Pubertät...! - Starke
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Pubertät...! - Starke
Pubertät...! »eine Zeit voller Turbulenzen« Hessische Fachstellen für Suchtprävention Zitate aus dem Forum von starke-eltern.de “Hilfe, Hilfe ..., was ist aus dem lieben Kind geworden..?” “...sie ist vollkommen verschlossen!” “...der Freundeskreis ist kein guter Umgang...” “...15 Jahre alt und völlig von der Rolle.” E “...ist nicht bereit, mit uns über seine Gefühle zu reden...” Tipps “...unglücklich verliebt...” “mein Kind wirkt depressiv...” “...endlose Gespräche, faule Kompromisse...” Beratung “...es kommt nur noch Kontra” Unterstützung “Wir haben wirklich alles probiert, nichts hat geholfen.” Experten: Lebenshilfe “...hat neuerdings so eigenartig rote Augen...” „... und nach der Scheidung hat sich unser Kind total verändert.” “...unser Sohn hat vor Erwachsenen null Respekt!” “... in der Schule eine einzige Katastrophe...” “...sie ist erst 12, steht ständig vor dem Spiegel, schminkt sich wie eine Erwachsene...” 2 | Zitate aus dem Forum von starke-eltern.de Inhalt 1 Vorwort 2 Vorpubertät den r Autoritätsfalle wer zu te ik nfl Ko n en W 3 rtät 4 Schule und Pube ütter ädchen und ihre M M e nd re ie rt be Pu 5 rfallen Schönheitswahn ve m de en ch äd M n 6 Wen erden Männer w n er nd Ki us A ät bert 7 Jungen in der Pu ur mit Gewalt 8 Starke Typen - N Dich 9 Papa wir brauchen peinlich werden 10 Wenn die Eltern ihre Peergroup d un he lic nd ge Ju 11 bei Teenagern 12 Wutausbrüche 13 Liebeskummer Verhütung 14 Aufklärung und fen hwips zum Komasau Sc n ne ei kl m Vo 15 ies 16 Qualmende Teen kifft 17 Hilfe, mein Kind Informationen 18 Weiterführende eln der Pubertät eg R e en ld go f El 19 20 Impressum t l a h n I Inh 5 7 9 11 14 17 18 21 23 25 28 31 34 36 38 41 43 45 46 47 In Inhalt Inhalt | 3 4| 1 Vorwort Liebe Leserin, lieber Leser, kennen Sie das: Mit 12 die erste Zigarette, nur noch blöde Sprüche und die Eltern sind sowieso ganz schrecklich! Gestern war die Welt noch in Ordnung, aber auf einmal scheint mit der Jugend alles außer Rand und Band geraten zu sein. Keine Entwicklungsphase polarisiert und erhitzt die Gemüter in den Familien mehr als die Pubertät. Das belegen auch die emotionsgeladenen Zitate auf Seite 2 aus dem Forum von „www. starke-eltern.de“ - Fragmente aus Forumsbeiträgen besorgter ratsuchender Mütter und Väter. Da dieses heikle Thema in den letzten Jahren im Forum auf sehr viel Resonanz stieß, haben wir uns entschlossen, die besten Fachartikel aus der Reihe „Pubertät“ in einer handlichen Broschüre als Nachschlagemedium für Eltern und alle an dem Thema Interessierten zusammenzufassen. Da die Reihe von verschiedenen Autoren entwickelt wurde, finden sich hier unterschiedliche Schreibstile und mitunter auch thematische Überschneidungen. Übrigens: Ein Besuch von „www.starkeeltern.de“ lohnt sich! Hier finden Sie weiterführende Themen, Interviews, Ratgeber und vieles mehr - nicht nur zum Thema Pubertät. In monatlicher Abfolge wird die Seite mit neuen interessanten Inhalten aktualisiert. Die vorliegende Broschüre wird herausgegeben von der AOK Die Gesundheitskasse in Hessen und der Hessischen Landesstelle für Suchtfragen (HLS) e.V., die gemeinsam mit den hessischen Fachstellen für Suchtprävention die Kooperationspartner des Webportals „starke-eltern.de“ bilden. Interessante Einblicke und Erkenntnisse beim Lesen wünscht Ihnen das Team von „www.starke-eltern.de“. Vorwort | 5 2 Vorpubertät ...aus Kindern werden Teenager Alles ist spannend und aufregend, aber auch ganz schön anstrengend. Eltern sind in dieser Zeit oft enttäuscht von ihren Sprösslingen, weil auf einmal nichts mehr rund läuft. Das muss nicht sein, wenn Sie sich klar machen, dass für den Heranwachsenden jetzt eine Zeit großer körperlicher und seelischer Veränderungen angebrochen ist, die nicht ohne Turbulenzen zu bewältigen ist. Es geht ums Erwachsenwerden und auch ums Ablösen von den Eltern auch wenn das manchmal weh tut. Beginn einer spannenden Zeit Für Heranwachsende ist die Vorpubertät eine Erregungsphase. Etwas Neues kommt, die Kindheit geht und ihnen ist nicht klar: Bin ich noch Kind oder schon Jugendliche/r? In ihrem erwachten Streben nach Unabhängigkeit versuchen sie langsam, sich von Gewohnheiten und Vorschriften zu lösen, denen sie sich bis jetzt gefügt haben. Viele reagieren nun sehr empfindlich auf Kritik und Tadel. Die Vorpubertät ist eine kritische Phase in der Entwicklung des Selbstwertgefühls. Es wird vor allem von jenen Erwachsenen bedroht, die den Jugendlichen nicht ernst nehmen, ihm zu wenig Verantwortung übertragen und seinem 6 | Vorpubertät Tau s en dm a l b er ühr t... un d plö tzli ch än der t sich der B li c k u n d da s E mpf in den f ür da s an der e G es chle ch t. Betätigungsdrang mit Misstrauen und Ablehnung begegnen. Das Bedürfnis nach einem Eigenleben wird größer, die Gruppe der Gleichaltrigen wird wichtiger, es gibt auf einmal Heimlichkeiten. Viele Heranwachsende zeigen in dieser Zeit einen Hang zum Tagträumen. In Fantasiewelten werden sie zum Helden oder verarbeiten damit Alltagssituationen, um sie zu verarbeiten. Das formale Denken wird in zunehmendem Maße leistungsfähig. Nun wird auch der Unterricht in Fächern möglich, die formales Denken voraussetzen, wie Grammatik, alte Sprachen, Mengenlehre und Algebra. Die Geschlechter grenzen sich in dieser Zeit sehr deutlich voneinander ab oder wollen oft sogar gar nichts miteinander zu tun haben. Dazu kommt, dass die Vorpubertät bei Mädchen meistens ein bis zwei Jahre früher einsetzt. Während Jungs noch mit Autos spielen, träumen die Mädchen schon von ihrem ersten Schwarm. Die Vorpubertät bei Mädchen Für Mädchen ist die Vorpubertät eine aufregende Phase mit einem stärkeren Bewegungs- und Rededrang und körperlicher Unruhe. Mädchen sind in dieser Zeit oft albern, kichern und tuscheln gerne. Zu Beginn haben sie meist ähnliche Interessen wie Jungen, lesen gerne und viel und mögen Abenteuergeschichten und Unternehmungen. Einige Monate vor der ersten Menstruation kommt es dann bei vielen zu einem plötzlichen Umschwung. Die Stimmung wird schwankend, oft leicht depressiv. Geselligkeitsbedürfnis wechselt mit dem Verlangen nach Einsamkeit, Anpassungsbereitschaft wechselt mit Auflehnung, Unternehmungslust mit Trägheit. Viele Mädchen zeigen nun ein launisches und zerfahrenes Wesen. Im Gegensatz zu den Jungen werden sie häufiger inaktiv, scheuen die Bewegung und schwänzen die Sportstunden. Sie ziehen sich gerne mit einer oder mehreren Freundinnen zurück, um stundenlang zu quatschen. Inhalt der Gespräche und der Tagträume sind häufig erotischer Natur. In dieser Zeit verknallen sich Mädchen oft heftig, sei es in den Nachbarsjungen oder in den Sänger einer beliebten Boygroup. Die kreischenden Mädchen bei Konzerten ihrer Lieblingsbands sind zu einem großen Teil noch in der Vorpubertät. Die auf die Bühne geworfenen Teddy-Bären sprechen Bände: Die schwärmenden Mädchen sind gerade erst dabei, die Kindheit zu verlassen. Das Kinderzimmer teilen sich dann Poster von coolen Rappern und knapp bekleideten Sängerinnen mit Plüschtieren und Spielzeug. Vielen Mädchen wird das eigene Aussehen jetzt sehr wichtig. Stundenlang stehen sie vor dem Spiegel und probieren neue „Looks“ aus und geben ihr Taschengeld für ihren ersten Lippenstift oder ihr erstes Parfüm aus. Gerne messen sie sich jetzt in Wettkämpfen. Jungen, die schwächer sind oder sich später entwickeln, haben es in dieser Zeit manchmal ziemlich schwer. Das Männerbild ist häufig recht eindimensional: Stark, cool und mutig. Noch ist die Persönlichkeit und das Selbstbewusstsein nicht gereift genug, um diesem Bild etwas entgegenzusetzen. Wer im Sport nicht punkten kann, versucht das an anderen Stellen wett zu machen und besonders fit am Computer oder ein toller Rockgitarrist zu werden. Andere bleiben lange Zeit konsequent kindlich oder ziehen sich zurück. Viele Jungen erleben jetzt eine große Freude an Sinneseindrücken. Mit einer unbändigen Lust machen sie mit allem Möglichen Geräusche und Krach, stehen auf Lichteffekte und Feuerchen, erfahren Hautgefühle intensiver und mögen sogar manchmal Schmerz, Schmutz und seltsame Gerüche. Die meisten Jungen sind richtig gute Esser und mögen oft Dinge, die ihnen früher nie geschmeckt haben. Auch die Abenteuerlust und Unfugbereitschaft steigt - da kommen manche Eltern ins Schwitzen, wenn der Sprössling auf den höchsten Baum klettert oder mit Volldampf auf dem Skateboard durch die Straßen düst. Viele zeigen eine große Wissbegierde und werden zum Sammler oder Spezialisten. Die Vorpubertät bei Jungen Jungs erfahren in der Vorpubertät eine deutliche Kraft- und Energiesteigerung. Sie könnten ständig in Bewegung sein, machen gerne Sport und finden es manchmal ziemlich schwer, in der Schule ruhig zu sitzen. Häufig ist auch eine gesteigerte Aggressivität zu beobachten, die sich in Raufereien, Streitereien und Provokation entlädt. Vorpubertät | 7 Gleicher unter Gleichen bereitschaft sind gefragt. Und so „cool“ sich Jungs nach außen geben, der eigene Stand in der Gruppe ist extrem wichtig. Alles, was das Prestige in der Gruppe herabsetzt, löst Zorn und heftiges Schamgefühl aus, alles, was Geltung verleiht, wird intensiv bejaht und betrieben. Gerade in der Vorpubertät kann es in Gruppen zu geradezu rauschhaften Erlebnissen bei gemeinsamen Kissenschlachten oder Abenteuerspielen kommen, die fast jeder Erwachsene als tolle Erinnerung aus dieser Zeit behält. In der Vorpubertät wird für Jungs die Gruppe besonders wichtig. Viele spannende Kinderbücher beschäftigen sich mit Gruppen aus dieser Entwicklungsphase, zum Beispiel Erich Kästners „Das fliegende Klassenzimmer“ oder die aktuellen „Wilden Kerle“. Auch Harry Potter und Freunde sind in den ersten Büchern Vorpubertierende. Die Gruppen haben oft einen eigenen Ehrenkodex oder eine Geheimsprache. Begeisterungsfähigkeit, Treue, Verschwiegenheit, Verlässlichkeit, Kameradschaftlichkeit, Mut und Einsatz- Elterntipps: Jetzt ist eine gute Zeit für Sport. Die meisten Jugendlichen haben nun einen besonders großen Bewegungsdrang und Spaß am Wettbewerb und an Gruppenaktivitäten. Beim Sport können sie sich auspowern und lernen, ihre Energie positiv einzusetzen. Fördern Sie auch andere Vorlieben und Hobbys. Vielleicht gibt es einen interessanten Verein oder andere Einrichtungen, in denen die Heranwachsen- 8 | Vorpubertät den ihre Interessen auch in einer Gruppe ausleben können. Stellen Sie genügend Zeit und Raum für Austausch zur Verfügung. Ihr Kind braucht Sie jetzt, auch wenn es öfter Meckereien und Heimlichkeiten gibt. Gerade die Auseinandersetzung ist wichtig. Die Kids brauchen das Gefühl, trotz ihres oft anstrengenden und widersprüchlichen Verhaltens geliebt zu werden und elterlichen Halt und Unterstützung zu haben. Machen Sie sich nicht lustig über Gefühle und Vorlieben, auch wenn sie Ihnen manchmal widersprüchlich oder albern vorkommen. Vorpubertierende sind hier besonders empfindlich. Jetzt ist eine wichtige Zeit für sexuelle Aufklärung. Bereiten Sie Mädchen auf die erste Menstruation und Jungen auf den ersten Samenerguss vor. 3 Wenn Konflikte zur Autoritätsfalle werden Solange Du die Füße unter meinen Tisch stellst...! Pubertierende Jugendliche können im Handumdrehen geltende Erziehungsregeln außer Kraft setzen. Was immer klar war, wird plötzlich ignoriert. Geltende Regeln werden einfach überschritten, das Veto der Eltern nur müde belächelt. Eltern fühlen sich in diesen Situationen oftmals einfach nur ohnmächtig und aus der letzten Not heraus wird in der Autoritätskiste gekramt und genau die Sprüche rezitiert, die noch von den eigenen Eltern in die Tiefen des Gedächtnisses gebrannt sind. Und wenn dann die Sprüche und Erziehungsmethoden aus der Steinzeit aus dem eigenen Mund rausgesprudelt sind, sitzt die Scham meist tief. Denn altbackenes Autoritätsverhalten ist out, und niemand möchte das partnerschaftliche und harmonische Verhältnis zu seinem Kind durch Härte und Unnachgiebigkeit aufs Spiel setzen. Für Eltern mit pubertierenden Kindern ist es wichtig, zu verstehen, warum immer wieder Konflikte auftreten. Pubertierende testen sich aus, wollen sich an der Welt und vor allem an ihren Eltern reiben. Der Schweizer Schrift- steller Hugo Weyermann schreibt dazu in seinem humorvollen Text „Vorsicht Pubertät!“ sehr treffend: „Der Sturm des pubertierenden Kindes ist das Diplom für seine Eltern.“ Trotz Revolte wird Nähe gesucht Die Ablösung von den Eltern, das Erwachsenwerden, fällt umso intensiver aus, je stärker die Bindung zu den Eltern ist. So unglaublich also die Gefühlswallungen eines Kindes sein mögen, Verzichten Sie auf autoritäre Wutausbrüche. Ihr Kind lernt den Umgang mit Konflikten und die Fähigkeit zu Streiten auch zu großen Teilen durch Ihr Vorbild. Wenn Konflikte zur Autoritätsfalle werden | 9 die Nähe Kinder suchen Pubertierende s und ern Verständni ihrer Eltern, ford Zeit. ese schwierige Rückhalt für di so unaufhaltsam seine ständige Suche nach Konflikten mit den Eltern ist, zeigt doch beides nur eines auf: Pubertierende Kinder suchen die Nähe ihrer Eltern, fordern Verständnis und Rückhalt für diese schwierige Zeit. Um den Stürmen der Pubertät erzieherisch sinn- und vertrauensvoll begegnen zu können, sollten Eltern versuchen, auf ungehaltene autoritäre Wutausbrüche zu verzichten. Denn Ihr Kind lernt den Umgang mit Konflikten und die Fähigkeit zu Streiten zu großen Teilen durch Ihr Vorbild. Dabei kann und muss Autorität stattfinden, dies jedoch in einem möglichst ruhigen und sachlichen Rahmen. Tipps, für den Fall, dass ein Konflikt anschwellt: Ruhe bewahren. Lassen Sie Ihr Kind in Ruhe aussprechen und seine Wünsche oder Forderungen formulieren, mögen sie auch noch so ungerechtfertigt sein. Nicht zurückschnauzen. Auch wenn es schwer fällt, versuchen Sie bei Beleidigungen ruhig zu bleiben. Anstatt zurück zu schießen, benennen Sie lieber Ihre Emotion: „Das verletzt mich! Auf diese Weise kommen wir nicht zueinander.