Was die Kuh vom Melker erwartet Was die Kuh vom Melker erwartet

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Was die Kuh vom Melker erwartet Was die Kuh vom Melker erwartet
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Tier
BAUERNBLATT l 12. Mai 2012 ■
Relativ viele Kühe werden nicht korrekt gemolken
Was die Kuh vom Melker erwartet
Über den Melkprozess nimmt der
Landwirt direkt oder indirekt Einfluss auf die Milchleistung und
-qualität, die Eutergesundheit, die
Arbeitsproduktivität sowie die
Kosten.DasMelkenderKühesollte
deshalb möglichst schonend, vollständig und zügig erfolgen. Umfangreiche Untersuchungen in
Milchviehbetrieben der USA,
Großbritanniens, Dänemarks und
Deutschlands, aber auch Australiens und Kubas machen jedoch
deutlich, dass eine relativ hohe Anzahl von Kühen nicht korrekt gemolken wird.
Tabelle 1: Ergebnisse aus Lacto-Corder-Untersuchungen zum Milchabgabeverhalten von Kühen
Aufgrund der unzureichenden
Berücksichtigung physiologischer
Anforderungen der Kühe durch die
Melker bei der Durchführung der
Vorroutinearbeiten ist die Milchhergabe nicht optimal. Dies hat nicht
nur Auswirkungen auf den Melkprozess an sich, sondern auch auf
die Höhe beziehungsweise die Aufrechterhaltung der Milchleistung
während der gesamten Laktation
tionsverfahren sei nur mit Kosten
verbunden und bringe keinen messbaren Erfolg. So wurden zum Beispiel auch im Jahr 2011 bei Neuund Ersatzinvestitionen in Milchviehbetrieben Melkanlagen ohne
automatische Stimulation eingebaut.
Eigene
Praxisuntersuchungen
zum Arbeitszeitaufwand beim Melken ergaben eine durchschnittliche
Zeitdauer von zirka 6 s für die Vormelkprobe und 6 s für die Euterreinigung. Damit wird eine optimale
Stimulationsdauer nicht erreicht. Eine nicht ausreichende Vorstimulation kann aufgrund fraktionierter
Oxytocinabgabe zur Verringerung
Anzahl der Kühe
Gesamtgemelk (Messbeginn bis -ende)
höchster Milchfluss
Bimodalität
abrupter Lufteinbruch
Dauer der Melkphasen
Hauptmelkphasendauer
Plateauphasendauer
Abstiegsphasendauer
Minutengemelke
Durchschnitt
kg
kg/min
%
%
LKV Mecklenburg-Vorpommern
(2002)
1.504
11,2
3,2
40,6
5,6
LKV Schleswig-Holstein
(Tölle 2002)
3.769
12,7
3,3
29,4
3,0
min
min
min
5,5
2,0
2,6
5,9
2,4
2,8
kg/min
2,0
2,0
des Milchflusses, zum Auftreten von
Bimodalitäten der Milchflusskurve
einschließlich Blindmelken, zur Erhöhung der Nachgemelksmenge
und -dauer sowie zur Verringerung
des Gesamtgemelks und zur Erhöhung der Gesamtdauer je Gemelk
führen. Bimodalität bedeutet
Zweigipfligkeit, das heißt nach dem
Abmelken der Zisternenmilch
kommt es zu einem Absturz des
Milchflusses (Abbildung). Das Auftreten von bimodalen Milchflusskurven kann natürlich auch aufgrund von Stress durch rüden Umgang mit den Tieren im Stall beziehungsweise Melkstand hervorgerufen werden.
Abbildung: Milchflusskurve mit Bimodalität
Verletzte Zitzen führen aufgrund von
Schmerzen zum Abschlagen des MelkzeugeswährendderStimulationsphase.
Fotos (4): Prof. Dr. Norbert Kanswohl
und die Eutergesundheit. Das Ziel
jeder Melkarbeit sollte deshalb eine
vollwertige Milchejektion sein. In
der Praxis wird jedoch in relativ vielen Betrieben nur unzureichend angerüstet. Unter den Landwirten,
aber auch teilweise unter den Wissenschaftlern ist die Meinung relativ weit verbreitet, dass unsere heutigen Hochleistungskühe nur noch
wenige Stimulationsreize zur Auslösung einer vollwertigen Milchabgabe benötigen. Die Vormelkprobe
und das Euterreinigen reichten dafür aus. Eine zusätzliche Zitzenmassage durch ein technisches Stimula-
Nicht die Stimulation, sondern eine
entspannte Zitzenmuskulatur und ein
hoher Euterinnendruck sind die Ursachen für den vorzeitigen Milchfluss.
