Arbeitsheft Kulturwissen
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Arbeitsheft Kulturwissen
So vi e l Anfang war ni e A rb e its h e f t Ku ltu rw is sen Mitglied der Fachhochschule Ostschweiz FHO www.fhsg.ch 1 Soviel Anfang war nie – Das Entstehen der beiden Deutschland nach 1945. 2 Editorial Geschätzte Leserin Geschätzter Leser Der Zerfall des Kommunismus hat zur Bildung einer Vielzahl von neuen Staaten geführt. Junge Menschen, unsere Studierenden, interessieren sich für diese spannenden Prozesse. Das vorliegende Arbeitsheft Kulturwissen erörtert das Werden der zwei Deutschlands in den Jahren 1945 bis 1949 und zeigt so exemplarisch auf, wie aus einer katastrophal verfahrenen Situation in kurzer Zeit, einem Phönix aus der Asche gleich, zwei mehr oder weniger geglückte neue Staatswesen entstehen können. Gerade die neu entstandene Bundesrepublik musste sich dabei intensiv mit der Schuldfrage auseinandersetzen; die Vergangenheitsbewältigung prägte die Zeit nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs bis weit in die sechziger Jahre hinein und ist bis heute noch nicht abgeschlossen. Gleich wie die Schweiz mit der Kommission SchweizZweiter Weltkrieg und dem Bergier-Bericht setzt sich auch Deutschland immer wieder mit den grausamen zwölf Jahren nationalsozialistischer Herrschaft auseinander. Aus diesem Grund enthält das vorliegende Arbeitsheft Kulturwissen auch Interpretationen literarischer Werke (Zuckmayer, Bamm, Böll, Apitz), welche im Bereich der Vergangenheitsbewältigung als Erste Analysen und Deutungsversuche vorgelegt haben. So wird auch dieses Arbeitsheft dem Bekenntnis der FHS St. Gallen zur Interdisziplinarität gerecht. Es vermittelt den Studierenden Kenntnisse, auf die sie angewiesen sind, um nach Abschluss ihres Studiums im wirtschaftlichen und politischen Alltag bestehen zu können. Wir hoffen, dass dieses Heft Studierenden, Lehrkräften und Geschichtsinteressierten interessante Einblicke und neue Einsichten vermittelt. Prof. Dr. Peter Faesi Dozent für Kulturfächer 3 4 Inhaltsverzeichnis Editorial 3 Kriegsende und Kapitulation 6 Die Konferenz von Potsdam 12 Denazifizierung 16 Marshallplan und Berlin-Blockade 18 Carl Zuckmayer und Peter Bamm 22 Staat auf Befehl: Demokratisierung und Grundgesetz 28 Trümmerliteratur und Kahlschlag 30 Die Ära Adenauer 34 Wolfgang Koeppen, Das Treibhaus 38 Stimmung der fünfziger Jahre 40 Heinrich Böll, Der Zug war pünktlich 46 Die Entstehung der DDR 48 Bruno Apitz, Nackt unter Wölfen 54 Verzeichnisse und Anhang 58 5 Kriegsende und Kapitulation Abb. 1: Flüchtlingsströme 1945 bis 1950 6 04. – 11. Februar 1945 Konferenz von Jalta 12. April 1945 Tod Roosevelts 30. April 1945 Selbstmord Hitlers 07. März 1945 Rheinüberquerung bei Remagen 25. April 1945 Zusammentreffen in Torgau an der Elbe 07. / 08. Mai 1945 Kapitulation in Reims / Berlin 1945 ist die militärische Lage für Deutschland hoffnungslos. Im Januar 1945 erfolgt von Osten her der entscheidende Schlag gegen die deutsche Wehrmacht. Am 12. Januar brechen die sowjetischen Truppen aus dem Weichselbrückenkopf bei Baranow aus und durchstossen die deutschen Linien. Innerhalb von wenigen Tagen bricht die ganze deutsche Front zwischen Ostsee und Karpaten zusammen, und die russischen Armeen ergiessen sich, einen riesigen Flüchtlingsstrom vor sich hertreibend, über die Ostgrenze des Reiches. Schlacht. Am 6. März fällt jedoch das stark zerstörte Köln in die Hände der Alliierten. Einen Tag später nehmen die Alliierten die von den Deutschen nicht gesprengte Brücke von Remagen in Besitz und überschreiten auf breiter Front den Rhein, Remagen wird zum wichtigsten Brückenkopf für die westlichen Alliierten. „Die Brücke ist ihr Gewicht in Gold wert“, ruft der alliierte Oberbefehlshaber Eisenhower aus. norddeutsche Tiefebene ein und bedrohen die Häfen der Nord- und Ostseeküste. Im Süden erobern Amerikaner und Franzosen Baden und Württemberg; General Pattons dritte Armee erreicht die Donau und damit die tschechoslowakische Grenze. Ende Januar fällt das oberschlesische Kohlenrevier fast unversehrt in sowjetische Hand, Anfang Februar erreichen die russischen Panzerspitzen Küstrin und Frankfurt an der Oder, Berlin liegt in Reichweite der Sowjets. In Frankfurt an der Oder erlahmt der sowjetische Vorstoss allerdings. Er hat seinen Zweck erfüllt, nämlich Stalin an der beginnenden Konferenz von Jalta eine starke Position gegenüber Churchill und Roosevelt zu verschaffen. Die sowjetischen Truppen können sich im Februar und März darauf beschränken, ihre Eroberungen zu konsolidieren. Anfang Februar 1945 beginnen auch die westlichen Alliierten mit ihrem Angriff auf die Stellungen der Siegfriedlinie in der Eifel. Getreu dem Schwur, keinen Fussbreit deutschen Boden aufzugeben, stellen sich die Deutschen westlich des Rheins zur Was folgt, ist ein Vormarsch, der an Tempo jede bisherige Offensive des Kriegs in den Schatten stellt. Die amerikanischen Armeen stossen innert dreier Wochen bis an die Elbe und tief nach Thüringen hinein vor. Die Briten unter Montgomery dringen in die Mitte April sind die Reserven der deutschen Wehrmacht erschöpft, jeder organisierte Widerstand ist zusammengebrochen. Die deutsche Wehrmacht verteidigt nur noch einzelne Stützpunkte, zum Teil weit hinter den Fronten, so in Breslau, in Königsberg und auf der Halbinsel Hela. Während in Deutschland bereits der Endkampf tobt, stehen zudem noch immer deutsche Soldaten auf völlig verlorenen Posten über ganz Abb. 2: Churchill, Truman und Stalin in Potsdam Kriegsende und Kapitulation Europa verstreut: in Kurland, in Norwegen und Dänemark, in Dünkirchen, auf den Kanalinseln, an der Atlantikküste und sogar auf Kreta und Rhodos. In der gespenstischen Welt des Führerhauptquartiers ergeht sich Hitler in Illusionen und operiert mit Truppen, die längst aufgerieben sind. In den letzten Kriegswochen sieht es aus, als käme es zwischen westlichen und sowjetischen Alliierten zu einem Wettlauf um Berlin. Aber dieser Wettlauf ist bereits seit Anfang Jahr entschieden, und zwar weil die westlichen Alliierten erklären, Berlin sei kein lohnendes militärisches und politisches Ziel mehr. Die Gründe für diesen Verzicht auf Berlin sind folgende: Erstens hat US-Präsident Roosevelt die psychologische Bedeutung Berlins unterschätzt, zerfällt doch erst mit der Eroberung der Reichshauptstadt das Dritte Reich endgültig. Und zweitens glaubt Roosevelt, seine Truppen in den Süden schicken zu müssen, wo er eine reduitartige Alpenfestung vermutet, eine Festung, die allerdings nur in der Phantasie der Nazis existiert. Der amerikanische Verzicht auf den Marsch nach Berlin erweist sich als folgenschwere Konzession an die Sowjets, erlaubt Stalin, Berlin unbehindert zu besetzen, und verschafft Moskau vierzig Jahre lang wesentliche psychologische, militärische und politische Vorteile. Abb. 3: Die letzten Stützpunkte der Deutschen 1945 Abb. 4: Die illusionäre Alpenfestung 8 Ende März schlägt Eisenhower ein Zusammentreffen zwischen Alliierten und Sowjets an der Elbe vor. Churchill opponiert scharf, sieht er doch in der Sowjetunion ein ebenso grausames System wie im Nationalsozialismus. Legendär ist Churchills Ausspruch in bezug auf Hitler und Stalin: „Wir haben das falsche Schwein geschlachtet.“ Eisenhower aber setzt sich durch: Am 25. April 1945 schütteln sich Leutnant William D. Robertson und Soldat Alexander Silwaschko in Torgau an der Elbe die Hände. Sie können sich nicht verständigen, aber Robertson klopft Silwaschko immer wieder auf die Schulter und lacht ihn an. Die legendäre Fotografie wird erst einen Tag später geschossen, da bei diesem historischen Ereignis gerade kein Fotograf anwesend ist. Das deutsche Reich ist so endgültig zwischen westlichen und sowjetischen Alliierten aufgerieben. „Wie schnell sind tausend Jahre um“, kommentiert der Flüsterwitz. Noch vor Hitlers Selbstmord setzt sich Himmler, Reichsführer SS und damit einer der mächtigsten Männer im Dritten Reich, ab und bietet den Alliierten die Kapitulation an, was Hitler zur Raserei bringt. In völliger Selbstverblendung glaubt Himmler tatsächlich, als Verhandlungspartner der Alliierten akzeptiert zu werden. Zum Erstaunen von Himmler gehen die Alliierten nicht auf sein Angebot ein, Himmler begeht Selbstmord. Nach Hitlers Selbstmord unterbreitet dann auch Propagandaminister Goebbels eine Friedensofferte an Stalin, bevor er sich mit seiner Frau und seinen sechs Kindern umbringt. Am 7. Mai 1945 kapituliert das Dritte Reich bedingungslos in Reims. Wie schnell die Zusammenarbeit zwischen westlichen und sowjetischen Alliierten allerdings zerfällt, zeigt die Tatsache, dass die Sowjets verlangen, dass die Kapitulation vor ihnen wiederholt wird. Deutschland kapituliert ein zweites Mal am 8. Mai 1945 in Berlin. Die Bilanz des Krieges übersteigt alle Begriffe: 55 Millionen Tote 35 Millionen Verwundete 20 Millionen Flüchtlinge sind zu beklagen, das Schicksal vieler Angehöriger ist noch auf Jahre hinaus ungewiss. Deutschland liegt in Schutt und Asche. „Das grosse Carthago führte drei Kriege. Es war noch mächtig nach dem ersten, noch bewohnbar nach dem zweiten. Es war nicht mehr auffindbar nach dem dritten,“ hat Bertolt Brecht geschrieben. In Hamburg sind 53 % der Häuser zerstört; sogar Elefanten werden zum Abtransport der Trümmer eingesetzt. Ein Drittel des Volksvermögens von 1936 ist vernichtet. Der Krieg war total, und die Niederlage ist es ebenfalls. De Gaulle erklärt eine Woche nach der Kapitulation vor der französischen Assemblée constitutive: „Deutschland, in seinem Traum von der Herrschaft bis zum Fanatismus hingerissen, hat den Krieg so geführt, dass der Kampf materiell, politisch und moralisch ein totaler Kampf war. Der Sieg muss daher ein totaler Sieg sein. Das ist geschehen. Insofern sind der Staat, die Macht und die Doktrin, ist das Deutsche Reich zerstört.“1 Die Versorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln unterschreitet das Existenzminimum. „Millimeterschrittchenweise und frostbeulengequält“, schreibt Peter Wapnewski in seinen Lebenserinnerungen, hätten sich die Studenten in sohlenlosen Schuhen auf den Weg in die Hörsäle gemacht und hätten begierig in ihr Gedächtnis gesogen, was sie mangels Papier sowieso nicht aufschreiben konnten.2 Mäntel aus Soldatendecken, Kleider aus Verdunkelungsstoff, Strümpfe aus Zuckersäcken, Schuhe aus Autoreifen, Hosenträger aus Riemchen von Gasmasken – der Einfallsreichtum kennt keine Grenzen. Ganz besonders begehrt sind in diesen Jahren Fallschirmseide - aus ihr lassen sich Brautkleider nähen – und Munitionskisten, egal ob von Freund oder Feind: als Küchenschränke, als Kühlschränke, als Kochkisten beim Sparen von Energie. Was der Krieg übrig gelassen hat, sammelt man auf Feldern und Wiesen auf: Stahlhelme, Flugzeugteile, Kartuschen. Aus dem Altmetall entstehen Schalen, Vasen, 9 Kriegsende und Kapitulation Kannen, Kerzenträger und Weihwasserbecken. Ein Ring aus Patronenhülsen wird zum Trauring-Ersatz. Und auch das kleine Glück gehört dazu: Wenn es keine Zigaretten gibt, behilft man sich mit der Marke „Eigenbau“, selbst gepflanzt, selbst getrocknet, selbst geschnitten. Im besten Fall erweist sich ein Care-Paket aus den USA als ganz grosses Los; Schokolade, Kakao und Kaffee sind darin, alles Dinge, die es in Deutschland nicht zu kaufen gibt. Wohl auch dem, der im Krieg seine Wohnung behalten hat, auch wenn jetzt sieben Personen in einem Raum leben müssen. Die Aufgaben der Alliierten nach der Kapitulation sind denn auch gigantisch: General Dwight D. Eisenhower, Kommandant der Supreme Headquarters of Allied Expeditionary Forces (SHAEF), sieht sich einer unübersichtlichen, von Massenmigration, Hunger und grossflächigen Kriegszerstörungen geprägten Situation gegenüber. In Deutschland und Österreich zusammen befinden sich mehrere Millionen Displaced Persons, darunter zahlreiche Überlebende der nationalsozialistischen Konzentrationslager, die versorgt werden müssen. Dazu strömen 10 bis 13 Millionen Flüchtlinge aus dem Osten des Deutschen Reiches in den Westen, die ebenfalls versorgt werden müssen. Der Nahrungsmangel, verschärft durch Transportprobleme, stellt für ganz Westeuropa ein ungeheures Problem dar. Auf dem Gebiet des Deutschen Reiches 10 fällt die landwirtschaftliche Produktion infolge von Arbeitskräfte- und Düngemittelmangel um 20 bis 30 Prozent gegenüber den Vorkriegswerten zurück. Die Unterordnung der gesamten Wirtschaft unter die Rüstungserfordernisse sowie die Strategie der „verbrannten Erde“, die Hitler noch in den letzten Kriegswochen durchzusetzen suchte, tragen das Ihre zur eklatanten Nahrungsmittelknappheit bei. Was auf dem Land wieder angebaut wird, gelangt selten in die Städte, sondern bleibt auf dem Land, wo es von Kunden im Tauschhandel erworben wird: Hamstern dominiert den Überlebenskampf. Kohlenklau ist so stark verbreitet, dass Kohlentransporte von Polizisten bewacht werden müssen. Aufs schärfste ist dem kanadischen Revisionisten James Bacque zu widersprechen, der den Alliierten vorwirft, sie hätten absichtlich und planmässig den Hungertod von Millionen von Deutschen herbeigeführt; weder sind seine auf Millionen hochgerechneten Opferzahlen haltbar, noch kann von einer bewussten Aushungerung der Deutschen die Rede sein.3 „Die Schrift an der Wand hiess: leben und beschaffen“, heisst es in Christoph Meckels Text „Suchbild“ von 1983. Abb. 5: Ausschnitt aus Meckel, Suchbild 11 Die Konferenz von Potsdam Schon am 5. Juni 1945 erklären die Alliierten, sie übernähmen „in Anbetracht der Niederlage Deutschlands ... die oberste Regierungsgewalt“ auf allen staatlichen Ebenen. An der Gipfelkonferenz der „Grossen Drei“ vom 17. Juli bis 2. August 1945 nehmen der Roosevelt-Nachfolger Truman, Stalin, Churchill bzw. - nach den Wahlen in England - dessen Nachfolger Attlee teil. Frankreich ist nicht zugezogen worden und erhebt in der Folge Vorbehalte gegen eine geplante Zentralgewalt, die denn auch nie zustande kommt. Diese Konferenz von Potsdam ist kein eigentlicher Friedensschluss, es werden nur provisorische Beschlüsse gefasst. Deutschland zerfällt in vier Besatzungszonen. Den Militärgouverneuren steht die gesetzgebende, rechtsprechende und vollziehende Gewalt in den besetzten Zonen zu. Die Besatzungstruppen sind: 12‘000 Amerikaner unter Dwight D. Eisenhower in Frankfurt a.M. 25‘000 Briten unter Gen. Montgo mery in Bad Oeynhausen 11‘000 Franzosen unter General Lattre de Tassigny in Baden-Baden 60‘000 Russen unter Marschall Schukow in Berlin-Karlshorst. „Bis auf weiteres wird keine deutsche Regierung errichtet werden. Jedoch werden einige wichtige zentrale deutsche Verwaltungsabteilungen geschaffen“ - so steht es im Potsdamer Protokoll. 12 Abb. 6: Anordnung der Besatzungsmacht 1945 Die vier D der Potsdamer Konferenz Demontage Demilitarisierung Denazifizierung Demokratisierung Abb. 6: Die von Deutschland provisorisch abgetretenen Gebiete 13 Die Konferenz von Potsdam Stalin setzt die Anerkennung der OderNeisse-Linie durch – er hat die westlichen Alliierten vor vollendete Tatsachen gestellt. Das bedeutet, dass die Sowjetunion ihre Grenzen bis an die Curzon-Linie vorschiebt und dass Polen gewissermassen nach Westen verschoben wird. Ostpreussen, Pommern und Schlesien kommen so provisorisch unter polnische Verwaltung. Bis zur Wiedervereinigung der beiden Deutschland werden die deutschen Vertriebenenverbände immer wieder Anspruch auf Rückgabe dieser Gebiete erheben. „Pommern bleibt unser“, „Ostpreussen bleibt unser“, „Schlesien bleibt unser“ und „Deutschland dreigeteilt – niemals“, das sind ihre Slogans, in denen sie von einer Rückkehr nach Breslau oder Königsberg träumen. Mit der Wiedervereinigung von 1991 verzichtet die BRD allerdings ein für allemal auf diese Gebiete. Berlin wird in vier Sektoren geteilt und vom Alliierten Kontrollrat verwaltet. Gemäss Grundgesetz ist Gross-Berlin zwar ein Land der BRD, doch bleibt dieser Artikel durch ein Veto der Westalliierten bis 1990 suspendiert. Die Potsdamer Konferenz stellt vier Prinzipien auf, die sogenannten vier D: Demontage, Demilitarisierung, Denazifizierung und Demokratisierung. Demontage meint die Verminderung der deutschen Industrie auf 55 % der Vorkriegszeit. In den westlichen 14 Besatzungszonen beläuft sich die Demontage auf bescheidene zwei Milliarden DM, und das bei Bruttoinvestitionen von jährlich 20 Milliarden DM. Zudem kommt die spätere BRD in den Besitz von topmodernen Anlagen. Dass die Demontage so moderat ausfällt, ist in erster Linie Adenauer zu verdanken, der in einer Art Geheimdiplomatie den Alliierten das Höchstmögliche abringt; er tut dies unter Umgehung der Legislative, was nicht ganz unproblematisch, aber typisch für Adenauers Regierungsstil ist. In der sowjetischen Besatzungszone dagegen werden ganze Industriewerke demontiert und abtransportiert, hier belaufen sich die Reparationskosten auf total 66 Milliarden DM. Demilitarisierung meint die Abrüstung und Vernichtung des Kriegsmaterials. Der Aufbau der Bundeswehr wird erst ab 1956 möglich. Bereits während des Krieges hat Roosevelt erklärt, dass er in Bezug auf Deutschland „entschieden für eine Aufteilung in drei oder mehr staatsrechtlich völlig unabhängige Staaten sei, denen jede militärische Betätigung, einschliesslich der Ausbildung von Soldaten, und jegliche Rüstungsindustrie verboten werden solle.