“ Wiederholen Sie die Protestbekundungen Ihres Nachwuchses mit eigenen Worten. „Habe ich dich richtig verstanden? Du möchtest nicht, dass Papa im Garten seine roten Gummistiefel trägt, weil du das peinlich findest?“ Auf diese Weise wird den Jugendlichen oft schon klar, ob ihre Forderung passend oder einfach überflüssig ist. Richten Sie einen „Familienrat“ ein. Alle Familienmitglieder setzen sich an einen Tisch und das Problem wird gemeinsam erörtert. Der Reihe nach kann nun der persönliche Blickwinkel vorgetragen werden und gemeinsam nach einem Kompromiss gesucht werden. Der Familienrat oder Familientisch eignet sich auch bestens als festes Ritual. Lassen Sie sich bei klaren Grenzen nicht auf Diskussionen ein. Die Ausgehzeit für die Disco sollte in einem kurzen Satz erklärt werden. Dann ist Schluss. Wenn der Nachwuchs tobt, sollten Sie in keinem Fall nachgeben. 10 10 || Wenn Konflikte zur Autoritätsfalle werden Bei hysterischen Wutanfällen sachlich bleiben: „Ich kann verstehen, dass du wütend/sauer/traurig bist, aber so können wir nicht miteinander reden. Beruhige dich und dann sprechen wir uns wieder.“ In Entscheidungsfragen, z.B. über Ausgehzeiten oder Urlaubsfahrten, können Sie sich Bedenkzeit erbitten. So beugen Sie Kurzschlussreaktionen und einem vorschnellen „Nein“ vor und zeigen dennoch deutlich, wer die Entscheidungsgewalt hat. Schenken Sie ungeteilte Aufmerksamkeit. Der Fernseher wird ausgeschaltet, Geschwisterkinder dürfen sich nur nach Aufforderung einmischen. 4 Schule und Pubertät Hormone rauf - Noten runter... Das war mal wieder ein ereignisreicher Tag für die 14-jährige Laura: In der großen Pause heimlich eine Zigarette gepafft, auf dem Nachhauseweg dem Schwarm aus der 10b begegnet, nach dem Mittagessen lange im Internet gechattet, dann mit der Clique in der Stadt zum Eisessen getroffen, abends noch Fußballtraining und ein langes Telefonat mit der besten Freundin. Da war doch noch was? Eigentlich hätte Laura dringend für die nächste Mathearbeit lernen müssen. Aber darauf hatte sie einfach keinen Bock. Die Gruppe der Gleichaltrigen und der eigene soziale Status werden ungemein wichtig, die Beschäftigung mit dem eigenen Körper, seiner Entwicklung und seiner Attraktivität rücken in den Vordergrund und der so aufregende und manchmal auch anstrengende Kontakt mit dem anderen Geschlecht nimmt einen wichtigen Teil der Gedanken und Gefühle ein. Kein Wunder, dass kaum noch Platz und Interesse für die Schule bleibt und bei den meisten Pubertierenden die Schulnoten leiden. Turbulenzen in Kopf und Körper Was Eltern und Lehrkräfte aus Erfahrung wissen, haben Erziehungswissenschaftler der Universität Hamburg mit der so genannten Hamburger Lernen-Ausgangslage-Untersuchung (Lau 2003) bestätigt: In der Pubertät, also zwischen den Klassen sieben und neun, ist der Lernzuwachs der Schüler nicht der Rede wert. Über Jahre hinweg wurden die schulischen Leistungen in den Jahrgangsstufen sieben bis neun in den Fächern Englisch, Deutsch und Mathematik verglichen. Ergebnis: Vor allem die Schule und Pubertät | 11 Klassenbesten der siebten Klasse hatten bis zur neunten kaum etwas dazugelernt. Nur ganz mühsam glichen sich die Leistungen der schwachen an die der starken Schüler an. Klar ist, dass es den meisten Heranwachsenden viel weniger wichtig ist, Schulwissen aufzunehmen, als sich in ihrem eigenen Gedanken- und Gefühlskosmos zu tummeln. Was interessieren mich Matheformeln, wenn ich das erste Mal Hals über Kopf verliebt bin? Wie soll ich mich auf das Vokabellernen konzentrieren, wenn ich mich gerade heftig mit meinen Eltern gestritten habe? Wieso soll ich zu Hause sitzen und büffeln, wenn alle meine Freunde sich zum Computerspielen verabredet haben? Außerdem nehmen viele Teenager in ihrem Streben nach Autonomie Autoritäten gegenüber eine Protesthaltung ein. Sie wollen selbstbestimmt leben und entscheiden und sich ihre Werte nicht vorschreiben lassen. Viele wehren sich, bewusst oder unbewusst dagegen, in der Leistungsgesellschaft fraglos zu „funktionieren“ und den Anweisungen der Erwachsenen einfach zu gehorchen. Die schulische Krise belastet die Familien Für viele Eltern, die sich um die schulischen Leistungen und die berufliche 12 12 || Schule und Pubertät Zukunft ihres Kindes Sorgen machen, ist das Stress pur. Die Angst ist groß, dass die Jugendlichen sich durch ihr Desinteresse oder ihre Anti-Haltung einen guten Schulabschluss verbauen und das später einmal bitter bereuen. Das führt in Familien oft zu einem regelrechten Streit-Teufelskreis: Der Teenager lernt zu wenig und ist bockig, die Eltern machen sich Sorgen und reagieren mit Schimpfen, Druck und Strafen. Die Reaktion beim Teenager ist eine noch stärkere Verweigerungshaltung. So wird die Schule für manche Familien zur regelrechten Quälerei. Gerade Haupt- und Realschüler beenden die Schule mitten in den Pubertätsturbulenzen. In Gymnasien kann man beobachten, dass sich Oberstufenschüler meistens wieder „fangen“ und wieder besser auf den Lernstoff konzentrieren. Für einige ist aber vor allem in aufbauenden Fächern wie Mathematik und Fremdsprachen der Zug für gute Noten endgültig abgefahren. Schlafentzug Auch körperlich passiert in der Pubertät vieles, was das Lernen nicht gerade erleichtert. So wird das Schlafhormon Melatonin nur verzögert gebildet. Dadurch werden die Kids zu spät müde. Viele gehen erst nach Mitternacht ins Bett und können dennoch nicht einschlafen. Wenn morgens früh der Wecker klingelt, müssen sie dann unausgeschlafen zur Schule. Nicht nur der Körper, auch das Gehirn durchlebt in der Pubertät Wachstumsschübe. Das ist sehr energiezehrend und hat unter Umständen Gedankenchaos und Vergesslichkeit zur Folge. Obendrein führt der manchmal noch etwas unausgegorene Hormoncocktail im Blut zu Stimmungsschwankungen und Unausgeglichenheit. Dann sind die Jugendlichen mal gereizt, mal schlapp, dann wieder zappelig und albern. Schule trotz Pubertät: Wie kann das gelingen? Die Voraussetzungen für gute schulische Leistungen sind also in der Pubertät nicht besonders günstig. Hier ein paar Tipps und Gedankenanstöße, die Ihnen und Ihren Kindern helfen können, die Schule trotzdem zu meistern. Tipps, Ganz wichtig: Pochen Sie nicht nur auf die korrekte Erledigung der schulischen Aufgaben, sondern fördern Sie auch andere Interessen und Hobbys. Viele Jugendliche fühlen sich in einem Verein oder einer Gruppe wohl. Das können Sportverein, Pfadfinder oder Theaterkurs sein. Vielleicht spielt Ihr Kind gern Fußball, ist ein kleiner Computerexperte oder singt die Songs seines Lieblingssängers rauf und runter. Viele zeigen auch Engagement für gesellschaftliche Ziele, wie etwa den Umweltschutz, andere sind vielleicht tolle Babysitter. Solche mit Freude und Leidenschaft erlebten Tätigkeiten sind ein guter emotionaler Ausgleich und helfen, auch der Schule etwas abzugewinnen. Und Gruppenaktivitäten fördern die soziale Kompetenz. Mit Druck, Schimpfen und Strafen werden Sie wahrscheinlich wenig erreichen. Besser sind Lob und Ermutigung in schulischen Dingen. Auch wenn die Teenies noch so erwachsen tun oder trotzig sind: Über ein „Das hast du toll gemacht!“ freut sich jeder. Freuen Sie sich auch über kleine Erfolge. Nicht nur die gute Zensur ist wichtig, sondern auch eine Verbesserung in einem schwierigen Fach. Ermutigen Sie, wenn etwas schief gelaufen ist: Nächstes mal lernen wir zusammen. Jugendliche brauchen Aufmerksamkeit und Verständnis. Das heißt nicht Konflikte zu vermeiden. Aber mit Verständnis ist es leichter, auf die Kapriolen mit etwas mehr Gelassenheit zu reagieren. Viele Jugendliche wehren sich dagegen, Vorschriften und Forderungen zu folgen, die sie nicht einsehen. Versuchen Sie, im Gespräch zu erklären, warum es wichtig ist, in der Schule am Ball zu bleiben, auch wenn das für Sie selber sonnenklar ist. Sprechen Sie auch über Zukunftsperspektiven und Jobvorstellungen. Und: Bei vielen Teenagern bessern sich die Schulnoten nach den intensivsten Turbulenzen wieder von selber. Vereinbaren Sie mit dem Jugendlichen klare Zeiten, die für das Lernen gedacht sind. In der Zeit sollten Fernseher, Radio, Telefon, Handy und das Chat-Programm im Computer ausgeschaltet sein. Viele Jugendliche können sich nämlich gar nicht auf ihre Hausaufgaben konzentrieren, weil sie ständig abgelenkt werden. Überprüfen Sie einmal Ihre eigene Einstellung zum Thema Lernen: Ist das Lernen in Ihrem Kopf negativ besetzt und geben Sie das auch so weiter? Gegen den inneren Lernzwang begehren gerade Teenager auf. Überprüfen Sie einmal Ihre eigene Einstellung zum Thema Leistung: Wie wichtig nehmen Sie Leistung? Haben Sie selber Muße? Wie gehen Sie mit Misserfolgen um? Geben Sie den Leistungsdruck an Ihr Kind weiter? Pubertierende halten den Erwachsenen in ihrer Umgebung durch ihr Verhalten oft den Spiegel vor. Ist es wirklich erstrebenswert, etwas zu leisten? Kann man das Leben dann trotzdem noch genießen? Wenn die Noten bedenklich in den Keller rutschen, scheuen Sie sich nicht, Rat zu suchen. Das kann zum Beispiel beim Vertrauenslehrer oder bei der schulpsychologischen Beratung sein. Schule und Pubertät | 13 5 Pubertierende Mädchen und ihre Mütter Zwischen Diva, Zicke und Kindchenschema... Manche Mutter fühlt sich wie ein Dienstmädchen: Alle Vorzüge des ZuHause-Wohnens werden genossen, doch Mithilfe im Haushalt muss immer wieder erkämpft werden. Andere werden permanent kritisiert und naseweis von oben herab behandelt. Kein Wunder, dass „Mama“ da öfter mal der Kragen platzt. Aber es gibt auch viele schöne Momente: Wenn man mit der eigenen Tochter in der Stadt bummeln geht, über den neusten Kinofilm quatscht oder zusammen die Lieblingsserie guckt. Es ist schön, zu sehen, wie aus der Tochter eine eigenständige Persönlichkeit heranreift, mit ganz eigenen Interessen und Talenten. Mamas Kleine wird zur Frau Mit einer pubertierenden Tochter kann’s schon mal turbulent werden: Bei abgeschlossener Tür wird das Bad für Ewigkeiten okkupiert, Klassenarbeiten werden vergeigt oder seltsame Diäten ausprobiert. Da wird gemotzt und gekichert, getuschelt und geknutscht. Und manchmal verwandelt sich die streitsüchtige Diva auf einmal wieder in ein anlehnungsbedürftiges Kind. Na klar, wir wissen, dass bei Teenagern die Hormone verrückt spielen und das Gehirn bei all den Wachstums- und Entwicklungsschüben nicht immer ganz mitkommt. Aber all das als bloßen dich für mich!“ Konflikte und SchwierigHormonwirrwarr abzutun, wird der keiten zwischen Müttern und Töchtern Lebensphase nicht gerecht. Teenager in der Pubertät sind also ganz normal entwickeln durch viel Ausprobieren ihre und wichtig. Da heißt es: Nerven beeigene Persönlichkeit. Sie versuchen halten und möglichst klar und deutlich selbständig zu werden und zu entkommunizieren und handeln. scheiden: Was gefällt mir, was nicht? Und auf Mütter, die sich „aufopfern“, können die Mutter ist die Frau, eine der anderen Seite mit dieser Rolle mit der sich Töchter am das ehesten vergleichen und große Kontrolle ausüben: „Ich mache messen. Was gefällt mir doch alles nur für dich!“ an meiner Mutter, was nicht? Das kann unter Umständen weh tun. Die Mutter wird Und sich immer wieder vor Augen halherausgefordert: Wie kann ich mich mit ten: Ihre Tochter braucht Sie in dieser dir auseinandersetzen? Stehst du auch Phase, auch wenn sie mal nur „auf zu mir, wenn’s mal kracht? Wann sagst Widerstand gebürstet“ ist. „In gewisser du stopp? Mädchen möchten oft in Weise besteht die elterliche Funktion Ruhe gelassen werden, appellieren aber während der Pubertät darin, die Wut manchmal gleichzeitig durch erzeugende Widersprüchlichkeit des demonstratives Verhalten: „Interessier’ Heranwachsenden auszuhalten und durchzustehen“, der Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut Joachim Braun, Autor diverser Fachbücher zum Thema Pubertät. Und: „Je mehr sich Jugendliche in ihrer ganzen Widersprüchlichkeit von Wut, Zuneigung, Trauer und Abhängigkeit an ihren Eltern austoben und abarbeiten können, desto befreiter werden sie erwachsen.“ Mütter bekommen nach wie vor das größte „Pubertätspaket“ ab. Denn die Haupterziehungsarbeit liegt heute immer noch bei den Frauen. 14 | Pubertierende Mädchen und ihre Mütter Viele Väter entziehen sich zeitlich oder auch emotional. Für die Mütter ist dies dann besonders belastend. Hilfe, ich werde alt Kommt die Tochter in die Pubertät, wird vielen Müttern ihr eigenes Älterwerden schmerzlich bewusst. Die Tochter ist ein junges, frisches Mädchen, das nach und nach zur sexuell attraktiven Frau wird. Und in Zeiten, in denen suggeriert wird, dass es für Frauen unglaublich wichtig ist, jung, fit und attraktiv zu sein, kann diese Erkenntnis unter Umständen schwierig sein. „Die heutige Mutter fährt Extrem-Ski und legt sich abends eine Wolldecke über ihre arthritischen Knie“, so die Psychologin und Buchautorin Roswitha Stemmer-Beer. So passiert es, dass Mütter mit einem unbewussten Konkurrenzverhalten reagieren und ihren Töchtern das Leben schwerer machen, meist ohne das wirklich zu wollen. Verbote fallen zu streng aus, die Kritik am Aussehen ist barsch, der neue Freund wird überkritisch unter die Lupe genommen. Andere reagieren eher schwermütig und mit dem Gefühl, dass das Leben jetzt wohl „gelaufen“ ist. Das Älterwerden bedeutet ja auch, von den Kindern verlassen und nicht mehr gebraucht zu werden. Besonders brisant ist es, wenn Mütter mit pubertierenden Töchtern in den Wechseljahren sind, denn die Zahl der Spätgebärenden steigt. In Deutschland liegt der Anteil der Frauen, die mit 35 oder später Kinder bekommen bei zwölf Prozent. Viele Frauen haben während der Wechseljahre mit Stimmungsschwankungen und Gereiztheit zu kämpfen. Zusammen mit den krassen Stimmungslagen einer Pubertierenden kann so ein ziemlich explosives Gemisch entstehen. Pubertierende Mädchen und ihre Mütter | 15 Tipps für Mütter Versuchen Sie, Konflikte nicht zu vermeiden, sprechen Sie Probleme deutlich an. Frauen neigen dazu, in schwierigen Situationen nicht direkt zu agieren, sondern durch „Aktionen“, wie z.B. Liebesentzug, Verbote oder auch demonstratives Leiden zu zeigen, dass etwas nicht in Ordnung ist. Bleiben Sie bei einem Streit respektvoll. Zeigen Sie danach: „Ich habe Dich trotzdem lieb.