VIENNALE 2012

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VIENNALE 2012
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VIENNALE 2012
25. OKTOBER BIS 7. NOVEMBER
An dieser Stelle finden Sie einen
Faltplan mit allen Filmen und
Terminen. Falls er abhanden
gekommen sein sollte, holen Sie
sich bitte Ihren Übersichtsplan
an einer Viennale-Kinokassa
oder Vorverkaufsstelle.
TICKETVORVERKAUF AB 20. OKTOBER 2012, 10 UHR
Tickets im Internet www.viennale.at Tickets mit Kreditkarte oder Online-Banking
Tickets per Telefon
Freeline 0800 664 012 mit Kreditkarte, tägl. 10–20 Uhr
Per Telefon bzw. online gekaufte Tickets sind an allen Vorverkaufsstellen oder
in den Viennale-Kinos abzuholen. Ab 30 Minuten vor Beginn einer Vorstellung
sind ausschließlich Tickets für diese Vorstellung erhältlich.
VORVERKAUFSSTELLEN
Tickets bar, mit Bankomat oder Kreditkarte
Mariahilfer Straße / Ecke Museumsquartier
1070 Wien, Mariahilfer Straße/Ecke MQ; täglich 10–20 Uhr; U2 Museumsquartier
Schottentor-Passage
U2-Station Schottentor/Universität; täglich 10–20 Uhr; U2 Schottentor/Universität
Gartenbaukino
1010 Wien, Parkring 12; von 20. bis 24. Oktober, 10–20 Uhr; U3 Stubentor
Zusätzliche Expresskassen am 20. und 21. Oktober
Aufgrund des großen Andrangs werden am ersten Vorverkaufswochenende
zusätzliche Expresskassen geöffnet. Die Expresskassen sind für Käufe bis zu
10 Tickets vorgesehen, um eine raschere Abwicklung zu gewährleisten.
Gartenbaukino 1010 Wien, Parkring 12; 20. und 21. Oktober, 10–20 Uhr
Künstlerhaus 1010 Wien, Akademiestraße 13; 20. und 21. Oktober, 10–20 Uhr
(nur Barzahlung, nur Expresstickets)
Bei ausverkauften Vorstellungen werden 30 Minuten vor Vorstellungsbeginn
an der Kinokassa Wartenummern für Resttickets ausgegeben.
TICKETS
Einzelticket
Ab 10 Tickets
Ab 20 Tickets
Ticketpreise
€9
€ 8,30 pro Ticket
€ 7,30 pro Ticket
Ticketermäßigungen
€ 8,30
€ 7,60 pro Ticket
€ 6,60 pro Ticket
Ermäßigungen bei Vorweisen der entsprechenden Ausweise.
Kunden und Mitarbeiter der
Inhaber der «Fernwärme-Servicecard» erhalten für Filme
ausgewählter Zeitschienen je 2 Tickets zu je € 5,90
KINOS
Gartenbaukino 1010 Wien, Parkring 12; U3 Stubentor 2
Künstlerhaus 1010 Wien, Akademiestraße 13; U1, U2, U4 Karlsplatz
Metro 1010 Wien, Johannesgasse 4; U1, U2, U4 Karlsplatz
Stadtkino 1030 Wien, Schwarzenbergplatz 7; U4 Stadtpark
Urania 1010 Wien, Uraniastraße 1; U1, U4 Schwedenplatz
Retrospektive:
Österreichisches Filmmuseum 1010 Wien, Augustinerstraße 1; U1, U2, U4 Karlsplatz
Tickets für die Retrospektive sind sowohl über die Viennale als auch über das Filmmuseum erhältlich. Informationen unter www.filmmuseum.at und www.viennale.at.
Alle Kinos bieten barrierefreien Zugang.
VIENNALE MERCHANDISING
Katalog Festival
The Useful Book: César Aira
Plakate (A1 und A2)
Viennale DVDs
Schlüsselbänder
€9
€7
€ 3 bzw. € 2
€ 14,90
€ 2,50
Katalog Retrospektive
The Useful Book: Fritz Lang
V’12-Filmstills-Plakat
Viennale DVD Box
€ 12
€7
€ 10
€ 59,90
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Das neue
Café · Bar · Events · Diskussionen
TÄGLICH VON 18 UHR BIS 4 UHR FRÜH
1010 Wien, Dominikanerbastei 11 (U1, U4 Schwedenplatz)
VIENNALE
FESTIVALZENTRUM
Donnerstag, 25.10., ab 22 Uhr Viennale-Eröffnung: Party
HANS NIESWANDT & NICK
HOOK (CUBIC ZIRCONIA/
FOOLS GOLD) & CID RIM
(LUCKY ME / AFFINE REC)
Mit «From: Disco To: Disco»
sorgte Hans Nieswandt in den
90ern für einen weltweiten Hit.
Gemeinsam mit seinem angesagten New Yorker Kollegen
Nick Hook steht er bei der Eröffnungsparty an den Turntables. Bewegt eure Ärsche auf die Tanzfläche!
Freitag, 26.10., ab 22 Uhr Party
RHINOPLASTY: «M.O.L.O.C.H.»
Anlässlich der diesjährigen Retrospektive erweist auch
das Rhinoplasty – die hipste queere Party der Stadt –
Fritz Lang seine Reverenz und beschwört unter dem Titel
«M.O.L.O.C.H» den deutschen Expressionismus … Beware!
Samstag, 27.10., ab 22 Uhr DJ-Set & Party
FILMEMACHERINNEN AN DEN PLATTENTELLERN
Das beliebte Format mit Plattenschätzen von: Melanie
Shatzky und Brian Cassidy (FRANCINE), Dominga Sotomayor (DE JUEVES A DOMINGO), Andrés Duque (ENSAYO
FINAL PARA UTOPÍA), Bernd Schoch (ABER DAS WORT
HUND BELLT JA NICHT), Damien Ounouri (FIDAÏ).
Moderation: Aki Beckmann
INGO BERTRAM
Sonntag, 28.10., 19.30 Uhr Buchpräsentation & Lesung
«ERINNERUNGEN AN WIEN» VON FRITZ LANG
Als neuer Band der Viennale Edition «The Useful Book»
präsentiert das Festival erstmals vollständig die Erinnerungen Fritz Langs an seine Geburtsstadt Wien.
Sonntag, 28.10., ab 21 Uhr DJ-Set & Party
DORIS UHLICH
Die Choreografin Doris Uhlich
hinterfragt radikal Körperbilder, ironisch und mitreißend
setzt sie dabei Popmusik ein –
wie jüngst in einer famosen
Falco-Performance. Mit Hits
aus den 80ern ist also zu rechnen.
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Freier Eintritt bei allen
Veranstaltungen und Konzerten!
Presented by
Montag, 29.10., 20 Uhr Vernissage
VIENNALE PORTRÄTS
Siehe Kasten.
Montag, 29.10., ab 21 Uhr DJ-Set & Party
GATED AREA: HANS SCHABUS, LUDWIG GERSTACKER
UND ALEXANDER EHRMANN
Auch heuer geben wieder bildende Künstler Einblicke
in ihre Musikvorlieben. Der Abend nennt sich «Gated
Area»: Ihren geschlossenen Wohnkomplex werden
Ludwig Gerstacker und Hans Schabus gemeinsam mit
Alexander Ehrmann beschallen.
Dienstag, 30.10., 20.30 Uhr Diskussion
ÖSTERREICHS FILMFESTIVALS
FORDERN: RAUS AUS DER
KOMMASTELLE!
Filmfestivals in Österreich fristen mit wenigen Ausnahmen
ein kärgliches Dasein, leisten
jedoch Wesentliches für das
Kino. Darüber muss man reden. Mit: Doris Bauer (espressofilm), Daniel Ebner (VIS), Sebastian Höglinger (YOUKI),
Hans Hurch (Viennale), Barbara Pichler (Diagonale)
Dienstag, 30.10., ab 21.30 Uhr DJ-Set & Party
CHEZ DEL UND URBS
Wenn phil-Betreiber Christian Schädl gemeinsam mit dem
Soundbastler Paul Nawrata aka DJ Urbs an den Turntables
steht, dann sind fetzige 80er Hits nostalgische Film-Soundtracks der 60er Jahre und schräge Funk-Loops garantiert.
Mittwoch, 31.10., ab 21 Uhr Konzert & Party
ANBULEY (LIVE),
DJ NU-MARK (TOY-SET/DJ)
Anbuley vereint in ihrem schweißtreibenden Afrobeat Einflüsse aus
Ghana ebenso wie Jazz und FunkElemente, bis hin zu Melodien von
Isaac Hayes. Nu-Mark ist mit seinem
Mix aus Latin, Afro- und Balkan-Beat
ein Garant für volle Tanzflächen.
In Kooperation mit
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FOTOAUSSTELLUNG IM FESTIVALZENTRUM
VIENNALE PORTRÄTS
Internationale Star-Gäste gesehen durch die Kameras
der Viennale-Fotografen
29.10.– 7.11. 2012
Vernissage: Montag, 29.10., 20 Uhr
Anlässlich des 50-Jahre-Jubiläums der Viennale findet
eine Ausstellung mit Arbeiten der langjährigen
Viennale-Fotografinnen und Fotografen Ruth Ehrmann,
Robert Newald, Alexi Pelekanos, Reiner Riedler,
Alexander Tuma und Klaus Vyhnalek statt.
Donnerstag, 1.11., 19.30 Uhr DVD-Abend
TERROR, CHIPS UND BIER
Jörg Buttgereit (Special Program: Something Different)
präsentiert den Film THE TROLLENBERG TERROR mit
einem begleitenden Audiokommentar von John Carpenter. Das gibt’s nur einmal, das kommt nie wieder.
Donnerstag, 1.11., ab 21.30 Uhr
DJ-Set & Party
FILMEMACHERINNEN
AN DEN PLATTENTELLERN
Mike Ott präsentiert auch
heuer wieder Schätze aus
seiner Plattensammlung.
Weiters legen auf: Tizza Covi & Rainer Frimmel (DER
GLANZ DES TAGES) und Jörg Buttgereit (Special Program:
Something Different)
Moderation: Norman Shetler
Freitag, 2.11., 19.30 Uhr Buchpräsentation & Lesung
«FESTIVAL» VON CÉSAR AIRA
Als weiterer Band eines «Useful Books» erscheint erstmalig in deutscher Übersetzung ein kleiner, fantastischer
Schlüsselroman über die verrückte Welt der Filmfestivals
Freitag, 2.11., ab 22 Uhr DJ-Set & Party
DJ BLACKJOY, SMOAB, FRITZ DA GROOVE
Superfly präsentiert mit DJ Blackjoy und Smoab House
Music vom Feinsten. Mit im Team ist auch Fritz da
Groove mit seiner Mischung aus entspannten Funky
Tunes und tanzwütigen Disco Sounds.
In Kooperation mit
Samstag, 3.11., ab 22 Uhr DJ-Set & Party
EBONY BONES (DJ-SET),
DJ MICHAEL OSTROWSKI &
MATHIAS ZSUTTY
Die Auftritte und DJ-Sets
von Ebony Bones sind großes
Theater: exzentrische Kostüme,
wilde Tanzeinlagen zwischen
Vogueing und Pogo und dazu einen verwegener Sound.
Nach Ebony Bones stehen Michael Ostrowski und FM4Urgestein Mathias Zsutty an den Plattentellern.
In Kooperation mit
Sonntag, 4.11., ab 21 Uhr DJ-Set & Party
TIM SIMENON
Bereits eine Legende der elektronischen Tanzmusik,
gelang es Simenon, stets Chart-Erfolge mit UndergroundExperimenten zu verbinden. Im Festivalzentrum legt er
Schmuckstücke aus seiner Plattensammlung auf.
In der Ausstellung sind rund 40 Schwarzweiß- und
Farbporträts, einige davon unveröffentlicht, zu sehen.
Darunter Porträts von Martin Scorsese, Wim Wenders,
Jane Birkin, Lauren Bacall, Danny Glover, Isabelle
Huppert, Sofia Coppola, David Lynch, Jane Fonda,
Tilda Swinton, Brian De Palma, James Coburn,
Yoko Ono, Harry Belafonte.
Montag, 5.11., ab 21 Uhr
Konzert & Party
JOEL GIBB (THE HIDDEN CAMERAS),
DJS FIRN UND AROSA
Joel Gibb, Band Frontman von The
Hidden Cameras (Ban Marriage!!)
tourt als Sänger auch Solo. Nach
seinem Konzert legt das heimische
DJ-Duo Firn und Arosa gewohnt souverän quer durch die Musikstile auf.
Dienstag, 6.11., 19.30 Uhr Lesung
RAINALD GOETZ
Rainald Goetz, einst Chronist der Party-Kultur («Rave»,
1998) und früher Apologet der Online-Option («Abfall für
alle», 1999), blickt in seinem jüngsten Roman «Johann
Holtrop» verächtlich auf die Nullerjahre zurück.
Dienstag, 6.11., ab 22 Uhr DJ-Set & Party
KAISER CHIEFS (DJ-SET), DJ FRANCO FORTE
Seit kurzem sind die Bandmitglieder der Kaiser Chiefs
nicht nur in ihrer Heimat Großbritannien auch als DJs
sehr beliebt. Als Local Support steht den Briten DJ Franco
Forte mit seinem Downbeat, House und Freestyle zur
Seite.
Mittwoch, 7.11., ab 22 Uhr Viennale-Abschluss & Party
MIKE SKINNER (DJ-SET), DJ SOMA
Mike Skinner aka The Streets («Has It Come to This»)
steht für musikalisch höchst raffinierten Rap. Tanzbar
wie eh und je: Die Briten wissen eben, wie man Party
macht. Unterstützt wird er vom umtriebigen DJ Soma.
DER STANDARD SCHENKT HAPPY HOURS MIT
Vöslauer Balance Bitter.
Während des Festivals erhalten Sie zwischen
18 und 21 Uhr gegen Abgabe eines Viennale-Tickets
eine Flasche Vöslauer Balance Bitter im
Viennale-Festivalzentrum.
Solange der Vorrat reicht.
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AN EVENING TO REMEMBER
PATTI SMITH IM METRO KINO
JEM COHEN
Sonntag, 4. November, 21 Uhr Metro Kino, 1., Johannesgasse 4
Tickets werden kostenlos und nach dem Zufallsprinzip
vergeben. Zur Teilnahme bis zum 1.11. ein E-Mail an
remember@viennale.at mit Namen und Ticketanzahl
(1 oder 2 Tickets) senden. Aufgrund des besonderen Charakters der Veranstaltung hat Patti Smith den intimen Rahmen
des Metro Kinos gewählt. Wir bitten daher um Verständnis,
dass wir nicht allen Ticketwünschen nachkommen können.
Der 4. November stellt für Patti Smith ein besonderes Datum dar, und es
ist ihr Wunsch, an diesem Abend verloren gegangener Freunde und
Weggefährten zu gedenken: Robert Mapplethorpe, mit dem sie sich
zeitlebens eng verbunden fühlte, wurde am 4.11.1946 geboren, ihr Ehemann Fred «Sonic» Smith verstarb am 4.11.1994. Im intimen Rahmen
des Metro Kinos wird Patti Smith eine Reihe ihrer Songs spielen sowie
Gedichte und ausgewählte Texte lesen.
Am 5.11. findet um 20.30 Uhr im Gartenbaukino die Vorführung von
MUSEUM HOURS von Jem Cohen in Anwesenheit von Patti Smith statt,
die bei diesem Film als Executive Producer fungiert hat. Tickets für
diesen Film sind im regulären Viennale Vorverkauf erhältlich.
EVENT OF THE DAY
14 AUSGEWÄHLTE FESTIVAL-MOMENTE
Die in diesem Jahr an Höhenpunkten nicht gerade arme Viennale will ihrem Publikum mit der
Reihe «Event of the Day» eine kleine Orientierungshilfe geben. Die einzelnen täglichen Events sind von
ganz und gar unterschiedlichem Charakter und finden an den verschiedenen Orten des Festivals statt.
Freitag, 26.10., 20 Uhr, Gartenbaukino
GALA IN HONOR OF MICHAEL CAINE
Weltpremiere der restaurierten Fassung von SLEUTH (Joseph L. Mankiewicz, USA/GB 1972) mit anschließendem Gespräch mit Michael Caine.
Samstag, 27.10., 20.30 Uhr, Gartenbaukino
MONUMENT FILM
Ein Abend der besonderen Art mit Peter Kubelka und der
Präsentation seiner beiden Arbeiten ARNULF RAINER
(1960) und ANTIPHON (2012) in nie dagewesener Form.
Sonntag, 28.10., 19.30 Uhr, Festivalzentrum
BUCHPRÄSENTATION & LESUNG:
«ERINNERUNGEN AN WIEN» VON FRITZ LANG
Als neuer Band der Viennale Edition «The Useful Book»
präsentiert das Festival erstmals vollständig die Erinnerungen Fritz Langs an seine Geburtsstadt Wien.
Montag, 29.10., 23 Uhr, Gartenbaukino
FILMPREMIERE: LEVIATHAN
Vorführung des experimentellen Dokumentarfilms von
Verena Paravel und Lucien Castaing-Taylor in Anwesenheit der Regisseure.
Dienstag, 30.10., 20.30 Uhr, Festivalzentrum
DISKUSSION: DIE KOMMASTELLE
Filmfestivals in Österreich fristen mit wenigen Ausnahmen ein kärgliches Dasein, leisten jedoch Wesentliches
für das Kino. Darüber muss man reden.
Mittwoch, 31.10., ab 13.30 Uhr, Metro Kino
THREE TIMES BOOGIE WOOGIE
Ein Film mal drei. Drei Filme in einem.
James Bennings hypnotische Serie mit
einem neuen dritten Teil als Weltpremiere. In Anwesenheit des Filmemachers.
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Donnerstag, 1.11., 19.30 Uhr, Festivalzentrum
TERROR, CHIPS UND BIER
Jörg Buttgereit präsentiert den Film THE TROLLENBERG
TERROR aus dem Jahr 1958 mit einem begleitenden
Audiokommentar von John Carpenter – auf DVD.
Freitag, 2.11., 19.30 Uhr, Festivalzentrum
BUCHPRÄSENTATION & LESUNG:
«FESTIVAL» VON CÉSAR AIRA
Als «Useful Book» erscheint erstmalig in deutscher Übersetzung ein kleiner Schlüsselroman über die verrückte
Welt der Filmfestivals.
Samstag, 3.11., 21 Uhr, Künstlerhauskino
GALA IN HONOR OF WOLF SUSCHITZKY
Geburtstagsabend zu Ehren und in Anwesenheit des 100jährigen aus Wien stammenden Kameramannes Wolf Suschitzky. Showing GET CARTER (Mike Hodges, GB 1971).
Sonntag, 4.11., 21 Uhr, Metro Kino
AN EVENING TO REMEMBER
Ein rares akustisches Konzert und Poetry Reading des
Viennale Gastes Patti Smith im exklusiven Rahmen des
Metro Kinos.
Montag, 5.11., 20.30 Uhr, Gartenbaukino
FILMPREMIERE: MUSEUM HOURS
Ein Wien-Film, der dieser Stadt mehr
als zur Ehre gereicht. In Anwesenheit
des Regisseurs, der Darsteller und von
Executive Producer Patti Smith.
Dienstag, 6.11., 19.30 Uhr, Festivalzentrum
LESUNG RAINALD GOETZ
Der Schriftsteller Rainald Goetz besucht die Viennale und
liest aus seinem neuen, viel beachteten Roman «Johann
Holtrop».
Mittwoch, 7.11., Gartenbaukino & Festivalzentrum
ABSCHLUSS DER VIENNALE 2012
Der italienische Abschluss L’INTERVALLO als Gegenthese
zum US-Eröffnungsfilm. Anschließend Party im Festivalzentrum bis zum Beginn der Viennale 2013.
YANNICK GRANDMONT
Donnerstag, 25.10., Gartenbaukino & Festivalzentrum
ERÖFFNUNG DER VIENNALE 2012
Die Viennale beginnt – wie jedes Jahr – mit Film und
Party. Nur beides diesmal ein bisschen bigger than life.
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VIENNALE DVD BOX
EL SICARIO, ROOM 164
USA/F 2010, 84 Min, spOmeU
R: Gianfranco Rosi
HALF NELSON
USA 2005, 107 Min, OmdU
R: Ryan Fleck. D: Ryan Gosling, Shareeka Epps,
Anthony Mackie, Monique Curnen
AQUELE QUERIDO MÊS DE AGOSTO
(OUR BELOVED MONTH OF AUGUST)
Portugal/F 2008, 150 Min, OmeU
R: Miguel Gomes. D: Sónia Bandeira, Fábio Oliveira,
Joaquim Carvalho, Andreia Santos
CAPTURING THE FRIEDMANS
USA 2003, 107 Min, OF
R: Andrew Jarecki
LE ROI DE L’ÉVASION
(THE KING OF ESCAPE)
F 2009, 97 Min, OmeU
R: Alain Guiraudie. D: Ludovic Berthillot,
Pascal Aubert, Pierre Laur, Hafsia Herzi
Anlässlich ihres 50-Jahre-Jubiläums veröffentlicht die
Viennale gemeinsam mit der Wiener Stadtzeitung
FALTER eine kleine DVD Edition. Diese soll weniger einen
Überblick über die Geschichte des Festivals geben, sondern vielmehr den Geist der Viennale repräsentieren und
mit einem Umfang von nur fünf Filmen eine besonders
handverlesene Auswahl darstellen. Gleichzeitig versteht
sich die Edition als Versuch, eine Schneise zu schlagen
in den Wildwuchs der aktuellen DVD-Produktion und
ein paar wenige herausragende kinematografische
Positionen hervorzuheben.
VIENNALE DVD BOX € 59,90
Die Filme sind entweder einzeln zumm Preis €14,90 oder
gesammelt in der DVD Box erhältlich. Die Box beinhaltet
neben den 5 Filmen eine Bonus DVD mit den «20 Little
Films», den Viennale-Trailern von 1995 bis 2012 (darunter einminütige Filme von David Lynch, Jean-Luc Godard,
Chris Marker, Agnès Varda …). Darüber hinaus finden
sich einige attraktive Goodies (ein Stück eines 35mmFilmstreifens eines Viennale-Trailers, ein ViennaleSchlüsselband, ein Viennale-Pin) in dieser limitierten
Box.
Erhältlich ab 25.10. an allen Vorverkaufsstellen,
in den Viennale-Kinos, auf www.faltershop.at und
in ausgewählten Buchhandlungen.
WHAT A CONSTELLATION
VIENNALE UND BLUE BIRD PRÄSENTIEREN
«15 JAHRE CONSTELLATION RECORDS»
YANNICK GRANDMONT
21. und 22. November Porgy & Bess, 1010 Wien, Riemergasse 11
Anlässlich des 50-Jahre-Jubiläums
der Viennale hat sich das Filmfestival mit dem renommierten
und seit Jahren hochgeschätzten
Singer-Songwriter-Festival Blue Bird
zusammengetan, um gemeinsam
«15 Jahre Constellation Records»
in Wien zu feiern: Das Blue Bird
wird um einen Tag verlängert, am
21. und 22. November wird ein «Showroom» im Porgy & Bess für das
Label eingerichtet, in dem eine Auswahl der Constellation-RecordsKünstlerInnen präsentiert wird.
