Der ältere Mensch und die Mediatisierung – Entwicklungslinien

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Der ältere Mensch und die Mediatisierung – Entwicklungslinien
Dieser Text beruht auf einer leicht modifizierten Fassung der Publikation:
Doh, M. (2011). Der ältere Mensch auf dem Weg zur Informationsgesellschaft – Entwicklungslinien, Potenziale und Barrieren
am Beispiel von Internet und Mobiltelefon. In M. Plechaty & H. Plischke (Hrsg.). Ältere Menschen und die Nutzung Neuer
Medien (S.39-78). Regionale Symposien zum demographischen Wandel unserer Gesellschaft 2010. Bad Tölz: Peter-SchilffarthEdition.
Der ältere Mensch und die Mediatisierung – Entwicklungslinien, Potenziale und Barrieren des Internets
Michael Doh, 13.09.2012
1. Einleitung
Moderne Gesellschaften lassen sich gegenwärtig durch zwei zentrale, dynamisch verlaufende Prozesse kennzeichnen: zum einen die demographischen Entwicklung im Sinne einer alternden Gesellschaft. Zum anderen die
technologische Entwicklung der Transformation von analogen zu digitalen Umwelten, was auch als Metaprozess der Mediatisierung verstanden wird (Krotz, 2007). Dabei verläuft die Dynamik dieses Transformationsprozesses ungleich in den Bevölkerungssegmenten, was sich an der Verbreitung der beiden Schlüsselmedien Internet und Mobiltelefon exemplifizieren lässt: Die älteren Kohorten nutzen neue Medien weit unterdurchschnittlich und sind am stärksten von einer „digitalen Exklusion“ betroffen – ein Befund, der durch die beiden sich
überlagernden Prozesse vermutlich auch zukünftig Bestand haben wird.
Die Gründe für die Zugangs- und Nutzungsbarrieren älterer Menschen sind vielfältig und beruhen weniger auf
– oftmals pauschal unterstellten – Akzeptanzproblemen, denn auf strukturellen, rahmenpolitischen Unzulänglichkeiten sowie auf technisch bedingten Barrieren. Im öffentlichen Diskurs besteht weiterhin ein Informationsund Kommunikationsdefizit über die vielfältigen Potenziale, die speziell solche Medien für ältere Menschen
haben können. Diese finden mitunter noch keinen Bezug zu diesen Medien, da sie keinen persönlichen Nutzen
und Mehrwert sehen. Um einer digitalen Kluft zwischen Alt und Jung entgegenzuwirken und ältere Menschen
an einer digitalen Gesellschaft partizipieren zu lassen, reicht es folglich nicht aus, symptombezogen Barrieren
abzubauen. Es bedarf einer altersfreundlicheren Kultur, in der ältere Menschen neue Technologien und Medien
als bedeutsame Ressource für ein gelingendes Altern entdecken können und Möglichkeiten vorfinden, solche
Innovationen zu erlernen und kompetent für ihre Bedürfnisse und Interessen zu verwenden.
2. Verhältnis von Mensch zu Technik und Medien
Aus kulturanthropologischer Sicht sind technische Innovationen als „zweckmäßig genutzte Natur“ (Markl,
1989) zu verstehen. Das Mängelwesen Mensch gebraucht aufgrund seiner biologischen Defizite Technik zur
Kompensation (Gehlen, 1957). Darüber hinaus bieten technische Innovationen neue kreative Freiräume zur
Erfassung von Welt. So sieht der Medientheoretiker McLuhan (1968) in den Massenmedien Fernsehen, Radio
und Printmedien eine Ausweitung unserer Sinnesorgane. Der Philosoph Serres (2002) betrachtet Schrift, Buchdruck und Computer als mediale „Befreiungsgesten“, da sie Auslagerungen des Geistes sind und kognitive und
kreative Freisetzungen ermöglichen.
Neben Chancen und Gewinn bergen Medien und Technik umgekehrt Risiken und Verluste: Anstelle einer unmittelbaren, direkten Wahrnehmung vor Ort, wird uns beim Fernsehen ein fremder Ort medial vermittelt. Wir
erweitern unsere Sinne über Raum und Zeit, gleichzeitig verharren wir mit unseren Sinnen vor Ort und fokussieren auf das Fernsehgerät – McLuhan spricht hier von einer unbewusst in Kauf genommenen Selbstamputation. Und wie jede Tätigkeit ist auch die Mediennutzung immer auch mit Aufwand und Kosten verbunden. Nach
Virilio (1989), einem französischen Philosophen und Medienkritiker, führte die Nutzung von optischen Medien
1
wie Fotografie, Fernsehen oder Kino dazu, dass der Mensch das Sehen mit dem eigenen Auge zurückdrängt zu
Gunsten einem Visualisieren durch technische Objektive.
Das Verhältnis von Mensch, Technik und Medien ist somit ambivalent und gleicht einem doppelgesichtigen
Januskopf: Es beinhaltet Chancen und Risiken, Potenziale und Barrieren, Autonomiegewinn und Autonomieverlust. Entsprechend finden sich im Lauf der Medienevolution nahezu zu jeder Innovation Befürworter wie
Ablehner oder wie es der Semiotiker Eco (1989) ausdrückte: Integrierte und Apokalyptiker. So stellte beispielweise Platon im Phaidros (ca. 370 v. Chr.) das gesprochene Wort über dem geschriebenen. Er lässt Sokrates
gegenüber seinem Schüler Phaidros argumentieren, dass die Schrift nicht viel Wert habe, denn sie sei nur leblose Kopie des Urbildes der beseelten Sprache 1. Und ähnlich einem Standbild oder Skulptur vermag sie keine
Antworten auf Fragen geben und kann sich bei Kritik nicht verteidigen (Szlezak, 1985) – eine medienkonservative Haltung, die von Platons Schüler Aristoteles nicht mehr geteilt wurde (vgl. Kullmann, 1998). Das am stärksten kritisierte Medium ist zweifelsohne das Fernsehen. Das Leitmedium des 20. Jahrhunderts vereinigt Geistesund Naturwissenschaftler – einschließlich Alternsforscher - in ihrer Kritik, die mit dem Fernsehkonsum Bewegungsarmut, Gewalt, Verdummung und Unterhaltungssucht assoziieren (vgl. Aufenanger, 2007; Doh, 2011).
Nur wenige Intellektuelle wie z.B. McLuhan (1968) oder Meyrowitz (1987) verweisen auf Potenziale zur kognitiven, emotionalen, sozialen und kommunikativen Stimulanz, Bildung, Emanzipation und Demokratisierung.
Im Informationszeitalter entspinnt sich dieser Diskurs entlang dem Für und Wider von Computer und Internet.
So warnt Virilio vor der Gefahr einer Datenbombe (vgl. Sandbothe, 2004) und der FAZ-Herausgeber Frank
Schirrmacher (2009) konstatiert eine psychologische und kognitive Überforderung. Im Gegensatz betonen Serres (2002) und Hartmann (2003) Potenziale zur kognitiven Entlastung, zur Wissensaneignung, Partizipation
und Kreativität. Ebenso im Widerstreit befinden sich aktuell die „Sozialen Medien“ bzw. „web 2.0“ des Internets
mit seinen partizipativen Applikationen wie „Facebook“, „Twitter“ oder „YouTube“. Während die „Integrierten“, wie Medienwissenschaftler Shirky (2008), in diesen Medien ein enormes Potenzial für Demokratisierungsprozesse in autoritären Systemen sehen, bezweifeln „Apokalyptiker“ wie der Internetexperte Morozov (2011)
diese Wirkkraft und befürchten kontrainduzierte Effekte, da solche offen organisierten und wenig datengeschützten Internetanwendungen ebenso als Kontroll- und Machtinstrument missbraucht werden können.
Wie diese medienhistorischen Ausführungen zeigen, evozieren technische Hilfsmittel und Medien negative wie
positive Kulturszenarien. Dabei darf nicht verkannt werden, dass Fluch oder Segen weniger vom technischen
Objekt abhängen, sondern von seiner Nutzungsweise. So mahnte bereits 1957 der Anthropologe Gehlen in Bezug auf die Atomenergie: „schon der roheste Faustkeil trägt dieselbe Zweideutigkeit in sich, die heute der Atomenergie zukommt: er war ein brauchbares Werkzeug und zugleich eine tödliche Waffe“ (Gehlen, 1957, S. 7). Es
liegt also nicht an der Technik und den Medien was sie mit uns Menschen machen, sondern was wir damit machen. Um sich vor den Risiken und Gefahren zu schützen und die Potenziale und Chancen zu nutzen, bedarf es
deshalb eines kompetenten und ethisch verantwortungsvollen Umgangs. So sieht der Medienphilosoph Sandbothe (1998) bei der Nutzung des Internets völlig neue Anforderungen an die Medienkompetenz und die Medienethik gestellt. Die in der Medienevolution noch nie dagewesenen Möglichkeiten zum Wissenserwerb und zum
transkulturellen Austausch erfordern völlig neue Anforderungen an komplexe, eigenständige Bewertungskompetenzen. Glaubwürdigkeit und Seriosität von Quellen müssen in einem offenen Informations- und Kommunikationssystem selbst bewertet werden, was eine „transversale Medienkompetenz“ und eine „reflektierende Urteilskraft“ voraussetzt. Dem Zugewinn an Information, Kommunikation und Partizipation stehen erhöhte Kosten an verantwortungsvoller Medienkompetenz gegenüber.
1
„Denn im Vertrauen auf die Schrift werden sie (die Menschen) ihre Erinnerungen mithilfe geborgter Formen von außen
heranholen, nicht von innen aus sich herausziehen; so dass sie sich vielwissend dünken werden, obwohl sie größtenteils
unwissend sind, und schwierig im Umgang sein, weil sie scheinweise geworden sind statt weise“ (aus: ‚Phaidros‘, Platon, 428
– 348 v. Chr.).
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Die Gefahr eines dem Menschen gegenüber unkontrollierbaren und zerstörerischen Golems scheint akuter denn
je zu sein. Der Philosoph Jonas formulierte 1979 in seiner Schrift „Prinzip Verantwortung“ (Jonas, 2003) die
Sorge, dass der Mensch kulturell immer mehr hinter den Erfolgen der Technik zurückbleibt und sich des „planetarischen Umfanges“ und „humanen Tiefganges“ der Hochtechnologie überhaupt nicht bewusst ist (ebd., S.
7). Jonas entwickelt daraus – in Anlehnung an Kants kategorischen Imperativ – einen ökologischen Imperativ,
der auf einen ethisch verantwortungsvollen, auf „Fernwirkung“ gerichteten Umgang mit Technik zielt: „Handle
so, dass die Wirkungen deiner Handlung verträglich sind mit der Performanz echten menschlichen Lebens auf
Erden“ (ebd., S. 36). Der Gerontologe Kruse (2009) leitet daraus die gesellschaftliche Pflicht nach einem technisch sensiblen Einsatz im Umgang mit Verletzlichkeit und Endlichkeit des Menschen ab. Gerade im hohen
Alter, wenn der technische Kulturbedarf ansteigt, gilt es, die Bedürfnisse und Rechte dieser Personen zu berücksichtigen und zu wahren.
So können Mobiltelefone mit Ortungssystemen im Demenzbereich ein wahrer Segen sein – bedenkt man, dass
etwa 20% demenziell erkrankter Personen ziellos „wandern“ und verloren gehen können. Solche Mobiltelefone
ermöglichen diesem Personenkreis mehr Mobilität und Selbständigkeit und entlasten das Pflegepersonal und
pflegende Angehörige. Diese Trackingsysteme erfahren auf beiden Seiten eine hohe Akzeptanz, vor allem wenn
die betroffenen Personen sich in einem frühen Stadium ihrer Erkrankung an diese Technik gewöhnen können
(Claßen, 2012). Diesem Autonomiegewinn steht jedoch ein Autonomieverlust gegenüber, da durch die Aufzeichnung und Speicherung von Daten die Privatsphäre tangiert wird. Es reicht folglich nicht aus, diese Personen zu einer kompetenten Handhabung zu befähigen. Es gilt auch die vielschichtigen ethischen und rechtlichen
Implikationen zu berücksichtigen und transparent zu machen. Bedeutsam ist in diesem Zusammenhang die
Schaffung eines rechtlichen Ordnungsrahmens, um Rechtsunsicherheiten im Umgang mit solchen assistiven
Technologien entgegenzuwirken (Weichert, 2011).
Auch wenn die Kosten im Sinne Herausforderungen und Anforderungen an einen medienkompetenten und
medienethischen Umgang mit digitalen Medien hoch sein mögen, bieten diese doch ein enormes Potenzial für
den Menschen, das es zu Nutzen lohnt. Dies erkannte auch die katholische Kirche als Papst Johannes Paul II
2005 ein Apostolisches Schreiben verkündete, indem er explizit auf das Internet und seine Anwendungsformen
einging: „Fürchtet euch nicht vor den neuen Technologien! Sie sind unter den erstaunlichen Erfindungen der
Technik - 'inter mirifica' -, die Gott uns zur Verfügung gestellt hat, um die Wahrheit zu entdecken, zu nutzen,
bekannt zu machen…“ (Vatikan, 2005). Papst Benedikt XVI. setzte diese technikaffine Haltung um und installierte 2008 seinen Radiosender auf „YouTube“ (www.youtube.com/user/vaticande).
3. „Mediatisierung“ – Entwicklung zu neuen medialen Umwelten
Nach Krotz (2007) lässt sich die Entwicklung der Kommunikationsmedien als Metaprozess der „Mediatisierung“ beschreiben, innerhalb der die seit den 1980er Jahren stattfindende „Digitalisierung“ ein weiterer epochaler Innovationsschub darstellt, wie zuvor die Verbreitung von Schrift, Buchdruck und der elektronischen Medien. Dabei lassen sich drei dynamische Entwicklungslinien ausmachen: Eine zunehmende Geschwindigkeit an
medialen Innovationen (Produkte) und an deren Modifizierungen (Produktgenerationen) sowie eine zunehmende (globale) Verbreitungsgeschwindigkeit in der Adoption und Nutzung solcher Innovationen.
3.1. Vertikale Diffusionsdynamik
Wie noch nie zuvor in der Geschichte der Medien kommen in immer kürzeren Abständen neue mediale Produkte auf den Markt. Wie Abbildung 1 veranschaulicht, verlief seit dem 15. Jahrhundert die Dynamik an technischen Innovationen ein halbes Jahrtausend moderat. Erst mit Beginn des elektronischen Zeitalters gewann die
Innovationsdynamik an Geschwindigkeit. Seit den 1990er Jahren kommen in immer kürzeren Abständen neue
digitale Medien hinzu – allen voran Computer, CD-, DVD-, MP3-Spieler, Internet und Mobilfunk. Mittlerweile
findet in allen Lebensbereichen ein Transformationsprozess von analogen zu digitalen Medienumwelten statt,
die durch Vernetzung, Multimedialität, Interaktivität und Mobilität gekennzeichnet sind. Selbst das Leitmedi-
3
um des analogen Medienzeitalters, das Fernsehen, könnte zukünftig durch das Internet als neues Leitmedium
einer digitalen Medienwelt abgelöst werden.
Abbildung 1: Entwicklung von Medien seit 1450
Quelle: Jäckel, 2008, S. 29.
3.2. Horizontale Diffusionsdynamik
Eine zunehmende Innovationsdynamik besteht aber nicht nur auf vertikaler Ebene, es finden auch auf horizontaler Ebene in immer kürzeren Abständen Weiterentwicklungen bestehender Medien statt. Dies betrifft in besonderer Weise die Basistechnologie Mikroelektronik. Das analoge Telefonnetz benötigte zur Übertragung von
auditiven Signalen lediglich 16.000 Bits (=Bausteine) pro Sekunde (16kBit/s) an Speicherkapazität. Zwischen
1970 und 2000 stieg durch die erste Generation an Digitaltechnik (ISDN = Integrated Services Digital Network)
die Übertragungsgeschwindigkeit von 16k auf 64k Bits pro Sekunde. Mittlerweile können infolge neuer Übertragungstechniken wie Funk (UMTS = Universal Mobile Telecommunications System) problemlos Texte, Grafiken und Videos über Mobiltelefone übertragen werden, mit einer Übertragungsrate von 384kBit/s. Im Internet
liegen die Übertragungsraten noch deutlich darüber – Glasfasernetze wie FTTH (Fibre To The Home) können
über 1 Gigabit (=1 Milliarde Bit) pro Sekunde übertragen. Einen ähnlich rasanten Verlauf nahm die Computertechnologie. Allein zwischen 1995 und 2010 entwickelte sich die Speicherkapazität von 16 Megabit auf 16 Gigabit um den Faktor 1000, und die Prozessorleistung stieg von 100 MIPS auf 10 GIPS um den Faktor 100. Und
das bei gleichzeitig sinkenden Kosten. Heutige Standardrechner hätten vor 30 Jahren noch viele Millionen Euro
gekostet. Experten gehen davon aus, dass diese Entwicklung noch mindestens bis 2030 Bestand haben wird
(Hörbst, 2003).
Dies hat zur Folge, dass Medien wie Computer, Internet und Mobiltelefon sich ständig weiterentwickeln und
innerhalb weniger Jahre neue Modell-Generationen, Updates und Applikationen auf den Markt kommen. Im
Bereich des Mobilfunks steht binnen von zwei Jahrzehnten bereits die vierte Generation an – der UMTSStandard wird vom LTE (Long Term Evolution) abgelöst.
Wie beschaulich hingegen die Entwicklung im Zeitalter analoger Medien ablief, lässt sich für Deutschland am
Leitmedium Fernsehen nachzeichnen. Mit dem Startschuss 1952 begann das Schwarz-Weiß-Fernsehen mit
einem Sender ARD und zwei Stunden Programm pro Tag. Nach einem Jahrzehnt folgten weitere Sender, 1963
das ZDF, ab 1964 die ersten Regionalsender. Farbfernseher gab es ab 1967, die Fernbedienung kam ab 1978
hinzu. Es dauerte über drei Jahrzehnte bis sich das Fernsehen zu einem 24-Stunden Programm entwickelte und
1984 mit der Einführung des dualen Rundfunksystems und neuer Übertragungswege wie Kabel und Satellit das
4
Programmangebot wuchs. Mit Beginn des digitalen Fernsehens Anfang dieses Jahrhunderts erweiterte sich das
Programm-Menü beträchtlich. 2009 waren im Durchschnitt 73 Sender in einem deutschen Haushalt empfangbar (Zubayr & Gerhard, 2010). Und mit dem Aufkommen von digitalem Flachbildschirm, 3D-Fernsehen,
Heim-Kino-Anlage und internettauglichen Hybrid-Fernseher kam Bewegung in den Konsumbereich, das ein
völlig neues Seherlebnis verspricht.
Im Gegensatz dazu hat das Internet in Deutschland seit Öffnung von World Wide Web im Jahr 1994 eine rasante Entwicklung in den Nutzungsformen und Anwendungsmöglichkeiten genommen. War es zunächst primär
ein Arbeitsmedium zum Informationsaustausch, das vor allem im universitären Sektor präsent war, wandelte es
sich mit der Jahrtausendwende zu einem Privatmedium mit neuen Applikationen wie Home-Commerce (vor
allem „E-Bay“, „Amazon“) und Home-Banking. In den letzten Jahren kamen partizipative Anwendungsformen
wie „Wikipedia“, „YouTube“, Facebook“ oder „Twitter“ hinzu (siehe Abschnitt 6.3.). Insbesondere soziale
Netzwerke, bei der jeder Nutzer nicht nur konsumieren, sondern auch publizieren kann, sind binnen weniger
Jahre zu einem globalen Massenphänomen geworden. So wurde „Facebook“ erst 2004 gegründet und besitzt
mittlerweile über 500 Millionen aktive Mitglieder (Facebook, 2011). Diese Dynamik im WWW wird sich in den
nächsten Jahren und Jahrzehnten fortsetzen. Interessante Entwicklungslinien zeichnen sich um das „Semantische Web“ ab, bei dem das Internet dem Nutzer individuell Informationen und Angebote zusammenstellt, indem es das Internetverhalten des Nutzers und dessen Gewohnheiten, Präferenzen und Interessen studiert und
miteinander verknüpft. Auf diese Weise werden z.B. Routenplanungen mit Informationen zu Wetter, Verkehr
oder nutzerspezifischen Kultur- und Übernachtungstipps unterfüttert. Weitere Einflussgrößen für das zukünftige Internet sind Entwicklungsprozesse von kostenlosen zu kostenpflichtigen Informations- und Serviceangeboten („Bezahl-Web“) sowie die technische Fusionierung von Internet und Fernsehen (Hybrid-Fernsehen), die zu
völlig neuen Programmformaten führen werden.
3.3. Nutzungsbezogene Diffusionsdynamik
Der Transformationsprozess hin zu einer digitalen Informationsgesellschaft geht zudem mit einer global noch
nie dagewesenen Nachfrage nach digitalen Medien einher. Dies gilt allen voran für die beiden Schlüsselmedien
Internet und Mobiltelefon. Die Anzahl an Internetnutzern (Onlinern) wuchs in den ersten zehn Jahren nach
Freigabe des Netzes auf eine Milliarde im Jahr 2005 an; bereits fünf Jahre später sind es fast zwei Milliarden
Onliner (Internet World Stats, 2011). Noch rasanter verlief in den letzten zehn Jahren die Diffusion mit Mobiltelefonen: Seit 2001 gibt es eine Milliarde Mobiltelefon-Verträge, 2005 schon zwei Milliarden, 2010 fünf Milliarden (ITU, 2011).
Wie Abbildung 2 zeigt, gibt es global kein Medium, dass solch eine Verbreitung in der Bevölkerung erfahren hat
wie das Mobiltelefon. Hochgerechnet liegt die globale Verbreitung bei drei von vier Personen; dabei gibt es in
Europa und in den USA bereits mehr Mobiltelefone mit Vertrag als Einwohner. Aber auch für das junge Massenmedium Internet ist die Entwicklung imposant, weltweit zählen mittlerweile über 30% zu den Onlinern. Seit
2006 liegt die Diffusionsrate über dem Festnetz-Telefonanschluss, deren Rate seit einigen Jahren kontinuierlich
zurückgeht und alsbald von mobilen Netzen abgelöst sein wird.
Welche gesellschaftlichen Auswirkungen diese Entwicklung in den nächsten Jahrzehnten haben könnte, offenbart eine internationale Delphi-Studie unter Medienexperten aus Wirtschaft, Wissenschaft und Politik aus dem
Jahr 2009. Als Kernbotschaft sehen sie: „Die Digitalisierung und die noch weiter zunehmende IKTDurchdringung aller privaten und beruflichen Lebensbereiche werden die Informationsgesellschaft in der Zukunft noch umfassender formen. Bereits in zehn Jahren wird die IKT unser gesamtes Leben prägen. Eine umfassende Vernetzung wird private, geschäftliche und öffentliche Bereiche miteinander verbinden und damit sowohl
die Gesellschaft als auch die Politik beeinflussen.“ (Münchner Kreis et al., 2009, S.14).
Diese Entwicklungstrends haben weitreichende Implikationen für ältere Menschen. Der öffentliche und private
Raum werden mediatisierter, technisierter und digitaler. Damit wird in besonderer Weise der „Umweltdruck“
für Altersgruppen aus der „analogen Mediengeneration“ zunehmen, sich mit den Veränderungen auseinander
zu setzen. Ein sich Verschließen und Verweigern erschwert nicht nur die gesellschaftliche Teilhabe und Mitge-
5
staltung. Es verhindert die Erschließung von Potenzialen zur Kommunikation, Information, Bildung, Partizipation, Mobilität, Sicherheit und Selbständigkeit. Die Möglichkeit durch moderne Technik länger selbständig zu
Hause wohnen bleiben zu können, ist auch von gesellschaftlichem Interesse, da es Gesundheitskosten sparen
kann (siehe Abschnitt 6.5).
Abbildung 2: Globale Entwicklung von Internet und Mobiltelefon, 2000 - 2010
Quelle: ITU (2011); eigene Bearbeitung.
Offenheit für Neues und lebenslanges Lernen in Bezug auf neue Medien und Technologien werden folglich zu
zentralen Komponenten für ein erfolgreiches und gelingendes Altern in der Informationsgesellschaft. Umso
mehr als eine kontinuierliche Weiterbildung und Modifizierung von Kompetenzen erforderlich werden. Um
den Anschluss an die digitale Welt nicht zu verlieren, reicht es nicht aus „drin zu sein“, man muss auch bestrebt
bleiben „dran zu bleiben“.
Dabei lassen sich konstante Größen ausmachen: Internet und Mobiltelefon werden als Schlüsselmedien für die
nächsten Jahrzehnten relevant bleiben, hinzu kommt als Schlüsselanwendung eine menügesteuerte Bedienungsoberfläche wie bei Bankautomaten, Fahrkartenschalter und Computersoftware. Dabei ist es hilfreich, sich möglichst frühzeitig mit diesen Medien und Bedienungsweisen vertraut zu machen. Denn wer im jungen „Dritten
Alter“ – wenn kognitive, sensorische und motorische Einbußen vergleichsweise gering ausgeprägt sind – lernt,
mit diesen Umwelten kompetent umzugehen, hat es im „Vierten Alter“ – wenn Einbußen zunehmen – leichter,
technische Innovationen als Ressource zur Kompensation, Unterstützung und Erweiterung einzusetzen.
Vor dem Hintergrund des kulturellen und technischen Fortschritts und seinen gesellschaftlichen Implikationen
für das Alter lässt sich einerseits eine gesellschaftsdemokratische Verpflichtung zur „digitalen Inklusion“ älterer
Menschen ableiten. Dazu bedarf es der Förderung einer altersfreundlicheren Kultur (Kruse, 2007), beispielsweise durch barrierefreie Techniken, den Ausbau von Lern- und Zugangsorten zu neuen Medien, aber auch der
Weiterbildung älterer Arbeitnehmer, flexible Ruhestandsregelungen, bürgerschaftliches Engagement und eine
verstärkte Adressierung älterer Menschen in Medien und Werbung. Auf der anderen Seite sieht Kruse (2007)
für das Alter eine bürgerschaftliche Pflicht zu lebenslangem Lernen – zum Erhalt von Selbständigkeit und
Übernahmen von Selbstverantwortung und sozialer Teilhabe. Dies erfordert in der nachberuflichen Phase ein
hohes Maß an Motivation und Lernbereitschaft, da formale und informale Lernumgebungen wie in der produktiven Berufsphase entfallen. Sinngemäß folgert die Sachverständigenkommission zum Sechsten Altenbericht der
Bundesregierung: „Es gibt nicht nur ein Recht auf Bildung, sondern auch eine Pflicht zur Bildung, und zwar
über den gesamten Lebenslauf hinweg. Dies beinhaltet eine Verpflichtung aller Institutionen, die mit allgemeiner und beruflicher Bildung befasst sind, Bildungsangebote für alle Lebensalter zu unterbreiten.“ (Deutscher
Bundestag, 2010, S.270). Und gibt als Empfehlung aus: „Es ist deshalb eine wichtige Aufgabe für Bildungsträger,
6
auch älteren Menschen Angebote zu machen, um deren Medienkompetenzen zu fördern und den Nutzungsgrad
neuer Medien zu erhöhen. Ältere Menschen selbst sind aufgefordert, sich Medienkompetenzen anzueignen und
sich mit den Möglichkeiten der digitalen Welt auseinanderzusetzen.“
Tatsächlich weisen heutige ältere Kohorten in Deutschland eine hohe Technikoffenheit auf (Claßen, 2012).
Doch wie schlägt sich dies in der Adoption und Nutzung von neuen Medien wie Internet oder Mobiltelefon
nieder? Haben mittlerweile Senioren das Internet erobert oder besteht vielmehr die Gefahr, dass ältere Menschen den Anschluss an die digitale Welt verlieren?
4. Digitale Klüfte
4.1. Zugangskluft zu Internet und Mobiltelefon nach Ländern
Zunächst sollen einige empirische Befunde helfen, den Standort Deutschland im internationalen Vergleich
einzuordnen. Hierzu werden online abrufbare Media-Daten von „eurostat“ der Europäischen Kommission
(2011) herangezogen.
Abbildung 3: Nutzung von Mobiltelefon in Europa, 2008
in Prozent
100
65-74 Jahre
86
90
16-74 Jahre
80
70
60
30
79 78 75
74 72 70
69 68 68 67
64 62
59 59 58 58 58
54 53 51
20
43 42
Kroatien
Malta
Portugal
Litauen
Zypern
Lettland
Spanien
Slowenien
Frankreich
EU 27
Belgien
Deutschland
Slowakei
Tschechien
Italien
Österreich
Estland
Ungarn
Niederlande
Dänemark
Großbritannien
Norwegen
Schweden
Luxemburg
Island
Finnland
0
Griechenland
10
32 32 31 30
Polen
85 84 84
Mazedonien
90 90
Bulgarien
40
Rumänien
50
Quelle: Eurostat, 2008; Anteil an Personen, die ein Mobiltelefon nutzen.
Die Ergebnisse sind in Bezug auf die Verbreitung und Nutzung von Mobiltelefon und Internet ernüchternd.
Deutschland gehört keineswegs zu den führenden Nationen auf dem Weg zur Informationsgesellschaft. Von 30
untersuchten europäischen Ländern steht Deutschland in der Nutzung von Mobiltelefonen erst an 21. Stelle:
Unter den 16-74-Jährigen gaben 2008 86% an ein Mobiltelefon zu gebrauchen, was knapp unter dem Durchschnitt der Europäischen Union liegt (87%). Bei den 65-74-Jährigen liegt der Anteil mit 67% zwar etwas über
dem Durchschnitt (62%), doch stellt dies lediglich Platz 15 dar. Als überaus technikaffin gelten die skandinavischen Länder sowie Island und Luxemburg. Unter diesem älteren Personenkreis sind die Länder Finnland und
Island führend, deren Nutzungsraten von 90% sogar höher ausfallen als für die deutsche Gesamtbevölkerung
(siehe Abb. 3).
Etwas moderner erscheint Deutschland bei der Betrachtung der Internetnutzung. 80% der 16-74-Jährigen geben
an, mindestens monatlich das Internet zu nutzen; von den 65-74-Jährigen sind es hingegen 41%. Damit liegt
7
Deutschland in beiden Altersgruppen an 9. Stelle, wenngleich deutlich über dem Durchschnitt der Europäischen
Union (69% bzw. 28%). Dennoch beträgt der Abstand bei den 65-74-Jährigen zu den führenden Nationen, wie
schon für das Mobiltelefon, über 20 Prozentpunkte. Generell ist die Diskrepanz zwischen Alt und Jung besonders ausgeprägt in Ländern, in denen das Diffusionsniveau niedrig ausfällt (siehe Abb. 4).
Abbildung 4: Nutzung von Internet in Europa, 2010
in Prozent
100
65-74 Jahre
16-74 Jahre
90
80
80
70
60
50
40
Türkei
Bulgarien
Rumänien
Griechenland
Zypern
Kroatien
Mazedonien
Polen
Portugal
Litauen
Slowakei
Irland
Tschechien
Estland
EU27
Österreich
Belgien
Frankreich
Finnland
Deutschland
Island
Großbritannien
Dänemark
Niederlande
Norwegen
Schweden
Luxemburg
0
13 13 13 12 11 11 10 10 10
8 7 6 4
3 3 3
Italien
28 28 24
20 19 18
Lettland
10
Malta
46 43
41 39
35
Slowenien
20
Ungarn
58 56 56 55
Spanien
64 63
30
Quelle: Eurostat, 2010; Anteil an Personen, die das Internet in den letzten 3 Monaten genutzt haben.
Diese Kluft zu den führenden Nationen resultiert einzig auf einer Unterversorgung der älteren Kohorten. Wie
Abbildung 5 anführt, besteht hinsichtlich einer regelmäßigen Internetnutzung in den jüngeren Altersgruppen
bis 44 Jahren kaum ein Unterschied zum jeweiligen Spitzenland. Das Ausschöpfungspotenzial ist mit Werten
von nahezu 100% erreicht. Erst in den weiteren Altersgruppen geht die Schere auf. Bei den 55-64-Jährigen und
den 65-74-Jährigen sind es jeweils 23, bei den über 75-Jährigen 25 Prozentpunkten.
Abbildung 5: Unterschied in der Internetnutzung zwischen Deutschland und Spitzenland, 2010
64
65
40
41
Norwegen
84
60
Luxemburg
93
87
Schweden
96
97
Norwegen
98
99
Finnland
80
100
Schweden
100
100
Schweden
in Prozent
41
20
16
0
16-24 J.
25-34 J.
35-44 J.
45-54 J.
55-64 J.
Deutschland
65-74 J.
75+ J.
Quelle: Eurostat, 2010; Anteil an Personen, die das Internet in den letzten 3 Monaten genutzt haben.
8
4.2. Zugangskluft zum Internet nach Alter
Im Folgenden wird die Entwicklung der Internetdiffusion in Deutschland nach soziodemographischen Merkmalen genauer betrachtet. Hierfür werden eigene Analysen aus dem (N)Onliner-Atlas verwendet, einer repräsentativen Internet-Studie mit einer Stichprobe von über 30.000 Personen zwischen 14 Jahren und 99 Jahren,
die seit 2002 jährlich aufgelegt wird.
In den letzten Jahren hat das Internet seinen Nutzerkreis enorm erweitern können. Zwischen 2002 und 2010
wuchs der Anteil von 42% auf 72%. Dabei wurden die größten Zuwächse jenseits der Altersgrenze von 50 Jahren
erzielt; und zwar besonders in den jüngeren Altersgruppen 50-59 Jahren mit 38 Prozentpunkten und den 60-69Jährigen mit 40 Prozentpunkten. Während 2010 in der Altersgruppe unter 50 Jahren nahezu eine Vollabdeckung besteht, zählt unter den 50-59-Jährigen immerhin drei Viertel und bei den 60-69-Jährigen jeder Zweite zu
den Onlinern. Unter den 70-79-Jährigen konnte sich das Verbreitungsniveau im Beobachtungszeitraum von 7%
auf 27% nahezu vervierfachen, doch liegen die Zuwachsraten von 20 Prozentpunkten unter dem Durchschnitt.
Mit 11 Prozentpunkten fiel der Anstieg in der Altersgruppe ab 80 Jahren noch geringer aus, wenngleich 2002
erst jeder 50. zu den Onlinern gehörte und 2010 immerhin jeder Achte (siehe Abb. 6).
Abbildung 6: Entwicklung der Internetdiffusion in Deutschland nach Alter, 2002 - 2010
%
100
90
Nutzungsplaner
Onliner
72
80
60
54
60
40
70 72
76
79 81
85
89
34
46
20
50 53
57 58
63
27
67
49
14
21
42
25
29
13
33 35
7
9 10 12
0
2002
2010 2002
14-49 Jahre
2010 2002
50-59 Jahre
2010 2002
60-69 Jahre
14 15
19 22
2
7 8
3 5 4 6
2010 2002
70-79 Jahre
11
2010
80-99 Jahre
Quelle: (N)Onliner-Atlas 2002-2010, n=30.000 – 50.000.
Dabei ist der Zuwachs an Onlinern in der Altersgruppe ab 60 Jahren teilweise dem Nachwachsen jüngerer Kohorten geschuldet. Bei Betrachtung der Entwicklung der Internetdiffusion nach Kohorten wird ersichtlich, dass
im Beobachtungszeitraum 2002 bis 2010 besonders die jüngeren Kohorten, die nach 1940 geboren wurden,
starke Zuwachsraten von über 20 Prozentpunkten aufweisen. Zwar wuchsen auch in den älteren Kohorten die
Anteile an Onlinern deutlich an, jedoch auf einem unterdurchschnittlichen Niveau: In der Kohorte der 19301939-Geborenen stieg das Diffusionsniveau von 10% auf 24%, und in der Kohorte 1920-1929 von 5% auf 13%
(siehe Abb. 7).
9
Abbildung 7: Entwicklung der Internetdiffusion in Deutschland nach Kohorten, 2002 - 2010
%
100
90
Nutzungsplaner
Onliner
80 67
69
46
60
40
78
74 77
81 84
50
87 89
28
54
58 60 61 61
65 67
20
24
36 37 38
40 40
44
49
13
10
14 16 16
0
2002
2010 2002
K1970-79
2010 2002
K1950-59
19 18 21
22
2010 2002
K1940-49
5
11
6 6 7 7 8 8
2010 2002
K1930-39
2010
K1920-29
Quelle: (N)Onliner-Atlas 2002-2010.
Trotz hoher Zuwachsraten unter den älteren Menschen bleibt eine enorme Diskrepanz zu Personen unter 50
Jahren bestehen. Dies veranschaulicht eine Zusammenstellung aus der zeitlich am längsten geführten repräsentativen Internetstudie, der ARD/ZDF-Online-Studie (van Eimeren & Frees, 2010). Betrug die Kluft hinsichtlich
des Internetdiffusionsniveaus der beiden Altersgruppen unter und über 60 Jahren 2002 bereits 50 Prozentpunkte, wuchs die Differenz 2010 auf 58 Prozentpunkte (siehe Abb. 8).
Abbildung 8: Entwicklung der Kluft in der Internetdiffusion zwischen unter und über 60 Jahren, 1997 - 2010
Quelle: Eigene Berechnungen aus ARD/ZDF-Online-Studien 1997-2010 (n=ca.1.800); Basis: Personen, die das Internet
zumindest gelegentlich nutzen.
Die Kluft zwischen Alt und Jung nahm in den letzten Jahren keineswegs ab! Allerdings könnte mittlerweile der
Höchstwert an digitaler Kluft überschritten worden sein. Betrachtet man in Abbildung 10 die Prognosen zu den
Nutzungsplanern (Personen, die vorhaben, das Internet in den nächsten 12 Monaten neu zu nutzen), könnte
10
sich in den nächsten Jahren die Schere zwischen Alt und Jung verringern. Zum einen besteht in den Altersgruppen unter 50 Jahren nahezu schon eine Vollabdeckung an Onlinern, weshalb seit 2009 die Anteile an Nutzungsplanern rückläufig sind und nur noch bei ca. 3% liegen. Zum anderen liegen die Werte in der Altersklasse zwischen 50 Jahren und 69 Jahren am höchsten mit über 5%, ebenso nimmt in den Altersgruppen ab 70 Jahren der
Anteil an Nutzungsplanern leicht zu.
Senioren erobern zwar nicht das Internet, gleichwohl entdecken sie es zunehmend. Zwischen 2002 und 2010 hat
sich die Anzahl an „Silver-Surfern“ ab 60 Jahren vervierfacht, von 1,4 Millionen auf 5,7 Millionen Personen.
Dadurch verdoppelte sich deren Anteil innerhalb der Onliner-Gemeinde von 7% auf 16% (siehe Abb. 9).
Abbildung 9: Entwicklung der Altersstruktur der Onliner, 2002 – 2010
100%
80%
1,8
5,0
1,9
6,6
2,1
7,5
2,4
8,4
0,3
0,4
0,5
0,6
0,7
12,5
2,8
9,1
2,9
9,6
3,3
9,7
3,5
10,1
13,5
4,3
10,6
14,1
13,9
14,1
14,0
14,2
14,8
15,6
0,2
0,2
0,3
0,2
60%
40%
80+ J.
70-79 J.
60-69 J.
80,6
77,8
76,1
75,1
73,8
73,1
72,4
71,0
50-59 J.
68,8
14-49 J.
20%
0%
2002
2003
2004
2005
2006
2007
2008
2009
2010
Quelle: (N)Onliner-Atlas 2002-2010. Basis: Personen, die das Internet nutzen.
Nicht nur die Gesellschaft altert, auch das Internet. Das Durchschnittsalter der Onliner lag 2002 bei 36 Jahren,
2010 bereits bei 41 Jahre – was aber immer noch jünger ist als das Bevölkerungsdurchschnittsalter von 47 Jahren. Im Übrigen stieg im gleichen Zeitraum das durchschnittliche Alter der Nichtnutzer des Internets, der sogenannten Offliner, in stärkerem Umfang – von 54 Jahre auf 63 Jahre.
4.3. Zugangskluft zum Internet unter älteren Menschen nach soziodemographischen Merkmalen
Eine weitere Differenzierung der Internetdiffusion unter älteren Menschen, unterstreicht die Heterogenität
dieser Altersgruppe. Keine andere Altersgruppe zeigt solch eine Vielfalt an unterschiedlichen Lebensformen,
Bedürfnislagen und Ressourcen wie Personen in der nachberuflichen Phase (vgl. Wahl & Gitlin, 2007). Dies
drückt sich auch im Umgang mit klassischen und modernen Medien aus (vgl. Doh, 2011). Wie eigene Diffusionsanalysen zeigen, besitzen innerhalb der Gruppe ab 60 Jahren soziodemographische Merkmale eine weit größere Bedeutung als in jüngeren Altersgruppen.
Der Bildungs- und Einkommensstatus sind dabei die größten Einflussfaktoren. Wie Abbildung 10 veranschaulicht, weisen formal hoch Gebildete (Abitur, Studium) in allen Altersgruppen eine höhere Affinität zum Internet
auf als formal niedrig Gebildete (Haupt-, Volksschule); doch nimmt die Kluft mit dem Alter kontinuierlich zu.
Während die Differenz bei den 14-49-Jährigen 14 Prozentpunkte beträgt, sind es bei den 50-59-Jährigen 28
Prozentpunkte und bei den 60-69-Jährigen bereits 40 Prozentpunkte. Aufgrund des geringeren Diffusionsniveau gehen in den weiteren Altersgruppen die Kennwerte zurück; doch bleibt die Differenz markant: Der Anteil
an Onlinern liegt bei den Altersgruppen ab 70 Jahren mit hohen Bildungsstatus um das Dreifache höher als bei
den Altersgruppen mit niedrigen Bildungsstatus.
11
Abbildung 10: Internetdiffusion 2010 nach Bildungsstatus und Alter
%
100
97 91
90
Hoch
83
Mittel
Niedrig
80
75
80
62
61
60
52
40
40
33
32
17
20
11 9
0
14-49 Jahre
50-59 Jahre
60-69 Jahre
70-79 Jahre
80+ Jahre
Quelle: (N)Onliner-Atlas 2010; n=30.690.
Von den Personen zwischen 60 Jahren und 69 Jahren mit einem Haushaltsnettoeinkommen von über 2.000 € im
Monat gehören 2010 drei Viertel zu den Onlinern, von den Personen mit einem Einkommen von unter 1.000 €
im Monat ist es nur jeder Fünfte. Unter den 70-79-Jährigen einkommensstarken Personen gehört jeder Zweite
zu den Onlinern, unter den einkommensschwachen Personen nur jede Zehnte. Hingegen fällt diese Kluft bei
den 14-49-Jährigen sehr gering aus (94% zu 84%). In ähnlicher Weise lassen sich verstärkende Diskrepanzen im
Zugang zum Internet nach Geschlecht, Haushaltsgröße und Region nachzeichnen.
Bemerkenswert ist in Bezug auf die Region, dass speziell unter älteren Menschen die Kluft zwischen alten und
neuen Bundesländern ausgeprägt ist. Während in Bremen die prozentuale Verbreitung mit Internet unter Personen ab 65 Jahren am stärksten fortgeschritten ist, fällt sie am geringsten in den neuen Bundesländern wie
Thüringen und Mecklenburg-Vorpommern aus. Allerdings weisen auch das Saarland, Rheinland-Pfalz und
Bayern unterdurchschnittliche Diffusionsraten auf, während Berlin überdurchschnittliche Werte besitzt (siehe
Abb. 11).
Diese Analysen offenbaren, dass unter den Personen ab 60 Jahren bzw. den Kohorten vor 1940-Geborenen bevorzugt eine ganz segmentierte Bevölkerungsgruppe das Internet nutzt: Die jungen Alten, Männer, Personen
mit hohen Bildungs- und Einkommensstatus, in einem Mehr-Personen-Haushalt lebend und aus dem Westen
kommend. Man könnte diese Gruppe in Bezug auf moderne Medien als privilegierte Pioniere bezeichnen, oder
wie es die Werbewirtschaft macht als “Best Ager”. Wie unterschiedlich die Affinität unter den älteren Menschen
in Deutschland ist, zeigt ein Extremgruppenvergleich: Von nicht alleinlebenden Männern ab 60 Jahren, die aus
den alten Bundesländern kommen und einen hohen Bildungs- und Einkommensstatus aufweisen, gehören 2010
bereits 83% zu den Onlinern. Von den alleinlebenden Frauen ab 60 Jahren, die aus den neuen Bundesländern
kommen und einen niedrigen Bildungs- und Einkommensstatus besitzen, sind es lediglich 4%.
12
Abbildung 11: Internetdiffusion 2010 nach Bundesland ab 65 Jahren
Quelle: (N)Onliner-Atlas 2010.
4.4. Kluft zwischen Alt und Jung in der Nutzung und Kompetenz
Zwischen Alt und Jung bestehen nicht nur im Zugang zum Internet, sondern auch in der Art und Weise wie
dieses Medium genutzt wird. Ältere Onliner weisen ein selektives und eingeschränktes Nutzungsprofil auf: Laut
eurostat-Daten von 2010 gehen in Deutschland ältere Onliner mindestens einmal in der Woche ins Netz; unter
den 65-74-jährigen Onlinern liegt der wöchentliche Nutzerkreis bei über 80% und der tägliche Nutzerkreis bei
56%. Hingegen gehen von den 16-24-jährigen Onlinern 86% täglich ins Internet. Und ist der ältere Onliner im
Netz, dann verbringt er auch weniger Zeit mit dem Internet als jüngere Onliner. Die ARD/ZDF-Onlinestudie
von 2010 weist z.B. für die 14-29-Jährigen eine Verweildauer von 132 Minuten aus; bei den Onlinern ab 50 Jahren beträgt die Dauer bei 84 Minuten (van Eimeren & Frees, 2010, S.347).
Acht von zehn Onlinern im Alter zwischen 65 Jahren und 74 Jahren nutzen 2010 ein oder zwei Aktivitäten im
Internet, aber nur jeder Fünfte drei oder mehr; von den 16-24-jährigen Onlinern verwenden 84% mindestens
drei Internetanwendungen; 21% sogar fünf oder mehr Anwendungen. Die hauptsächlich genutzten Internetanwendungen sind das E-Mailen und die Nutzung von Suchmaschinen. Drei Viertel der Onliner ab 60 Jahren
nutzen diese Möglichkeiten mindestens wöchentlich. Nahezu alle Anwendungen werden von älteren Onlinern
unterdurchschnittlich verwendet, mit Ausnahme von Home-Banking: Der wöchentliche Nutzkreis liegt hier bei
einem Drittel, bei den Jugendlichen sind es hingegen nur 6%. Online-Spiele und die Sozialen Medien werden
bislang nur von einer kleinen Minderheit älterer Onliner genutzt (siehe Abb. 12).
13
Abbildung 12: Nutzung von Internetanwendungen nach Alter, 2009
mindestens einmal wöchentlich genutzt, in %
82
E-Mailen
85
74
82
Suchmaschine nutzen
74
Home-Banking
33
6
49
72
30
17
Online-Spiele
30
12
30
Instant Messaging
80
10
27
Communities
8
Foren, Chats
7
79
25
Online-Shopping
3
0
Gesamt
14-19 Jahre
60+ Jahre
33
Einfach so rumsurfen
90
76
8
5
20
40
60
80
100
Quelle: ARD/ZDF-Online-Studie 2009; n=1.186 (van Eimeren & Frees, 2009).
Nach der OnlineNutzerTypologie (ONT) von Oehmichen und Schröter (2008) entsprechen ältere Onliner
überwiegend dem Typus des „Selektiv-/Randnutzers“, der durch einen geringen Aktivitätsgrad und geringe
Innovationsfreude im Netz gekennzeichnet ist. Sie sind vorwiegend informations- und kommunikationsorientiert, selektiv und zielorientiert im Netz unterwegs. Doch wird sich vermutlich mit wachsender Interneterfahrung das Nutzungsprofil älterer Onliner erweitern, so dass zukünftig auch Internetanwendungen wie web2.0,
Online-Einkaufen und Online-Spiele an Attraktivität gewinnen werden.
Ältere Onliner sind zumindest in Bezug auf die technischen Kenntnisse über Computer und Internet den jüngeren Nutzergruppen unterlegen. Auf Basis von eurostat-Daten von 2007 gibt unter den deutschen 16-24-Jährigen
jeder Zweite an, Computerprobleme (z.B. Computer läuft zu langsam) selbständig in den Griff zu bekommen;
bei den 65-74-Jährigen ist es nur jeder Zehnte. In der jüngeren Altersgruppe haben 61% einen Virenschutz installiert, hingegen in der älteren Altersgruppe nur 17%. Während 2009 drei Viertel der 16-24-Jährigen neue
Geräte wie z.B. Drucker oder Modem anschließen und installieren können, ist es unter den 65-74-Jährigen nur
jeder Vierte. Dabei hat in den letzten Jahren das technikbezogene Kompetenzniveau älterer Computer- und
Internetnutzer in Deutschland zugenommen und liegt deutlich über der EU-Norm. Allein die technikaffinen
Länder wie Norwegen, Luxemburg und Dänemark besitzen altersübergreifend ein noch höheres Niveau. Ein
klares Indiz, dass mit zunehmender Erfahrung im Umgang mit diesen Medien auch die Kompetenz steigt.
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass Deutschland im europäischen Kontext in Bezug auf technikdistante
Gruppen noch einen erheblichen Nachholbedarf zu leisten hat. Entsprechend formuliert die Delphi-Studie für
die weitere Entwicklung in Deutschland: „Die größte Herausforderung dabei ist, die Digitale Spaltung zu überwinden, d.h. Zugangsoptionen, Breitbandangebot und Kompetenz zu schaffen. […] Die Ergebnisse zeigen, dass
Deutschland bei diesem Themenkomplex derzeit nicht zum Kreis der weltweit führenden Länder gehört. Die
verantwortlichen Kräfte sind aufgefordert, erhebliche Anstrengungen zu unternehmen.“ (Münchner Kreis et al.,
2009, S.14). Ein ähnliches Fazit zieht auch der 6. Altenbericht: „Die digitale Spaltung stellt die Gesellschaft vor
neue medienpolitische und medienpädagogische Herausforderungen: Der digitale Graben muss geschmälert,
Medienkompetenz gefördert, medienspezifische Vorurteile abgebaut und Chancengleichheit geschaffen werden.“ (Deutscher Bundestag, 2010, S.151).
14
5. Barrieren
Die Gründe, warum viele ältere Menschen kein Internet nutzen, sind vielfältig. Man kann hierbei drei Komponenten von Barrieren unterscheiden. Umweltbarrieren, die sich aufgrund der sozialen Kategorien Lebensphase
und Generation ergeben; Umweltbarrieren, die in direkten und indirekten Zusammenhang mit dem Medium
stehen und personenbezogene Barrieren. Diese Barrieren beziehen sich aufeinander, was den Zugang und die
Nutzung zum Internet zusätzlich im Alter erschweren kann.
5.1. Lebensphase „Alter“ als Barriere
Alter ist eine soziale Kategorie und wird in modernen Gesellschaften in Verbindung mit dem Ruhestand bzw.
der nachberuflichen Phase gesehen. Mit dem Ausscheiden aus der „produktiven“ Lebensphase beginnt die Lebensphase „Alter“, was gemeinhin mit Verlusten auf monetärer und sozialer Ebene und Gewinnen an freier Zeit
und neuen Gestaltungsmöglichkeiten einhergeht. Diese Lebensphase impliziert aber auch sozio-strukturelle
Ungleichheiten und Defizite in Bezug auf lebenslanges Lernen und soziale Teilhabe. So bemängelt der 5. Altenbericht (Deutscher Bundestag, 2006), dass die Potenziale des Alters noch völlig unzureichend für das ältere
Individuum und für die Gesellschaft genutzt werden. Es bestehen für ältere Menschen Versorgungslücken im
Bereich des bürgerschaftlichen Engagements, an Bildungsangeboten und in der Zielgruppenansprache als Konsument und Medienrezipient. Die Erziehungswissenschaftlerin Kade spricht in diesem Zusammenhang von
einer „Vergesellschaftungslücke“: „Für jedes Lebensalter hält die Gesellschaft typische Regularien, Sozialisationsformen und Institutionen bereit, nur nicht für das Alter“ (Kade, 2009, S. 109).
So werden ältere Arbeitnehmer unzureichend weitergebildet, mit Verweis auf die anstehende Verrentung. Als in
den 1980er Jahren der Computer und in den 1990er Jahren das Internet zum festen Bestandteil der Arbeitswelt
wurde, erhielten ältere Arbeitnehmer keine konsequente Schulungen. Damit ging ein enormes Potenzial an
älteren Multiplikatoren für die Bildungsarbeit verloren. In ähnlicher Weise wurde es versäumt, umfangreiche
Bildungsmaßnahmen zu neuen Medien für ältere Menschen auf den Weg zu bringen. Obwohl mittlerweile im
städtischen Bereich vielfältige mediale Bildungsangebote für ältere Menschen bereitstehen, und sich vielerorts
Senioren-Computerclubs und Internet-Cafés gebildet haben, besteht besonders im ländlichen Raum noch eine
Unterversorgung. Da im Gegensatz zur Arbeitswelt Weiterbildung im Alter nicht kollektiv und institutionalisiert vorgegeben ist, sondern individuell und eigeninitiativ geschieht, werden formale Bildungsangebote überwiegend von einer selektiven Gruppe junger, formal besser Gebildeter wahrgenommen. Bildungsferne und
hochaltrige Personen werden durch solche Angebote kaum erreicht. Es mangelt bundesweit, besonders im ländlichen Raum, an niedrigschwelligen, quartiersbezogenen Zugangs- und Lernorten, an denen bildungsferne Personengruppen den Umgang mit neuen Medien kennenlernen können.
Zudem besteht in Deutschland eine vergleichsweise große Distanz zu Medienangeboten in Bildungseinrichtungen. Laut eurostat-Analysen von 2010 haben unter den 16-74-Jährigen Onlinern lediglich 6% in den letzten drei
Monaten in einer institutionellen Einrichtung wie VHS das Internet genutzt. In den skandinavischen Ländern
und den Niederlanden fallen die Anteile um über das Doppelte höher aus, in Island sogar um das Vierfache.
Deutschland gehört hierbei zum Schlusslicht, lediglich die Türkei, Griechenland und Italien weisen noch geringere Werte auf. Insofern wundert es nicht, dass laut der ARD/ZDF-Offline-Studie 2010 Offliner zu zwei Dritteln
aus Personen ab 60 Jahren und fast drei Vierteln aus Nicht-Berufstätigen und Personen mit Volks- oder Hauptschulabschluss besteht. Wer im Beruf in Kontakt mit dem Internet kam, fällt es in der nachberuflichen Phase
leichter, Nutzungsbarrieren abzubauen und kompetent zu nutzen (Gerhards & Mende, 2009, S.366).
Darüber hinaus stehen Personen jenseits der 50 Jahre nicht im Fokus der werbetreibenden Wirtschaft. Dies gilt
nicht nur für Konsumgüter, sondern auch für die Medien. So wird z.B. der Erfolg einer Fernsehwerbung nicht
auf Basis der Einschaltquoten aller Zuschauer gemessen, sondern nur in der Altersgruppe 14-49 Jahre. Es gibt
zahlreiche Beispiele, in denen Sendungen abgesetzt wurde, da die Quote in der werberelevanten Zielgruppe zu
niedrig war, obwohl die Sendung in der Gunst älterer Zuschauer ein großer Erfolg war. Der frühere RTL-Chef
Helmut Thoma rechtfertigte solche Programmkorrekturen mit dem diskriminierenden Verweis „Die Kukidents
15
überlasse ich dem ZDF“ (Kayser, 1996, S.275). Aber selbst bei den öffentlich-rechtlichen Sendern finden sich
Programmanpassungen, um das Publikum zu „verjüngen“. Mit einer altersfreundlichen Kultur, wie es Kruse
(2007) einfordert, hat dies wenig zu tun – vor allem nicht, wenn man bedenkt, dass es sich um das Leitmedium
älterer Menschen handelt. Aber auch in Bezug auf neue Medien werden ältere Menschen weder als Konsument
noch als Rezipient ausreichend wahrgenommen. Werbung für technische und mediale Innovationen sprechen
fast ausnahmslos jüngere Altersgruppen an und verwenden junge Protagonisten als Identifikationsfiguren. „Generationen 50plus – die Ausgegrenzten der mobilen Informationsgesellschaft“ lautet zusammenfassend der Titel
einer Dissertation von Enslin (2003). Offensichtlich mangelt es an unternehmerischem Mut und kreativen
Ideen, digitale Schlüsselmedien wie Internet und Mobiltelefon als „Seniorenmedien“ zu verkaufen.
5.2. „Generation“ als Barriere
Während die Lebensphase Alter am kalendarischen Alter festgemacht wird, gründet die Zugehörigkeit zu einer
Generation oder einer Kohorte auf Geburtsjahren. Nahe beieinander liegende Jahrgänge verbinden kollektive
Erfahrungen gesellschaftlicher Umwelten. Dies umfasst historische, kulturelle, soziale, politische, ökonomische
und mediale Verhältnisse oder Ereignisse. Die Definition einer Generation richtet sich dabei auf die Jugendphase bestimmter Jahrgänge, da diese „formative Phase“ (Schäffer, 2003) als besonders prägend gilt. In Bezug auf
kollektive Technik- und Medienerfahrungen beschreiben Sackmann und Weymann (1994) vier Technikgenerationen: „Vortechnische Generation“ (Jg. 1939 und älter), „Generation der Haushaltsrevolution“ (Jg. 1939-1948),
„Generation der zunehmenden Haushaltstechnisierung“ (Jg. 1949-1963) und die „Computergeneration“ (Jg.
1964-1978). Als fünfte Generation ließe sich mittlerweile die „Internet-Generation“ anschließen, die die Jahrgänge ab 1980 umfassen (vgl. Doh, 2011). Prensky (2009) hat hierzu den Begriff der „digital natives“ geprägt:
Personen, die in eine digitale Welt geboren wurden, während ältere Jahrgänge, die „digital immigrants“, von
einer analogen Medienwelt kommen und sich erst in diese neue, digitale Welt hinein-und zurechtfinden müssen.
Nach Schäffer (2003) gibt es generationsspezifische „Medienpraxiskulturen“, die auf „fundamentalen Lern- und
Aneignungsprozesse“ im Umgang mit Medien und Technik beruhen und mit spezifischen Denkformen und
Handlungsweisen einhergehen. Dabei konnte aufgezeigt werden, dass Personen, die vor 1950 geboren wurden,
im Umgang mit einem Computer eine stärker funktionale Einstellung besitzen, während jüngere Generationen
spielerischer damit umgehen. Diese Verhaltensweise älterer Menschen gründet nicht allein auf der Fremdheit
des neuen Mediums, sondern auf ein sozialisiertes Medienverhalten: Es gab früher noch keine spielerischen,
identitätsstiftenden Medien wie Kassettenrecorder, CD- oder MP3-Player, wo man z.B. eigene Musik zusammenstellen konnte und in seiner Peer-Group vorspielte. Es gab Radiogeräte, mancherorts Schallplattenspieler
im Haushalt, die wenig „Spielraum“ für explorative Mediennutzung zuließen. Auch im Umgang mit technischen Geräten lassen sich generationsspezifische Bedienungsweisen beschreiben: Eine mechanische, eine elektro-mechanische und eine menügesteuerte, softwarebasierte Technikpraxiskultur (Docampo Rama et al., 2001).
Frühere technische Produkte basierten auf der Logik und Handlungsweise mechanischer Betätigung; durch
Tastendruck konnten Funktionen in Gang gesetzt und das Ergebnis direkt beobachtet werden. Heutige softwaregestützte Produkte besitzen eine Bedienungsoberfläche mit hierarchischen Menü-Strukturen. Die Anforderungen zur erfolgreichen Bedienung technischer Produkte sind dadurch komplexer geworden und erfordern
einen höheren mentalen Aufwand, speziell an das Arbeitsgedächtnis und die visuell-räumlichen Fähigkeiten.
Aspekte, die mit fortschreitendem Alter Probleme bereiten können. Speziell der Umgang mit Computer und
Internet erfordert ein Um- und Neulernen, was zusätzlich kognitive und motivationale Barrieren birgt. Mit
zunehmendem Alter können aufgrund sensorischer, motorischer und kognitiver Einbußen weitere Störfaktoren
hinzutreten. Als psychologische Reaktionen können daraus Gefühle von Verunsicherung, Obsoleszenz, Kompetenz- und Kontrollverlust resultieren, die eine Distanz und Verweigerung zu neuen Medien evozieren (siehe
Abschnitt 5.7).
5.3. „Altern“ als Barriere
Mit dem Altern lernt der Mensch nicht unweigerlich schlechter, aber anders. Ab dem dritten Lebensjahrzehnt
lässt die Geschwindigkeit der Informationsverarbeitung nach und damit die Lerngeschwindigkeit, ab dem fünf-
16
ten Lebensjahrzehnt auch die Lernkapazität. Dies führt zu erhöhten Schwierigkeiten beim Erlernen neuer Technologien und Medien, zumal diese verstärkt kognitive Anforderungen beinhalten.
Hinzukommen motorische und sensorische Barrieren, die sich besonders im Vierten Alter bemerkbar machen
und wiederum das kognitive Leistungsvermögen einschränken können. Laut einer Schweizer Studie von 2009
klagt jeder vierte Offliner im Alter von 65 Jahren und älter über Schwierigkeiten mit dem Gedächtnis sowie über
Seh- oder Hörprobleme; jeder Sechste über motorische Einschränkungen der Finger oder Hände. Unter den
Onlinern fallen diese Einbußen deutlich geringer aus (Schelling & Seifert, 2010). Insofern wundert es nicht, dass
ältere Menschen im Vergleich zu jüngeren bei Leistungstest mit neuen Medien wie Computer, Mobiltelefonen
und Internetanwendungen schlechter abschneiden. Sie arbeiten mit einem Computer langsamer, fühlen sich
unsicherer, haben größere Ängste was falsch zu machen und begehen auch mehr Anwendungsfehler. Bei Internetaufgaben wie dem Auffinden von Informationen im freien Netz oder in einer Online-Bibliothek finden sich
entsprechend Alterseffekte.
Aufgrund dieser alternsgebundenen Barrieren gilt es bei Bildungsangeboten spezifische Lernmodalitäten zu
berücksichtigen. Nach Kim (2008) lassen sich folgende Merkmale als lernförderliche Umwelten anführen: Kleinere, altershomogene Klassen, mitunter auch geschlechtshomogene Gruppen, wenn ältere Frauen über geringere Technikkompetenz und höhere Technikängste verfügen. Altersähnliche Lehrer und Tutoren wirken vertrauter und können Lerninhalte näher an der Alltagswelt älterer Menschen vermitteln. Das Lerntempo sollte selbstgesteuert erfolgen und Lernziele an den individuellen Bedürfnissen, Interessen und Kompetenzen ausgerichtet
sein. Printmedien als Lernmaterial sind hilfreich und sollten mit angepasster Schrifttype und -größe, einfachen
Formulierungen und Anweisungen sowie mit Illustrationen zu den Textpassagen versehen sein. Unterstützend
wirken arbeitsergonomische Aspekte wie individuell angepasste Sitzmöglichkeiten, ausreichende Lichtverhältnisse, ein Computer mit einem Trackball an der Maus oder ein Monitor, an dem sich der Kontrast und die Helligkeit per Tastendruck einstellen lassen. Auch sollte sich die Lernsoftware in Schrift, Farbe und Fenstergröße
variieren lassen. Aspekte, die jedoch noch viel zu wenig Berücksichtigung finden, wie der nächste Abschnitt
offenbart.
5.4. Medienbezogene Barrieren
5.4.1. Ökonomische und infrastukturelle Barrieren
Im Alter bestehen ökonomische Barrieren wie Anschaffungs-, Unterhaltskosten, die sich nicht jeder leisten
kann; dies betrifft vor allem ältere alleinstehende Frauen. Hinzu kommt eine fehlende Transparenz an Kosten
und Verträgen (Tarif-Dschungel) und eine werbliche Ansprache, die auf junge Kaufgruppen ausgerichtet ist.
Mit Anglizismen, technischen Begriffen und Abkürzungen sowie fehlender Identifikationsfiguren werden ältere
Menschen nicht angesprochen sondern abgeschreckt. So bieten Pauschalangebote zwar mehr KostenTransparenz, doch als „Flatrates“ präsentiert, evozieren sie bei älteren Generationen Sprachbarrieren.
Zudem gibt es hinsichtlich der technischen Versorgung infrastrukturelle Defizite im ländlichen Raum. Dies
betrifft besonders die neuen Bundesländer, wo die Versorgung mit leistungsfähigen Breitbandanschlüssen noch
unzureichend ist. Im Gegensatz dazu bietet Estland einen freien Zugang für alle Bürger zum Internet. Wer keinen Computer hat, darf kostenlos öffentliche Terminals auf Postämtern, Bibliotheken und Dorfläden nutzen
(Buth, 2010). In der Folge ist in den letzten Jahren die Internetnutzung auch unter älteren Menschen stark angestiegen und liegt deutlich vor den baltischen Nachbarn: 2010 nutzten 24% der 65-74-Jährigen das Internet regelmäßig, in Lettland sind es nur 11%, in Litauen 10% (Europäische Kommission, 2011).
5.4.2. Barrieren hinsichtlich technischer Zugänglichkeit und Benutzbarkeit
Vielfältige Barrieren bestehen in der Benutzung des Internets, was besonders Menschen mit motorischen, sensorischen oder kognitiven Behinderungen ausgrenzt. Dabei können zwei Formen unterschieden werden: Barrieren hinsichtlich des technischen Zugangs („Accessibility“) und hinsichtlich der Benutzbarkeit von Internetsei-
17
ten und technischer Produkte („Usability“). Während es beim ersten Aspekt vor allem um ein zumindest barrierearmes Internet geht, zielt der zweite Aspekt auf die Bedienungsfreundlichkeit.
In den USA existiert seit 1994 das „World Wide Web Consortium“ (W3C), ein Gremium zur Standardisierung
des World Wide Web. Innerhalb dieses Konsortiums bildete sich eine Arbeitsgruppe, die „Web Accessibility
Initiative“ (WAI), mit der Zielvorgabe, das WWW möglichst vielen Menschen zugänglich zu machen. Hierzu
wurden bereits 1999 Standards für einen barrierefreien Zugang zum Internet und seinen Inhalten festgelegt. Die
„Web Content Accessibility Guidelines 1.0“ (WCAG 1.0) enthalten 14 Richtlinien und technische Umsetzungshinweise für ein barrierefreies Web-Design (Seitengestaltung, Inhaltsarchitektur, Layout) wie z.B. Textbeschreibungen zu Bildern, Verwendung kontrastreicher Farben, Ausschreiben von Abkürzungen oder die barrierefreie
Verwendung von Tabellen. Zu jeder Richtlinie gibt es drei Prioritätsstufen, die vorgeben, was beim Web-Design
beachtet werden muss (Stufe 1), werden soll (Stufe 2) und werden kann (Stufe 3). Die Einhaltung solcher Standards ermöglicht nicht nur Menschen mit Behinderungen das vollständige Erfassen von Informationen (z.B.
durch Bildschirmleseprogramme „screenreader“), es erleichtert jeden Onliner den Zugang und die Nutzung von
Internetangeboten („web for all“).
Die Richtlinien von WAI sind mittlerweile internationaler Standard. So wurde im „Aktionsplan e-Europe 2002“
vom Europäischen Rat beschlossen, dass ab 2008 öffentliche Internetseiten und -angebote in Europa diese WAIKriterien erfüllen sollten. In Deutschland gelten seit 2006 auf Bundesebene für alle Einrichtungen des öffentlichen Rechts diese Vorgaben (Stufe 1). Gesetzlich festgeschrieben sind diese Bestimmungen in der „Barrierefreien Informationstechnik-Verordnung“ (BITV), einer Ergänzung des Behindertengleichstellungsgesetzes (BGG)
von 2002. Die BGG enthält u.a. das Benachteiligungsverbot für Träger öffentlicher Gewalt (§7 BGB) und Bestimmungen für eine barrierefreie Informationstechnik (§11 BGB). Durch die BITV wird seit 2006 garantiert,
dass alle Internetseiten und -angebote von Bundesministerien und Bundesbehörden für jeden Onliner zugänglich sind. Entsprechende Bestimmungen finden sich in den Landesgleichstellungsgesetzen der einzelnen Bundesländer, so dass mittlerweile in ganz Deutschland Behörden auch auf kommunaler Ebene barrierefreies Internet anbieten müssten. Allerdings bemängelt das „Aktionsbündnis für barrierefreie Informationstechnik“ (AbI)
gemeinsame Standards der Länder in der Informationstechnik. Zudem müsste aufgrund der schnellen technischen Weiterentwicklung des Netzes eine Überarbeitung der BITV erfolgen. Das WAI hat entsprechend dieser
Entwicklung reagiert und 2008 ihre Richtlinien modifiziert (WCAG 2.0).
Folgend sollen zwei Abbildungen exemplarisch verdeutlichen, wie mit technischen Lösungen die Zugänglichkeit
zur Internetnutzung erleichtert bzw. erschwert werden. Abbildung 13 zeigt links, wie auf der Startseite der Stadt
Bayreuth alternative Darstellungsweisen der Inhalte angeboten werden. Leicht auffindbar ist dieser grau unterlegte Kasten links oben platziert, bei dem es eine Auswahl an Sprachen und Schriftgrößen gibt sowie für Sehbehinderte eine auditive Textversion.
Abbildung 13: Positiv: Alternative Darstellungsweisen - Negativ: Captchas
Quelle: http://www.bayreuth.de/; http://www.google.com/recaptcha.
Die rechte Abbildung illustriert hingegen ein Beispiel für Nutzungsbarrieren. Sogenannte Captchas („Completely Automated Public Turing test to tell Computers and Humans Apart“) finden zunehmend bei der Abwicklung von Online-Shopping, Online-Banking und der Partizipation von sozialen Medien Verwendung. Hierbei
erscheint ein Eingabefeld, bei der verschwommene Ziffern und Zeichen dechiffriert und in eine Zeile eingetra-
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gen werden müssen. Das Ziel mit solchen Schutzmechanismen ist, den Nutzer bei seiner Online-Aktivität zu
verifizieren und unliebsame Werbung oder Spams zu unterbinden. Jedoch können selbst nicht sehbeeinträchtigte Personen mit solchen Aufgaben Probleme haben und die intendierte Online-Aktivität unterbinden. Auch
alternativ verzerrte Sprachaufgaben können für ältere Menschen problematisch sein. Durch solcherart gestalteter Mechanismen werden letztlich Onliner nicht geschützt, sondern ausgeschlossen. Hier besteht noch Optimierungsbedarf.
Darüber hinaus bestehen im Internet nicht nur technische Barrieren in der Zugänglichkeit, sondern auch designbedingte Barrieren, die einer leichten Bedienung von Internetseiten im Weg stehen. Bestrebungen, die Benutzerfreundlichkeit und Gebrauchstauglichkeit von technischen Produkten, Software-Programmen und Internetseiten zu erhöhen, firmieren unter dem Begriff „Usability“. Eine Definition bietet die ISO-Norm 9241 (Qualitätsrichtlinien zur Sicherstellung der Ergonomie interaktiver Systeme): „Die Usability eines Produktes ist das
Ausmaß, in dem es von einem bestimmten Benutzer verwendet werden kann, um bestimmte Ziele in einem
bestimmten Kontext effektiv, effizient und zufriedenstellend zu erreichen.“ (www.handbuch-usability.de). Es
umfasst zum einen Aspekte der Hardware-Ergonomie, wonach technische Produkte wie Computergehäuse,
Bildschirm, Maus und Keyboard im Design und Aufbau so gestaltet sein sollen, dass Menschen mit Einbußen
im Bewegungs- und Wahrnehmungsapparat damit barrierefrei arbeiten können. Zum anderen zielt „Usability“
auf die Software-Ergonomie: Bedienprogramme wie auch Internetseiten sollen leicht erlernbar und intuitiv
nutzbar sein, geringe Fehlerraten aufweisen und eine Zufriedenheit sicherstellen. Als Maxime gilt ein „design
for all“ oder „universal design“: Was für ältere Menschen gut und bedienungsfreundlich ist, ist es auch für alle
Anderen, z.B. Verwendung einfacher Sprache und Vermeidung von Fremdwörtern, Verwendung flexibler Farben und Schriftgrößen, Vermeidung zu breiter Seiten und zu langer Namen von Webseiten, Kennzeichnung
von Verlinkungen.
Neben den gesetzlichen Verordnungen gibt es bundesweite Initiativen, um Anreize für öffentliche InternetAnbieter für ein barrierefreies, einfaches Internet zu setzen. Seit 2003 wird in Kooperation von „Aktion
Mensch“ und „Stiftung Digitale Chancen“ jährlich der „BIENE-Award“ für die besten deutschsprachigen barrierefreien Angebote im Internet verliehen, unterteilt in die Kategorien Unternehmen, Verwaltung, Organisationen und tagesaktuelle Medien (www.biene-wettbewerb.de/). Daneben finden sich Anbieter, die zum Teil kostenlos die Internetpräsenz auf Barrierefreiheit überprüfen und Servicedienste wie Beratung und WebGestaltung anbieten (barrierekompass.de; webforall.info).
5.4.3. Barrieren hinsichtlich Sicherheit, Schutz und Qualität von Daten
Zudem besitzt das Netz Schwachstellen in Bezug auf die Datensicherheit und den Schutz persönlicher Daten
(z.B. Spam, Viren, Phishing). Infolge der fortschreitenden Entwicklung hinkt das kulturelle Bewusstsein solcherart Gefahren stets hinterher, was als „cultural lag“ bezeichnet wird (Riley, Kahn & Foner, 1994). Dies evoziert auf gesellschaftlicher Ebene ordnungspolitische Anpassungsleistungen und erfordert auf individueller
Ebene eine ständige Sensibilisierung und Achtsamkeit im Umgang mit persönlichen Daten. Hierbei sind es
oftmals die jüngeren, vermeintlich medienkompetenten Onliner, die beispielsweise ungeschützt persönliche
Informationen in „Facebook“ oder „YouTube“ reinstellen und sich der Folgen und Konsequenzen nicht bewusst
sind (siehe Abschnitt 6.2.). Hier könnten mitunter jüngere Generationen von älteren lernen, die durch ihre
Lebenserfahrung und kritisch-funktional ausgerichteten Technik- und Medienpraxis vorsichtiger im Netz surfen. Weiterführende Informationen zum Schutz und zu den Rechten bietet u.a. das Bundesministerium des
Innern (Deutschland sicher im Netz e.V.), die Technische Universität Berlin (Verbraucher-sicher-online) sowie
die Verbraucherzentrale Bundesverband (Surfer haben Rechte) an.
Ein grundlegendes, medienimmanentes Problem des Internets stellt die Gewährleistung von Datenqualität dar.
Wie schon in Abschnitt 1 angemerkt, erfordert ein offenes Informations- und Kommunikationssystem „eine
höhere und eigenständigere Bewertungskompetenz“ (Sandbothe, 1998). Im Gegensatz zu den klassischen Massenmedien findet nicht mehr eine „Unterrichtung aus Quellen“, sondern „an der Quelle“ statt (ebd.). Ein aktuelles Beispiel sind „ungefilterte“ Informationsseiten von „WikiLeaks“. Es bedarf einer erhöhten Medienkompe-
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tenz, die die Fähigkeit zur kritischen Daten-Analyse impliziert. Hierzu zählen z.B. die Quellen der Informationen zu erkennen und zu bewerten. Dabei können speziell für ältere Menschen Bewertungsstrategien aus der
analogen Medienpraxiskultur helfen, sich im Informationsdschungel des Internets zu orientieren. So stehen
Internetseiten etablierter und wertgeschätzter Medienmarken wie die der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten und der Wochen- und Tageszeitungen für Glaubwürdigkeit, Seriosität und Sachlichkeit von Informationen. Sie filtern, gewichten und bewerten Informationen „an der Quelle“, so dass sich der gewohnte, analoge
Mediennutzer weiterhin „aus Quellen“ kompetent unterrichtet fühlt.
Dennoch fehlen verbindliche Gütekriterien und Richtlinien, die helfen, die Qualität von Internetinhalten einzuschätzen. Unabhängige Bewertungsunternehmen wie „Stiftung Warentest“ (www.test.de) können hier eine
wichtige Funktion erfüllen, indem sie Internetangebote wie z.B. Gesundheitsportale überprüfen und Gütesiegel
vergeben (siehe Abschnitt 6.1.). Hilfestellungen speziell zu gesundheitsbezogener Daten bieten die „Health on
the Net Foundation“ aus der Schweiz mit ihrem Prüfsiegel „HONcode“ und das „Aktionsforum Gesundheitsinformationssystem“ (afgis) mit einem Qualitätslogo für Gesundheitsinformationen (vgl. Jesinghaus, 2011).
Aber selbst solche Zertifikate können gefälscht sein, wie ein Artikel von Teevs (2010) offenlegt. Beispielweise hat
eine Internetseite für Online-Apotheken ein gefälschtes Gütesiegel von Stiftung Warentest zur Werbung von
Potenzmitteln verwendet. Dies unterstreicht die generelle Schwierigkeit gesicherter Datenqualität und unterstreicht die Notwendigkeit kompetenter, kritischer Medienrezeption.
5.5. Psychologische Barrieren
Die Zusammenschau der vielfältigen umweltbedingten Barrieren lässt deutlich werden, warum in besonderer
Weise ältere Menschen eine relativ große Distanz zum Internet aufweisen. Dies bestätigen fortlaufende, repräsentative Untersuchungen der ARD/ZDF-Offline-Studie zu den Motiven und Einstellungen von Nichtnutzern.
Dabei lassen sich im Wesentlichen zwei Gründe herausstellen: Nahezu alle Offliner sehen keinen Mehrwert zu
den genutzten, klassischen Massenmedien (93% Zustimmung) und entdecken auch keinen persönlichen Nutzwert (83%) (Gerhards & Mende, 2009, S.372). Des Weiteren spielen bei ungefähr jedem Zweiten ökonomische
Barrieren eine Rolle (Kosten, fehlende Transparenz von Tarifen). Ein Drittel nennt Kompetenzdefizite, und ein
Viertel beklagt eine fehlende soziale Unterstützung zum Einstieg. Lediglich ein Drittel lehnt grundsätzlich das
Internet ab. Als Hauptsorgen werden von Offlinern eine Suchtgefahr (85% Zustimmung) und die Verbreitung
pornographischer und politisch extremer Inhalte gesehen (72% Zustimmung) genannt. Zudem hat in den letzten Jahren die Sensibilität für Datensicherheit und -qualität zugenommen: 2009 waren 38% unter den Offlinern
der Meinung, dass Informationen im Internet nicht glaubwürdig sind, 2008 und 2007 27% (ebd.).
Hinzukommen altersspezifische Gründe der Nichtnutzung (Schelling & Seifert, 2010). Ältere Offlinern hält vor
allem der kognitive Kostenaufwand zum Erlernen dieser Technik ab. Sie empfinden das Internet als zu kompliziert (71% Zustimmung) und den Lernaufwand zu hoch (60%) (ebd., S.27). Es besteht ein deutlich erhöhtes
Sicherheitsbedenken sowie Angst vor technischen Problemen.
Bemerkenswert ist hierbei der Befund aktueller Onliner zu ihren früheren, aber überwundenen Schwierigkeiten.
Während 42% als Einsteiger das Internet zunächst als zu kompliziert wahrnahmen, waren es später noch 22% eine Verringerung um knapp die Hälfte. Ebenso ging die Sorge um einen zu hohen Lernaufwand um die Hälfte
zurück (von 33% auf 16%); die Angst vor technischen Problemen um über ein Viertel (von 40% auf 29%). Dies
unterstreicht die hohe psychologische Plastizität älterer Menschen in Bezug auf das Internet: Die Möglichkeit
das Internet kennenzulernen und aktiv zu nutzen, hilft nachhaltig psychologische Barrieren und Ängste abzubauen (ebd.).
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6. Potenziale
Welche enormen Möglichkeiten und Potenziale das Internet speziell für ältere Menschen bietet, soll im folgenden Abschnitt behandelt werden. Dabei lassen sich sieben miteinander verbundene Kernbereiche beschreiben,
zu denen jeweils exemplarisch Internetangebote vorgestellt werden 2. Es sei darauf hingewiesen, dass durch die
hohe Entwicklungsdynamik die genannten Beispiele lediglich punktuell und temporär die dargestellten Potenziale repräsentieren. In kürzester Zeit können neue Dienste und Angebote entstehen und selbst etablierte verschwinden. Ebenso ist nicht gewährleistet, ob auch zukünftig solche Internetseiten kostenlos zugänglich bleiben.
Glaubt man den Prognosen von Internet-Experten wie der Delphi-Studie wird sich in den nächsten zehn Jahren
ein Prozess von kostenlosen zu kostenpflichtigen Angeboten vollziehen (Münchner Kreis et al, 2009).
6.1. Potenziale hinsichtlich Information
Ältere Menschen gelten als überaus informationsinteressiert. Wissenschaftliche Befunde belegen, dass dies weniger ein Kohorten- als ein Alterseffekt sein könnte (Doh, 2011; Mares & Ye, 2010). Mit dem Alter nimmt das
mediale Interesse an inhaltlicher Qualität zu, während negative emotionale Inhalte verstärkt gemieden werden.
Mögliche theoretische Erklärungen beruhen auf entwicklungspsychologischen Konzepten, wonach im höheren
Alter Aspekte wie Generativität und Ego-Integrität eine Rolle spielen können und daraus ein erhöhtes Interesse
an gesellschaftlichen, politischen, regionalen und nationalen Informationen resultiert.
Das Internet kann diesbezüglich als eine sehr effektive Informationsquelle dienen. Im Gegensatz zu den klassischen Massenmedien vermag das Internet individuell und zeitsouverän Daten, Fakten und Hintergründe liefern. Dies geschieht vorrangig durch die Verwendung von Suchmaschinen wie „Google“, „Yahoo“ oder „Bing.“
Tagesaktuelle internationale und regionale Nachrichten können über Internetseiten von Zeitungen und Zeitschriften wie auch von Fernseh- und Radiosendern abgerufen werden. Informations- und Nachrichtensendungen im Fernsehen bieten über das Internet einen Mehrwert durch weitere Informationen und Hintergrundberichte sowie durch Video- und Audiobeiträge („Podcasts“). So können z.B. die populären Nachrichtensendungen der ARD („Tagesschau“) und vom ZDF („heute“) jederzeit über deren Mediathek abgerufen werden
(www.tagesschau.de; www.heute.de). Ein besonderer Vorteil liegt hierbei in der selbststeuerbaren Rezeption von
Podcasts – dieser Aspekt gewinnt vor dem Hintergrund einer abnehmenden Informationsverarbeitungsgeschwindigkeit im Alter an Bedeutung.
Eine Fundgrube für Information und Wissen sind Online-Enzyklopädien wie „Wikipedia“. In Deutschland gibt
es sie seit 2001 und weist derzeit über eine Million Seiten auf. Innerhalb von „Wikipedia“ befinden sich fachspezifische Enzyklopädien wie z.B. zur Pflege mit über 5.000 Artikel (de.wikipedia.org/wiki/Pflegewiki). Die Leitidee ist, durch freiwillige und ehrenamtliche Autorenschaften eine Universalenzyklopädie aufzubauen. Schon
längst ist dieses Internetangebot mit herkömmlichen Enzyklopädien wie dem Brockhaus konkurrenzfähig
(Güntheroth & Schönert, 2007). Diese Plattform eröffnet für ältere Menschen vielfältige Möglichkeiten, sich
über Geschichte, Kultur, Heimat, Politik und weitere Interessengebiete zu informieren und weiter zu bilden.
Tatsächlich stellt „Wikipedia“ unter den Onlinern ab 60 Jahren die mit Abstand meistgenutzte web2.0Anwendung dar: Knapp jeder Zweite nutzt diese Plattform zumindest selten (Busemann & Gscheidle, 2010,
S.364). Noch völlig unterentwickelt ist hingegen die aktive Mitwirkung älterer Menschen an solchen OnlineEnzyklopädien (siehe Abschnitt 6.3.).
Hilfreiche Informationen bezüglich Reisen bieten Kartendienste wie „Google-Maps“ (www.maps.google.de/)
mit Routenplaner und Informationen zu Verkehr, Sehenswürdigkeiten, Hotels etc. Seit Ende 2010 kam in
Deutschland mit „Google-Street-View“ (maps.google.de/intl/de/help/maps/streetview/) ein Straßenansichtsdienst hinzu, bei der man mittels 360-Grad-Panoramabildern virtuell durch Straßen spazieren kann. Daten2
Eine interessante Lektüre ist hierbei die Broschüre der Bundesarbeitsgemeinschaft der Senioren-Organisationen (BAGSO) „Wegweiser
durch die digitale Welt – für ältere Bürgerinnen und Bürger“ (http://www.bagso.de/aktuelle-projekte/aktivitaeten-wegweiser.html).
21
schutzprobleme bezüglich Aufnahmen von Personen und Privatwohnungen führten in Deutschland zu großen
Kontroversen, die durch staatliche Regulierungen weitestgehend gelöst werden konnten. Mit dem Resultat, dass
über 200.000 Wohnungen unkenntlich gemacht und unwiderruflich verpixelt sind. Es sei erwähnt, dass in
Deutschland sich dieser Dienst noch im Aufbau befindet und mit „sightwalk“ (www.sightwalk.de) bereits seit
Jahren ein Straßenansichtsdienst für mehrere Großstädte existiert. Auch gibt es Geoprogramme wie „GoogleEarth“ (www.google.de/intl/de/earth/), bei der geographisch und astrologisch Interessierte Satellitenbilder von
Erde, Mond und Sterne betrachten können.
6.2. Potenziale hinsichtlich Kommunikation
Neben Information ist Kommunikation die zweite Meta-Funktion des Internets. Das E-Mailen steht bei älteren
Onlinern an erster Stelle der Nutzung (siehe Abb. 12). Diese Kommunikationsform des elektronischen Briefverkehrs eröffnet auf bequeme und unmittelbare Art neue Möglichkeiten der Kontaktpflege mit dem vertrauten
sozialen Netzwerk wie Familie und Bekanntenkreis. In besonderer Weise erleichtert es die Pflege von Distanzund intergenerationellen Beziehungen (Doh, Wahl & Schmitt, 2008) und selbst immobile Personen können sich
sozial engagieren und teilhaben (z.B. am Vereinsleben).
Einen weiteren Mehrwert gegenüber der analogen Form des Briefschreibens bietet die Online-Bildtelefonie wie
z.B. „Skype“. Der Vorteil liegt in der Bisensualität von Bild und Ton, weshalb auch in der Schreibfähigkeit eingeschränkte Personen diesen kostenlosen Kommunikationsdienst nutzen können. Zudem können Textnachrichten („Instant Messaging“) ausgetauscht, Daten übertragen und Videokonferenzen abgehalten werden. Vor
dem Hintergrund des demographischen Wandels können diese digitalen Kommunikationswege für ältere Menschen an Relevanz gewinnen. Denn voraussichtlich werden die Distanzbeziehungen zu Kindern und Enkelkindern zunehmen, wie auch das allein leben („Singularisierung“).
Eine Möglichkeit, um neue Freunde und Bekannte kennenzulernen, bieten soziale Netzwerke („Communities“).
Das Prinzip beruht auf einer Art virtueller Pinnwand, auf der sich jeder Nutzer mit persönlichen Informationen
präsentiert, sich mit seinem Freundeskreis vernetzt und dabei multimedial Informationen austauscht und
kommuniziert. Unter jüngeren Altersgruppen gehören mittlerweile Communities wie „Facebook“, „StudiVZ“
oder „SchülerVZ“ zum medialen Alltag. „Facebook“ ist das weltweit größte Netzwerk mit monatlich über 500
Millionen aktiven Nutzern (Facebook, 2011), davon über sieben Millionen aus Deutschland (vgl. van Eimeren &
Frees, 2010). In der Kritik stehen solche Communities aufgrund des eingeschränkten Schutzes persönlicher
Daten bzw. mangelnder Medienkompetenz seiner Nutzer (siehe Abschnitt 5.3.3.).
Ältere Onliner nutzen soziale Netzwerke in einem moderaten Umfang, obgleich Interesse und Angebot speziell
für diese Zielgruppe ansteigen. Das größte und bekannteste soziale Netzwerk ist „Feierabend.de“ mit über
160.000 Mitgliedern und 120 Regionalgruppen. Hier finden sich seniorenrelevante Themen wie Gesundheit,
Reisen, Finanzen oder Unterhaltung; es können regionale Interessen- und Hobbygemeinschaften geschlossen
werden und über eine Kontaktbörse neue Partnerschaften. Was diese Internetangebote von solchen für jüngere
Zielgruppen unterscheidet, ist die Betonung direkter, persönlicher Kontakte. Ältere Menschen wünschen in
stärkerem Ausmaß als jüngere aus virtuellen Beziehungen reale werden zu lassen – was ebenfalls als Ausdruck
generationsspezifischer Medienpraxiskulturen verstanden werden kann.
„Freunde fürs Leben, Liebe und Freizeit“ zu finden, wie es die Startseite von „Feierabend“ verspricht, bieten
auch andere Seniorenangebote wie „Platinnetz“, „Seniorentreff“ oder „Herbstzeit“ oder das „Forum für Senioren“. Spezielle Partnerschaftsbörsen für ältere Singles offerieren u.a. „Herbstliebe“, „Späte Liebe“ und „Reife
Liebe“.
Ein Potenzial für Menschen mit Behinderungen oder (chronischen) Erkrankungen und ihren Angehörigen
eröffnen onlinebasierte Selbsthilfegruppen. In Deutschland hat in den letzten Jahrzehnten die Anzahl an Selbsthilfegruppen stark zugenommen; aktuell existieren über 70.000 Selbsthilfegruppen zu über 1.000 Bereichen
(Braun, Kettler & Becker, 1997). Allerdings ist nur ein Teil davon online und miteinander vernetzt; ebenso fehlt
es an einer zentralen Datenbank. Als Anlaufpunkte können z.B. die Deutsche Arbeitsgemeinschaft Selbsthilfe-
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gruppen e.V. (DAG SHG, www.dag-shg.de) dienen oder einzelne Gruppen und Verbände wie z.B. die Deutsche
Alzheimer-Gesellschaft (www.deutsche-alzheimer.de). Deren Serviceangebote umfassen Informationsbroschüren, Kontaktadressen und individuelle Beratung über Hotlines, Foren und Chats. Solche niedrigschwelligen Angebote stellen neue Zugangswege zu Beratungsstellen und Selbsthilfegruppen dar und helfen, neue
Zielgruppen zu erschließen.
6.3. Potenziale hinsichtlich Partizipation und sozialer Teilhabe
Mit der rasanten Verbreitung des Internets in den letzten zehn Jahren ist es zu einem alltäglichen Massenmedium geworden, das wie kein anderes Medium zuvor ein Forum zur sozialen Teilhabe und Partizipation bietet.
Interaktivität und Vernetzung sind wesentliche Merkmale des Internets, was sich in vielfältigen Formen virtueller Vergemeinschaftung gründet, die als „soziale Medien“ oder „web2.0“ firmieren: Weblogs, OnlineEnzyklopädien wie „Wikipedia“, Foto- und Videocommunities wie „Flickr“ und „YouTube“, soziale Netzwerke
wie „Facebook“, „Feierabend“, soziale Lesezeichensammlungen wie „LinkArena“ und Microblogging-Dienste
wie „Twitter“ (vgl. Busemann & Gscheidle, 2010). Ähnlich wie die klassischen Partizipationsmöglichkeiten (EMail, Chat-Räume, Foren) ermöglichen diese Kommunikationsformen generationsübergreifende Zugänge.
So fördern z.B. Diskussionsforen klassischer Medien wie „Spiegel-Online“ (forum.spiegel.de, mit über 200.000
Mitgliedern) einen altersunabhängigen, bürgerschaftlichen Diskurs. Hier können zum aktuellen Zeitgeschehen
und zu gesellschaftlich relevanten Themen Beiträge und Kommentare verfasst werden. Solche offenen Diskussionsforen gewinnen immer mehr an Zulauf und spiegeln öffentliche Meinungsbilder wider.
Eines der meistgenutzten Internetseiten weltweit ist das Videoportal „YouTube“, das erst 2005 gegründet wurde
und auf deren Seite mittlerweile zwei Milliarden Videos pro Tag abgerufen werden (YouTube, 2010); in
Deutschland sind es monatlich über sechs Milliarden Videos (vgl. van Eimern & Frees, 2010). Mit dem Slogan
„Broadcast yourself“ ruft dieses Portal dazu auf, eigene kurze Videobeträge hochzuladen und öffentlich zu machen. Dabei steht „YouTube“ vorrangig für Unterhaltung und Spaß. Allerdings erfährt es auch als politisches
Instrument große Resonanz wie z.B. die Volksaufstände in der arabischen Welt gezeigt haben. Unter den älteren
Menschen ist dieses Portal noch relativ unbekannt. Erst 14% von den Onlinern ab 60 Jahren nutzt zumindest
selten dieses Portal, hingegen sind es von den 14-19-Jährigen 95% (Busemann & Gscheidle, 2010, S. 364). Dennoch entdecken zunehmend ältere Menschen die Möglichkeiten dieses Videoportals und lernen es auch als
Partizipationsplattform zu nutzen.
Eines der bekanntesten Beispiele ist der 1927 geborene Engländer, Peter Oakley, der als Witwer 2006 begann,
eigene Videos auf „YouTube“ zu stellen. In seinen Video-Tagebüchern teilt er sich über „Gott und die Welt“
mit, erzählt aus seiner Biographie und gibt Auskunft über seine alltäglichen Empfindungen, Meinungen und
Sorgen. Er hat inmitten des jungen Nutzerkreises in kürzester Zeit solch eine enorme Resonanz gefunden, dass
er mittlerweile einen eigenen Videokanal („The Internet Grandad“, www.youtube.com/user/geriatric1927) mit
300 selbstgedrehten Videos unterhält. Mit fast neun Millionen Besuchern und über 50.000 Abonnenten zählt er
zu den populärsten aktiven Videoamateuren Englands. Auch wenn es sich hierbei um ein außergewöhnliches
Beispiel handelt, offenbart es die prinzipielle Möglichkeit sich auch als älterer Mensch erfolgreich mit neuen
Informations- und Kommunikationstechnologien auseinander zu setzen und in einer digitalen Welt sozial teil
zu haben.
Als eine digitale Form bürgerschaftlichen Engagements kann die aktive Mitarbeit an Online-Enzyklopädien
betrachtet werden. Ältere Menschen bieten mit ihren generationsspezifischen Wissensbeständen, Expertisen
sowie als Kulturträger ein unausgeschöpftes Humankapital. Ein Beispiel für internetbezogenes, bürgerschaftliches Engagement stellt das Projekt „Internet-Paten“ vom Kompetenzzentrum Technik-Diversity-Chancengleichheit dar (www.internetpaten.info). Hier können Senioren mit Interneterfahrung helfen, internetunerfahrenen Senioren aus dem nahen sozialen Umfeld den Einstieg zu erleichtern. Auf Bundes- und Landesebene gibt
es weitere Initiativgruppen für „Senior-Helfer“ und „Senior-Trainer“, die zum Teil regional koordiniert werden
wie z.B. durch das Netzwerk für Senior-Internet-Initiativen Baden-Württemberg (SII, www.senioren-internetinitiativen.de/netzwerk.htm).
23
6.4. Potenziale hinsichtlich kognitiver Stimulanz und Weiterbildung
Das Erlernen und Nutzen neuer Medien ist für ältere Generationen eine kognitive Herausforderung und wirkt
auf diese Weise stimulierend. Daneben finden sich im Internet verschiedenartige Anwendungsfelder zur geistigen Anregung. Beispielsweise auf web2.0-Anwendungen wie in Abschnitt 5.3. beschrieben: Über OnlineEnzyklopädien kann Wissen erworben werden und aktiv eingebracht werden. Eine aktive Mitwirkung auf Bildoder Videoportalen, in Diskussionsforen und Blogs oder die Pflege internetbasierter Hobbys (z.B. Ahnenforschung, Gedichte) oder einer eigenen Homepage sind weitere Möglichkeiten zur kognitiven, kreativen, emotionalen und sozialen Stimulanz.
Ein weiteres Anwendungsfeld für ältere Menschen sind Online-Spiele, vor allem Strategie-, Brett-, Denkspiele,
Quiz und Geschicklichkeitsspiele wie z.B. Sudoku, Kreuzworträtsel, Kartenspiele, Schach oder Flugsimulatoren
geschätzt (Feierabend, 2007). Doch findet sich im Vergleich zur milliardenschweren, jugendorientierten
Gaming-Industrie noch ein bescheidenes Repertoire an seniorenspezifischen Online-Spielen. Der Anteil an
älteren Nutzern von Computer- und Videospielen fällt jedoch moderat aus: Laut der repräsentativen GameStatStudie von 2010 liegt der Nutzerkreis in der Altersgruppe ab 65 Jahren bei 9%, bei den 14-17-Jährigen sind es
60% (Quandt, Scharkow & Festl, 2010, S. 518). Es besteht insofern ein Nachholbedarf auf der Angebots- wie auf
der Nachfrageseite. Dabei könnte in den nächsten Jahren speziell im Gaming-Bereich zur Gesundheitsprävention und Rehabilitation ein sehr zukunftsträchtiges Entwicklungsfeld für ältere Onliner entstehen (siehe Abschnitt 6.5.). Hierunter fallen auch fachlich gestützte Programme zum gezielten Gedächtnistraining (z.B. beim
Bundesverband Gedächtnistraining e.V., www.bv-gedaechtnistraining.de).
Eine weitere Form zur Online-Weiterbildung bieten wissenschaftliche Institutionen wie z.B. das Institut für
Lern-Innovation der Universität Erlangen-Nürnberg mit dem e-Learning-Programm für Senioren „eLSe“
(www.el-se.org/). Hier können Senioren von zu Hause aus den Umgang mit Computer und Internet lernen. Das
ZAWiW, dem Zentrum für Allgemeine Wissenschaftliche Weiterbildung der Universität Ulm, führt zahlreiche
regionale, nationale und internationale Projekte, in denen ältere Menschen unter sich oder auch gezielt in
Alt/Jung-Konstellationen Lernen und Forschen können (www.uni-ulm.de/uni/fak/zawiw/). Zum Konzept gehört es, dass nicht ausschließlich virtuell kommuniziert und gelernt wird, sondern auch Möglichkeiten zum
realen Treffen initiiert werden.
Neue Wege gehen auch wissenschaftliche Einrichtungen aus der Alternsforschung. So werden z.B. im Netzwerk
Alternsforschung an der Universität Heidelberg öffentliche wissenschaftliche Seminare für ältere Menschen
zusätzlich im Internet als Videofile angeboten (www.nar.uni-heidelberg.de/service/videos.html). Derzeit liegt
der Bestand bei über 100 Beiträgen mit einem breiten Themenspektrum (u.a. Demenz, Altersbilder, Kreativität,
Langlebigkeit, Schlaganfall, Gedächtnis).
6.5. Potenziale hinsichtlich Gesundheit, Prävention und Pflege
Aktives, sozial integriertes Altern gilt aus gerontologischer Perspektive als wichtige Parameter für ein gelingendes und zufriedenes Altern. Eine aktive, kompetenzorientierte Auseinandersetzung mit neuen Schlüsselmedien
wie dem Internet und seinen vielfältigen kognitiven, sozialen und emotionalen Aspekten kann insofern zu einem erfolgreichen Altern beitragen. Darüber hinaus kann es auch als Ressource zur Gesundheitsförderung und
Prävention verstanden werden. Beispielsweise mittels gesundheitsbezogener Informations- und Serviceangebote. Dabei erhält im Alter das Thema Gesundheit eine zunehmende Relevanz im Alltag (vgl. Wurm, Lampert &
Menning, 2009), was sich entsprechend in der Internetnutzung niederschlägt: In der Studie von Schelling und
Seifert (2010) gab jeder zweite Onliner ab 65 Jahren an, in den letzten drei Monaten Gesundheitsinformationen
aufgesucht zu haben.
Problematisch ist jedoch die Datenqualität solcher Internetangebote, da die wissenschaftliche Fundierung, Seriosität und Unabhängigkeit von Informationen im Netz nicht vorausgesetzt werden kann (siehe Abschnitt
5.3.3.). So variiert auch die Qualität der zahlreichen deutschsprachigen Gesundheitsportale im Netz wie Stiftung
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Warentest (2009) in einer Untersuchung von 2009 aufzeigte: Lediglich drei von zwölf Portalen wurden mit
„gut“ bewertet (GesundheitPro.de; netdoktor.de; vitanet.de).
Im Kontext von e-Government finden sich Informationen zur Gesundheit auf den Seiten des Bundesministeriums für Gesundheit (www.bmg.bund.de/). Informationen mit regionalen oder kommunalen Bezug bieten Landesministerien und zumeist auch städtische Internetseiten. Doch streut das Angebot nach Quantität und Qualität, und umfangreiche spezielle Angebote zu „Gesundheit im Alter“ gibt es bislang erst vereinzelt (z.B. in Hamburg und Frankfurt). Wünschenswert wäre es, das Angebot speziell auf kommunaler Ebene für ältere Menschen
auszuweiten. Dabei könnte beispielsweise eine nationale, unabhängige Gesundheitsplattform dienlich sein,
neben Gesundheitsthemen auch Informations-, Dienst- und Serviceangebote aus dem Gesundheitssektor auf
kommunaler Ebene zusammenzutragen und zu vernetzen. Ein Vorreiter ist hier Dänemark mit dem Portal
www.sundhed.dk. Solche Plattformen können zukünftig an Bedeutung gewinnen, wenn z.B. durch Erfassung
von Patientendaten und Vernetzung von Dienst- und Leistungsträgern individuelle Lösungen für selbständiges
Wohnen und Pflege im Alter möglich werden (siehe Abschnitt 6.6.).
Ein weiteres Potenzial liegt in der gesundheitsbezogenen Aktivierung über Online-, Computer- und Videospiele. Mit Begriffen wie „Serious Games“, „Physical Games“ oder „Exergames“ (exercising = trainieren, games =
spielen) sollen auf spielerische Art Aspekte wie Gesundheit, Ernährung, Sport und Bildung gefördert werden
(Göbel et al., 2011). Unter den kommerziellen Produkten zählt die Wii-Konsole (Wii-Fit, Wii-Sports) zu den
bekanntesten Physical Games, zu der es bereits Seniorenmeisterschaften im virtuellen Bowling gibt und die
zunehmend Anklang im Bereich der Altenhilfe findet (Pensky, Horneber & Gladysz, 2011).
Seit einigen Jahren gibt es hierzu auch in Deutschland zahlreiche Forschungs- und Modellprojekte, die Serious
Games speziell für ältere Menschen entwickeln („Silver Games“). Beispielsweise wurde an der TU Darmstadt ein
Spiel namens „ErgoActive“ für den Kreislauf- und Ausdauerbereich entworfen, bei dem mit einem ErgometerHome-Trainer und der direkten Erfassung von Vitalparametern mittels Sensortechnologie eine nutzergerechte
Anpassung des Spiels erfolgt. „VitaBalance“ ist ein weiteres Spiel zur Prävention und Rehabilitation, das von zu
Hause aus gemacht werden kann und dabei von externen Therapeuten überwacht wird. Hierbei können mit
Hilfe eines Balance-Bretts Gleichgewichtsübungen durchgeführt. Dieses Forschungsprojekt beruht auf technischen Assistenzsystemen und ist Teil des Verbundprojekts „Motivotion60+“ („Erhaltung der geistigen und
körperlichen Fitness von Senioren durch mikrosystemtechnisch unterstützte Motivation zur körperlichen Aktivität“, www.motivotion.org/). Auf europäischer Ebene gibt es das Projekt „Eldergames“ (www.eldergames.org/),
bei dem mittels moderner Informations- und Kommunikationstechnologie soziale Spiele mit kognitiven Aufgaben entwickelt werden (vgl. Gamberini et al., 2006). Allerdings sind die meisten solcher projektbezogenen Spiele
noch nicht marktreif, wenngleich Ergebnisse zur Nutzungsakzeptanz und zu Gesundheitseffekten optimistisch
stimmen (vgl. Göbel et al., 2011).
Ganz ohne aufwendige Zusatztechnologie besitzt das Internet gegenwärtig frei zugängliche Angebote, deren
Potenziale im Bereich der Pflege noch nahezu Brach liegen. Zu denken ist beispielsweise an pflegerische Aktivierungsmaßnahmen mittels Video- oder Fotocommunities wie „YouTube“ oder „Flickr“. Hier könnten auch
schwer demenziell erkrankte Personen durch Stand- oder Bewegtbilder kognitiv, emotional oder sozial stimuliert werden. Audiovisuelle Filme können biographische oder daseinsthematische Arbeit unterstützen und begleiten (z.B. Volkslieder, Volkstänze, alte Dialekte, historische Ereignisse, zeitgenössische Spielfilme, Jugendidole etc.). Ebenso könnten Kartendienste wie „Google-Street-View“ dazu eingesetzt werden, persönliche vertraute
Umwelten (Wohnung, Wohnumfeld, Heimat) in Erinnerung rufen. Speziell für die Pflegearbeit mit älteren
Migranten eröffnet sich hier ein breites, kreatives Betätigungsfeld. Allerdings fehlen bislang wissenschaftliche
begleitete Modellprojekte.
Eine völlig neue Dimension im Bereich der Gesundheitsprävention, Rehabilitation und Pflege bieten assistive
Technologien im häuslichen Wohnbereich, auf die im Folgenden eingegangen werden soll.