“ Das gilt auch für Ihre Sorgen! Sprechen Sie Ihre Sorgen an, statt alles über Verbote oder die zur Schau gestellte Sorgenfalte zu regeln. Kinder müssen lernen, Verantwortung zu übernehmen. Mit dem Erwachsenwerden sollte auch die Verantwortung, z.B. für Aufgaben im Haushalt, für Haustiere, den Umgang mit Geld usw. steigen. Mütter machen sich oft selbst zu „Hausangestellten“, statt Mithilfe einzufordern. Stark sein bedeutet nicht, unnachgiebig sein. Vielleicht können Sie die halbe Stunde später nach Hause 16 | Pubertierende Mädchen und ihre Mütter kommen doch einmal erlauben. Vielleicht waren Sie im Streit tatsächlich ungerecht. Versuchen Sie, immer mehr Freiheiten zu geben, auch wenn das Loslassen schwer fällt. Mit Ihrem Kummer oder Ihren Sorgen darüber sollten Sie Ihre Tochter allerdings nicht belasten. Machen Sie Ihre Tochter nicht zur Verbündeten oder Problemberaterin. Es ist zwar schön, ein freundschaftliches Verhältnis mit seiner Tochter zu haben, aber es gibt Probleme, die lieber mit einer Freundin oder dem Partner besprochen werden sollten. Respektieren Sie den Wunsch nach Heimlichkeiten und immer mehr eigenem und eigenständigem Leben. Stellen Sie nicht immer Ihre eigenen Wünsche hintan, suchen Sie sich Ihre Freiräume. Frauen, die sich „aufopfern“, können mit dieser Rolle auch eine große Kontrolle ausüben: „Ich mache das doch alles nur für dich!“ Fordern Sie den Vater! Lassen Sie ihm aber auch die Chance und den Raum, an der Erziehung teilzuhaben. Wenn Sie nicht mehr klar kommen oder sich Sorgen machen, holen Sie sich Hilfe. Scheuen Sie sich nicht etwa bei auffälligem Essverhalten o. ä. die Hilfe Dritter, z.B. Psychologen oder Beratungsstellen in Anspruch zu nehmen. Ganz wichtig: Mädchen sollten über Schwangerschaftsverhütung und AidsPrävention Bescheid wissen. Wenn Sie sich das alleine nicht zutrauen, bekommen Sie Hilfe bei Frauenärzten oder Beratungsstellen, wie z.B. „pro familia“. Teenie-Mädchen brauchen ein starkes weibliches Gegenüber, das Stellung bezieht und dadurch Halt und Struktur gibt. 6 Wenn Mädchen dem Schönheitswahn verfallen Die Vorbilder heißen Beyoncè, Jennifer, Gwen und Giselle – schöne, erfolgreiche Frauen aus der Musik, Schauspiel- oder Modellszene mit atemberaubenden und perfekt inszenierten Körpern, ständig präsent auf den Covern weltweiter Zeitschriften. Schönheit wird verkauft als ein Garant für Glück, Anerkennung und Erfolg. Das perfekte Aussehen als Schlüssel zum Glück setzt Mädchen besonders in der Pubertät unter Druck. Im Vergleich mit den Schönheiten aus der Glitzerwelt beäugen sich junge Mädchen besonders kritisch: Bin ich zu dick für ein bauchfreies Top? Bin ich zu klein, um Modell zu werden? Habe ich zu viele Pickel, um schön zu wirken? Ein Vergleich, der nur hinken kann: Die Popsängerin verschlafen und ungekämmt am Morgen bekommt niemand zu Gesicht. Stundenlang werden sie frisiert, geschminkt und schließlich mit Bildbearbeitungstricks am Computer zur perfekten Schönheit getrimmt. Doch die Selbstwahrnehmung junger Mädchen in der Pubertät steht leider zu oft auf instabilen Beinen. Zweifel nagen: Da kann ich doch niemals mithalten! Und so stehen junge Mädchen vor dem Spiegel, finden ihre Hüften zu dick, ihren Busen zu klein, ihre Lippen zu schmal und ach überhaupt: Ich bin einfach zu hässlich für diese Welt. Kein Einzelfall: der Wunsch nach einer Schönheitsoperation Die Rollenvorbilder machen es vor: Vergrößerte Brüste, aufgespritzte Lippen, abgesaugtes Fett, nichts ist mehr unmöglich. Der Wunsch nach Veränderung via Skalpell wird nun auch verstärkt bei Teenagern laut. In den USA werden bereits 3 Prozent aller Schönheitsoperationen an Jugendlichen vollzogen, Tendenz steigend. Die Orientierung am heutigen Schönheitsideal ist nicht nur anstrengend, sondern auch gefährlich: Models mit einer Körpergröße von 1,80m wiegen 50 Kilo und fallen somit im BMI (Body Mass Index) gnadenlos in die Kategorie Untergewicht. Doch nicht nur Brigitte und Co., die Zeitungen für erwachsene Frauen, bewerben in jeder neuen Ausgabe neue, tolle Diäten mit großer Wirkung. Auch Teenagerzeitschriften geben Empfehlungen für 7 Pfund in 7 Tagen. Mädchen, die um jeden Preis versuchen, so dünn zu sein, wie ihre Vorbilder, laufen hochgradig Gefahr, essgestört zu werden. 60 Prozent aller weiblichen Jugendlichen haben bis zur Volljährigkeit mindestens eine Diät hinter sich. Die Milhofer Studie der Universität Bremen ergab im Jahr 2000 (www.milhoffer.uni-bremen.de): In unserer Gesellschaft besteht ein unphysiologisches Schönheitsideal. Bevorzugt wird ein sehr dünner, schlanker Körper, die übliche Modellkleidergröße beträgt 34 - 36, die Durchschnittskleidergröße liegt aber bei 40 - 42. Zusätzlich wird dieses Schönheitsideal, insbesondere durch die Werbung, mit den Attributen erfolgreich, begehrt, sexuell attraktiv, glücklich und gut gelaunt verbunden. Diese Werbung spricht gerade junge Mädchen an. Die ermittelten Werte der Studie sprechen eine klare Sprache: Mädchen haben viel häufiger als gleichaltrige Jungen ein negatives Körperselbstbild. Auch ihren Gesundheitszustand schätzen sie generell schlechter ein als Jungen. 63 Prozent der 13- bis 14-jährigen würden gerne besser aussehen, 56 Prozent wären gerne dünner. Fast zwei Drittel der 13- bis 14-jährigen quälen sich mit einem „Makel“ an ihrem Körper, über den sie nicht sprechen möchten: „Da gibt es etwas, was ich nicht sagen mag“. 17 Prozent der 11- bis 15-jährigen Mädchen haben Erfahrung mit Diäten mit dem Ziel, ihr Gewicht zu reduzieren. 8 Prozent der Mädchen mit objektiv zu geringem Gewicht halten sich für zu dick und machen eine Diät. Wenn Mädchen dem Schönheitswahn verfallen | 17 7 Jungen in der Pubertät - Aus Kindern werden Männer Auf in den Kampf Die männlichen Anpassungszwänge in der Clique, der Klasse oder im Sportverein sind oftmals besonders rigide und festigen ein starres Bild von Männlichkeit: Wer Schwäche oder Angst zeigt, etwas nicht kann oder keine Erfahrung mit Mädchen hat, läuft Gefahr, ausgelacht oder gar verachtet zu werden. Die Mädchen erwarten immer noch häufig, dass die Jungs beim „Anbaggern“ die Initiative ergreifen und „Erobern“. Das Bild vom Mann als Macher wird nach wie vor auch durch die Klischees in Medien und Werbung manifestiert. Und sicherlich sind Stärke, Durchsetzungskraft und Aktivität gute und übenswerte Eigenschaften für Jungen - aber eben nur eine Seite der Medaille. „Oft jedoch existiert neben der kämpferischen eine schutzbedürftige, Hilfe suchende Seite, die vernachlässigt wird oder geopfert werden muss, um ein bestimmtes Bild von Männlichkeit aufrechterhalten zu können“, schreibt Joachim Braun in seinem Buch „Jungen in der Pubertät“. Kein Mensch kann eben ständig als „Super-Macker“ durchs Leben gehen. Für Jungen ist es oft besonders schwierig, mit Gefühlen wie Unsicherheit und Schwäche gesund umzugehen, sie fürchten um den Verlust ihrer Männlichkeit. „Auffällig ist in der Tat“, schreibt Prof. Dr. Ulrike Schmauch von der Fachhochschule Frankfurt/ Main, „wie stark, wie früh und in wie vielen Variationen Jungen mit dieser Angst kämpfen, sie direkt ausdrücken oder auf vielfältige Weise abwehren.“ Es gibt zahlreiche Arten diese männliche Grundangst zu kompensieren: Aggressives Verhalten, Übergriffigkeit gegenüber Mädchen, Mobbing von Mitschülern, harte Kämpfe mit den Eltern usw. Andere reagieren eher mit Rückzug, depressivem Verhalten oder Flucht in Alkohol- oder Drogenkonsum. Die drei Phasen der Pubertät bei Jungen Zu Beginn der Vorpubertät (zwischen dem zehnten und dreizehnten Lebensjahr) sind Jungen häufig noch sehr verspielt, toben gerne lautstark herum und bleiben lieber unter ihresgleichen. Die Produktion des Hormons Testosteron 18 | Jungen in der Pubertät - Aus Kindern werden Männer steigt sprunghaft an, Schambehaarung, Samenzellen Hoden und Penis beginnen zu wachsen, der Körper wird größer und muskulöser, Barthaare sprießen und die Stimme wird tiefer. Oft werden die Jungs etwas schlaksig, einige bekommen Akne. Jetzt beginnen viele auch, sich von den Eltern zurückzuziehen und die Zimmer- und Badezimmertür abzuschließen. Die Heranwachsenden orientieren sich verstärkt an Gleichaltrigen und weniger an den Eltern, mit denen sie immer häufiger Konflikte suchen. Sie fangen an zu schwärmen, von der Liebe zu träumen und haben vielleicht schon erste Beziehungen, die allerdings noch nicht so stark sexuell geprägt sind. Mit dem ersten Samenerguss beginnt die Pubertät (etwa bis zum siebzehnten Lebensjahr). Jetzt hat der Testosteronspiegel seinen Höhepunkt erreicht, die körperlichen Veränderungen werden immer stärker, die Stimme bricht, die Prostataflüssigkeit enthält Spermien, der Junge ist geschlechtsreif. Die Heranwachsenden empfinden stärkeres sexuelles Verlangen, das sie gerne ausleben möchten. Viele fangen an, sich bei Mädchen auszuprobieren und machen erste sexuelle Erfahrungen, andere trauen sich noch nicht richtig an die Partnersuche. Das Interesse an Themen wie Verhütung, sexuelle Lust, Homo- und Heterosexualität, Sexualpraktiken usw. ist sehr groß. Fast alle Jungen dieses Alters masturbieren. Sie entwickeln langsam ein Bewusstsein als Mann, suchen nach Vorbildern und kümmern sich um ihre Attraktivität. Die Eltern treten immer mehr in den Hintergrund, der Wunsch nach Selbstbestimmung wird immer größer, häufig sind die Jugendlichen dann lieber mit Gleichaltrigen zusammen. In der Adoleszenz (etwa siebzehntes bis über das zwanzigste Lebensjahr hinaus) sind die körperlichen Veränderungen weitgehend abgeschlossen, dann geht es um das vollständige emotionale Erwachsenwerden und die Ablösung vom Elternhaus. Die jungen Männer bereiten sich darauf vor, auszuziehen, einen Beruf zu ergreifen und feste Partnerschaften einzugehen. Die Konflikte mit den Eltern werden meist weniger. Der Verlauf der Pubertät, also wann und in welcher Ausprägung sich die körperlichen und seelischen Veränderungen vollziehen, ist von Mensch zu Mensch sehr unterschiedlich. Von verfrühter Pubertät spricht man, wenn sich in einem Alter unter achteinhalb Jahren Schambehaarung und Peniswachstum zeigen, von verzögerter Pubertät, wenn dieses Wachstum sich mit 14 oder 15 Jahren noch nicht eingestellt hat. In beiden Fällen sollte man einen Arzt zu Rate ziehen, betroffene Jungen können unter Umständen durch ihre verzögerte oder frühe Entwicklung psychisch stark belastet sein. Wie gehe ich mit meinem pubertierenden Sohn um? Für Eltern eine Herausforderung: Besserwisser, frecher Lümmel, aggressiver Streithammel, vereinsamter Computerfreak, depressiver Grufti, die verschiedenen Rollen und Strategien, mit denen Sie konfrontiert werden können ratlos oder wütend machen. Die Angst davor, dass etwas mit dem Jungen schief läuft und er irgendwie verkorkst sein könnte, ist groß. Ganz besonders wichtig ist es, sich zu vergegenwärtigen, dass es für Jugendliche eine große Aufgabe ist, alle körperlichen und seelischen Veränderungen zu verarbeiten und in ihre Persönlichkeit zu integrieren. Der Körper entwickelt sich rapide, Verunsicherung macht sich breit, wie man sich auf dem neuen Gebiet der Sexualität verhalten soll. Fragen wie: Bin ich normal? Bin ich attraktiv? Wie stehe ich in der Gruppe? Was ist der Sinn des Lebens? Welchen Beruf soll ich ergreifen? beschäftigen den Teenager. Jungen in der Pubertät - Aus Kindern werden Männer | 19 Und mit den Eltern durchlebt er eine zweite Trotzphase, in der wiederum die Balance zwischen Ablösung und Selbstständigkeit und dem Wunsch nach Geliebtwerden und Geborgenheit im Vordergrund steht. Dass all dies zu großer Verwirrung und Gefühlschaos führen kann ist nachvollziehbar und macht es vielleicht leichter, Verständnis für einen pubertierenden Haustyrannen „Für Jungen ist es oft besonders schwierig, mit Gefühlen wie Unsicherheit und Schwäche gesund umzugehen, sie fürchten um den Verlust ihrer Männlichkeit.