“4 Denazifierung und Demokratisierung werden in später folgenden Kapiteln erläutert. Drei Erkenntnisse sind hier wesentlich: 1. Deutschland, dessen muss man sich bewusst sein, steht ab 1945 ganz unter der Verwaltung der Siegermächte, es existiert als Staat überhaupt nicht mehr, und das während vier Jahren. Helmut Schmidt erwähnt z.B., dass für jeden Neubau in der Hamburger Werft eine Genehmigung der Alliierten nötig ist. 2. Eine gemeinsame Verwaltung Deutschlands erweist sich von Anfang an als unmöglich – zu verschieden sind die Ansichten der vier Besatzungsmächte. So sind die Militärgouverneure auf sich gestellt. 3. Sehr schnell zeichnet sich sodann auch die Teilung Europas ab, was Churchill wie folgt formuliert hat: „Von Stettin bis hinunter nach Triest an der Adria ist ein Eiserner Vorhang niedergegangen.“ Hildegard Knef schildert die Situation anschaulich: „Ich brauchte Genehmigungen, Zulassungen, Gesundheitskarten; das Schlossparktheater lag im amerikanischen Sektor, statt englischer Behörde war die amerikanische Behörde zuständig, und eigenwillig, wie Behörden nun mal sind, bestand sie darauf, eigene Ermittlungen anzustellen. ... Wir kamen zu Fuss oder auf tattrigen Fahrrädern, denen nach wenigen Metern die Luft auszugehen pflegte, oder – die Gefahr eingehend, zu spät zu kommen – mit der unregelmässigen Stadtbahn. ... Zwei weibliche Rollen waren zu vergeben, eine war noch unbesetzt, ich bekam sie, und wir probierten in einem Wohnzimmer mit einem armen alten Regisseur, der ruhrgeplagt zwischen Toilette und Regietisch hin und her rannte. ... Am Premierenabend war es kalt, das Publikum sass in Pferdedecken und Armeemäntel gewickelt, hatte – den Bitten einer im Foyer aufgestellten Tafel Folge leistend – Nägel bei der Kassiererin abgegeben. ... Die Kälte und der Hunger wurden schlimmer, der Morgenthau-Plan war bei uns noch unbekannt, seine Auswirkungen dafür umso mehr. Die Abstände zwischen Magenkrämpfen wurden kürzer, der Theaterarzt Dr. Schaake besorgte über gefahrvolle Umwege Vitaminampullen, riskierte Militärgefängnis, rettete uns über einige Tage hinweg. Ein Schauspieler gab mir eine halbe Zigarette, sagte: „Nimm einen Zug, dann hört der Magenkrampf auf.“ Ich fing an zu rauchen, Zigaretten kosteten 14 Reichmark pro Stück, aber sie waren im Gegensatz zu Brot oder gar Butter erreichbar.“5 Abb. 8: Karikatur auf die Situation Deutschlands nach 1945 15 Denazifizierung Das Ziel der Alliierten ist klar: Entfernung der Nationalsozialisten aus Ämtern und verantwortlichen Stellungen. Die Kriegsverbrecher sollen zahlen – „mit dem Leben, mit ihrer Freiheit und ihrem Schweiss und Blut“ (US-Militärgouverneur Lucius D. Clay). Entsprechend einem Vier-Mächte-Abkommen, dem 19 Staaten beitreten, verhandelt ein Internationaler Gerichtshof vom November 1945 bis zum September 1946 in Nürnberg gegen die Hauptkriegsverbrecher. In diesem Prozess werden 12 der 24 angeklagten Hauptkriegsverbrecher zum Tode verurteilt (Göring, v. Ribbentrop, Keitel, Kaltenbrunner, Rosenberg, Frank, Frick, Streicher, Sauckel, Jodl, Seyss-Inquardt und – in Abwesenheit – Bormann6), sieben erhalten langjährige Haftstrafen (Dönitz, Funk, Hess, Raeder, Schirach, Speer, v. Neurath). In drei Fällen lautet das Urteil auf Freispruch (Fritzsche, v. Papen, Schacht). Die Leichen der Gehenkten werden in einem Münchner Krematorium eingeäschert, ihre Asche wird in die Isar gestreut. Die Alliierten verhindern so in kluger Voraussicht einen Reliquienkult oder das Entstehen neonazistischer Wallfahrtsorte. In der amerikanischen Besatzungszone müssen 13,4 Millionen Deutsche über 18 Jahre einen Fragebogen mit 131 Positionen ausfüllen, um die Rolle jedes Einzelnen während der NS-Zeit zu erforschen. Davon hängt ab, ob jemand als 16 Hauptschuldiger Belasteter Minderbelasteter Mitläufer Entlasteter eingeordnet wird. Man rechnet, dass die NSDAP 1945 über 6 Millionen Parteigenossen hat. Viele können sich allerdings aus der Verantwortung herausmogeln, indem sie gefälschte Erklärungen vorlegen. Das Personal der NS-Diktatur scheint sich „mehr oder weniger in Nichts aufgelöst zu haben“, merkt der Historiker Clemens Vollnhals ironisch an. Immerhin kommt den amerikanischen Besatzungsbehörden zugute, dass sie in einer Münchner Papierfabrik die Zentralkartei der NSDAP entdecken und damit über die persönlichen Daten verfügen, die es ihnen ermöglich, systematisch gegen Funktionäre und Anhänger vorzugehen und Serienverhaftungen („automatic arrests“) vorzunehmen. Das Ergebnis der Denazifizierung lautet in der amerikanischen Zone: 22‘122 Belastete, 1654 Hauptschuldige. Unmittelbar nach dem Schock der Niederlage halten es 80 % der Deutschen für gut und richtig, die nationalsozialistischen Führer auf die Anklagebank zu setzen. 1950, also nur wenige Jahre später, stimmen nur noch gerade 38 % dafür – wohl weil vielen Deutschen nun dämmert, dass sie von einer umfassenden Denazifierung selbst betroffen wären. Plötzlich ist man gegen die ver- meintliche „Siegerjustiz“, plötzlich ist man für die Rehabilitierung des gewaltigen Beamtenapparats, der den Nationalsozialisten loyal gedient hat. Schweigen, Ruhe bewahren, so wenig Strafe wie möglich, das ist die Strategie der jungen BRD. Was soll die BRD mit dem Millionenheer politisch desorientierter NSDAP-Mitglieder anfangen: ausgrenzen? verhaften? verschweigen? integrieren? „Man kann sie“, formuliert der Politologe und Publizist Eugen Kogon in der nur ihm zustehenden Frivolität, „nur töten oder gewinnen.“ Die BRD versucht Letzteres. Zyniker behaupten daher, des grösste Verbrechen aller Zeiten sei abgeschlossen worden mit dem grössten Resozialisierungswerk aller Zeiten.7 Kennzeichnend auch der kritisch-zynische Ton im autobiographischen Roman „Der Fragebogen“ des umstrittenen Schriftstellers Ernst von Salomon: „Nicht die katholische Kirche ist es, die in Fragen der Erforschung meines Gewissens an mich herangetreten ist, sondern eine Institution, weitaus weniger bewundernswürdig, die Alliierte Militärregierung. ... Sie naht mir nicht wie der Geistliche dem armen Sünder in der von der Welt abgeschiedenen Zelle des Beichtstuhls, sie sendet mir den Fragebogen ins Haus und beginnt sofort barschen Tones wie ein Untersuchungsrichter gegenüber dem Verbrecher.“ Bei einer solchen Stimmungslage ist es nur folgerichtig, dass die gerade gewählte Adenauer-Regierung bereits im Dezember 1949 ein erstes Amnestie-Gesetz auf den Weg bringt. „Wir haben so verwirrte Zeitverhältnisse hinter uns“, meint Adenauer, „dass es sich empfiehlt, generell tabula rasa zu machen“ – man könne es sich doch nicht leisten, auf tüchtige Leute zu verzichten, bloss weil sie Nazis gewesen seien. So kann Theodor Oberländer Vertriebenenminister werden, Oberländer, der 1923 am Hitlerputsch beteiligt ist und der dann den „Bund deutscher Osten“ geleitet hat, welcher die Einwanderung von Polen verhinderte. So kann Hans Globke Chef des Bundeskanzleramtes werden, Globke, Mitverfasser des Kommentars zu den Nürnberger Rassegesetzen, Globke, dessen Idee es war, die Juden zu zwingen, ihrem Vornamen ein „Israel“ oder „Sara“ hinzuzufügen. Mindestens 6000 Nazis, unter ihnen einer der Cheforganisatoren des Holocaust, Adolf Eichmann, setzen sich nach Argentinien ab, über 60‘000 bleiben in Deutschland und tarnen sich mit einer falschen Identität. „UBoote“ oder „Braunschweiger“ werden sie genannt. Eine zweite Amnestie von 1954 geht noch viel weiter, weil jetzt auch Straftaten ungesühnt bleiben, „wenn sie in der Annahme einer Amts-, Dienst- oder Rechtspflicht, insbesondere eines Befehls“ begangen wurden. In der Folge kommen viele Nazi-Schergen frei, weil sie für sich den Befehlsnotstand reklamieren. Abb. 9: Fragebogen der Denazifizierungs-Behörden 17 Marshallplan und Berlin-Blockade Der Marshallplan Im Juni 1947 entwirft der neue US-Aussenminister Marshall in einer Rede die Grundzüge eines Hilfsprogramms für Europa. Die USA sind bereit, umfangreiche Geldmittel zur Verfügung zu stellen, denn jetzt gilt auch bei den Amerikanern die Politik der Stärke gegenüber der Sowjetunion, dem eigentlichen Sieger des Zweiten Weltkriegs. Bis 1952 erhalten von den USA: Grossbritannien 3,6 Milliarden Dollar Frankreich 3,1 Milliarden Dollar Italien 1,6 Milliarden Dollar Deutschland 1,5 Milliarden Dollar Benelux-Staaten 1,6 Milliarden Dollar Verschiedene 3,3 Milliarden Dollar Dass dieser Plan nicht unumstritten ist, kann nicht erstaunen. „Das ist der grösste Witz der Weltgeschichte“, meint ein Abgeordneter im amerikanischen Repräsentantenhaus. “Wir besiegen ein Land und fordern dann unsere eigenen Steuerzahler auf, Milliarden zu zahlen, um es wieder auf die Beine zu bringen.“ Die Gründe für die Unterstützung Deutschlands liegen aber auf der Hand. George F. 18 Kennan, Gesandter an der amerikanischen Botschaft in Moskau, bezeichnet die Idee, Deutschland gemeinsam mit den Russen zu regieren, als Wahn. Man habe keine andere Wahl, „als den Teil von Deutschland, für den wir und die Briten die Verantwortung übernommen haben, zu einer Form von Unabhängigkeit zu führen, die so befriedigend, so gesichert, so überlegen ist, dass der Osten sie nicht gefährden kann.“ Und ebenso meint 1946 der britische Aussenminister Ernest Bevin, die russische Gefahr sei inzwischen mit Sicherheit genau so gross, möglicherweise noch grösser als die Gefahr eines wieder erstarkten Deutschlands. „Es gibt nur einen Weg“, sagt 1947 Ex-Präsident Herbert Hoover, „der zur Gesundung Europas führt, nämlich die Erhöhung der Produktivität. ... Es ist eine amerikanische Politik angekündet worden, die die Grenzen der westlichen Zivilisation verteidigen soll. Die wichtigsten Grenzen sind die deutschen und die japanischen. Wenn diese verloren gehen, sind ganz Europa und der ganze Ferne Osten verloren.“ Diese Überlegungen decken sich mit den aussenpolitischen Leitlinien, die US-Präsident Truman aufgestellt und die unter dem Namen „Truman-Doktrin“ bekannt geworden sind. Es ist nämlich das Ziel der Truman-Doktrin, die Ausbreitung des Weltkommunismus an allen Fronten einzudämmen (Containment), und zwar durch eine wirtschaftliche Stabilisierung der gefährde- ten Länder: „Es muss der aussenpolitische Grundsatz der Vereinigen Staaten werden, allen Völkern, deren Freiheit bedroht ist, unseren Beistand zu leihen.“ „Ich glaube nicht“, erklärt Konrad Adenauer 1949, „dass jemals in der Geschichte ein siegreiches Land es versucht hat, dem besiegten Land in der Weise zu helfen und zu seinem Wiederaufbau beizutragen, wie das die USA gegenüber Deutschland getan haben. Das deutsche Volk wird das dem amerikanischen Volk niemals vergessen dürfen, und wird es auch niemals vergessen.“ Und der amerikanische Aussenminister Byrnes sagt bereits 1946: „Das amerikanische Volk will dem deutschen Volk helfen, seinen Weg zurückzufinden zu einem ehrenvollen Platz unter den freien und friedliebenden Nationen der Welt.“ Die Währungsreform Voraussetzung für die Stabilisierung der deutschen Wirtschaft ist eine Währungsreform. Nach Vorbereitungen mit höchster Geheimhaltungsstufe erfahren die Deutschen, dass für die westlichen Zonen am 20. Juni 1948 Folgendes gilt: Jeder Westdeutsche erhält an diesem Tag einen Kopfbetrag von DM 40.--, Altgeld wird im Verhältnis 10:1 umgetauscht. Unternehmen erhalten für geschäftliche Zwecke einen Übergangsbetrag von DM 60.-- je Arbeitnehmer. Am Abend des Ausgabetages tritt Ludwig Er- Abb. 10: Karikatur auf den Marshall-Plan 19 Marshallplan und Berlin-Blockade Abb. 11: Die «Rosinenbomber» über Berlin 20 hard vor ein Rundfunkmikrofon und kündigt, ohne die Militärgouverneure gefragt zu haben, das baldige Ende der Zwangsbewirtschaftung an. Am nächsten Morgen sind die Schaufenster voll. Gehortete Waren kommen auf den Markt und stärken das Vertrauen in das neue Geld. „Kein Ereignis der Nachkriegszeit hat sich tiefer in die kollektive Erinnerung der Nation eingegraben als die Währungsreform. Sie veränderte alles. Sie hatte nicht nur ökonomische Bedeutung, sie war ein Urerlebnis wie der Zusammenbruch, nur mit umgekehrten Vorzeichen. Sie war der grosse Schnitt, die Erlösung aus dem Elend, der Anfang eines neuen Lebens. Eine ganze Generation teilte die Nachkriegsjahre später in die Zeit vor der Währung und die Zeit nach der Währung.“8 Die Berlin-Blockade 1948/49 Stalin nimmt die von den Westmächten durchgeführte Währungsreform zum Anlass, sämtliche Zufahrtsstrassen nach Berlin zu sperren. 2,5 Millionen Berliner sind von der Aussenwelt abgeschnitten. US-General Clay organisiert eine Luftbrücke: Die „Rosinenbomber“ bringen Lebensmittel, Brennstoff, ja ein ganzes, in Einzelteile zerlegtes Kraftwerk nach Berlin (über 200’000 Flüge). Nach elf Monaten hebt Stalin die Blockade auf. Berlin ist eben lange schon vor Kennedys Besuch Frontstadt des Wes- tens gegen den Kommunismus! Besuch Kennedys am 23. Juni 1963 in Berlin: „Ich fordere Sie deshalb auf, den Blick über die Gefahren des Heute hinweg auf die Hoffnung des Morgen zu richten, über die Freiheit dieser Stadt Berlin, über die Freiheit Ihres Landes hinweg auf den Vormarsch der Freiheit in der ganzen Welt, über die Mauer hinweg auf den Tag des Friedens in Gerechtigkeit, über Sie selbst und uns hinweg auf die gesamte Menschheit. Die Freiheit ist unteilbar, und wenn auch nur einer versklavt ist, dann sind alle unfrei. Wenn einmal alle frei sind, dann dürfen wir uns auch auf den Tag freuen, an dem diese Stadt, Ihr Land und dieser grosse Kontinent Europa geeint sein werden in einer friedvollen und hoffnungsfrohen Welt. An jenem Tag, der sicherlich kommen wird, können die Westberliner mit gelassener Befriedigung von sich sagen, dass sie fast zwei Jahrzehnte lang die Front gehalten haben. Alle freien Menschen, wo immer sie leben mögen, sind Bürger Berlins, und deshalb bin ich als freier Mann stolz darauf, sagen zu können: Ich bin ein Berliner.“ 21 Carl Zuckmayer und Peter Bamm Carl Zuckmayer, Des Teufels General Zuckmayer wird 1896 geboren und nimmt als Freiwilliger am Ersten Weltkrieg teil. 1920 wird sein erstes Drama aufgeführt, den ersten Erfolg erringt er 1925 mit dem „Fröhlichen Weinberg“. 1938 muss er in die Schweiz, später in die USA emigrieren. 1946 kehrt er als Zivilbeauftragter der amerikanischen Regierung für kulturelle Angelegenheiten nach Deutschland zurück. 1958 lässt er sich in Saas-Fee nieder und wird 1966 Schweizer Staatsbürger. Er stirbt 1977. Zu seinen wichtigsten Werke zählen die Theaterstücke „Der Hauptmann von Köpenick“ (1931) und „Des Teufels General“ (1946) sowie seine Autobiographie „Als wär’s ein Stück von mir“ (1966). Der Nachkriegserfolg von „Des Teufels General“ beruht zum einen auf der genauen, einfühlsamen Zeichnung von Typen des Dritten Reiches, wie sie vor allem für einen Exilautor erstaunlich ist. Zum andern ist ihm mit General Harras eine temperamentvolle Kraftnatur gelungen, ein Landsertyp und Teufelskerl, der nur eines will: fliegen, und dessen sympathische Züge leicht über seine Unterstützung des Nationalsozialismus hinwegtäuschen. Der Inhalt: Der bei der Bevölkerung populäre General Harras, dem Flieger-As Ernst Udet nachempfunden, wird von der Gestapo verdächtigt, an Sabotageakten bei 22 der Flugzeugherstellung beteiligt zu sein. Harras seinerseits verdächtigt die Gestapo, die Sabotage zu inszenieren, um ihn zu stürzen. Während der Party, die den Inhalt des ersten Aktes ausmacht, bittet ihn die Schauspielerin Olivia, einen jüdischen Arzt über die Grenze zu bringen. Harras verspricht es ihr. Allein mit Leutnant Hartmann, der sich auf Heimaturlaub befindet, erklärt Harras, was für ihn im Leben wichtig ist und für wie unsinnig er den Krieg hält. Dieses Gespräch wie auch alles, was bei dieser Party geäussert wird, wird von der Gestapo abgehört. Im zweiten Akt wird Harras von Dr. SchmidtLausitz, dem am krassesten gezeichneten Vertreter des Nazitums in diesem Stück, aufgefordert, die Sabotageakte innert zehn Tagen aufzuklären. Nachdem Schmidt-Lausitz gegangen ist, erscheint Olivia mit der Nachricht, der jüdische Arzt habe Selbstmord begangen. Harras muss sich eingestehen, dass seine Form des Widerstands zu passiv gewesen ist. Im dritten Akt erkennt Harras in seinem Mitarbeiter Oderbruch, dem er blind vertraut hat, den gesuchten Saboteur. Zu spät wird Harras bewusst, dass er aktiv im Widerstand hätte mitmachen sollen. Da er jedoch von der Gestapo überwacht wird, sieht er keinen andern Ausweg mehr, als mit einem der fehlkonstruierten Flugzeuge in den Tod zu fliegen. Dr. Schmidt-Lausitz, dem das letzte Wort in diesem Stück gehört, ist froh, Harras auf diese Art loszuwerden, und ordnet ein Staatsbegräbnis an. „Des Teufels General“ wird, zunächst von den Besatzungsbehörden verboten, nach der deutschen Erstaufführung im November 1947 in Frankfurt a.M. ein grosser Erfolg und regt zu intensiven Diskussionen an. Die Heftigkeit dieser Diskussionen ist heute nicht mehr leicht nachvollziehbar. Unbestreitbar ist: Zuckmayer hat als Erster die jüngste Vergangenheit auf die Bühne gebracht und von der Bühne aus die erste öffentliche und freie Diskussion über die jüngste Vergangenheit Deutschlands, über moralische Fragen des aktiven Widerstands und der passiven Duldung in Gang gebracht.9 Zwischen 1947 und 1950 ist „Des Teufels General“ mit 3200 Aufführungen eines der meistgespielten Stücke der Nachkriegszeit. Ebenfalls wird die Verfilmung mit Curd Jürgens in der Hauptrolle 1955 ein grosser Erfolg. Das Stück ist sicher bedeutend, wenn auch mit seinen drei Akten sehr konventionell gebaut. Es bringt die ganze Palette von Einstellungen zum Nationalsozialismus auf die Bühne, vom Grossindustriellen Mohrungen über die guten, aber naiven Deutschen Anne und Friedrich Eilers bis hin zum skrupellos ehrgeizigen Dummerchen namens Pützchen. Der Zuschauer wird miteinbezogen, indem ihm gezeigt wird, dass alle Gespräche des ersten Aktes und alle verbalen Attacken von Harras auf den Nationalsozialismus auf Tonband aufgenommen werden (darum der Titel „Höllenmaschine“ für den ersten Akt). Zuckmayer erfindet für Harras einen Gegner, Dr. Schmidt-Lausitz, der, abgrundtief böse, alles hasst, was der Führer zu hassen befiehlt, und diesem bedingungslos hörig ist. Und dann ist das Stück auch noch ein Krimi, denn früh stellt sich für Harras und für den Zuschauer die Frage, wer denn der Saboteur ist: Oderbruch wird im ersten Akt als so zuverlässig und vertrauenswürdig geschildert, dass das im erfahrenen Krimileser schon einen ersten leisen Verdacht wecken kann. Aber all das sind nicht die wirklichen Gründe für Zuckmayers Erfolg. Wo mögen sie liegen? Die Antwort lautet: in der heilsgeschichtlichen Läuterung, die das Stück den leidgeplagten und schicksalsgebeutelten Deutschen offeriert. Da haben wir doch einen Helden: Harras, diesen grossartigen Kerl, markig, männlich, mutig, kernig, unbändig, ein moderner Landsknecht von entwaffnender Offenheit, kameradschaftlich und hilfsbereit, ein Genie der zupackenden Tat, ein Frauenverführer und –beglücker, eine Saft- und Kraftwurzel, ein draufgängerischer Haudegen, der mit dem Nationalsozialismus nichts am Hut hat und nur mitmacht, weil er fliegen will. „Luftkrieg ohne mich – nee, das könnt ich nicht aushalten“, das ist das nicht ganz unproblematische Lebensmotto von Harras. Und dieser grossartige Kerl stimmt dem verschüchterten Hartmann gegenüber ein Loblied des Lebens an, in das wir ohne jede Einschränkung alle ein- stimmen können und das auch heute in Lebenshilfe-Kursen nicht anders gelehrt wird: „Ich aber sage Ihnen, das Leben ist schön. Die Welt ist wunderbar. Wir Menschen tun sehr viel, um sie zu versauen, und wir haben einen gewissen Erfolg damit. Aber wir kommen nicht auf – gegen das ursprüngliche Konzept. ... Und der Sinn heisst nicht : Macht. Nicht: Glück. Nicht: Sättigung. Sondern – die Schönheit. Oder – die Freude. Oder beides. Nennen Sie es von mir aus, wie Sie wollen – vielleicht gibt es kein Wort dafür. Es ist das, was wir in unseren besten Stunden ahnen, und besitzen. Und dafür – nur dafür – leben wir überhaupt.