„Das Alter der Frau spielt sehr viel weniger eine Rolle, als man denkt“
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„Das Alter der Frau spielt sehr viel weniger eine Rolle, als man denkt“
Fertilität 10 Juli 2009 Fertilität und Kinderwunsch „Das Alter der Frau spielt sehr viel weniger eine Rolle, als man denkt“ S chwangerschaft und Geburt sind einzigartige Erlebnisse im Leben der Frau. Mit Intensivierung des Kinderwunsches werden viele Frauen schon „beim Hinschauen“ auf Neugeborene schwanger. In der täglichen Praxis taucht dennoch vor allen Dingen die Frage seitens vieler Patientinnen auf: „Ist jetzt wirklich der richtige Zeitpunkt, um Mutter zu werden?“ Häufig stehen die Frauen auch vor der Überlegung, wie die Belastung aus Beruf und Familie bewältigt werden soll und „wozu ich überhaupt studiert habe“. Dass die Fruchtbarkeit sowohl bei Frauen als auch Männern mit dem chronologischen Alter abnimmt, ist unbestritten. Definiert bei der Frau die Eizelle die Schwangerschaftswahrscheinlichkeit, benötigt der Mann ausreichend aktive und gesunde Spermien. Der fließende Prozess von der Fertilität in die Subfertilität kann bei der Frau bereits mit Anfang 20, aber auch erst um das 40. Lebensjahr beginnen (Abb. 1). Ein Zeitfenster von circa 20 Jahren macht deutlich, dass „das Alter sehr viel weniger eine Rolle spielt, als man denkt. Wir sind heute in einer individualisierten Beratung gefordert“, so Prof. Dr. med. Christian Thaler, der in München-Großhadern neben allen modernen diagnostischen und therapeutischen Verfahren wie IVF, ICSI, TESE, MESA sowie PKD komplementär Außenseiterverfahren wie Hypnose, Tiefenentspannung und Akupunktur nutzt, um Kinderwünsche wahr werden zu lassen. Nicht zuletzt diese Ganzheitlichkeit hat das Hormon- und Kinderwunschzentrum über Münchens Grenzen hinaus bekannt gemacht. Das Wunschkind – Einbezug in das individuelle Lebensgefüge Abb. 1: Eckpunkte des reproduktiven Alters Der überstarke Wunsch nach einem Baby kann tatsächlich blockierend auf alle Fortpflanzungsmechanismen wirken. Und schon vorher sollte man „im Gespräch mit der Patientin und ihrem Partner evaluieren, wie sich der erfüllte Kinderwunsch später in das Lebensgefüge integrieren soll“, so Christian Thaler. „Trotz aller Möglichkeiten moderner Reproduktionsmedizin sollte der Wunsch und die Schwangerschaft selbst kein Stress sein.“ Kann doch eine übereilte Familienplanung nicht nur Glückseligkeit, sondern im schlimmsten Fall auch Unglück bedeuten, wenn Paare ein gemeinsames Kind als zwangsläufiges Ziel des gemeinsamen Lebensweges und weniger aus tiefem Herzen heraus haben möchten. Ist der Babywunsch gleichzeitig auch Herzenswunsch, beginnt zur Unterstützung der zeitlichen Familienplanung von Paaren die Einschätzung der Fertilität der Frau über die verschiedenen Marker der ovariellen Reserve: frühfollikuläres FSH und Estradiol (E2), basaler antraler Follikelcount (AFC) sowie das Anti-Müller-Hormon (AMH). Gibt es denn überhaupt den optimalen Zeitpunkt und das optimale Alter? „Bei etwa 50 Prozent der Frauen setzt die Subfertilität mit Anfang dreißig ein“, so Professor Thaler. „Damit beginnt eine leichte Abnahme der durchschnittlichen Schwangerschaftschance pro Monat.