“ der Pubertät darin, die Wut erzeugende Widersprüchlichkeit des Heranwachsenden auszuhalten und durchzustehen. Je mehr sich Jugendliche in ihrer ganzen Widersprüchlichkeit von Wut, Zuneigung, Trauer und Abhängigkeit an ihren Eltern austoben und abarbeiten können, desto befreiter werden sie erwachsen. aufzubringen. In gewisser Weise besteht die elterliche Funktion während Tipps Respektieren Sie das Bedürfnis nach Alleinsein und Geheimnissen, das ist ein Teil des Ablösungsprozesses: Bereiten Sie Ihren Sohn auf die körperlichen Veränderungen, wie z.B. auf den ersten Samenerguss, vor. Jungen, die darüber informiert werden, erleben dieses Ereignis tendenziell positiver und mit weniger Unsicherheiten als solche, die nicht informiert sind. Lassen Sie Ihrem heranwachsenden Jungen immer mehr Freiheiten, versuchen Sie selber, die Jahre der Pubertät Ihres Sohnes als Ihren eigenen Lernprozess des Loslassens zu nutzen. Ihr Sohn sollte aber auch gleichzeitig immer mehr Verantwortung, z.B. für die Höhe der Handyrechnung oder für bestimmte Haushaltsaufgaben übernehmen. Jungs dürfen auch schwach, ängstlich und traurig sein. In der Familie sollten Tränen oder Schwäche bei Jungen nicht Tabu sein oder zu herablassenden Bemerkungen führen (Bist Du ein Mann oder eine Maus? Ein Indianer kennt keinen Schmerz! Heulsuse...). Stellen Sie Zeit für gemeinsame 20 | Jungen in der Pubertät - Aus Kindern werden Männer Unternehmungen und Gespräche zur Verfügung. Gerade Eltern, die sich vom trotzenden Pubertierenden abgelehnt fühlen, unterschätzen ihre Rolle als Vorbild, Ansprechpartner und Unterstützer für ihren Sohn. Verhütung und Aidsprävention ist auch für Jungen ein wichtiges Thema. Ein Junge, der Sexualität leben möchte, muss auch Verantwortung übernehmen und gut informiert sein. 8 Starke Typen - Nur mit Gewalt? Warum Jungen Machtkämpfe suchen? Der fünfzehnjährige Tobias kommt schon wieder mit einem blauen Auge nach Hause. Zum dritten Mal seit Beginn des Schuljahres. Tobias Mutter schimpft mit ihm und ist sauer: „Wie schaffst du das eigentlich immer?“ Tobias zuckt nur mit den Schultern: „Wenn Andreas mich ständig provoziert? Ich kann mir ja nicht alles gefallen lassen.“ Stärke zeigen, sich behaupten, Macht ausüben. Hierarchiekämpfe sind ein dominierendes Thema bei Jungen in der Pubertät. Wenn der eigene Körper wächst und sich entwickelt, irgendwo zwischen zarter Jungenweichheit und starker Männlichkeit steckt, ist der Vergleich mit anderen Jungen vorprogrammiert: Wer ist größer? Wer ist stärker? Wer kann am schnellsten laufen? Wer hat die coolsten Sprüche und die besten Strategien bei den Mädchen? „Lauter Maßstäbe, mit denen Jungs um Anerkennung kämpfen und die über ihren Rang entscheiden“, schreiben Brigitte Beil und Cornelia von Schelling in ihrem Buch „Das starke Buch für Jungs. Sex, Liebe, Freunde, Muskeln und Mode.“ Wer hier am besten abschneidet, „gilt als besonders männlich und macht das Rennen auf dem Schulhof und auf der Straße.“ Auch Tobias musste sich durchsetzen. Andreas hatte ihn vor Susanne, dem tollen Mädchen aus der Parallelklasse, „Milchtrinker“ genannt. Alle hatten gelacht und die Mädchen haben geflüstert. Und das nur, weil Tobias sich auf der letzten Klassenfete vom heimlich ausprobierten Whiskey übergeben hatte. Tobias schubste Andreas und schon war eine Rauferei in Gange, die ihm schließlich ein blaues Auge bescherte. chen das aus reiner Freude am Schlagen: In der Regel liegen die Gründe für Gewalteinsatz tiefer, nämlich in einem mangelnden Selbstbewusstsein: Die Suche nach Anerkennung durch Gewalt: „Schaut her, wie stark ich bin.“ Sich selbst größer machen. Jungen nutzen Gewalt, um von ihren Schwächen abzulenken. Warum benutzen Jungen Gewalt? Das Rangeln auf dem Schulhof, Raufereien im Kinderzimmer – diese kleinen Spielchen unter Jungen sind normal und gehören zur Entwicklung dazu. Doch es gehört schon etwas mehr dazu, dem Klassenkameraden einen Kinnhaken oder ein blaues Auge zu verpassen. Auch wenn Eltern, Lehrer oder Erzieher manchmal glauben, die Jungen ma- Starke Typen - Nur mit Gewalt? | 21 Stress abbauen – Streit zu Hause, Liebeskummer oder Neid auf Klassenkameraden. Jungen in der Pubertät leiden oft unter großem Frust – eine Prügelei entsteht dann schnell aus dem Affekt. Selbstschutz – Jungen, die Angst vor Angriffen haben und sich schützen wollen. Eine andere Sicht der Dinge lernen „Klar, Gewalt ist keine Lösung.“ – das weiß Tobias auch. Und dennoch wird er das Gefühl nicht los, dass er keine Wahl hatte. Tobias Mutter versteht die Welt ich ein toller Typ oder nicht?“ nicht mehr. „Lass dich doch nicht so Das Selbstbewusstsein pubertierender provozieren.“ rät sie. Jugendlichen gleicht dem unbestänSich nicht provozieren lassen – ein guter digen Aprilwetter. Schon ein kleiner Rat, der Erwachsenen einfach und sinnGegenwind kann reichen, um hart ervoll erscheint. Doch wie schwer ist die arbeitete Erkenntnisse wieder in Grund Umsetzung für eiWer kann am schnellsten laufen? Wer hat die nen Jugendlichen, coolsten Sprüche und die besten Strategien bei der noch nicht sicher und fest mit den Mädchen? beiden Beinen auf der Erde steht. Da ist die Schwärmerei und Boden zu stampfen. Jungen, die zu für ein Mädchen, das ständige BestreGewalt neigen und diese nutzen, um ihr ben danach „cool“ und interessant zu Ego wieder zu polieren, müssen deshalb wirken, die ewigen Vergleiche mit den lernen, brenzlige Situationen mit Jungs aus der Klasse und Clique und anderen Augen zu betrachten und dabei immer die nagenden Zweifel: „Bin ruhig zu bleiben. Tipps Vorbild sein! Eltern vermitteln ihren Kindern grundlegende Werte: Schlagen und Gewalt sind tabu. Sobald Eltern bemerken, dass aus einer harmlosen Rauferei unter Kindern wirkliche Aggression wird, muss eingeschritten werden. Mit Worten wehren: Bereits ab dem Kindergartenalter erleben Kinder nahezu täglich Situationen, die sie verletzen, traurig oder wütend machen. 22 | Starke Typen - Nur mit Gewalt? Kinder müssen lernen, sich in Gruppen zu bewegen, miteinander auszukommen und Konflikte selbständig zu lösen – ohne Gewalt. Eltern können helfen, in dem sie bei richtigem Verhalten loben. Sollte Ihr Kind ständig in Gewaltsituationen geraten - als Täter oder als Opfer - suchen Sie Hilfe: Sprechen Sie mit dem Klassenlehrer oder suchen Sie eine Erziehungsberatungsstelle auf. In fast jeder Stadt bieten Kinderschutzzentren (www. kinderschutz-zentren.org), der Deutsche Kinderschutzbund (www.dksb.de) oder städtische Jugendämter Beratungen an. Fragen Sie nach Jungengruppen, die von Pädagogen geleitet werden, und die Problematiken, aber auch die Perspektiven gemeinsam mit den Jungen aufarbeiten. 9 Papa, wir brauchen Dich Die Rolle des Vaters in der Pubertät... Die Pubertät der Kinder macht Vätern oft schmerzhaft deutlich, wie schnell die Zeit vergangen ist. Aus dem süßen Klein- und Schulkind ist ein Jugendlicher auf dem Weg in die Erwachsenenwelt geworden. Und obwohl sich heute dreiviertel aller Väter in der Erziehung der Kinder engagieren und viel Zeit mit den Kindern verbringen, ist dieser Entwicklungsschritt immer wieder eine schwierige Phase. Besonders Väter, die stark in den Beruf eingebunden sind, erleben nun, dass sie doch einiges verpasst haben. Viele wichtige Fragen klären Söhne und Töchter lieber mit der Mutter, seien es die Fragen über die sexuelle und körperliche Entwicklung oder die Ängste und Unsicherheiten gegenüber der Zukunft. So haben viele Väter das Gefühl, außen vorzustehen, keinen Einfluss mehr zu haben, irgendwie „überflüssig“ zu sein. Doch genau das Gegenteil ist der Fall: Väter sind in der Pubertät ganz wichtig. Sie geben den Kindern Halt und Orientierung, schenken durch Vertrauen und Zuneigung Selbstbewusstsein und ein gutes Gefühl. Doch dann und wann müssen sie auch als Reibungsfläche herhalten, Machtspiele ausfechten und die eigene Autorität in Frage stellen lassen. Keine einfache, aber eine sehr wichtige Zeit. Vertrauen und Respekt Die sexuelle und körperliche Entwicklung während der Pubertät ist für die Jugendlichen eine aufregende, spannende, aber auch unsichere Zeit. Sie brauchen nun positive Vorbilder durch Mutter und Vater, um ein gutes, eigenes Selbstbild zur sexuellen Identifikation aufbauen zu können. Für Väter bedeutet das: loslassen lernen. Die Annahme der sexuellen Entwicklung des eigenen Kindes symbolisiert auch Abschied nehmen von der Kindheit. Aus dem verschmusten Kind wird eine erwachsene Frau, ein erwachsener Mann. Für diesen Weg brauchen die Jugendlichen nun Vertrauen und Respekt. Mädchen wünschen sich in dieser Zeit, vom Vater in ihrer Weiblichkeit wahrgenommen zu werden: Ein nettes Kompliment zum neuen Outfit kann hier wahre Wunder bewirken, die Tochter fühlt sich angenommen und akzeptiert – eine Wohltat für das labile Selbstbewusstsein Pubertierender. Denn: Der Vater steht für die männliche Welt. Nimmt er die Tochter positiv wahr, entsteht ein bestärkendes Signal: Ich bin in Ordnung, meine Entwicklung ist in Ordnung. Zeigen Sie Interesse an Hobbies, Freunden und auch der Kleidung. Ein Vater, der gemeinsam mit seiner Tochter shoppen geht und sich hier aufgeschlossen zeigt, wird großes Vertrauen und Glück ernten. Respektieren Sie die Rückzugsphasen Ihres Kindes: Klopfen Sie an die Zimmertür, bevor Sie eintreten, ermöglichen Papa, wir brauchen Dich | 23 Sie ungestörte Telefonate mit Freunden, überwachen Sie nicht den Discobesuch Ihres Kindes durch vorzeitige Präsenz. Üben Sie Toleranz: Laute Musik, seltsame Modeerscheinungen, verrückte Freunde – bleiben Sie gelassen und erinnern Sie sich: Wie haben Sie sich in Ihrer Pubertät verhalten? Waren Ihre Eltern immer glücklich mit Ihrer Entwicklung? Zeit für Gespräche Dem Vater vom ersten Kuss erzählen? als Väter müssen auch en, alt rh he Reibungsfläche d die un n te ch Machtspiele ausfe eigene Autortät sen. in Frage stellen las Vom ersten Alkoholrausch oder der Angst vorm ersten Mal? Besonders Mädchen trauen sich oft nicht, mit dem Vater intime Details auszutauschen. Sie haben Angst vor Ablehnung, vor Verboten und davor, nicht ernst genommen zu werden. Tatsächlich ist es für Väter häufig schwer zu akzeptieren, dass die Tochter nun von einem fremden, jungen Mann angefasst wird. Viele Ängste sind damit verbunden: Ist der Freund auch gut genug für meine Tochter? Wird sie vielleicht nur ausgenutzt? Eine vertrauensvolle Basis zum Vater ist für Jugendliche eine wichtige Grundlage: Der starke Rückhalt schafft Selbstsicherheit und Selbstbewusstsein. Doch eine gute Vater-Kind Beziehung in der Pubertät ist nicht von heute auf morgen zu erreichen. Schenken Sie Ihrem Nachwuchs Schritt für Schritt Vertrauen. Tipps für Väter Planen Sie gemeinsame Unternehmungen. Wozu hat Ihr Sohn oder Ihre Tochter Lust? Was könnten Sie zu zweit regelmäßig unternehmen? Lassen Sie Ihr Kind ausreden, hören Sie aufmerksam zu. Anstatt sofort mit Ratschlägen zu belehren, versuchen Sie einfach, sich in die Lage Ihres Kindes zu versetzen: „Ich verstehe, du machst dir also Sorgen, weil…“. Versuchen Sie, Lösungen gemeinsam zu finden: „Was schwebt dir vor? Hast du eine 24 24 || Papa, wir brauchen Dich Idee? Mir fällt Folgendes dazu ein…“. Ihr Kind hat Mist gebaut und Sie könnten sich nun fürchterlich aufregen. Zeigen Sie Ihrem Kind ruhig, dass Sie sauer sind, aber verlegen Sie das klärende Gespräch auf einen Zeitpunkt, an dem Sie sich wieder beruhigt haben. Zeigen Sie Ihrem Kind, dass auch Sie nicht erwachsen auf die Welt gekommen sind. Geschichten über die Jugend des Vaters zeigen Ihrem Kind, dass auch Sie nicht fehler- und angstfrei durch die Pubertät gegangen sind. Sparen Sie nicht mit Lob und Anerkennung. Zeigen Sie Ihrem Kind, dass Sie stolz sind über die Leistungen in der Schule, über seine Entwicklung und überhaupt: Wann haben Sie das letzte Mal zu Ihrem Kind gesagt: Ich liebe dich? 10 Wenn Eltern peinlich werden Egal wie oder was, alles ist uncool... Stöhnen, verdrehte Augen und ein vorwurfsvoller Blick – wenn die Kinder sich plötzlich für die Eltern schämen, wissen die oft gar nicht, was eigentlich los ist. Doch nehmen Sie es nicht persönlich! Das Schämen für die eigenen Eltern gehört zum Erwachsen werden dazu. „Oh Mann, Mama!“ stöhnt der 15-jährige Matthis, verdreht die Augen und schaut seine Mutter Anke vorwurfsvoll an. „Das ist so peinlich!“ Anke stutzt. „Ich hab dir doch nur die Jacke zu gemacht?!“ Das hätte sie besser bleiben lassen sollen, vor allem vor Matthis Freunden. Während Matthis rot anläuft, schütteln die voller Mitgefühl für ihren Freund den Kopf... Und über allem schwebt die unsichtbare Anklage: „Immer diese Mütter!“ Peinlichkeiten gibt es in der Teenagerzeit viele. Die selbst gebackenen Kekse in der Schulbrotdose (die völlig uncool sind), die Jungsunterhosen auf der Wäscheleine im Garten (wo sie ALLE Nachbarn sehen können), die Sommerschlappen vom Vater (die ja so was von altbacken sind), der alte Golf der Mutter (mit dem sie am besten beim Abholen an der 500m abgelegenen Kreuzung hält)... Eltern haben in der Pubertät ihrer Sprösslinge kaum eine Chance alles richtig zu machen. Irgendwas ist immer peinlich und vollkommen daneben. Doch für die Eltern kommt das ablehnende Verhalten meistens ziemlich überraschend. Eben noch schien alles gut und jetzt soll man am besten zehn Meter Abstand halten, sich mal ganz spontan in Luft auflösen. „Geht’s noch?“ fragen viele Eltern sich nun und sind auch ein bisschen verletzt. Sind wir plötzlich nicht mehr gut genug? Warum Eltern manchmal peinlich sind! Auch kleinere Kinder kritisieren dann und wann mal ihre Eltern. Wenn der Rock der Mama zu kurz ist oder der Papa zu laut lacht, will auch so mancher 6- bis 12-jährige Knirps den Eltern gern mal einen Riegel vorschieben. Denn: Kinder in diesem Alter wollen nur ungern aus der Reihe tanzen, passen sich in ihren Werten und Normen sehr dem Freundeskreis an. Sind die Eltern der Freunde z.B. eher konservativ, können die eigenen „Hippie“-Eltern für einen 10-Jährigen sehr belastend sein. „Auch wenn‘s schwer fällt..., Gelassenheit ist jetzt das oberste Gebot!