Page as PDF - Max-Planck
Transcription
Page as PDF - Max-Planck
Jahrbuch 2010/2011 | Brumm, Henrik | Biologie des Vogelgesangs: Anpassungen und Plastizität von Verhalten Biologie des Vogelgesangs: Anpassungen und Plastizität von Verhalten The biology of bird song: adaptation and plasticity of animal behaviour Brumm, Henrik Max-Planck-Institut für Ornithologie, Seew iesen Korrespondierender Autor E-Mail: brumm@orn.mpg.de Zusammenfassung Forscher am MPI für Ornithologie untersuchen Vogelgesang als Modell sexuell selektierter Signale. Sie entdeckten, dass Vogelw eibchen lauten Gesang bevorzugen, w eil der auf eine gute Kondition schließen lässt. Durch soziale Aggression rivalisierender Männchen w ird gew ährleistet, dass die Lautstärke ein verlässlicher Anzeiger ist. Gleichzeitig muss der Gesang an die Erfordernisse der Signalübertragung in den jew eiligen Habitaten angepasst w erden. So entsteht ein komplexes Wechselspiel zw ischen natürlicher und sexueller Selektion, das zu Plastizität und speziellen Anpassungen der Signale führt. Summary Scientists at the MPI for Ornithology investigate bird song as a model for sexually selected signals. Female songbirds prefer loud songs, w hich can be used as a signal of high male body condition. The honesty of the signal is maintained by social aggression of rival males. At the same time, birds need to adjust their songs to the physical properties of their habitats to ensure signal transmission. This results in a complex interplay betw een natural and sexual selection, during w hich signal plasticity plays an important role as w ell as special adaptations of signal structure. Der Gesang der Vögel gehört zu den schönsten und komplexesten Lauten, die die Natur hervorgebracht hat. Ein Vogelkonzert an einem Frühlingsmorgen kann ein bew egendes Erlebnis sein. Die Vögel singen jedoch nicht, um uns Menschen zu erfreuen, sondern ihr Gesang erfüllt einen evolutionären Zw eck im Zusammenhang mit der Fortpflanzung. In unseren Breiten singen zumeist nur die Männchen; mit ihren Liedern markieren und verteidigen sie ihre Territorien gegen rivalisierende Männchen und gleichzeitig locken sie Weibchen an und stimulieren sie zur Paarung. Da sich Unterschiede im Gesang zw ischen Männchen auf die Partnerw ahl der Weibchen und die Konkurrenz der Männchen untereinander ausw irken, w ird die Evolution des Gesanges maßgeblich durch sexuelle Selektion beeinflusst. Neueste Forschungsergebnisse haben gezeigt, dass in diesem Zusammenhang die Lautstärke des Gesangs © 2011 Max-Planck-Gesellschaft w w w .mpg.de 1/6 Jahrbuch 2010/2011 | Brumm, Henrik | Biologie des Vogelgesangs: Anpassungen und Plastizität von Verhalten eine w ichtige Rolle spielt (Abb. 1). So bevorzugen beispielsw eise Vogelw eibchen lauten Gesang gegenüber leisem [1]. Gleichzeitig unterscheiden sich die Männchen vieler Singvogelarten enorm in der Lautstärke ihres Gesangs, es w urden Unterschiede von 10 - 15 Dezibel (dB) zw ischen den lautesten und den leisesten Sängern einer Population gemessen [2; 3]. Warum singen nicht alle Vogelmännchen laut, w enn dies doch attraktiv für Weibchen ist und den Männchen Vorteile bei der Fortpflanzung bringen w ürde? Und w arum w ählen Weibchen überhaupt Männchen mit lautem Gesang? Um diese Fragen beantw orten zu können, mussten die Seew iesener Forscher herausfinden, w elche Information in der Gesangslautstärke kodiert ist und w elche Kosten die Produktion von lautem Gesang möglicherw eise beschränken. A bb. 1: Ge sa ngsprä fe re nze n von Voge lwe ibche n la sse n sich m it Hilfe „ope ra nte r Konditionie rung“ unte rsuche n: In Te stk ä fige n k önne n sich die Tie re se lbst Ge sa ng vorspie le n, inde m sie m it de m Schna be l a uf e ine Ta ste drück e n ode r e ine n Scha lte r a n e ine r Sitzsta nge be tä tige n. Ma nche W e ibche n löse n vie le hunde rt Ma l a m Ta g e in Ge sa ngsvorspie l a us. Die Forsche r k önne n so a nha