BLUE BIRD FESTIVAL 2012
Line up 23. November
TBC – Vadoinmessico –
Daniel Norgren – Squalloscope
Line up 24. November
Robyn Hitchcock – Mick Flannery –
The Irrepressibles – Katrin Navessi
Einzel- und Mehrtagespässe für das gesamte
BLUE BIRD FESTIVAL sind an allen Viennale
Vorverkaufsstellen und in allen Kino
erhältlich.
BLUE BIRD 2012
4-Tages-Pass (21. bis 24. 11.)
€ 79
WHAT A CONSTELLATION
2-Tages-Pass (21. und 22. 11.)
€ 48
Thee Silver Mt Zion – Hrsta – Elfin Saddle – Carla Bozulich
BLUE BIRD 2012
2-Tages-Pass (23. und 24. 11.)
€ 48
Infos unter 50jahre.viennale.at
und www.songwriting.at
TAGESPÄSSE
(für 21., 22., 23. oder 24.11.)
€ 28
LINE UP 21. NOVEMBER
Do Make Say Think – Sandro Perri – Eric Chenaux – Hangedup
LINE UP 22. NOVEMBER
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Spielfilme
A LITTLE CLOSER
USA 2011, 73 Min, OF, Video
R: Matthew Petock, D: Sayra Player,
Parker Lutz, Eric Baskerville, Chris Kies
Mit aufrichtigem, fast dokumentarischem Blick und einer wunderbar
losgelösten Kamera begleitet Petock
eine alleinerziehende Mutter und
ihre beiden Söhne durch eine Handvoll Sommertage im ländlichen Virginia. Unaufgeregt und unspektakulär fühlt sich das an, und doch sind
es große Dinge, die die Erzählung
streift – sexuelles Erwachen wie erwachsene Sehnsüchte, Geschlechterund Klassenverhältnisse, Rassismen,
materielle Sorgen und Einsamkeit.
Eine magische Tanzszene und andere hoffnungsvolle Momente später
hallt die Frage nach: A little closer to
what?
3.11., 21 Uhr, Urania
4.11., 23.30 Uhr, Künstlerhaus
À PERDRE LA RAISON
B/LUX/F/CH 2012, 111 Min, OmdU
R: Joachim Lafosse, D: Niels Arestrup,
Tahar Rahim, Emilie Dequenne, Baya Belal
AI DE TI SHEN (All Apologies)
China 2012, 88 Min, OmeU, Video
R: Emily Tang, D: Cheng Taishen,
Yang Shuting, Liang Jing, Gao Jin
Von Beginn an rackern sich alle ab:
mit ihrer Arbeit, mit der wenigen
Zeit, mit ihren Kindern – die eine
gute Ausbildung bekommen und es
einmal besser haben sollen. Doch
dann durchkreuzt ein tragischer Unfall die Lebenswege zweier Nachbarsfamilien. Lässt sich der Verlust
eines Kindes sühnen? Was wie die
Versuchsanordnung einer griechischen Tragödie anmutet, wird
unter Tangs Regie zu einer fesselnden Studie über die Unmöglichkeit
von Mitmenschlichkeit und die Unbehaustheit der zwangsweise Individualisierten. In aller Klarheit wird
deutlich: Das Leben in Zeiten des
entfesselten Kapitalismus ist nicht
zu bewältigen.
3.11., 13 Uhr, Stadtkino
5.11., 21 Uhr, Urania
AI TO MAKOTO (For Love’s Sake)
Vor einigen Jahren erschütterte eine
Bluttat Belgien. Eine junge Frau hatte
aus, wie es in solchen Fällen oft
heißt, unerklärlichen Gründen ihre
fünf Kinder ermordet. À PERDRE
LA RAISON versucht, die Geschichte
nachzuzeichnen, ohne sie in Analysen und Behauptungen zu ersticken.
In freier, fast leichter Weise beschreibt er die zunächst glückliche
Beziehung zwischen Murielle und
ihrem Mann Mounir. Aber über
Mounir liegen die Schatten seiner
Vergangenheit und die seltsame
Abhängigkeit von einem älteren,
reichen Mann, eine Verbindung,
die langsam in die junge Familie
einsickert. Bis sie für Murielle zur
furchtbaren Unerträglichkeit wird.
1.11., 21 Uhr, Künstlerhaus
3.11., 24 Uhr, Künstlerhaus
6
Japan 2012, 134 Min, OmeU, Video
R: Miike Takashi, D: Emi Takei, Tsumabuki
Satoshi, Ihara Tsuyoshi, Saitoh Takumi
Tōkyō, 1972: Zwischen sturzbesoffenen Büroangestellten und einer
Jugend ohne Gott treffen sich Ai und
Makoto wieder. Vor Jahren rettete er
ihr das Leben – nun, findet sie, ist es
an der Zeit, dass sie sich seiner annimmt und sanft auf den Pfad der
Tugend zurückführt. Nur: Makoto
geht es eigentlich bestens als unbesiegbarer Straßenkämpfer … Tanzund-Gesangseinlagen zwischen
Hollywood und Bollywood in
brachial postmoderner Verstiegenheit! Kampfszenen, mal abstrakt,
mal hyperrealistisch! Lieblichkulleräugelige Techtelmechteleien!
Animationsschübe! Der Burger mit
allem unter den Pop-Kino-Krachern!
30.10., 23 Uhr, Gartenbaukino
ALIYAH
F 2012, 90 Min, OmeU, DCP
R: Élie Wajeman, D: Pio Marmaï, Cedric Kahn,
Adèle Haenel, Guillaume Gouix
Der kleine Drogendealer Alex will
Frankreich verlassen, um in Israel
ein neues Leben als Restaurantbesitzer zu beginnen – auch, um
endlich aus dem langen Schatten
seines Bruders Isaac, eines begnadeten Troublemakers, zu treten.
Wajemans Debütfilm kontrastiert in
rascher Folge die Milieus des Rausches und der Kriminalität, in denen
Alex seine Geschäfte abwickelt, mit
den nüchternen Orten der Konzentration und des Studiums, wo er
seine jüdische Identität zu «konstruieren» versucht. Dass der Versuch,
im gelobten Land zu sich selbst zu
finden, an der Realität zerschellt,
ist die fatale Konsequenz eines hoffnungslosen Versuches der Selbstbefreiung.
26.10., 13.30 Uhr, Künstlerhaus
3.11., 18.30 Uhr, Urania
APRÈS MAI
F 2012, 122 Min, OmdU, DCP
R: Olivier Assayas, D: Clément Métayer,
Lola Créton, Felix Armand, Carole Combes
APRÈS MAI ist die Geschichte einer
Generation nach 1968, einer Generation, deren Hoffnungen und Träume
sich nicht unmittelbar aus den
Ereignissen des Pariser Mai speist,
sondern die auf der Suche nach
einem eigenen, neuen Mai ist. Im
Politischen wie im Persönlichen eine
not yet lost generation, schwankend
zwischen ihrem kleinen Glück, ihrer
Musik, einer Reise und einer Liebschaft. Noch sind die Zeichen des
Mai auf den Wänden nicht verblasst,
aber eine Tür ist dabei, ins Schloss
zu fallen. Die Politik und das Private
scheinen auseinander zu streben
und dabei doch zusammenzugehören wie die beiden Seiten einer
alten LP.
Am 28.10. in Anwesenheit von
Olivier Assayas.
28.10., 21 Uhr, Gartenbaukino
1.11., 13.30 Uhr, Urania
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A LITTLE CLOSER
ARGO
USA 2012, 120 Min, OmdU, DCP
R: Ben Affleck, D: Bryan Cranston,
Ben Affleck, John Goodman, Kyle Chandler
ARGO ist der Titel eines Films im
Film – eines Films, den es nie geben
wird, und der erfunden wurde, um
am Höhepunkt der nationalen Revolution Ende 1979 eine versprengte
Gruppe US-Bürger mit erfundenen
Identitäten und Papieren aus dem
Iran herauszuschmuggeln. Es ist
eine Geschichte über Dreharbeiten
in der Wüste, die als Täuschungsmanöver dienen, die so unglaubwürdig und absurd wie faszinierend
klingt. Und die doch in jenen Tagen
so oder so ähnlich Realität war.
Affleck erzählt sie in seiner Regiearbeit auf intelligente und manchmal atemberaubende Weise, zwischen Abenteuer- und Actionfilm,
Kolportage und Hollywood-Satire
changierend.
Mit VIENNALE-TRAILER 2012: KINO
25.10., 19.30 Uhr, Gartenbaukino
(Eröffnungsgala)
25.10., 23.30 Uhr, Gartenbaukino
AUGUSTINE
F 2012, 102 Min, OmeU, DCP
R: Alice Winocour, D: Vincent Lindon, Soko,
Olivier Rabourdin, Chiara Mastroianni
wird und betastet – jenes unterdrückte Begehren, das Charcot-Schüler Freud alsbald ans Licht zerren
wird.
29.10., 21 Uhr, Künstlerhaus
31.10., 13.30 Uhr, Urania
AUTOREIJI BIYONDO (Outrage Beyond)
Japan 2012, 110 Min, OmeU
R: Kitano Takeshi, D: Kitano Takeshi,
Kase Ryo, Sugata Shun, Mitsuishi Ken
Kitano Takeshi is back. Nach ein
paar unentschlossenen und spekulativen Filmen in den letzten Jahren
liefert Kitano mit seiner Yakuza-Studie AUTOREIJI BIYONDO wieder ein
großes und makelloses Werk. Eine
aufs Wesentliche reduzierte, hochstilisierte Beschreibung der japanischen Gangsterwelt zwischen Ehrenkodex, Rache und Geschäft, eine
Welt der alten Männer und jungen
Killer, getragen von einer Kultur des
bedingungslosen Gehorsams und
tödlichen Ehrgeizes. Skizziert mit
der kühlen Beiläufigkeit und Eleganz, wie sie so nur der Meister
Kitano selbst beherrscht.
1.11., 20.30 Uhr, Gartenbaukino
3.11., 23.30 Uhr, Urania
1885 wird die 19-jährige Augustine
nach einem Krampfanfall ins Pariser
Salpêtrière Hospital eingewiesen.
Der dort tätige Professor Charcot,
aufgrund seiner Forschungen über
die mysteriöse Frauenkrankheit
«Hysterie» ebenso umstritten wie en
vogue, findet in ihr seine Star-Patientin. Wie im Labor präpariert Winocour in ihrem eleganten, auf wahren
Begebenheiten beruhenden Kostümfilm die Mechanismen einer Zuschreibung, die den Körper der Frau
zum Austragungsort des Geschlechterkrieges macht: Kaum kaschiert als
wissenschaftliche Untersuchungsmethode verrät der männliche Blick
– gerichtet auf das pathologisierte
weibliche Fleisch, das entkleidet
BEASTS OF THE SOUTHERN WILD
USA 2011, 92 Min, OmdU, DCP
R: Benh Zeitlin, D: Quvenzhané Wallis,
Dwight Henry, Lowell Landes, Levy Easterly
Sie heißt Hushpuppy und sie lebt
mit ihrem kranken Vater in einem
improvisierten Camp von Marginalisierten im Mississippi-Delta. Die Katastrophe von Katrina und deren Folgen wabert als Grundvibration durch
Zeitlins Spielfilmdebüt, in dem die
Welt auf ihren Untergang zustrebt,
großartig animierte Auerochsen wiederauferstehen und die Menschen
zur Organisationsform der Urhorde
zurückfinden. Fulminant behauptet
BEASTS OF THE SOUTHERN WILD –
den A.O. Scott «a passionate and un-
ruly explosion of Americana»
genannt hat – die Gültigkeit der
Mythen als heutige Erzählform. Und
schafft aus Licht, Farbe und Lebendigkeit ein postapokalyptisches Märchen-Gedicht. Schillernd, wild und
frei, beglückend.
26.10., 18.30 Uhr, Urania
2.11., 20.30 Uhr, Gartenbaukino
6.11., 6.30 Uhr, Künstlerhaus
BERBERIAN SOUND STUDIO
GB/D/F 2012, 88 Min, OmeU
R: Peter Strickland, D: Toby Jones, Cosimo
Fusco, Fatma Mohamed, Eugenia Caruso
Ein englischer Spezialist für Soundeffekte wird von einem italienischen
Studio, das Giallo-Horrorfilme im Stil
von Dario Argento produziert, engagiert, um ein halbfertiges Werk akustisch aufzupimpen. Der Job entwickelt sich immer mehr zum kafkaesken Abenteuer im Halbdunkel
schlecht beleuchteter Korridore. Toningenieur Gilderoy verliert im chaotischen Soundpool aus Hexenschreien, dumpfen Hieben und elektronischen Dissonanzen zuerst die Kontrolle über seine Arbeit und dann
über sich selbst. Eine psychoakustische Attacke, die gerade durch das
Fehlen von Schockbildern ihre sinistre Überwältigungskraft entfaltet.
In Anwesenheit von Peter Strickland.
30.10., 21 Uhr, Metro
31.10., 11 Uhr, Metro
7
V12_PG_Kern:V_PG
11.10.2012
10:46 Uhr
Seite 8
Spielfilme
BEUL-LA-IN-DEU (Blind)
Südkorea 2011, 111 Min, OmeU, Video
R: Ahn Sang-hoon, D: Kim Ha-neul, Yoo
Seung-ho, Jo Hie-bong
Die blinde Min Soo-ah, eine ehemalige Polizistin, wird Zeugin eines Falles von Fahrerflucht nach einem Unfall mit Todesfolge. Schnell stellt sich
heraus, dass der Flüchtige ein Serienmörder ist. Es ist weniger die eher
unübersichtliche Plotentwicklung,
die den Schwung dieses Filmes ausmacht, als der intensive Spannungsaufbau im Stile Brian de Palmas mit
langen Kamerafahrten und dramatischen Orchestertutti. Am eindrücklichsten jene Szene, in der Soo-ah
vor dem Killer flüchtend durch die
U-Bahn irrt und dabei von einem
Freund mit dem Handy durch das
Labyrinth navigiert wird. Ein luxuriös inszenierter Psychothriller auf der
Höhe der medialen Entwicklung.
26.10., 23 Uhr, Stadtkino
29.10., 16 Uhr, Künstlerhaus
CAMILLE REDOUBLE (Camille Rewinds)
F 2012, 115 Min, OmeU
R: Noémie Lvovsky, D: Noémie Lvovsky,
Samir Guesmi, Yolande Moreau, Michel
Vuillermoz
Was würden wir tun, bekämen wir
die sprichwörtliche zweite Chance?
Würden wir uns anders entscheiden?
Es anders machen? Uns nicht verlieben in den Mann, der uns und die
gemeinsame Tochter nach 25 Jahren
für eine Jüngere sitzen lässt? Fragen,
die sich Camille stellen, als sie nach
einer durchzechten Silvesternacht
Mitte der 1980er Jahre und als Teenager wieder erwacht. Lvovsky ist Koautorin, Regisseurin und Hauptdarstellerin der bitter-süßen ZeitreisenKomödie CAMILLE REDOUBLE –
einer Variation auf Coppolas PEGGY
SUE GOT MARRIED (1986), nur eben
mit spezifisch französischem
Charme: unbefangen, gutgelaunt,
nachdenklich.
5.11., 11 Uhr, Künstlerhaus
6.11., 18 Uhr, Gartenbaukino
8
LE CARROSSE D’OR (The Golden Coach)
F/I 1952, 102 Min, eF
R: Jean Renoir, D: Anna Magnani, Odoardo
Spadaro, Duncan Lamont, Paul Campbell
Wenn im Kino der Vorhang aufgeht,
erscheint auf der Leinwand ein zweiter. Er öffnet sich und gibt den Blick
frei auf einen Theaterraum, in dem
das Märchen von der Goldenen Karosse von einer Commedia-dell’ArteTruppe gespielt wird. Irgendwann im
18. Jahrhundert: Mit einer italienischen Komödientruppe gastiert die
namhafte Schauspielerin Camilla in
einer spanischen Kolonie in Südamerika. Sie wird von drei Männern
umworben: dem Vizekönig von Peru,
dem Stierkämpfer Ramon und von
Felipe, der zu Beginn in die Revolution zieht, von dort aber zurückkehrt
und der Angebeteten in stiller Verehrung von Ort zu Ort folgt. Als der Vizekönig Camilla seine goldene Karosse schenkt, um sie an sich zu binden,
kommt es in dem kleinen, von Eifersüchteleien und Intrigen beherrschten Hofstaat zum Skandal.
4.11., 13 Uhr, Gartenbaukino
CHERCHEZ HORTENSE
(Looking For Hortense)
F 2012, 100 Min, OmeU, DCP
R: Pascal Bonitzer, D: Jean-Pierre Bacri,
Kristin Scott Thomas, Noé, Claude Rich
Iva bittet ihren Mann Damien, bei
dessen politisch sehr einflussreichem Vater zu intervenieren, damit
eine gute Freundin von ihr eine
Arbeitserlaubnis erhält und nicht
als Emigrantin abgeschoben wird.
Das Problem dabei ist, dass Damien
sich mit seinem Vater überhaupt
nicht versteht. Bonitzer beherrscht
das Spiel mit gesellschaftlichen
Verpflichtungen, familiären Abhängigkeiten, der Verwirrung der
Gefühle und den alltäglichen Widrigkeiten souverän und manchmal very
french and sophisticated. Und JeanPierre Bacri als Damien und Kristin
Scott Thomas als Iva sind ein Schauspieler-Paar, wie man es sich nicht
sehr viel besser vorstellen kann.
In Anwesenheit von Pascal Bonitzer.
30.10., 21 Uhr, Künstlerhaus
31.10., 13 Uhr, Gartenbaukino
CSAK A SZÉL (Just The Wind)
H/D/F 2011, 91 Min, OmdU, DCP
R: Bence Fliegauf, D: Katalin Toldi, Gyöngyi
Lendvai, Lajos Sárkány, Györgyi Toldi
CHE SAU (Motorway)
Hongkong 2012, 90 Min, OmeU, DCP
R: Soi Cheang, D: Shawn Yue, Anthony Wong
Chau-Sang, Josie Ho, Michelle Ye
Cheung ist neu bei der Elitepolizeitruppe, sehr talentiert und heiß auf
Erfolge – Lo hingegen will in aller
Ruhe die verbleibende Zeit bis zur
Pensionierung runterreißen und
bloß keine Risiken mehr eingehen.
Natürlich kommt alles anders, als
man denkt, und Cheung bald aus
dem Staunen nicht mehr heraus ob
all dessen, was sein Partner am Steuer vermag … Der Autorennfahrer- als
Kampfkunstfilm: Jede Verfolgungsjagd, jede Konfrontation Auto gegen
Auto ist choreografiert wie ein Waffengang – schlank-elegant, geschmeidig, sehnig, aufs WesentlichNötigste konzentriert. Virtuoses
formvollendetes Actionkino.
26.10., 11 Uhr, Künstlerhaus
27.10., 23 Uhr, Gartenbaukino
Fliegauf bezieht sich auf eine Serie
rassistischer Anschläge, die in Ungarn 2008/2009 auf Roma verübt
wurden. Er folgt einer Familie, die
unter dem Eindruck der Ermordung
ihrer Nachbarn versucht, weiter
ihren Alltag zu leben. Er geht mitten
rein in die unschönen Verhältnisse
und zeichnet Ungeheuerliches und
ungeheuerlich Normales auf. Er zeigt
verschlossene Gesichter, in denen
die Münder nur noch Striche sind
und die Augen beinah leer, und er
zeigt, wie und warum sie so wurden.
Er zeigt strukturelle Gewalt, beispielhaft konkretisiert. Das ist weder
schön anzuschauen, noch leicht zu
verstehen, noch simpel gedacht.
Es ist aber eine Chance.
30.10., 21 Uhr, Urania
31.10., 20.30 Uhr, Gartenbaukino
V12_PG_Kern:V_PG
11.10.2012
10:46 Uhr
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Seite 9
VIENNA
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V12_PG_Kern:V_PG
11.10.2012
10:46 Uhr
Seite 10
Spielfilme
DA-REUN NA-RA-E-SUH
(In Another Country)
Südkorea 2012, 89 Min, OmeU
R: Hong Sangsoo, D: Isabelle Huppert,
Yu Junsang, Jung Yumi, Youn Yuhjung
Der Regisseur zeigt Isabelle Huppert
IN ANOTHER COUNTRY, genauer:
holt diese in ein Strandhotel in seiner Heimat Südkorea. Dort verdreht
sie unter dem Namen Anne in drei
verschiedenen Inkarnationen, in improvisierter Wiederholungsstruktur
und in holprigem Touristen-Englisch
spätpubertären Männern den Kopf.
Weil wir aber in einem Hong-Film
sind, ist Anne alles andere als ein
Weibsteufel, und weil wir in einem
Hong-Film sind, wird sowieso viel
geliebt und gestritten, gegessen
und getrunken, und vor allem:
viel (aneinander vorbei) geredet.
In Anwesenheit von Isabelle Huppert.
27.10., 21 Uhr, Künstlerhaus
28.10., 15.30 Uhr, Gartenbaukino
DARK HORSE
USA 2011, 85 Min, OF, DCP
R: Todd Solondz, D: Jordan Gelber, Selma
Blair, Christopher Walken, Mia Farrow
Abe ist ein vollgültiges Mitglied der
«Solondz Society»: Ein korpulenter
Mann, Mitte 30, der immer noch bei
den Eltern wohnt und mit dem Mut
der Verzweiflung um Liebe und Anerkennung kämpft. Seine Begegnung
mit Miranda ist ein match made in
hell: Die schwer depressive Frau verstrickt sich gegen ihre Neigung in
eine Beziehung mit dem underachiever und die Katastrophe nimmt, angereichert durch Familienzwist und
Probleme am Arbeitsplatz, ihren
Lauf. Regisseur Solondz sendet auf
seiner eigenen bizarren Frequenz
und lässt die Geschichte immer wieder ins Traumhaft-Surreale kippen.
Und aus dem Hinterhalt schlägt der
Humor zu. Einmal sagt Abe: «I’m
even too old for American Idol.»