“ Wenn Eltern peinlich werden | 25 Denn: Der Wunsch nach Zugehörigkeit werden. Diese Ablehnung der elterliund Zustimmung durch die Freunde ist chen Ordnung ist Teil der Pubertät und in manchen Momenten einfach größer, zeigt Ihnen, dass Sie wichtig sind. Denn als das Wissen, dass die Eltern auch so in der Opposition und Diskussion, dem wie sie sind ganz toll sind. In-Frage-Stellen der Lebenskonzepte Die Jugendlichen lösen sich von den oder Lebensstile, findet auch die eigene Eltern ab, wollen eigene Wege gehen Entwicklung statt. und erwachsen werden. Ein schwieriger Prozess, der selbst in harmonischen Was Eltern tun können... Familien für Anstrengungen sorgen kann. Das Karussell der Peinlichkeiten Eltern müssen lernen, diese neu gesetzdreht sich jetzt unberechenbar. Und so ten Grenzen ihres Kindes zu erkennen tapsen viele Eltern von einem Fettnapf und zu akzeptieren. Kompromisse und in den nächsten. Ohne Anklopfen ins Regeln müssen her, damit sich beide Zimmer gehen, beim Internet surfen Parteien wohl fühlen und sich nicht über die Schulter schauen, der neuen Freundin neugierige Fragen stellen – das ständig gegenseitig auf die Füße treten. Auch wenn es manchmal schwer fällt: alles kann den Kids plötzlich peinlich Gelassenheit ist jetzt das oberste Gebot. sein. Viele Gesten, und sind es auch Versuchen Sie zu verstehen, warum noch so kleine Gesten, empfinden die Ihrem Kind bestimmte Teenager nun als Verhaltensweisen peinlich übergriffig. Sie „Auf Abstand zu de n El te rn sind. Fragen Sie nach, anfühlen sich nicht gehen, erhöht de n ei ge ne statt sich beleidigt zurückernst genommen, n „Coolness-Fakt or zuziehen. Viele Wünsche betrachten das “! Ihres Kindes sind bei geVerhalten der Eltern nauer Betrachtung sicher als unpassend. gut nachzuvollziehen: Das Anklopfen Auch das Leben der Eltern wird nun an der Kinderzimmertür, der Verzicht genau unter die Lupe genommen. Wenn auf Kakao und Kekse, wenn die Kumpels die Mutter Kochshows guckt, der Vater da sind oder die Bitte, beim Abholen Rasen mäht, der Besuch im Kegelclub auf dem Schulhof nicht einen dicken oder der Wanderurlaub zu Ostern Knutscher auf die Backe zu drücken. Ihr ansteht – wundern Sie sich nicht, Kind möchte erwachsen werden und wenn Ihre Interessen und Gewohnheiten plötzlich als „absolut peinlich“ deklariert dazu gehört auch ein stimmiges Umfeld. 26 26 || Wenn Eltern peinlich werden Alles, was bemuttert, betüdelt und verhätschelt ist definitiv „out“. Loslassen lautet nun die Devise und das fällt vielen Eltern und vor allem Müttern schwer. Denn auch wenn der Sohnemann schon 14 Jahre ist, irgendwie ist er ja doch noch „der Kleine“. Aus Elternsicht verständlich, aus Kindersicht einfach „peinlich“. Wann Eltern Grenzen setzen müssen Ist die Beziehung so schwierig, dass scheinbar alles was Sie tun, zur Peinlichkeit wird, ist Vorsicht geboten. Hier stimmt was nicht! Eltern dürfen nicht zum Spielball pubertären Anspruchsdenkens werden. Wenn Ihr Kind sich weigert, mit Ihnen gemeinsam durch die Stadt zu bummeln und das auch klar mit den Worten zugibt: „Ihr seid mir einfach zu peinlich“, sollten Eltern das nicht einfach so hinnehmen. Setzen Sie sich mit Ihrem Kind an einen Tisch, erklären Sie Ihre Gefühle. So eine starke Ablehnung verletzt und muss geklärt werden. Oft sind die Ursachen solcher Differenzen ziemlich banal. Die Kids finden wahrscheinlich Ihre Kleidung oder Frisur total daneben und suchen schlicht und ergreifend Abstand, um dadurch den eigenen Coolness-Faktor nicht zu gefährden. alles gut „Eben noch schien sich am und jetzt soll man ontan in besten mal ganz sp Luft auflösen.” Sie werden schnell feststellen, dass es eigentlich nicht um Sie selbst geht, sondern nur um reine Äußerlichkeiten. Doch zum Erwachsen werden gehört Toleranz. Und zwar von beiden Seiten. Genauso wie Sie Ihr Kind in seiner „Andersartigkeit“ akzeptieren, sollte auch Ihr Kind Sie so leben und sein lassen können wie Sie sind. Sie können nur gewinnen! Vielleicht schenken Ihnen Ihre Kinder wirklich neue Impulse und den ersten Schritt für eine positive Veränderung. Vielleicht verbringen Sie auch einfach nur eine tolle Zeit zusammen. Beides tut gut und zeigt Ihren Kindern: Mama und Papa sind in Wirklichkeit ziemlich cool! Peinlichkeiten zwischen den Generationen Kaum zu glauben, aber die Revolte des Nachwuchses hat auch ihre guten Seiten. Während kleinere Kinder die Eltern noch überwiegend bedingungslos annehmen, schauen die größeren auch gerne und oft hinter die Kulisse. Das tut manchmal weh, kann aber auch ein wichtiger Motor für die gemeinsame Beziehung sein. Denn: Erst durch den vorgehaltenen Spiegel können Eltern Dinge erkennen, die vielleicht wirklich mal überdacht werden sollten. Wenn die modebegeisterte Tochter die Mutter gerne mal neu stylen möchte, der Sohn sich vom Vater intensivere Gespräche wünscht, sollten Eltern offen sein und sich nicht der Chance entziehen auf die Wünsche der Kids einzugehen. Wenn Eltern peinlich werden | 27 11 Jugendliche und ihre »Peer-Group« Welchen Einfluss haben die Freunde? Auf einmal haben Eltern das Gefühl, kaum noch etwas vom eigenen Kind mitzubekommen. Gemeinsame Aktivitäten werden so schnell wie möglich „erledigt“, stattdessen verziehen sich die Heranwachsenden stundenlang mit den besten Freunden im Zimmer, sitzen ewig vorm Computer um zu „chatten“ oder können es kaum abwarten, die Kumpels in der Stadt zu treffen. Die Freunde, die Clique, die Klassenkameraden, der Verein – eben die so genannte PeerGroup – gewinnen für Kinder, wenn sie in die Pubertät kommen, stark an Bedeutung. Der aus der amerikanischen Soziologie stammende Begriff bedeutet so viel wie: „Gruppe von Gleichaltrigen“ oder „Gruppe von Gleichgestellten“. Diese Gruppe übernimmt für Jugendliche eine wichtige Sozialisationsfunktion: Hier können sie sich unter ihresgleichen ausprobieren und austauschen, Erfahrungen sammeln und ihre Persönlichkeit entdecken. Nach und nach emanzipieren sie sich von den Eltern, um ihr Leben selbständig zu entfalten. In der Peer-Group finden sie ihren eigenen Platz unter Gleichberechtigten und sind nicht mehr Teil einer Familienhierarchie. Haben die Eltern nach wie vor bei Themen wie Religiosität, Zukunftsplanung, Schule und Berufsausbildung den größten Einfluss, 28 | Jugendliche und Ihre »Peer-Group« orientieren sich Jugendliche in punkto Lebensstil, Mode und Freizeitgestaltung eher an Gleichaltrigen. Die Peer-Group: Gute Seiten – schlechte Seiten Je älter ein Kind wird, desto wichtiger werden die „peers“. Einen ersten Entwicklungsschub erkennen viele Eltern nach der Einschulung: Freundinnen und Freunde, Verabredungen und die eigene Position in der Gruppe beschäftigen die Kinder dann deutlich mehr als vorher. Beim Eintritt in die Pubertät wird die Peer-Group dann noch viel wichtiger. Jugendliche bauen sich ihre ganz eigenen Subkulturen und Grüppchen mit der dazu gehörigen Musik, bestimmten Ritualen, eigenen Ausdrücken und eigener Mode. Dem Hip-Hop-Fan fällt die Hose fast herunter, wenn er zu RapMusik tanzt, während sich ein anderer in der Gemeinde engagiert und zum Kirchentag fährt. Das Teenie-Universum ist bunt und breitet sich zwischen Provokation und Anpassung, Konsumkritik und hemmungslosem Kapitalismus, Engagement und Interesselosigkeit aus. Und alle bereiten sich irgendwie auf das Erwachsensein vor. In einer gemein- samen Peer-Group zu sein ist ein verbindendes Gefühl, man versteht sich, interessiert sich für die gleichen Dinge, kann Geheimnisse und Sehnsüchte teilen, die die Erwachsenen vielleicht gar nicht nachvollziehen können. Viele Teenager entdecken hier ihre Leidenschaften und Hobbys. Sie sind kreativ, musizieren oder tanzen, werden zu Leseratten oder Cineasten, Computerspezialisten oder Sportfans. Soziale Fähigkeiten werden geschult und manchmal Freunde fürs Leben gefunden. Doch die Gruppenzugehörigkeit bringt auch ganz eigene Spannungen mit sich: Einerseits ist der Wunsch nach der ganz eigenen Identität da, andererseits verlieren sich gerade Jugendliche schnell in den Vorgaben und Uniformierungen ihrer Gruppe. Dann engt der Gruppenzwang die persönliche Freiheit unter Umständen massiv ein. Um beliebt zu sein und dazu zu gehören stellen Teenager zum Teil eigenartige Dinge an. Schwierig wird es, wenn damit eine Gefährdung der eigenen Person oder anderer einhergeht. Wenn z.B. Drogen oder zu viel Alkohol konsumiert werden oder Essstörungen auftreten. Die Gruppe bringt für Jugendliche nicht unbedingt nur Freundschaft und Zugehörigkeit, sondern auch die Kehrseiten wie Ausgrenzung, Einsamkeit und Enttäuschung. Hier ist es an den Eltern, sensibel mit den Schwierigkeiten um- zugehen und abzuwägen, wie viel Hilfe nötig ist. Die „falschen Freunde“ Mit der Kultur und Subkultur von Teenagern gelassen umzugehen ist nicht immer einfach, zu nah lauern die Gefahren. Meist sind diese „Phasen“ aber relativ harmlos. Für viele Jugendliche ist es wichtig, extreme Rollen auszuprobieren und sich deutlich von den „doofen“ Erwachsenen abzugrenzen. Verhalten und Aussehen sollen provozieren und Aufsehen erregen und den Rahmen der Konventionen sprengen. Schwierig wird es, wenn die schulischen Leistungen leiden oder die Jugendlichen sogar erwägen, die Schul- oder Berufsausbildung abzubrechen, weil sie nicht zu den Freunden „passt“. „Alle Freunde gehen nach der zehnten Klasse ab, wieso soll ich dann mein Abi machen?“ „Ich hab keinen Bock zu lernen, ich will lieber mit den Freunden abhängen!“ Und was tun, wenn mein Kind plötzlich mit Jugendliche und Ihre »Peer-Group | 29 fragwürdigen Parolen ankommt? Gerade rechtsextreme Parteien machen sich das Bedürfnis der Jugendlichen nach geborgenheits- und zugehörigkeitsstiftenden Peer-Groups zunutze. Auch Drogen- und Alkoholmissbrauch kann aus Gruppenzwang und Gruppenverhalten heraus entstehen. „Wenn meine Clique am Wochenende loszieht, dann sind wir nachher alle besoffen.“ Auch, wenn eine Gruppe zur Gang wird, die z.B. randaliert oder gemeinsam klaut, ist eine Grenze deutlich überschritten. Ist die Beziehung zu den Eltern gestört, dann haben PeerGroups einen noch viel größeren Einfluss auf die Jugendlichen. Im günstigen Fall können die Gruppen die Jugendlichen auffangen und ihnen Halt und Richtung geben. Doch häufig gelangen gerade junge Leute aus schwierigen Verhältnissen an die falschen Gruppen. Schließen sich junge Leute z.B. Gangs oder Drogenkreisen an, kann das häufig wie eine Art Hilferuf verstanden werden. Jugendliche suchen Beachtung und Verständnis, manchmal auch durch drastische Mittel. Tipps Auch wenn Teenager es häufig kaum noch einfordern: Stellen Sie Zeit und Raum für Gespräche zur Verfügung, z.B. beim gemeinsamen regelmäßigen Essen. Der Einfluss und die Meinung der Erwachsenen kann ein wichtiges Regulativ zur „PeerGroup“ sein, in der es häufig auch belastende Gruppenzwänge und Hierarchien gibt. Bloßes Schimpfen und Verbote helfen meist wenig und regen den Trotz der Teenies an. Wichtig ist bei allen gesetzten Grenzen und klaren Regeln sich als Eltern einen diplomatisch geschickten „Verhandlungsspielraum“ offen zu halten. 30 | Jugendliche und Ihre »Peer-Group« Respektieren Sie die Wahl der Freunde! Jugendliche haben das Recht, sich ihre Freunde selbst auszusuchen. Es reicht nicht aus, wenn Ihnen die Familie oder die Kleidung eines Freundes nicht passt. Wenn Sie Schwierigkeiten mit den Freunden haben, versuchen Sie mit ihrem Kind darüber im Dialog zu bleiben, Besuchsverbote fördern Heimlichkeiten. Lassen Sie nach und nach los. Auch wenn es schwer fällt - die Jugendlichen „üben“ das Selbstständig sein und das vollständige Abnabeln mit ihren Freunden. Wenn Sie sich wieder über Klei- dung, Musik und Freunde Ihres Kindes aufregen – worum geht es? Wie wichtig ist es für Sie, „was die anderen Leute denken“? Erinnern Sie sich einmal zurück: Wie war es in Ihrer Pubertät? In welche Gruppen haben Sie sich eingeordnet und wie sind Ihre Eltern damit umgegangen? Bei Sorgen wegen Drogen, Alkohol, Kriminalität usw.: Suchen Sie eine Beratungsstelle auf (z.B. www.hls-online.org). Hilfe bekommen Sie auch von Kinder - und Jugendärzten (www. kinderaerzte-im-netz.de) oder dem Vertrauenslehrer an der Schule. 