“ Dieser Teufelskerl macht nun eine Läuterung durch: Er erkennt, dass er sich schuldig gemacht hat – „schuldig und verdammt in alle Ewigkeit“ - und er findet Stärkung im Glauben an eine ausgleichende Gerechtigkeit: „Glauben Sie, Hartmann – glauben Sie getrost an das göttliche Recht!“ Um der Fliegerleidenschaft willen hat er einen Teufelspakt mit dem Regime geschlossen und muss dafür bezahlen, indem er sich einem Gottesurteil stellt: Wenn die Maschine, die er besteigt, ebenfalls sabotiert ist, wird auch er sterben. Abb. 12: Carl Zuckmayer, Autor von «Des Teufels General» 23 Carl Zuckmayer und Peter Bamm Abb. 13: Ausschnitt aus Zuckmayer, Des Teufels General 24 Das Stück zeigt also die Entwicklung und Selbstfindung von Harras, und es ist der religiöse Weg eines schuldig gewordenen Menschen zur Einsicht seiner Schuld und zur Sühne und Busse für seine Schuld.10 Diesen Weg zur Läuterung, zur Busse und, nicht zu vergessen, zur Erlösung bietet das Stück den Zuschauern an, und der hier geläutert wird, ist erst noch – oh Wohltat für die Zuschauer – ein toller Kerl. So muss man im Rückblick sagen, dass es Zuckmayers Vorliebe für ganze Kerle und Kraftwurzeln ist, die eine tiefergehende Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus blockiert. Denn so eine Sühne ist, wie schon der Kritiker der ostdeutschen „Weltbühne“ moniert, nicht repräsentativ: „Die Zeit, die hinter uns liegt, ist noch zu frisch in unserer Erinnerung, als dass wir nicht den Freitod des Fliegergenerals als unwahrscheinlich empfinden müssen. In Wirklichkeit haben – wie wir alle wissen – diese Generäle aus egoistischen Motiven, aus Mangel an Zivilcourage und andern Gründen die Zuckmayersche Konsequenz nicht gezogen.“11 Dieses erste Drama, das sich mit der schrecklichen Vergangenheit Deutschlands auseinandersetzt, ist also gleichzeitig auch der Versuch einer Ehrenrettung des anderen, des besseren Deutschlands12 und kommt dem weitverbreiteten Verlangen entgegen, das Selbstwertgefühl einer bürgerlichen und letztlich vom Nationalsozialismus nur touchierten Humanität zu bekräftigen. „Tragisch ist“, schreibt Paul Rilla in einer vielbeachteten Kritik 1948, „dass „Des Teufels General“ das meistgespielte und meistdiskutierte Stück ist. Tragisch ist, dass Zuckmayer diesen Erfolg für das Zeichen einer deutschen Wandlung hält.“13 Es ist eine gar wohlfeile Wandlung, die Zuckmayer hier anbietet. Ähnliches gilt ganz allgemein auch vom Film der fünfziger Jahre. In den fünfziger Jahren werden etwa 600 verschiedene Kriegs- und Militärfilme hergestellt. Ihre Hauptfunktion ist die Rehabilitierung der anständig gebliebenen Soldaten und Offiziere des Zweiten Weltkriegs. Vornehmlich werden junge Kriegsteilnehmer, zumeist UBoot-Fahrer und Jagdflieger in abenteuerlichen Situationen der Bewährung und des Durchhaltens gezeigt. Zu diesen beschönigenden und verklärenden Filmen gehört auch Helmut Käutners Verfilmung von Zuckmayers Drama 1955.14 magischen Realismus bezeichnet. Wie der Protagonist gegen Ende des Romans aus einem Zwischenreich in die Realität zurückkehrt, heisst es: „Als Robert dieses begriff, sah er den millionenfachen Tod, den sich die weisse Rasse auf dem Schlachtfeld Europa mit ihren beiden furchtbaren Weltkriegen schuf, eingeordnet in den Vorgang dieser ungeheuren Geisterwanderung. Dieser millionenfache Tod geschah, musste in dieser Masslosigkeit geschehen, wie der Chronist mit langsamem Schauder einsah, damit für die andrängenden Wiedergeburten Platz geschaffen wurde. Ein Unzahl Menschen wurde vorzeitig abgerufen, damit sie rechtzeitig als Saat, als apokryphe Neugeburt in einem bisher verschlossenen Lebensraum auferstehen konnte. – Die Vorstellung hatte etwas Bestürzendes, aber zugleich etwas Trostreiches, weil sie dem immer als sinnlos Erscheinenden einen Plan, eine metaphysische Ordnung gab.“15 Nicht dass Zuckmayer so weit ginge, aber letztendlich besteht bei dieser Art von Vergangenheitsbewältigung durchaus die Gefahr, dem unfassbaren Grauen des Zweiten Weltkriegs schnell, allzu schnell eine sinnstiftende Deutung zu geben, etwa in dem Sinne: so viel Elend kann nur von Gott gewollt sein. Exemplarisch erkennt man das im Roman „Die Stadt hinter dem Strom“ (1947) von Hermann Kasack, vielbeachtet und von vielen als ein Meisterwerk des 25 Carl Zuckmayer und Peter Bamm Peter Bamm, Die unsichtbare Flagge Eine ähnlich entlastende Deutung legt auch Peter Bamm mit seinem Bericht „Die unsichtbare Flagge“16 (1952) vor. Peter Bamm ist im Zweiten Weltkrieg Kompanie-Arzt an der Ostfront gewesen. Über seine Erlebnisse hat er „Die unsichtbare Flagge“ geschrieben, ein Buch, das innerhalb eines Jahrzehnts in einer halben Million Exemplare gedruckt wird. Es ist ein Bericht voller Helden und Heldentaten: Da ist der Meldegänger Sambo, der sogar zwei Flugzeuge voll Wolldecken für die russischen Verwundeten beschafft, da sind die Piloten der Fieseler Störche, die selbst dann noch fliegen, wenn die Russen schon den Acker beschiessen, auf dem sie landen, da ist Feldwebel Kienzle, ein Meister der Organisation und der Vorausschau, da ist der abtretende Kommandant, der mit seiner „ausgezeichneten und umsichtigen Führung“ drei Jahre die Flagge der Humanität hochgehalten hat und bei dessen Versetzung sogar den Pferdepflegern, „diesen harten alten Burschen“, die Tränen kommen, und da ist natürlich der Ich-Erzähler, der tausende von lebensrettenden Amputationen durchführt und 36 Stunden ununterbrochen operiert. Die deutschen Truppen, so steht es in diesem Bericht, verhelfen den Russen zu Salz, so dass diese Vertrauen zu ihnen fassen, und operieren auch russische Verwundete: „Zwischen den Fronten der Rache stan- 26 den wir. Aber die unsichtbare Flagge (der Humanität) wurde hochgehalten. Den Leidenden zu helfen, sind unzählige Heldentaten vollbracht worden. Tausende haben dafür ihr Leben gelassen.“ Die deutschen Soldaten kämpfen aufs tapferste, „der Elan des Vormarsches steckte nicht nur in den Knochen, sondern auch in den Herzen der Männer“. Sie bewähren sich in den schwierigsten Umständen: „Die Truppe hatte mit einer bemerkenswerten Kraftanstrengung die Schwierigkeiten des Winters überwunden. Die Soldaten in der Kampflinie waren bis zur Grenze ihrer Leistungsfähigkeit in Anspruch genommen worden. Sie hatten es durchgestanden. ... (Die unmöglichsten Befehle) waren ausgeführt worden aus einer Haltung der Freiwilligkeit und der Bereitwilligkeit heraus.“ Nun ist sich natürlich Peter Bamm als intelligenter Journalist durchaus bewusst, dass alle diese Heldentaten des guten Deutschen ja gar nicht nötig wären, dass all diese Operationen nicht hätten durchgeführt werden müssen, hätte nicht Hitler den Angriffskrieg gegen die Sowjetunion begonnen. Und so drängt sich die Frage auf, wie der Autor diese Problematik bewältigt. Zentral ist hier der folgende Abschnitt, der nach einem Massaker an russischen Juden durch die SS in Nikolajew steht: „Zweifellos war die Empörung über die Massaker in der Armee allgemein. Jeder- mann empfand es als eine Schande, dass die Anderen die von tapferen Soldaten erkämpften Siege der Armee für ihre Ziele ausnützen durften. Aber es war keine aus der Tiefe des Herzens kommende, lodernde Empörung der Humanitas. ... Eine heftige Reaktion der ganzen kämpfenden Truppe gegen das Verbrechen hätte die Massaker nicht verhindert, sondern nur dazu geführt, dass sie heimlicher vorgenommen worden wären. Aber von lodernder Empörung war nichts zu spüren. Der Wurm sass schon im Holz. Die moralische Korruption nach sieben Jahren der Herrschaft der Anderen war schon zu weit fortgeschritten, auch bei denen, die das bei sich selbst damals noch heftig geleugnet hätten. Der einzelne war wehrlos, nicht weil er in Gefahr kam, wenn er sich gegen die Verbrechen zur Wehr setzte. Das hätten viele auf sich genommen. Es wurden Repressalien gegen seine Familie ergriffen. ... Die psychologische Situation wurde noch dadurch erschwert, dass auch die Sowjets Verbrechen begangen hatten.“ Die Argumentationslinie ist also die folgende: Bamm setzt den braven, tapferen Soldaten in Gegensatz zu den Nazis, die er nie beim Namen nennt, so wie er auch Hitler nie beim Namen nennt. „Die Anderen“, das sind die Bösen, die Verbrecher; wir, das ist das deutsche Volk, sind die Guten, die die Humanitas ins finstere Asien bringen. Indem Bamm konsequent die Be- zeichnung Nationalsozialismus ausspart, deutet er ihre Herrschaft nicht als eine politische Richtung, die einmal immerhin 44 % der Stimmen in freien Wahlen erreichte, sondern stellt sie als dämonisches Unheil dar: Die Nazi-Herrschaft ist Schicksal, grausames Schicksal, dem der gute Mensch wehrlos und ausgeliefert gegenübersteht. Keine Diktatur ist aber schicksalsgegeben, jeder Diktator ist dank der Schwäche der Bevölkerung an die Macht gekommen und kann gestürzt werden. Mit dieser Gegenüberstellung von den bösen Nazis und dem „God German“, um den Filmtitel von Soderbergh zu zitieren, spricht Bamm so vielen Deutschen aus dem Herzen und verhilft ihnen zu einer pflegeleichten Absolution: Wir waren bei den Guten! Massensterben auf dem Rückzug aus dem Osten als vernachlässigbar erscheint. An diesem Roman und seiner Rezeption lässt sich darstellen, wie abhängig von vergangenen Idealen die herrschende Meinung in Sachen Krieg ist: eine Meinung, die sich in einem verhaltenen – eben modernen – Herrenmenschentum unmittelbar an die NaziIdeologie anschliesst. 1953 erscheint „Die sterbende Jagd“ von Gerd Gaiser (1908-1976), ein Roman über Jagdflieger im Zweiten Weltkrieg, über eine Elite von Offizieren, die heroisch und als Individualisten, nobel und ritterlich und mit Verachtung für die Masse im Krieg den Höhepunkt des Lebens bestehen. „Die sterbende Jagd“ ist eines der erfolgreichsten Bücher der fünfziger Jahre. Man bescheinigt Gaiser, er habe es als junger Autor geschafft, die Errungenschaften der neuen Ausdruckswelt mit den traditionellen Erfordernissen der Erzählung in Einklang zu bringen17. Der Roman ist aber eine hoffnungslos veraltete Glorifizierung des homerischen Einzelkampfes, gegen den das 27 Staat auf Befehl: Demokratisierung und Grundgesetz Der Begriff „Demokratisierung“ meint das Vorhaben der Alliierten, in Deutschland eine Demokratie zu errichten. Bereits Ende 1945 sind in allen Zonen demokratische und antifaschistische Parteien zugelassen. 7.09.1949 Bundestag tritt zusammen Während viele noch von einer gesamtdeutschen Lösung träumen, setzen die Besatzungsbehörden unmissverständlich auf eine rasche Lösung für die westlichen Besatzungszonen. Die Zustimmung zum Ausruf des Berliner Bürgermeisters Ernst Reuter lässt sich nicht umgehen: „Die Spaltung Deutschlands wird nicht geschaffen, sie ist schon vorhanden.“ Lieber das halbe Deutschland ganz als das ganze halb, dies ist auch die Meinung Adenauers. Unter Führung der westlichen Militärgouverneure wird die Demokratisierung wie folgt abgeschlossen: Damit hat Deutschland im September 1949 wieder eine Verfassung, ein Parlament und eine Regierung, wenn auch von provisorischem Charakter. Es sind die Ministerpräsidenten der neu gebildeten Ländern, die auf dem provisorischen Charakter bestehen; sie haben es geschafft, dass statt den definitiven Begriffen „verfassungsgebende Versammlung“ und „Verfassung“ die Provisorien „Parlamentarischer Rat“ und „Grundgesetz“ gewählt werden. „Grundgesetz“ ist ja nur ein anderer Name für Verfassung. Interessant ist, dass ja auch die Europäische Union nach dem Scheitern ihres Verfassungsprojektes im Jahr 2007 nicht mehr von Verfassung, sondern nur noch von einer „erneuerten gemeinsamen Grundlage“ spricht. Das Provisorische zeigt sich z.B. auch daran, dass 1949 eine Nationalhymne noch fehlt: Die Abgeordneten erheben sich bei der Inkraftsetzung des Grundgesetzes von den Plätzen und singen das Lied der demokratischen Burschenschaften: 08.05.1949 Grundgesetz vom Parlamentarischen Rat beschlossen 12.05.1949 Grundgesetz von den Militärgouverneuren genehmigt 24.05.1949 Grundgesetz in Kraft gesetzt 14.08.1949 Wahlen in den ersten Bundestag 28 15.09.1949 Bundestag wählt den ersten Kanzler Ich hab’ mich ergeben Mit Herz und mit Hand Dir Land voll Blut und Leben, Dir, deutschem Vaterland. Die Anfänge des neuen Staates sind bescheiden. Für den Bundestag wird die Aula der ehemaligen Pädagogischen Hochschule umgebaut. Man ist noch nicht sicher, ob der Bundestag wirklich in Bonn bleibt, und die Stadt Bonn muss sich bereit erklären, das Gebäude gegebenenfalls zurückzunehmen. Selbst das Bundeskanzleramt muss provisorisch untergebracht werden, und zwar im Zoologischen Museum! Helmut Schmidt erzählt, wie er als Bundestagsabgeordneter ein Büro zugewiesen bekommt, das nur wenige Quadratmeter gross ist. Der Raum ist so schmal, dass die beiden Mitarbeiter immer aufstehen und ihn durchlassen müssen, wenn er zu seinem Schreibtisch will. „Im Jahre 49 scheint die Bundesrepublik ein künstlicher Homunkulus zu sein, ich gestehe offen, dass ich damals geringes Vertrauen in ihre Zukunft hatte. Man kann sich irren. Vom Homunkulus ist die BRD zum kräftigen Lebewesen, zum Wesen mit einer kräftigen Identität geworden“.18 Auch aussenpolitisch ist die BRD noch ein Provisorium und steht noch unter dem Protektorat der westlichen Besatzungsmächte, die sich das Recht vorbehalten, die volle Gewalt erneut zu übernehmen, falls dies nötig sein sollte. Von diesem Recht machen die westlichen Alliierten allerdings nur behutsam Gebrauch, und das Besatzungsstatut verliert mit dem Deutschlandvertrag von 1955 seine Gültigkeit. Der Parlamentarische Rat erliegt dem Reiz der grossen Aufgabe, dem provisorischen Charakter zum Trotz eine dauerhafte Verfassung mit Modellcharakter zu zimmern. Die Präambel des neuen Grundgesetzes lautet: In dieser Präambel wird umschrieben, was die die Politik der BRD vierzig Jahre lang aufs intensivste umtreiben soll: Im Bewusstsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen, von dem Willen beseelt, seine nationale und staatliche Einheit zu wahren und als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen, hat das deutsche Volk in den Ländern Baden, Bayern, Bremen, Hamburg, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Schleswig-Holstein, Württemberg-Baden, um dem staatlichen Leben für eine Übergangszeit eine neue Ordnung zu geben, kraft seiner verfassungsgebenden Gewalt dieses Grundgesetz der Bundesrepublik beschlossen. b) Es hat auch für jene Deutschen gehandelt, denen mitzuwirken versagt war. Das gesamte deutsche Volk bleibt aufgefordert, in freier Selbstbestimmung die Einheit und Freiheit Deutschlands zu vollenden. a) der Alleinvertretungsanspruch (ein einziger Staat vertritt die deutsche Nation) und das Ziel der Wiedervereinigung. Wie im Oktober 1949 der zweite deutsche Staat, die DDR, gegründet wird, reagiert Adenauer harsch: „Ich stelle folgendes fest. In der Sowjetzone gibt es keinen freien Willen der deutschen Bevölkerung. ... Das, was jetzt dort geschieht, wird nicht von der Bevölkerung getragen und legitimiert. Die Bundesrepublik Deutschland stützt sich dagegen auf die Anerkennung durch den frei bekundeten Willen von rund 23 Millionen Deutschen. Die BRD ist somit bis zur Erreichung der deutschen Einheit insgesamt die alleinige legitimierte staatliche Organisation des deutschen Volkes.“19 Und der Anspruch der Vertriebenen, die Gebiete im Osten zurückzubekommen, wird erst mit der Wiedervereinigung und dem Staatsvertrag von 1990 hinfällig. 