(Quelle: LKV Güstrow, Mecklenburg-Vorpommern)
Tier
■ BAUERNBLATT l 12. Mai 2012
Oft keine vollwertige
Milchabgabe
Aus einer Vielzahl von Untersuchungen ist bekannt, dass die konventionelle Melkmaschine ohne automatische Stimulationseinrichtung
allein nicht in der Lage ist, bei der
Mehrzahl der Kühe eine vollwertige
Milchabgabe zu gewährleisten. Da
der Stimulationsbedarf der Einzelkühe aber sehr stark variiert, werden
bei einigen Kühen durchaus auch
nach sehr kurzen Anrüstzeiten gemeinsam mit der Stimulationswirkung der konventionellen Melkmaschine vollwertige Milchejektionen
erreicht.
Die hohe Rate an Bimodalitäten
der Milchflusskurven in der Praxis
wird durch Untersuchungen der
Landeskontrollverbände
(LKV)
Mecklenburg-Vorpommern und
Schleswig-Holstein bestätigt (Tabelle 1). Hier konnte bei etwa 30
bis 40 % aller untersuchten Milchkühe Bimodalität der Milchflusskurven nachgewiesen werden. Untersuchungen von Weiss und
Bruckmaier (2005) sowie eigene
Untersuchungen zum Einfluss unterschiedlicher maschineller Vorstimulation am Euter auf die durchschnittliche Milchflussrate bei
Milchkühen ergaben deutliche Zunahmen bei Anstieg der Stimulationsdauer (Tabelle 2).
Eigene Untersuchungen zur AusTabelle 2: Einfluss unterschiedlicher maschineller Vorstimulation auf
die durchschnittliche Milchflussrate beim Maschinenhauptgemelk wirkung unterschiedlicher Stimulati-
onszeiten am Euter auf die Maschinennachgemelkzeit bestätigen den
herausragenden Einfluss einer optimalen Stimulation auf das genannte
Melkbarkeitsmerkmal (Tabelle 3).
Bei nur 8 s Vorstimulation und sofortigem Ansetzen war ein sehr hoher
Arbeitszeitaufwand zur Gewinnung
des Nachgemelks gegenüber der Variante 20 s Stimulation (60 s) zu verzeichnen. Der Arbeitszeitaufwand
zur Gewinnung des Maschinennachgemelks fiel von durchschnittlich
1,05 min bei der Variante 8 s auf
0,62 min bei einer Stimulationsdauer von 20 s. Die Verringerung der
Zeit für das Nachmelken und damit
für die Melkdauer je Kuh wirkt sich
positiv auf die Zitzenkondition und
damit auf das Wohlbefinden und die
Tiergesundheit aus. Hohe Nachgemelkszeiten und damit überlange
Melkdauer je Kuh sowie Blindmelken führen hingegen zu verlängerter Vakuumeinwirkung auf Zitzenkanalöffnung, Zitzenkanal und Innenauskleidung der Zitzenspitze
und damit zu Durchblutungsstörungen und zum Entstehen des Residualvakuums. Dadurch wird das Eindringen von Krankheitserregern begünstigt. Auch wird das Schließen
Wenn man die Kuh fragte, dann wünschte sie sich sicherlich eine Melkerin, die des Zitzenkanals nach dem Melken
mit Engagement, Spaß und Feingefühl an die Arbeit geht und liebevoll mit den verzögert und damit eine NeuinfekTieren umgeht.
Foto: Dr. Katrin Mahlkow-Nerge tion gefördert.
Vorstimulationszeit
(s)
durchschnittliche Milchflussrate (kg/min)
Weiss und Bruckmaier (2005)* eigene Untersuchungen**
0
1,81
8
1,33
15
1,29
20
1,86
40
1,91
60
2,00
1,42
90
2,02
*Brown Swiss und Deutsches Braunvieh; **50 % Holstein Frisian + 50 % Zebu
Tabelle 3: Einfluss unterschiedlicher Euterstimulationszeiten auf die Maschinennachgemelkzeit bei
verschiedenen Genotypen (Mittelwerte)
Vorstimulationszeit
(s)
8
15
20
Maschinennachgemelkszeit bei verschiedenen Genotypenanteilen
50 % HF + 50 % Zebu
7/8 HF + 1/8 Zebu
(min)
1,05
0,90
0,83
0,77
0,64
0,60
Bei geschwollenen Eutern nach dem Abkalben sollte in den ersten Tagen auf
automatische Stimulation verzichtet werden.