12 Wutausbrüche bei Teenagern Eltern als Abfalleimer (Über-)Lebenstraining und Selbstverteidigung Die Trotzphasen der Kleinkindzeit sind längst in der Erinnerung verblasst. Eltern wähnen sich in Sicherheit und glauben, dass die schlimmsten Kämpfe ausgestanden sind. Doch Pustekuchen! Mit Beginn der Pubertät kommt wieder frischer Wind in die Kriegsmühlen familiärer Empfindlichkeiten. Eben noch total süß, jetzt schon wild am Schimpfen, Toben, Kreischen. Wenn Teenager wütend werden, beben die Gläser in den Schränken. Und so manche Mutter glaubt, im eigenen Kind die Reinkarnation von Rumpelstilzchen zu erleben. Da locker zu bleiben, fällt selbst den coolsten Eltern schwer. Wir verraten Ihnen, was jetzt hilft! Kopfgewitter und Neuronenwirrwarr Es war doch nur eine klitzekleine Kleinigkeit, glauben Sie!? Für den Nachwuchs reicht es, um von einer Sekunde auf die andere komplett auszurasten. Das wirkt oft leicht verrückt. Ist es auch. Denn: Während der Pubertät sterben ganz viele Neuronen im Gehirn ab, neue Nervenverbindungen und Verknüpfungen müssen erst aufgebaut werden. Auf diese Weise springen tatsächlich öfter mal Sicherungen im Kopf raus. Es blitzt und donnert zwischen den Gehirnhälften und die armen Teenager können fast gar nichts tun, außer ihren Emotionen hilflos nachzugehen, die kommen und gehen, sie überfluten und überfordern. Studien beweisen das: US-Forschern der San Diego State University zeigten Kindern verschiedener Altersklassen Portraits von Menschen, deren Gesichtsausdruck beurteilt werden sollte. Das verblüffende Ergebnis: Pubertierende brauchten wesentlich länger für ihre Beurteilung und lagen zudem oftmals falsch. Der zwischenmenschliche Überblick in der Pubertät liegt ziemlich brach. Gefühlschaos, Wirrwarr und zwischendurch: Gott sei Dank auch mal Ruhe! Oder? Erwachsen zu werden, ist eine große Aufgabe. Bis zur Pubertät klebt man bei Mama und Papa am Rockzipfel, nickt artig ab, was beide meinen und sagen. Logisch, dass beide die tollsten, schlausten und besten Menschen überhaupt sind. Mit 12,13 Jahren verlassen die Kids diesen Liebestunnel, der Blick öffnet sich. Was die Eltern sagen, ist plötzlich nicht mehr Gesetz. Auf erste Stirnfalten folgen bald Widerworte, erste Diskussionen und schließlich Wut und Streit! „Pah – du hast mir gar nichts zu sagen“, drücken die „bockigen“ Teenager nun mit jeder Faser ihres Körpers aus. Mal mehr, mal weniger schlimm. Aber wichtig in jedem Fall, denn: In der Reibung mit den Eltern werden Kinder groß! Wer, wenn nicht die wichtigsten Menschen (die Sie ja immer noch sind, auch wenn das der temperamentvolle Nachwuchs nur unter Pistolendruck an den Schläfen zugeben würde) kann jetzt genug Wachstumsfläche für das Ausloten des ganzen Für- und Widers dieses komplizierten Lebens bieten? Niemand! Alles, was die Kinder sind, haben Sie von Ihnen – in der Pubertät lösen sie sich ab, stellen alles auf die Probe und auf den Kopf. Wutausbrüche bei Teenagern | 31 Und machen jetzt oft genug genau das Gegenteil von dem, was ihnen mitgegeben wurde. Spießereltern bekommen Hippiekinder, Hippieeltern bekommen Spießerkinder. Alles, was unbekannt ist, muss ausprobiert werden. Das ist zwar anstrengend für die in Mitleidenschaft gezogenen Eltern, aber (über-)lebenswichtig für die jungen Erwachsenen. Atemtechniken und Schutzbarrieren Da will man den Feierabend entspannt auf dem Sofa genießen und plötzlich steht ein kleiner Kampfguerilla vorm Fernseher. Er ballt die Fäuste und hat geschossartige Argumente. Und bekannt kommt er mir vor: Ach, das ist ja mein Sohn! Streitlustig, emotionsgeladen und voller Hartnäckigkeit wird jetzt die Diskussion mit den Eltern gesucht. Ob Politik, Familienprobleme oder allgemeine Schauplätze des Lebens: Manche Eltern bekommen das dumpfe Gefühl, dass weniger das Thema ausschlaggebend ist, als die Diskussion selbst. Auch Sie haben sich das schon gefragt? Gratulation, das Gefühl trügt Sie nicht! Eltern sind jetzt eine Art kostenfreie Reibungsfläche und Abfalleimer überflüssiger Emotionen in einem. Ganz salopp formuliert: Sie sind die Eiche, an 32 | Wutausbrüche bei Teenagern „Was die Eltern sage n, ist plötzlich nicht meh r Gesetz.” der sich die kleine Wildsau reibt. Und je besser Sie im Wind stehen, desto schneller hat sich das kleine Tierchen ausgekratzt. Was auch immer Ihr Nachwuchs für Spielchen ansetzt, bleiben Sie ruhig. Hören Sie zu, antworten Sie ernsthaft und gelassen, sagen Sie Ihre Meinung. Atmen Sie tief durch, wenn der kleine Rebell mit verbalen Matschbällchen wirft und setzen Sie überzeugend Grenzen: „Ich bin gerne bereit mit dir zu sprechen, aber erst wenn du dich wieder beruhigt hast.“ Auch eine Eiche lässt sich nicht willenlos hin- und herschaukeln, sie bleibt verwurzelt und fest verankert stehen und hält doch ihre schützenden Äste über alles. Persönlichkeitsüberprüfung und Provokationsabwehr „Du checkst doch gar nix!“ brüllt es da. „Boah, wenn ich irgendwann so bin wie Wunde Punkte treffen, weh tun, mächtig sein. Jugendliche kennen die Schwachstellen ihrer Eltern genau. du, nehm ich mir 'nen Strick!“ Autsch, das saß! Pfeilschnell zischen die Verbalbomben an den kopfschmerzgeplagten Häuptern der Eltern vorbei. Manchmal treffen sie auch. Mitten rein. Klar, dass da das gebeutelte Ego zittert und am liebsten sofort laut und wütend zurückpfeffern würde. Doch HALT! Wenn Sie in solchen Momenten zum Gegenan- griff ausholen, hat der Rebell in Ihrem Wohnzimmer sein erstes Kriegsziel erreicht. Wunde Punkte treffen, weh tun, mächtig sein. Jugendliche kennen die Schwachstellen ihrer Eltern genau, wissen welche Knöpfe gedrückt werden müssen, um die Stimmung so richtig schön zum Brodeln zu bringen. Steigern sich die Eltern dann tatsächlich mit in die Wut, gibt das die berühmt-berüchtigte explosive Mischung, aus der letztendlich alle als Verlierer herausgehen. Doch natürlich müssen Sie sich nicht alles gefallen lassen! Damit der anstehende Wutausbruch des verwirrten Nachwuchs also nicht zur Familienkrise wird, helfen folgende Universalstrategien: Nicht provozieren lassen! Klar und deutlich sagen: „So nicht mein Freund! Du willst Respekt von mir, dann musst Du auch mich respektvoll behandeln. Ansonsten verschieben wir das Gespräch!“ Ehrlich sein! Wenn Ihr Kind Sie verletzt hat, sagen Sie das auch. Die jungen Erwachsenen müssen lernen, die Gefühle anderer Menschen wahrzunehmen. Immer zuhören! Was auch immer Ihr Kind so wütend macht, hören Sie zu, lassen Sie es aussprechen, ohne gleich Ihren Senf dazuzugeben. Oft verpufft so mancher Wutstau innerhalb kurzer Zeit, wenn die Kids das Gefühl haben, wirklich ernst genommen zu werden. Vorbild sein! Diskutieren? Ja, unbedingt! Unfair streiten? Auf keinen Fall! Wenn Ihr Kind Reibung sucht und Gesprächsbedarf hat, seien Sie Vorbild. Argumentieren Sie sachlich und ruhig, lassen Sie sich nicht aus der Balance werfen. Von diesem Verhalten lernt Ihr Kind! Grenzen setzen! Wenn es nur darum geht, beleidigt oder beschimpft zu werden, setzen Sie eine deutliche Grenze. Schicken Sie Ihr Kind raus oder gehen Sie selbst weg. Offen sein! Klar, gefällt uns meistens nicht, was der Nachwuchs uns da rotzfrech vor die Füße bollert. Und doch: Horchen Sie mal ganz tief in sich hinein. Warum schmerzt das eigentlich so? Ist nicht vielleicht doch ein Fünkchen Wahrheit an der Kritik Ihres Kindes? Sind Sie vielleicht wirklich ein bisschen langweilig / spießig / rechthaberisch / verbohrt geworden? Vergessen Sie nicht: Ihr Kind kennt Sie in- und auswendig und hat vielleicht /ganz sicher / bestimmt das eine oder andere Mal Recht. Wenn Sie Ihrem Kind zeigen: „Ich nehme deine Worte an und denke darüber nach“, zeigen Sie nicht nur wertvolle Vorbildsfunktion in puncto Kritikfähigkeit, Sie sind auch einfach richtig cool. Tipps Wutausbrüche bei Teenagern | 33 13 Liebeskummer Wenn das Herz schmerzt... „In meinem Blut schlagen die Endorphine Blasen“ heißt es in einem Song der Band „Wir sind Helden“ - verknallen ist toll. Wird die Liebe aber nicht oder nicht mehr erwidert, lernen Jugendliche auch die Schattenseiten dieses Gefühls kennen. Herzschmerz, Verlust und Zurückweisung erleben sie dann häufig mit der gleichen Wucht und Intensität wie die Euphorie des Verliebtseins. Und sie haben noch keinerlei Erfahrung und Strategien, wie sie am besten mit ihren Gefühlen umgehen können. Je nach Persönlichkeit und sozialem Umfeld reagieren Teenager mit offensiver Trauer oder eher verstecktem Leid, das sich in ganz anderen Bereichen, wie z.B. verschlechterten schulischen Leistungen zeigt. Sie vertrauen sich den Eltern oder Freunden an oder ziehen sich vollkommen in sich zurück und nehmen keine Hilfe an. Egal ob kleiner Frust oder intensives Leid: Der Umgang mit Liebeskummer ist für Teenies und ihre Eltern eine Herausforderung. In Ruhe lassen oder aktiv werden? - „Lassen Sie die Trauer zu.“ Nur wer traurig sein darf und seinem Kummer Raum geben kann, hat eine Chance, auch diese Gefühle zu verarbeiten und für die Zukunft daraus zu lernen. Trösten heißt 34 34 || Liebeskummer also nicht nur, die Traurigkeit möglichst schnell wegzureden oder davon abzulenken, sondern auch zuzulassen, dass es Trauer gibt – mit exzessivem Heulen, Wutausbrüchen, Antriebslosigkeit, Dauertelefonieren und allem, was dazu gehört. - „Sich Zeit nehmen.“ Bieten Sie ihrem Kind die Möglichkeit, mit Ihnen Zeit zu verbringen und sich auszusprechen. Die ungeteilte Aufmerksamkeit schafft Vertrauen und Geborgenheit und der Kummer kann unter Umständen auch mal „nebenbei“ besprochen werden, ohne dass sich Ihr Kind von einem verordneten „Problemgespräch“ eher bedrängt fühlt. - „Nehmen Sie die Gefühle ernst.“ Auch wenn der Kummer für Erwachsene manchmal lächerlich erscheint, weil er nur einen kleinen Anlass hat oder schon zum zehnten Mal in vier Wochen auftaucht, so führen Kommentare wie: „Stell‘ dich doch nicht so an“ oder „Morgen hast du das doch alles schon wieder vergessen“ dazu, dass der Teenager sich unverstanden fühlt und sein Vertrauen verliert. - Lassen Sie auch andere helfen. Vielleicht ist es für Ihr Kind leichter, mit Freunden oder anderen Bezugspersonen über den Kummer zu reden, als mit Ihnen. Versuchen Sie das als zusätzliche Hilfe zu begreifen, statt eifersüchtig zu reagieren. - „Eltern dürfen auch mal traurig sein.“ Auch in der Bewältigung von Traurigkeit und Verlust können Sie ein Vorbild sein. Eltern sollten zeigen, dass Trauer und Frust zum Leben dazugehören und durchlebt statt verdrängt werden sollten. Kinder dürfen mitbekommen, wenn ihre Eltern mal nicht „gut drauf“ sind, wichtig ist nur, dass sie dabei nicht das Gefühl bekommen, verantwortlich zu sein und in die Erwachsenenrolle schlüpfen. - „Nehmen Sie nicht alles so persönlich.“ Häufig agieren Pubertierende ihre Trauer und Wut an ihren Eltern aus. Meist ist es ihre Hilflosigkeit, den Gefühlen einen anderen Raum zu geben. Sprechen Sie deutlich an, wann Ihnen ein Verhalten zu weit geht, aber schaffen Sie die Möglichkeit zur Versöhnung. Auch hier sollten sich die Jugendlichen in einem geschützten Rahmen ausprobieren können. Wenn es gefährlich wird: Suizidgedanken Zwar muss nicht sofort Alarm geschlagen werden, doch Fakt ist, dass Liebeskummer „bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen der häufigste Auslöser für Selbstmord, die zweithöchste Todesursache in dieser Altersgruppe nach Unfällen“ ist, so die Emotionspsychologin Annette Schmitt von der Universität Ol- Liebeskummer | 34 denburg. Wird das Verhalten Ihres Kindes besorgniserregend, dann sollten Eltern sich nicht scheuen, Hilfe in Anspruch zu nehmen (www.kinderaerzte-im-netz.de). Gleichaltrige wissen häufig, wenn ein Jugendlicher Selbstmordgedanken geäußert hat, hier sollten Eltern das Gespräch mit Freunden des Teenagers suchen, um diese dann auch mit in die Verantwortung einzubeziehen. Gesprächsmöglichkeiten und Hilfe bieten auch Vertrauenslehrer, Beratungsstellen und Psychologen. Online-Hilfe finden Eltern und Jugendliche z.B. unter: www.kummernetz.de, www.junoma.de (Jugendnotmail), www. bke-jugendberatung.de (Bundeskonferenz für Erziehungsberatung e.V. – bke) Hinter einem so intensiv durchlebten Liebesleid stecken meist auch Probleme in anderen Lebensbereichen. Virtuelle Partnerbörse und Beratungsplattform: Das Internet Eine ganz neue Dimension der Kontaktaufnahme bietet das Web. Hier können Jugendliche sich in Foren, Chats und Blogs kennen lernen, austauschen und experimentieren – und all das meist völlig unbeobachtet und mit allen damit verbundenen Vor- und Nachteilen. So ist es möglich, sich in eine Person, die man noch nie getroffen hat zu verlieben und auch von ihr zurückgewiesen zu werden. Cyber-Liebeskummer ist oft genauso wenig greifbar wie der Mensch, um den man da trauert. Wird das Internet Ersatz für „echte“ Kontakte, sollten Eltern durch Gespräche und evtl. auch Zugangsbeschränkungen eingreifen. Der Internetaustausch bietet aber auch Chancen. So gibt es z.B. die Bundesinitiative „Jugend ans Netz“ mit dem Portal www.netzcheckers.de. Hier gibt es Nachrichten und verschiedene Angebote, u.a. auch den „Ratgeber“, ein Hilfsportal. Liebeskummer als Chance Gerne würde man die eigenen Kinder vor körperlichem und seelischem Schmerz beschützen, aber die Krisenphase des Herzschmerzes hat auch, für den Betroffenen oft schwer vorstellbar, positive Seiten: Man öffnet sich Freunden in intensiven Gesprächen, lernt sich und seine Gefühle besser kennen, hat mehr Verständnis für die Gefühle anderer und man lernt seine eigene Stärke kennen, den Kummer durchzustehen. Liebeskummer kann zur Persönlichkeitsentwicklung beitragen und eine Menge kreatives Potenzial freisetzen. Die Autorin Gerti Senger schreibt dazu: „Durch diesen Prozess kamen Konfliktund Entwicklungsthemen zutage, sie reiften und entfalteten sich emotional.“ Und das ist doch etwas, was man jedem Jugendlichen auf seinem Weg zum Erwachsensein nur wünschen kann. Liebeskummer | 35 14 Aufklärung und Verhütung Vom Küssen schwanger? Trotz Sexualkunde in der Schule und großer Klappe zum Thema Sexualität im Freundeskreis: Vielen Jugendlichen fehlt grundlegendes Wissen über Sexualität und Verhütung. So steigt seit Jahren die Anzahl der minderjährigen Schwangeren und auch Geschlechtskrankheiten nehmen kontinuierlich zu. Mehr als 7200 minderjährige Mädchen brachten im Jahr 2003 (Quelle: pro Familia) in Deutschland ein Baby zur Welt, fast 50 Prozent mehr als noch 1998. Ebenso dramatisch verhält es sich mit Schwangerschaftsabbrüchen bei Teenagern, wie Zahlen des Statistischen 36 | Aufklärung und Verhütung Bundesamtes in Wiesbaden erhärten: Schwangerschaftsabbrüche bei Mädchen unter 15 Jahren stiegen von 1996 bis 2001 um 90 Prozent. „Der horrende Anstieg der Schwangerschaftsabbrüche bei Jugendlichen ist unter anderem darauf zurückzuführen, dass die Mädchen immer früher geschlechtsreif werden“, erklärt Dr. Gisela Gille, Ärztin aus Lüneburg und Vorsitzende der „Ärztlichen Gesellschaft zur Gesundheitsförderung der Frau e.V.