29 Tr ü m m e r l i t e r a t u r u n d K a h l s c h l a g Da die deutsche Sprache in den zwölf Jahren Nazi-Diktatur vollständig und in jeder Beziehung pervertiert wurde, muss alles Schreiben neu beginnen. Mit dem geflügelten Wort vom „Kahlschlag“ ist gemeint, die unter dem Nationalsozialismus korrumpierte Sprache bis auf das Skelett der Wörter auszuroden und auszunüchtern. Es ist Wolfgang Weyrauch, der mit seiner 1949 erschienen Anthologie „Tausend Gramm“ den Begriff Kahlschlag geprägt und das am Gedicht „Inventur“ von Günter Eich exemplifiziert hat: Dies ist meine Mütze, dies ist mein Mantel, hier ist mein Rasierzeug im Beutel aus Leinen. Konservenbüchse: Mein Teller, mein Becher, ich hab in das Weissblech den Namen geritzt. Geritzt hier mit diesem kostbaren Nagel, den vor begehrlichen Augen ich berge. Im Brotbeutel sind ein Paar wollene Socken und einiges, was ich niemand verrate, 30 so dient er als Kissen nachts meinem Kopf. Die Pappe hier liegt zwischen mir und der Erde. Die Bleistiftmine lieb ich am meisten: Tags schreibt sie mir Verse, die nachts ich erdacht. Dies ist mein Notizbuch, dies meine Zeltbahn, dies ist mein Handtuch, dies ist mein Zwirn. „Anfang ist alles in dieser Zeit und in diesen Tagen“, meint Hans Werner Richter. „Worauf es ankommt, ist die Mitteilung, ist dem Anderen, Nächsten zu zeigen, wie man denkt und was man kann, Ersatz für eine literarische Kommunikation, die noch nicht besteht.“20 Hans Werner Richter ist Herausgeber der Zeitschrift „Der Ruf“, die aus einer Lagerzeitschrift in amerikanischer Kriegsgefangenschaft hervorgegangen ist, und Gründer der einflussreichen Gruppe 47, auf deren erster Tagung Wolfdietrich Schnurre seine Erzählung „Das Begräbnis“ vorliest; diese gilt als typisch für Kahlschlag und Stunde Null. Kahlschlag bedeutet in dieser Erzählung: Parataxe (aneinandergereihte Hauptsätze) vereinfachte Satzstruktur Sätze ohne Verb nicht zu Ende geführte Satzkonstruktionen mundartliche Schreibweise Nähe zur Alltagssprache Ausserdem ist nach dem Ende der tausend Jahre die kurze Form die angemessene Form. „Nicht einer Mode zuliebe“, meint Marcel Reich-Ranicki, „oder beeindruckt von einer literarischen Strömung schrieben Borchert, Böll und Schnurre Geschichten, die bereits in der knappen Situationsschilderung die Anklage enthielten und in der sachlichen Feststellung den Protestschrei. Nach der Zeit der vielen und grossen Worte, der pathetischen Gesten, der monumentalen Lügen schien die sparsame und kurzatmige Prosa am ehesten angemessen zu sein, konnte die einfache und nüchterne Sprache, die keuchend und kahl wirkte, am ehesten überzeugen.“21 Die nüchterne Sprache und die umgangssprachliche Stilisierung kollidieren allerdings in Schnurres Erzählung mit einem der ganz grossen metaphysischen, transzendentalen Themen, mit dem Thema „Gott ist tot“. Das bedeutet, dass sich Schnurre nicht allein auf das verlässt, was seine Sprache vermittelt, sondern es vielmehr in ein Verhältnis zu einem ebenso unbestimmten wie klischeehaften Allgemein-Gültigen bringt. Das hebt Schnurres sprachliche Intention fast völlig auf und macht deutlich, wieso Schnurres Ansatz nicht grundlegende Neuorientierung sein kann. Der sprachliche Effort rekurriert eben doch auf Vorstellungen und Allgemeinheiten gewohnter Art; so bleibt die „neue Sprache“ weitgehend Stilmoment.22 Ähnliches stellen wir fest, wenn wir auf Eichs Verse zurückblicken: So schlicht diese Verse von Günter Eich auch sind, so pathetisch sind Weyrauchs Erläuterungen dazu: „Die Männer des Kahlschlags ... schreiben die Fibel der neuen deutschen Prosa. Sie setzen sich dem Spott der Snobs und dem Verdacht der Nihilisten und Optimisten aus: ach, diese Leute schreiben so, weil sie es nicht besser verstehen. Aber die vom Kahlschlag wissen, oder sie ahnen es doch mindestens, dass dem neuen Anfang der Prosa in unserem Land allein die Methode und die Intention des Pioniers angemessen sind. Die Methode der Bestandesaufnahme. Die Intention der Wahrheit. Beides um den Preis der Poesie. Wo der Anfang der Existenz ist, da ist auch der Anfang der Literatur.“23 Abb. 14: Ausschnitt aus Schnurre, Das Begräbnis Es ist eben doch so, dass trotz Zusammenbruch und Kampf ums Überleben die Mehrheit der Deutschen, und auch gerade die Mehrheit der Schriftsteller, durchaus noch national und konservativ fühlt und denkt, ja 31 Tr ü m m e r l i t e r a t u r u n d K a h l s c h l a g im Vergleich zu späteren Jahren sehr national und sehr konservativ fühlt und denkt.24 Die Literatur der Jahre 1945 bis etwa 1953 zeigt, dass die neue Sprache noch die Ausnahme ist. Unverkennbar ist das Gewicht traditioneller, sich als bedeutungsvoll ausgebender Sprache, der grosse Anteil expressionistischer Formen, die Vielfalt dubioser Metaphorik. Eine eingeübte Sprache gibt man eben nicht von einem auf den anderen Tag auf. Vielleicht kann die weitgehende Zerstörung Deutschlands ja auch nicht anders geschildert werden, als das Hans Erich Nossack (1901 – 1977) tut: „Gleich zur Linken brannte ein riesiger Kokshaufen – er erlosch erst nach drei Wochen und sekundenlang wurde man von glühendem Höllenatem angehaucht, wie um gefeit zu werden, ehe man passieren durfte, und dann war man innerhalb. Der Wagen schwankte und tastete sich durch den Pass, der zwischen den Trümmern notdürftig freigelegt war, über Geröllhalden zusammengebrochener Gebäude, an Kratern vorbei und unter geknickten Brücken hindurch, von denen Waggons wie Girlanden ins Wasser der Hafenbecken hingen, aus denen der Bug einer Schute emportauchte, erschrocken über die plumpen Körper von Oberländerkähnen, die leblos auf der Seite trieben. An den Rändern des Passes lagen längliche Bündel, und man sagte, es wären Leichen. Alle so still, und viel lauter glaubte man den Todesschrei der Autos gellen zu hören, die, gelbausgeglüht und in letzter Not sich erbarmungswürdig 32 aufbäumend, den vergeblichen Fluchtweg bezeichneten.“25 Theorie und Praxis des Schreibens klaffen nicht selten auseinander, wie etwa in der Einleitung zur Zeitschrift „Die Sammlung“, herausgegeben von Otto Friedrich Bollnow und anderen: „Der Rückblick auf die Vergangenheit wird sich nicht vermeiden lassen, aber unser Wille ist entschlossen nach vorwärts gerichtet in den grauen Morgen unserer Zukunft. Unser Kompass ist die einfache Sittlichkeit, ein standhafter Glaube an die Ewigkeit der geistigen Welt, Liebe zum Nächsten und die lebendige Hoffnung, dass auch uns einmal wieder die Sonne der Ehre und des Glücks scheinen werde. Wurde bisher sehr laut geschrien, so werden wir still und sachlich reden.“26 Die neuere Literaturforschung ist ja auch keineswegs mehr überzeugt, dass 1945 ein radikaler Bruch erfolgt sei, sondern betont die unterschwellige Kontinuität von der Weimarer Republik bis in die sechziger Jahre hinein. Viele Autorinnen und Autoren sind vor, während und nach dem Nationalsozialismus schreibend tätig gewesen, und so betonen neuere Arbeiten die Kontinuität der deutschen Literatur. „Erst kürzlich“, so Hans Dieter Schäfer, „konnte nachgewiesen werden, dass sich unter der Diktatur – trotz zunehmenden Behinderungen – ein vielgestaltiges literarisches Leben bewahrt und dass ein grosser Teil der spä- teren Nullpunkt-Generation an dieser Entwicklung produktiven Anteil genommen hatte“27: nicht Neubeginn aus dem Nichts also, sondern ein Transformationsprozess voller Ambivalenzen. Folgende Autorinnen und Autoren seien stellvertretend für diese Kontinuität genannt: Stefan Andres (1906-1970) Werner Bergengrün (1892-1964) Kasimir Edschmid (1890-1966) Erich Kästner (1899-1974) Hermann Kasack (1896-1966) Marie Luise Kaschnitz (1901-1974) Elisabeth Langgässer (1899-1950) Frank Thiess (1890-1977) Ernst Wiechert (1887-1950) und viele andere. Zudem darf nicht unerwähnt bleiben, dass Bücher zunächst noch Luxusgut sind. Was uns heute als repräsentativ für die Zeit nach 1945 gilt, wird in kleinsten Auflagen auf schlechtem Papier gedruckt. Die Nachfrage nach ausländischer Literatur ist enorm, sind doch die Deutschen zwölf Jahre lang weitgehend von Gide, Faulkner, Hemingway usw. ferngehalten worden, aber auch diese Nachfrage kann nicht sofort befriedigt werden. Literarische Vermittlung erfolgt zunächst über Rundfunk und Zeitschriften. Not macht aber erfinderisch. So erzählt Dieter Lattmann, wie er im Dezember 1945 eine Verlagsruine in Kassel betritt, wo er den Verleger unrasiert und abgerissen beim Steineklauben in der zerstörten Druckerei antrifft. Auf die Frage, ob man hier als Buchhändler anfangen könne, macht der Verleger eine ausladende Geste und meint: „Wer hier anfangen will, muss sich den Raum selber bauen.“28 Heftchenromane und Rowohlts Rotationsromane (rororo) sind es dann zuerst, die reissenden Absatz finden; der Rowohlt-Verlag muss aber groteskerweise die Leser auffordern, nicht alle Bände der Reihe zu kaufen, da die Nachfrage nicht befriedigt werden könne. Ausserdem gibt es eine grosse Bereitschaft, sich um die Dichter zu scharen. Man will kündende, ergreifende, klärende, womöglich erlösende Worte hören, Dichterworte, welche die innere Situation der Lesenden auszudrücken vermögen. Aus dem Vakuum entsteht ein Sog, der die Stunde Null von Anfang an widerlegt: Viele machen sich auf die Suche nach Traditionen des besseren Deutschland, das ihnen als das eigentliche erscheint.29 Von daher wird verständlich, dass Zuckmayer und Bamm diesen Erfolg haben, und von daher wird verständlich, in welch starkem Masse man Thomas Mann gegrollt hat, der eben gerade diese Guru-Rolle nicht übernehmen will und stur in den USA geblieben ist. Hellsichtig hat das Erich Kästner erkannt: „Dem Deutschen fehlt der grosse, der überlebensgrosse Dichter oder Denker, der sich schützend, sammelnd und die Welt beschwörend hinstellt und die Arme ausstreckt wie ein zweiter lie- ber Gott. Thomas Mann ist kein lieber Gott, der erste nicht und auch nicht der zweite. ... Wer kam nur zuerst auf die Idee, ihn über den Ozean zwischen unsere Trümmer zu rufen? Dazu kommt, dass er ein alter Herr ist und noch manches für ihn und uns wichtige Buch schreiben will. Wie könnte er das zwischen unseren Nöten, die man ihm in die Ohren brüllen würde?“30 So bleibt als Fazit, dass Kahlschlag und Stunde Null zwar äusserst wichtig, aber weder verbindlich noch von längerer Dauer sind. Ähnlich wie der Naturalismus von Holz und Schlaf ein extremes Programm aufgestellt und in ein paar wenigen Texten experimentell verwirklicht hat, so ist auch die Kahlschlag-Literatur auf einige wenige Texte und auf eine sehr kurze Zeitspanne beschränkt. Das wird sich grundsätzlich erst 1959 ändern, also dem Jahr, in dem „Die Blechtrommel“ von Günter Grass und „Mutmassungen über Jakob“ von Uwe Johnson erscheinen und so völlig neue literarische Massstäbe setzen. „Die National-Dichtung war für immer gestorben“, so kommentiert Walter Jens den Einschnitt von 1959. 33 Die Ära Adenauer Am 15. September wird Konrad Adenauer (1876-1967) zum ersten Bundeskanzler gewählt. Sein Arzt habe ihm, dem 75-Jährigen, gesagt, zwei Jahre könne er das Amt schon noch ausüben. Aus diesen zwei Jahren werden schliesslich vierzehn Jahre, eine eigentliche Ära Adenauer. „Die politische Tätigkeit“, schreibt er im April 1946 an einen nahen Freund, „die ich auf mich habe nehmen müssen, weil schlechthin kein anderer da war, ist sehr aufreibend, körperlich anstrengend und sehr undankbar. Ich suche ihr zu entgehen, sobald ich es irgendwie verantworten kann. Das ist ja überhaupt das Verhängnis für Deutschland, dass die alte Generation überall an die Spitze muss. Die mittlere Generation fällt nahezu vollständig aus, weil sie in der Partei war. Die junge Generation ist nicht urteilsfähig, weder in politischer noch einer sonstigen Hinsicht. Sie muss völlig umerzogen werden.“31 Und in der Tat: Von den 402 Mitgliedern des ersten Bundestages haben 217 keine parlamentarische Erfahrung! Adenauer, der Oberbürgermeister von Köln, hat sich schon in der Weimarer Republik einen bedeutenden Ruf erworben. 1946 wird er Vorsitzender der neugegründeten CDU in der britischen Zone und 1948 Vorsitzender des Parlamentarischen Rates. Heinrich von Brentano schreibt über Adenauer: „Adenauer übernahm damals mit einer beispielhaften Selbstverständlichkeit den Vorsitz, und ich werde nie vergessen, wie er 34 den Vorsitz in der Hand behielt. Wie er die Sitzung leitete von morgens bis zum späten Abend, ohne vom Stuhl aufzustehen. Ganz konkret und am Abend dann in der Lage war, alles, was gesagt worden war, präzis zusammenzufassen. Ich glaube, das hat ihm auch diese Führungsstelle gegeben. Es gab keinen, der da konkurrieren konnte.“32 Ein Freund charakterisiert ihn etwas differenzierter: „Ich weiss gar nicht, was so viele Menschen gegen A. haben. Ich kenne ihn ja wohl am längsten und am besten. Er ist unzuverlässiger als ein Franzose, verlogener als ein Engländer, brutaler als ein Amerikaner und undurchsichtiger als ein Russ – also der gegebene Staatsmann für unser geschlagenes und misshandeltes Volk.“33 den Besatzungsmächten gegenüber doch eine gewisse Demutshaltung zeigen. Fies, aber erfolgreich rückt Adenauer die SPD in die Nähe des Kommunismus und wirft ihr vor, sie halte immer noch am Klassenkampf fest. Sitzverteilung im Bundestag 1949 bis 1961 (ohne Berliner Abgeordnete und ohne Kleinstparteien) Partei 1949 1953 1957 1961 FDP 52 48 41 67 CDU/CSU 139 243 270 242 SPD 131 151 169 190 KPD 15 487 497 499 Im Wahlkampf ums Kanzleramt behauptet sich Adenauer gegenüber der SPD; einerseits, weil die kleine Koalition (CDU/CSU plus FDP) über 201 Sitze verfügt, während es die Linke (SPD plus KPD) nur gerade auf 146 Sitze bringt, anderseits, weil die SPD mit Kurt Schumacher (1895-1952) nur über einen sturen und wenig charismatischen Kandidaten verfügt. Schumacher stellt unerfüllbare Forderungen und wirft dem Bundestag vor, er betreibe die Sache des Grosskapitals, Frankreich bescheinigt er Engstirnigkeit und Primitivität und Adenauer nennt er den „Bundeskanzler der Alliierten“. Empört bezeichnet ihn François-Poncet einmal als „Hitler von links“, während die bürgerlichen Parteien Gesamt 402 Die entscheidende Frage nach den ersten Bundestagswahlen ist: Kommt es zu einer grossen Koalition (SPD und CDU) oder zu einer kleinen Koalition (CDU und FDP)? Die grosse Koalition, so argumentieren ihre Befürworter, sei allein in der Lage, die riesigen Aufgaben des Wiederaufbaus zu leisten. Die kleine Koalition, so ihre Befürworter, sei darum besser, weil eine funktionierende Demokratie eine starke Opposition brauche; fehle die Opposition, entwickle sich eine unkontrollierbare ausserparlamentarische Opposition. Das erste Kabinett hat allerdings durchaus noch den Charakter eines Koalitionskabinetts, und Adenauer wird nur mit einer einzigen Stimme über dem absoluten Mehr gewählt – mit seiner eigenen, wie er selber gestanden hat; erst in den folgenden Jahren macht er sich daran, seine Macht zu einer eigentlichen Kanzlerdemokratie auszubauen und damit ganz auf CDU und FDP, also auf die kleine Koalition, zu bauen. Adenauer hat eben die Fähigkeit, auch komplizierte Sachverhalte in einfachen Aussagesätzen klar zu machen („selbst wenn er mehr als 200 Worte wüsste, würde er sie nicht benutzen“), und er ist, im Gegensatz zu seinen Gegenspielern auf der Linken, nachgiebiger und völlig undogmatisch („es kann mich doch schliesslich niemand daran hindern, alle Tage klüger zu werden“). Felix von Eckardt schildert anschaulich, wie in Bonn am Anfang – so viel Anfang war nie! – regiert wird: „Man muss sich mal vergegenwärtigen, wie die Dinge entstanden sind. Im Grunde genommen entstand die Bundesregierung, das Amt des Bundeskanzlers wie eine Art Familienunternehmen. Aus ganz kleinen Anfängen heraus. Es gab ein paar Mitarbeiter und diese Mitarbeiter standen Tag und Nacht zur Verfügung. Da mussten nicht lange Termine verabredet werden, sondern es hiess: Kommen Sie doch mal zu mir herüber. Und dann wurden die Dinge besprochen. Und der Bundeskanzler, dem man so viele einsame Beschlüsse nachsagt, hat sie so einsam nicht gefasst, wie man manchmal an- nimmt, denn er hat sehr ausführliche und sehr intensive Gespräche mit seinen Mitarbeitern geführt.“34 Zunächst aber untersteht die junge BRD noch den westlichen Alliierten, repräsentiert in der „Alliierten Hohen Kommission“. General Robertson für Grossbritannien, François-Poncet für Frankreich und Mc Cloy für die USA: Sie residieren hoch über Bonn im Hotel Petersberg, und das „hoch über Bonn“ ist durchaus auch symbolisch zu verstehen. Differenzen sind vorhanden, so auch bei der offiziellen Zeremonie am 21. September 1949, als das Besatzungsstatut übergeben wird. Die Alliierten erwarten, dass der Kanzler vor dem Teppich stehen bleibe, auf dem sie stehen, und wollen so die Siegerpose markieren; Adenauer aber tritt rasch selbst auf den Teppich und stellt partnerschaftliche Gleichheit her. Trotz diesem Akt der Auflehnung: Die Gründung der BRD wird vom alliierten Souveränitätsvorbehalt überschattet: „Staat auf Befehl“ ist sie boshaft genannt worden. Abb. 15: Karikatur auf Adenauer 35 Die Ära Adenauer Mit einem Zufallsmehr von 33 zu 29 Stimmen spricht sich der Parlamentarische Rat für Bonn als Hauptstadt aus. Dennoch bleibt lange offen, ob z.B. die Mitglieder der Hohen Kommission in Berlin oder in Bonn arbeiten sollen. Der Vorteil von Bonn: Es liegt im grössten Bundesland, in Nordrhein-Westfalen, und in der Nähe von Adenauers Wohnsitz. Für Bonn, idyllische Universitäts- und Pensioniertenstadt, ist es allerdings nicht leicht, sich als Hauptstadt durchzusetzen. Auch in den folgenden Jahrzehnten spielt sich das kulturelle und wirtschaftliche Leben in Zentren wie Frankfurt, Düsseldorf, München, Hamburg und Berlin ab, nicht aber in Bonn, das immer „die verlegene Hauptstadt“ bleibt. Abb. 16: Karikatur auf Adenauer 36 Ziel Adenauers ist es, die BRD in Westeuropa zu integrieren und die Erbfeindschaft mit Frankreich zu beenden. Dieser Kurs deckt sich mit der amerikanischen Aussenpolitik, die bis zur Kennedy-Administration die Adenauer-Regierung als ihren Wunschpartner betrachtet. Dabei geht es der BRD zunächst darum, Vertrauen zu gewinnen, und sie ist deshalb auch zu gewissen Vorleistungen bereit. Adenauer erkennt richtig: „Wir können verschachert werden von den Amerikanern an die Russen. Es kann auch sein, dass die Amerikaner uns brauchen als Stein im Spiel mit den Russen, aber wir haben aussenpolitisch zur Zeit noch ganz ausserordentlich wenig Bedeutung.