Mängel beim Anrüsten
können teuer werden
Die arbeitswirtschaftlichen Vorteile einer automatischen Stimulation
gegenüber einer manuellen Stimulation nach der Vormelkprobe und
der Euterreinigung liegen auf der
Hand (Tabelle 4). Manuelle Stimulation kostet Kraft und führt zu einem
Die ersten Stimulationsreize durch das Berühren der Zitzen während der Vormelkprobe haben große Bedeutung.
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deutlichen Verlust an Arbeitsproduktivität. Insbesondere in Betrieben mit großen, aber auch mittleren
Kuhbeständen sollte deshalb ein automatisches Stimulationsverfahren
selbstverständlich sein. In Zukunft
gewinnt diese Problematik noch an
Bedeutung, da steigender Kostendruck, aber auch mangelnder Nachwuchs zwangsläufig zu einer Reduzierung des Melkpersonals führen
werden. Die Forderung nach hohen
Arbeitsleistungen und hohen Durchsätzen in Melkständen stellt den
Melker vor die Alternative, vollwertig anzurüsten mit der Gefahr, nicht
die notwendige Anzahl von Kühen
in der vorgegebenen Zeit zu melken,
oder nur das Euter zu säubern und
die ersten Milchstrahlen abzumelken. Der Melker wird in der Regel
aus arbeitswirtschaftlichen Gründen
auf ein vollwertiges Anrüsten verzichten.
Mängel beim Anrüsten können
den Landwirten teuer zu stehen
kommen. Nicht nur durch einen
langsameren Anstieg des Milchflusses, verringerten Spitzenfluss,
erhöhte Nachgemelke und insgesamt verlängerte Maschinengesamtgemelkzeiten (Melkdauer),
sondern auch durch die daraus re-
Tabelle 4: Vergleich der Arbeitsleistungen in Melkständen bei
manueller oder automatischer Stimulation
Arbeitszeitaufwand (AKmin/Gemelk)
manuelle Stim.
automatische Stim.
Arbeitsgang
Vorroutine:
Vormelkprobe
Euterreinigung
Euterstimulation
Melkzeug ansetzen
0,10
0,09
0,30
0,18
0,10
0,09
0,18
Nachroutine:
Zitzendesinfektion
Tierwechselzeiten im Melkstand
sonstige Zeiten
Gesamtzeit
Arbeitsleistung (Kühe/h)
0,10
0,16
0,15
1,08
56
0,10
0,16
0,15
0,78
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sultierende Verringerung des
Durchsatzes.
Für den Ersatz der zeitaufwendigen manuellen Stimulation stehen
auf dem Melkanlagenmarkt zeitgesteuerte und michflussgesteuerte
automatische Stimulationsverfahren
zur Verfügung (Tabelle 5 und 6).
Bei allen zeitgesteuerten Verfahren kann eine individuelle Anpassung der Zeitdauer der Stimulation
an die betriebliche Anrüstzeit (Vormelken, Eutereinigung) erfolgen.