“ (ÄGGF ) Eine von der ÄGGF mit 46.000 Schülern im Rahmen des Sexualkundeunterrichts durchgeführte Befragung kam u.a. zu dem Ergebnis, dass 82 Prozent der 13- bis 19-jährigen Jugendlichen nicht wissen, wann ein Mädchen seine fruchtbaren Tage hat. Diese Befragung, die vom Robert-Koch-Institut wissenschaftlich ausgewertet wurde, zeigt auch, dass die meisten Jugendlichen die sexuellen Erfahrungen gleichaltriger Freunde und Schulkameraden überschätzten und sich somit selbst leicht unter Druck setzten. Zudem ist die zunehmende geschlechtliche Frühreife ein weiteres Problem: Eine Folge des frühen Einstiegsalters in die Sexualität ist, dass etwa 18 Prozent der 14- bis 15-jäh- rigen Mädchen beim ersten Geschlechtsverkehr nicht verhüten. Was können Eltern tun? Fragt man Jugendliche nach der Herkunft ihres Sexualwissens landet die Schule auf Platz eins. Doch die zumeist rein biologischen Fakten reichen längst nicht aus, um Unsicherheiten und Ängste und spezielle Fragen zur Verhütung zu klären. Im Unterricht vor Lehrern und Klassenkameraden hindert auch die fehlende Intimität die Schülerinnen und Schüler, persönliche Fragen zu stellen und zu den eigenen Unsicherheiten zu stehen. Mit der Pubertät wird also auch in der Familie wieder ein Thema aktuell: Bei der Aufklärung zur Sexualität und Verhütung können Eltern einen wichtigen Beitrag leisten. Aufklärung: Ja, aber wann? Für Aufklärung kann es nie zu früh sein. Bereits kleine Kinder fragen, woher die Babys kommen und suchen nach Antworten. Bis zum achten Lebensjahr reicht es dabei völlig, allgemeine Erklärungen abzugeben. Babys entstehen, weil die Eltern sich lieb haben und miteinander schlafen. Wenn Ihr Kind hier bereits speziellere Fragen stellt, versuchen Sie, lle Erfahrungen „Jugendliche, die sexue n dazu Gelegensammeln wollen, werde heit finden.“ so locker wie möglich damit umzugehen. Vertrauen und Offenheit ist die wichtigste Basis für sexuelle Aufklärung, auch für die späteren Jahre: Denn nur so gewährleisten Sie, dass Ihr Kind auch zukünftig das Gespräch mit Ihnen suchen wird. Sobald das sexuelle Interesse bei Beginn der Pubertät erwacht, wird es Zeit für weitere Aufklärungsgespräche. Dieser Zeitpunkt ist in der Regel zwischen dem zehnten und dreizehnten Lebensjahr. Sie werden die Veränderungen schnell mitbekommen: „Bravo“ und „Mädchen“ halten Einzug im Kinderzimmer und Popstars oder Daily-Soap-Darsteller werden plötzlich heiß und innig begehrt. Oh nein, Papa will mich aufklären! So könnte der Gedanke lauten, wenn der Vater sich vorgenommen hat über die Geschichte der Bienen und Blumen den pubertierenden Nachwuchs mal grundlegend aufzuklären. Für Teenager ein Alptraum: Nichts erscheint ihnen so unangenehm, wie plötzlich mit der Aufklärungswut der Eltern konfrontiert zu werden. Verzichten Sie besser auf das hochoffizielle Gespräch und warten Sie Gelegenheiten ab, die sich von selbst ergeben. Achten Sie genau auf kleine Bemerkungen Ihrer Kinder. Wenn die Tochter beiläufig vom ersten Freund der besten Freundin erzählt, fragen Sie doch einfach interessiert nach. Vielleicht ergibt sich so ein Gespräch über den ersten Kuss oder die Unsicherheit gegenüber dem ersten Mal. Doch langes Nachhaken ist unerwünscht: Signalisieren Sie Ihr Interesse und dass Sie für alle Fragen zur Verfügung stehen. Vor allen Dingen ist es wichtig, immer Verständnis zu haben. Belächeln Sie den Liebeskummer der Tochter nicht mit Sätzen, wie „Andere Mütter haben auch schöne Söhne“ oder „Morgen hast Du es schon wieder vergessen“. So verlieren Sie das Vertrauen: Jede Frage, jeder Kummer und jede Sorge sollte unbedingt ernst genommen werden. Verhütung ist wichtig! Verhütung ist sowohl für die Jugendlichen, als auch für die Eltern oft ein Tabuthema, legt es doch den Blick auf die Sexualität frei. Doch an der Verhütung führt kein Weg vorbei, bedenkt man, dass fast ein Drittel aller Jugendlichen beim ersten Geschlechtsverkehr die Verhütung vergessen. Bei der Wahl der richtigen Verhütungsmethode können Eltern eine große Hilfe sein. Die Anti-Baby-Pille gilt als sicherste Verhütungsmethode. Doch Eltern fällt es oft schwer, die Zustimmung zur Pille zu geben: Warum die hormonelle Belastung, du bist sowieso noch zu jung für Sex. So verständlich diese Beweggründe auch sind, vergessen Sie nicht: Jugendliche, die sexuelle Erfahrungen sammeln wollen, werden dazu auch Gelegenheiten finden. Doch es gibt auch gute Alternativen zur AntiBaby-Pille: Beratungsgespräche beim Gynäkologen oder auch bei Pro Familia helfen jungen Mädchen das richtige Verhütungsmittel zu finden. Jungen sollten über die Verwendung und Benutzung eines Kondoms aufgeklärt sein. Dies gilt auch für Mädchen. Sprechen Sie über die Gefahren von Geschlechtskrankheiten und AIDS. Die erste große Liebe Wenn die Tochter plötzlich einen Punker als ihren neuen Freund vorstellt oder die Freundin des Sohnes so gar nicht dem elterlichen Wunschbild entspricht, wird häufig überreagiert. Die Eltern äußern Vorbehalte oder reagieren ablehnend, wodurch sich die Jugendlichen wiederum angegriffen fühlen. Vertrauen Sie Ihrem Kind: Irgendwas wird schon dran sein an der großen Liebe, auch wenn Ihnen diese Einsicht verschlossen bleibt. Solange die Freundschaft nicht durch plötzliche Wesensänderungen Ihres Kindes auffällig wird, bleiben Sie tolerant und offen. Sobald Sie aber das Gefühl haben, dass Drogen oder ähnliche Probleme auftauchen, fragen Sie unbedingt nach: Ich habe den Eindruck, dass etwas nicht stimmt. Magst du mir sagen, was los ist? Aufklärung und Verhütung | 37 15 Vom kleinen Schwips bis zum Komasaufen Alkoholkonsum in der Pubertät Saufen als Volkssport ist schon schlimm genug. Wenn aber 12-Jährige es mutig und schick finden, sich den ersten „Hicks“ einzufangen, 13-Jährige auf Partys abgrundtief ins Glas schauen und 14-Jährige volltrunken bei den Eltern im Hauseingang „abgelegt“ werden, spätestens dann hört für Sie als Eltern jeglicher Spaß auf. Ganz anders sieht es bei den Teenagern aus: Für sie ist Alkohol eine spannende Sache. Endlich traut man sich mal in die verbotene erwachsene Zone. Schmeckt ja eigentlich scheußlich das Zeug. Aber dennoch gute Miene zum bösen Spiel, jetzt bloß nicht schwächeln. Einmal ansetzen und runter damit. Ob im Verein, zu Hause oder in der Disco: Jugendliche experimentieren gerne mit der Volksdroge Nr. 1. Manchen reicht ein kleiner Schwips, andere gehen bei Trinkspielchen oder auf Partys bis an die gesundheitlich gefährliche Grenze oder sogar darüber hinaus. Alkohol kann man an jeder Ecke bekommen und obwohl der Verkauf von Alkohol an Jugendliche unter sechzehn Jahren verboten ist und 16-Jährige nur Wein, Bier und Sekt (Spirituosen sind erst ab 18 Jahren legal) kaufen dürfen: An Tankstellen, in Supermärkten oder am Kiosk nehmen es viele Verkäufer mit dem Jugendschutz nicht so genau. Und zur Not gibt’s immer einen Älteren, der den „Alk“ besorgt. Durch ihn wird man cooler und witziger, man kann Probleme besser vergessen und ist weniger gehemmt. Gerade in der emotional turbulenten Zeit der Pubertät ist das natürlich besonders reizvoll. Und „Nein“ zu sagen, wenn alle aus der Clique sich auf der Party besaufen, ist schwer, schließlich will man ja dazu gehören. Für die Eltern der „Pubertärlinge“ ist Alkohol aber genau aus diesen Gründen eines der größten Sorgenthemen. Was, wenn mein Kind das Maß nicht findet und dadurch in gefährliche Situationen gerät? Ist mein Kind suchtgefährdet? Was ist normal, was zu viel? Was ist besser: Hart durchgreifen oder laufen lassen? Verführerischer Alkohol: Jugendliche brauchen klare Ansagen Jeder kennt das: Mal ein bisschen entspannen, alles etwas lockerer sehen, da hilft ein Gläschen ganz gut. Die letzte Party wäre ohne Bier längst nicht so lustig geworden und ein Flirt ist mit etwas Alkohol im Blut viel prickelnder. Doch ein gutes Maß zu finden und rechtzeitig „Stopp“ zu sagen gelingt längst nicht jedem. Die Kehrseite der Medaille: Gewöhnungseffekte, gesundheitliche Gefahren, Abhängigkeit. Nach 38 | Vom kleinen Schwips bis zum Komasaufen einer deutschlandweiten Befragung des Forsa Instituts im Auftrag der BzgA konsumierten im Jahre 2008 5,8 Prozent der Jugendlichen zwischen 12 und 17 Jahren eine selbst für Erwachsene riskante Alkoholmenge (Quelle: Drogenaffinitätsstudie der BzgA aus dem Jahre 2009). Dabei ist der Anteil der männlichen Jugendlichen deutlich größer. Regelmäßiger Alkoholkonsum wird als etwas ganz Gewöhnliches betrachtet. Bier, Wein und Spirituosen gehören eben dazu. Um so wichtiger ist es, dass Jugendliche einen verantwortlichen Umgang mit Alkohol erlernen. Eltern können, sollten und müssen ihren Kindern dabei helfen, indem sie klare Standpunkte beziehen und die Jugendlichen nicht sich selbst überlassen. Letztendlich ist nur ein Standpunkt akzeptabel: Für Kinder unter 16 Jahren muss Alkohol schlichtweg tabu sein. Doch bereits 13- bis 15-jährige Teenager kommen schon in diesem Alter auf Partys oder in Vereinen in Kontakt mit Alkohol und fangen an auszuprobieren. Eltern müssen hier ein klares Verbot aussprechen. Da kann es schon mal richtig krachen, aber bleiben Sie stark. Der Nachwuchs muss wissen, dass hier gegen klar gezogene Grenzen verstoßen wurde. Gleichzeitig tut es den Kids aber gut, Vertrauen zu spüren. Es nützt also nichts, einfach jede Situation zu verbieten, in der es zu Alkoholkonsum kommen könnte. Teenager sollen ja auch ihr Verantwortungsgefühl, ihr Gesundheitsbewusstsein und ihre Fähigkeit „Nein“ zu sagen erlernen und dabei das Vertrauen der Eltern im Rücken haben. Diesen Balanceakt zu meistern ist sicherlich für Eltern von Pubertierenden eine der größten Herausforderungen. Eltern sollten bereit sein, sich mit den Teenagern auseinander zu setzen, auch wenn das manchmal ziemlich anstrengend sein kann. Ab dem 16. Lebensjahr ist maßvoller Alkoholkonsum akzeptabel. Sicherlich 16 Für Kinder unter l ho ko Al s Jahren mus . in se bu schlichtweg ta werden viele im Teenageralter ihren ersten richtigen Rausch erleben, doch sollte es nicht häufiger dazu kommen. Oft werden die Auswirkungen des Alkohols bagatellisiert. Dieses Nervengift ist aber besonders für Jugendliche gefährlich, weil sich der Körper noch in der Entwicklung befindet. Gerade das so genannte „Binge Drinking“, das bedeutet exzessives Trinken bis zum Vollrausch, wird immer häufiger praktiziert, zu Hause mit der Clique genauso wie in der Disco. Die so genannten Flatrate-Partys, bei denen man für einen festen Preis so viel trinken kann, wie man will, sind inzwischen zum Glück verboten. Dennoch: Mehr als ein Drittel der Jugendlichen trinken laut einer repräsentativen Umfrage der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) innerhalb eines Monats mindestens einmal fünf oder mehr alkoholische Getränke. Fünf Prozent von ihnen praktizieren das „Binge Drinking“ sogar sechsmal oder noch häufiger im Monat. 25.700 Kinder und Jugendliche unter 20 Jahren mussten 2008 bundesweit aufgrund einer Alkoholvergiftung stationär behandelt werden. Das entspricht einer Steigerung von satten 11 Prozent gegenüber dem Jahr 2007. Doch leider nehmen Jugendliche die Gefahr des „Koma-Trinkens“ auf die leichte Schulter: Bei den 12- bis 17-Jährigen halten nur 49 Prozent der Jungen und 57 Prozent der Mädchen Rausch-Trinken für eine große gesundheitliche Gefahr. Also ist es ganz wichtig, dass Eltern auf die gesundheitlichen Gefahren immer wieder hinweisen, auch wenn es die Teenager noch so nervt. Außerdem müssen Jugendliche wissen, dass sie im angetrunkenen Zustand nicht mehr aktiv am Straßenverkehr teilnehmen Vom kleinen Schwips bis zum Komasaufen | 39 dürfen. Im Zweifelsfall immer ein Taxi nehmen, sonst werden sie zur Gefahr für sich und andere. Sich vor Gewalt und sexuellen Übergriffen zu schützen, wird mit jedem Schluck Alkohol schwieriger. Auch darauf hinzuweisen, liegt in der Verantwortung der Eltern. Teenager prahlen nämlich gerne mit „Saufgeschichten“, in denen sie von Fahrradunfällen, Filmrissen und allen möglichen körperlichen Reaktionen erzählen. Erwachsene sind dafür da, die Perspektive gerade zu rücken, auch wenn sie dann eine „Spaßbremse“ sind. Weitergehende Informationen zu diesem Themenkomplex erhalten Sie bei der Hessischen Landesstelle für Suchtfragen (HLS): www.hls-online.org. Tipps für Eltern Ganz entscheidend ist die Vorbildfunktion, die Eltern und andere Erwachsene haben. Versuchen Sie selber, einen maßvollen und verantwortungsvollen Umgang mit Alkohol vorzuleben: Wo gibt es in Ihrem Haushalt Alkohol? Und wie viel? Sehen die Kids jedes Mal Bier und Wein, wenn sie den Kühlschrank öffnen? Haben sie eventuell leichten Zugriff auf Alkohol, zum Beispiel in der Hausbar oder dem Vorratsschrank? Bestärken und loben Sie Ihr Kind. Bestärken Sie öfter mal mit einem „Das schaffst du schon“ oder „Ich trau dir das zu“. Manchmal reicht „Nein“ sagen nicht aus. Dem Gruppendruck zu widerstehen und trotz blöder Sprüche, Hänseleien oder Aufdringlichkeit stark zu bleiben, das fällt vielen Teenies schwer. Zwar ist es meistens nicht leicht, einem Pubertierenden Tipps für den Umgang mit Freunden zu geben, aber schon mit jüngeren Kindern kann man üben, wie man sich mit einem lustigen Spruch oder schlagfertigem Konter behauptet. um ein ehrliches Interesse an dem Heranwachsenden. Klares Statement: Bis zum Erreichen des 16. Lebensjahres muss Alkohol für Jugendliche generell ein Tabu sein! Mit älteren Kindern sprechen Sie Konsumregeln ab und setzen Sie deutliche Grenzen. Legen Sie im Vorfeld verbindliche Konsequenzen fest. Werden Sie aktiv, wenn Sie Verstöße gegen das Jugendschutzgesetz bemerken. Melden Sie dies dem Ordnungsamt. Für jeden übermäßigen Alkoholkonsum gibt es Gründe. Manchmal ist es ein Minderwertigkeitsgefühl, manchmal Leistungsdruck, manchmal Liebeskummer. Auch hier sollten sich Eltern für die Hintergründe interessieren. Fühlen Sie sich überfordert oder machen Sie sich Sorgen, dann scheuen Sie sich nicht, die Hilfe von einem Kinder- und Jugendpsychologen oder -psychiater oder von einer Suchtberatungsstelle in Anspruch zu nehmen. Frühzeitige Hilfe ist viel effektiver, als erst spät die Probleme anzugehen. Interessieren Sie sich! Niklas Quecke, der in der Essener Suchtstation Kinder und Jugendliche betreut, dazu: „Ein wesentlicher Faktor ist die Aufmerksamkeit der Eltern. Wenn sie mitbekommen, dass ihr Kind Alkohol oder andere Drogen konsumiert, sollten Eltern frühzeitig intervenieren: wohlwollend, aber deutlich.