
70
64
Weggehen (Kneipe, Disko, Kino,…
Musik machen
Einsatz für Umwelt/Politik/Soziales
Jungen
109
43
25
25
22
10
9
Bücher lesen
Mädchen
141
0
100
200
Freizeitbudget in Minuten
F. Rehbein - Computerspielabhängigkeit im Jugendalter
300
13
Aufteilung in Nutzergruppen
Spielt...
Kriterium
nicht
0 h + nicht gespielt 12 Monate
0
gelegentlich
0 h + gespielt 12 Monate
0
unterdurchschnittlich
< P50 (< 1 h)
00:30
überdurchschnittlich
> P50 (> 1 h)
01:37
viel
> P75 (> 2.5 h)
03:20
exzessiv
> P90 (> 4.5 h)
05:37
F. Rehbein - Computerspielabhängigkeit im Jugendalter
Spielzeit
14
Nutzergruppen und Geschlecht
29,8%
25,0%
24,3%
19,7%
P50
Mädchen
P75
Jungen
23,2% P90
18,6%
15,8%
14,9%
10,8%
8,3%
5,6%
nicht
4,3%
gelegentlich
unterdurchschnittlich
überdurchschnittlich
viel
exzessiv
< 1 h / Tag
> 1 h / Tag
> 2,5 h / Tag
> 4,5 h / Tag
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15
Leitthemen
Computerspielabhängigkeit
- Diagnostik (KFN-CSAS-II)
- Belastungsindikatoren
- Prävalenz
- Risikofaktoren
F. Rehbein - Computerspielabhängigkeit im Jugendalter
16
Leitthemen
Computerspielabhängigkeit
- Diagnostik (KFN-CSAS-II)
- Belastungsindikatoren
- Prävalenz
- Risikofaktoren
F. Rehbein - Computerspielabhängigkeit im Jugendalter
17
KFN-CSAS-II (Diagnoseinstrument)
Einengung des Denkens
und Verhaltens
KFN- Computerspielabhängigkeitsskala-II
• 5 Dimensionen, 14 Items
Negative Konsequenzen
• Vierstufiges Antwortformat (1 - 4)
• Range: 14 bis 56 Punkte
Kontrollverlust
• Cut-off Werte für Klassifikation:
„Gefährdet“ ab 35 Punkten (2 SD)
Entzugserscheinungen
„Abhängig“ ab 42 Punkten (3 SD)
• Itemschwierigkeit (1.23 - 1.64)
Toleranzentwicklung
• Trennschärfen (> r= .60)
• Cronbachs Alpha = .92
F. Rehbein - Computerspielabhängigkeit im Jugendalter
18
KFN-CSAS-II (Diagnoseinstrument)
Einengung des Denkens
und Verhaltens
Beispielitem:
Negative Konsequenzen
Kontrollverlust
Entzugserscheinungen
„Zu bestimmten Zeiten oder in
bestimmten Situationen spiele ich
eigentlich immer: Das ist fast zu einer
Routine für mich geworden.“
Toleranzentwicklung
F. Rehbein - Computerspielabhängigkeit im Jugendalter
19
KFN-CSAS-II (Diagnoseinstrument)
Einengung des Denkens
und Verhaltens
Beispielitem:
Negative Konsequenzen
Kontrollverlust
„Meine Leistungen in der Schule
leiden unter meinen Spielgewohnheiten.“
Entzugserscheinungen
Toleranzentwicklung
F. Rehbein - Computerspielabhängigkeit im Jugendalter
20
KFN-CSAS-II (Diagnoseinstrument)
Einengung des Denkens
und Verhaltens
Beispielitem:
Negative Konsequenzen
Kontrollverlust
„Ich habe das Gefühl, meine Spielzeit
nicht kontrollieren zu können.“
Entzugserscheinungen
Toleranzentwicklung
F. Rehbein - Computerspielabhängigkeit im Jugendalter
21
KFN-CSAS-II (Diagnoseinstrument)
Einengung des Denkens
und Verhaltens
Beispielitem:
Negative Konsequenzen
Kontrollverlust
„ Wenn ich nicht spielen kann, bin ich
gereizt und unzufrieden.“
Entzugserscheinungen
Toleranzentwicklung
F. Rehbein - Computerspielabhängigkeit im Jugendalter
22
KFN-CSAS-II (Diagnoseinstrument)
Einengung des Denkens
und Verhaltens
Beispielitem:
Negative Konsequenzen
Kontrollverlust
„Ich muss immer länger spielen um
zufrieden zu sein.“
Entzugserscheinungen
Toleranzentwicklung
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Leitthemen
Computerspielabhängigkeit
- Diagnostik (KFN-CSAS-II)
- Belastungsindikatoren
- Prävalenz
- Risikofaktoren
F. Rehbein - Computerspielabhängigkeit im Jugendalter
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Belastungsindikatoren (Jungen)
Belastungsfaktoren
Primärvalidierung
Onlinespielzeit
Offlinespielzeit
Selbsteinschätzung CSA (1-6)
Schulnoten
Deutsch
Mathe
Geschichte
Sport
Schulabsentismus
Geschwänzte Schulstunden
Mehrfachschwänzen
Schwänzmotiv: Computerspielen
Gesundheitsbezogene Faktoren
Schlafzeit
Aktuelle Schlafstörung
Eingeschränkt. Freizeitengagement
Häufige Selbstmordgedanken
Kerngruppe
(< 2,5 h/Tag)
Viel- & Exzessiv
(> 2,5 h/Tag)
Gefährdete
(RW >= 35)
Abhängige
(RW >= 42)