“35 Trotz Schwierigkeiten und Beden- ken integriert sich die BRD voll in Westeuropa und wird Mitglied der Montanunion. 1953 kann, aus Anlass des Korea-Krieges, sogar die Frage der Wiederbewaffnung thematisiert werden. Selbst der französische Hohe Kommissar meint, jetzt sei die letzte Phase des Besatzungsstatuts angebrochen. Adenauer schafft es - konsequent, clever, hartnäckig -, den Eindruck zu erwecken, die BRD sei ein gleichberechtigter Partner der Westmächte. Höhepunkt in dieser Beziehung ist sein USA-Besuch im Jahr 1953, der ihm in Meinungsumfragen eine hohe Zustimmung verschafft. Die wirtschaftliche Lage ist 1949 nicht einfach. Die Hälfte der Einfuhren in die BRD sind Nahrungsmittel; die Nachfrage kann wegen den verlorenen Ostgebieten und der grossen Zahl von Vertriebenen nicht aus eigenem Anbau befriedigt werden. Der erste Winter wird deshalb auch als „Winter des Missvergnügens“ bezeichnet. Wenig später aber boomt die westdeutsche Exportindustrie, und ab 1952 wächst die deutsche Wirtschaft konstant - und das bei stabilen Preisen und vernünftig steigenden Löhnen. Gegenüber der Vorkriegszeit sind die Reallöhne um durchschnittlich 20 Prozent gestiegen, was sich besonders positiv auswirkt, da die Lebenshaltungskosten eine eher sinkende Tendenz aufweisen. Adenauer zur Seite steht Wirtschaftsminister Ludwig Erhard, dessen Konzept von der „sozialen Marktwirtschaft“ breite Bevölke- rungsschichten zu überzeugen vermag. Die junge BRD bekennt sich zur sozialen Marktwirtschaft, und zwar mit folgenden Zielen: restriktive Geldpolitik, Politik des knappen Geldes, Währungsstabilität Liberalisierung des Handels, freier Welthandel, Förderung des Exports und der Eigeninitiative kurzfristige Härten, hohe Steuerbelastung (im Durchschnitt 33 %) Der Begriff „soziale Marktwirtschaft“ ist so vielversprechend, dass der Soziologe Alfred Weber der Meinung ist, es sei eine schwere Unterlassung der SPD, dass sie sich diese Wortverbindung habe entgehen lassen. Dennoch ist die soziale Marktwirtschaft natürlich ein Wagnis, weil sie nicht auf sofortige Erleichterungen, sondern auf mittel- und langfristige Erfolge setzt. Dank der Unterbewertung der D-Mark nimmt der Export einen ungeahnten Aufschwung: Er steigt von 1950 bis 1957 von 8 auf 36 Mia DM. Die Preise sind stabil, die Löhne steigen, es herrscht Vollbeschäftigung, so das die Kaufkraft ständig wächst. Aufgrund der grossen Nachfrage werden pro Jahr 50‘000 Wohnungen gebaut. 1955 kommt es zur Einführung der Fünf-Tage-Woche und zum Übergang zur Vierzig-Stunden-Woche. Die Sozialversicherung wird neu geregelt, seit 1961 gibt es Lohnfortzahlung im Krankheitsfall. Das Fazit ist erstaunlich: Innerhalb von zehn Jahren entwickelt sich die BRD vom Almosenempfänger zu einer der wichtigsten Industrienationen der Welt! In den Wahlen von 1953 setzt sich die CDU/ CSU mit 45 % der Stimmen durch und erringt mehr als die Hälfte der Sitze im Parlament. Der Historiker Dolf Sternberger spricht von einem Wahlwunder, Herausgeber Rudolf Augstein kommentiert im „Spiegel“: „Noch ein solcher Sieg, und die deutsche Demokratie ist verloren.“ In den Wahlen von 1957 wird die CDU/CSU diesen Erfolg sogar noch übertrumpfen: 50 % der Stimmen und 54 % der Sitze im Parlament! Mit den sog. Pariser Verträgen von 1955 wird Deutschland souverän, wird Mitglied der NATO und darf ein Jahr später sogar – gegen den innenpolitischen Widerstand der SPD – wieder eine eigene Verteidigungsarmee aufbauen. 1955 besucht Adenauer Moskau und erreicht, dass die letzten Kriegsgefangenen nach Deutschland heimkehren dürfen. Die Popularitätskurve Adenauers steht 1955 im Zenit: Der alte Mann, der durch seine Zähigkeit die Gefangenen in Russland befreit hat – dieses Bild gehört fortan zum innersten Kern des Adenauer-Mythos! Im Mai 1967, kurz nach seinem Tod, bringt eine Umfrage nach Adenauers grössten Verdiensten folgendes Ergebnis: 75 % nennen die Heimführung der Kriegsgefangenen aus Russland 69 % erwähnen die Aussöhnung mit Frankreich 64 % sagen, dass er Deutschland wieder Ansehen in der Welt verschafft habe36. Abb. 17: Ludwig Erhard 37 W o l f g a n g Ko e p p e n , D a s Tr e i b h a u s Der Autor Wolfgang Koeppen (1906-1996) emigriert nach seinem Erstling „Eine unglückliche Liebe“ nach Holland. 1953 erscheint der Roman „Das Treibhaus“. Die Handlung dieses Romans umfasst zwei Tage in Bonn, und zwar zur Zeit der Debatten um die – insgeheim längst beschlossene – Wiederaufrüstung. Hauptfigur ist der sozialdemokratische Abgeordnete Keetenheuve: Dieser ist während des Dritten Reiches emigriert, kehrt 1945 zurück und wird im Bundestag „des Kanzlers getreuer Abgeordneter und Oppositioneller in Ergebenheit“. Keetenheuve ist als radikaler Pazifist auch Aussenseiter in seiner eigenen Partei und fühlt sich im Bonner Parlamentsbetrieb völlig überfordert und verlo- Abb. 18: Wolfgang Koeppen 38 ren. Der Roman schildert sein politisches und privates Versagen. Während er im Parlament nicht den geringsten Einfluss nehmen kann, gibt sich zu Hause seine Frau in Langeweile einer Lesbierin hin, verfällt der Trunksucht und stirbt schliesslich. Auf der letzten Seite des Romans begeht Keetenheuve Selbstmord – aus Verzweiflung über die deutschen Zustände. Koeppen gibt hier ein Bild der neuen Hauptstadt Bonn, und welch ein tristes Bild! Durch die Augen des Abgeordneten Keetenheuve erleben wir die Öde, die Leere, die Fragwürdigkeit des neu erstandenen Deutschland. Das tönt dann etwa so: „Schulkinder hockten am runden Tisch, reizlos angezogene Mädchen, Jungen, die schon Beamtengesichter hatten, verstohlen rauchten, auch sie waren fleissig, wie der Kanzler, hatten Bücher aufgeschlagen, lernten, strebten (wie der Kanzler?), eine Jugend verbissenen Gesichts, was für vernünftig galt, was dem Vorankommen diente, steuerte ihr Herz, sie dachten an den Stundenplan und nicht an die Sterne. ... Sie gähnten. Ihr Mund wurde ein rundes Loch, der Eingang eines Tunnels, in dem die Leere aus und ein ging. Sie steckten Zigaretten in das Loch, stopften die Leere, bissen die Lippen über dem Tabak und bekamen hämische wichtigtuerische Gesichter. Sie konnten einmal Abgeordnete werden; aber wahrscheinlich würde sie vorher das Militär holen.“37 „Die Öde hatte sich ihm gezeigt, sie hatte sich mit ihm bekannt gemacht, und nun waren ihm die Augen geöffnet, nun sah er sie, überall, und nie würde die Öde verschwinden, nie wieder würde sie seinen Augen unsichtbar werden. Wer war sie? Wie sah sie aus? Sie war das Nichts, und sie hatte kein Aussehen. Sie sah wie alle Dinge aus. Sie sah wie der Ausschuss aus, wie das Parlament, wie die Stadt, wie der Rhein, wie das Land, alles war die Öde, war das Nichts in einer schrecklichen Unendlichkeit, die unzerstörbar schien.“38 Zentral ist dem Koeppen-Roman die Kritik an der restaurativen Entwicklung der BRD, an der Fortdauer einer nicht einmal im Ansatz bewältigten Vergangenheit und der Warnruf vor allen drohenden Gefahren einer Restauration.39 Mit dieser Kritik kommt Koeppen gewissermassen zu früh, also zu einem Zeitpunkt, zu dem die Deutschen weder zur Vergangenheitsbewältigung noch zur Gegenwartsbewältigung bereit sind. „Ich komme immer zu früh, ich habe mein ganzes Leben lang darunter gelitten, dass ich zu früh komme“, sagt der Autor in „Ich bin gern in Venedig warum“.40 So wird „Das Treibhaus“ zu einem kleineren Skandal, man liest den Roman als Schlüsselroman und wirft dem Autor Misanthropie und Überzeichnung vor; in Keetenheuve sieht man den SPD-Abgeordneten Carlo Schmid, in Knurrehahn den Oppositionsführer Kurt Schumacher und in Frost-Forestier den Chef des Auslandsnachrichtendienstes, Reinhard Gehlen. „Das Treibhaus“ stellt die Kritiker endgültig vor die Frage „pro oder contra Koeppen“ – und nur ganz wenige entscheiden sich für Koeppen. Von einem „Zerrbild“ ist die Rede, von „Ruinen-Existenzialismus“ und von „Abtritt-Poesie“. 41 Auch Marcel Reich-Ranicki, einer der entschiedensten Bewunderer Koeppens, ist der Ansicht, dass die Wahl des Protagonisten nicht sehr glücklich sei: Es ist keine besonders geschickte Idee, die Bonner Welt, die Koeppen entlarven will, durch die Augen einer Figur darzustellen, die an ihrer eigenen Unzulänglichkeit zugrunde geht. „Ich dachte, du seist tot“ – so begrüsst eine andere Figur Keetenheuve, wie sie ihn zum ersten Mal aufsucht. Nicht ein Kämpfer des Guten in der Welt der Bösen ist dieser Keetenheuve, sondern ein von des Gedankens Blässe angekränkelter Träumer und Spintisierer, ein törichter Ritter gegen die Macht, von dem es schon von Anfang an heisst: „Er hatte den Kampf verloren. Die Verhältnisse hatten ihn besiegt, nicht die Gegner. Die Gegner hatten ihn kaum beachtet.“42 Anders urteilen Günter und Hiltrud Hänztschel: „Keetenheuve erweist sich als eine ebenso interessante wie komplizierte Figur. Denn einerseits vergegenwärtigt Koeppen ihn, romantischer Psychologie folgend, als beinahe kindlich und naiv, spontan und unkonventionell, andererseits zeigt er ihn als einen Überlegenen, der aufgrund seiner langjährigen Exilerfahrung die deutschen Verhältnisse an seinen politischen Überzeugungen misst und damit von den parlamentarischen Gepflogenheiten abweicht. Dieses Spannungsverhältnis fokussiert die Bonner Politik in ungewöhnlicher Weise aus der Sicht eines Aussenseiters, so dass ihre Fragwürdigkeiten und Schwächen, ihre Anfälligkeiten und Inkonsequenzen in das Zentrum rücken. ... Als Dilettant im positiven Sinne kann er immer wieder die Handlungsweise der Politiker, aus Regierung wie Opposition, als leere Rituale, als Symptome von Intrigen und Korruption aufdecken.“43 Wenn wir auch eher Reich-Ranicki zustimmen und die Romananlage für unglücklich halten: Was die Lektüre von „Das Treibhaus“ auch heute noch anregend macht, sind die treffenden Charakterisierungen von Parlamentsabgeordneten, mit denen die antriebsschwache Hauptfigur zusammentrifft. Diese Charakterisierungen braucht man heute nicht mehr als verschlüsselte Porträts realer Politiker zu lesen, sondern darf sie als Satiren verstehen, deren sprachliche Brillanz lächeln macht. So sei hier hingewiesen auf die Schilderungen von Philip Dana und Frost-Forestier.44 Wird „Das Treibhaus“ vor allem als Schlüsselroman gelesen, so stösst Koeppens letzter Roman „Der Tod in Rom“ von 1954 weitgehend auf Unverständnis. Koeppen hat darauf hin keinen weiteren Roman mehr veröffentlicht, sondern sich ins Schweigen zurückgezogen oder harmlose Reiseberichte verfasst. Diesen Rückzug lasten viele der harschen Literaturkritik an. 1966 hat Reich-Ranicki sogar einen „Fall Wolfgang Koeppen“ konstruiert, von dem dann bis zu Koeppens achtzigstem Geburtstag immer wieder kontrovers zu hören und zu lesen war. Abb. 19: Ausschnitt aus Koeppen, Das Treibhaus 39 Stimmung der fünfziger Jahre Vor ausführlicheren Angaben hier ein paar Streiflichter: Der „Playboy“ erscheint erstmals 1953. Der Existenzialismus ist die herr schende Philosophie der fünfziger Jahre. 1956 kommt Elvis Presley nach Hol lywood. Jackson Pollock gilt als wichtigster Maler der fünfziger Jahre; seine Anerkennung setzt sich aber nur langsam durch (in Illustrierten wird er als „Jack the dripper“ verulkt). Der „Sissi“-Film mit Romy Schneider kommt 1955 in die Kinos. 1957 fliegt der Sputnik ins All. H. Selye führt 1952 den Begriff „Stress“ ein. 1953 wird die DNS-Struktur entdeckt und die erste Antibaby-Pille produziert. 1958 veröffentlicht C.N. Parkin son das Gesetz des bürokratischen Wachstums. Der Schah muss 1953 den Iran ein erstes Mal verlassen (mit Soraya). Hillary und Sherpa Tensing besteigen 1953 den Mount Everest. Fürst Rainier von Monaco heiratet Grace Kelly und die Hochzeit wird weltweit als erste Eurovisions-Show übertragen. 1957 bekommt Camus den Literatur Nobelpreis. 40 James Dean wird mit „Jenseits von Eden“ 1955 zur Identifikationsfigur des Jahrzehnts. Swing und Jazz, Blues und Bigband-Musik sind in: Ella Fitzgerald, Frank Sinatra, Louis Armstrong. Und vor allem: Glenn Miller. Wie ein Schwall geht diese Musik über junge Leute nieder, macht sie zu Fans des „American way of life“. Während die Älteren immer noch auf Operette schwören, sind die jungen Leute begeistert von dem, was die Älteren Krach, Lärm oder Negermusik nennen. 1945 setzt zunächst ein grosses Staunen ein, dass der Krieg aufgehört hat und dass man selbst zufällig noch am Leben ist. Dieses Staunen hält eine Weile an, bis es in eine Art Trümmermentalität übergeht, mit der man sich in der primitiven Situation einzurichten versucht.45 Nach dem Zusammenbruch, der Stunde Null und dem beginnenden Wiederaufbau kann es nur aufwärts gehen. Und in den fünfziger Jahren geht es stürmisch bergauf. Die erste Etappe ist die Fresswelle: Der Kuchen mit Sahne wird wiederentdeckt, wiedererobert. Eine Genusswelle erfasst Deutschland: Butterkuchen mit Sahnebergen, Libby’s übersüsste Dosenfrüchte. Der aus dem Osten stammende Hellmuth Karasek erzählt, wie er immer wieder von Stuttgarter Verwandten stolz in ein Café geschleppt wird, wo man ihn mit Crèmeschnitten und Obst- kuchen verwöhnt.46 Der spätere Udo-Jürgens-Hit „Aber bitte mit Sahne“ erinnert an diese glückliche Zeit, als Essen noch kein Diätproblem, sondern Kalorienbeschaffung war. Die Modernisierung wird positiv aufgenommen. Man freut sich an der technischen Eleganz der Autobahnführungen, an den Wolkenkratzern aus Stahl und Glas, an den neuen Fabrikanlagen, während die negativen Begleiterscheinungen der Modernisierung als tragbar erscheinen. Skeptische Warner wie etwa Ortega y Gasset werden überhört. Autos gibt es nur wenige, und die meisten stammen aus der Zeit vor 1940. In der BRD mit ihren 47 Millionen Einwohnern gibt es nur gerade 335‘000 Personenwagen, aber 1953 schon 2 Millionen Motorräder. Man liebt das Auto, weil man den Stau noch nicht kennt. Man fährt am Sonntag über Land, mit Kindern, denen auf dem Rücksitz schlecht wird, mit Frauen, die kritisieren („Pass doch auf, Walter!“), mit Fahrern, die andere beschimpfen („Sonntagsfahrer!“). Folgender Witz ist typisch für die fünfziger Jahre: Eine VW-Fahrerin steht ratlos auf der Kreuzung, ihr Käfer streikt. Eine andere VW-Fahrerin fragt, ob sie helfen könne. „Ja“, sagt die mit der Panne, „ich mache die Kühlerhaube auf. Und was sehe ich? Kein Motor drin!“ Entgegnet die andere: „Wenn es weiter nichts ist, da kann ich Ihnen helfen. Ich habe neulich zufällig hinten den Kofferraum bei meinem Käfer aufgemacht. Und was sehe ich? Da war ein Ersatzmotor drin.“47 Sitten, Gebräuche und Sprachregelungen sind allerdings noch rigid. Der Krawattenzwang ist noch lange nicht die schlimmste Zumutung, und dass sich Studenten siezen, lässt sich ebenfalls verschmerzen. Ärgerlicher ist, dass über jeder Familie noch ein sogenannter Haushaltvorstand thront, der von Gesetzes wegen nicht nur über sein eigenes Vermögen, sondern auch über das seiner Frau verfügt. Unbekleidete Damen sind nur im Museum zu besichtigen, andernfalls kommt der Staatsanwalt. Für unverheiratete Paare gilt der Kuppelei-Paragraph. Kondome gibt es nur für Volljährige und nur in der Apotheke. In der Schule gibt es Tatzen mit der Rute. Und so weiter und so fort.48 Die Kauflust steigt, „kauf, kauf, kauf“ heisst das Motto. „Kauf dies und das, dann bist du sexy; bist du sexy. Wenn du sexy bist, hast du Erfolg; wenn du Erfolg hast, hast du Geld; wenn du Geld hast, kannst du kaufen; wenn du kaufst, bist du sexy - und so weiter im Kreise.“49 Die Werbung ist noch in den Kinderschuhen, wirkt oft infantil und belehrend und entlockt uns heute nach fünfzig Jahren schon ein leichtes Lächeln: Abb. 20: Plakat der Auto-Ausstellung 1950 41 Stimmung der fünfziger Jahre Ei, die schönen Birkel-Nudeln Wie sie in dem Kochtopf sprudeln Birkel-Nudeln ein Gedicht Geliebt, gelobt als Leibgericht. Lebewohl bringt Trennungsschmerz Doch auch Trennungsfreuden Das eine Mal betrifft’s das Herz Das andere Mal Hornhautleiden. Und aus der Schweiz ist vielleicht noch bekannt: Jede Hausfrau weiss: Wenn Öl und Fett, dann Sais. Trotz Frauenstimmrecht seit 1919 und Einsatz der Frau in beiden Weltkriegen ist das Frauenbild in den fünfziger Jahren zunächst noch ein sehr konventionelles. Adenauers grosse Tat Mitte der fünfziger Jahre ist ja die Rückholung der Kriegsgefangenen. Wie allerdings die Männer, lange vermisst und oft für tot gehalten, zurückkommen, haben sich ihre Frauen längst emanzipiert: sie führen den Haushalt, sie ernähren die Kinder, sie reparieren die zerbrochenen Rohre, sie schleppen Kohlen. Wie die Männer zurückkehren, erhalten sie meistens ihren Job, ihre Vormacht, ihren Status wieder – und die Frauen finden sich damit ab, sie kehren an den Herd zurück. Nach der grossen Niederlage bekommt die klassische Familie wieder einen hohen Stellenwert, gemäss Familienminister Franz-Josef Wuermeling, bis 1962 im Amt, ist einzig die kinderreiche Familie 42 die richtige Familie. „Ich bleibe zu Hause und freue mich, dass seine Augen leuchten, wenn er mich sieht“, so etwa versteht die Frau in den fünfziger Jahren ihre Rolle. Die Emanzipation braucht ganz offensichtlich mehr als einen Anlauf, um Gleichberechtigung durchzusetzen. Die Wohnungslage ist zunächst bedrückend. 