nd de s sponta ne n Ve rha lte ns de r Tie re he ra usfinde n, we lche Ge sa ngse ige nscha fte n be sonde rs a ttra k tiv für die Tie re sind. © Ma x -P la nck -Institut für O rnithologie /Grie sch Gesangslautstärke als Signal Die Gesangsmotivation von Singvögeln w ird maßgeblich durch das Sexualhormon Testosteron beeinflusst. Männchen mit hohem Testosteronspiegel singen häufiger und länger, allerdings nicht lauter [3]. Unerw arteterw eise hängt der Schallpegel des Gesangs auch nicht mit der Körpergröße des singenden Männchens zusammen [2]. Neueste Befunde deuten darauf hin, dass die Lautstärke des Gesangs von der Kondition des singenden Männchens beeinflusst w ird. Gut genährte Tiere in optimaler Verfassung singen lauter als Männchen in schlechterer körperlicher Kondition. Findet ein Tier w eniger Futter, sinkt dadurch die Kondition, und der Vogel verringert seine Gesangslautstärke. Da Weibchen lauten Gesang bevorzugen, w ählen sie damit indirekt Männchen in guter körperlicher Verfassung. Werden junge Singvögel im Nest schlecht mit Futter versorgt, beeinträchtigt dies zw ar ihre Gesangsentw icklung, aber diese Defizite führen nicht zu einer reduzierten Gesangslautstärke, w enn sie ausgew achsen sind [4]. Kosten des lauten Singens Der Zusammenhang zw ischen Körperverfassung und Gesangsamplitude lässt vermuten, dass die Produktion von lautem Gesang durch metabolische Kosten beschränkt w ird. Männchen in schlechter Verfassung verfügen © 2011 Max-Planck-Gesellschaft w w w .mpg.de 2/6 Jahrbuch 2010/2011 | Brumm, Henrik | Biologie des Vogelgesangs: Anpassungen und Plastizität von Verhalten vielleicht nicht über ausreichende Energiereserven, um laut zu singen. Um dies zu überprüfen, w urde der Energieverbrauch singender Vögel mithilfe von hochauflösenden respirometrischen Messungen bestimmt. Dazu w urde der Sauerstoffverbrauch singender Vogelmännchen in Abhängigkeit von der Lautstärke ihres Gesangs gemessen. Überraschenderw eise konnten keine bedeutsamen metabolischen Kosten nachgew iesen w erden, denn selbst extreme Erhöhungen der Gesangslautstärke um über 20 dB hatten nur einen minimalen Anstieg des Sauerstoffverbrauchs zur Folge. Diese Befunde zeigen, dass das Singen mit hoher Lautstärke nicht durch hohen Energieverbrauch begrenzt w ird. Wahrscheinlich singen nicht alle Männchen laut, da lauter Gesang durch soziale Aggression beschränkt w ird. Territoriale Männchen reagieren deutlich aggressiver auf lauten als auf leisen Gesang (Abb. 2). Weibchen w ählen mit ihrer Vorliebe für lauten Gesang also Männchen in guter körperlicher Verfassung aus, die gleichzeitig der territorialen Aggression von anderen, konkurrierenden Männchen standhalten können. Das bedeutet, dass die Lautstärke die Qualität der Sänger anzeigt und Weibchen diese Information für ihre Partnerw ahl nutzen. Die Zuverlässigkeit des Signals w ird dabei durch die Kosten, die indirekt mit der Produktion verbunden sind, aufrechterhalten: Möglicherw eise können es sich nur Vogelmännchen in guter körperlicher Kondition leisten, starke aggressive Reaktionen von anderen Männchen zu provozieren. A bb. 2: Ein Buchfink e nm ä nnche n wä hre nd de r Fortpfla nzungsze it. Te rritoria le Buchfink e n re a gie re n a ggre ssiv a uf de n Ge sa ng von a nde re n Mä nnche n, und zwa r de utlich stä rk e r a uf la ute n a ls a uf le ise n Ge sa ng. Da s führt da zu, da ss die P roduk tion von la ute m Ge sa ng durch die sozia le Aggre ssion riva lisie re nde r Mä nnche n be schrä nk t wird und höchstwa hrsche inlich nur Mä nnche n la ut singe n, die e ine r e rhöhte n te rritoria le n Aggre ssion sta ndha lte n k önne n. © Ma x -P la nck -Institut für O rnithologie /Gre if Wenn die Gesangslautstärke so als ehrliches Signal für die Qualität eines Männchens sexuell selektiert w ird, sollte die reproduktive Fitness eines Männchens mit der Lautstärke variieren. Männchen mit lautem Gesang sollten also mehr