“ Diese liegt selbst bei einer jungen Frau Anfang 20 bei „nur“ 25 Prozent (Abb. 2). „Mit etwa 37 Jahren reduziert sich diese Schwangerschaftswahrscheinlichkeit durchschnittlich bereits um die Hälfte und liegt bei knapp 13 Prozent. Hier gibt es natürlich glückliche Ausnahmen: Eine unserer Patientinnen wurde auf Anhieb mit 45 Jahren schwanger, und jetzt bekommt sie mit 47 ihr zweites Kind.“ Die assistierte Reproduktion mit der In-vitro-Fertilisation (IVF) kann die Wahrscheinlichkeit dafür erhöhen. Sie entspricht bei einer 37-jährigen Frau dann der normalen Schwanger- Bildnachweis: Klinik und Poliklinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe am Klinikum der Universität München (Abb. 1–4) Medizinjournalistin Petra Peschel im Gespräch mit Prof. Dr. med. Christian Thaler, Leiter des Hormon- und Kinderwunschzentrums an der Frauenklinik der LMU München, über die Mechanismen und Marker des reproduktiven Alterns. Fertilität Juli 2009 Der Einfluss dieser Faktoren auf das Menopausealter ist epidemiologisch belegt, macht aber insgesamt lediglich eine Zeitverschiebung um jeweils maximal ein bis zwei Jahre aus. „Damit können wir die Zeitunterschiede, die im Extremfall über 15 und bis zu 20 Jahre betragen können, alleine nicht erklären.“ Dennoch sollte in der gynäkologischen Praxis über die Risikofaktoren, die das reproduktive Altern beschleunigen, entsprechend aufgeklärt werden. Christian Thaler: „Zum Beispiel reduziert Zigarettenkonsum das Menopausenalter umso mehr, je mehr Zigaretten geraucht werden. Am extremsten ist der Einfluss, wenn eine Frau mit 45 Jahren immer noch mehr als zehn Zigaretten am Tag raucht und insgesamt sehr viel früher mit dem Rauchen begonnen hat.“ Warum der ovarielle Follikelpool an Fertilität verliert schaftswahrscheinlichkeit einer Frau Anfang 20 ohne medizinische Assistenz. Bildnachweis: COMSTOCK IMAGES/Jupiterimages (2) Einflussfaktoren auf die Physiologie des reproduktiven Alterns Demgegenüber ist eine Aussage wie „Wenn der Zyklus noch absolut stabil ist, dann können Sie ohne Probleme Kinder kriegen“ nicht ganz korrekt, ergänzt Christian Thaler. Die Erfahrung zeigt, dass ein sich ändernder Zyklus meist erst sehr spät im Rahmen des reproduktiven Alterns auftritt und deutlich nach dem Auftreten einer Subfertilität. Spezifische Marker, die helfen, das reproduktive Alter einzuschätzen, geben auch Hinweise auf den Zeitpunkt der Menopause, der in den westlichen Industrieländern durchschnittlich bei 51 bis 52 Jahren liegt. „Aber auch hier sehen wir wiederum Frauen, bei denen die letzte ovariell gesteuerte Blutung bereits mit Anfang 40 oder auch erst um Anfang 60 herum auftritt.“ Christian Thaler nutzt für die Beratungssituation die Abfrage verschiedener Einflussfaktoren auf die fruchtbare Periode und damit den Oozytenpool der Frau. Dazu gehören der Zigarettenkonsum, die ethnische Zugehörigkeit, Parität, das Menarchealter sowie der Body-MassIndex (BMI). Auch die Gene spielen eine gewisse Rolle, aber besonders interessant ist, „dass es offensichtlich auch einen Unterschied macht, wo man aufgewachsen ist, also wie der kulturelle Background aussieht“. Zum Beispiel haben Lateinamerikanerinnen, die auch in Südamerika geboren sind, später die Menopause als Lateinamerikanerinnen, die in den USA geboren sind (Am J. Epidemiol 2008;167:1287–1294). Weitere Schutzeffekte ergeben sich für Frauen über die Parität. So