Werden zum Beispiel im Betrieb für
Vormelkprobe und Euterreinigung
im Durchschnitt etwa 12 s benötigt,
sollte eine Einstellung der Automatik auf über 20 bis über 50 s erfolgen,
damit eine optimale Milchejektion
erreicht wird. Bei den Melkanlagenherstellern liegt die Spannweite der
Dauer der Einstellung der Stimulation (einschließlich laktationsabhängig) bei 20 bis 90 s. Bei Kühen mit einer hohen Milchleistung beziehungsweise zu Beginn der Laktation
kann die Stimulationsdauer aufgrund der höheren Zisternenmilchmengen geringer ausfallen als bei
Kühen mit geringer Milchleistung
Tabelle 5: Zeitgesteuerte Stimulation
Hersteller
Taktzahl
Takte
(min)
Dauer
(s)
Phasenverhältnis
A+B zu C+D
Vakuum im
Pulsraum
(kPa)
Anmerkung
Biomilker
Düvelsdorf
Flaco
Happel
300
125, 250
240
90
40, 60, 90
20, 39
40, 60
30
20:80
30:70
67:33
20
20
41 +/- 20
5 s Übergang
200/60, 70
200 - 300
150 - 250
5/ 10 …
30 bis 120
30 bis 45
60:40
28:72
32-38:68-62
25 - 35
zirka 28
300
150 und 250
30
20/ 34
46:54
30:70
25:75
50:50
zirka 12
38
20
18 - 21
Impulsa
APF Vorstimulation
Lemmer
Fullwood
Manus
Meltec/Miele
Westfalia
300
laktationsabhängig
Surge
oder 20 - 90
Quelle: Daßler, 2008; nach Tröger, 2004; ² auch milchflussgesteuert möglich
pulsierende
Druckluft
pulsierende
Druckluft
bei Einstellung 20:80
optional ²
10 - 20 s
Übergang
-
Tabelle 6: Michflussgesteuerte Stimulation
Hersteller
Taktzahl
(Takte/min)
Schaltwelle
DeLaval
Duovac
Duopuls
50
50
Manus
300
max. 30 s
SAC
117
max. 75 s
Strangko
120
Quelle: Daßler, 2008; nach Tröger, 2004
Vakuum
im Pulsraum
(kPa)
Anmerkungen
(g/min)
Phasenverhältnis
A+B zu C+D
150 - 300
< 200 - 500
65:35
30:70
zirka 33 bis 35
zirka 33 bis 35
-
< 200 - 300
46:54
zirka 12
< 450 - 500
35:65
zirka 28
300
30:70
-
auch zeitgesteuert mögl.
mit Zeitbegrenzung
-
beziehungsweise zum Ende der Laktation. Das resultiert aus der höheren Zeitdauer für das Abmelken der
Zisternenmilch. Die Alveolarmilch
beginnt zu fließen, und Bimodalitäten treten nicht auf. Der finanzielle
Aufwand für den Kauf von Stimulationsautomatik (130 bis 190 € je
Melkplatz) wird in kurzer Zeit durch
die Erhöhung der Milchleistung, die
Verringerung der Melkdauer beziehungsweise des Nachgemelks und
die Verbesserung der Eutergesundheit sowie die Steigerung der Arbeitsleistung kompensiert. Das Erreichen einer hohen Arbeitsproduktivität und ein tiergerechtes Melken
sind damit durchaus miteinander
vereinbar.
Der Stimulationseffekt bei Einsatz automatischer Verfahren hinsichtlich Erhöhung des Milchflusses
und Verringerung des Nachgemelks
ist noch größer, wenn weiche Zitzengummis verwendet werden.
Harte beziehungsweise alte Zitzengummis können auch dazu führen,
dass während der Stimulationsphase schon zu viel Milch abgemolken
wird. Außerdem muss die Stimulationsautomatik gewissenhaft montiert, eingestellt und kontinuierlich
überprüft werden. Wird hier nachlässig gearbeitet, können die positiven Effekte gänzlich wegfallen.
Enttäuschungen bei Landwirten
über automatische Stimulationsverfahren sind teilweise hierauf zurückzuführen. Ein anderer Grund
für Probleme ist, dass die automatische Vorstimulation auch bei Kühen
mit geschwollenen Eutern nach
dem Abkalben eingesetzt wird.
Durch die Erhöhung des Euterinnendrucks aufgrund der Stimulation kommt es zu Schmerzen bei den
Kühen. Folgen: Stress und Abschlagen der Melkzeuge. Deshalb: Abschalten der Vorstimulation am
Melkplatz bei Kühen in den ersten
Tagen nach dem Abkalben. Das Abschalten der automatischen Vorstimulation sollte grundsätzlich am
Melkplatz möglich sein.
Den Einfluss der automatischen
Stimulationsvorrichtung auf den
Melkablauf und damit auf die einzelnen Melkbarkeitsmerkmale kann
der Landwirt zum Beispiel durch den
zuständigen LKV über den Einsatz
von Lacto-Cordern überprüfen lassen.
Prof. Dr. Norbert Kanswohl,
Dr. Mathias Schlegel,
Dr. Denny Wiedow,
Jörg Burgstaler
Universität Rostock
Tel.: 03 81-4 98-33 45
norbert.kanswohl@uni-rostock.de