Nachkommen zeugen als Tiere, die leise singen. Dieser Frage gehen die Seew iesener Forscher derzeit mithilfe von molekulargenetischen Methoden nach. Anpassungen an Störungen durch Lärm Damit der Vogelgesang seine kommunikative Funktion erfüllen kann, muss der Schall der Vogelstimme den Adressaten, also rivalisierende Männchen oder paarungsw illige Weibchen, überhaupt erst einmal erreichen. Die Schallübertragung w ird maßgeblich durch die akustischen Eigenschaften des Habitats beeinflusst, in dem die Tiere kommunizieren. Deshalb w ird der Vogelgesang durch mikroevolutive Prozesse an die Habitat-Akustik © 2011 Max-Planck-Gesellschaft w w w .mpg.de 3/6 Jahrbuch 2010/2011 | Brumm, Henrik | Biologie des Vogelgesangs: Anpassungen und Plastizität von Verhalten angepasst [5]. Das führt dazu, dass auf der einen Seite die sexuelle Selektion der Paarungssignale durch die Erfordernisse der Schallübertragung beschränkt w ird. Auf der anderen Seite können Signalparameter, die einer starken positiven sexuellen Selektion unterliegen, nur dann zur Verbesserung der Signalübertragung benutzt w erden, w enn die Anpassung der reproduktiven Funktion des Signals nicht zuw iderläuft. Das bedeutet, ein Tier kann seine Paarungssignale nur dann verändern, um sie an die akustischen Gegebenheiten des Lebensraums anzupassen, w enn die Anpassung nicht dazu führt, dass das Signal von potentiellen Paarungspartnern nicht mehr erkannt w ird. Der Austausch von akustischen Signalen w ird besonders durch Rauschen im Übertragungskanal beeinträchtigt. Mit anderen Worten: Akustische Kommunikation w ird durch Lärm gestört. Im Zuge der bereits erw ähnten Signalanpassung an die Habitat-Akustik passen Vögel ihren Gesang auch an Störungen durch Lärm an, und zw ar sow ohl langfristig durch evolutive Prozesse als auch kurzfristig durch die Plastizität der Signale [6]. Seit Beginn des letzten Jahrhunderts sind viele Habitate einer zunehmenden Lärmbelastung durch menschliche Aktivitäten ausgesetzt. Vor allem Verkehrslärm in Verbindung mit der stetig ansteigenden Urbanisierung stellt die Kommunikation vieler W ildtiere vor Probleme. Um trotz des Lärms ihre Artgenossen erreichen zu können, singen Vögel in der Nähe von Straßen und Bahntrassen lauter [7]. Dem sind allerdings Grenzen gesetzt, w eil Vögel nicht beliebig laut singen können. W ird die Lärmintensität zu hoch, kann die akustische Maskierung nicht mehr durch noch lauteres Singen kompensiert w erden, und die Vogelstimme geht im Straßenlärm unter (Abb. 3). A bb. 3: Vöge l in Stä dte n (wie da s a bge bilde te Na chtiga llm ä nnche n a n e ine m Ve rk e hrsk note npunk t in Be rlin) ve rscha ffe n sich im Ve rk e hrslä rm Ge hör, inde m sie la ute r singe n a ls ihre Artge nosse n in Ha bita te n m it we nige r Lä rm . Da be i ha t sich ge ze igt, da ss die Tie re ihre n Ge sa ng se hr schne ll in Abhä ngigk e it de s je we ilige n Um ge bungslä rm s re gulie re n: Am W oche ne nde , we nn e s we ge n de s fe hle nde n Be rufsve rk e hrs de utlich le ise r ist a ls a n W e rk ta ge n, singe n a uch die Vöge l le ise r, da sie sich nicht ge ge n de n Lä rm de r R ush Hour be ha upte n m üsse n [7]. © Ma x -P la nck -Institut für O rnithologie /Brum m Singvögel in Städten singen meist hochfrequenter als ihre Artgenossen in W äldern oder auf dem Land [8]. Einige W issenschaftler vermuten, dass dies eine direkte Anpassung an den tieffrequenten Verkehrslärm in der Stadt ist. Die Intensität von Verkehrslärm nimmt mit steigender Frequenz ab, sodass Gesang in höheren Tonlagen w eniger stark vom Lärm überdeckt w ird. Allerdings sind die Frequenzunterschiede zw ischen Stadtund Waldgesang relativ klein, in den meisten Fällen betragen sie nur 100 - 200 Hz. Um die potenziellen Vorteile von hochfrequentem Stadtgesang zu untersuchen, haben die Seew iesener Forscher mithilfe von mathematischen Modellen die Kommunikationsdistanz von verschiedenen Vogelarten in