“ Dabei geht es nicht um Panikmache oder Machtkämpfe, sondern 40 | Vom kleinen Schwips bis zum Komasaufen Vereine und Hobbys sind gut für Teenager. Auch wenn hier häufig die ersten Trinkerfahrungen gemacht werden: In der Gruppe von Gleichaltrigen gibt es eine soziale Kontrolle. Außerdem achten Erwachsene wie Trainer und Gruppenleiter auf die Kids. 16 Qualmende Teenies Was können Eltern tun? „Zigaretten sind blöd“, finden kleine Kinder. Warum? Na, weil sie stinken und ungesund sind. Doch in der Pubertät üben die Glimmstängel für viele dann plötzlich einen ganz besonderen Reiz aus. Irgendwie ist Rauchen cool, man fühlt sich mit Zigarette erwachsener, ein bisschen verrucht, ein bisschen „Anti“. Viele aus der Clique machen es und außerdem lässt sich mit der Zigarette lässiger Kontakt herstellen – auch mit dem anderen Geschlecht. Ziemlich schwer für Eltern, dagegen anzukommen. „Starke-Eltern.de“ hat Experten-Tipps gesammelt, die Ihnen helfen können, Ihr Kind widerstandsfähig gegen das Rauchen zu machen. wenn man bis zu seinem 20. Lebensjahr noch nicht angefangen hat (Quelle: Deutsches Krebsforschungszentrum Heidelberg). Viele Teenager bereuen es schon bald, mit dem Rauchen angefangen zu haben. Zwei Drittel der jugendlichen Raucher geben an, eigentlich aufhören zu wollen und ebenfalls zwei Drittel haben es schon mindestens einmal erfolglos probiert. Ohne Hilfe schaffen dies tatsächlich nur zwei bis drei Prozent. Viele jugendliche Raucher wollen aufhören Positiv zu betrachten ist, dass der Anteil an Nichtrauchern bei Jugendlichen in den letzten Jahren deutlich zugenommen hat. Wer sich allerdings für das Paffen in der Pubertät entschieden hat, erlebt dies oftmals nicht nur als Phase, vielmehr wird in dieser Zeit oft der Grundstein für eine erwachsene „Raucherkarriere“ gelegt. 82 Prozent aller Raucherinnen und Raucher haben ihre erste Zigarette vor dem 18. Lebensjahr geraucht. Andersherum stehen die Chancen gut, Nichtraucher zu bleiben, Qualmende Teenies | 41 Warum Teenager rauchen Die Gründe, die Jugendliche selbst für ihren Nikotinkonsum anführen, sind vielfältig. Da ist der Wunsch, sich in bessere Stimmung zu bringen, der Langeweile zu entfliehen. Man suggeriert sich, über das Rauchen dem Leistungsdruck besser gewachsen zu sein, sich besser konzentrieren zu können, die Nervosität zu bekämpfen. Oder der Gruppendruck ist zu groß. Jugendliche sprechen von ihrer Angst, aus der Gruppe ausgeschlossen zu werden und damit die Freunde zu verlieren. Bei Mädchen ist der Wunsch nicht zunehmen zu wollen ein wesentliches Argument für den Griff zur Zigarette. lichen unter Kindern und Jugend ine Tabak18 Jahren dürfen ke rden! ft produkte verkau we Tipps für Eltern Kinder, die jünger als 12 Jahre sind, sprechen sich häufig von selber vehement gegen das Rauchen aus. Sie nehmen die Glimmstängel als das wahr, was sie sind: Stinkend und giftig. Wenn ihre Eltern rauchen, versuchen sie oft, sie vom Rauchen abzuhalten. Sie haben von den schlimmen Wirkungen des Rauchens gehört und wollen ihre Eltern davor bewahren. Diese kritische Haltung können Sie als Eltern bestärken, indem Sie von den schädlichen Inhaltsstoffen und deren Auswirkung auf die Gesundheit sprechen. Bleiben Sie dabei glaubwürdig und vermeiden Sie Übertreibungen. Die Darstellungen sollten nicht zu drastisch sein. Die negativen Aspekte, die Sie schildern können, sind z.B. Husten, 42 | Qualmende Teenies Abhängigkeit und der unangenehme Geruch. Sprechen Sie mit rauchenden Jugendlichen offen und ehrlich über das Thema. Versuchen Sie dabei, Schimpfen zu vermeiden. Ebenso sollten Sie die Jugendlichen nicht „verhören“, unter Druck setzen oder verurteilen. Hören Sie selber auch zu und fragen Sie nach, statt Vorträge zu halten. Äußern Sie aber eine klare Haltung zum Thema. Machen Sie deutlich, dass Sie es nicht gut finden, wenn Ihr Kind raucht und und geben Sie Ihre Gründe dafür an. Hier sind sachliche Aussagen hilfreich. Bei Teenies kommen Argumente, die sich auf kurzfristige Folgen des Rauchens beziehen, also z.B. Geldmangel, schlechtere Leistung im Sport, Mundgeruch, besser an, als die Beschreibung von gesundheitlichen Folgen in späteren Lebensphasen. Bieten Sie Unterstützung an, um mit dem Rauchen aufzuhören. Suchen Sie gemeinsam nach Lösungen. Oft hilft eine Belohnung, das Ziel zu erreichen. Machen Sie Ihre komplette Wohnung zur rauchfreien Zone für alle. Am besten ist es, wenn Eltern selber nicht rauchen, denn bei aller pubertärer Anti-Haltung sind sie es, denen die Teenies am meisten abgucken. Wenn Sie Raucher/Raucherin sind, sprechen Sie offen über Ihre Sucht und die Nachteile, die Sie selber darin sehen. 17 Hilfe, mein Kind kifft! Von Tüten, Joints und grünem Gras... Aus dem Jugendzimmer zieht verdächtiger Geruch, Hanfblätter zieren Ketten und T-Shirts: Wenn der jugendliche Nachwuchs kifft, sind Eltern beunruhigt. Zu Recht! Doch wie sollte man reagieren? Aufregen oder locker bleiben? Bestrafen oder Verständnis zeigen? Jörg und Andrea trauen ihren Augen nicht, als sich auf ihrem Balkon zwischen Geranien und Tomatenpflanzen plötzlich Hanfblätter zeigen. Ihr Sohn Joschi (16) gibt die Drogengärtnerei sofort zu und relativiert: „Mein Gott, es kiffen doch fast alle! Das Zeug ist völlig harmlos.“ Das sehen Jörg und Andrea anders. Und haben Recht: Kiffen, also Cannabis-Konsum sollte – besonders in der Pubertät - nicht auf die leichte Schulter genommen werden. Die Macht des Verbotenen Warum fangen Teenager plötzlich an zu kiffen? Eine Frage, die sich viele Erwachsene stellen. „Joschi fand Rauchen immer total doof“, sagt Andrea, „jetzt baut er sich Joints. Das versteht doch kein Mensch…!“ Jugendliche wollen sich ausprobieren, sich testen, Grenzen erfahren, anders sein als die Eltern. In ihnen steckt eine starke Neugier und oft ein großes Bedürfnis nach Abgrenzung. Verbotenes hat dabei natürlich einen besonderen Reiz. Ganz wichtig: Eltern müssen nicht Viele Jugendlic he sind sich nicht bewusst, dass Kiffen auch strafrecht liche Folgen für sie haben ka nn. gleich in Panik verfallen, wenn sie ihr Kind beim Kiffen erwischen oder erfahren, dass es kifft. Der erste Kontakt mit Cannabis findet meistens im Freundes- oder Bekanntenkreis statt. Irgendwer hat „was“ dabei und die „Tüte“ kreist. Für viele Jugendliche bleibt es bei diesem ersten Mal. Andere rauchen Haschisch ab und zu noch mal weiter, vielleicht auf einer Party. Nur wenige entwickeln einen regelmäßigen und dauerhaften Konsum. Beruhigend: Neue Zahlen der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung belegen insgesamt einen rückläufigen Trend bei Jugendlichen. | 43 Kraut mit Nebenwirkungen Auch wenn viele Eltern in der Jugendzeit selbst mal am Joint gezogen haben: Cannabis gilt heute nicht mehr als harmlose Hippie-Droge! Neue Züchtungen und Sorten können einen vielfach höheren THC-Gehalt haben. Tetrahydrocannabinol ist der psychoaktive Wirkstoff der Hanfpflanze, dessen wiederholte und regelmäßige Einnahme zur psychischen Abhängigkeit führt. Nicht nur das: Untersuchungen der Universität Bremen zeigen, dass regelmäßiger Cannabiskonsum in der Pubertät zu gesundheitlichen Schäden führen kann. Jugendliche können sich schlechter konzentrieren und haben Gedächtnisstörungen. Cannabis verändert das Gehirn, welches in der Pubertät zahlreichen Veränderungsprozessen unterliegt, nachhaltig erhöht auch das Risiko für Krebserkrankungen (vor allem Lungenkrebs) und das Risiko unfruchtbar zu werden. Psycho-Terror im Kopf Stress in der Schule, Liebeskummer, Streit mit den Eltern – es gibt viele Gründe, warum Jugendliche zum Joint greifen. Sie wollen einfach mal „abschalten“, „den Kopf frei bekommen“, „Spaß haben“ und „mit Freunden eine gute Zeit verbringen“. Cannabis in passender Dosis macht fröhlich, beschwingt, hebt das Selbstbewusstsein und macht „cooler“. Doch manchmal kippt der Effekt auch ins Negative. Aus „Entspannung“ wird „Anspannung“ – das Gedankenkarussell dreht sich, Panik und Wer beim Kiffen erwischt wird, wird der Straßenverkehrsbehörde gemeldet. Das kann jungen Mofafahrern den Führerschein kosten, bzw. zu teuren Verfahren, wie die MPU (medizinischpsychologische Untersuchung) führen. Jugendliche unter 18 Jahren, die von der Polizei entdeckt werden, können häufig den Autoführerschein nur noch nach dieser MPU (die hohe Durchfallquoten hat) und regelmäßigen Drogenscreenings erwerben. Herzrasen machen sich breit. Aus dem „harmlosen Trip“ wird ein so genannter „Horrortrip“. Diese heftige Erfahrung steckt nicht jeder Jugendliche gut weg. Das Gespräch suchen Wenn Eltern wissen, dass ihr Kind kifft, sollten sie in jedem Fall das Gespräch suchen. Damit dieses auch positive Früchte trägt, gilt es einiges zu beachten: Tipps für Eltern Beginnen Sie das Gespräch nicht mit einem Bombardement aus Vorwürfen. Fragen Sie nach („Warum kiffst du?“, „Was findest du gut daran?“), lassen Sie Ihr Kind erzählen. Informieren Sie sich im Vorfeld über Cannabis, bringen Sie nur Argumente vor, die sich auch überprüfen lassen. Vorurteile und allgemeine Phrasen („Einstiegsdroge!“) führen nicht 44 | Hilfe, mein Kind kifft zum gewünschten Ziel und bieten nur neue Angriffsfläche. Nehmen Sie die Probleme Ihres Kindes ernst. Z.B. Stress in der Schule: Überlegen Sie gemeinsam alternative Lösungsstrategien („Was könnte dir außer Cannabis helfen, den Stress abzubauen?“) Sprechen Sie offen über Ihre Ängste und Befürchtungen. Klären Sie Ihr Kind ohne erhobenen Zeigefinger über die Risiken auf, bleiben Sie sachlich. Machen Sie sich nicht unfehlbar! Wenn Sie früher auch mal „über die Stränge“ geschlagen haben, dürfen Sie jetzt ruhig davon erzählen (aber auch von den Folgewirkungen). Reden Sie mit anderen Eltern über ihre Erfahrungen und Ängste. 18 Weiterführende Informationen Internet: www.starke-eltern.de Internetportal für Erziehungsfragen und Suchtvorbeugung www.aok.de/hessen AOK - Die Gesundheitskasse in Hessen www.hls-online.org Hessische Landesstelle für Suchtfragen (HLS) e.V. www.bzga.de Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) www.dhs.de Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen (DHS) e.V. www.rauchfrei-info.de Seite der BZgA zum Thema Rauch-Stopp www.besmart.info Wettbewerb für rauchfreie Schulklassen Hrsg.: IFT-NORD www.drugcom.de Internetportal der BzgA für die Zielgruppe der Jugendlichen www.kenn-dein-limit.info Internetplattform der BzgA zum Thema Alkoholkonsum bei Jugendlichen www.null-alkohol-voll-power.de Internetplattform der BzgA zum Thema Alkoholkonsum bei Jugendlichen www.ins-netz-gehen.de nternetplattform der BzgA zum Thema Alkoholkonsum bei Jugendlichen www.kenn-dein-limit.de nternetplattform der BzgA zum Thema Alkoholkonsum bei Erwachsenen Bücher: Zeitschriften: GEO Wissen Heft 41 / 2008: Pubertät: Auf der Suche nach dem neuen Ich von Michael Schaper Verlag Gruner & Jahr ISBN-10: 3570197883 Spiegel Wissen Heft 2 / 2010: Die Pubertät Spiegel Verlag EAN: 4038858003948 Pubertät / Loslassen und Halt geben von Jan-Uwe Rogge Verlag rororo Auflage: 17 (1. November 2000) ISBN-10: 3499609533 Broschüren: Und plötzlich sind sie 13 oder: Die Kunst, einen Kaktus zu umarmen. von Claudia & David Arp Brunnen-Verlag, Gießen Auflage: 36. (September 2007) ISBN-10: 3765518581 Komasaufen (Jugendinformation) Hrsg: Hessische Landesstelle für Suchtfragen (HLS) e.V. Pubertät ist, wenn die Eltern schwierig werden: Tagebuch einer betroffenen Mutter von Marianne Arlt Verlag HERDER spektrum Auflage: 22 (2010) ISBN-10: 3451050773 „Limit. Das Magazin“ Jugendbroschüre zum Thema Alkohol Hrsg.: BzgA Komasaufen (Ausgabe für Eltern) Hrsg: Hessische Landesstelle für Suchtfragen (HLS) e.V. Stop smoking - Girls Stop smoking - Boys Hrsg.: BZgA Zwei Broschüren, speziell auf Mädchen bzw. Jungen zugeschnitten, im Rahmen der rauchfrei Kampagne der BZgA zur Tabakprävention bei Jugendlichen. Weiterführende Informationen | 45 19 Elf goldene Regeln für die Pubertät Elf „goldene Regeln“ für die Pubertät 1 Pubertät als Chance begreifen 2 Gelassenheit / sich erinnern (an die eigene “wilde” Zeit) 3 Raum geben / Abgrenzung zulassen 4 Standpunkte beziehen / überprüfen / klare Regeln für alle 5 Scheinlösungen vermeiden 6 Nichts persönlich nehmen / Kritik an der Sache 7 Zutrauen, Vertrauen, Selbstvertrauen 8 Unterstützung anbieten, aber nicht aufdrängen 9 Konstruktive Kritik und Hinterfragen / Machtkämpfe vermeiden 10 Logische Konsequenzen statt Strafen / “Verträge“ schließen 11 Auf offene Türen achten! Weitere Informationen: Regionale und überregionale Kontaktadressen und viele weitere Informationen zum Thema Sucht und Suchtvorbeugung finden Sie auf der Homepage der Hessischen Landesstelle für Suchtfragen (HLS) unter www.hls-online.org bzw. www.starke-eltern.de Auf Wunsch vermitteln wir gerne den Kontakt zu den Fachkräften der Fachstellen für Suchtprävention in Ihrer Region. 46 | Elf goldene Regeln für die Pubertät 20 Impressum Impressum Herausgeber: AOK - Die Gesundheitskasse in Hessen Anschrift: Kölner Str. 8, 65760 Eschborn HLS - Hessische Landesstelle für Suchtfragen e. V. Anschrift: Zimmerweg 10, 60325 Frankfurt am Main Texte: N. Materne, B. Levecke Fotos: G. Grollmus, D. Kern, C. Kühne, C. Laske, E. Peters Design und Gestaltung: Kai Klosa, Jost Ziegner Redaktion: Jost Ziegner Impressum | 47 Diese Broschüre wurde Ihnen überreicht durch: