Bewertungskriterien für die Aufgaben mit schriftlichem Schwerpunkt

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Bewertungskriterien für die Aufgaben mit schriftlichem Schwerpunkt
Abitur 2003 Kunst und Gestaltung Lk (Lehrer)
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y Bewertungskriterien für die Aufgaben mit schriftlichem Schwerpunkt
und gestalterischem Anteil
1 Die Intensität der kunstgemäßen Erschließung des Werkes
− seiner künstlerischen Formensprache
− und des durch sie konstituierten künstlerisch-geistigen Gehalts
2 Die Fähigkeit, das Wesenseigentümliche, Unverwechselbare und Einmalige des jeweils zu
erschließenden Kunstwerks zu erfassen und begrifflich darzustellen (bzw. praktisch-gestalterisch zu veranschaulichen)
3 Die kreative Eigenständigkeit und Plausibilität des ästhetischen Urteils und die Schlüssigkeit
seiner Begründung
4 Die Fähigkeit, über die erschlossenen Werke nachzudenken und gewonnene Einsichten in
anderen Zusammenhängen fruchtbar zu machen
y Bewertungskriterien für die Aufgaben mit gestalterischem Schwerpunkt
und schriftlichem Anteil
1 Die der künstlerischen Aufgaben- und Problemstellung angemessene Umsetzung
individueller Absichten in künstlerische Formen, Farben, Ordnungen
2 Kreative Eigenständigkeit in der Wahl der künstlerischen Mittel und Wege, Grad der Intensität im Suchen nach Lösungen künstlerischer Probleme
3 Plausibilität der begrifflichen Begründung von künstlerischen Entscheidungen auf der
Grundlage vorliegender Versuche (Skizzen der ausgewählten und verworfenen Lösungsvarianten sowie endgültige Bildlösung)
Für alle Aufgaben gelten die Hinweise der „Einheitlichen Prüfungsanforderungen in der Abiturprüfung“ (EPA), besonders der Hinweis auf die verschiedenen Anforderungsbereiche
unter Punkt 3.3.
(„Ein mit „sehr gut“ beurteiltes Prüfungsergebnis setzt Leistungen im Anforderungsbereich
III voraus. Auch ein mit „gut“ beurteiltes Prüfungsergebnis verlangt mindestens ansatzweise
Leistungen im Anforderungsbereich III“)
Grundsätzlich gelten Ermessensspielräume, Vielfalt von plausiblen Deutungsmöglichkeiten.
Die einzig „richtige“ Deutung gibt es nicht.
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zu Aufgabe I
Gestalterische Aufgabe mit schriftlichem Anteil
Erwartete Prüfungsleistung
zu 1
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Variationsbreite und Einfallsreichtum in der Entwicklung von Wortfeldern,
Assoziationen und Bildideen zum Thema:
Bewegung, bewegen: die Lage verändern, veranlassen, treiben, erregen,
schwingen, sich rühren, lebhaft, Aufruhr
Begegnung, begegnen: widerfahren, zustoßen, blühen, zuteil werden, in den
Schoß fallen, jemanden erwarten, auf jemanden zukommen, etwas erleben,
treffen, stoßen auf, zusammentreffen, den Weg kreuzen, über den Weg laufen, in
die Arme laufen
spannungsvolle Komposition durch Kontraste der Form, der Größe, Dichte und
Weite
zu 2
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Auswahl einer Bildidee, die das Thema „Faszination von Bewegung und
Begegnung“ anschaulich sichtbar macht
Gestaltung der Arbeiten als eine überzeugende Reihe
angemessene Beherrschung der eingesetzten grafischen und/oder malerischen
Gestaltungsmittel
spannungsvolle Komposition durch Kontraste der Form, der Größe, Dichte und
Weite ...
bildnerische Qualität: Intensität, Originalität
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angemessene Präsentation der bildnerischen Ergebnisse
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zu 3
Formaler Aspekt
- Analyse des Bildbestandes und der eingesetzten Gestaltungsmittel (Komposition,
Linie, Struktur, Hell-Dunkel, Farbe, Form, Kontraste...)
Inhaltlicher Aspekt
- Wer begegnet sich?