1950 stehen für die 16,4 Millionen Haushalte nur 10 Millionen Wohnungen zur Verfügung, und von diesen sind mindestens 2 Millionen durch den Krieg zerstört. Bei den meisten Wohnungen handelt es sich zudem um Häuser aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg. Der Wohnküchenmief, dem man heute nur noch im frühen Werk von Heinrich Böll begegnet, ist die Lebensluft von Millionen Menschen. In einer gewaltigen Aufbruchleistung werden bis 1957 vier Millionen Wohnungen buchstäblich aus dem Boden gestampft. Eine Befragung von 1954 zeigt, dass nur 44% der Wohnungen eine Badegelegenheit haben. Waschmaschinen kommen erst in den sechziger Jahren in die Haushalte, Geschirrspüler erst in den siebziger Jahren. Die Wohnungen wirken noch seltsam leer, obwohl sie klein, eng und niedrig sind. Ausser ein paar Büchern für das Büchergestell „String“ (einzelne Bretter in lockerer Anordnung an die Wand gehängt) hat man erst eine spartanische Wohnungseinrichtung. Jede Anschaffung ist ein Ereignis. Die drahtverbundenen Schalensitze mit ih- ren schlaffen Schaumgummifüllungen, die Nierentische mit ihren widerlichen Resopalplatten, die gewaltigen Grundig-Musiktruhen, das Kofferradio im Plastiklook aus Bakelit täuschen eine Moderne vor, die uns heute uralt erscheint. Teakholz ist der letzte Schrei, und nichts ist so verhasst und so suspekt wie das ausgehende 19. Jahrhundert, das als plüschig und verschnörkelt gilt. Jetzt ist alles abwaschbar, „Staubfänger“ ist das schlimmste Schimpfwort. Und in die gute Stube halten die bewegten Bilder Einzug. Im Rückblick wirken Schalensitze und Nierentische hoffnungslos veraltet. Man muss sich einmal anhören, wie hasserfüllt der Kunsthistoriker Thomas Zaunschirm sich darüber äussert: Der Nierentisch ist „eine trivialisierte, an die seichte Oberfläche der Kunst gespülte Gestalt, deren Wurzeln weit zurückreichen. ... Die organoide Form, aus der Plastik eines Brancusi oder Arp schon früher wohl vertraut, ist in ihrer auf die zweidimensionale Optik reduzierten Plattheit eine Synthese aus Anpassung (nur nicht anecken), scheinbarer Offenheit (der Boden ist für den Blick frei) und dynamischem Schwung. Diesem outrierten Optimismus entsprechen die über Stahlrohren schwebenden Sitzmöbel mit ihrem Bedürfnis, alles dem Besucher freizulegen.“50 Nach dem Krieg wird Reisen wieder möglich. Zunächst ergiesst sich die deutsche Rei- selust ins Nachbarland Österreich. Das Salzkammergut, der Wörthersee, die Wachau mit Wein, Weib und Gesang sowie Wien, Wien, nur du allein sind die nahen Ziele des deutschen Fernwehs und liegen erst noch in einem Land, für das man keine fremde Sprache erlernen muss. 1955 vereinen sich Österreich und Deutschland nach 1938 ein zweites Mal, zumindest im Film. Ernst Marischka dreht den Schmachtfetzen „Sissi“, die Liebesgeschichte des jungen Kaisers Franz Joseph und der bayrischen Prinzessin Elisabeth. Sissi mit Korkenzieherlocken, in Dirndlkleider gesteckt wie ein Praliné in eine Konfektschachtel, und der junge Kaiser mit akkuratem Scheitel in weisser Uniform mit rot-weiss-roter Schärpe – Millio- nen von Zuschauern haben die Süsse des Films genossen und die Bitternis der Vergangenheit vergessen. Die zweite Reisewelle ergiesst sich über Gotthard und Brenner nach Italien. Die Deutschen wollen Sonne, Nichtstun und Gesang. Übervater Adenauer macht Ferien am Comersee, und Millionen von Deutschen machen es ihm nach. Eine Umfrage aus dem Jahr 1952 zeigt, dass nur ein Viertel der erwachsenen Bevölkerung in den letzten Jahren eine Urlaubsreise gemacht hat. 1955 sind immerhin schon die Hälfte der Befragten in den Ferien verreist, aber erst ein Fünftel hat überhaupt einen Reisepass. Grosse Reiseunternehmen wir Tour- Abb. 21: Der Fernseher hält Einzug in die gute Stube opa, Hummel oder Scharnhorst setzen sich erfolgreich auf dem Markt durch. Die ersten Auslandreisen werden zu den prägenden Erlebnissen der fünfziger Jahre; die Kriegsjahre, in denen man von Reisen nur träumen konnte, gehören endgültig der Vergangenheit an. Rudi Schuricke besingt die Capri-Fischer - wahrscheinlich der erfolgreichste Schlager der fünfziger Jahre. Wenn bei Capri die rote Sonne im Meer versinkt und vom Himmel die bleiche Sichel des Mondes winkt, ziehn die Fischer mit ihren Booten ins Meer hinaus und sie werfen in weitem Bogen die Netze aus: Bella bella bella Marie, bleib mir treu, ich kehr zurück morgen früh, Bella bella bella Marie, vergiss mich nie! Nach 1945 gibt es auch politische Filme wie „Canaris“ oder „Es geschah am 20. Juli“. Sie lassen erkennen, wie die Bevölkerung die jüngste Zeit sieht und dargestellt sehen will: ritterliche, idealistische deutsche Soldaten und Offiziere im Widerstand, tapfere junge Frauen stehen dämonisch-schurkischen SSOffizieren gegenüber. Viel grösseren Erfolg aber haben Filme über gekrönte Häupter; es ist, als befinde sich Deutschland auf dem Rückweg zur Monarchie. Die Gesellschaft ist weitgehend apolitisch, als würden sie so auf die politische Mobilisierung durch den Nationalsozialismus reagieren. 1952 wird erstmals ein Fernsehprogramm gesendet, und zwar von NWDR. Die erste grosse 43 Stimmung der fünfziger Jahre Direktübertragung erfolgt bei der Krönung von Elisabeth II. am 2. Juni 1953, die von vielen mit so grosser Anteilnahme verfolgt wird, als ginge es um die eigene Monarchin. Wenn auch die ersten Fernseher selten, enorm gross und teuer sind, so gibt es doch schon 1960 vier Millionen Fernsehteilnehmer, und als Adenauer zurücktritt, da sind es schon acht Millionen. Am 4. Juli 1954 siegt die deutsche Fussballmannschaft im Berner Wankdorf-Stadion über die favorisierten Ungarn. Der Triumph ruft in Deutschland grosse Begeisterung hervor. Die legendäre Radioreportage Herbert Zimmermanns („Toni, du bist ein Fussballgott“) zieht Millionen in den Bann. Es kommen „Wir sind wieder wer“Gefühle auf, die Menschen freuen sich unbändig, das Tor des Rechtsaussen Helmut Rahn zum 3:2 verändert das Land, und das, obwohl Fussball noch nicht die Massenwirkung späterer Jahre hat und vielfach als „Proletensport“ diffamiert wird. 1954 erhält jeder Spieler nur gerade 1000 Mark für den Gewinn des Titels sowie 200 Mark pro Einsatz (1990 werden es 125‘000 Mark sein). Der Kultfilm „Das Wunder von Bern“ von 2003 übertreibt allerdings, wenn er die Gründung der BRD ins Wankdorf-Stadion von Bern verlegt. In einer Nachkriegszeit wird nichts weggeworfen. Der erste Wegwerfartikel ist das Papiertaschentuch. Die Nürnberger Vereinig ten Papierwerke schaffen es, dass ihr Arti- 44 kelname „Tempo“ zum Sachbegriff avanciert. Vertreter tragen glänzend weisse Nyltest-Hemden, die man nur über die Badewanne zu hängen braucht, ohne sie bügeln zu müssen. Hygiene gleich Moral. Die Werbung preist das weisseste Weiss, die Anti-Akne-Crème verspricht, ein leidzerfurchtes, akneübersätes Gesicht glatt und glücklich zu machen. Nach den wilden zwanziger Jahren sorgt jetzt der Film „Die Sünderin“ des Wiener Routiniers Willi Forst für einen Skandal. Hildegard Knef spielt darin ein von der Nazi-Herrschaft verstörtes Mädchen, das Prostituierte wird, aber durch die Liebe zu einem todkranken Mann ihre wahren Gefühle wiederentdeckt. Der Skandal, den der Film auslöst, obwohl er eigentlich keinen Skandal verdient, ist eine winzige Szene, in der die Knef für Sekundenbruchteile nackt zu sehen ist – so prüde ist die vom Nazi-Wahn traumatisierte Gesellschaft. So schätzt man auch eine gewisse Verruchtheit, wie sie etwa die Cissy Kraner sich erlaubt hat (1953): Ich habe einen Mann, den viele möchten, Der immer mich bewahrt vor allem Schlechten. Ein jeder kennt ihn, Nowak ist sein Name, Ihm dank’ ich es, dass heut’ ich eine Dame. Ob angezogen oder als ein Nackter, Der Nowak hat am ganzen Leib Charakter. Ich hätte längst ein böses End’ genommen, Aber der Nowak lässt mich nicht verkommen. Ich hätt’ an vielen Dingen mein Vergnügen, Ich möcht’ so gerne in der Gosse liegen, Ich möchte einmal sinnlos mich besaufen, Ich möcht’ mit einem Freudenmädchen raufen, Ich möchte einmal Männer toll verbrauchen, Ich möcht’ statt „Memphis“ Marihuana rauchen, Ich hätt’ auch längst schon Morphium genommen, Aber der Nowak lässt mich nicht verkommen. Ich möcht’ einmal bei Vollmond ein Vampir sein, Ich möcht’ Geliebte von einem Fakir sein, Damit mich, wenn ich lieg’ ohne Matratzen, Von hinten noch die Nagelspitzen kratzen! Ich möchte Austern mit der Schale essen, Ich möcht’ mit einem Walfisch mich vergessen, Ich hab’ mir das schon alles vorgenommen, Aber der Nowak lässt mich nicht verkommen. Der Nowak ist zwar einerseits ein Segen, Doch andrerseits lässt er mich nicht bewegen. Da stand ein Inserat in einer Zeitung. Es sucht von einem Nachtlokal die Leitung Ein junges Mädchen, brav, mit nettem Wesen, Das nackert tanzt vor Negern und Chinesen. Den Posten hätt’ sofort ich angenommen, Aber der Nowak lässt mich nicht verkommen. Und eine Liste der beliebtesten Schlager veranlasst uns im Rückblick ebenfalls zu einem Lächeln: 1951 Gerhard Wendland, Das machen die Beine von Dolores 1952 Fred Rauch, Schützenliesel 1953 René Carol, Rote Rosen, rote Lippen, roter Wein 1954 Paul Kuhn, Der Mann am Klavier 1955 Caterina Valente, Chanson d’amour 1956 Freddy Quinn, Heimweh 1957 Margot Eskens, Cindy, oh Cindy 1958 Mich Miller und sein Orchester, The River Kwai March 1959 Freddy Quinn, Die Gitarre und das Meer fistisch, die Verherrlichung des Heldentods, nach dem Ersten Weltkrieg noch obligatorisch, macht einem verlegenen Wegsehen Platz. 1958 erreichen die Münchner Studenten, dass die alte Inschrift an der Uni „Dulce et decorum est pro patria mori“ im Gedenken an die Geschwister Scholl durch den Spruch „Mortui viventes obligant“51 ersetzt wird. Auf die Frage, wann es Deutschland am besten gegangen sei, erhält man folgende Antworten:52 1951 1959 1963 Zwischen 1933 und 1939 42% 18% 10% In der Gegenwart 2% 42% 62% Vor 1914 45% 28% 17% Gesamthaft gesehen sind die fünfziger Jahre von der Industrialisierung geprägt. Die Landwirtschaft nimmt ab, die preussische Elite verliert ihre Führungsfunktion, der Mittelstand gewinnt. Es fehlen heftige politische Ideenbewegungen und Ideenkämpfe, aber sind die fünfziger Jahre wirklich durch Stagnation und Langeweile gekennzeichnet? Fest steht, dass das totalitäre System diskreditiert und dass deshalb politischer Extremismus nicht mehr gefragt ist, und zwar sowohl bei den rechten wie bei den linken Kreisen. Pragmatismus und Kompromiss sind die Stichworte. Die Demokratie erscheint, ganz im Gegensatz zur Weimarer Republik, den meisten in einem gewissen Glanz. Die fünfziger Jahre sind pazi- 45 Heinrich Böll, Der Zug war pünktlich Wer an Romane aus der Nachkriegszeit denkt, dem kommt als erstes der Name Heinrich Böll (1919-1985) in den Sinn, gefolgt von den Namen Siegfried Lenz und Günter Grass. Andere Nachkriegsautoren, wie Borchert oder Schnurre, sind vor allem mit ihren Kurzgeschichten noch präsent. Keine Abhandlung über Böll kann auf das Zitieren der folgenden Sätze verzichten, die Bölls Intention so prägnant umreissen: „Wenige Jahre nach Hitlers Machtübernahme waren die Arbeitslosen untergebracht, sie wurden Polizisten, Soldaten, Henker, Rüstungsarbeiter - der Rest zog in die Konzentrationslager; die Statistik stimmte, die Reichsmark floss in Strömen; bezahlt wurden die Rechnungen später, von Abb. 22: Heinrich Böll 46 uns, als wir, inzwischen unversehens Männer geworden, das Unheil zu entziffern versuchten und die Formel nicht fanden; die Summe des Leidens war zu gross für die wenigen, die eindeutig als schuldig zu erkennen waren; es blieb ein Rest, der bis heute nicht verteilt ist. - Schreiben wollte ich immer, versuchte es schon früh, fand aber die Worte erst später.“53 Die Grundposition von Bölls Erzählen ist immer dieselbe: Es ist die eines konventionell realistischen Erzählers, der sich bemüht, lebensnah, sorgfältig und wahrhaftig von dem zu erzählen, was das Leben mit sich bringt. Was er erzählt, ist den Leuten verständlich und wird ihnen von Buch zu Buch verständlicher. Böll erzählt mit dem Akzent auf Gefühl, auf Mitleid, er erzählt Geschichten, wie sie jeder erlebt hat oder hätte erleben können. Böll ist Kleinbürger, Christ, Katholik, und die einzige Haltung den Menschen gegenüber ist die des Mitleidens, Mitleiden bis hin zur Gefühligkeit und Sentimentalität.54 Abgesehen von einzelnen Kurzgeschichten, meint Marcel Reich-Ranicki, habe Böll nichts geschrieben, was auch nur annähernd als vollkommen gelten könnte; seine Romane hätten ärgerliche Schönheitsfehler und Schwächen, die selbst seine treuesten Anhänger schwerlich verteidigen möchten. Aber von keinem deutschen Schriftsteller könne mit gleichem Recht behauptet werden, dass alle seine Arbeiten, die grossen und die kleinen, die geglückten und die missglückten, Fragmente einer einzigen, in sich geschlossenen Konfession seien.55 In „Der Zug war pünktlich“ von 1949 erzählt Böll von Andreas, der zurück an die Front in Galizien muss und ahnt, dass er sterben wird. Nach einer Nacht in einem Bordell in Lemberg, bei der es zu keinem sexuellen Kontakt kommt, werden er und das Freudenmädchen von einer Bombe getroffen und getötet. Dieser Andreas und seine Kameraden, sie tragen die ganze Last der Welt auf sich, eine Last und einen Schmerz, der sich ins Kosmische ausdehnt: „Er wälzt sich auf den Bauch, verbirgt den Kopf unter den Händen und schluchzt, schluchzt. Es ist ein Schluchzen, als müsse die Erde bersten und sich öffnen, und über diesem Schluchzen lächelt der Himmel, über den Baracken, über den vielen Baracken und über den Türmen von Przemysl am San…“. Da ist nichts zu spüren von Kahlschlag und Stunde Null, da ist Pathos ganz unverhüllt, kein heldenhaftes Pathos, nein, aber ein nach Mitleid schreiendes Pathos, das heute nur noch als wehleidig empfunden werden kann und in dem die Scheu, grosse Worte wie „Schmerz“ nur mit einer gewissen Reserve zu brauchen, leicht lächerlich wirkt. Was mit der Skepsis gewissen grossen Worten gegenüber gemeint ist, soll an einem Beispiel aus Bölls Roman „Und sagte kein einziges Wort“ erläutert werden: „Die Verschalung steht weit genug ab, dass ich hineinkriechen kann, und unten ist eine breite Stelle, dort ist es dunkel und warm, und ich fühle Ruhe, wenn ich dort liege, habe Frieden im Herzen, der Schnaps kreist in meinen Adern, das dumpfe Grollen der ein- und ausfahrenden Züge, das Bumsen der Gepäckkarren oben, das Surren der Aufzüge – Geräusche, die mir im Dunkeln noch dunkler erscheinen, schläfern mich schnell ein. Manchmal auch weine ich dort unten, wenn mir Käte einfällt und die Kinder, ich weine, wissend, dass die Tränen eines Säufers nicht zählen, kein Gewicht haben – und ich spüre etwas, das ich nicht Gewissensbisse, sondern einfach Schmerz nennen möchte.“ Von Andreas heisst es am Ende von „Der Zug war pünktlich“: „Mein Gott, denkt Andreas, sind sie denn alle tot? ... Und meine Beine ... meine Arme, bin ich nur noch Kopf ... ist denn niemand da ... ich liege auf dieser nackten Strasse, auf meiner Brust liegt das Gewicht der Welt so schwer, dass ich keine Worte finde zu beten ...“ Mit dem Tod der Hauptfigur endet auch Bölls bekannteste Kurzgeschichte „Wanderer, kommst du nach Spa...“, mit dem Tod der Hauptfigur endet auch sein Roman „Wo warst du, Adam“. Bölls Helden werden getreten und getrieben, sie schreien und verzweifeln, sie beten (oder möchten beten) und sterben. Und sie kosten ihr Leid aus, feiern ihr Leid, zelebrieren ihr Leid und tragen auf ihrer Brust das Gewicht der ganzen Welt. Bölls Botschaft lautet: Der Mensch ist gut, aber die Welt ist schlecht. Seine Hauptfiguren sind Opfer höherer Gewalten, der Krieg erscheint hier nicht als Folge menschlicher Handlungen, die sich erfassen und analysieren lassen, sondern als ein undurchschaubares und grausames Phänomen, als eine furchtbare Krankheit, als ein Schicksal jenseits des Erklärbaren. Für Krieg und Verheerung können Bölls Figuren nichts, aber sie fühlen sich schuldig: Schuldig, dass sie leben, schuldig, dass sie essen, schuldig an allem und jedem. Ein nennenswerter Unterschied zwischen der Perspektive des Verfassers und derjenigen seiner Helden scheint übrigens nicht vorhanden zu sein. Wie bei Zuckmayer ist der Krieg Schicksal und damit der verstandesmässigen Analyse entzogen, aber anders als Zuckmayer nehmen Bölls Figuren ihre Schuld an, und indem sie diese Schuld ins Gigantische vergrössern, entschulden sie auch die Leser, die ihre Schuldgefühle den Figuren delegieren können. Es ist Böll, der den Mief der Nachkriegszeit mit ihrem Mangel, ihrer Not, ihrem Dreck ein für alle mal in Worte gefasst hat, wie eine Passage aus „Und sagte kein einziges Wort“ von 1953 zeigen mag: „Der rechts von ihm hat ein Fenster geöffnet und hält einen Becher hinaus, in den ein mageres, müdes Mädchen Kaffee eingiesst. Der Geruch des Kaffees ist fürchterlich, dünne Hitze, die ihm flau im Magen macht; es ist der Geruch der Kaserne, der Kasernenküche, der über ganz Europa verbreitet ist … und der über die ganze Welt verbreitet werden soll. Und doch (so tief sitzen die Wurzeln der Gewohnheit), doch hält auch er seinen Becher hinaus und lässt sich einschenken; diesen grauen Kaffee, der so grau ist wie die Uniform. Er riecht die matten Ausdünstungen des Mädchens, dem man anmerkt, dass es in den Kleidern geschlafen hat, von Zug zu Zug gegangen ist in der Nacht, Kaffee geschleppt hat, Kaffee geschleppt hat… Er nimmt ein Butterbrot und beginnt ruhig und langsam zu kauen. Das ist furchtbar, dass man kurz vor seinem Tod noch essen muss. Bald werde ich sterben, und doch muss ich noch essen. Butterbrote mit Wurst, Fliegerangriffsbutterbrote, die ihm sein Freund, der Kaplan, eingepackt hat, einen ganzen Packen dickbeschmierter Butterbrote, und das Schreckliche ist, dass sie schmecken.“ Bekanntlich hat sich Böll auch als Humorist versucht, etwa in „Doktor Murkes gesammeltes Schweigen“, aber zentral ist seine Verortung in der Nachkriegszeit, der er mit seinen gebeutelten und gequälten Figuren literarisch ein Gesicht gegeben hat; sein Bekenntnis zum Humor wirkt nicht ganz überzeugend: „Die Literatur kann offenbar nur zum Gegenstand wählen, was von der Gesellschaft zum Abfall, als abfällig erklärt wird. Soweit es überhaupt noch eine Rechtfertigung des Humors in der Literatur gibt, könnte seine Humanität darin bestehen, das von der Gesellschaft als abfällig Behandelte in seiner Erhabenheit darzustellen.“ 47 Die Entstehung der DDR Am 30. April 1945 begeht Hitler Selbstmord. Am gleichen Tag landet in Frankfurt an der Oder ein sowjetisches Flugzeug, das eine erste Gruppe von kommunistischen Funktionären aus Moskau nach Deutschland zurückbringt. Der Leiter dieser Gruppe ist Walter Ulbricht (1893-1973), Tischlergeselle aus Leipzig und kommunistischer Reichstagsabgeordneter in der Weimarer Republik. Unter Ulbricht wird die sowjetische Besatzungszone innerhalb von vier Jahren zu einem der gehorsamsten Ostblockstaaten umgebaut. Ulbricht bekommt Übernamen wie „Buchhalter des Terrors“ oder „Kettenhund der Sowjetunion“ und ist ebenso verhasst wie später sein Nachfolger Erich Honecker (1912-1994). In seiner ausführlichen Biographie bezeichnet ihn Mario Frank als „belanglose und abstossende Persönlichkeit“.56 Bereits 1945 erlaubt die Sowjetunion in ihrer Besatzungszone die Gründung von Parteien. Den Gründungsaufruf für die Kommunistische Partei bringt Ulbricht bereits fixfertig aus Moskau mit: Abb. 23: Plakat aus der sowjetischen Besatzungszone 48 „Wir sind der Auffassung, dass der Weg, Deutschland das Sowjetsystem aufzuzwingen, falsch wäre, denn dieser Weg entspricht nicht den gegenwärtigen Entwicklungsbedingungen in Deutschland. Wir sind vielmehr der Auffassung, dass die entscheidenden Interessen des deutschen Volkes in der gegenwärtigen Lage einen anderen Weg vorschreiben, und zwar den Weg der Aufrichtung eines antifaschistischen, demokratischen Regimes, einer parlamentarischdemokratischen Republik mit allen demokratischen Rechten und Freiheiten für das Volk.“ Dazu kommentiert Ulbricht: „Es ist doch klar, es muss demokratisch aussehen, aber wir müssen alles in der Hand haben.“ So werden denn schon 1946 die KPD und die SPD zur Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands zwangsvereint und 1948 Wahlen zum Volkskongress nach Einheitslisten durchgeführt. Das heisst, dass im Fall der DDR die Sowjetunion die gleiche Methode angewandt hat wie in Ungarn, Polen, in der Tschechoslowakei, in Bulgarien und Rumänien, nämlich die sogenannte Salamitaktik. Diese Methode verschafft der Sowjetunion die vollständige Kontrolle über diese Staaten, allerdings nicht in einem einzigen Schritt, sondern in mehreren Schritten und auch nicht sofort, sondern im Laufe von vier Jahren. Stalin zum jugoslawischen Partisanengeneral Milovan Djilas 1945:: „Dieser Krieg ist nicht wie frühere. Wer immer ein Gebiet besetzt, legt ihm auch sein gesellschaftliches System auf. Jeder führt sein eigenes System ein, soweit seine Armee vordringen kann. Es kann gar nicht anders sein!“ Hier die verschiedenen Schritte zur Sowjetisierung der Satellitenstaaten 7. Kommunistische Gruppen fassen die gegen Hitler kämpfenden Widerstandsorganisationen in „patriotischen Fronten“ zusammen, die später von der Roten Armee unterstützt werden (fehlt im Fall der späteren DDR). Provisorische Regierungen werden eingesetzt. Darin nehmen in Moskau geschulte Exilkommunisten führende Stellungen ein. Freie Gründung von Parteien. Mit den Bürgerlichen zusammen bilden die Kommunisten Koalitionsregierungen, wobei sie sich das Innenministerium sichern. Ausschalten der bürgerlichen Parteien durch Terror, Verleumdung, Anklagen. Zusammenschluss der Linksparteien zu sozialistischen Einheitsparteien (erfolgt in der DDR früher als in andern Satellitenstaaten). Gelenkte Volkswahlen, in denen kommunistische Regierungen aufgrund von Einheitslisten bestätigt werden. 8. 1. 2. 3. 4. 5. 6. Verfolgungen und Säuberungen; Schauprozesse. Angleichung der Wirtschaft an das sowjetische Muster: Kollektivierung der Landwirtschaft, Verstaatlichung der Industrie, Fünfjahrespläne. So kann 1949, fast gleichzeitig mit der BRD, die DDR gegründet werden. Der neue Staat macht sich daran, den Sozialismus umfassend aufzubauen oder, wie es im Wirtschaftsprogramm der SED von 1951 heisst:57 „Jetzt kommt es darauf an, die Prinzipien der sowjetischen Wirtschaftsführung und ihre Methoden gründlich zu studieren und aus ihnen Schlussfolgerungen für die Führung der volkseigenen Wirtschaft zu ziehen. Dazu ist vor allem das Studium und die entsprechende Anwendung der vom Genossen Stalin entwickelten Prinzipien der volkswirtschaftlichen Planung sowie der bolschewistischen Methoden der Anleitung der Wirtschaftsorgane durch die Partei erforderlich.“ In der Landwirtschaft – „Junkernland in Bauernhand“ – werden Landwirtschaftliche Produktionsgesellschaften gegründet, in der Industrie entstehen die sog. Volkseigenen Betriebe. Eine ganze Generation, die die Diktatur der Nazis und den Krieg überlebt hat, muss nun zusehen, wie sich Kapitalismus und Kommunismus zu neuen Schlachten formieren und wie in der DDR eine Diktatur entsteht, die an Beschränktheit und Tristesse nicht zu überbieten ist. Flüsterwitze geben Einblick in den grauen Alltag von vierzig Jahren SED-Herrschaft. Plakat: Monat der deutsch-sowjetischen Freundschaft. Kommentar: Okay, aber keine ................ länger. Ein Kunde fragt im Fleischerladen zuerst nach Rouladen, dann nach Schweinelende, dann nach Kalbsschnitzel. Immer ist die Antwort: Haben wir nicht. Wie der Kunde den Laden verlässt, da meint der Verkäufer: „Der Mann hat aber ein tolles ......... ................“ Abb. 24: SED – Logo 49 Die Entstehung der DDR Abb. 25: Stimmzettel aus der SBZ 50 Zum Jahr des Elefanten beschliesst jedes Land, ein Buch zu publizieren. England veröffentlicht „Der Elefant und das Empire“, in Frankreich erscheint „Das Liebesleben der Elefanten“, die Sowjetunion bringt eine zwölfbändige Enzyklopädie heraus: „Die Rolle des Elefanten in den grossen proletarischen Revolutionen“. In der DDR erscheint eine schmale Broschüre: „Was wir von ............................ über den Elefanten lernen können“. Gleich nach dem 40. Jahrestag der DDR fährt Honecker mit einem Traktor kreuz und quer durch die DDR. Er sucht .......... ................ len, eine ist ein Smarty. DDR-Roulette: Sechs erzählen einen politischen Witz, und keiner weiss, .............. Auf einem internationalen Medizinerkongress werden Mandeloperationen durchgeführt. Die der Amerikaner dauert 20 Minuten, die der Franzosen 30 Minuten, die der DDR-Ärzte acht Stunden. „Sie müssen das verstehen“, räumen die Ärzte beschämt ein, „wir müssen rektal ran. Bei uns macht doch keiner ............“ Ein Flugzeug mit Gorbatschow, Jaruselski, Husak und Kadar stürzt ab. Keiner überlebt. Wer trauert am meisten? Die DDR-Bevölkerung, weil ................... Margot Honecker trifft eine alte Freundin. „Ich bin ganz glücklich“, sagt sie mit roten Wangen, „ich habe eine Erstausgabe des „Kapitals“ für meinen Erich bekommen.“ - „Oh“, sagt die Freundin, „das ist aber .......................“ Ein DDR-Bürger will seinen Namen ändern lassen. „Wie heissen Sie?“ fragt der Beamte. „Erich Dummkopf.“ - „Da kann ich Sie verstehen. Wer möchte schon .... heissen.“ Gipfeltreffen der Parteichefs. „Wie viele politische Gegner habt ihr bei euch in China?“ fragt Honecker. „Ich schätze so um die siebzehn Millionen“, antwortet Deng, „und bei euch in der DDR?“ „.................werden es auch nicht sein“, meint Honecker. Honecker verspricht der bekannten DDREiskunstläuferin Gabriele Seyfert einen Wunsch zu erfüllen. „Öffnen Sie für einen einzigen Tag die Berliner Mauer“, bittet sie. Darauf Honecker: „Du möchtest wohl mit mir ............“ Russisches Roulette: Ein Revolver, den man sich an die Schläfe setzt und abdrückt, eine der sechs Kammern ist geladen. Französisches Roulette: Sechs Antibabypil- Thatcher, Kohl, Honecker und Breschnew an einem Gipfeltreffen. Spät abends in der Bar reisst sich Breschnew das Hemd auf, zeigt seine behaarte Brust und meint stolz: „Das ist russische Taiga.“ Frau Thatcher möchte nicht zurückstehen, tut das Gleiche und sagt: „Und hier sehen Sie zwei gute englische Pfund.“ Kohl zieht die Hose runter, zeigt sein Hinterteil und meint: „Hier sehen Sie das geteilte Deutschland.“ Die andern staunen, denn niemand hat bisher gewusst, dass Deutschland so gross ist. Jetzt fühlt sich Honecker im Zugzwang, knöpft seine Hose auf und meint: „Und das hier ist der Schlagbaum, und der wird nie wieder ...... .........................“ Gorbatschow will sich mit der VR China aussöhnen und bietet Deng die Erfüllung dreier Wünsche an. Deng wünscht sich 10‘000 Fahrräder, was Gorbatschow bewilligt. Auch Dengs Wunsch nach 10‘000 Radios wird erfüllt. Als drittes wünscht sich Deng 10‘000 Tonnen Reis. Gorbatschow schüttelt den Kopf: „Unmöglich, Genosse, Reis wächst nicht ................“ Mitten in der Nacht klopft es an der Tür eines alten Mütterchens. „Wer ist da?“ fragt die Alte. „Der Tod“, tönt es dumpf.“ Gott sei Dank“, seufzt das Mütterchen, „ich dachte schon, es sei die ......“ Tagesordnung des Parteitages 1. Hereintragen der Politbüro-Mitglieder. 2. Synchronisation der Herzschrittmacher 3. Gemeinsames Lied: Wir sind die .......... Garde. 51 Die Entstehung der DDR Die Beziehungen der BRD zur DDR sind während vierzig Jahren sehr spezielle gewesen, und das aufgrund der Präambel im Grundgesetz: Die BRD betrachtet die DDR nicht als Ausland, darum ist nicht der Aussenminister, sondern der „Minister für innerdeutsche Beziehungen“ zuständig. 52 In Ost-Berlin gibt es keine Botschaft, sondern eine „ständige Vertretung“. Die BRD anerkennt nur eine einzige deutsche Staatsbürgerschaft; Ausreisende aus der DDR erhalten deshalb automatisch Pass, Wohnsitz und Sozialleistungen (Auffanglager Giessen). Der Handel mit DDR ist zollfrei; die DDR kann ihre Agrar-Produkte in die BRD exportieren und unterliegt nicht den rigorosen EG-Bestimmungen. Wenn ein ausländischer Aussenminister eine Bemerkung macht, man müsse davon ausgehen, dass es zwei Deutschlands gebe, wird sein Botschafter sofort ins Kanzleramt zitiert. Das Ausland hat eben wenig Interesse an Wiedervereinigung: De Gaulle: „Zwei Deutschlands sind nicht genug; wir haben stets eine grössere Zahl unabhängiger Deutschlands vorgezogen.“ Die BRD hat lange Zeit die DDR nicht DDR genannt, sondern besondere und phantasievolle Bezeichnungen dafür erfunden: Drüben, Mitteldeutschland, der andere Teil Deutschlands, sogenannte DDR, Gänsefüsschen-DDR. Sogar wenn die beiden Staaten einen Vertrag schliessen (der sog. Grundlagenvertrag von 1972), liegt nicht einfach eine faktische Anerkennung vor, sondern - so das Verfassungsgericht in Karlsruhe - „eine faktische Anerkennung besonderer Art“. Der Grundlagenvertrag ist vom Land Bayern erfolglos vor dem Verfassungsgericht angefochten worden. Der Glaube an die Wiedervereinigung wird allerdings künstlich am Leben erhalten, und das erst recht nach dem quasi offiziellen Besuch von Erich Honecker in Bonn im Jahr 1987. Peter Schneider formuliert wie folgt: „Die deutsche Frage hat also in dreissig Jahren Speck angesetzt, und man kann nicht behaupten, dass sich die Deutschen westlich der Elbe sonderlich damit quälen. Es gibt Beauftragte, die sich mit dieser Frage beschäftigen; sie haben immer mehr Mühe, ihr Publikum wach zu halten. Zwar hat die Verfassung eine Lösung der deutschen Frage in Auftrag gegeben, aber die Erregung in Parlamentsdebatten, das Ringen um Begriffe wie Wiedervereinigung und Nation wirken künstlich. Man hat den Ein- druck, der 1011. Aufführung eines Repertoire-Theaters beizuwohnen, bei der sich Schauspieler wie Zuschauer heimlich das Gähnen verkneifen. Dass das Stück über die Leiden des geteilten Deutschland trotzdem in Bonn immer wieder nachgespielt wird, scheint sich weniger einem lebendigen Interesse zu verdanken als einer stillen Übereinkunft zwischen Ensemble und Parkett: man spielt das Stück eigentlich gar nicht für sich, sondern für andere, die leider nicht anwesend sein können. Und ausserdem: was sollte man sonst spielen.“58 Sang- und klanglos ist denn die Diktatur der DDR unter ihrer überalterten und reformunfähigen Führung 1989/90 zusammengebrochen. Abb. 26: Die DDR-Führung im Jahr 1989 53 Bruno Apitz, Nackt unter Wölfen Die DDR hat die Schriftsteller von Anfang an eingebunden, schon unter der sowjetischen Militäradministration. Nur wer später Mitglied des Schriftstellerverbandes ist, hat Chancen zu publizieren. Die Statuten (Fassung 1973) formulieren klar, was man vom Schriftsteller erwartet: „Die Mitglieder des Schriftstellerverbandes der DDR anerkennen die führende Rolle der Arbeiterklasse und ihrer Partei in der Kulturpolitik. Sie bekennen sich zur Schaffensmethode des sozialistischen Realismus.“59 Die Publikationsbedingungen in der DDR sind nicht schlecht, bringen doch an die 180 Verlage pro Jahr 6000 Titel heraus, so dass, was die Pro-Kopf-Produktion von Büchern angeht, die DDR neben der Sowjetunion und Japan an der Spitze steht. Gleichzeitig behindert aber die DDR das Entstehen von Literatur durch Druckverbote, Aufführungsverbote, Ausschluss aus Partei und Schriftstellerverband, strafrechtliche Sanktionen und direkt oder indirekt erzwungene Ausbürgerungen. Moderne Klassiker wie Kafka oder Beckett sind in der DDR verpönt, so dass die DDR-Literatur von Anfang an von weltliterarischen Entwicklungen abgeschnitten ist und eine bestimmte Form des Erzählens, die Form mit einem allwissenden und kommentierenden Erzähler, kanonisiert. Die DDR-Literatur erweckt, wie schon die aus den Statuten zitierten Sätze andeuten, den Eindruck, als ob sich Literatur ausschliesslich optimistisch-bejahend zur Wirklichkeit verhalte.60 54 Neben dem allgemeinen Zweck verlangt die SED von ihren Schriftstellern aber auch ganz konkrete Unterstützung. Bereits 1948 hält Alexander Abusch, später für kurze Zeit Kulturminister der DDR, in einer Rede Folgendes fest: „Kulturarbeit im Dienste des Zweijahresplans leisten, das bedeutet in erster Linie die Entfaltung des Arbeitsenthusiasmus aller ... Schichten des Volkes.“61 Die Tendenz ist deutlich: Die Literatur soll ganz konkret die Bereitschaft zu materieller Arbeit stimulieren und so dem Sozialismus gegenüber dem Kapitalismus zum Sieg verhelfen. Die DDR lobt die Schriftsteller, die sich an ihre Vorgaben halten; das tönt dann so: „Fred Reichwald arbeitet bereits an einem Schauspiel, das die Produktionssteigerung in Zusammenhang mit der Demokratisierung des Dorfes behandelt. Heinz Kahlau hat bei seiner vertraglichen Kulturarbeit im Betrieb den einen Karrieristen kennen gelernt, beobachtet und studiert, der im Betrieb den Fortschrittlichen mimt, seine Kinder aber reaktionär erzieht. Wie sich diese Kinder durch ihre Erlebnisse im Ferienlager und durch die Hilfe der Jungen Pioniere von den Einflüssen ihres doppelgesichtigen Vaters befreien, soll den Inhalt seines Romanes ausmachen.“62 Was nicht in dieses Schema passt, das dann im Bitterfelder Weg von 1959 noch eine Verschärfung erfährt (Schriftsteller sollen in die Betriebe gehen, Arbeiter sollen zur Feder greifen), wird getadelt; so muss 1952 eine Barlach-Ausstellung vorzeitig schlies- sen, weil die Partei den Werken Barlachs vorwirft, sie hätten einen düsteren, bedrückenden, pessimistischen Charakter. Natürlich haben auch die DDR-Schriftsteller die Problematik von Literatur nach Reglement erkannt. Eduard Claudius meint: „Einige glaubten, der Schriftsteller sei einem Computer ähnlich, in den man die Programmierungskarte hineinstecken könne, und blitzschnell, ehe man sich’s versehe, komme der fertige, nach Wunsch geschneiderte Roman heraus: ein Teil positiver Held in strahlend heller Sonne, zur notwendigen Kontrastierung ein wenig gewölkt, ein Teilchen wohldosierter Liebe, wie sie halt üblich ist, natürlich ein Gegenspieler, dieser aber schwach, schlecht und zuletzt unterliegend.“63 Zu welchen Fragwürdigkeiten sich die Literatur der DDR erniedrigen kann, zeigen zwei Gedichte von Johannes R. Becher, das erste von 1939 anlässlich des Hitler-StalinPaktes: An Stalin Du schützt mit deiner starken Hand den Garten der Sowjetunion. Und jedes Unkraut reisst du aus. Du, Mutter Russlands grösster Sohn, nimm diesen Strauss. Nimm diesen Strauss mit Akelei zum Zeichen für das Friedensband, das fest sich spannt zur Reichskanzlei. Das zweite stammt von 1953: Es wird ganz Deutschland einstmals Stalin danken; in jeder Stadt steht Stalins Monument. Dort wirst du, Stalin, steh‘n, in voller Blüte der Apfelbäume an dem Bodensee, und durch den Schwarzwald wandert seine Güte und winkt zu sich heran ein scheues Reh. Und auch Bertolt Brecht – „leider sehr begabt, das Scheusal“, wie Thomas Mann gesagt hat - lobhudelt auf die DDR: Am ersten Mai Gehen Vater und Mutter in einer Reih Kämpfen für bessres Leben. Fron und Arbeit darf’s nicht geben: Da sind wir auch dabei. Grün sind die Zweige Die Fahne ist rot Nur der Feige Duldet Not. Eigentlich hat es die DDR-Literatur wegen diesen Bedingungen bedeutend einfacher, den Nationalsozialismus zu bewältigen, als die Literatur in der BRD. Bruno Apitz (1900-1979) war Mitglied der KPD und verbrachte acht Jahre als politischer Häftling im KZ Buchenwald. 1955 beginnt er den Roman „Nackt unter Wölfen“, der 1959 erscheint und in dreissig Sprachen übersetzt Abb. 27: Ausschnitt aus Apitz, Nackt unter Wölfen 55 Bruno Apitz, Nackt unter Wölfen wird. Der Roman spielt im KZ Buchenwald im letzten Kriegsjahr: Erzählt wird die Geschichte eines dreijährigen jüdischen Kindes, das von einem polnischen Häftling ins KZ eingeschmuggelt wird. Ein paar Häftlinge nehmen sich des Kindes an. Sie verstecken es in der Effektenkammer, im Abfalleimer der Krankenbaracke, im Schweinestall. Die SS terrorisiert und foltert sie dafür, aber keiner verrät den Aufenthaltsort des Kindes. Daneben enthält der Roman eine zweite Handlung: Im Lager hat eine Gruppe von politischen Häftlingen heimlich Waffen besorgt. Sie hat eine illegale Lagerleitung aufgebaut und arbeitet auf einen bewaffneten Aufstand und auf Befreiung der Insassen hin. Ihr Plan wird nun dadurch gefährdet, dass einige der führenden Genossen in die Rettungsaktion für das Kind verstrickt sind. Im Dilemma zwischen Kalkül und Gefühl, Vernunft und Zuneigung für den kleinen Jungen nehmen sie alle Gefahren auf sich; die SS plant sogar, das ganze Lager zu vernichten. Beim Anrücken der Alliierten aber erheben sich die Häftlinge und retten so auch das kleine Judenkind. Es handelt sich bei „Nackt unter Wölfen“ um einen eindrücklichen und authentischen Roman – wer, der nicht im KZ gewesen ist, dürfte Autoren wie Wiechert, Kogon oder Apitz Echtheit absprechen? -, der allerdings sehr konventionell erzählt ist. Ein allwissender Erzähler gibt, vom auktorialen Standort aus, Einblick in die Gefühle und 56 Motive aller Figuren und weiss um deren Schicksal und Zukunft. Nur ein Beispiel: Der SS-Hauptsturmführer Kluttig hat Interesse an Hortense, der Frau seines Untergebenen Zweiling; Hortense setzt sich in der untenstehenden Szene für ihren gefährdeten Mann ein. Jetzt betrachtete er Hortense unversteckt. „So eine Frau“, sagte er plötzlich erregt, „so eine Frau...“ Doch Hortense hatte dafür kein Ohr mehr. In ihr zitterte alles. „Machen Sie ihn tot?“ Kluttig liess Hortense los und lächelte schief. Die Angst der Frau bereitete ihm Genuss. Er antwortete nicht. Reineboths Worte über Zweiling: „Der lahmarschige Heini wird noch froh sein, uns beim Aufspulen zu helfen...“, gaben ihm einen Gedanken ein, der sich in der Spur von Reineboths kühnen Kombinationen fortbewegte. „Totmachen“, sagte er schliesslich nach einer Weile, „das wäre billig für ihn. Gutmachen soll er seine Schweinerei!“ Hortenses Angst wechselte in Hoffnung über.64 Diese Erzählstruktur erlaubt es Apitz, gleich zu Beginn diskret die Wegmarken zu setzen, welche die Richtung und Intention seiner Schilderung bestimmen: „Auch unter den politischen Häftlingen gab es in allen Blocks und bei allen im Lager befindlichen Nationalitäten unsichere Elemente, denen die Sorge um das eigene Leben höher stand als das Wohl und die Sicherheit der Gemeinschaft.“65 Wohl und Sicherheit der Gemeinschaft, kurz Solidarität, das ist die Haltung, welche die politischen Gefangenen des KZ Buchenwald zeigen. Diese Gefangenen sind aufgrund ihrer Mitgliedschaft bei der kommunistischen Partei inhaftiert worden; sie reden und handeln ganz im Sinn der kommunistischen Partei. Der Kommunismus ist die Weltanschauung, die dem Nationalsozialismus nicht erliegt, die ihn als einzige bekämpfen kann und die schliesslich über ihn siegen wird. „Ich kann nicht grosse Worte machen“, sagt einer der Anführer der Verschwörung, „aber heute möchte ich es einmal sagen: Was an Menschen den Stacheldraht der Konzentrationslager lebend hinter sich lässt, das wird der Vortrupp einer gerechtern Welt sein! ... Wir sind kein Dünger, wir sind keine Märtyrer, wir sind keine Opfer. Wir sind die Träger der höchsten Pflicht!“66 Als das Judenkind nicht den Schergen übergeben, sondern gerettet wird, kritisiert Krämer, der erste Lagerälteste, diese Handlung: „Das ist Disziplinbruch!“ Aber der Gescholtene rechtfertigt sich: „Wenn wir lebend herauskommen, dann werde ich es vor der Partei verantworten, verlass dich drauf.“ Krämer sieht ihm in die Augen: „Die Partei ist hier!“ Damit sind die Leitplanken gesetzt: Die kommunistische Partei, und nur sie, ist in der Lage, den nationalsozialistischen Terror effizient zu bekämpfen. Bruno Apitz allerdings relativiert, indem er den Figuren Gewissensbisse zubilligt: „Schuldig fühlte er sich am Kind und schuldig an der Partei.“67 Damit verfügt die Literatur der DDR von Anfang an über das, mit dessen Erarbeitung sich die Literatur der BRD so schwer tut: um einen Bewertungsraster der nationalsozialistischen Vergangenheit und um positive Gegenkräfte und Helden, die nicht so zwiespältig wie der Fliegeroffizier Harras bei Zuckmayer sind. Die Ankunft des Judenkindes wirkt in Apitz’ Roman wie ein Katalysator, der die menschlichen Züge der kommunistischen Widerstandskämpfer erscheinen lässt und so Helden porträtiert, die frei von jedem Dogmatismus sind (bezeichnend, dass Apitz’ Roman erst nach Stalins Tod erschienen ist). Der Kommunismus als Gegenkraft ist dabei – und das ist geschickt gemacht und glücklich gelungen – eher unterschwellig und niemals plakativ eingebaut, genau wie das Judenkind, das ja meist so gut versteckt ist, dass nicht einmal die Aufständischen seinen Aufenthaltsort kennen, nur auf wenigen Seiten erwähnt wird, aber dauernd in den Gedanken der Leser präsent ist. „Nackt unter Wölfen“ wird denn auch in der DDR als Inbegriff des sozialistischen Realismus und Humanismus rezipiert, während die zeitgenössische Kritik in der BRD aggressiv antikommunistisch reagiert. Ein renommierter Kritiker qualifiziert den Roman (mit seiner übrigens authentischen Fabel!) als „rührselige Geschichte mit Lesebuch-Didaktik“ ab, dessen „Motiv von offensichtlicher Sentimentalität“ strotze und dessen Kon- flikt „so lebensfremd wie unaufrichtig“ sei. Und eine Frankfurter Zeitung empört sich über den Rowohlt-Verlag, der 1961 eine bundesdeutsche Taschenbuchausgabe herausbringt.68 Die spannende Verfilmung aus dem Jahr 1963 kann in der BRD bis 1968 nur in geschlossenen Vorstellungen gezeigt werden – so eiskalt ist der Kalte Krieg zwischen den Supermächten in den sechziger Jahren! 57 Verzeichnisse und Anhang 58 Literaturverzeichnis Bohn, Volker, Deutsche Literatur seit 1945: Texte und Bilder, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1993 Die Kultur der 50er Jahre, hrsg. von Werner Faulstich, München: Fink 2002 Die Literatur der Bundesrepublik Deutschland, hrsg. von Dieter Lattmann (= Kindlers Literaturgeschichte der Gegenwart), Zürich und München: Kindler 1973 Smith, Bradley F., Der Jahrhundertprozess: Die Richter von Nürnberg – Anatomie einer Urteilsfindung, Frankfurt a.M.: Fischer 1977 Steininger, Rolf, Deutsche Geschichte von 1945 bis zur Gegenwart, vier Bände, Frankfurt a.M. 2002 Stöver, Bernd, Der Kalte Krieg: Geschichte eines radikalen Zeitalters, München: Beck 2007 Emmerich, Wolfgang, Kleine Literaturgeschichte der DDR, Darmstadt: Luchterhand 1981 Weber, Hermann, Kleine Geschichte der DDR, Edition Deutschland Archiv, Köln 1980 Harbecke, Ulrich, Abenteuer Bundesrepublik: Die Geschichte unseres Staates, Bergisch Gladbach: Lübbe 1983 Weinke, Annette, Die Nürnberger Prozesse, München: Beck 2006 Knabe, Hubertus, Die Täter sind unter uns: Über das Schönreden der SED-Diktatur, Berlin: Propyläen 2007 Zaunschirm, Thomas, Die fünfziger Jahre (= Heyne Stilkunde Band 21), München: Heyne 1980 Schröder, Hans Jürgen (Hrsg.), Marshallplan und westdeutscher Wiederaufstieg, Stuttgart 1990 Schwarz, Hans-Peter, Die Ära Adenauer: Gründerjahre der Republik 1949-1957 (= Geschichte der Bundesrepublik Deutschland Band 2), Stuttgart: DVA und Wiesbaden: Brockhaus, 1981 59 Anmerkungen Zitiert nach Manfred Görtemaker, Kleine Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, München: Beck 2002, S. 9 1 Hans Wagener, Carl Zuckmayer, München: Beck 1983, Seite 103 10 11 Peter Wapnewski, Mit dem anderen Auge: Erinnerungen, Band 1, Berlin:Berlin-Verlag 2005, Seite 141 Zitiert ebd. Seite 99 2 James Bacque, Verschwiegene Schuld: die alliierte Besetzungspolitik in Deutschland nach 1945, Berlin, Frankfurt a.M.: Ullstein 1995 3 Zitiert nach Dieter Lattmann, Die Literatur der Bundesrepublik Deutschland, Seite 220 21 Heinrich Vormweg in Dieter Lattmann in: Die Literatur der Bundesrepublik Deutschland Seite 175 22 Hellmuth Karasek, Dramatik in der Bundesrepublik seit 1945, in: Die Literatur der Bundesrepublik Deutschland, hrsg. von Dieter Lattmann, Zürich und München: Kindler 1973, Seite 550 12 13 Zitiert nach Volker Bohn, Deutsche Literatur seit 1945, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1993, Seite 28 23 Zitiert ebd. Seite 549 Dieter Lattmann in: Deutsche Literatur der Bundesrepublik Deutschland, Seite 11 24 4 Zitiert nach Görtemaker Seite 14 Hildegard Knef, Der geschenkte Gaul: Bericht aus einem Leben, Ullstein 2005, Seiten 125ff (Erstausgabe 1970) 5 Bormanns Spur galt lange als verschollen. Zu Beginn der siebziger Jahre wurde sein Tod aufgrund einiger Knochenreste, die sich in der Nähe des Lehrter Bahnhofs gefunden haben, festgestellt. 1999 wurden die inzwischen eingeäscherten Rückstände in die Ostsee verstreut (Joachim C. Fest, Bürgerlichkeit als Lebensform, Reinbek: Rowohlt 2007, Seite 71). 6 Georg Bönisch im „Spiegel“ 2/2006, Seite 49 7 Heinrich Jaenecke, zitiert in Ulrich Harbecke, Abenteuer Bundesrepublik, Bergisch Gladbach: Lübbe 1983, S. 28 Walter Uka in Die Kultur der 50er Jahre, hrsg. von Werner Faulstich, München: Fink 2002, Seite 84 14 Zitiert nach Dieter Lattmann in: Die Literatur der Bundesrepublik Deutschland, Seite 165 15 Peter Bamm, Die unsichtbare Flagge, München: Kösel, zehnte Auflage 1963 (Erstausgabe 1952) Zitiert nach Volker Bohn, Deutsche Literatur seit 1945, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1993, Seite 20 25 Zitiert nach Dieter Bohn, Deutsche Literatur seit 1945, Seite 65 26 16 Günter Blöker in Dieter Lattmann: Die Literatur der Bundesrepublik Deutschland, Seite 226 17 Golo Mann zitiert nach Edgar Wolfrum, Die Bundesrepublik Deutschland 1949 bis 1990, Seite 78 Hans Dieter Schäfer, Das gespaltene Bewusstsein: Deutsche Kultur und Lebenswirklichkeit 1933-1945, München: Hanser 1981, Seite 56 27 Dieter Lattmann in: Die Literatur der Bundesrepublik Deutschland, Seite 25 28 18 8 29 Zitiert nach Dieter Lattmann, Die Literatur der Bundesrepublik Deutschland, Seite 41 30 Zitiert nach Ulrich Harbecke, Abenteuer Bundesrepublik, Seite 46 19 Dieter Lattmann in: Die Literatur der Bundesrepublik Deutschland, Seite 25 31 Georg Hensel, Spielplan: Schauspielführer von der Antike bis zur Gegenwart, Deutsche Buchgemeinschaft 1975, Seite 1404 9 60 Ebd. Seiten 14 und 18 Zitiert nach Volker Bohn, Deutsche Literatur seit 1945, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1993, Seite 74 20 Zitiert nach Ulrich Harbecke, Abenteuer Bundesrepublik, Seite 37 32 33 Zitiert nach Görtemaker Seite 39 Zitiert nach Ulrich Harbecke, Abenteuer Bundesrepublik, Seite 47 34 45 Dieter Lattmann in: Die Literatur der Bundesrepublik Deutschland, Seite 10 57 Hellmuth Karasek, Go West! Eine Biographie der 50er Jahre, Hamburg: Hoffmann und Campe 1996, Seite 29 58 46 47 35 Ebd. Seite 278 Wolfgang Koeppen, Das Treibhaus, München: Süddeutsche Zeitung 2004, Seite 38 und 116 Peter Schneider, Der Mauerspringer, Reinbeck: Rowohlt 2000, Seite 76 (Erstausgabe 1982) Ebd. Seite 148 Görtemaker Seite 56 Zitiert nach Emmerich, Kleine Literaturgeschichte der DDR, Seite 27 59 Nach Hans Magnus Enzensberger, Die falschen Fünfziger, in: NZZ vom 16./17. Juni 2007 48 36 Zitiert nach Hans-Peter Schwarz, Die Ära Adenauer, Seite 72 60 Ebd. Seite 48 Zitiert nach Sonja Günther, Die fünfziger Jahre: Innenarchitektur und Wohndesign, Stuttgart: DVA 1994, Seite 12 61 Ebd. Seite 76 62 Ebd. Seite 77 Thomas Zaunschirm, Die fünfziger Jahre, Seite 27 63 Ebd. Seite 97 37 Wolfgang Koeppen, Das Treibhaus, München: Süddeutsche Zeitung 2004, Seite 94 49 38 Ralf Schnell, Die Literatur der Bundesrepublik: Autoren, Geschichte, Literaturbetrieb, Stuttgart: Klett 1986, Seite 145 50 39 Zitiert nach Stefan Eggert, Wolfgang Koeppen, Berlin: Edition Colloquium 1998, Seite 5 Bruno Apitz, Nackt unter Wölfen, Berlin: Aufbau 1996, Seite 192 64 Zu deutsch: „Süss und ehrenvoll ist es, fürs Vaterland zu sterben“ resp. „Die Toten verpflichten/binden die Lebenden“. 51 65 Ebd. Seite 26 66 Ebd. Seite 252 67 Ebd. Seite 96 40 52 Görtemaker Seite 432f. Zitiert nach Marcel Reich-Ranicki, Deutsche Literatur in West und Ost, München: DTV 1985, Seite 143 53 41 Ebd. Seite 55 Marcel Reich-Ranicki, Deutsche Literatur in West und Ost, München: DTV 1983, Seite 45 54 Günter und Hiltrud Hänztschel, Wolfgang Koeppen, Frankfurt: Suhrkamp 2006, Seiten 94ff 55 42 Wolfgang Emmerich, Kleine Literaturgeschichte der DDR, Seite 93 68 Heinrich Vormweg in: Dieter Lattmann in: Die Literatur der Bundesrepublik Deutschland, Seiten 217ff 43 Wolfgang Koeppen, Das Treibhaus, Seiten 62ff und 78f 44 Marcel Reich-Ranicki, Deutsche Literatur in West und Ost, Seite 139 Mario Frank, Walter Ulbricht, München: Siedler 2001 56 61 Lösungen zu den DDR-Flüsterwitzen Plakat: Monat der deutsch-sowjetischen Freundschaft. Kommentar: Okay, aber keine Minute länger. Ein Kunde fragt im Fleischerladen zuerst nach Rouladen, dann nach Schweinelende, dann nach Kalbsschnitzel. Immer ist die Antwort: Haben wir nicht. Wie der Kunde den Laden verlässt, da meint der Verkäufer: „Der Mann hat aber ein tolles Gedächtnis“ Zum Jahr des Elefanten beschliesst jedes Land, ein Buch zu publizieren. England veröffentlicht „Der Elefant und das Empire“, in Frankreich erscheint „Das Liebesleben der Elefanten“, die Sowjetunion bringt eine zwölfbändige Enzyklopädie heraus: „Die Rolle des Elefanten in den grossen proletarischen Revolutionen“. In der DDR erscheint eine schmale Broschüre: „Was wir von der Sowjetunion über den Elefanten lernen können“. Gleich nach dem 40. Jahrestag der DDR fährt Honecker mit einem Traktor kreuz und quer durch die DDR. Er sucht Anhänger. Margot Honecker trifft eine alte Freundin. „Ich bin ganz glücklich“, sagt sie mit roten Wangen, „ich habe eine Erstausgabe des „Kapitals“ für meinen Erich bekommen.“ - „Oh“, sagt die Freundin, „das ist aber ein guter Tausch“ Gipfeltreffen der Parteichefs. „Wie viele politische Gegner habt ihr bei euch in China?“ fragt Honecker. „Ich schätze so um die siebzehn Millionen“, antwortet Deng, „und bei 62 euch in der DDR?“ „Mehr werden es auch nicht sein“, meint Honecker. Russisches Roulette: Ein Revolver, den man sich an die Schläfe setzt und abdrückt, eine der sechs Kammern ist geladen. Französisches Roulette: Sechs Antibabypillen, eine ist ein Smarty. DDR-Roulette: Sechs erzählen einen politischen Witz, und keiner weiss, wer der Stasi-Spitzel ist. Auf einem internationalen Medizinerkongress werden Mandeloperationen durchgeführt. Die der Amerikaner dauert 20 Minuten, die der Franzosen 30 Minuten, die der DDR-Ärzte acht Stunden. „Sie müssen das verstehen“, räumen die Ärzte beschämt ein, „wir müssen rektal ran. Bei uns macht doch keiner den Mund auf“. Ein Flugzeug mit Gorbatschow, Jaruselski, Husak und Kadar stürzt ab. Keiner überlebt. Wer trauert am meisten? Die DDR-Bevölkerung, weil Honecker nicht dabei war. Ein DDR-Bürger will seinen Namen ändern lassen. „Wie heissen Sie?“ fragt der Beamte. „Erich Dummkopf.“ - „Da kann ich Sie verstehen. Wer möchte schon Erich heissen.“ Honecker verspricht der bekannten DDREiskunstläuferin Gabriele Seyfert einen Wunsch zu erfüllen. „Öffnen Sie für einen einzigen Tag die Berliner Mauer“, bittet sie. Darauf Honecker: „Du möchtest wohl mit mir allein sein“. Thatcher, Kohl, Honecker und Breschnew an einem Gipfeltreffen. Spät abends in der Bar reisst sich Breschnew das Hemd auf, zeigt seine behaarte Brust und meint stolz: „Das ist russische Taiga.“ Frau Thatcher möchte nicht zurückstehen, tut das Gleiche und sagt: „Und hier sehen Sie zwei gute englische Pfund.“ Kohl zieht die Hose runter, zeigt sein Hinterteil und meint: „Hier sehen Sie das geteilte Deutschland.“ Die andern staunen, denn niemand hat bisher gewusst, dass Deutschland so gross ist. Jetzt fühlt sich Honecker im Zugzwang, knöpft seine Hose auf und meint: „Und das hier ist der Schlagbaum, und der wird nie wieder hochgehen“ Gorbatschow will sich mit der VR China aussöhnen und bietet Deng die Erfüllung dreier Wünsche an. Deng wünscht sich 10‘000 Fahrräder, was Gorbatschow bewilligt. Auch Dengs Wunsch nach 10‘000 Radios wird erfüllt. Als drittes wünscht sich Deng 10‘000 Tonnen Reis. Gorbatschow schüttelt den Kopf: „Unmöglich, Genosse, Reis wächst nicht in der DDR“ Mitten in der Nacht klopft es an der Tür eines alten Mütterchens. „Wer ist da?“ fragt die Alter. „Der Tod“, tönt es dumpf.“ Gott sei Dank“, seufzt das Mütterchen, „ich dachte schon, es sei die Stasi“ Tagesordnung des Parteitages 1. Hereintragen der Politbüro-Mitglieder. 2. Synchronisation der Herzschrittmacher 3. Gemeinsames Lied: Wir sind die junge Garde. Impressum Herrausgeberin FHS St.Gallen Hochschule für Angewandte Wissenschaften Fachbereich Wirtschaft Kreuzbleicheweg 4 Postfach 70 CH-9013 St.Gallen Verfasser Prof. Dr. Peter Faesi Studiengangsleitung Prof. Thomas Metzger Gestaltung Carmen Ackermann Druck Schmid-Fehr AG Hauptstrasse 22-22a CH-9403 Goldach 63 FHS St. Gallen Hochschule für Angewandte Wissenschaften Fachbereich Wirtschaft Kreuzbleicheweg 4 Postfach 70 CH-9013 St.Gallen Tel. +41 71 274 36 40 Fax +41 71 226 36 46 wi@fhsg.ch www.fhsg.ch/betriebsoekonomie Mitglied der Fachhochschule Ostschweiz FHO www.fhsg.ch