26 Min.
33 Min.
M = 1.8
159 Min.**
100 Min.**
M = 2.4**
172 Min.**
74 Min.**
M = 4.1**
188 Min.**
78 Min.**
M = 4.8**
3.14
3.05
2.83
2.05
3.28**
3.07ns
2.92**
2.17**
3.32**
3.30**
3.03**
2.19ns
3.46**
3.29**
3.17**
2.42**
10.1 h
12.5 %
8.2 %
10.0 hns
12.2.%ns
23.2 %**
16.4 h**
21.6**
44.9 %**
18.6 h**
22.4 %**
63.8 %**
7.5 h
4,1 %
30.4 %
2.4 %
7.3 h**
6,1 %**
36.9 %**
3.0 %ns
7.1 h**
7,6 %ns
39.0 %*
6.3 %**
6.9 h**
15,1 %**
44.6 %**
12.3 %**
Angegeben ist jeweils die Abweichung von der Kerngruppe der Jungen. RW = Rohwert im KFN-CSAS-II. * p < .05, ** p < .01, ns = nicht signifikant
F. Rehbein - Computerspielabhängigkeit im Jugendalter
25
Leitthemen
Computerspielabhängigkeit
- Diagnostik (KFN-CSAS-II)
- Belastungsindikatoren
- Prävalenz
- Risikofaktoren
F. Rehbein - Computerspielabhängigkeit im Jugendalter
26
Prävalenz Computerspielabhängigkeit
Stichprobe der
Schülerbefragung 2007/08
4,7
5
Anteil in %
4
3
3
2,8
2.400 Mädchen (10%)
21.200 Jungen (90%)
1,7
2
1
Hochrechnung auf die
Population (843.200)
0,3
0,5
abhängig
gefährdet
0
Junge
Mädchen
gesamt
1.300 Mädchen (9%)
13.000 Jungen (91%)
F. Rehbein - Computerspielabhängigkeit im Jugendalter
27
Leitthemen
Computerspielabhängigkeit
- Diagnostik (KFN-CSAS-II)
- Belastungsindikatoren
- Prävalenz
- Risikofaktoren
F. Rehbein - Computerspielabhängigkeit im Jugendalter
28
Computerspiele: Was macht eigentlich ihren Reiz aus?
• Herausforderung und Wettbewerb
• Ausübung von Macht und Kontrolle (Selbstwirksamkeit)
• Erprobung von Identitätsentwürfen, Entdeckung unzugänglicher
Handlungsformen und Lebensbereiche
• Geselligkeit (z.B. Online- oder LAN-Spiele)
• Flucht aus dem Alltag (Eskapismus)
• (Vermeintlicher) Stressabbau
• Verschmelzungserleben mit dem Spiel (Flow)
Zur Genese von Computerspielabhängigkeit
Vielfältige individuelle Belohnungen: Punkte, Ranglistenplatzierungen,
Voranschreiten der Spielnarration, freigespielte Zwischensequenzen,
Bonusgegenstände, neue Fähigkeiten, neue Gestaltungsmöglichkeiten der eigenen
Spielfigur, soziale Anerkennung, …
Belohnungsvergabe im Rahmen intermittierender Verstärkung: Größte
Löschungsresistenz und höchste Reaktionsraten!