- Unter welchen Umständen findet die Begegnung statt? Ort, Raum, Zeit, Gefühle
- Bezug zu Wortfeldern und Assoziationen
- Darstellung wichtiger inhaltlicher Elemente mit Begründung der Auswahl
- Verweis auf reale oder surreale Begegnungen
- kunsthistorische Bezüge
-
angemessene sprachliche Gestaltung
Vorschlag zur Gewichtung: 4 : 5 : 3
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zu Aufgabe II
Vergleichende Analyse und Interpretation - Spiegelbilder
(schriftlicher Schwerpunkt mit gestalterischem Anteil)
Erwartete Prüfungsleistung
Die zu analysierenden Werke lassen in ihrer Eigenart und Unterschiedlichkeit eine Fülle
interpretatorischer Ansätze zu. Deshalb werden nicht alle im Erwartungshorizont ausgewiesenen
Aspekte in vollständiger Darstellung vorausgesetzt. Auch andere zutreffende Gedanken und
Wertungen sind zu akzeptieren.
Michelangelo Caravaggio
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um 1600
Jüngling, reglos am Ufer eines Wassers kauernd, fasziniert das eigene Spiegelbild
betrachtend, seiner Umwelt entrückt
schöner Jüngling erblickt dunkleres, zum Unschönen/Älteren/Vergehenden? verändertes
Abbild
Komposition in einem engen, quadratischen Bildraum
Körper des Narziss und sein Spiegelbild bilden bewegten, leicht unregelmäßigen Kreis
Arme und Schultergürtel spannen einen kräftigen Bogen zwischen den Bildrändern
Uferlinie halbiert das Format horizontal als Spiegelachse
drei Anschnitte und ein dunkler, verflächigter Hintergrund reduzieren die Raumtiefe
Knie als heller Akzent in der umgebenden Dunkelheit leuchtet im Zentrum
Jüngling in kräftigem Inkarnat, mit rötlichen Haaren, gelblich-weißer Bluse und blaugrüner
Hose, sein dunkleres Spiegelbild bei zurück genommenen Kontrasten in sparsam
aufgehellten Brauntönen
spannungsvoller barocker Hell-Dunkel-Kontrast, meisterhafte Lichtführung, welche die
Figur aus dem Dunklen des Hintergrundes hervortreten lässt
kräftige, vom komplementären Blau-Grün gesteigerte Rot-Orange- und Brauntöne
exzellente Detail- und Materialdarstellung
Bild der faszinierenden Schönheit des menschlichen Individuums, des jungen Menschen
Problem von Liebe und Eigenliebe, des Gefangenseins im Ego, das nichts wahrnehmen
kann außer sich selbst und letztlich daran zu Grunde geht
gespannte Haltung kann Gebeugtsein ausdrücken, niedergedrückt vom eigenen Schicksal
Suche nach dem tieferen Sinn des Daseins und seiner Erfüllung, Vanitasgedanke
existenzielle, philosophische Frage nach dem Wert des Menschen und dem Stellenwert
menschlicher Beziehungen
Bezug auf Narziss-Darstellungen bei Daumier oder Dali möglich
barocke Malerei mit der Suche nach ungewöhnlichen Sichten und Perfektion
René Magritte
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Bildgegenstand ist eine surreale Situation, ein Spiegelbild gegen die Seherfahrung:
ein Mann vor dem Spiegel erblickt in diesem wiederum seinen eigenen Rücken
dem Betrachter bietet sich die doppelte Rückenansicht
leer wirkender Raum mit zwei Halbfiguren in starrer Haltung
1937
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Komposition mit reduzierter Raumtiefe zeigt einen angeschnittenen Spiegel mit
Goldrahmen und Marmorkonsole, darauf ein Buch, E. A. Poe „Die Abenteuer des Arthur
Gordon Pim“; bis auf das Buch alle Gegenstände angeschnitten
Vertikalen der Figuren werden im Spiegelrahmen wiederholt und bewirken strenge
Gliederung
Marmorgesims unter dem Spiegel steigert kompositorische Spannung durch leichte Schräge
Übergewicht der linken Bildhälfte, von dunklen Rücken beherrscht, dagegen fast leerer,
rechter oberer Bildraum
von links ins Bild fallende starke Beleuchtung
Dominanz des Hell-Dunkel-Kontrastes
fast monochrome Farbigkeit in Gold-Ocker-Braun-Skala im Kontrast zu monumental
wirkendem Schwarz und Weiß
Verhältnis von Schein und Wirklichkeit, von Realität und Wahrnehmung ins Bewusstsein
des Betrachters gerückt
Nutzung der Irritation, des subversiven Humors durch eine neue, absurde Realität, durch
Installation des Unerwarteten, Unmöglichen, Rätselhaften
In-Frage-Stellen des Prinzips der Vernunft und des „gesunden Menschenverstandes“, der
die Menschheit immer wieder in Abgründe stürzte – deshalb „Triumph des
Unvernünftigen“
Sicht auf die Welt und das Leben in ihr als Abenteuer
Frage nach Quellen der Erkenntnis/Selbsterkenntnis
Ungewissheit über unser Dasein in einer absurden Welt
Beispiel einer surrealen Malerei, die die Gegenstände realistisch abbildet, um in ihrer
Kombination um so größere Verunsicherung auszulösen; Attacke auf die Seh- und
Denkgewohnheiten
Salvador Dali
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1972/73
traditionelles Thema des Malers mit Modell um neue Sicht bereichert
nach rechts geneigter Körper des Malers und der Pinsel führen den Blick ins Bild zur
Rückenansicht des Modells und zum Spiegel, dieser offenbart erst die Gesichter der beiden
en face und verrät reifes Alter und unterschiedliche Gefühle (Rückenansicht der Frau ließe
auch auf ein junges Mädchen schließen)
stark von Rhythmen geprägte Komposition: Staffelung von Personen, Spiegelbildern und
Gegenständen in die Tiefe des Bildraumes, wobei der monumentale Rahmen die Sicht auf
das Spiegelbild konzentriert
spannungsvolle Anordnung von großen und kleinen, eckigen und runden, hellen und
dunklen Formen
Raum vor dem Spiegel und Bild im Spiegel durch Diagonalen in hellen und dunklen
Bereich gegliedert
Betonung der Bildobjekte durch wiederholte kräftige Senkrechte
minutiöse, altmeisterlich anmutende Malerei
dominierender Hell-Dunkel-Kontrast
gleißendes Licht von links gibt dem Raum zarte gelb-grünliche Töne, bilden mit Weiß und
kühlem Hellviolett der Kleidung spannungsvollen Kontrast zum Dunkelbraun
Komplementär- und Intensitätskontraste mit Akzent auf den Gesichtern
eigenwillige Präsentation des Themas
Intensität künstlerischen Schaffens wird sichtbar und erlebbar gemacht
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eigentliches Ergebnis des kreativen künstlerischen Prozesses (Bild auf der Staffelei) bleibt
jedoch im Dunkeln
Problem von Selbstbefragung und Befragung anderer
möglich auch eine Bestandsaufnahme der zwischenmenschlichen Situation: die Frau wirkt
wissend, zart, verletzlich; Maler mit typischem Dali-Blick, der Selbstinszenierung,
Überraschung, Entsetzen, Kritik oder Komik zeigt
meisterhafte Gestaltung zweier unterschiedlicher Persönlichkeiten
intime Sicht auf die Beziehung von Mann und Frau
Werk, das frei von surrealistischer Symbolik bleibt
genussvolle Demonstration eigenen malerischen Könnens und virtuoser Beherrschung der
Mittel durch den Künstler
Lucian Freud
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1976/77
eigentümlich leerer Raum mit kahlen, hellen Wänden und rohem Dielenfußboden, schmaler
Ausgang rechts hinten zu vermuten
darin ein massig, kraftvoll wirkender Mann mit energischem Gesicht in dunklem Anzug,
Hemd, Krawatte, in prunkvoll wirkendem Ledersessel
in sich ruhende Haltung, Hände vor dem Bauch verschränkt, scheinbar zufrieden
Rücken zu einer großflächigen Spiegelwand, die den Raum optisch erweitert
ungewöhnliche Perspektive mit Sicht von oben, Figur eigenwillig angeschnitten
spannungsvolle Anordnung mit leichter Diagonale, Keil- bzw. Pyramidenform
Raumtiefe entsteht erst durch riesige Spiegelfläche
gesteigerte Spannung im Raum durch unterschiedlich schräge Fußbodenlinien
Hell-Dunkel-Kontrast zwischen dunkler Figur und Raum mit hellen Blau-, Gelb- und
Ockertönen
dezent eingesetzter Komplementär-Kontrast, deutlicher Akzent in kräftigem Inkarnat
kleine Schatten formen Details akribisch aber locker
selbstbewusster Zeitgenosse beherrscht die Szene
Spiegel offenbart die Leere des Raumes, die auf die Situation des Mannes verweisen
könnte
trotz seiner statuarischen Ruhe scheint er aus dem Bild zu gleiten, abzurutschen
ein Mensch mit Lebenserfahrung, der Probleme zu kennen und zu beherrschen scheint
Haltung/Gestus möglicher Ausdruck gesellschaftlicher Anerkennung
imposante Erscheinung, allein im Raum, ohne jeglichen Verweis auf andere Menschen oder
Dinge, vielleicht Indiz für Beziehungslosigkeit
Dominanz kann auch als Anspruch bis hin zur Arroganz aufgefasst werden
deutbar auch als Bild eines einsamen Erfolgsmenschen/eines Trauernden/eines
Sich-Besinnenden
Spiegelbild im Sinne von Eitelkeit und Selbsterkenntnis hier bedeutungslos
Kunst der 70er Jahre, figürliche Malerei in der realistischen Tradition ohne
Avantgardeanspruch
Vorschlag zur Gewichtung: 2 : 5 : 5
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zu Aufgabe III
Erwartete Prüfungsleistung
zu 1
Ideenskizzen:
im Hinblick auf den Gestaltungsprozess
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Variationsbreite und Klarheit bei der Entwicklung von Ideen
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Ansätze zu originellen Lösungen
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Spiel mit Dimensionen, Proportionen, Materialien und Kontrasten
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bewusst kontrastierende bzw. harmonisierende Beziehungssuche
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thematischer Bezug durch Auswahl prägnanter Körper-Raum-Situationen
zu 2
Entwürfe:
im Hinblick auf die gefundene architektonische Lösung
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funktionale Angemessenheit der Entwürfe
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Spannbreite von behutsamem Aufgreifen der ursprünglichen Raumstrukturen über
Integration von Neuem bis hin zu starker Kontrastierung von Vorgefundenem und
Neuem
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angemessene Reduzierung auf das Wesentliche
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Bereicherung durch eigene innovative Elemente
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Entscheidung für spannungsreiche oder harmonisierende Lösungen
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Qualität der zeichnerischen/farbigen Darstellung
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zu 3
angemessene Präsentation von Skizzen und Entwürfen
Schriftliche Reflexion:
im Hinblick auf eine plausible, differenzierte Begründung der entwickelten Ideen und
der getroffenen Entscheidung
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Eingehen auf spezifische Gestaltungsprobleme unter Verweis auf Skizzen und
Entwürfe
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Erläuterung der Inhalt-Form-Beziehungen
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schlüssiger Bezug auf architektonische Vorbilder
Vorschlag zur Gewichtung: 4 : 5 : 3
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zu Aufgabe IV
Schriftliche Arbeit ohne gestalterischen Anteil
Erwartete Prüfungsleistung
Die im Folgenden formulierten Positionen zu formalen und inhaltlichen Aspekten der Werke
haben B e i s p i e l c h a r a k t e r für mögliche Herangehensweisen bei der vergleichenden
Analyse und Interpretation.
Die Ergebnisse der Schüler sind nicht unter dem Gesichtspunkt einer quantitativen
Vollständigkeit zu bewerten – entscheidend sind Plausibilität und Tiefgründigkeit der
gedanklichen Auseinandersetzung und Argumentation.
Auch die fundierte Kritik an einzelnen Werken sollte akzeptiert werden.
zu 1
Die Mutter-Kind-Thematik beschäftigte Picasso über viele Jahrzehnte. Sie tritt in seinem
Lebenswerk vielfach variiert auf, stellte für ihn als Maler, Ehemann und Vater eine
persönliche künstlerische Herausforderung dar.
Verschiedene Anlässe und der Einsatz von Bild zu Bild stark kontrastierender stilistischer
Mittel verleihen den einzelnen Werken eine starke individuelle Ausdruckskraft – die
Spannweite der Aussagen reicht von ungetrübtem Glück und von Harmonie über Trauer
und Melancholie bis zur schonungslosen Anklage.
Ins Auge fallen u. a. die schier unerschöpfliche Fantasie des Künstlers und seine
Souveränität im Einsatz der unterschiedlichen Gestaltungsmittel ebenso wie ein starkes
Interesse an zwischenmenschlichen Beziehungen.
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Artisten (Betrübte Mutter mit Kind)
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1905
junge Mutter und halbwüchsiger Sohn kurz vor oder nach dem Auftritt; der Junge im
Kostüm, die Mutter in ein Tuch gehüllt, mit einer Blume im Haar – auf dem Tisch ein
kärgliches Mahl
geneigter Kopf der jungen Frau, das Gesicht in die Hand geschmiegt, den Blick
gedankenverloren ins Leere gerichtet – von der Mutter abgewandt der zarte Junge, die
Arme verschränkt, schaut in die entgegengesetzte Richtung
Gesichter klassisch geformt, elegante Haltung der Frau, durch Faltenwurf noch unterstützt
trotz körperlicher Nähe beider (teilweise Überdeckung) lassen voneinander abgewandte
Gesichter und die Reglosigkeit der Körper auf mögliche Distanz, innere Isolation,
Sprachlosigkeit, Trauer, Ermattung, Ratlosigkeit, auf zu bewältigende Probleme ..., eine
insgesamt melancholische Stimmung schließen
Komposition statisch, Betonung der Vertikalen, spannungsreiche Symmetrie, Ruhe
ein Bild aus Picassos „Rosa Periode“ – stark reduzierte Farbigkeit, Dominanz warmer Rotund Brauntöne, dazu im Kontrast das kühle Hellblau im Trikot des Knaben; das fahle
Inkarnat der Gesichter und das farbige Weiß in den Gewändern und dem Geschirr
kontrastiert zu den Schwarztönen insbesondere der Haare sowie der Köperkonturen (HellDunkel-Kontrast); flüssig und transparent wirkender Farbauftrag
Bild zweier Menschen in eher traditionellem Darstellungsmodus, dem klassischen
Schönheitsideal verpflichtet, aber auch ungewöhnliche Sicht auf eine individuelle
Mutter-Kind-Beziehung: subtile Darstellung von Menschen, die über besondere Gaben
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verfügen (Gaukler, fahrendes Volk), am Rande der Gesellschaft lebend, denen aber die
Sympathie des Künstlers gehört
Frau mit Kind am Strand
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Mutter und Kind in inniger Beziehung
großer, voluminöser Frauenkörper, mit einem antiken, weißen Gewand bekleidet,
umschließt das im Schoß der Mutter liegende kleine nackte Kind – bietet diesem gleichsam
räumlich-tektonischen Schutz, formatfüllende Form
Frau wirkt in ihrer Haltung eher statisch, monumental, kompakt, in sich ruhend und
geschlossen – liebevoll den Blick auf das Kind gerichtet, welches munter zu strampeln
scheint, lebhaft bewegt, dynamisch durch Kopf-, Arm- und Beinhaltung
Körper in ihrer Plastizität betont, schlichte, vereinfachte Formen in klassischer Schönheit –
Darstellung weitgehend frei von ornamentalen Details
klare räumliche Gliederung in drei nur durch unterschiedliche Farbwerte differenzierte
Ebenen, gebildet durch Ruhe vermittelnde Waagerechte, bildbestimmende Diagonale teilt
gleichsam das Format spannungsreich in belebte und unbelebte Zone
bühnenartige Wirkung
Gesamtfarbigkeit stark zurückgenommen und abgestimmt, reduziert auf wenige
Lokalfarben: Dominanz differenzierter Rottöne, Hell-Dunkel-Kontrast sowie dezenterer
Kalt-Warm-Gegensatz
Picasso gestaltet in seiner „klassizistischen Periode“ eine innige, arkadisch wirkende
Situation: ungestörte Zweisamkeit, Mutterglück
ein friedliches Bild größter Schlichtheit, Menschlichkeit, Harmonie und Ruhe
Mutter mit totem Kind auf Leiter
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1921
1937
Gestaltung einer höchst dramatischen und zugleich bestürzenden Situation: Mutter mit
totem Kind im Arm, von höchster Panik getrieben, versucht Leiter zu erklimmen, um
dadurch einem engen (brennenden?) Raum zu entfliehen, gestrecktes Hochformat
Proportionen und Haltung der Menschen erscheinen stark übersteigert, deformiert: die
Köpfe und Gliedmaßen beider Figuren sind verzerrt, die Augen im Gesicht der Mutter
verschoben, der Mund zum Schrei des Entsetzens weit geöffnet, der Kopf extrem in den
Nacken gebogen – dagegen schlaff, leblos herabhängender Kopf und Gliedmaßen des
Kindes (Darstellung nahezu identisch mit der in „Guernica“)
aggressiv wirkende Formensprache – auch der nicht näher definierbaren horn- oder
säbelartigen schwarzen Gebilde im Vordergrund – unterstützt durch vehemente
Strichführung, expressive Verfremdung bzw. Übersteigerung
kraftvoll widerstreitende Hell-Dunkel- sowie Farbrichtungskontraste (Rot-Blau-Gelb),
ebenso Kalt-Warm-Gegensätze
ein Werk höchster Expressivität mit Blick auf eine reale geschichtliche Situation (Guernica
1937) – wie das berühmte Gemälde ein Sinnbild für menschliche Not, Schmerz,
Verzweiflung, Irrsinn von Krieg, Zerstörung und brutaler Gewalt – ein Bild der
schonungslosen Anklage
Abitur 2003 Kunst und Gestaltung Lk (Lehrer)
Mutter und Kind
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Seite 9
1973
Frau in frontaler Haltung, sitzend, mit Kind im Schoß, beide nackt
in Bildaufbau und Gestus an eine Ikone erinnernd
ein Bild vertrauter, inniger Zweisamkeit: beschützender, statisch wirkender Körper der
Mutter, agiles Kind – insofern der Aussage in Strandsituation von 1921 durchaus verwandt
dagegen aber Körperformen insbesondere der Frau disproportioniert: Kopf mit
schwungvollem Hut übergroß, Gesicht in picassotypischem Wechselspiel der Ansichten
von en face und en profil; Rumpf wirkt gestaucht, extrem verkürzt, Arme, Hände und Beine
stark formreduziert, Schenkel weit gespreizt – ähnlich vereinfachend behandelt Körper und
Kopf des Kindes mit kräftiger Nase, übergroßem Auge (erinnern an Formerfindungen
Picassos in seiner kubistischen Phase)
Bildstruktur auch bestimmt von kraftvoller Linienführung sowie dem Kontrast von
Schwarz und Weiß und dem der Komplementäre Rot-Grün; flüchtig wirkender, teilweise
lasierender Farbauftrag
Mutter und Kind inmitten eines lebendigen Grüns, Ausdruck von Naturverbundenheit oder
Metapher: Apfel vom Baum der Erkenntnis ... Reichsapfel?
harmonisch-kraftvolles Wechselspiel von Natur und Kultur
Mutterschaft zwischen biologischer Selbstverständlichkeit, Sexualität und
kulturell-religiösem Kontext (Ikone)
oder aber Ausdruck bedrohlicher Weiblichkeit, einer überstarken Urmutter
ungeheure Vitalität im Alterswerk des 90jährigen Malers
zu 3
Dieser Aufgabenteil gestattet eine Fülle von Ansätzen und Möglichkeiten, sich auf die
Persönlichkeit Picassos einzulassen – ihn als einen genialen Künstler von herausragender
Kreativität, Meisterschaft und Produktivität zu kennzeichnen, der wie kein anderer die Kunst des
20. Jahrhunderts beeinflusst und ihr seinen Stempel aufgedrückt hat.
Ganz persönliche, emotional geprägte Gedanken und Wertungen der Schüler sollten ebenso
akzeptiert werden wie eine stärker rationale, kunstwissenschaftlich determinierte Annäherung
bzw. Analyse.
Bei den Zitaten können sowohl prinzipielle Zustimmung als auch skeptische, kritische
Reaktionen erwartet werden. Auch hier äußert sich – symptomatisch für das Phänomen Picasso –
eine geniale und zugleich höchst ambivalente Persönlichkeit mit ihrer individuellen Weltsicht
und Kunstauffassung. Gleichermaßen offenbaren sich Lebensweisheit und künstlerischästhetisches Grundverständnis, ein starkes Selbstbewusstsein – nicht frei von Koketterie – und
schließlich auch geistreicher Witz und Ironie, Freude am polemischen Disput, am Zuspitzen
eines Problems.
Auf Grund der Vielschichtigkeit der in den Zitaten enthaltenen Gedanken sollte keine
vollständige, alle Aspekte umfassende Argumentation erwartet werden. Vielmehr kommt es
darauf an, sich exemplarisch mit Picassos Grundverständnis von Kunst auseinander zu setzen
und eigene Positionen deutlich zu machen. Dabei könnte das dritte Zitat ein kritisches
Reflektieren der Schüler über Sinn und Unsinn, über Formen, Chancen und Grenzen von
Kunstbetrachtung nach sich ziehen – durchdrungen von eigenen Rezeptions- und
Kunsterfahrungen.
Ein Fazit könnte sein, dass Erleben und „Begreifen“ von Kunst in jedem Fall weit über ein
simples Erklären von Bildern bzw. das undifferenzierte Konsumieren vorgegebener Meinungen
und Urteile hinausreichen muss und immer auch den mündigen, eigenständigen Rezipienten
herausfordert.
Abitur 2003 Kunst und Gestaltung Lk (Lehrer)
Seite 10
Insgesamt sollten in den Stellungnahmen verschiedene Bewertungen der Standpunkte Picassos
möglich sein.
Vorschlag zur Gewichtung: 2 : 6 : 4