Städten und W äldern © 2011 Max-Planck-Gesellschaft w w w .mpg.de 4/6 Jahrbuch 2010/2011 | Brumm, Henrik | Biologie des Vogelgesangs: Anpassungen und Plastizität von Verhalten berechnet [9]. Die Kommunikationsdistanz ist die maximale Distanz, über die ein Artgenosse ein Gesangsmuster noch erkennen kann. Die Modelle zeigen, dass der hochfrequente Stadtgesang nur geringfügige Vorteile für die Signalübertragung in urbanen Habitaten hat. Möglicherw eise ist die höhere Stimmlage der Stadtvögel nur eine Begleiterscheinung der erhöhten Gesangslautstärke im Lärm [5]. Die ursächlichen Zusammenhänge zw ischen Gesangsfrequenz und -lautstärke sow ie Anpassung an Umw eltlärm w erden die W issenschaftler der Forschungsgruppe Kommunikation und Sozialverhalten in Zukunft untersuchen. Über die Grundlagenforschung hinaus sind Erkenntnisse über die Mechanismen und Grenzen der Anpassung von W ildtieren an urbane Lebensräume auch für den Naturschutz relevant. Forschungen zum Einfluss von Lärm auf Tiere sind w ichtig, um Entscheidungsträger der Politik sow ohl im Hinblick auf Fragen des Artenschutzes zu informieren als auch im Zusammenhang mit der Erstellung von allgemeinen Aktionsplänen zur Lärmverminderung [10]. Wissenschaftliche Relevanz des Projektes Das neu erw orbene W issen des gesamten Projekts liefert w ichtige Erkenntnisse über die natürliche und sexuelle Selektion von biologischen Signalen. Die Verhaltensökologie untersucht die evolutiven und ökologischen Aspekte des Verhaltens und versucht zu verstehen, w ie Lebew esen ihr Verhalten an die Umw elt anpassen. Durch das Zusammenführen von physiologischen, verhaltensbiologischen und ökologischen Daten ist es den Forschern in Seew iesen gelungen, am Beispiel des Vogelgesangs zu zeigen, w ie sexuell selektierte Signale an die abiotische und biotische Umw elt angepasst w erden können. Dabei zeichnet sich ein komplexes Zusammenspiel aus sexueller und natürlicher Selektion ab, in dem die physikalischen Notw endigkeiten der Signalübertragung genauso zur Evolution von Einsatz und Struktur von Signalen beitragen w ie das verlässliche Anzeigen von Qualität im Rahmen von Partnerw ahl und Konkurrenz unter Männchen. [1] M. Ritschard, K. Riebel, H. Brumm: Female zebra finches prefer high-amplitude song. Animal Behaviour 79, 877 - 883 (2010). [2] H. Brumm: Song amplitude and body size in birds. Behavioral Ecology and Sociobiology 63, 1157 - 1165 (2009). [3] M. Ritschard, S. Laucht, J. Dale, H. Brumm: Enhanced testosterone levels affect singing motivation but not song structure and amplitude in Bengalese finches. Physiology & Behaviour 102, 30 - 35 (2011). [4] H. Brumm, S. A. Zollinger, P. J. B. Slater: Developmental stress affects song learning but not song complexity and vocal amplitude in zebra finches. Behavioral Ecology and Sociobiology 63, 1387 - 1395 (2009). [5] H. Brumm, M. Naguib: Environmental acoustics and the evolution of bird song. Advances in the Study of Behaviour 40, 1 - 33 (2009). © 2011 Max-Planck-Gesellschaft w w w .mpg.de 5/6 Jahrbuch 2010/2011 | Brumm, Henrik | Biologie des Vogelgesangs: Anpassungen und Plastizität von Verhalten [6] H. Brumm, S. Slabbekoorn: Acoustic communication in noise. Advances in the Study of Behavior 35, 151- 209 (2005). [7] H. Brumm: The impact of environmental noise on song amplitude in a territorial bird. Journal of Animal Ecology 73, 434 - 440 (2004). [8] E. Nemeth, H. Brumm: Blackbirds sing higher pitched songs in cities: adaptation to habitat acoustics or side effect of urbanization? Animal Behaviour 78, 637 - 641 (2009). [9] E. Nemeth, H. Brumm: Birds and anthropogenic noise: are urban songs adaptive? American Naturalist 176, 465-475 (2010). [10] H. Brumm: Anthropogenic Noise: Implications for Conservation. In: Breed M.D. and Moore J., (eds.) Encyclopedia of Animal Behavior, volume 1, pp. 89-93 Oxford: Academic Press (2010). © 2011 Max-Planck-Gesellschaft w w w .mpg.de 6/6