25
6.6. Potenziale hinsichtlich Wohnautonomie und Selbständigkeit
Den Wunsch möglichst lange selbständig zu Hause und in seiner vertrauten Umgebung leben zu können, teilen
die meisten älteren Menschen. Doch die zunehmende Vulnerabilität für altersbedingte Kompetenzeinbußen
gefährdet die Selbständigkeit, vor allem wenn personelle Unterstützung fehlt. Dies gilt vor allem für ältere Frauen, die in weit stärkerem Ausmaß als Männer von der Singularisierung im Alter betroffen sind.
Mit Hilfe assistiver Technologiesysteme bringt die nahe Zukunft völlig neue Möglichkeiten für ein selbständiges
und unabhängiges privates Wohnen trotz sensorischer, motorischer oder kognitiver Einbußen. „Ambient Assisted Living (AAL)“, „Intelligentes Wohnen“ oder „Smart Home“ stehen für technische Assistenzsysteme, die
entsprechend den individuellen Bedürfnissen und Notwendigkeiten im häuslichen Umfeld flexible und modular
aufgebaute technische Lösungen bereitstellen. Sie unterstützen bei basalen Alltagsaktivitäten wie Essen, Baden,
Toilette gehen, bei instrumentellen Alltagsaktivitäten wie Kochen, Telefonieren, Einkaufen sowie bei erweiterten Alltagsaktivitäten wie Kommunikation oder außerhäuslichen Freizeitaktivitäten. So können durch Sensoren
und Videotechnik Aktivitäten erfasst werden und Gefahrensituationen wie Sturz, Rauch, Feuer mittels IuKTechnologie an Not- und Rettungsdienste weitergeleitet werden. Über Bildtelefonie oder Videokonferenz kann
direkt Kontakt mit Familienangehörigen und Sozial- und Gesundheitsdiensten (Hausarzt, Apotheke, mobile
Bring-Dienste) aufgenommen werden. Weitere telemedizinische Dienste umfassen die Messung und Überwachung von Vitalparametern, Selbstmedikamentation und häusliche Reha-Maßnahmen (z.B. Serious Games).
Schließanlagen, automatische Rollläden, intelligente Kühlschränke und Küchen unterstützen bei instrumentellen Alltagsaktivitäten und bieten Sicherheit und Komfort. Telepflegerische Versorgungssysteme koordinieren
Patientendaten und ermöglichen effiziente, individuelle Betreuung im ambulanten Bereich. Als Kommunikationsplattform dient zu Hause ein Computer oder ein Tablet, optional mit Internetanbindung. Technisch möglich ist aber auch ein digitales Fernsehgerät mit Fernbedienung als Terminal zu verwenden - was speziell für die
Fernsehgeneration älterer Menschen ein ideales Zugangsmedium ist.
Die technische Entwicklung schreitet schnell voran und bundesweit finden sich Modellhäuser („Living Labs“),
Services und Projekte. Aktuell werden bzw. wurden in Deutschland im Bereich Telemedizin und AAL knapp
300 Modellprojekte und Initiativen durchgeführt (www.iat.eu/ehealth/). Speziell für ältere Menschen hat 2008
das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) ein Förderprogramm von über 45 Millionen Euro
aufgelegt, bei dem 18 Forschungsprojekte „Altersgerechte Assistenzsysteme für ein gesundes und unabhängiges
Leben“ entwickeln (BMBF, 2011). Noch mangelt es an der Nachhaltigkeit und Marktfähigkeit solcher Projekte
und technischer Systeme sowie an finanzierbaren Geschäftsmodellen. Doch entstehen auf kommunaler Ebene
vielversprechende neue Konzepte, z.B. mit Wohngenossenschaften wie in Hattingen und Dresden, wo ältere
Privathaushalte mit geringen Mehrkosten AAL-Produkte nutzen können (Viehweger et al., 2011; Wilde, 2011).
Die skandinavischen Länder und die Niederlande sind Vorreiter auf diesem Gebiet. In Dänemark gibt es seit
2005 im Raum Kopenhagen ein e-Health basiertes Versorgungssystem zur Haus- und Heimpflege für ca. 16.000
Pflegebedürftige („CSC Vitae Care Suite“). Durch die Vernetzung von Leistungserbringern und Kostenträgern
konnte eine Effizienzsteigerung in der Versorgung und Pflege erzielt werden, und das Durchschnittsalter für
den Eintritt in die stationäre Betreuung um acht Monate hinausgeschoben werden (Ernst, Kunze & Dreyer,
2011). Laut einem Bericht der Europäischen Kommission (2007) könnten mittels AAL-Technologie Patienten
früher aus der Rehabilitation entlassen werden und privat versorgt werden, was allein in Deutschland Kosteneinsparungen von 1,5 Milliarden Euro pro Jahr erbringen könnte.
6.7. Potenziale hinsichtlich Persönlichkeit und Lebensqualität
Zusammenfassend zeigen die vorgestellten Internetanwendungen und -angebote, welch enormes Potenzial in
besonderer Weise das digitale Schlüsselmedium Internet für das Alter bereithält. Entsprechend wird es in der
Alternsforschung zunehmend als bedeutsame Ressource für ein zufriedenes und selbständiges Altern diskutiert,
besonders in der Gerontechnologie und Human-Factor-Forschung (Melenhorst, Rogers & Fisk, 2007). Die
kompetente Auseinandersetzung mit dem Internet kann Selbstwirksamkeit erhöhen und gegen Obseleszenz
wirken; es weitet den Gestaltungs- und Handlungsraum und fördert Selbstentfaltung und Kreativität. Zudem
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fördert es ein positives, eigenes und gesellschaftliches Altersbild. Welche hohe Relevanz positive Selbstbilder
vom eigenen Alter haben können, zeigen zahlreiche psychologische Studien. Sie wirken protektiv auf die Lebenszufriedenheit, die Gesundheit und sogar auf die Lebenserwartung (vgl. Wurm, Lampert & Menning, 2009).
Allerdings fehlen bislang Längsschnittdaten, die einen direkten Zusammenhang zwischen der Internetnutzung
und solchen psychologischen Effekten nachzeichnen könnten. Hinweise hierfür zeigen einige Studien zur
Selbsteinschätzung älterer Onliner. So berichten beispielsweise in einer Schweizer Studie nahezu alle Onliner
zwischen 50-90 Jahren, dass durch das Internet das Leben interessanter geworden ist und man sich besser informiert sieht (Bühlmann, 2006). Knapp zwei Drittel berichten eine Erleichterung des Alltags und jeder Zweite
hat mehr Kontakte bekommen. Ähnliche Ergebnisse liefert eine Studie von BITKOM (2010), bei der neun von
zehn Onlinern ab 65 Jahren angeben, dass die Nutzung des Internets ein Gewinn an Lebensqualität bedeute. Bei
solch positiven Selbsteinschätzungen wundert es nicht, dass dieses Medium bei älteren Onlinern eine hohe Bindung erfährt und sich zunehmend zu einem Alltagsmedium entwickelt.
7. Ausblick
Wie der Beitrag aufzeigt, wird das Potenzial des Internets in Bezug auf das Alter noch unzureichend ausgeschöpft. Von den Personen ab 60 Jahren haben „erst“ sechs Millionen Kontakt mit diesem Medium, mehrheitlich junge Alte mit hohen sozialen Status. Ebenso verweist das relativ schmale Nutzungsprofil älterer Onliner
auf ungenutztes Potenzial an Entwicklungsressourcen.
Dennoch bleibt die Gefahr einer digitalen Ausgrenzung bestimmter älterer Bevölkerungssegmente manifest.
Gründe für diese unbefriedigende Situation liegen zum Großteil an strukturellen Barrieren, die einen räumlichdinglichen Zugang zu diesem Medium erschweren oder verhindern. Zudem an technischen und angebotsspezifischen Barrieren, die das Erlernen und den Umgang unnötig kompliziert machen. Dies geht einher mit psychologischen Barrieren der Obseleszenz („bin zu alt“) und Distanzierung („brauch ich nicht“) sowie Desinteresse
und Desinformation („sehe keinen Nutzen“). Es ist ein komplexes Zusammenwirken verschiedenartiger Barrieren sowie heterogener Bedürfnisse, Kompetenzen und Einstellungen älterer Offliner.
Entsprechend bedarf es multipler Strategien, um neue Zielgruppen zu erschließen (vgl. Schelling & Seifert,
2010). Für interessierte Offliner mit positiver Grundhaltung zum Internet gilt es vor allem niedrigschwellige
Zugangs- und Lernsorte zu schaffen, wo durch Ausprobieren und Betreuung vorhandene Ängste abgebaut werden können. Bei desinteressierten und ablehnenden Offlinern könnten bundesweite und kommunale Informations- und Werbekampagnen helfen, deren negatives Image zum Internet zu verändern und einen persönlichen
Nutzen zu entdecken.
In den letzten Jahren konnten durch die Ausweitung an Bildungsangeboten, Internet-Cafés, regionalen und
bundesweiten Förderprogrammen und Initiativen viele bildungsbevorzugte ältere Menschen, primär im städtischen Bereich, erreicht werden. Alleinlebende hochaltrige Frauen, einkommensschwache und bildungsbenachteiligte Personen sowie ältere Migranten werden durch solche institutionalisierte Angebote kaum angesprochen
oder es fehlen Angebote wie vielerorts in ländlichen Gebieten. Diese Personengruppen gilt es durch informelle
Angebote im direkten Wohnumfeld (Quartier, Stadtviertel, Dorf) und über vertraute soziale Netzwerke wie
Familie, Freunde, Nachbarschaft oder Verein anzusprechen – hier sei auf die Initiative der InternetPatenschaften verwiesen (Abschnitt 4.6.3) Wie weitere neue Wege beschritten werden können, zeigen prämierte
Best-Practice Beispiele aus dem Wettbewerb „Wege ins Netz“, das seit 2004 vom Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie ausgelobt wird (www.wegeinsnetz2011.de).
Darüber hinaus müsste eine Verbesserung der Infrastruktur an informellen Zugangs- und Lernorten im Quartier erfolgen. Beispielsweise durch Bereitstellung von frei zugänglichen Informationsterminals in altenspezifischen Umwelten wie Seniorenzentren, Begegnungsstätten, Alten- und Pflegeheime, Kliniken, Arztpraxen, Behörden oder auch Bahnhöfe, Reisebüros, Sehenswürdigkeiten, Museen, Einkaufszentren. Dadurch könnten
internetdistante Personen durch kostenlosen Abruf von spezifischen Informationen diese Medium sozusagen
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beiläufig (nonobtrusiv) kennenlernen. Speziell der Gesundheitsbereich bietet ein zukunftsträchtiges Anwendungsfeld: Arztpraxen, Krankenhäuser und Kliniken könnten aufgrund ihrer Expertise und Seriosität als „Türöffner“ zur digitalen Welt dienen, indem sie über solche Terminals Gesundheitsinformationen anbieten oder
über Broschüren Gesundheitsseiten im Internet empfehlen. Solche (regionalen) Informationsblätter könnten in
Kooperation mit kommunalen Einrichtungen wie dem Gesundheits- oder Seniorenamt wie auch mit wissenschaftlichen Einrichtungen zusammengestellt werden.
Noch deutlich unterentwickelt sind die Serviceangebote und Informationsseiten für ältere Bürgerinnen und
Bürger städtischer Homepages. Speziell Ämter für Gesundheit, Soziales und für Senioren könnten hier als zentrale, unabhängige Anlaufstelle für Belange älterer Menschen fungieren und kommunale Angebote und Informationen sammeln und koordinieren. Oftmals weisen die städtischen Internetseiten ein eingeschränktes Themenspektrum auf, mitunter einseitig auf verlustbezogene Schwerpunkte wie Pflege und Demenz. Aspekte wie Gesundheit im Alter, Aktivitäten, bürgerschaftliches Engagement oder Liebe und Sexualität werden noch viel zu
selten aufgegriffen (vorbildhaft Hamburg und Frankfurt). Hinderlich ist in diesem Zusammenhang, dass weiterhin viele Stadtseiten weder barrierefrei sind und Schwächen in Bezug auf Bedienfreundlichkeit und Ansprache älterer Zielgruppen haben. Beispielsweise führt die Stadt Augsburg Werbeflächen auf ihrer Homepage, die
sich nicht deutlich abheben von lokalen Serviceangeboten für ältere Menschen
Ein weiteres Manko in Deutschland besteht hinsichtlich der Nachhaltigkeit im Sinne von Betreuung, Beratung
und Weiterbildung. Wie die Ausführungen zur dynamischen Entwicklung technischer Innovationen schlussfolgern lassen, gilt es nicht allein in die digitale Welt reinzukommen, sondern auch drin zu bleiben. Dies erfordert
ein ständiges Weiterlernen und aktives Auseinandersetzen im Umgang mit der Aktualisierung von Hardware
und Software von Computer, mit der Entwicklung von Internetapplikationen und mit den ständigen Anforderungen an Sicherheitsvorkehrungen.
Besonders unter älteren Usern und Onlinern besteht eine hohe Nachfrage an persönlicher Unterstützung. Jedoch ist das Serviceangebot seitens der Medienbranche gering ausgeprägt und beschränkt sich überwiegend auf
unpersönlichen Hotlines. Geschäftsmodelle, die beispielsweise Verkauf von Computern mit Betreuungsverträgen anbieten, finden sich kaum. Dabei verspricht das qualitätsorientierte Konsumverhalten älterer Zielgruppen
einen lukrativen Absatzmarkt für solche Paketangebote.
Das ehrenamtliche Angebot müsste im Wohnviertel ausgeweitet werden, z.B. über Schulen, wo Schüler als Tutoren fungieren, Gruppenkurse abhalten oder individuelle Betreuung privathäuslich anbieten. Um eine Nachhaltigkeit zu gewährleisten, sind Konzepte wünschenswert, die längerfristig ausgerichtet sind. Solche Alt-JungTandems können problematisch sein, wenn das Lernverhältnis zu einseitig ausfällt. Längerfristig angelegte Modelle erhöhen die Chance zu gegenseitigen Lernen, wenn ältere Menschen Möglichkeiten erhalten, ihr Erfahrungswissen an Jüngere weiterzugeben. Speziell deren generationsspezifische Medienpraxiskultur mit einem
funktionalen, kritisch-reflektierten Medienumgang kann im Gegensatz zur technischen Kompetenz jüngerer
Generationen ausgleichend und gewinnbringend wirken. Erfolgversprechend sind vor allem Alt-Alt-Tandems,
bei denen Experten und Novizen aus der gleichen Mediengeneration stammen. Exemplarisch sei die Initiative
„Senioren@home“ aus Regensburg genannt, bei der auf nachbarschaftlicher Basis erfahrene Computer- und
Internetnutzer ehrenamtlich Hilfe und Beratung anbieten. Leider gibt es in Deutschland noch viel zu wenige
solcher Serviceangebote, besonders in strukturschwachen ländlichen Gebieten.
Digitale Inklusion als zivilgesellschaftliche Verpflichtung anzunehmen und umzusetzen, bleibt folglich in den
nächsten Jahren und Jahrzehnten eine große gesellschaftsdemokratische Herausforderung. Zielvorgabe sollte
dabei sein, älteren Offliner Möglichkeiten Zugänge zum Kennenlernen des Internets zu ermöglichen, um ihnen
die Chance zu eröffnen, dieses Medium als individuell bedeutsame Ressource zu nutzen. Dies darf aber nicht als
eine normative Maxime für erfolgreiches Altern missverstanden oder missbraucht werden. Denn zufriedenes
und gelingendes Altern kann auch in einer Informationsgesellschaft abseits moderner Technologie stattfinden.
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