Belohnungsmerkmalshypothese:
Da sich verschiedene Spiele und Spielgenre hinsichtlich ihrer Belohnungsmerkmale
stark unterscheiden, sollte auch das Abhängigkeitsrisiko mit dem genutzten Spiel
bzw. Spielgenre variieren.
Theorien zur Entstehung von (Verhaltens-)abhängigkeit
• Lerntheorien (Operante Konditionierung im Sinne positiver und
negativer Verstärkung, Modelllernen)
• Kognitionspsychologische Erklärungsansätze (Dysfunktionale
Grundüberzeugungen; Legitimierung des eigenen Einnahmeverhaltens,
Positive Erwartungen bei Einnahme, Negative Erwartungen bei Verzicht)
• Tiefenpsychologische Erklärungsansätze (Bindungsstörungen, ängstliche
Vermeidung von Nähe und Beziehung)
• Psychobiologische Erklärungsansätze (prädispositionelle Ausprägungen
des dopaminergen Belohnungssystems und Besonderheiten in der
serotonergen Übertragung. Neurochemische Sensitivierung als
Suchtgedächtnis.
Kriminologisches Forschungsinstitut Niedersachsen
Criminological Research Institute of Lower Saxony
Germany
Zur Genese von Computerspielabhängigkeit
Mikroebene: Warum weisen bestimmte Personen eine Anfälligkeit dafür auf, von
Computerspielen abhängig zu werden, andere aber nicht?
Annahme 2: Hypothese psychosozialer Belastung
Computerspielabhängigkeit könnte Ausdruck verminderter Erfolgserlebnisse im
realen Leben sein. Damit müssten sich Hinweise darauf finden, dass von
Computerspielabhängigkeit betroffene Jugendliche ihren Schulalltag und ihre
realweltliche Freizeit als belastender und als in geringerem Maße
selbstwertförderlich erleben.
Annahme 3: Nutzung im Sinne einer dysfunktionalen Stressregulation
Annahme 4: Frühe Traumatisierung (Bindungsstörungen?)
Annahme 5: Hinweise auf Verhaltensprobleme in realweltlichen Sozialkontakten
Risikofaktor: Genutztes Spiel
Auflistung der 10 beliebtesten Spiele von Jungen nach ihrem Abhängigkeitspotenzial (n = 6.230)
Spieler von...
Genre
World of Warcraft
Guild Wars
Warcraft
Counterstrike
Call of Duty
Battlefield
Grand Theft Auto
Pro Evolution S.
FIFA (Fußball)
Need for Speed
MMORPG
MMORPG
Strategie
Shooter
Shooter
Shooter
Genremix
Sportspiel
Sportspiel
Rennspiel
Abweichung
Skalenmittel
(KFN-CSAS-II)
+ 5.1**
+ 2.8**
+ 2.5**
+ 2.3**
+ 1.0**
+ 0.8ns
- 0.8*
- 2.0**
- 2.4**
- 2.7**
Abweichung Spielzeit
(Min./Tag)
Anteil exzessivspielender Jungen
+ 88**
+ 56**
+ 53**
+ 49**
+ 33**
+ 33**
- 28**
- 36**
- 50**
- 35**
36.3 %
28.2 %
29.6 %
23.4 %
23.8 %
23.6 %
13.7 %
10.2 %
9.7 %
11.7 %
Signifikanzprüfung mittels T-Test (zweiseitig). Abweichung Skalenmittelwertrohwert (KFN-CSAS-II) vom Restmittel der Gruppe, die das infrage
stehende Spiel nicht benennen. Eingegangen in die Analyse sind nur männliche Jugendliche, denen das Schwerpunktbefragungsmodul vorgelegt
wurde. Nichtspieler wurden ebenfalls aus der Analyse ausgeschlossen.
* p < .05, ** p < .01, ns = nicht signifikant
F. Rehbein - Computerspielabhängigkeit im Jugendalter
33
Risikofaktor: Genutztes Spiel
10 beliebteste Spiele von Jungen nach dem Abhängigkeitspotenzial (n = 6.230)
World of Warcraft
Guild Wars
Warcraft
Counterstrike
Call of Duty
Battlefield
Grand Theft Auto
Pro Evolution S.
FIFA (Fußball)
Need for Speed
11,6
5,8
gefährdet
abhängig
3,8
8,7
8,2
6,2
6,5
4,5
2,7
3,5 1,9
2,9 1,2
2,8 1,8
0
8,5
5
3,8
4,9
4
4,1
7.7
Mittelwert
der
auffälligen
Spieler
10
15
20
25
Anteile der auffälligen Spieler
F. Rehbein - Computerspielabhängigkeit im Jugendalter
34
Onlinerollenspiele (Bsp. World Of Warcraft, USK 12).
Leben in der Rolle eines Avatars in einer komplexen, virtuellen Welt.
Charakter wird ständig weiterentwickelt, sammelt Erfahrungen und Ausrüstung.
Spieler schließen sich in Gilden zusammen, kombinieren Fähigkeiten und
bereiten Einsätze vor. Soziale Rollen mit Verpflichtungscharakter, hohe
Spielzeiten nötig.
Risikomodell
Logistische Regression zur Vorhersage von Computerspielabhängigkeit (n = 4.727, Spieler)
Predictors
gaming behavior
gaming in terms of dysfunctional coping
gaming as source of self-efficacy
usage of MMORPG
usage of strategy games
usage of shooter games
social predictors
no leisure time successes besides gaming
school related anxieties
previous repetition of school year
demographic predictors
male gender
low parental education
low youth education
psychological predictors
lower social competence
impulsiveness
internalization of violent legitimizing norms
ADHS disorder in history
depression disorder in history
anxiety disorder in history
frequent physical abuse in childhood
B
Std. Error
Exp(B)
1.22**
0.45**
0.58**
0.17ns
0.06ns
0.10
0.11
0.20
0.21
0.23
3.39
1.57
1.78
1.19
1.06
1.60**
0.54**
0.50*
0.32
0.14
0.21
4.94
1.72
1.65
0.39ns
-0.28ns
0.22ns
0.36
0.27
0.22
1.48
0.76
1.24
0.85**
0.31**
0.27*
-0.02ns
-0.04ns
0.43ns
0.59ns
0.31
0.12
0.12
0.28
0.41
0.46
0.39
2.34
1.36
1.31
0.98
0.96
1.54
1.81
F. Rehbein - Computerspielabhängigkeit im Jugendalter
Nagelkerkes
R2 = .41
* p < .05
** p < .01
36
Risikomodell
Logistische Regression zur Vorhersage von Computerspielabhängigkeit (n = 4.727, Spieler)
Variablen
Faktoren der Spielnutzung
Spielen bei realweltlichen Misserfolgen
Spielmotiv Machtausübung
Nutzung von Onlinerollenspielen
Nutzung von Strategiespielen
Nutzung von Shooterspielen
Selbstwerterleben in Schule und Freizeit
Spielen als einzige Quelle von Erfolgserlebnissen
Schulangst
Klasse wiederholt
Soziodemographische Faktoren
Männliches Geschlecht
Geringe Bildung der Eltern
Hauptschulbesuch des Jugendlichen
Psychische Faktoren
Mangelnde Fähigkeit zur Perspektivenübernahme
Impulsivität mit negativen Handlungsfolgen
Gewaltakzeptanz
Zurückliegende Diagnose: ADHS
Zurückliegende Diagnose: Depression
Zurückliegende Diagnose: Angsterkrankung
Schwere Elterngewalt in der Kindheit
B
Std. Error
Exp(B)
1.22**
0.45**
0.58**
0.17ns
0.06ns
0.10
0.11
0.20
0.21
0.23
3.39
1.57
1.78
1.19
1.06
1.60**
0.54**
0.50*
0.32
0.14
0.21
4.94
1.72
1.65
0.39ns
-0.28ns
0.22ns
0.36
0.27
0.22
1.48
0.76
1.24
0.85**
0.31**
0.27*
-0.02ns
-0.04ns
0.43ns
0.59ns
0.31
0.12
0.12
0.28
0.41
0.46
0.39
2.34
1.36
1.31
0.98
0.96
1.54
1.81
Computerspielabhängigkeit im Jugendalter
Nagelkerkes
R2 = .41
* p < .05
** p < .01
37
Leitthemen - Zusammenfassung
Prävalenz
Jungen sind weit häufiger betroffen als Mädchen
Spieler bestimmter Spielgenres sind häufiger betroffen
Belastungsindikatoren abhängiger Spieler
Erhöhte Spielzeiten (insbesondere Online)
schlechtere Schulnoten
erhöhter Schulabsentismus
erhöhte psychische Belastung
verringerte Schlafzeit und eingeschränkte realweltliche Freizeitaktivität
Risikofaktoren
Spielnutzungsmerkmale (Onlinerollenspiele und Machterleben)
Spielen bei realweltlichen Misserfolgen
Geringes Selbstwerterleben in Schule und Freizeit
Psychische Faktoren (Gewaltakzeptanz, Impulsivität, Perspektivenübernahme)
Erleben schwerer Elterngewalt in der Kindheit
F. Rehbein - Computerspielabhängigkeit im Jugendalter
38
Exkurs: Osnabrücker Befragung
Population
Anzahl
Alter
Anteil männlich
Berufsschule gesamt
2667
19,8 (SD = 2.95)
91,3 %
73,5 %
Berufsschule in Teilzeit
1876
19,4 (SD = 2.41)
90,2 %
51,7 %
Berufsgrundschuljahr
84
17,7 (SD = 1.63)
98,8 %
2,3 %
Berufsfachschule
188
19,7 (SD = 3.22)
93,1 %
5,2 %
Fachschule
192
25,4 (SD = 2.90)
95,3 %
5,3 %
Fachoberschule
99
21,0 (SD = 1.46)
92,9 %
2,7 %
Technisches Gymnasium
171
18,0 (SD = 1.50)
92,9 %
4,7 %
K. A.
57
19,8 (SD = 3.44)
89,3 %
1,6 %
Gymnasien gesamt
965
17,6 (SD = 0.83)
44,2 %
26,5 %
11. Jahrgang
513
17,1 (SD = 0.62)
44,1 %
14,1 %
12. Jahrgang
452
18,2 (SD = 0.67)
44,6 %
12,4 %
Gesamtstichprobe
3632
19,2 (SD = 2.74)
78,8 %
100 %
F. Rehbein - Computerspielabhängigkeit im Jugendalter
Anteil von gesamt
39
Exkurs: Osnabrücker Befragung
Die wichtigsten Befunde der Osnabrücker Befragung junger Erwachsener:
•
Computerspielabhängigkeit ist kein exklusives Jugendphänomen: Auch bei Erwachsenen finden
sich Exzessivspielern und computerspielabhängige Personen. Die Prävalenz fällt jedoch geringer
aus.
•
Etwa die Hälfte der als computerspielabhängig diagnostizierten Personen weist eine klinisch
relevante psychische Belastung auf.
•
Wie bei den Jugendlichen zeigen sich auch bei 19-jährigen pathologischen Spielern Auffälligkeiten
in schulischen Leistungsparametern.
•
Computerspielabhängige Personen sind hinsichtlich gesundheits-, leistungs- und sozialbezogener
Parameter einem weit höheren Leidensdruck ausgesetzt als bisher angenommen.
•
Nur 1 Prozent der Exzessivspielern und 4 Prozent der Computerspielabhängigen geben an, schon
einmal eine Selbsthilfegruppe, Beratungsstelle, einen niedergelassenen Arzt oder Psychologen
wegen Problemen mit dem Computerspielen in Anspruch genommen zu haben.
F. Rehbein - Computerspielabhängigkeit im Jugendalter
40
Prävalenz CSA bei Jungen (11-19 Jahre)
Anteil in Prozent
5
4,7
gefährdet
4
3
abhängig
3
2,4
2
1,4
1,1 0,9
1
0
Alter: M in Jahren
Jahrgangsstufe
Stichprobe
Berliner Längsschnitt
Medien
Schülerbefragung
2007/08
Osnabrücker
Befragung
11,5
15,6
19,2
5.
9. & 10.
ca. 11. & 12.
N= 1156
Regionale
Repräsentativität
N= 15168
Bundesweite
Repräsentativität
N= 3278
Anfallende
Stichproben
F. Rehbein - Computerspielabhängigkeit im Jugendalter
41
Personen mit auffälliger psychischer Belastung in den Nutzergruppen
(Gesamtstichprobe, nur Männer, Angaben in Prozent)
100%
90%
80%
70%
60%
50%
40%
30%
20%
10%
0%
11,9%
13,1%
14,1%
49,0%
88,1%
86,9%
85,9%
51,0%
Alle Männer
Normalspieler
unauffällig
Viel- &
Exzessivspieler
Pathologische
Spieler
auffällige psychische Belastung
Auffällige psychische Belastung nach BSI (Brief-Symptom-Inventory): TGSI >= 63 oder T2Skalen >= 63
Leidensdruck durchs Computerspielen in den Nutzergruppen
(Gesamtstichprobe, nur Männer, Beeinträchtigung in Prozent)
100%
90%
80%
70%
59,6%
60%
50%
44,2%
40%
35,3%
30%
20%
10%
20,0%
2,7%
20,0%
6,5%
6,9%
Familienleben
Sozialkontakte
0%
Partnerschaft
Normalspieler
Viel- & Exzessivspieler
Freizeitgestaltung
Pathologische Spieler
Fünffach gestufte Items. Beeinträchtigung bei Angabe von „eher stark“ oder „sehr stark“.
Leidensdruck durchs Computerspielen in den Nutzergruppen
(Gesamtstichprobe, nur Männer, Beeinträchtigung in Prozent)
100%
90%
80%
70%
60%
50%
40%
40,4%
34,6%
28,9%
30%
20%
25,0%
13,5%
13,3%
10%
3,1%
5,7%
4,9%
2,5%
0%
Wohlbefinden
Normalspieler
Gesundheit
Leistungsfähigkeit Ausbildung/Arbeit finanzielle Situation
Viel- & Exzessivspieler
Pathologische Spieler
Fünffach gestufte Items. Beeinträchtigung bei Angabe von „eher stark“ oder „sehr stark“.
Further Research needed!
Prävalenz in anderen Altersgruppen
Einbettung des Phänomens in ein ätiologisches Störungskonzept
Differenzialdiagnostische Abgrenzung von komorbiden Störungen
Biographische Entwicklung von Computerspielabhängigkeit im Längsschnitt
(Einstiegsfaktoren, Ausstiegsfaktoren, Persistenz)
Warum werden nur einige Exzessivspieler abhängig (Resilienzfaktoren)?
Klärung der Rolle spielimmanenter Abhängigkeitsmerkmale
Wie hoch ist der Versorgungsbedarf des Gesundheitssystems. Welche
Behandlungen sind erfolgreich?
Was kann / muss die Primärprävention leisten?
Welche Möglichkeiten der Sekundärprävention bestehen bei Gefährdeten?
F. Rehbein - Computerspielabhängigkeit im Jugendalter
45
Abschlussdiskussion
Was ist zu tun?
Medienpädagogischer Unterricht schon bei Grundschülern
(Prävention)
Nonmediale Basiskompetenzförderung im Kindesalter
Entwicklung alternativer Freizeitangebote, nachmittäglicher
Freizeitkultur
Verstärkte Aufklärung von Eltern und Lehrern
Entwicklung von Behandlungsangeboten für
Computerspielabhängigkeit (Intervention)
F. Rehbein - Computerspielabhängigkeit im Jugendalter
46
Abschlussdiskussion
Was ist zu tun?
Geeignete Antwort des Jugendmedienschutzes auf exzessives
Spielen und Computerspielabhängigkeit
Spielmerkmale mit hohem Abhängigkeitspotential in die
USK- Prüfung aufnehmen keine Jugendfreigabe
Sichere Spielzeitbegrenzungen einführen (Warnung und
Sperrung)
Distributionsart solcher Spiele kontrollieren
Neuverteilung der Prüfkompetenzen
F. Rehbein - Computerspielabhängigkeit im Jugendalter
47
Dank an alle Projektbeteiligten!
Das Schülerbefragungsteam des KFN:
Dirk Baier (Dipl.-Soziologe)
Susann Rabold (Soziologin, M.A.)
Dr. Julia Simonson (Dipl.-Soziologin)
Mitarbeit bei der Datenaufbereitung und grafischen Gestaltung:
Christina Roth (cand. Dipl.-Psychologin)
F. Rehbein - Computerspielabhängigkeit im Jugendalter
48
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!
Rehbein, F., Kleimann, M., & Mößle, T. (2009).
Computerspielabhängigkeit im Kindes- und Jugendalter: Empirische
Befunde zu Ursachen, Diagnostik und Komorbiditäten unter besonderer
Berücksichtigung spielimmanenter Abhängigkeitsmerkmale (Nr. 108).
Hannover: Kriminologisches Forschungsinstitut Niedersachsen.
Rehbein, F., Kleimann, M., & Mößle, T. (2009).
Exzessives Computerspielen und Computerspielabhängigkeit im
Jugendalter: Ergebnisse einer deutschlandweiten
Repräsentativbefragung. Die Psychiatrie, 6, 140-146.
Florian Rehbein (Dipl.-Psych.)
frehbein@kfn.uni-hannover.de
Matthias Kleimann (Dipl.-Medienwiss.)
mkleimann@kfn.uni-hannover.de
Dr. Thomas Mößle (Dipl.-Psych.)
moessle@kfn.uni-hannover.de
F. Rehbein - Computerspielabhängigkeit im Jugendalter
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