liegt das Menopausenalter bei Frauen mit zwei und mehr Kindern deutlich später als bei kinderlosen Frauen. Dazu kommt der Aspekt des Menarchealters, das im Durchschnitt bei zwölf bis 13 Jahren liegt. Je später die Menarche stattfand, desto später tritt auch die Menopause ein. Spielt zudem das Gewicht eine Rolle? „Ja, und der Effekt des BMI auf das Menopausenalter überrascht“, ergänzt Christian Thaler. „Der Einfluss ist nämlich anders herum, als man eigentlich denken würde. Je höher der BMI und damit das Körpergewicht, desto später bekommen die Frauen ihre Menopause. Ein Schutzeffekt, der vergleichbar mit dem Menarchealter ist. Frauen, die mehr Fettgewebe haben, produzieren mehr Estradiol. Und das Estradiol ist wahrscheinlich einer der Faktoren, die antiapoptotische Wirkung auf den Oozytenpool und damit einen gewissen Schutzeffekt haben.“ 11 Trotz aller Einflussfaktoren: Auch bei vorgerücktem reproduktiven Alter beinhaltet der ovarielle Follikelpool noch Tausende von Eizellen. Warum also kommt es überhaupt zur Einschränkung der Fruchtbarkeit? Professor Thaler: „Von entscheidendem Einfluss scheint zu sein, welche chromosomale Ausstattung die einzelne Eizelle hat, die zur Befruchtung kommt. So steigt das Risiko einer Aneuploidie, also der chromosomalen Fehlverteilung, mit dem Alter und liegt etwa bei einer Frau mit Mitte 40 bei 40 Prozent (Abb. 3). Die entstehenden Embryonen können sich oft gar nicht implantieren, und es kommt zum Implantationsversagen. Wenn es dann doch zu einer Schwangerschaft kommt, folgt häufig eine Fehl- Abb. 2: Die rote Linie veranschaulicht die durchschnittliche Halbierung der Konzeptionsrate im Alter von 37 Jahren. Abb. 3: Chromosomale Fehlverteilungen (hier für die Chromosomen XY, 13, 15, 16, 18, 21, 22) von Eizellen und hieraus entstehende Embryonen werden mit zunehmendem Alter häufiger. Gleichzeitig nimmt die Implantationsrate ab. Fertilität Juli 2009 Prof. Dr. med. Christian Thaler in seiner Sprechstunde im Klinikum Großhadern bei einer Ultraschalluntersuchung. geburt. In ganz seltenen Fällen sehen wir auch Kinder mit Aneuploidien, meistens sind das die Trisomie-21-Kinder.“ Somit besteht ein klarer Einfluss der Eizellqualität auf die Schwangerschaftschance. Marker des reproduktiven Alters Die Marker, die typischerweise mit Blick auf das reproduktive Alter bestimmt werden, sind frühfollikuläres FSH und Estradiol. Aber wie aussagekräftig sind diese Standardmessungen wirklich? „Es gibt zwei Probleme beim FSH, das sich während des Zyklus permanent verändert. Eine verwendbare Bewertung ist also nur am Zyklustag zwei bis maximal vier möglich“, lautet die Antwort von Christian Thaler. „Wir wissen, dass ein FSH zum Beispiel mit einem Wert unter acht am Tag drei bedeutet, dass die Schwangerschaftschancen – zumindest seitens der • AFC – ~15 (bis 34 Jahre) – ~10 (35 bis 40 Jahre) • AMH – > 1.0 ng/ml (bis 40 Jahre) – < 0,7 ng/ml: eingeschränkte Prognose für ART-Zyklen – < 0,2 ng/ml: Ende der reproduktiven Periode • FSH (d3) – < 8 IU/L • E2 – < 50 pg/ml (cave: > 80 pg/ml bei normalem FSH: beschleunigte Follikelreifung) Abb. 4: Einschätzung des reproduktiven Alters – Richtwerte Eierstockfunktion – recht hoch sind. Nur das zweite Problem ist, dass das FSH eigentlich nur eine Momentaufnahme der gerade reifenden Kohorte darstellt. Ein Zyklus ist also nicht ohne Weiteres mit dem nächsten vergleichbar.