31.10., 16 Uhr, Urania
2.11., 18 Uhr, Gartenbaukino
DE JUEVES A DOMINGO
(Thursday Till Sunday)
Chile/NL 2012, 96 Min, OmeU, Video
R: Dominga Sotomayor, D: Santi Ahumada,
Emiliano Freifeld, Paola Giannini,
Jorge Becker
Sotomayor hat mit ihrem Debüt eine
mehr als erstaunliche Talentprobe
abgelegt. Wobei der Begriff «Probe»
weit zurückbleibt hinter der Souveränität, mit der hier erzählt, skizziert, beschrieben wird. Eine Familie
auf einem gemeinsamen Urlaubstrip
durch eine schöne, wilde Landschaft
und zugleich eine kleine Gemeinschaft im Zerfall. Die Eltern werden
sich trennen, die Kinder ihre eigenen
Wege erfinden, aber alles ist noch in
der Schwebe und in der Ungewissheit. Die Ahnung der Katastrophe
und die Sehnsucht nach Erlösung an
einem ewigen, lichten Sommertag,
der der letzte und erste zugleich sein
wird. Ein wunderbarer, schlafwandlerischer Film.
In Anwesenheit von Dominga Sotomayor.
27.10., 21 Uhr, Urania
29.10., 13.30 Uhr, Künstlerhaus
Uruguay/Mexiko/F 2012, 84 Min, OmeU
R: Rodrigo Plá, D: Roxana Blanco, Carlos
Vallarino, Oscar Pernas, Cecilia Baranda
Eines Tages kann sie einfach nicht
mehr. Da lässt sie ihren demenzkranken Vater auf irgendeiner Bank
in irgendeinem weit von Zuhause
entfernten Viertel sitzen und behauptet ihren drei Kindern gegenüber, sie habe Opa ins Altersheim gebracht. Verhärmt ist ihr Gesicht,
überarbeitet ihre Gestalt, doch Blut
ist dicker als Wasser. Das findet im
Übrigen auch der Alte, der sich
standhaft weigert, seine Bank zu verlassen, denn die Tochter könnte ja
jeden Moment zurückkommen. LA
DEMORA ist ein lakonischer Film
über die Zumutung Liebe, Beobachtung der Oberflächenphänomene
einer Kraft, die einen beständig über
die eigenen Grenzen hinaus treibt.
27.10., 21 Uhr, Metro
29.10., 11 Uhr, Metro
DIAMANTENFIEBER (Diamond Fever)
A 2012, 74 Min, OmeU, DCP
R: Peter Kern, D: Johannes Nussbaum, Anna
Posch, Josef Hader, Stefanie Fuerstenberg
THE DEEP BLUE SEA
GB/USA 2011, 98 Min, OF, DCP
R: Terence Davies, D: Rachel Weisz, Tom
Hiddleston, Simon Russell Beale, Ann
Mitchell
Lady Hester Collyer hat ihren Mann
verlassen, um eines jungen Air Force
Piloten willen, der sie zwar nicht
liebt, aber befriedigt. THE DEEP
BLUE SEA, nach dem 1952 entstandenen Theaterstück von Terence
Rattigan, ist ein Melodram schweren
Kalibers, das Davies eben so – theatralisch wuchtig und artifiziell – in
Szene setzt. In der anspruchsvollen
Rolle der sich verselbstständigenden
Lady glänzt Rachel Weisz. Dazu
spielt Hilary Hahn Samuel Barbers,
während des zweiten Weltkriegs geschriebenes, neoromantisches Violinkonzert, das wie ein eigenständiger Handlungsträger ins gefühlsstürmische Narrativ geflochten ist.
28.10., 13.30 Uhr, Urania
31.10., 15.30 Uhr, Gartenbaukino
10
LA DEMORA (The Delay)
Auf sich allein gestellt sorgt der 16jährige Hans für seine Oma und
seine vier Geschwister. Die Familie
ist vom Zugriff des Sozialamtes bedroht und Hans lässt sich auf die kriminellen Machenschaften seines Onkels ein, weil er sich vom schnellen,
großen Geld die Lösung seiner Probleme verspricht. Stattdessen trifft er
auf noch mehr Schwierigkeiten und
ein poor little rich girl. Gemeinsam
erkämpfen sie sich wider alle Wahrscheinlichkeit und gegen jeden Realitätssinn den guten Ausgang der Geschichte. So muss das auch sein.
Denn, so Philipp Bühler, «Kerns Sympathie mit den Außenseitern und
Verletzten ist so radikal wie sein
Kino aktuell und notwendig». Und
wo blieben wir ohne Hoffnung?
In Anwesenheit von Peter Kern.
3.11., 18 Uhr, Gartenbaukino
V12_PG_Kern:V_PG
11.10.2012
DONOMA
F 2011, 135 Min, OmeU, Video
R: Djinn Carrénard, D: Emilia Dérou-Bernal,
Laura Kpegli, Salomé Blechmans, Sékouba
Doucouré
Kein Geld, dafür umso mehr Entschlusskraft, Spontaneität und Fantasie rief dieses furiose Spielfilmdebüt ins Leben. Carrénard, auf Haiti
geboren, in Paris beheimatet, entwirft ein weit verzweigtes, zugleich
eng geführtes narratives Gewebe aus
dem Alltag junger Menschen – und
untersucht, wie Klasse, Rasse und
Geschlecht, Religion und Kultur die
Identität seiner Protagonisten determinieren und ihre Beziehungen
zueinander komplizieren. Wie ein
atmender Organismus wirkt diese
unberechenbare, leidenschaftliche,
aufrichtige Erzählung, die an der unscharfen Grenze zwischen pubertärem Irresein und echtem Wahn von
der Schwierigkeit handelt, im Verhalten dem Gefühl gerecht zu werden.
6.11., 13.30 Uhr, Künstlerhaus
7.11., 20.30 Uhr, Stadtkino
10:46 Uhr
Seite 11
DUPĂ DEALURI (Jenseits der Hügel)
RO/F/B 2012, 150 Min, OmdU, DCP
R: Cristian Mungiu, D: Cosmina Stratan,
Cristina Flutur, Valeriu Andriută,
‚
Dana Tapalagă
Sie haben es nur gut gemeint. Und
doch ist Alina jetzt tot. Obwohl sie
gebetet haben, was das Zeug hält –
die Nonnen und der Priester der
kleinen bäuerlichen Glaubensgemeinschaft hinter den Hügeln – ihre
Besessenheit konnten sie der jungen
Frau nicht austreiben. Es ist die Geschichte eines tragischen Missverständnisses, die Mungiu – inspiriert
von den Tatsachen-Romanen Tatiana
Niculescu Brans – auf kunstvollschlichte Weise inszeniert. Eine
weltanschauliche Kollision mit
Todesfolge, in der der Kampf einer
Frau um ihre (verbotene/verlorene)
Liebe auf eine Wahrnehmung stößt,
die dafür keinen Begriff hat.
In Anwesenheit von Cosmina Stratan.
30.10., 15 Uhr, Künstlerhaus
1.11., 14.30 Uhr, Gartenbaukino
THE DYNAMITER
USA 2011, 73 Min, OF, Video
R: Matthew Gordon, D: William Ruffin,
John Alex Nunnery, Joyce Baldwin,
Patrick Rutherford
DONOVAN’S REEF
USA 1963, 109 Min, OF
R: John Ford, D: John Wayne, Lee Marvin,
Elizabeth Allen, Jack Warden
Ein Arzt verlässt die gute Gesellschaft von Boston, um sich auf der
paradiesischen Insel Haleakaloha
nur noch um das Glück und die Gesundheit einer kleinen Gemeinde zu
kümmern. Dort trifft er auf den wortkargen Barbesitzer Donovan, mit
dem ihn bald schon eine streitlustige
Freundschaft verbindet. Eine Komödie über Heuchelei und Rassismus
und ein gelassener Südsee-Film in
unaufgeregtem Rhythmus, voll eleganter Melancholie, den Ford ohne
finanzielle und narrative Zwänge
realisieren konnte. DONOVAN’S
REEF wirkt wie ein Familienfilm, den
man während der Ferien gedreht hat,
um sich zu amüsieren und Augenblicke festzuhalten, die man sich später
mit Freude und leiser Wehmut wieder ansehen wird.
Immer wieder tauchen auf Filmfestivals unerwartete Juwelen auf. Arbeiten, mit denen sich auf den ersten
Blick nicht viel verbindet und die
schließlich ein strahlendes Universum an Bildern und Tönen entfalten.
THE DYNAMITER ist so ein Glücksfall. Dabei erzählt er nur eine alltägliche nebensächliche Geschichte aus
dem Leben dreier Brüder in einer
Kleinstadt in Mississippi: das vergebliche Warten auf die verschwundene Mutter, die Feindseligkeit der
Nachbarn, die harte und liebevolle
Verbindung der drei. Wenn es je
einen amerikanischen Film gegeben
hat, in dem der große, wilde Geist
William Faulkners weht, dann ist es
dieser.
4.11., 23 Uhr, Stadtkino
6.11., 15.30 Uhr, Gartenbaukino
ELECTRICK CHILDREN
USA 2012, 96 Min, OF, Video
R: Rebecca Thomas, D: Julia Garner,
Rory Culkin, Liam Aiken, Bill Sage
Teenage pregnancy für Mormoninnen: Das Lied auf der verbotenen
Musikkassette war’s! Und um den
Vater des ungeborenen Kindes zu
finden, reißt man aus in die große
Stadt und spricht den ersten feschen
jungen Mann mit Skateboard und EGitarre an. Für die 15-jährige Rachel
jedenfalls eine klare Mission, die sie
unerschrocken und in tiefer religiöser
Überzeugung verfolgt. Der Glaube an
Wunder, Rock ’n’ Roll und die Magie
des Kinos – so buchstabiert sich hier
die heilige Dreifaltigkeit. Eine IndieMusik-Hymne an die Macht der Vorstellungskraft.
27.10., 16.30 Uhr, Urania
3.11., 18 Uhr, Stadtkino
EXIT ELENA
USA 2012, 72 Min, OF, Video
R: Nathan Silver, D: Kia Davis, Cindy Silver,
Jim Chiros, Gert O’Connell
Altenpflegerin Elena tritt ihre erste
Stelle an. Dort bekommt sie es nicht
nur mit der freundlichen Greisin Florence zu tun, sondern auch mit deren
übergriffig dominanter Schwiegertochter, deren charakterschwachem
Versagergatten sowie mit dem verhaltensauffälligen Sohn des Hauses.
Alle brauchen Zuwendung und Aufmerksamkeit, alle zerren an der professionellen Hilfskraft. Die Besetzung von Verwandten, Bekannten,
Nachbarn, der Freundin, der Mutter
und Nathan Silver selbst sorgt für die
verblüffend authentische Anmutung
zunehmend unfasslicher Ereignisse.
Ein bisschen wie ein Kindergeburtstag – für Erwachsene.
29.10., 13 Uhr, Stadtkino
6.11., 18.30 Uhr, Urania
FOR ELLEN
USA 2012, 94 Min, OF
R: So Yong Kim, D: Paul Dano, Jon Heder,
Shaylena Mandigo, Jena Malone
Erst im Zuge der Scheidung von
deren Mutter lernt Rockmusiker Joby
26.10., 16 Uhr, Metro
28.10., 13 Uhr, Gartenbaukino
11
V12_PG_Kern:V_PG
11.10.2012
10:46 Uhr
Seite 12
Spielfilme
seine Tochter Ellen kennen. Er verbringt einige erste und letzte Stunden mit dem kleinen Mädchen,
dabei wird ihm nicht nur klar, dass
er die Möglichkeit von Glück und Geborgenheit in der eigenen Familie
verspielt hat. Ihm wird auch die Dimension dieses Verlustes klar. Paul
Dano füllt das Klischee der MusikerFigur mit Leben und arbeitet aus
Drogen-Nebeln eine existenzielle
Müdigkeit heraus, die von unbeantworteten Fragen nach dem Sinn und
dem Wohin kündet. Geduldig folgt
ihm die Kamera, verlangsamt sich
gemeinsam mit ihm bis zum völligen
Stillstand, in dem die entscheidende
Erkenntnis dämmert.
5.11., 21 Uhr, Metro
6.11., 11 Uhr, Metro
FRANCINE
USA/Kanada 2012, 74 Min, OF, Video
R: Brian M. Cassidy, Melanie Shatzky,
D: Melissa Leo, Keith Leonard,
Victoria Charkut, Dave Clark
O GEBO E A SOMBRA
(Gebo and the Shadow)
P/F 2012, 91 Min, fOmeU
R: Manoel de Oliveira, D: Michael Lonsdale,
Claudia Cardinale, Leonor Silveira,
Jeanne Moreau
Er möchte, dass ihn der Tod auf
einem Filmset überrascht, soll der
103-jährige Regisseur Manoel de
Oliveira erklärt haben, nicht Zuhause
in seinem Bett. Also hört er nicht auf,
Filme zu drehen, jener Mann, der
fast so jung ist wie das Kino selbst.
Seine neueste Arbeit O GEBO E A
SOMBRA ist eine Geschichte über
das Warten, über die Zeit und den
Raum, das Herbeisehnen des verlorenen Sohnes und die Angst vor
seiner Heimkehr. Und als er den
Raum betritt, bringt er die ganze Vergangenheit seines Lebens mit. Wie
nebenbei ist O GEBO E A SOMBRA
zudem ein Dokumentarfilm über
seine Darsteller, vor allem die beiden
Diven Jeanne Moreau und Claudia
Cardinale.
In Anwesenheit von Leonor Silveira und
Luís Urbano (Produzent).
2.11., 21 Uhr, Künstlerhaus
3.11., 16 Uhr, Metro
GESCHICHTSUNTERRICHT
I/BRD 1972, 88 Min, OF
R: Danièle Huillet, Jean-Marie Straub,
D: Gottfried Bold, Johann Unterpertinger,
Henri Ludwig, Carl Vaillant
Francine kommt aus dem Gefängnis.
Warum und wie lange sie dort war,
erfährt man nicht. Ihr Gesicht ist
hart geworden, ihr Gemüt verschlossen und ihr Habitus ablehnend.
Doch Francine versucht, Fuß zu fassen in einer Kleinstadt irgendwo.
Ohne Erfolg. Nur zu den Tieren –
Streunern, ausgesetzten Katzen und
Hunden sonder Zahl, die bald ihr
kleines Haus bevölkern – unterhält
sie freundschaftliche, ja liebevolle
Beziehungen. Und übersieht dabei
ihre und deren zunehmende Verelendung. Francine ist eine Erzählung vom verlorenen Zutrauen,
eine Studie des Alleinseins und ein
düsteres, neo-realistisches Juwel.
In Anwesenheit von Brian M. Cassidy
und Melanie Shatzky.
26.10., 21 Uhr, Urania
27.10., 15.30 Uhr, Stadtkino
12
Unterrichten über den Zusammenhang der Gegenwart mit der Vergangenheit: GESCHICHTSUNTERRICHT
liegt das Romanfragment «Die Geschäfte des Herrn Julius Caesar»
von Bertolt Brecht zugrunde, in dem
ein römischer Historiker zwanzig
Jahre nach Cäsars Tod die Biografie
des großen Mannes schreiben will.
Im Film ist ein junger Mann, wie
einst Privatdetektiv Philip Marlowe,
auf der Suche nach Beweisen und
Verdächtigen unterwegs in Rom,
dann in den Bergen des Nordens,
später am Meer. Dabei trifft er auf
–römische Dichter und Politiker,
antike Banker und Bauern. Die Rede
ist von Sklavenhandel, Bestechung
und Ausbeutung. Heute würde man
das eine Globalisierungs-Recherche
nennen.
Mit LA MADRE (iOmdU, siehe Kurzfilmprogramm 6, S. 38)
4.11., 18.30 Uhr, Künstlerhaus
GIMME THE LOOT
USA 2012, 81 Min, OF, DCP
R: Adam Leon, D: Ty Hickson, Tashiana
Washington, Zoë Lescaze, Sam Soghor
Ein Graffiti-Film fast ohne Graffiti.
Die beiden Teenage-Hustler Malcolm
und Sofia, die ein Tag Team bilden,
planen den Coup ihres Lebens: Die
Markierung des überdimensionalen
Apfel-Emblems der New York Mets
mit Schriftzeichen. Dazu aber brauchen sie Geld, das sie sich mit kleinen Drogendeals und Gaunereien
verschaffen wollen. GIMME THE
LOOT ist eine Comédie humaine aus
den Projects, bei der tough talking
mit hohem Fuck-you-Faktor dominiert. Eine Milieustudie aus jenem
anderen Land, das Armut heißt. Und
dazu ein altmodisch rockender
R’n’B-Soundtrack, der die Geschichte
wie ein Brecht’scher Verfremdungseffekt aufsprengt.
28.10., 23.30 Uhr, Urania
1.11., 18 Uhr, Gartenbaukino
DER GLANZ DES TAGES
(The Shine of the Day)
A 2012, 90 Min, OmeU, DCP
R: Tizza Covi, Rainer Frimmel, D: Philipp
Hochmair, Walter Saabel, Vitali Leonti
Eines Tages bekommt der vielbeschäftigte Schauspieler Philipp
Hochmair Besuch von seinem bis
dato unbekannten Onkel Walter,
einem ehemaligen Zirkusartisten
und Bärenringer. Die beiden freunden sich an, entdecken die Gemeinsamkeiten ihrer Professionen. Walter, bodenständig und ein unmittelbarer und zugewandter Mitmensch,
macht sich in Philipps Leben breit
und nützlich; Philipp, ehrgeizig und
ein wenig selbstverliebt, bemerkt,
dass ihm etwas mehr Kontakt zur
wirklichen Welt gut täte. Einer Welt,
der Covi/Frimmel den spezifischen
Glanz der Versöhnung zwischen
V12_PG_Kern:V_PG
11.10.2012
Wirklichkeit und Erfindung verleihen.
In Anwesenheit von Tizza Covi, Rainer
Frimmel und den Schauspielern.
31.10., 18 Uhr, Gartenbaukino
10:46 Uhr
Seite 13
L’INTERVALLO (The Interval)
I/CH/D 2012, 90 Min, OmeU, DCP
R: Leonardo Di Costanzo, D: Francesca Riso,
Alessio Gallo, Carmine Paternoster,
Salvatore Ruocco
GRENZGÄNGER (Crossing Boundaries)
A 2012, 88 Min, OmeU, DCP
R: Florian Flicker, D: Andreas Lust, Andrea
Wenzl, Stefan Pohl, Martin Schwanda
GRENZGÄNGER ist nicht so sehr eine
freie Adaption von Karl Schönherrs
Drama «Der Weibsteufel» aus dem
Jahr 1914, als im Grunde ein Laborversuch unter freiem Himmel, ein
filmisches Melodram so alt wie das
Kino, eine Erzählung, die von drei
Menschen am Fluss handelt und
davon, dass am Ende eine Frau fortgeht, zurück in die Stadt, und die
Männer sich selbst überlassen hat.
Eine ewige Geschichte, die manchmal aussieht wie ein Western oder
ein Schmugglerfilm – aber die Gegenwart der Gefühle, des Verlangens
und der Verwirrung hat diese drei
Menschen eingeholt. Und wird sie in
ein tödliches Miteinander verstricken. Down by the river.
In Anwesenheit von Florian Flicker und
den Schauspielern.
30.10., 18 Uhr, Gartenbaukino
INS BLAUE (Into The Blue)
D 2011, 105 Min, OmeU
R: Rudolf Thome, D: Vadim Glowna, Alice
Dwyer, Esther Zimmering, Janina Rudenska
Im Grunde sind alle Filme Thomes
moralische Versuchsanordnungen.
Er wählt seine Figuren aus, teilt
ihnen Rollen zu, stellt sie in die Welt
und in Beziehung zueinander. Und
setzt sich selbst in Verbindung zu
ihnen. Das klingt einfach, aber man
kann im Kino von Rossellini bis
Rivette sehen, was für ein schönes
und gefährliches und verrücktes
Spiel sich daraus entwickelt. INS
BLAUE erzählt von der Entstehung
eines Roadmovies, das doch nichts
anderes ist als ein lebendiger Vorwand für die seltsamsten Begegnungen. Und es ist, so wie PARADISO ein
Abschiedsfilm für den wunderbaren
Marquard Bohm war, eine lichtdurchflutete Abblende für den
großen Vadim Glowna.
In Anwesenheit von Rudolf Thome.
2.11., 21 Uhr, Metro
3.11., 11 Uhr, Metro
In einer Nebenschiene des diesjährigen Festivals von Venedig versteckt,
wurde diese kleine unscheinbare
Arbeit dort innerhalb weniger Tage
zum Geheimtipp: L’INTERVALLO ist
ein dokumentarisch anmutendes,
sparsames Kammerspiel, in dem ein
junger Bursche ein Mädchen in
einem leerstehenden Fabrikgebäude
zu bewachen hat, wobei die Gründe
dieser Gefangenschaft lange Zeit unklar bleiben. Aber in der seltsamen
Gemeinsamkeit von Raum und Zeit
entwickelt sich zwischen den beiden
Jugendlichen eine vorsichtige Komplizenschaft und ambivalente Beziehung. Damit stellen sie eine andere,
gewalttätige Welt auf die Probe.
In Anwesenheit von Leonardo
Di Costanzo.
Mit 20 LITTLE FILMS
(siehe Kurzfilmprogramm 6, S. 38)
7.11., 19.30 Uhr, Gartenbaukino
(Abschlussgala)
7.11., 23.30 Uhr, Gartenbaukino
JAGTEN (Die Jagd)
DK/S 2012, 111 Min, OmdU, DCP
R: Thomas Vinterberg, D: Mads Mikkelsen,
Thomas Bo Larsen, Lars Ranthe, Susse Wold
Vom Motiv des Missbrauchs innerhalb der Familie oder zwischen
einander nahestehenden oder
voneinander abhängigen Menschen
scheint Vinterberg geradezu besessen. Es prägte FESTEN und kehrt nun
wieder in JAGTEN. Bemerkenswert
aber ist, wie wenig besessen der
Regisseur das Motiv verhandelt.
Vertraut ist die Welt, bis eine kleine
Irritation, ein Nebenbei eine gnadenlose Maschine in Gang setzt. Eine
Mechanik an Zweifeln, Hysterie,
Misstrauen und Selbstgerechtigkeit,
angetrieben von der Monstrosität
einer Moral, die sich verselbstständigt hat. Darin liegt das Außergewöhnliche des Films und zugleich
dessen inhärenter Widerspruch.
Am 6. 11. in Anwesenheit von
Thomas Vinterberg.
6.11., 20.30 Uhr, Gartenbaukino
7.11., 23.30 Uhr, Künstlerhaus
KEBUN BINATANG
(Postcards from the Zoo)
Indonesien/D/Hongkong/China 2012,
90 Min, OmdU, DCP
R: Edwin, D: Ladya Cheryl, Nicholas Saputra,
Adje Nur Ahmad, Klarysa Aurelia Raditya
JACK AND DIANE
USA 2011, 110 Min, OF, Video
R: Bradley Rust Gray, D: Juno Temple,
Riley Keough, Cara Seymour, Kylie Minogue
Diane ist ein ziemlich süßes Girlie,
Jack ist eine taffe junge Frau. Und
doch fallen sie ineinander mit der
Unbedingtheit der ersten Liebe. Und
gleich eine Bewährungsprobe: Bestürzt erfährt Jack, dass Diane bald
aus New York weggehen wird, und
Diane wiederum wird im Zusammensein mit Jack von schrecklichen
Visionen geplagt. Das alles verschlingende, monströse Gefühl der Liebe
nimmt in JACK AND DIANE konkrete
Gestalt an, droht als wirkliches
Monster die Liebenden zu verschlingen. Eine atmosphärische KörperHorror-Romanze, die im Schrecken
die Schönheit sucht und findet.
6.11., 16 Uhr, Urania
7.11., 23 Uhr, Stadtkino
Der Zoo als Ort der Metaphern. Am
Anfang steht der Verlust: Wie die
Tiere, die sich nur noch im Gehege
bewegen dürfen, wird auch die kleine
Lana herausgerissen aus ihrem angestammten Lebensraum, als ihr
Vater sie im Tierpark von Djakarta
aussetzt. Dann kommt die Sehnsucht:
nach einer Ersatzfamilie, die Lana in
den offiziellen und inoffiziellen Tierpflegern findet, die den Zoo kurzerhand zu ihrer Heimat und Wohnstätte gemacht haben, und nach Berührungen, die im Tierpark eigentlich
nicht vorgesehen sind – «Streicheln
verboten!» Am Ende steht für Lana
die Auswilderung: ins Leben als erwachsene Frau, in dem der Zoo ein
irrealer Ort ferner Träume bleibt.
26.10., 11 Uhr, Urania
28.10., 13.30 Uhr, Künstlerhaus
13
V12_PG_Kern:V_PG
11.10.2012
10:46 Uhr
Seite 14
Spielfilme
KILLER JOE
USA 2011, 103 Min, OmdU, Video
R: William Friedkin, D: Matthew
McConaughey, Emile Hirsch, Juno Temple,
Gina Gershon
Ein kleiner Gangster schuldet einem
großen Gangster, der nicht mit sich
spaßen lässt, Geld. Nicht allzu viel,
aber doch kann er die Summe nicht
aufbringen und überlegt sich deswegen einen ziemlich verwegenen
Plan. Um diesen auszuführen, muss
er wiederum einen Ganoven verpflichten. Der ist aber diesmal zugleich Killer und Polizist. So oder so
ähnlich geht die Story, doch es wäre
nicht der Altmeister des amerikanischen Horror- und Actionkinos
William Friedkin, wenn daraus nicht
ein wilder, atemberaubender Trip
würde. Schnell, gnadenlos und gewalttätig. Und von allem manchmal
eine Spur zuviel.
27.10., 1 Uhr, Gartenbaukino
(Nacht auf 28.10.)
28.10., 16 Uhr, Urania
LEONES
Argentinien/F/NL 2012, 82 Min, OmeU, Video
R: Jazmín López, D: Macarena del Corro,
Tomas Mackinlay, Pablo Sigal, Diego Vegezzi
LOLA (restaurierte Fassung)
F/I 1960, 85 Min, OmeU, DCP
R: Jacques Demy, D: Anouk Aimée,
Marc Michel, Jacques Harden, Alan Scott
Es braucht schon die gesamte Breite
des Cinemascope, damit zu Beginn
ein weißgekleideter Cowboy in
einem Cadillac (ein Amerikaner!) bedeutungsschwer durch Nantes cruisen kann. Er ist der Schlüssel in dieser verwickelten Geschichte um die
Nachtklubsängerin Lola, um Lieben
und Warten, um Enttäuschung und
unverhofftes Glück. Demys Themen
sind in seinem ersten Langfilm bereits gesetzt, viel Musik gibt es auch
schon, vor allem aber ein wunderbar
unrealistisches Happy End, auf dass,
so der Regisseur, «ein Zuschauer, der
niedergeschlagen und verstimmt in
diesen Film geht, lächelnd aus dem
Saal herauskommt».
30.10., 18.30 Uhr, Künstlerhaus
7.11., 13 Uhr, Gartenbaukino
MARGARET
USA 2011, 150 Min, OF, DCP
R: Kenneth Lonergan, D: Anna Paquin, Mark
Ruffalo, J. Smith-Cameron, Matt Damon
Die 17-jährige New Yorker Studentin
Lisa wird Zeugin eines Busunfalls,
bei dem eine Passantin ums Leben
kommt. Abrupt sieht sie sich mit dem
Verlust ihrer Unschuld und schwer
wiegenden moralischen Fragen nach
ihrer Mitschuld konfrontiert. Umgetrieben vom schlechten Gewissen
reißt sie mit ihren Versuchen der
Wiedergutmachung, denen etwas
durchaus Selbstgerechtes anhaftet,
sich und ihr Umfeld in einen hochemotionalen, tiefneurotischen Strudel. Lange währten die Auseinandersetzungen, die Lonergan um MARGARET mit der Produktionsfirma führen musste. Nun schafft es sein nach
YOU CAN COUNT ON ME erst zweiter
Film doch noch an die Öffentlichkeit.
Das Warten hat sich gelohnt.
4.11., 20.30 Uhr, Gartenbaukino
7.11., 15.30 Uhr, Künstlerhaus
MEANWHILE
USA 2011, 60 Min, OF, Video
R: Hal Hartley, D: D.J. Mendel, Danielle
Meyer, Pallavi Sastry, Stephen Ellis
MALAVENTURA
Das argentinische Kino ist immer
wieder für Überraschungen gut.
Ein Beispiel dafür ist dieser Erstlingsfilm. Es ist eine minimalistische
Geschichte, die da erzählt wird, angesiedelt zwischen Gus Van Sants
GERRY und Lisandro Alonsos LOS
MUERTOS. Die Geschichte von fünf
jungen Freunden, die durch einen
Wald streifen, scheinbar absichtslos
und wie aus der Zeit gefallen. Eigentlich sind sie Geister oder Verwunschene, dann wieder ausgelassene
Kids am Weg nach Hause. Es bleibt
ein rätselhaftes Spiel, das noch
rätselhafter wird, als sie einen
verwandten Ort wiederfinden und
vielleicht seit langem im Kreis gegangen sind.
In Anwesenheit von Jazmín López.
5.11., 13 Uhr, Stadtkino
6.11., 20.30 Uhr, Stadtkino
14
Mexiko 2011, 67 Min, OmeU
R: Michel Lipkes, D: Isaac Lopez,
José Martínez, Alejandra Resendis,
Manuel Valderama
Die ersten zehn Minuten dieses
knapp einstündigen Films sind nicht
von dieser Welt, sind wie in Trance
erlebt und gesehen: Ein alter Mann
erwacht in einem ärmlichen Zimmer
und beginnt den Tag mit der schlafwandlerischen Routine und Selbstvergessenheit des ewig Gleichen;
während sich aus der Stille langsam
steigernd bis zum Lärmen eine
wilde, heftige Metal-Musik schält.
Danach eine lange Wanderung des
Alten durch die Straßen von Mexico
City, ziellos, doch wie von einem geheimnisvollen Auftrag getrieben. Ein
hybrider Film zwischen Experiment
und Dokument, voller Schmutz und
Lärm, Stille und Verklärung. Aus
einer Zwischenwelt ins Kino
getragen.
In Anwesenheit von Michel Lipkes.
1.11., 11 Uhr, Metro
6.11., 18.30 Uhr, Metro
Joe Fulton ist ein vielfach talentierter, aber definitiv unterkapitalisierter
Bohemien aus New York City. Ein
nervöser Drifter, vage auf der Suche
nach Geld und einem guten Geschäft,
aber immer bereit, sich von Zufallsbegegnungen aus seinem Tagesrhythmus bringen zu lassen. Gern
reicht er seine helfende Hand, wenn
die Schreibmaschine kaputt ist oder
ein weiblicher Rücken schmerzt.
Das Featurette MEANWHILE ist als
Serie von lakonischen Vignetten
komponiert, die im Schatten der
Krise angesiedelt sind, ohne das
Politische explizit zu benennen. Man
nimmt das Unheil nur als schwaches
Aroma wahr: «The smell of the
unsuccessful.»
In Anwesenheit von Hal Hartley.
27.10., 17 Uhr, Gartenbaukino
28.10., 11 Uhr, Künstlerhaus
30.10., 6.30 Uhr, Künstlerhaus (mit ADELE1,
siehe Filme von Kurdwin Ayub, S. 53)
V12_PG_Kern:V_PG
11.10.2012
MEKONG HOTEL
Thailand/GB/F 2012, 57 Min, OmeU, DCP
R: Apichatpong Weerasethakul,
D: Jenjira Pongpas, Maiyatan Techaparn,
Sakda Kaewbuadee, Chai Bhatana
Ein Haus, ein Paar, ein Grenzfluss,
eine Gitarrenimprovisation: Mehr
braucht es nicht für diese zarte FilmNovelle. Der Mann und die Frau versuchen, miteinander ins Reine zu
kommen, was erschwert wird durch
die geisterhafte Präsenz ihrer Mutter.
Der Mekong vor der Hotelterrasse
schwillt währenddessen bedrohlich
an, lässt Thailand und Laos langsam
ineinander fließen … Wie stets bei
Weerasethakul zergehen auch hier
die Dinge unmerklich, durchdringen
sich Dies- und Jenseits, Realität und
Fiktion, Kino und Leben. Eine exquisite Miniatur, hergestellt fürs Fernsehen, erlebbar aber nur im Kino.
Mit WALKER (siehe Kurzfilmprogramm 1,
S. 35)
29.10., 13 Uhr, Gartenbaukino
10:46 Uhr
Seite 15
EL MUERTO Y SER FELIZ
(The Dead and Being Happy)
E/Argentinien/F 2012, 92 Min, OmeU, DCP
R: Javier Rebollo, D: Valeria Alonso, Roxana
Blanco, Lisa Caligaris, Jorge Jellinek
Auftragskiller Santos ist sterbenskrank. Weil er nicht im Krankenhaus
verdämmern will, setzt er sich mit
einem Vorrat Morphium ins Auto
und macht sich auf die letzte Reise.
Unterwegs gabelt er eine taugliche
Frau auf, besucht befremdliche Orte
und erlebt mancherlei Seltsames.
Rebollo versieht sein schwarzhumoriges Roadmovie durch betörende
Landschaften mit einem überaus
mitteilungsfreudigen, detailreichen
Off-Kommentar, der, zwischen Verdoppelung und Erläuterung changierend, dem Geschehen auf der Leinwand die literarische Qualität eines
großen Romans verleiht. Schließlich
geht es um Leben und Tod, da sind
Späße erlaubt.
2.11., 16 Uhr, Urania
MUSEUM HOURS
A/USA 2012, 107 Min, Omd/eU, DCP
R: Jem Cohen, D: Mary Margaret O’Hara,
Bobby Sommer, Ela Piplits
NO
Chile/USA/Mexiko 2012, 115 Min, OmdU, DCP
R: Pablo Larraín, D: Gael García Bernal,
Alfredo Castro, Antonia Zegers, Luis Gnecco
Chiles Diktator Pinochet sieht sich
mit wachsender internationaler Kritik konfrontiert und beschließt, das
Volk in einem Referendum über die
Zukunft des Landes entscheiden zu
lassen. Ein durchschaubares Manöver mit vorhersehbarem Ergebnis.
Doch einige führende Oppositionelle
wollen mit einer Gegen-Kampagne
antreten. Als Mastermind verpflichten
sie einen opportunistischen WerbeProfi, der nach Coca-Cola nun Aufklärung verkaufen soll. Was sich als
pseudo-engagierter Politfilm gerieren könnte, wird bei Larraín zu einer
Fabel der Widersprüche, der Doppelmoral und aller möglichen Klischees.
Ohne Selbstgefälligkeit oder Zynismus. Ein im Grunde fast unmöglicher Film. Gerade darin grandios.
29.10., 20.30 Uhr, Gartenbaukino
5.11., 23.30 Uhr, Künstlerhaus
LA NOCHE DE ENFRENTE
(Night Across the Street)
Chile/F 2012, 110 Min, OmeU, DCP
R: Raúl Ruiz, D: Christian Vadim,
Sergio Hernández, Valentina Vargas,
Chamila Rodríguez
MOONFLEET
USA 1954/55, 87 Min, OF
R: Fritz Lang, D: Stewart Granger, George
Sanders, Joan Greenwood, Viveca Lindfors
So zauberhaft vage wie der titelgebende Name des Dorfes, Moonfleet,
so fantastisch sind die Abenteuer,
die der 10-jährige John dort erlebt.
Gemeinsam mit der in Moonfleet ansässigen, pittoresken Schmugglerbande sowie deren elegantem Anführer Jeremy Fox, in dessen Hände
die sterbende Mutter John befohlen
hatte. In der Kulisse eines eher legendenhaften denn historisch-realistischen England des 18. Jahrhunderts erzählt Lang die sinnbildliche
Geschichte einer Kindheit im Übergang zum so genannten Ernst des
Lebens. Auch John wird diesem am
Ende nicht entgehen.
1.11., 12.30 Uhr, Gartenbaukino
Im Rahmen der Retrospektive
Fritz Lang:
18.10., 21 Uhr, Filmmuseum
29.11., 18.30, Filmmuseum
Ein «Wien-Film», der den Namen
tatsächlich verdient; seit Linklater
hat keiner mehr sich dieser Stadt so
neugierig überlassen und sie dabei
neuentdeckt. Und wieder ist es mit
Jem Cohen ein amerikanischer Filmemacher, ein Fremder, der uns die
eigene Welt offenbart: Die Gemälde
im Kunsthistorischen Museum, den
winterlichen Donaukanal, das
Jugobeisl. Es ist eine Nicht-Liebesgeschichte zwischen einem Museumswärter und einer Touristin, die
Cohen mit mehr Wärme und Wachheit erzählt, als es je eine Amour
fou konnte. Ein großer Film, gerade
weil er nicht groß sein will. Starring
Bobby Sommer, der die Wiener
U-Bahn erklärt, ganz alter Roadie
und weiser Chinese zugleich.
In Anwesenheit von Jem Cohen
(Regisseur) und Patti Smith (Executive
Producerin).
5.11., 20.30 Uhr, Gartenbaukino
Anspielungsreich und elliptisch ist
Raúl Ruiz’ frei flottierende Verknüpfung von Motiven aus Erzählungen
des chilenischen Autors Hernan del
Solar mit Geschichten aus der Wirklichkeit, Erinnerungen und Traumgesichten. Ein Film, in dem Realität
und Fantasie, Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft keine Antagonisten
sind, sondern sich freundlich berühren und jederzeit ineinander
fließen können. Zugleich ist LA
NOCHE DE ENFRENTE das Vermächtnis des im August 2011 verstorbenen
Regisseurs. Ein bewegender, verschmitzter, wunderlicher und zärtlicher Abschiedsbrief an die Welt, an
das Kino und an seine Heimat Chile,
aus der Ruiz vor vielen Jahren ins
Exil vertrieben wurde.
6.11., 16 Uhr, Künstlerhaus
7.11., 11 Uhr, Urania
15
V12_PG_Kern:V_PG
11.10.2012
10:46 Uhr
Seite 16
Spielfilme
PEARBLOSSOM HWY
USA 2012, 80 Min, OmeU, Video
R: Mike Ott, D: Atsuko Okatsuka, Cory
Zacharia, John Brotherton, Stephen
Tobolowsky
RAMPART
USA 2011, 105 Min, OF
R: Oren Moverman, D: Woody Harrelson,
Robin Wright, Ned Beatty, Cynthia Nixon
26.10., 13.30 Uhr, Metro
28.10., 18 Uhr, Stadtkino
Dave Brown ist ein sprichwörtlicher
bad cop; das Schlimme ist, er findet
nichts dabei. Als seine miesen Methoden ins Scheinwerferlicht geraten
und er sich verantworten soll, versteht er die Welt nicht mehr. Auch
Zuhause steht es nicht zum Besten.
Wild entschlossen schraubt sich
Brown in einen Selbstzerstörungsmodus hinein, als könne er so die
Initiative behalten. Unaufhaltsam
geht es fortan bergab. Movermans,
nach einem Drehbuch von James Ellroy entstandener, hochkarätig besetzter, rasant elliptisch inszenierter
Polizeifilm bietet Harrelson die Gelegenheit zu einem sensationellen
schauspielerischen Solo. Kameramann Bobby Bukowskis visuelles
Konzept liefert den passenden Rahmen.
5.11., 23 Uhr, Gartenbaukino
6.11., 21 Uhr, Metro
PINCUS
RENGAINE (Hold Back)
PEARBLOSSOM HWY mag einige Ingredienzien mit dem schon etwas
schal gewordenen «Mumblecore»Genre gemein haben – das geringe
Budget, Figuren, die wie unter Bekenntniszwang ihr Innenleben enthüllen, ein zielloses Slackertum –
doch Ott transzendiert den Independent-Stil durch seine Fähigkeit, eine
Location mit wenigen Einstellungen
atmosphärisch zu definieren. So
schafft er Prospekte, vor denen seine
«beautiful losers», die Japanerin Atsuko und der erfolglose Rocker Cory,
ihr existenzielles Drama zwischen
Familienelend, Prostitution und
einer quälenden Sehnsucht nach Behaustheit ausleben können. Das Ziel:
«Getting out of the fucking desert.»
In Anwesenheit von Mike Ott.
USA 2012, 79 Min, OF, Video
R: David Fenster, D: David Nordstrom, Paul
Fenster, Christi Idavoy, Dietmar Franosch
Die Parkinson-Erkrankung seines Vaters, der im Film sich selbst spielt,
war für den Regisseur der Auslöser,
diesen Film zu drehen, der die
selbsterlebte Tragödie in einen narrativen Plot verwandelt: Dem erkrankten Bauunternehmer Finster
versucht Sohn Pincus im Alltag beizustehen, ist jedoch bald heillos
überfordert und sucht Erlösung in
Drogen, Sex und Yoga-Kursen. PINCUS ist die Chronik eines graduellen
Scheiterns, immer wieder kontrastiert durch verschleierte Unterwasserbilder mit elektronisch pulsierender Musikbegleitung: die poetische
Gegenwelt zu den Mühen eines Daseins, das aus den Fugen geraten ist.
In Anwesenheit von David Fenster.
29.10., 18 Uhr, Stadtkino
30.10., 23 Uhr, Stadtkino
16
F 2012, 75 Min, OmeU, DCP
R: Rachid Djaïdani, D: Sabrina Hamida,
Slimane Dazi, Stéphane Soo Mongo
Sabrina will Dorcy heiraten. Ihre
zahllosen Brüder haben was dagegen. Auch Dorcys Mutter ist nicht
begeistert. Warum? Sabrina stammt
aus einer algerischen, muslimischen
Familie, Dorcy ist ein Christ aus
Schwarzafrika. Es wird nicht einfacher dadurch, dass Sabrinas ältester Bruder, als solcher verantwortlich
für die Moral der Familie, eine Jüdin
liebt. Djaïdani lässt in seinem höchst
lebendigen Debüt Kultur, Religion
und Rasse aufeinander krachen. Im
Zuge des entstehenden Tohuwabohus erlaubt er sich auch einen bösen
Scherz, der die von Klischees bestimmten Erwartungen des Publikums zurück ins Kino deflektiert.
Denn die Maßgabe lautet, eine
Lösung zu finden.
30.10., 13.30 Uhr, Urania
31.10., 18.30 Uhr, Urania
THE SHINING
GB/USA 1980, 119 Min, OF
R: Stanley Kubrick, D: Jack Nicholson,
Shelley Duvall, Danny Lloyd, Scatman
Crothers
«Heeere’s Johnny!» Krachend schlägt
das Hackebeil durch die billige Klotür und Wendys Panik über die seltsame Veränderung im Wesen ihres
Gatten erreicht ihren Höhepunkt.
War man nicht in das riesige, winterbedingt geschlossene Hotel in den
Bergen Colorados gezogen, damit er
an seinem Roman arbeiten konnte?
Und nun versucht er, sie umzubringen! Stephen King war von dem, was
Kubrick aus seinem Buch gemacht
hatte, nicht begeistert. Freunde des
Genres dafür umso mehr. Nie wieder
vergisst, wer sie einmal gesehen hat,
die Zwillinge, die Frau in Zimmer
237, den blutenden Aufzug, die Kettcar-Fahrt über den wild gemusterten
Teppich. Seien Sie dabei, wenn es
heißt: Welcome to the Overlook!
26.10., 23.30 Uhr, Gartenbaukino
(mit ROOM 237)
27.10., 11 Uhr, Metro
SIGHTSEERS
GB 2012, 89 Min, OF, DCP
R: Ben Wheatley, D: Alice Lowe, Steve Oram,
Eileen Davies, Jonathan Aris
Tina und Chris scheinen normale
britische Touristen zu sein, unterwegs im Wohnwagen auf einer Sightseeing-Tour quer durch die Midlands. Doch fährt ihnen einer quer
ein oder kommt ihnen gar blöd,
springt er schneller über die Klinge,
als er realisieren kann, dass die beiden doch nicht ganz so harmlos
sind. SIGHTSEERS, nach einem
Drehbuch der beiden Hauptdarsteller und TV-Komödianten Lowe und
Oram, kombiniert entfesselte Soziopathen mit Häkeldeckchen-verzierter Englishness und ist ein Beweis
dafür, dass der schwärzeste Humor
und die gnadenloseste Selbstironie
ihre Heimat immer noch auf den
Britischen Inseln haben.
30.10., 13 Uhr, Künstlerhaus
2.11., 23 Uhr, Gartenbaukino
V12_PG_Kern:V_PG
11.10.2012
SINAPUPUNAN (Thy Womb)
Philippinen 2012, 106 Min, OmeU, DCP
R: Brillante Mendoza, D: Nora Aunor,
Mercedes Cabral, Lovi Poe, Bembol Roco
In einer Dorfgemeinschaft im Süden
der Philippinen leben Shaleka und
Bangas-An. Die einfachen Hütten der
Bewohner sind auf Stelzen im Meer
errichtet und das paradiesische Ambiente ist von großer Schönheit. Das
Glück des Paares jedoch ist getrübt,
da Shakela keine Kinder bekommen
kann. Jenen Nachwuchs, den sich ihr
Mann so ersehnt. So beschließen die
beiden, eine andere Frau solle von
Bangas-An ein Kind empfangen.
Doch als sie diese endlich finden,
entsteht eine übergroße Verwirrung.
Wie eng Schönheit und Glück verbunden sind mit ihrer Bedrohung
und Zerstörung, davon gibt Mendozas Film ein sinnfälliges Beispiel.
In Anwesenheit von Brillante Mendoza.
26.10., 21 Uhr, Künstlerhaus
27.10., 14.30 Uhr, Gartenbaukino
O SOM AO REDOR
(Neighbouring Sounds)
Brasilien 2012, 124 Min, OmeU, DCP
R: Kleber Mendonça Filho, D: Irandhir
Santos, Gustavo Jahn, Maeve Jinkings,
W.J. Solha
Der benevolente Patriarch Francisco
gebietet mit seiner Familie über eine
Straße in der Provinzmetropole
Recife. Es ist eine Enklave der Wohlbestallten, wo die Wohnungen mit
Flachbildschirmen ausgestattet sind,
die Kinder Mandarin lernen und
eine frustrierte Hausfrau sich von
ihrer Waschmaschine sexuell stimulieren lässt. Doch hinter der Fassade
der Bürgerlichkeit lauern Kleinkriminalität und finstere Machenschaften.
Filho inszeniert in seinem Debüt mit
fast Altman’scher Figurenvielfalt
einen Reigen aus Lebenslügen, verdecktem Klassendünkel und soziopathischen Neigungen – bis die
scheinheile Welt in einem Gewaltausbruch explodiert.
30.10., 20.30 Uhr, Gartenbaukino
1.11., 11 Uhr, Künstlerhaus
10:46 Uhr
Seite 17
SOMEBODY UP THERE LIKES ME
USA 2012, 75 Min, OF, Video
R: Bob Byington, D: Keith Poulson, Nick
Offerman, Jess Weixler, Stephanie Hunt
Der Film folgt Max, einem lakonischen aber charmanten Zyniker in
Fünfjahresschritten durch sein unspektakuläres Leben in Suburbia. Es
ist die bekannte Geschichte von Begegnungen und Trennungen, von
großen Plänen und kleinen Erfolgen,
von Hoffnungen und Enttäuschungen. Byington macht daraus eine
Slacker-Komödie mit präzise gesetzten Punchlines und stilisierten Bildkompositionen, in denen Realfilm
plötzlich in Animation übergehen
kann und harte Schnitte dem Geschehen im Verbund mit der allgegenwärtigen Indie-Musik eine ganz
eigene Rhythmik aufprägen. Das
Drama des Alltags als mad parade
anekdotischer Mikro-Szenen.
In Anwesenheit von Bob Byington.
26.10., 18 Uhr, Stadtkino
27.10., 11 Uhr, Urania
STARLET
USA 2012, 104 Min, OF, Video
R: Sean Baker, D: Dree Hemingway, Besedka
Johnson, Stella Maeve, James Ransone
Jane, Anfang 20, arbeitet im San Fernando Valley, Sadie, Mitte 80, spielt
sonntags Bingo. Ein Zufall stellt zwischen den beiden eine Verbindung
her, und auch wenn die alte, störrische Dame auf das offenherzig übergriffige Mädel zunächst ziemlich
misstrauisch reagiert, so nähern sie
sich einander doch allmählich an.
STARLET entwirft die klassische Geschichte der unwahrscheinlichen
Freundschaft als zartes, pastellfarbenes, sonnengetränktes, flüchtigspontanes Gewebe und wartet mit
zwei Entdeckungen auf: Mariel Hemingways Tochter Dree in der Rolle
der Jane und Besedka Johnson, die
im Greisinnenalter ihr Debüt als
Sadie gibt.
In Anwesenheit von Radium Cheung
(Koproduzent).
30.10., 20.30 Uhr, Stadtkino
2.11., 13 Uhr, Gartenbaukino
THE STRANGE CASE OF WILHELM REICH
A 2012, 110 Min, eOF, DCP
R: Antonin Svoboda, D: Klaus Maria
Brandauer, Julia Jentsch, Jeanette Hain,
Birgit Minichmayr
Als Wilhelm Reich 1957 im amerikanischen Exil unter ungeklärten Umständen stirbt, wird dies zum Ausgangspunkt von Spekulationen und
Verschwörungstheorien. Reichs revolutionäre Lehre über die Zusammenhänge von Macht, Sexualität
und Charakterstruktur war der Verfolgung durch den amerikanischen
Geheimdienst ausgesetzt, Reich
selbst wurde mit Prozessen überzogen. Als genau rekonstruierendes
period picture erzählt Svoboda mit
dem subtilen Brandauer in der
Titelrolle die letzten Jahre Reichs
zwischen Forschung, Besessenheit,
Widerstand und der ewigen Hoffnung auf Vernunft und Aufklärung.
Ein in seiner unspektakulären, doch
engagierten Sicht schöner und
notwendiger Film.
In Anwesenheit von Antonin Svoboda
und den SchauspielerInnen.
28.10., 18 Uhr, Gartenbaukino
STUDENT
Kasachstan 2012, 90 Min, OmeU, Video
R: Darezhan Omirbayev, D: Nurlan Baitasov,
Maya Serikbayeva, Edige Bolysbayev,
Bakhytzhan Turdaliyeva
Keiner hat die ökonomischen und
moralischen Umbrüche in der postkommunistischen Sowjetunion klarsichtiger beschrieben als Omirbayev.
Die Ungleichzeitigkeit zwischen
Altem und Neuem, die Leere und
Verzweiflung ebenso wie das Verlangen nach Erlösung ist auch Gegenstand von STUDENT. Ein junger
Mann begeht scheinbar grundlos
einen Mord und Omirbayev, darin
ganz ein Schüler Bressons, erzählt
diese Tat und ihre Folgen ohne moralisierende Untertöne, kalt, aber mit
heißem Herz, untröstlich, aber wie
aus einer inneren Notwendigkeit. Ein
geheimnisvoller und durchsichtiger
Film, entstanden im Schatten der
neuen Bankentürme und Businesscenter im alten Kasachstan.
27.10., 20.30 Uhr, Stadtkino
29.10., 11 Uhr, Urania
17
V12_PG_Kern:V_PG
11.10.2012
10:46 Uhr
Seite 18
Spielfilme
SUEÑO Y SILENCIO
(The Dream and the Silence)
E/F 2012, 110 Min, OmeU, DCP
R: Jaime Rosales, D: Oriol Roselló, Yolanda
Galocha, Alba Rose Montet, Celia Correas
Oriol und Yolanda sind ein junges,
spanisches Paar, das in Paris lebt
und arbeitet. Er als Ingenieur, sie
als Lehrerin. Sie haben zwei Töchter,
Alba und Celia, und im Grunde bilden die vier eine schöne, problemlose Familie, abgesehen von der ein
oder anderen beruflichen Schwierigkeit und kleineren Spannungen. Bis
eines Tages ein schrecklicher Unfall
geschieht. Rosales hat seinen Film in
Schwarzweiß und Cinemascope gedreht und nimmt dabei die Position
eines Zusehers und Mitwissers ein,
so, als gäbe es eine fünfte Person –
und er schafft damit eine intime und
zugleich befremdliche Relation. Ein
seltsamer, verstörender, manchmal
ein wenig verquerer Film.
6.11., 23.30 Uhr, Urania
7.11., 18.30 Uhr, Urania
SYRAKUS
D 2012, 85 Min, OF, Video
R: Klaus Wyborny
TABU
P/D/Brasilien/F 2012, 110 Min, OmdU
R: Miguel Gomes, D: Teresa Madruga,
Laura Soveral, Ana Moreira, Henrique
Espírito Santo
TABU ist ein hochintelligenter und
zugleich verspielter Film, ein PopSong und eine kleine Sinfonie, Melodram und Abenteuerfilm. Er handelt
von einer alten, verarmten Dame im
heutigen Lissabon, die ihr letztes
Geld im Casino verspielt und mit eigenwilligem Stolz ihr Dasein fristet:
Das einmal vor Jahren ein wildes
Leben in den afrikanischen Kolonien
war, wie sich nach ihrem Tod herausstellt. Ein aufregendes Leben wie in
einem alten Film, und wie Gomes
das erzählt und die Zeiten und Länder und Figuren wechselt und neu
erfindet, ist so atemberaubend, so
schön und originell, dass man aus
dem Staunen und der Verwunderung nicht so schnell wieder herausfindet.
In Anwesenheit von Miguel Gomes und
Luís Urbano (Produzent).
3.11., 20.30 Uhr, Gartenbaukino
4.11., 11 Uhr, Metro
Der Dichter Durs Grünbein und der
Filmemacher Klaus Wyborny haben
sich zusammengefunden in einem
Projekt, das so spannend wie herausfordernd ist. Die poetische Arbeit des
einen mit der kinematografischen
des anderen zu verbinden, sie ineinander fließen zu lassen, aneinander zu entzünden. Das Wort und das
Bild, Sprache und Welt. Weder Bebilderung des Einen noch Kommentare
für das Andere ist SYRAKUS, sondern ein sensibles Ganzes, ein erfinderisches Hin und Her und eine poetische Gleichzeitigkeit. Eingeholt von
der Geschichte, den alten Zeugen,
den Trümmern und dem Sonnenlicht und Straßenlärm.
In Anwesenheit von Klaus Wyborny und
am 1.11. mit Durs Grünbein (Autor).
1.11., 20.30 Uhr, Stadtkino
2.11., 15.30 Uhr, Stadtkino
18
TOWER
Kanada 2012, 78 Min, OF, DCP
R: Kazik Radwanski, D: Derek Bogart,
Nicole Fairbairn, Deborah Sawyer,
Sean Connolly Affleck
erwischt und der Grund hat einen
Namen: Nicole. TOWER, angesiedelt
in Toronto, ist eine Erzählung von
einigem Spaß, einiger Nachdenklichkeit, und mit einer Hauptfigur, die
man so schnell nicht vergisst. Wie
ein Schlafwandler geht Derek am
Leben vorbei, ein Loner und Slacker
und Momma’s Man. Partly true and
partly fiction.
In Anwesenheit von Kazik Radwanski.
26.10., 23.30 Uhr, Künstlerhaus
28.10., 16 Uhr, Künstlerhaus
A ÚLTIMA VEZ QUE VI MACAU
(The Last Time I Saw Macao)
P/F 2012, 85 Min, OmeU, Video
R: João Pedro Rodrigues, João Rui Guerra
da Mata
Der Film statuiert an der Wirklichkeit
ein Exempel: Das Vorgefundene birgt
das Potenzial, alles zu sein, ist aber
nichts ohne Benennung. Angelegt an
dokumentarische Aufnahmen des
Alltags auf Macao behaupten die
Stimmen der Filmemacher im Off
eine Krimi-Handlung: Candy ist verschwunden, nachdem ihr Freund erschossen wurde, der einer Geheimverschwörung von Gestaltwandlern
auf der Spur war. Mit einem Mal
sieht das Neujahrsfeuerwerk apokalyptisch aus, könnte Film noir auch
ein Subgenre des Experimentalfilms
sein. Die Regisseure haben ihr Werk
«ein abstraktes B-Picture» genannt,
kreisend um die Frage: Wer war zuerst da, das Kino-Bild oder das Drehbuch-Wort? Man vermeint, sie leise
lachen zu hören.
5.11., 23 Uhr, Stadtkino
7.11., 18 Uhr, Stadtkino
UN MONDE SANS FEMMES
Derek ist ein ziemlich ambitionsloser Bursche. Sein Job ist eine
Nebenbeschäftigung und mit einer
Beziehung scheint es auch nicht zu
klappen. Mit über dreißig lebt er
noch bei seinen Eltern, er treibt sich
nachts in Bars herum, richtige
Freunde hat er nicht. Dabei wirkt
er nicht unglücklich, nur ein wenig
verschlafen. Bis es ihn eines Tages
(A World Without Women)
F 2011, 58 Min, OmeU, DCP
R: Guillaume Brac, D: Vincent Macaigne,
Laure Calamy, Constance Rousseau,
Laurent Papot
Ein kleiner Küstenort in der Picardie,
der nur im Sommer für einige Wochen zum Leben erwacht. Der einsame, schüchterne Sylvain lernt Patricia und ihre Tochter Juliette kennen
V12_PG_Kern:V_PG
11.10.2012
und darf als ständiger Begleiter an
ihrem Urlaubsleben teilnehmen –
bis sich der Dorf-Casanova Gilles dazwischendrängt. Brac entwirft mit
Houellebecq’schem Fatalismus ein
Drama der stillen Leidenschaft, in
dem ein Sommerflirt über Sein oder
Nichtsein entscheidet. Und dann, als
Sylvain sich längst wieder in dumpfe
Resignation gefügt hat, wird er plötzlich auf zarteste und delikateste
Weise reich beschenkt.
Mit LE NAUFRAGÉ
31.10., 11 Uhr, Künstlerhaus
5.11., 18.30 Uhr, Künstlerhaus
THE UNSPEAKABLE ACT
USA 2012, 91 Min, OF, Video
R: Dan Sallitt, D: Tallie Medel, Sky
Hirschkron, Aundrea Fares, Kati Schwartz
Fahrrad, Kapuzenpulli, ein Teenagerleben in Brooklyn. Dass Jackie in
ihren Bruder verliebt ist, fällt als
nüchterne Tatsache in einem Nebensatz. Sallitt nimmt dem potenziellen
Tabubruch jeden Hauch von Sensation, mit schönen, klaren Bildern, irgendwo zwischen Alltäglichkeit und
der Strenge einer wissenschaftlichen
Versuchsanordnung. Wie im unabsichtlich offen liegen gelassenen Tagebuch will man noch eine Seite umblättern – nur haben wir dieses hier
nicht verstohlen gefunden, sondern
man hat es uns vertrauensvoll in die
Hand gedrückt. Ein stiller, schlauer
Film voll feinem Humor.
27.10., 18 Uhr, Stadtkino
29.10., 23.30 Uhr, Künstlerhaus
VILLEGAS
10:46 Uhr
Seite 19
A VINGANÇA DE UMA MULHER
(A Woman’s Revenge)
P 2011, 100 Min, OmeU, DCP
R: Rita Azevedo Gomes, D: Rita Durão,
Fernando Rodrigues, Hugo Tourita, Duarte
Martins
Basierend auf einer der Kurzgeschichten aus Barbey d’Aurevillys
1874 erschienenem «Les Diaboliques» entwickelt Gomes eine moralische Versuchsanordnung unterschiedlicher sozialer Figuren und
Milieus. Die Protagonistin, Herzogin
eines bedeutenden Hofes, beschließt
als Prostituierte zu leben: eine
scheinbar simple dramatische Konstruktion, die sich in Gomes’ Film als
ein stilisiertes Fegefeuer der Gefühle,
Gesten, Körper und Räume entfaltet.
Ein glühendes Melodram, eine eiskalte Rachegeschichte, ein Hohelied
der Liebe und der Entsagung. Ein
Film, in dem jeder Augenblick atmet
und singt, reduziert auf Weniges,
alles überstrahlend.
In Anwesenheit von Rita Azevedo Gomes.
4.11., 21 Uhr, Künstlerhaus
7.11., 13.30 Uhr, Urania
VOUS N’AVEZ ENCORE RIEN VU
(Ihr werdet euch noch wundern)
Argentinien/NL/F 2012, 98 Min, OmeU, DCP
R: Gonzalo Tobal, D: Esteban Lamothe,
Esteban Bigliardi, Mauricio Minetti,
Paula Carruega
Zwei Cousins, Mitte dreißig, machen
sich im Auto auf den Weg von Buenos Aires nach dem Provinzort Villegas, um am Begräbnis des Großvaters teilzunehmen. Nach einem heftigen Streit während der Fahrt treffen
sie am Zielort ein, um dort gleich
den Würgegriff der familiären Ansprüche zu spüren – denen sie sich,
jeder auf seine Weise, zu entziehen
versuchen. Tobals Langfilmdebüt ist
gleichermaßen Roadmovie, Familiendrama und Milieustudie. Vor
allem aber eine Meditation über die
Zeit und die Erinnerung, die ein Paradies beschwört, aus dem man
längst vertrieben wurde.
F/D 2012, 115 Min, OmdU
R: Alain Resnais, D: Mathieu Amalric, Pierre
Arditi, Sabine Azéma, Anne Consigny
Es ist ein seltsames Vermächtnis, das
der Bühnenautor André D’Anthac
seinen Freunden hinterlässt. Sie sollen eine Neuinszenierung seines
alten Stücks «Eurydice» durch eine
junge Theatercompagnie begutachten. Die Testamentseröffnung ist ein
Gipfeltreffen französischer Schauspielkunst: Pierre Arditi, Matthieu
Amalric, Sabine Azéma, Michel Piccoli, Lambert Wilson und andere
spielen sich selbst. Eine Liebeserklärung an das Theater und die Schauspieler, die seit drei Jahrzehnten die
vornehmste Grundlage von Resnais’
Werk sind – und mitnichten ein Abschied vom Kino: Der 90-jährige Regisseur hat längst den nächsten Film
in Arbeit.
26.10., 16 Uhr, Urania
28.10., 21 Uhr, Künstlerhaus
26.10., 11 Uhr, Metro
27.10., 18.30 Uhr, Metro
WADJDA
Saudi-Arabien/D 2012, 97 Min, OmeU, DCP
R: Haifaa Al Mansour, D: Reem Abdullah,
Waad Mohammed, Abdullrahman Al Gohani,
Sultan Al Assaf
WADJDA ist der Erstlingsfilm einer
Frau, die aus einem Land stammt, in
dem Frauen das Autofahren untersagt ist. Und Mädchen das Radfahren. Doch genau das will die eigensinnige und selbstbewusste Wadjda,
ein elfjähriges Mädchen, das bei
einem Schulwettbewerb genug Geld
gewonnen hat, um sich diesen besonderen Wunsch zu erfüllen. Frei
von Klischees und berechenbarer
Didaktik breitet der Film, der eigentlich eine Unmöglichkeit ist, das Bild
der saudiarabischen Gesellschaft
und Kultur auf realistische Weise
aus. Und darin ist für die junge
Wadjda nicht der Platz, den sie für
sich erträumt und beansprucht. Eine
der Entdeckungen diesen Jahres.
28.10., 21 Uhr, Urania
30.10., 15.30 Uhr, Gartenbaukino
WO HAI YOU HUA YAO SHUO
(When Night Falls)
Südkorea/China 2012, 70 Min, OmeU, Video
R: Ying Liang, D: Nai An, Kate Wen, Sun Ming
2008 wurde in China einem Mann
namens Yang Jia der Prozess gemacht, der bei einem Amoklauf
sechs Polizisten getötet haben soll.
Der Prozess verlief, selbst für chinesische Verhältnisse, außerordentlich
undurchsichtig und endete mit dessen Hinrichtung. In ihrer dokumentarisch nüchtern wirkenden Schilderung betrachtet Ying Liang das Geschehen aus der Perspektive der
Mutter des Beschuldigten und legt
den Fokus auf deren von Hilf- und
Ratlosigkeit geprägte Versuche, dem
Sohn zu helfen. Ein Staatsapparat
übt Willkürjustiz, eine Bürgerin übt
sich in mündigem Handeln. Das Obsiegen der einen bewirkt das Erkennen von Ohnmacht bei der anderen.
Gesellschaft geht anders.
In Anwesenheit von Ying Liang.
3.11., 15.30 Uhr, Stadtkino
4.11., 20.30 Uhr, Stadtkino
19
V12_PG_Kern:V_PG
11.10.2012
10:46 Uhr
Seite 20
Dokumentarfilme
5 BROKEN CAMERAS
Israel/F/Palästina 2011, 90 Min, OmeU, Video
R: Emad Burnat, Guy Davidi
Der palästinensische Bauer Emad
Burnat aus Bil’in, einem kleinen Ort
im Westjordanland, dokumentiert
mit der Kamera den Widerstand
gegen die aggressive Okkupationsund Siedlungspolitik der Israelis.
Sein Film ist gleichermaßen privates
Tagebuch, politischer Essay und Alltagschronik. Während der mehrjährigen Dreharbeiten wurden fünf Kameras zerstört. Es sind jene Momente, in denen die defekten Aufnahmegeräte nur noch flackernde, in Pixel
zerfallende Bilder übermitteln, die,
mehr noch als explodierende Handgranaten und schreiende Verwundete, dem Film seine Dringlichkeit und
eine ganz spezielle Textur verleihen.
Mit SNOW TAPES
29.10., 18.30 Uhr, Künstlerhaus
2.11., 13.30 Uhr, Urania
À PEINE OMBRE (Out of the Shadows)
F 2012, 87 Min, OmeU, DCP
R: Nazim Djemaï
ABER DAS WORT HUND BELLT JA NICHT
(But the Word Dog Doesn’t Bark)
D 2011, 49 Min, OmdU/OmeU, DCP/Video
R: Bernd Schoch
Jedes Jahr unternimmt das renommierte Schlippenbach-Trio seine
«Winterreise». Doch statt Schubert
gibt es natürlich Free Jazz am Klavier,
Schlagzeug und Saxofon. In den
vergangenen vier Jahren wurden die
Musiker von Bernd Schoch im Jazzclub Karlsruhe erwartet und beim
Intonieren und Improvisieren auf genommen – einzeln. Denn gut
Ding braucht bekanntlich Weile. Das
Ergebnis dieses scheinbar einfachen
Konzepts ist bestechend: Vier Stücke,
vier Auftritte, vier Jahre. Denn am
Ende, nach lyrischen Passagen mit
Blick auf die Winterlandschaft,
finden alle wieder zueinander.
In Anwesenheit von Bernd Schoch.
Mit NOTIZ SPEISEWAGEN
29.10., 16 Uhr, Urania (OmeU)
30.10., 13 Uhr, Stadtkino (OmdU)
AGE IS
Die Klinik La Borde, idyllisch situiert
in einem Schloss im Loire-Tal, ist
eine Modellinstitution, in der seit
1951 alternative Formen der psychotherapeutischen Arbeit praktiziert
werden. Der Film versucht die spezielle Aura dieses Ortes im Wechselspiel zwischen fast gemäldeartig inszenierten Naturbildern aus der Umgebung des Schlosses und Interviews
mit Patienten und Helfern einzufangen. Was Djemaï vor allem zeigt, ist
das Ringen um Ausdruck, den Abgrund zwischen den Worten, die verwundete Sprache. Am Schluss sagt
eine Patientin: «Es ist wahr, dass ich
im Begriff bin, mich aufzulösen.»
Und dann: das Schweigen.
7.11., 18.30 Uhr, Künstlerhaus
GB/F 2012, 73 Min, kein Dialog, Video
R: Stephen Dwoskin
Mit Dwoskin – der im Sommer 2012
kurz nach der Fertigstellung von
AGE IS verstarb – verschwindet eine
singuläre Figur des europäischen
Avantgarde- und Dokumentarfilms,
ein leidenschaftlicher Erforscher des
menschlichen Körpers, ein Kundschafter in den Räumen des Privaten
und Politischen, ein geduldiger und
nervöser Seismograf. Dwoskins
Schaffen ist eng verbunden damit,
dass er seit seiner Kindheit an den
Rollstuhl gefesselt war, die Direktheit seiner Filme ist ein Dokument
dieses Lebens. Bewusst oder unbewusst ist AGE IS, diese Studie über
das Altern, die Schönheit und das
Leid des Vergänglichen, Dwoskins
zugleich melancholisches und herzzerreißendes Vermächtnis an uns.
Mit LIKNELSEN OM SÅDDEN
30.10., 16 Uhr, Urania
31.10., 13 Uhr, Stadtkino
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ANDERS, MOLUSSIEN
(Differently, Molussia)
F 2011, 81 Min, dOF/dOmeU
R: Nicolas Rey
Der Film zeigt urbanisierte und industrialisierte Landschaften, an die
eine Tonspur mit Zivilisationslärm
angelegt ist. Dazu wird aus Günther
Anders’ Roman «Die molussische
Katakombe» gelesen. In zufälliger
Reihenfolge gezeigt, setzen sich die
visuellen Motive und akustischen
Signale der neun Film-Kapitel immer
wieder neu zusammen. Was entsteht, ist eine Illustration des von
Anders entwickelten, kulturkritischen Begriffs des «prometheischen
Gefälles» zwischen der Unvollkommenheit des Menschen und der Perfektion der Maschine; die entwickelt
sich, aufgrund ihrer strukturellen
Überlegenheit, vom Objekt zum
Subjekt der Geschichte.
In Anwesenheit von Nicolas Rey.
2.11., 18.30 Uhr, Metro (dOF)
3.11., 13.30 Uhr, Metro (dOmeU)
ANGRIFF AUF DIE DEMOKRATIE –
EINE INTERVENTION (Democracy
under Attack – An Intervention)
D 2012, 102 Min, OmeU, Video
R: Romuald Karmakar
Karmakars «Intervention» gilt in
dieser Arbeit fast ausschließlich der
Entwicklung von Argumenten, der
Darstellung von Sprache und Artikulation von Politik. Zehn deutsche
Künstler und Philosophen formulieren ihre Thesen zur aktuellen ökonomischen und politischen Krise
in Europa. Zehn Formen und Stile
zwischen Analyse, Klischees, Selbstdarstellung und Rhetorik. Als «Montage» hat Karmakar seinen Film
bezeichnet, denn es sind gefertigte
Teile und Figuren, die sich zu einem
Bild verbinden, zu einem Konstrukt.
Das in seiner Einfachheit und Vielschichtigkeit zugleich ein faszinierendes Vergnügen und eine wunderbare Irritation ist.
31.10., 15.30 Uhr, Stadtkino
V12_PG_Kern:V_PG
11.10.2012
10:47 Uhr
Seite 21
LEVIATHAN
ANNA
I 1972–75, 225 Min, OmeU, DCP
R: Alberto Grifi, Massimo Sarchielli
Grifi und Sarchielli trafen auf der
Piazza Navona in Rom eine verwahrlost ausschauende Frau namens
Anna. Bald beschlossen sie, einen
Film über diese Frau zu drehen, mit
ihr selbst als Darstellerin der eigenen
Existenz. Daraus entspann sich ein
Spiel wechselseitiger Verführungen,
Abhängigkeiten und Ausbeutungen,
bei dem Alltag und Film weiter und
weiter ineinander verschmolzen …
Eines der großen Werke des modernen Kinos, dessen Schönheit des Unmittelbaren, Unbehauenen, Unwiederbringlichen ganz eigen ist, grausam und voll der Gnade. Die Viennale präsentiert die restaurierte, ursprüngliche Fassung von ANNA
sowie mit LA DOPPIA VITA DI ANNA
eine von der Fondazione Grifi aus
dem hinterlassenen Filmkorpus ausgewählte Zusammenstellung zusätzlichen Materials.
3.11., 13 Uhr, Gartenbaukino
5.11., 11 Uhr, Urania
(mit LA DOPPIA VITA DI ANNA)
ANTON TUT RYADOM
(Anton’s Right Here)
Russland 2012, 110 Min, OmeU, Video
R: Lyubov Arkus
Arkus widmet ihren Debütfilm
einem autistischen jungen Mann,
der davon bedroht ist, aus der Obhut
seiner kranken Mutter herausgebrochen und in eine psychiatrische Anstalt eingewiesen zu werden. Noch
lebt er ein wenig wie ein Wilder,
streift durch die ländliche Gegend,
genießt eine seltsam unfreie Freiheit. Als sich seine Situation aber
zum Schlechten verändert, wird dies
zum unmittelbaren Gegenstand des
Films und zur praktischen und moralischen Herausforderung für die Filmemacherin. Von der Dokumentation gerät die Arbeit zur Intervention
und staunend und berührt sehen wir
die schmerzlichen Übergänge und
Bruchlinien zwischen Leben und
Film.
27.10., 13 Uhr, Stadtkino
28.10., 18.30 Uhr, Urania
ARRAIANOS
E 2012, 70 Min, OmeU, DCP
R: Eloy Enciso Cachafeiro
Wenn das Kino tatsächlich die letzte
Form der mündlichen Überlieferung
darstellt, dann ist dieser Film ein
großes, erzählerisches und dokumentarisches Berichten, Umkreisen,
Erinnern einer bäuerlichen Welt, die
dem Untergang geweiht ist. Irgendwo im Niemandsland zwischen Spanien und Portugal lebt eine dörfliche
Gemeinschaft, bestellt die kargen
Felder, bewirtschaftet den Wald, sitzt
abends in der Kneipe und singt und
erzählt und schweigt. Mitten in
Europa eine Fremde, ein Vergessenes, so stur und schön, so eigensinnig und betörend wie aus einem
Traum. Und dabei ganz wach und
gegenwärtig. Dafür wurde das Kino
vor mehr als 100 Jahren erfunden,
als Zeugenschaft und Eingedenken.
In Anwesenheit von Eloy Enciso
Cachafeiro.
29.10., 13.30 Uhr, Urania
30.10., 18.30 Uhr, Urania
AUTOPORTRAIT (Self-Portrait)
Libanon/F 2012, 46 Min, OmeU, Video
R: Simone Fattal
Die bildende Künstlerin Simone
Fattal wurde 1942 in Damaskus geboren, studierte in Beirut und Paris
Philosophie, ging in den 1980er Jahren nach Kalifornien und gründete
dort einen Verlag für experimentelle
Literatur. AUTOPORTRAIT entstand
1972 im Libanon und zieht die Zwischenbilanz des Lebens einer Frau,
die sich als frei zu behaupten wusste. Dass diese Freiheit ihren Preis
hat, sieht, wer genau hinschaut, in
Zögerlichkeiten, Seitenblicken, Ent-
gleisungen, die Fattal vor der Kamera
je sekundenkurz unterlaufen, und
die das Dokument mit Brüchen, fein
wie Haarrisse durchziehen.
In Anwesenheit von Simone Fattal.
Mit FIREWORKS
30.10., 18 Uhr, Stadtkino
BAGRUT LOCHAMIM (Soldier/Citizen)
Israel 2012, 70 Min, OmeU, Video
R: Silvina Landsmann
Im Rahmen eines pädagogischen
Projektes, das ausgemusterte israelische Soldaten auf das Zivilleben vorbereiten soll, versucht ein Lehrer für
Staatsbürgerkunde den testosterongeladenen jungen Männern ein paar
Grundbegriffe des gesellschaftlichen
Miteinanders beizubringen. Der Unterricht wird zum Schaukampf zwischen dem Pädagogen und seinen
aggressiven Schülern, die ihrem
Hass auf Palästinenser und orthodoxe Juden in wilden Tiraden Luft machen – ein «Blackboard Jungle» der
anderen Art. Am Ende verabschiedet
der Lehrer die Soldaten mit den Worten: «Viel Glück im Leben als zivile
Bürger.» Ein frommer Wunsch.
In Anwesenheit von Silvina Landsmann.
31.10., 20.30 Uhr, Stadtkino
BERG FIDEL – EINE SCHULE FÜR ALLE
(Berg Fidel – A School for all)
D 2011, 87 Min, OmeU, Video
R: Hella Wenders
Grundschule im deutschen Münster,
eine Welt in der Welt, eine Herausforderung, eine Zumutung, ein alltägli-
21
V12_PG_Kern:V_PG
11.10.2012
10:47 Uhr
Seite 22
Dokumentarfilme
ches Experiment. In dieser Schule
wird der Versuch eines ganzheitlichen, integrativen Lernens und Zusammenlebens einer Gruppe von
Kindern praktiziert, von denen jedes
einzelne mit einer spezifischen Form
der Behinderung konfrontiert ist, mit
körperlichen und sozialen Symptomen der Ausgrenzung. Ohne Kommentar, Erklärung oder Einmischung
sieht Hella Wenders diesen kleinen
Schülern zu, lässt sie zu Wort kommen, gibt ihnen Raum. Ja, gibt ihnen
eine ganze, notwendige, eigene Welt.
Und stellt dabei unsere Welt wie
nebenbei auf den Kopf.
In Anwesenheit von Hella Wenders,
Barbara Wenders (Protagonistin) und
Luca Lucchesi (Ton).
3.11., 20.30 Uhr, Stadtkino
4.11., 13 Uhr, Stadtkino
BESTIAIRE
Kanada/F 2012, 72 Min, kein Dialog, DCP
R: Denis Côté
Côté stellt seine Kamera im Parc
Safari in Hemmingford, Québec, auf
und filmt Tiere – sowie Menschen,
die diese ansehen. Wiederholt wird
dabei der Blick des Zuschauers vom
Tier zurück über den Zaun, den Graben, die Grenze geworfen. Und während die menschliche Interpretation
des animalischen Treibens an der
fundamentalen Andersartigkeit des
Gegenübers scheitert, provoziert
dieser Ort – an dem Wildnis und
Zivilisation aufeinandertreffen –
Fragen zum Verhältnis von Freiheit
und Macht, Fremdheit und Neugier,
Dasein und Entfremdung. Lauschende Ohren vor Beton. Hornspitzen neben Eisenriegel. Schönheit
in grässlicher Umgebung. Ein
Lehrfilm.
1.11., 16 Uhr, Urania
6.11., 13 Uhr, Gartenbaukino
22
CAPTURING THE FRIEDMANS
CHARLES BRADLEY: SOUL OF AMERICA
29.10., 21 Uhr, Metro
4.11., 13.30 Uhr, Metro
4.11., 16 Uhr, Urania
6.11., 23 Uhr, Gartenbaukino
THE CENTRAL PARK FIVE
CHIRI (Trace)
chen gestand. Der Fall der so genannten «Central Park Five», der hier
akribisch nachgezeichnet wird, ist
ein Justizskandal. Beispiel für rassistisches Profiling ebenso wie für das
Nicht-Funktionieren eines Rechtssystems, Studie von Polizeirepression
ebenso wie medialer Verantwortungslosigkeit, kurz: nüchternes
Dokument einer uneinigen Gesellschaft.
30.10., 13 Uhr, Gartenbaukino
1.11., 21 Uhr, Metro
Als Baby wurde Naomi Kawase von
ihren Eltern in die Obhut ihrer Großtante Uno übergeben. Naomi nennt
Uno «Oba-chan», Großmutter, und
hat ihr Verhältnis zu dieser über die
Jahre in ihren Filmen immer wieder
zum Thema gemacht. Vor kurzem ist
Uno Kawase 95-jährig gestorben und
CHIRI ist ein Bilderabschiedsliebesgedicht, das vor dem Schrecken des
Verdämmerns nicht die Augen verschließt, dem Schmerz nicht ausweicht und dabei doch immer ein
zugeneigtes Herz beweist. Möge Ersatzmutter Uno ihrer Adoptivtochter
Naomi die Übergriffigkeit verzeihen,
der wir diesen traurig-schönen Film
verdanken, möge sie in Frieden
ruhen.
Mit RITE OF SPRING (siehe Kurzfilmprogramm 5, S. 37)
30.10., 15.30 Uhr, Stadtkino
31.10., 13.30 Uhr, Künstlerhaus
USA 2003, 107 Min, OmdU
R: Andrew Jarecki
Die Geschichte oder Erfindung oder
Verdrehung der Geschichte einer
amerikanischen Mittelstandsfamilie
von den 1950er Jahren bis heute:
Der Vater und einer seiner Söhne
werden Ende der Achtziger des sexuellen Missbrauchs von Kindern beschuldigt und in einem spektakulären Prozess zu hohen Gefängnisstrafen verurteilt. Ist dieses Urteil Produkt von Massenhysterie und Bigotterie oder die späte, gerechte Strafe
für schwere Vergehen? Ein unlösbares, faszinierendes und berührendes
Puzzle von privaten Homemovies,
Interviews, Prozessberichten, Ermittlungen, das am Ende die ZuseherInnen sich selbst und ihren eigenen
Zweifeln und Urteilen überlässt.
USA 2012, 119 Min, OF, Video
R: Ken Burns, David McMahon, Sarah Burns
Der schwarze Mann – die weiße
Frau: ein Reiz-Reaktions-Schema,
das 1989 in New York dazu führte,
dass fünf Teenager aus Harlem
wegen mehrfacher Vergewaltigung
und versuchten Totschlags verurteilt
wurden und zwischen sechs und
dreizehn Jahre im Gefängnis verbrachten. Bis endlich – doch eher zufällig – der wahre Täter das Verbre-
USA 2012, 74 Min, OF, Video
R: Poull Brien
Aus der Sozialwohnung auf die Titelseite des «Rolling Stone»: Die Geschichte des Soulsängers Charles
Bradley ist eine der erstaunlichsten,
die das Showgeschäft in den letzten
Jahren hervorgebracht hat. Nach
einem Leben in äußerster Armut,
nach kläglichen Auftritten, bei denen
er unter dem Namen Black Velvet
James Brown imitierte, fand Bradley
erst im Alter von 62 Jahre seine eigene Stimme und seine genuine Identität. Der Film begleitet den Sänger
während der Monate bis zur Veröffentlichung des Albums «No Time
for Dreaming», das ihn 2011 an die
Spitze der Retro-Soul-Bewegung katapultierte. Wie man Wünsche beim
Schwanz packt!
Japan/F 2012, 45 Min, OmeU, Video
R: Kawase Naomi
V12_PG_Kern:V_PG
11.10.2012
DANN BIN ICH JA EIN MÖRDER
(If that’s so, then I’m a murderer)
A 2012, 70 Min, OmeU, Video
R: Walter Manoschek
In den letzten Tagen des Zweiten
Weltkrieges werden in der burgenländischen Gemeinde Deutsch
Schützen-Eisenberg rund 60 aus
Ungarn stammende, jüdische
Zwangsarbeiter erschossen. Im Zuge
seiner Recherchen des Falles gelingt
es dem Historiker Manoschek mit
einem der Verantwortlichen, dem
SS-Mann Adolf Storms, längere Gespräche zu führen – in denen der
Täter jedoch die konkrete Erinnerung verweigert. Redend umkreist
und vermeidet er die Geschehnisse,
dabei mehr offenbarend, als ein Prozess je könnte. «Von der Seite eines
Wissenden betrachtet», schreibt
Elfriede Jelinek über den Film, «in
aller Klarheit, ohne Naivität, sogar
ohne Dämonisierung der Täter.
Das ist eine große Kunst».
In Anwesenheit von Walter Manoschek.
2.11., 18.30 Uhr, Urania
DEATH ROW
USA/GB/A 2012, 208 Min, OF, Video
R: Werner Herzog
«Being a guest in the United States of
America, I respectfully disagree with
the practice of capital punishment.»
Herzog sagt es zu Beginn von DEATH
ROW, der, auf dem Kinodokumentarfilm INTO THE ABYSS (siehe S. 25)
basierend, dessen Verfahren multipliziert: als fürs Fernsehen gedrehte
vierteilige Serie von Porträts von im
Gefängnis von Huntsville, Texas, einsitzenden Todeskandidaten. James
Barnes, Hank Skinner, Joseph Garcia,
Georges Rivas und Linda Carty heißen die Gesprächspartner anhand
derer Fälle sich verschiedene Verbrechens- und Verbrechertypen
erschließen, das Justizsystem der
USA aufgefächert wird und Herzog
sich einmal mehr als furchtloser
Erforscher menschlicher Abgründe
erweist.
4.11., 13.30 Uhr, Künstlerhaus
10:47 Uhr
Seite 23
LA DOPPIA VITA DI ANNA
I 1972–75/2012, 101 Min, OmeU, Video
R: Alberto Grifi, Massimo Sarchielli
Eine von der Fondazione Grifi aus
dem hinterlassenen Filmkorpus ausgewählte Zusammenstellung zusätzlichen Materials zum Dokumentarfilm ANNA (siehe S. 21 und In Focus:
Grifi, S. 44).
Mit ANNA
5.11., 11 Uhr, Urania
DUCH, LE MAÎTRE
DES FORGES DE L’ENFER
(Duch, Master of the Forges of Hell)
F/Kambodscha 2011, 103 Min, OmeU, Video
R: Rithy Panh
Kaing Guek Eav, genannt Duch, war
von 1976 bis 1979 Leiter des Gefängnisses Tuol Sleng (S-21) in Phnom
Penh. Als solcher zeichnete er verantwortlich für den Tod von etwa
15.000 Inhaftierten. Eine Verantwortung, die Duch im Gespräch mit
Panh nicht leugnet, eher mitunter
sophistisch eichmannesk wendet:
von einer Ideologie zum Werkzeug
gemacht, sei ihm keine Wahl geblieben. Mit DUCH kehrt Panh, zehn
Jahre nach S-21, LA MACHINE DE
MORT KHMÈRE ROUGE, an einen
der zentralen Orte des kambodschanischen Genozids zurück. Und führt
eine weitere ebenso schmerzhafte
wie unabdingbare Operation am
lebenden Volks-Geschichts-Körper
durch.
tung aufrechtzuerhalten. In langen,
ruhigen Einstellungen zeigt die kleine Arbeit den Alltag der individuellen Katastrophe. «Same show every
day», heißt es einmal: Die Wiederkehr des Immergleichen als kinematografische Meditation über die Verwaltung des Ausnahmezustandes.
In Anwesenheit von Antoine Bourges.
Mit CHEZ NICOLE
28.10., 20.30 Uhr, Stadtkino
29.10., 23.30 Uhr, Urania
EASY RIDER
USA 2012, 95 Min, OF, Video
R: James Benning
Nachdem er zuletzt Cassavetes’
FACES (1968) aus den Bildern des
Ursprungsfilms heraus neu interpretiert hat, legt Benning ein weiteres
«Remake» vor. Sein Interesse gilt
dabei weniger dem Originalmaterial
als den Originalschauplätzen jenes
Films, der für seine Generation ikonische Qualität besitzt: EASY RIDER
(1969) von Dennis Hopper. Was
ebenfalls zurückkehrt, ist eine
Hauptlinie in Bennings Werk: die Betrachtung versehrter amerikanischer
Landschaften und ihre Aufladung
durch politische Geschichte und kulturelle Erinnerung. «Die Gegenkultur
der Gegenwart versuchte ich, präsent
werden zu lassen, indem ich die Original-Musik durch Musik ersetzte,
die ich heute höre.» (Benning)
In Anwesenheit von James Benning.
29.10., 21.30 Uhr, Filmmuseum
Eine gemeinsame Veranstaltung von
Filmmuseum und Viennale.
ENSAYO FINAL PARA UTOPÍA
(Dress Rehearsal for Utopia)
E 2012, 75 Min, OmeU, Video
R: Andrés Duque
3.11., 16 Uhr, Urania
5.11., 16 Uhr, Künstlerhaus
EAST HASTINGS PHARMACY
Kanada 2012, 46 Min, OF, Video
R: Antoine Bourges
«Have a good day», sagt die Apothekerin gerne, wenn sie ihre Kunden
verabschiedet. Ein Euphemismus,
denn EAST HASTINGS PHARMACY
dokumentiert den Alltag von Drogensüchtigen in Vancouver, die ihre
tägliche Methadon-Ration konsumieren. Ein Mikrokosmos zwischen
Elend, schrägem Humor und Versuchen, auch unter prekären Lebensumständen Würde und Selbstach-
Während er in Mosambik Dokumente aus und über den Unabhängigkeitskampf (1962–1975) recherchierte, ereilte den Filmemacher die
Nachricht von der Erkrankung seines
Vaters, woraufhin Duque nach Venezuela heimkehrte. Geografie und
Chronologie lösen sich in dem tagebuchartigen ENSAYO FINAL PARA
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Dokumentarfilme
UTOPÍA zugunsten eines assoziativen Bilderreigens auf, um variantenreich eines zu befragen: Wie kann
die filmische Gestaltung der Intensität des Lebens gerecht werden? Elliptisch werden Bilder der mosambikischen Revolution mit dem Abschied
vom Vater verbunden, Aufbruch und
Tod werden konkret und metaphorisch zugleich.
In Anwesenheit von Andrés Duque.
27.10., 18.30 Uhr, Urania
28.10., 12 Uhr, Stadtkino
EL ETNÓGRAFO (The Ethnographer)
Argentinien 2012, 85 Min, OmeU, DCP
R: Ulises Rosell
Die indigene Bevölkerung Argentiniens wurde durch Landnahme und
Enteignung nahezu vollständig ausgerottet, eine Ausnahme bilden –
noch – die Wichi, die in einer Region
im Norden Argentiniens leben; theoretisch geschützt durch staatliche
Bestimmungen, in der Realität jedoch immer schnellerer und brutalerer Zerstörung ihres Lebensraums
ausgesetzt. Von Ölbohrungen und
Soja-Anbau bedroht, kämpfen sie
einen aussichtslosen Kampf und ihr
einziger leidenschaftlicher Unterstützer ist der britische Ethnologe
John Palmer, der seit vielen Jahren
unter ihnen lebt. EL ETNÓGRAFO
ist das engagierte und klarsichtige
Dokument einer untergehenden
Kultur und zerstörten Welt.
27.10., 11 Uhr, Künstlerhaus
7.11., 13.30 Uhr, Künstlerhaus
Inserts, historischen Rückblenden
und poetischen Sidesteps. Immer
wieder gegengeschnitten mit Szenen
des Luxus und der Armut aus dem
kriegführenden Imperium USA. Ein
Protokoll aus dem Herzen der Finsternis mit einer eindeutigen Botschaft: «The virus has turned on the
host.»
26.10., 13 Uhr, Stadtkino
7.11., 21 Uhr, Urania
und geduldige, neugierige und materialreiche Weise, dass die vier Stunden ihres Films keinen Moment zu
viel sind. Ein großes Dokument –
eine abenteuerliche Reise – a labour
of love, wie sie wohl über kaum
einen Filmemacher in dieser Weise
existiert.
In Anwesenheit von Martina Kudláček
und Peter Kubelka.
29.10., 15.30 Uhr, Gartenbaukino
FIDAÏ
FREMD (Foreign)
26.10., 13.30 Uhr, Urania
27.10., 16 Uhr, Künstlerhaus
In Algerien trifft der Malier Mohamed nach seinem dritten gescheiterten Migrationsversuch nach Europa
auf den Musiker Jerry aus Kamerun.
Zwei von Millionen, die ihre Heimat
verlassen haben, um in eine angeblich bessere Welt aufzubrechen.
Faßbender begleitet sie bei ihrem
alltäglichen Überlebenskampf und
ihren Reise-Vorbereitungen, erfährt
von ihren Zweifeln, ihren Hoffnungen und ihrer Entschlossenheit.
Sie hört zu und sieht zu, was einfach
klingt, doch nicht einfach ist. Sie
macht das Kino zum Zeugen, zum
Erzähler und Bewahrer einer konkreten politischen und individuellen
Situation unserer Tage. Ohne falsche
Betroffenheit, geduldig und klar.
In Anwesenheit von Miriam Faßbender
und Max Milhahn (Produzent).
31.10., 21 Uhr, Metro
2.11., 20.30 Uhr, Stadtkino
F/Algerien 2012, 82 Min, OmeU, DCP
R: Damien Ounouri
»Auch wenn ich mich nicht erinnern
will, ist der Krieg ein nie enden wollender Terror. In der Seele, in der
Welt.« Mit diesen Worten wirft uns
FIDAÏ in die Geschichte seines Protagonisten: El Hadi, Großonkel des Filmemachers, hatte sich während des
algerischen Befreiungskrieges dem
bewaffneten Kampf der FLN angeschlossen und war als «Fidaï» an
mehreren Attentaten auf Angehörige
der konkurrierenden Befreiungsbewegung MNA beteiligt. Minutiös rekonstruiert Ounouri die Taten und
die Gefühle des Täters. Kaltblütig
war und ist hier gar nichts. Die Erinnerungsarbeit ist schmerzhaft, der
Film ein Aufbruch: zu den Bedingungen der Möglichkeit postkolonialer
Freiheit.
In Anwesenheit von Damien Ounouri.
FRAGMENTS OF KUBELKA
A 2012, 232 Min, eOF, Video
R: Martina Kudláček
FAR FROM AFGHANISTAN
USA 2012, 129 Min, OmeU, Video
R: John Gianvito, Jon Jost, Minda Martin,
Travis Wilkerson, Soon-mi Yoo
Nach dem Vorbild des kollektiven
Films FAR FROM VIETNAM (1967)
bringt auch diese Arbeit eine Reihe
von Filmemachern, Kameramännern, Cuttern und Technikern zusammen, um einen kritischen Report aus dem Inneren der Kriegsmaschine abzuliefern. Ein Mosaik aus
grobgepixelten Bildern der Zerstörung, Interviews, polemischen Text24
D/Mali/Algerien/Marokko 2011, 93 Min,
fOmeU, Video
R: Miriam Faßbender
GIRL MODEL
Eine dokumentarische Beschreibung
des Künstlers und Menschen Peter
Kubelka ist ein nahezu unmögliches
Unterfangen. Seine Persönlichkeit,
seine Geschichte, seine Arbeit und
seine Ideen sind so vielschichtig,
eigensinnig, überbordend, originär
und manchmal unberechenbar, dass
nicht viel mehr als eine fragmentarische Annäherung machbar scheint.
Martina Kudláček ist das Unmögliche gelungen und dies auf so reiche
USA 2011, 78 Min, OmeU, Video
R: Ashley Sabin, David Redmon
Der Film folgt einem weiblichen
Model Scout, der Amerikanerin
Ashley, nach Sibirien, wo blutjunge
Mädchen mit dem Versprechen auf
eine große Karriere in Japan wie
bei einer Viehauktion zusammengetrieben werden. Im dialektischen
Wechselspiel zwischen der selbstkritischen Amerikanerin und
der von ihr «entdeckten» naiven
13-jährigen Nadya beschreibt der
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Film ein unmenschliches Spiel von
Angebot und Nachfrage, in dem
die Opfer vom Individuum zum
«Material» schrumpfen und nach
und nach ihrer Würde verlustig
gehen. Jugend und Schönheit als
Exportware: eine andere Facette der
Globalisierung.
In Anwesenheit von Ashley Sabin und
David Redmon.
5.11., 20.30 Uhr, Stadtkino
6.11., 13.30 Uhr, Urania
stilisierte Darstellungsposen und
nervöse Tics. Bonello hat ein ganzes
Konzert aufgezeichnet, in dem Ingrid
Caven wie ein wahnhaftes Traumbild
out of the dark erscheint. Eine wie
keine.
In Anwesenheit von Bertrand Bonello
und Ingrid Caven.
2.11., 21 Uhr, Urania
3.11., 23 Uhr, Stadtkino
HARRY DEAN STANTON:
PARTLY FICTION
Japan 2012, 72 Min, OmeU, Video
R: Pedro Gonzalez-Rubio
Im Südosten Japans, in der Präfektur
Nara, inmitten einer üppig bewaldeten Berglandschaft, durch die Nebelfelder ziehen und Bäche rauschen,
liegt der Ort Kannogawa, aus dem
allmählich das Leben weicht. Die Bevölkerung besteht aus wenigen älteren und alten Menschen, deren Kinder und Enkelkinder fortgezogen
sind, weil es in der Region keine Arbeit gibt. Im Bewusstsein der eigenen Vergänglichkeit ebenso wie der
ihrer Ansiedlung leben diese Verbliebenen einen gemächlichen Alltag,
den Gonzalez-Rubio mit sicherem
Gespür für die tiefe Melancholie dieses Noch-Daseins aufzeichnet.
CH/USA 2012, 77 Min, OmdU, DCP
R: Sophie Huber
Harry Dean Stanton ist eine der bedeutenden Randfiguren des amerikanischen Kinos, ein Unbekannter,
den jeder erkennt, ein Vergessener,
den jeder erinnert. Eine geradezu
unmögliche Figur jener Fabrik von
Illusionen und Ideologien, die den
Namen «Hollywood» trägt. Aus Filmfragmenten, den Erinnerungen von
Kollegen und Regisseuren, Aufnahmen des musizierenden Fotokünstlers, Beschwörungen und Verweigerungen hat Sophie Huber ein zärtliches Porträt gezeichnet, ein kleines
Monument errichtet und vor allem
die Gegenwart eines großartigen
Künstlers und Menschen für uns
erschlossen.
Mit HOLLYWOOD MOVIE
4.11., 18.30 Uhr, Urania
5.11., 13.30 Uhr, Künstlerhaus
INGRID CAVEN. MUSIQUE ET VOIX
F 2012, 98 Min, OF, Video
R: Bertrand Bonello
Diva, Soubrette, Königin der Nacht:
Ingrid Caven, bekannt geworden in
der Entourage von Rainer Werner
Fassbinder, später berühmt als Sängerin in Frankreich, besetzt eine einzigartige Position in der zeitgenössischen Musiklandschaft: Chansonette
in der Traditionslinie von Marlene
Dietrich, Edith Piaf und Lotte Lenya.
Protagonistin eines großen Klangtheaters, in dem eine Welt der Vergangenheit ersteht, gebrochen durch
INORI
Mit THE CREATION AS WE SAW IT
29.10., 11 Uhr, Künstlerhaus
7.11., 15.30 Uhr, Stadtkino
INTO THE ABYSS
USA 2011, 103 Min, OF, DCP
R: Werner Herzog
Tätern, Überlebenden, Zeugen, Vertretern von Polizei, Justiz und Gefängnis; und erarbeitet sich und uns
die Erkenntnis der Hilflosigkeit des
Versuchs, mittels der Todesstrafe
dem Abgrund den Schrecken zu
exorzieren.
In Anwesenheit von Werner Herzog.
26.10., 17 Uhr, Gartenbaukino
JAI BHIM COMRADE
Indien 2011, 182 Min, OmeU, Video
R: Anand Patwardhan
Der rund dreistündige JAI BHIM
COMRADE – eine der umfassendsten
und spannendsten Arbeiten zur
Kastengesellschaft in Indien – gehört zu den zentralen Dokumentationen der diesjährigen Viennale. In
seinem über 14 Jahre hinweg entstandenen Werk zeigt der aus Mumbai stammende Patwardhan die leidvollen Erfahrungen und das Schicksal von Vertretern der Kaste der
«Unberührbaren», jener tiefsten und
zutiefst erniedrigten Schicht der
indischen Gesellschaft. Doch ebenso
erklärt der Filmemacher die ökonomischen und politischen Zusammenhänge und gibt ein Bild der reichen Volkskultur und Überlieferung
jener Ärmsten der Armen. Ein
faszinierender, ein wichtiger Film!
In Anwesenheit von Anand Patwardhan.
28.10., 14 Uhr, Stadtkino
29.10., 20.30 Uhr, Stadtkino
JEFF
Welchen Abgrund meint Herzog?
Den Gleichmacher Tod, der, als
Strafe angewandt, Täter und Opfer
vereint in der alttestamentarischen
Hoffnung auf Sühne und Versöhnung? Oder das Schwarze Loch
inmitten unseres Lebens, den Abgrund, den das Verbrechen aufreißt:
die Frage nach dem Warum? Der
Kinofilm INTO THE ABYSS ging der
TV-Dokuserie DEATH ROW (siehe
S. 23) voraus und schildert den Fall
des Michael Perry – zum Tode verurteilt wegen dreifachen Mordes, begangen, um eines Red Camaro habhaft zu werden. Herzog spricht mit
USA 2012, 76 Min, OF, Video
R: Chris James Thompson
1991 wurde Jeffrey Dahmer in Milwaukee zu 957 Jahren Gefängnis verurteilt: Er hatte 17 junge Männer ermordet, ihre Körper zerstückelt und
Teile der Leichen verzehrt. Thompson rekonstruiert den spektakulären
Fall als entsensationalisiertes DokuDrama: Spielfilmsequenzen zeigen
den Serienmörder in seinem banalen
Alltag. Seine suggestive Qualität gewinnt der Film jedoch durch Tiefeninterviews mit dem Rechtsmediziner, dem ermittelnden Polizisten
und einer Nachbarin: Ihre zum Teil
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Dokumentarfilme
lakonischen, zum Teil emotional
gefärbten Berichte aus dem Herzen
der Finsternis geben dem Unfassbaren eine Form und dem Grauen eine
Gestalt.
30.10., 11 Uhr, Künstlerhaus
1.11., 23.30 Uhr, Urania
JOURNAL DE FRANCE
F 2012, 100 Min, OmeU, DCP
R: Claudine Nougaret, Raymond Depardon
Land, nennt es der Kommentator.
Ein Film als politisch-historiografische Bilderreise und Montage von
Utopien, Konflikten und Widersprüchen.
Mit NOTES FOR A POLISH JEW
5.11., 15.30 Uhr, Stadtkino
LEVIATHAN
Dokumentarfilmer Depardon ist unterwegs in Frankreich und macht
Fotos mit der Plattenkamera. Seine
langjährige Mitarbeiterin Nougaret
wühlt sich derweil durchs Archiv,
fördert Überbleibsel von Reportagen
und Outtakes aus Filmen zutage,
rekapituliert die gemeinsame Laufbahn. JOURNAL DE FRANCE ist die
Parallelführung dieser beiden gleichermaßen faszinierenden Unterfangen. Ein dichtes Gewebe aus gegenwärtigen Gegebenheiten der Provinz
und historischen Zeugnissen der
Weltpolitik. Zusammengehalten
durch den wachen, teilnehmenden
Blick, den da einer auf Söldner in
Afrika, Rebellen in Lateinamerika,
kleine Dorfgeschäfte, alte Männer
auf einer Bank und immer wieder
auf die Frauen wirft.
In Anwesenheit von Claudine Nougaret.
29.10., 21 Uhr, Urania
30.10., 11 Uhr, Urania
LACAN PALESTINE
Kanada 2012, 70 Min, OF, Video
R: Mike Hoolboom
Der kanadische Experimentalfilmer
Mike Hoolboom hat mit LACAN
PALESTINE ein Filmessay besonderer Art erstellt. Eine Art film fleuve
aus Found-footage-Material, Bildern
aus diversesten Zusammenhängen
wie TV-Nachrichten, alten Fernsehserien, Dokumentar- und Spielfilmfragmenten. All diese Aufnahmen
kreisen um die Geschichte des
Landes Palästina, um die Realitäten
und Projektionen ebenso wie um
den alltäglichen Überlebenskampf
und die historischen Hoffnungen
und Enttäuschungen. Ein Land ohne
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USA/GB/F 2012, 87 Min, OF, DCP
R: Véréna Paravel, Lucien Castaing-Taylor
LEVIATHAN entzieht sich jeder Beschreibung und Kategorisierung, ist
ein Stück radikales kinematografisches Erleben, ein wilder Kosmos
von Bildern und Tönen, aufgezeichnet auf einem Fischerboot auf offenem Meer vor der Ostküste der USA.
Ohne jeden Kommentar vertraut der
Film auf die optische und akustische
Erzählung seiner Elemente: der
menschlichen Arbeit, der Gewalt
des Meeres, der Ausgesetztheit und
Rauheit der Nacht. «Ein filmisches
AC/DC-Konzert» meinte die Kritik,
eine «biblische Geschichte» und ein
«gothic tale of fish and man». Und
man wäre nicht wirklich erstaunt,
würde sich plötzlich Kapitän Ahab
über das Deck bewegen. Ausschau
haltend nach dem weißen Wal.
In Anwesenheit von Véréna Paravel und
Lucien Castaing-Taylor.
29.10., 23 Uhr, Gartenbaukino
31.10., 21 Uhr, Urania
MARINA ABRAMOVIĆ:
THE ARTIST IS PRESENT
USA 2011, 105 Min, OmdU, DCP
R: Matthew Akers
Der Titel des Films sowie der Retrospektive ihrer Performances 2010 im
New Yorker MoMA ist die programmatische «Formel» der Kunst Marina
Abramovićs. Akers beobachtet Entstehung und Betrieb der Ausstellung
– und Abramović selbst: Die Vorbereitung einer neuen Performance,
die physische und psychische Anstrengung: Abramović saß 2,5 Monate, 6 Tage die Woche, etwa 7 Stunden
lang in einem Raum, die Besucher_innen waren eingeladen, ihr
einzeln, von Angesicht zu Angesicht,
einige Minuten auf einem Sessel gegenüber zu sitzen. Stumm. Regungslos. Bewegende Szenen – im Inneren
der Sitzenden, auf der Leinwand. Die
Begegnung mit der Künstlerin wird
zur Sucht.
In Anwesenheit von Marina Abramović
und Matthew Akers.
26.10., 14 Uhr, Gartenbaukino
MEINE KEINE FAMILIE
(With(Out) Family)
A 2012, 93 Min, OmeU, Video
R: Paul-Julien Robert
In den 1970er Jahren existierte im
Burgenland eine der größten und
einflussreichsten Kommunen
Europas. Die von Otto Mühl gegründete Gemeinschaft am Friedrichshof
war Gegenstand von Bewunderung,
von bedingungsloser Gefolgschaft,
aber auch von Skandalen. Heute ist
diese von vielen Ungereimtheiten
begleitete Geschichte nahezu vergessen, doch es gibt Menschen, in
denen sie fortlebt und die von ihr
wesentlich geprägt wurden. Einer
davon ist der in der Kommune geborene und aufgewachsene Regisseur
der vorliegenden Recherche. Was er
zu Tage fördert und zur Sprache
bringt, ist das bis heute spannendste,
tiefgehendste, ehrlichste Dokument
über die Gemeinschaft.
In Anwesenheit von Paul-Julien Robert
und ProtagonistInnen.
4.11., 18 Uhr, Gartenbaukino
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11.10.2012
METHOD TO THE MADNESS OF
JERRY LEWIS
USA 2011, 116 Min, OF
R: Gregg Barson
Jerry Lewis kann Sachen, die kann
eigentlich nur eine Cartoon-Figur
von Chuck Jones: die Gesetzmäßigkeiten der Physik in Trümmer legen,
die Beschränkungen des Körpers
überwinden, aus Chaos und Anarchie eine Welt schaffen, neu, gefährlich und verheißungsvoll, in der das
Gelächter herrscht. In Barsons Porträt geben Kollegen ihrer Verehrung
Ausdruck, erzählt der Meister von
seiner Arbeit, machen Ausschnitte
aus alten Filmen und neuen Bühnenauftritten Lust auf die transgressive
Komik, die Lewis – vor allem in der
Zusammenarbeit mit Dean Martin –
wie kein Zweiter beherrscht. Die Geheimnisse dieser hohen Kunst werden freilich nicht verraten, zum Trost
wird umso mehr geblödelt.
28.10., 23.30 Uhr, Künstlerhaus
6.11., 18.30 Uhr, Künstlerhaus
NYUKURIA NEISYON (Nuclear Nation)
Japan 2012, 96 Min, OmeU, Video
R: Funahashi Atsushi
10:47 Uhr
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OH YEAH, SHE PERFORMS!
A 2012, 98 Min, OmeU, Video
R: Mirjam Unger
Gustav, Clara Luzia, Teresa Rotschopf,
Luise Pop: vier österreichische
Modelle einer weiblichen Sensibilität
im Pop zwischen Indie, SongwriterElektronik und Breitwand-Elektro.
Unger zeichnet ein Panoramabild
der neuen weiblichen Selbstermächtigung und mischt Situationen
zwischen Proberaum und Bühne,
zwischen privater Wurzelsuche und
Aufnahmestudio mit kurzen Interviews. Ein raues Dokument, das mit
dichten Montagen, Jumpcuts und
schnellen Szenenwechseln eine
visuelle Sprache für eine Szene findet, die immer auch Widersprüche
in einem männlich besetzten Raum
verhandeln muss. Ausgeliefert,
jede Nacht!
In Anwesenheit von Mirjam Unger und
den Musikerinnen.
3.11., 18 Uhr, Künstlerhaus
ONE WAY BOOGIE WOOGIE
27 YEARS LATER
USA 2005, 60 Min, OF
R: James Benning
2005 kehrte Benning an exakt jene
Schauplätze in Milwaukee zurück,
an denen er 1977 seinen ersten
abendfüllenden Film gedreht hatte.
Nach Möglichkeit nimmt die Kamera
den gleichen Standpunkt ein wie in
ONE WAY BOOGIE WOOGIE, zum
Teil treten auch dieselben Protagonisten in Aktion, die ihre Tätigkeiten
von einst in leichten Variationen
wiederholen. Viele Orte und Gebäude aber existieren nicht mehr, und
die satte Farbigkeit des ersten Films
ist nun einer differenzierteren Farbgebung gewichen. Mit der ihm eigenen Genauigkeit gelingt Benning
eine ebenso präzise wie heitere
Studie der Vergänglichkeit, die –
insbesondere im Zusammenspiel
mit der Tonspur – immer wieder
auf kleine Pointen hin inszeniert ist.
In Anwesenheit von James Benning.
31.10., 16 Uhr, Metro
ONE WAY BOOGIE WOOGIE 2012
USA 2012, 90 Min, kein Dialog, Video
R: James Benning
ONE WAY BOOGIE WOOGIE
März 2011: Erdbeben, Tsunami, GAU
von Fukushima. Die Einwohner der
drei Kilometer vom AKW gelegenen
Kleinstadt Futanaba verlieren alles.
Sie werden evakuiert, in einer Turnhalle in Tokyo untergebracht, hingehalten, irregeführt, ignoriert. Ein
Gemeinwesen zerfällt, Existenzen
bröckeln. Beispielhaft dokumentiert
Funahashi Japans Umgang mit den
Folgen der Katastrophe, er zeigt das
skandalöse Versagen der politischen
Kaste, die Stigmatisierung der Opfer,
deren Versuche, sich zu wehren.
So wird mit der Zeit nicht nur die
Größe des erlittenen, materiellen wie
ideellen Verlustes erahnbar, sondern
auch die Dimension der Weigerung,
sich diesem verantwortlich zu
stellen.
29.10., 18.30 Uhr, Urania
1.11., 13 Uhr, Stadtkino
USA 1977, 60 Min, OF
R: James Benning
Als Benning Ende der 1970er Jahre
seine Heimatstadt Milwaukee, Wisconsin, filmt, eine bereits damals
im Abwind befindliche Industriemetropole, unterwirft er sie einem
gewohnt strengen experimentellen
Raster: sechzig feste Einstellungen
von je sechzig Sekunden Dauer.
Innerhalb des starren Rahmens
jedoch, in der Spannung etwa zwischen Bild und Tonspur, inszeniert
er präzise kleine Geschichten, groteske Abläufe, manche von slapstickhafter Komik, und erlaubt sich einen
im Lichte seiner späteren Filme
ungewöhnlichen, minimalistischerzählerischen Duktus.
In Anwesenheit von James Benning.
31.10., 13.30 Uhr, Metro
2012 sieht Benning erneut nach dem
Rechten in Milwaukee und wiederum sind einige der Schauplätze der
beiden vorangegangenen Filme dem
Zahn der Zeit zum Opfer gefallen.
Dafür richtet sich auf die übriggebliebenen ein längerer Blick:
fünf Minuten haben die Betrachter
diesmal Zeit, beispielsweise zu lauschen, wie der Regen sich verstärkt,
während traurig und grau ein verlassener Betonbau im Dämmer
steht. Manchmal bewegen sich
Autos, Güterzüge, Menschen duch
einzelne Einstellungen. Manchmal
der Wind und die Wolken. Omnipräsent die Melancholie. Erzählt
wird im dritten ONE WAY BOOGIE
WOOGIE nicht mehr; jedenfalls nicht
mehr als von der Unaufhaltsamkeit
des Vergehens.
In Anwesenheit von James Benning.
31.10., 18.30 Uhr, Metro
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11.10.2012
10:47 Uhr
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Dokumentarfilme
ONLY THE YOUNG
USA 2011, 68 Min, OF, Video
R: Elizabeth Mims, Jason Tippet
Die beiden Freunde Kevin und Gerrison und ihre gemeinsame Liebe Skye
verbringen die letzten Tage ihrer
Kindheit und eines langen, ewigen
Sommers in ihrem Heimatort, einem
kleinen Kaff in der kalifornischen
Wüste. Auf Skateboards unterwegs,
bei Einbrüchen in leerstehende Häuser und der Erfindung immer neuer
Skateparks und Abenteuerplätze
geht nahezu unmerklich ein Teil
ihres Lebens zu Ende und verloren.
Diese uralte Geschichte lebt hier
noch einmal so grandios und verzweifelt auf, dass einem manchmal
der Atem stockt und eine längst
vergessene Erinnerung einholt.
Mit ERDBEERLAND
28.10., 21 Uhr, Metro
1.11., 23.30 Uhr, Künstlerhaus
PARABETON – PIER LUIGI NERVI UND
RÖMISCHER BETON (Parabeton –
Pier Luigi Nervi and Roman Concrete)
D 2012, 100 Min, kein Dialog/eZT, DCP
R: Heinz Emigholz
Der italienische Bauingenieur Pier
Luigi Nervi (1891–1979) schuf – vor
allem in seiner Heimat – eine Reihe
von bedeutenden Betonbauten,
denen oftmals Kuppeln und kühn
geschwungene Treppenkonstruktionen zu eigen sind, die das Material
an seine Grenzen zu führen scheinen. Wie in seinen Architekturfilmen
üblich, erfasst Emigholz die Gebäude
in starren Einstellungen, montiert jedoch so beweglich, dass dem Betrachter der Weg durch das Gebäude
quasi «vorgeschlagen» wird. Ergänzt
werden die unkommentierten und
mit einem aus Originaltönen komponierten Soundtrack versehenen Bilder von Nervis Werken um Aufnahmen von Betonbauten der römischen Antike.