“ Dazu kommt, dass bei Pillenanwenderinnen eine FSH-Bestimmung sinnlos ist. In der Praxis sind also Alternativen gefragt. Welche können das sein? „Was man bei einer Frau unter Einnahme oraler Kontrazeptiva machen kann, das ist der AFC. Auch den muss man sehr früh im Zyklus machen.“ Dabei werden alle Follikel, die einen Durchmesser zwischen zwei und zehn Millimeter haben, aus beiden Ovarien addiert (Haadsma ML, Human Reprod. 2007; 22: 1925–31). „Junge Frauen zwischen 25 und 35 Jahren sollten 15 kleine Follikel haben, später circa zehn (Abb. 4). „Wenn eine Frau die Pille nimmt, würde ich am siebten bis 14. Tablettentag den AFC machen.“ Mit Sicherheit eine Schwangerschaftschance? Neben FSH, Estradiol und AFC empfiehlt Professor Christian Thaler eine Analyse des Anti-Müller-Hormons. „Wenn alle diese vier Werte zusammen plausibel sind und eine hohe ovarielle Reserve darlegen, dann würde ich der betreffenden Patientin durchaus signalisieren, dass ihre Familienplanung nicht gleich heute entschieden werden muss und sie noch Zeit hat.“ „Superinteressant“ findet Thaler die neue Substanz AMH unter den Markern des reproduktiven Alters, die zunächst im Zusammenhang mit der embryonalen Hemmung der Müllerschen Gänge beschrieben wurde. Welchen Vorteil hat eine solche AMH-Bestimmung gegenüber den anderen Markern? „Das AMH kann zu den verschiedenen Zeiten des Zyklus gemessen werden und stellt deswegen eine echte Alternative dar“, begründet der Reproduktionsmediziner (vgl. Kwee, Fertil Steril 2007; Visser, Reproduction 2006; van Rooij 2002). „Je älter die Patientin ist, desto niederer wird das AMH ausfallen (Abb. 4). Um so höher das AMH, desto größer ist die Eizellzahl, die wir beispielsweise für eine In-vitro-Fertilisation gewinnen können.“ Weiterer Vorteil für die Einschätzung des reproduktiven Alters bei Pillenanwenderinnen ist, dass AMH, das unter anderem über das Blutplasma freigesetzt wird (Visser), und AFC problemlos gemeinsam bestimmt werden können. AMH wird schon von sehr kleinen, initial rekrutierten Follikeln freigesetzt, die noch nicht in die FSHabhängige Hormonproduktion eingebunden sind. „AMH bietet somit einen Blick viel tiefer hinein in die gesamte Eierstockreserve als Marker wie FSH und Estradiol, die sich ja immer nur auf die aktuelle Kohorte beziehen.“ Fazit Wenn in der gynäkologischen Praxis die bestmögliche Aussage hinsichtlich einer Schwangerschaftswahrscheinlichkeit der Patientin das Ziel ist, dann steht für Professor Thaler fest: „Je höher die Plausibilität aller vier Marker zueinander, desto höher die prognostische Bedeutung.“ Zu berücksichtigen bleibt dennoch trotz aller Vorteile des AMH, dass es unabhängig vom reproduktiven Alter dem Einfluss genetischer Polymorphismen unterliegt (Kevenar ME et al., Human Reprod., 2009). „Bestimmte Gene scheinen ein eher höheres AMH zu verursachen“, so Thaler, der diesen Aspekt mit seiner Arbeitsgruppe am Klinikum Großhadern ebenfalls untersucht hat. Marker des reproduktiven Alters können somit eine gewisse Vorhersage ermöglichen, doch selbst wenn alles zusammenpasst, ist auch das nicht die einzig wirkliche Aussage. Ganz individuell können Kinderwünsche in Erfüllung gehen. Bildnachweis: BRANDX/Jupiterimages; privat 12