In Anwesenheit von Heinz Emigholz.
26.10., 16 Uhr, Künstlerhaus
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PERRET IN FRANKREICH UND ALGERIEN
(Perret in France and Algeria)
D 2012, 110 Min, kein Dialog/eZT, DCP
R: Heinz Emigholz
Im zweiten Teil seiner insgesamt
dreiteiligen Reihe «Aufbruch der Moderne», mit der Emigholz seine Filme
zu den Themen Architektur und Baugestaltung beenden wird, zeigt der
Filmemacher insgesamt 30 Werke
der französischen Architekten und
Bauingenieure Auguste und Gustave
Perret. Auguste Perret (1874–1954)
gehört mit seinen kühnen Eisenbetonexperimenten zu den Wegbereitern der Moderne und schuf seine
Bauten sowohl in Frankreich als
auch im kolonialen Algerien. Emig-
holz erfasst die Gebäude in ihrem
Ist-Zustand, bettet die Autoren-Architektur damit in kulturelle und soziale Zusammenhänge und macht
die Veränderung der Gebäude im
Lauf der Zeit sichtbar.
In Anwesenheit von Heinz Emigholz.
26.10., 18.30 Uhr, Künstlerhaus
RE:GENERATION MUSIC PROJECT
USA 2012, 82 Min, OF, Video
R: Amir Bar-Lev
The soul, the flavor, the feeling: Die
Doku begleitet fünf DJs aus der aktuellen Dance- und Hip Hop-Szene – DJ
Premier, Skrillex, Pretty Lights, Mark
Ronson und The Crystal Method –
bei einem Experiment: Sie schließen
sich mit lebenden Legenden aus
Genres wie Country, Jazz, Rock und
Klassik zusammen, die weit entfernt
von ihrem Tagesgeschäft sind, und
versuchen gemeinsam ihre Ideen
und Leidenschaften zu Musik-Hybriden zusammenzuschmelzen. Geschichte und Gegenwart als lustvolle
Klangkollision mit Cameo-Auftritten
von Soul-Legende Martha Reeves
und Country Preacher Ralph Stanley.
DJ Premier: «Its not just about machines, this is a human performance!»
27.10., 23.30 Uhr, Künstlerhaus
5.11., 13 Uhr, Gartenbaukino
RENMIN GONGYUAN (People’s Park)
USA/China 2012, 78 Min, kein Dialog, Video
R: Libbie D. Cohn, J. P. Sniadecki
Ein Besuch in einem der großen
Parks in chinesischen Großstädten
ist ein Erlebnis für sich: Dort ist der
Park tatsächlich noch ein Ort der
Erholung, der Erbauung und der
Zusammenkunft, an dem musiziert,
gesungen, getanzt, Sport betrieben,
Tee getrunken oder ganz einfach
«nichts getan» wird. Nicht anders
ist es im Volkspark in Chengdu, der
Hauptstadt der Provinz Sichuan.
Gedreht in einer einzigen sehr
langen Kamerabewegung, fängt
der Film von Libbie D. Cohn und
J. P. Sniadecki das bunte, friedliche
Treiben ein und bekommt mit der
Zeit eine nahezu meditative Qualität.
1.11., 18 Uhr, Stadtkino
7.11., 16 Uhr, Urania
ROOM 237
USA 2012, 102 Min, OF, DCP
R: Rodney Ascher
Seit über drei Jahrzehnten ruft Stanley Kubricks meisterlicher Horrorschocker THE SHINING (siehe S. 16),
nach einem Bestseller von Stephen
King, seriöse Kritiker wie durchgeknallte Nerds auf den Plan, die den
geheimen Botschaften und verborgenen Hinweisen des Films auf den
Grund zu gehen versuchen. In ROOM
237 kommt das ganze Spektrum der
Kubrick-Exegeten zu Wort und darf
von einfachen Erläuterungen einiger
Bildmotive bis hin zu schwer paranoiden Erklärungen vermeintlicher
Subtexte analysieren und schwadronieren, was das Zeug hält. Das ist
nicht nur überaus unterhaltsam, das
ist vor allem auch außerordentlich
erhellend und zudem gekonnt
dargeboten.
In Anwesenheit von Rodney Ascher.
26.10., 23.30 Uhr, Gartenbaukino
(mit SHINING)
27.10., 13.30 Uhr, Künstlerhaus
V12_PG_Kern:V_PG
11.10.2012
10:47 Uhr
Seite 29
SAN ZIMEI (Three Sisters)
TECTONICS
27.10., 13.30 Uhr, Urania
31.10., 15.30 Uhr, Künstlerhaus
Mit CENTURY
31.10., 21.30 Uhr, Künstlerhaus
2.11., 11 Uhr, Künstlerhaus
F/Hongkong 2012, 153 Min, OmeU, DCP
R: Wang Bing
Wang Bing, eine der zentralen
Figuren eines kritischen dokumentarischen Kinos in China, zeigt den
Alltag dreier auf sich gestellter
Mädchen in einer der ärmlichsten
Provinzen von Yunan. Ohne die
Mutter, die die Familie verlassen hat,
und meistens ohne den im Nachbardorf arbeitenden Vater, versuchen
die Mädchen im Alter zwischen vier
und zehn Jahren ihr bescheidenes
Dasein zu organisieren. Die Schweine hütend, sich von Kartoffeln ernährend, ohne Schule und Fürsorge
sind sie zu kleinen, manchmal traurigen Erwachsenen geworden. SAN
ZIMEI ist ein wichtiges und auch
belastendes Beweisstück für ein
anderes China jenseits von Wirtschaftswachstum und Aufbruch.
SEARCHING FOR SUGAR MAN
S/GB 2011, 86 Min, OmdU, DCP
R: Malik Bendjelloul
In den frühen 1970er Jahren nahm
der Songwriter Sixto Rodriguez aus
Detroit zwei Alben mit barock verschnörkeltem Psychedelic-Pop und
hermetischen Texten auf. Ein neuer
Dylan schien geboren, doch die Platten floppten und Rodriguez verschwand in der Obskurität. Auf verschlungenen Pfaden fand die Musik
den Weg nach Südafrika, wo der Sänger unversehens zum Superstar
wurde – ohne etwas davon zu wissen. Das Rockumentary zeigt unter
Einsatz von Interviews, inszenierten
Szenen und Animationen die Suche
nach einem mythenumwobenen
heiligen Gral der Rockgeschichte:
Rodriguez, the greatest 70s rock icon
who never was.
Mit ENJOY YOURSELF
30.10., 23.30 Uhr, Urania
2.11., 15.30 Uhr, Gartenbaukino
USA/Mexiko 2012, 60 Min, kein Dialog, Video
R: Peter Bo Rappmund
Der Künstler, Fotograf und Filmemacher Peter Bo Rappmund hat mit
TECTONICS eine ganz eigene, höchst
artifizielle Form eines Landschaftsfilms erfunden. Eine persönliche und
zugleich politische Studie über das
Phänomen Grenze, jene Grenze, die
die Vereinigten Staaten von Mexiko
trennt. Eine viel beschriebene und
analysierte Linie der Hoffnung und
Gewalt wird hier zu einer zittrigen,
geheimnisvollen, dann wieder überkonkreten Konstruktion. Absperrungen, das Wasser des Rio Grande, unsichtbare Übergänge, leere Ebenen
und volle Highways. Die Grenze als
eine experimentelle Seh- und Hörerfahrung, ein Kinoerlebnis, das man
so nicht geahnt und gekannt hat.
In Anwesenheit von Peter Bo Rappmund.
TONY CURTIS: DRIVEN TO STARDOM
F 2012, 96 Min, eOF, Video
R: Ian Ayres
Über seine Frisur, den mit Pomade
hochgetürmten «Curtis Cut», sagt
einer der interviewten Zeitzeugen:
«Man hatte den Eindruck, dass sein
Haar eigene Abenteuer erleben
würde.» DRIVEN TO STARDOM erzählt unter Einbindung zahlreicher
Weggefährten und Co-Aktricen die
rags to riches-Story von Tony Curtis,
einem jüdischen Jungen aus der
Bronx, der als Sexy boy zum Filmstar
und Rollenmodell wurde, aber sein
Leben lang um die Anerkennung als
seriöser Schauspieler kämpfte und
immer wieder von Drogen, Depressionen und Ehedramen aus der Bahn
geworfen wurde. Eine klassische
Hollywood-Saga aus einer Zeit, in
der die Devise «Manche mögen’s
heiß» galt.
In Anwesenheit von Christine Kaufmann
(Schauspielerin).
31.10., 23.30 Uhr, Urania
1.11., 21 Uhr, Urania
TROPICÁLIA
Brasilien 2012, 87 Min, OmeU, Video
R: Marcelo Machado
Tropicália war eine psychedelische
Kulturrevolution im Brasilien der
1960er Jahre. Im Schatten einer
Militärdiktatur fanden Popmusiker
wie Gilberto Gil und Caetano Veloso,
Filmemacher und Künstler zusammen, um sich kannibalisch an der
Kunst der reichen nördlichen Länder
zu nähren und daraus eine eigene
ästhetische Sprache zu destillieren.
Regisseur Machado verzichtet weitgehend auf in Ehren ergraute Talking
Heads und vertraut stattdessen dem
Period feeling von alten Fotos, Wochenschauberichten und Ausschnitten aus Fernsehshows. Doch wie er
diese Bilder montiert, koloriert und
zu visuellen Katarakten verdichtet –
das muss man gesehen haben.
1.11., 23 Uhr, Stadtkino
6.11., 18 Uhr, Stadtkino
TURNING
DK/USA 2011, 82 Min, OF, Video
R: Charles Atlas
Ausgangspunkt von TURNING war
das gleichnamige Konzertspektakel
von Antony and the Johnsons, bei
dem sich 13 faszinierende, außergewöhnliche Frauen aus New York mit
queer-Hintergrund auf einer Drehbühne spektakulär in Szene setzten,
ergänzt durch Bilder und Projektionen von Charles Atlas. Im Film wird
daraus ein dichtes Bedeutungsnetz
aus Bilderüberblendungen, erhellenden biografischen Konfessionen
und Antony Hegartys vibrierendem
Falsettgesang. Ein transsexuelles
Manifest sei dieser Film, heißt es
einmal. Man könnte auch sagen: ein
Karneval, ein Maskenspiel, ein spielerisches Plädoyer für das Andere.
Was zählt, das liegt dazwischen!
In Anwesenheit von Charles Atlas.
3.11., 13.30 Uhr, Urania
4.11., 23.30 Uhr, Gartenbaukino
29
V12_PG_Kern:V_PG
11.10.2012
10:47 Uhr
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Dokumentarfilme
UN MITO ANTROPOLOGICO TELEVISIVO
(An Anthropological Television Myth)
I 2011, 60 Min, OmeU, Video
R: Maria Helene Bertino, Dario Castelli,
Alessandro Gagliardo
tische Intervention bis zum Straßenkampf dokumentiert George als
Zeuge, als Komplize, als Staunender
immer zugleich den einen konkreten
Moment und eine historische Konstellation.
In Anwesenheit von Sylvain George.
27.10., 23 Uhr, Stadtkino
28.10., 18.30 Uhr, Künstlerhaus
THE WAR
nauso hart zu wie seinerzeit im Mai
1968.
26.10., 23.30 Uhr, Urania
29.10., 15.30 Uhr, Stadtkino
ZIMA, UHODI! (Winter, Go Away!)
Russland 2012, 79 Min, OmeU, Video
R: Elena Khoreva, Denis Klebleev, Dmitry
Kusabov, Askold Kurov, Nadezhda Leonteva,
Anna Moiseenko, Madina Mustafina, Sofia
Rodkevich, Anton Seregin, Alexey Zhiryakov
USA 2012, 55 Min, OmeU, Video
R: James Benning
Hinter dem seltsamen Titel versteckt
sich die beeindruckende und lebendige Montage von Fernsehaufnahmen eines sizilianischen Privatsenders der frühen 1990er Jahre: Fernsehbilder als die wahrhaftigen Dokumente einer Zeit der Gewalt, des Widerstandes, der legendären Mafiamorde in Catania und Umgebung. In
der Kleidung, den Gesichtern, den
Gesten und Aussagen der Menschen
liegt eine Zeit aufgehoben, die uns
heute zutiefst berührt und erstaunt.
20 Jahre sind vergangen und eine
andere Welt ist inzwischen entstanden, aber aus den TV-Archiven steigt
alltäglich und selbstverständlich
eine Geschichte herauf, die nicht
ruhen und verschwinden will.
In Anwesenheit der FilmemacherInnen.
Mit 25572 BÜTTEL
30.10., 18.30 Uhr, Metro
31.10., 11 Uhr, Urania
VERS MADRID (THE BURNING BRIGHT!)
F/E 2012, 60 Min, OmeU, Video
R: Sylvain George
Benning versammelt Material, das
einige der spektakulärsten Aktionen
der russischen Kunst-/AktivismusGruppe Voina («Krieg») zeigt – nicht
zuletzt den Anti-Putin-Auftritt der
aus Voina hervorgegangenen Frauengruppe Pussy Riot in der ErlöserKirche in Moskau, die zur Verurteilung von zwei der Protagonistinnen
und zu weltweiter Solidarität führte.
«Art Is Resistance» steht unmissverständlich auf dem T-Shirt von Natalia Sokol, einer der Voina-Mitbegründerinnen, und die Gruppe, die vor
allem in Petersburg und Moskau
agiert, lebt dieses Motto seit sechs
Jahren.
In Anwesenheit von James Benning.
Mit SHOOT DON’T SHOOT
1.11., 18.30 Uhr, Urania
2.11., 23 Uhr, Stadtkino
ZAVTRA (Tomorrow)
Als Dokumentarist hat George einen
unverwechselbaren, zugleich poetischen wie rohen Stil entwickelt. Sein
Kino ist von feiner Nuancierung und
musikalischer Struktur, zugleich von
interventionistischer Direktheit und
zutiefst agitatorisch. VERS MADRID
widmet sich der Bewegung der «Indignados» («Empörten»), die in Spanien gegen die ökonomische Diktatur und ihre politischen Handlanger
Widerstand leisten. Vom öffentlichen Streitgespräch über kabarettis30
Russland 2012, 90 Min, OmeU, Video
R: Andrey Gryazev
Durch das skandalöse «Pussy Riot»Urteil wurde politische Kunst wieder
zum weltweit diskutierten Thema.
Die notorische Frauenpunkband war
in ihrer Frühzeit Teil des subversiven
Street-Art-Kollektivs Voijna. Gryazev
begleitet die Gruppe mit der Handkamera bei ihren meist nächtlichen
pranks. Er dokumentiert im VeritéStil, wie sie ein Polizeiauto umkippen und die gefilmte Aktion dann ins
Internet stellen. Scherz, Satire und
dadaistische Zerstörungslust geben
Putins Willkürherrschaft der Lächerlichkeit preis. Die Polizeiknüppel
schlagen allerdings in Russland ge-
Im Vorfeld der russischen Präsidentschaftswahl im Winter 2011 entstand im Land eine bis dahin ungekannte Protestbewegung und ein
vielstimmiger Widerstand gegen den
undemokratischen und autoritären
Kurs Vladimir Putins. Wie zahlreich,
wie unterschiedlich, wie radikal, wie
erfinderisch und engagiert diese Bewegung war und ist und zugleich wie
zersplittert und voller Hoffnung –
das zeigt ZIMA, UHODI!. Als Kollektivarbeit von zehn Studenten einer
Moskauer Dokumentarfilmschule
entstanden, ist das, was diese Gruppe schließlich aus tausend Stunden
Material montiert hat, spannender
und aufschlussreicher als tausend
Fernsehfeatures und Analysen.
26.10., 15.30 Uhr, Stadtkino
6.11., 11 Uhr, Künstlerhaus
V12_PG_Kern:V_PG
11.10.2012
10:47 Uhr
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V12_PG_Kern:V_PG
11.10.2012
10:47 Uhr
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Kurzfilme
25572 BÜTTEL
D 2012, 5 Min, kein Dialog, Video
R: Rainer Komers
Komers Filme zeigen oft Orte, die
von Verfall und Zerstörung betroffen
sind. Nach Arbeiten in Alaska, Montana, Ecuador, Indien, Japan und im
Jemen sind es nun die Reste eines
Dorfes in Schleswig Holstein – umringt von Kernkraftwerken, Ruinen,
Stromkabeln und Windrädern (die
den Film mit einer sonderbaren
Soundtapete überziehen). Hat die
Energiewende hier bereits stattgefunden? Zu Beginn fliegt ein Vogelschwarm an einem Fluss vorbei, am
Ende tuckert ein riesiger Frachter
durchs Bild.
Mit UN MITO ANTROPOLOGICO TELEVISIVO
30.10., 18.30 Uhr, Metro
31.10., 11 Uhr, Urania
A STORY FOR THE MODLINS
E 2012, 26 Min, eOF, Video
R: Sergio Oksman
CENTURY
USA 2012, 7 Min, kein Dialog
R: Kevin Jerome Everson
THE CREATION AS WE SAW IT
GB/F 2012, 14 Min, OF, Video
R: Ben Rivers
Ein Auto wird platt gemacht. Immer
wieder hebt die Abrisszange einen
Betonrundblock auf und lässt ihn
auf das Blech niedersausen. Wohin
der rotbraune Buick Century seine
Fahrer einst gebracht hat, welche
Strecken er wohl zurückgelegt hat im
«land of the free»? Der Universalkünstler und Filmemacher Everson
beobachtet den Prozess der Havarie
und bebildert zugleich die Demontage einer ganzen Industrie – die sinnbildlich war für das Versprechen der
unbegrenzten Möglichkeiten und
Mobilität für alle: für den amerikanischen Mythos des zwanzigsten Jahrhunderts.
Mit TECTONICS
31.10., 21.30 Uhr, Künstlerhaus
2.11., 11 Uhr, Künstlerhaus
CHEZ NICOLE
Oksman hat seine Geschichte auf der
Straße gefunden: neben einer Mülltonne in Madrid, in einer Schachtel
voll mit Andenken aus dem Leben
der Familie Modlin. Zu unheimlich,
zu traurig und zu gut ist diese Geschichte, um erfunden zu sein. ROSEMARY’S BABY in fast forward gibt
dabei prophetisch den Ton an: von
der Schauspielkarriere, die nicht
werden will, von religiösem Eifer
und seltsamen Dingen, die hinter
Vorhängen geschehen. Bis zuletzt geheimnisvoll bleibt diese aus Puzzlesteinen meisterlich montierte Skizze. Und die Pointe: Der Zufall und
ein fremder Künstler schenken den
Modlins die Anerkennung, nach der
sie sich zeitlebens sehnten.
Mit THEIR HOUSES
26.10., 20.30 Uhr, Stadtkino
27.10., 23.30 Uhr, Urania
32
genen Wohnung, während Nicole auf
der Tonspur offen aus ihrem Leben
erzählt.
In Anwesenheit von Viki Kühn.
Mit EAST HASTINGS PHARMACY
28.10., 20.30 Uhr, Stadtkino
29.10., 23.30 Uhr, Urania
A 2012, 22 Min, OF, Video
R: Viki Kühn
Wollten Sie immer schon mal wissen, warum Schweine auf allen vieren gehen und warum ein Vulkan
dort zu liegen kommt, wo er dann
eben liegt? Dann schauen Sie sich
diese eigenwillige kleine Schöpfungsgeschichte an. Rivers, der sich
gern mit Kulturen weit abseits der
globalisierten Gesellschaft beschäftigt, besuchte den Inselstaat Vanuatu
im Südpazifik und erfuhr von den
Bewohnern drei oral legends von der
Herkunft des Menschen, von Mann
und Frau und vom Weg des Feuers.
Von diesen ausgehend fertigte er diesen wunderschön antik fotografierten Film.
Mit INORI
29.10., 11 Uhr, Künstlerhaus
7.11., 15.30 Uhr, Stadtkino
ENJOY YOURSELF
Die junge Künstlerin möchte mit
ihren Filmen vor allem eines: berühren. Das gelang ihr mit FRIEDL, und
es gelingt ihr auch mit diesem schön
gestalteten Porträt der als Lionel geborenen Französin Nicole, Vater von
vier Töchtern. Sie hat viel erlebt und
noch mehr durchgemacht, nach dem
Wechsel ihres Geschlechts mit fast
70 Jahren wurde sie Tänzerin, Kunsthandwerkerin und Fotomodell. Kühn
kommt ihrer Protagonistin respektvoll nahe (etwa bei der Kleider-Anprobe oder vor dem Schminkspiegel)
und zeigt sie beim Tänzeln in der ei-
Argentinien 2012, 3 Min, kein Dialog, Video
R: Gastón Solnicki
Der junge argentinische Filmemacher
Gastón Solnicki, der mit seinen
beiden Langfilmen SÜDEN und
PAPIROSEN bei der Viennale zu Gast
war, hat nun seinerseits dem Festival
ein besonderes Geschenk gemacht.
Einen kurzen Film mit dem Titel
ENJOY YOURSELF, den Solnicki der
Viennale zum 50-jährigen Bestehen
gewidmet hat. Und zum Jubiläum
zeigt die kleine Arbeit ausgelassen
tanzende Mädchen, aufgenommen
bei der Feier seiner Bar Mitzwa vor
etlichen Jahren. Ein wunderbarer
Moment der Selbstvergessenheit
und des Glücks, unterbrochen von
V12_PG_Kern:V_PG
11.10.2012
10:47 Uhr
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QUOD ERAT DEMONSTRANDUM
einem geheimnisvollen kleinen
Naturschauspiel. Wir nehmen das
Geschenk mit großer Freude an.
Mit SEARCHING FOR SUGAR MAN
30.10., 23.30 Uhr, Urania
2.11., 15.30 Uhr, Gartenbaukino
ERDBEERLAND (Maybes)
A 2012, 32 Min, OmeU, Video
R: Florian Pochlatko
Vom Erwachsenwerden wird hier erzählt, vom alltäglichen Gruppendruck, von der emotional komplexen
Kampfzone zwischen Spiel und
Ernst. Improvisierte Dialoge und
eine distanzlose Kamera verstärken
den Eindruck der tonalen Treffsicherheit eines Teenagerfilms, der
Adoleszenz als das zeigt, was sie in
der Regel ist: eine einzige Qual.
«ERDBEERLAND ist ein Film über
das Gefühl des Fremdseins in der eigenen Existenz, über den Schrecken
der Desillusionierung, die zwischen
Kindheit und Volljährigkeit liegt. Der
Geruch des teen spirit ist penetrant.»
(Stefan Grissemann)
In Anwesenheit von Florian Pochlatko.
Mit ONLY THE YOUNG
28.10., 21 Uhr, Metro
1.11., 23.30 Uhr, Künstlerhaus
FIREWORKS
F/I 2011, 21 Min, OmeU, Video
R: Giacomo Abbruzzese
Taranto, der Herkunftsort des 29-jährigen, zwischen Italien und Frankreich pendelnden Filmemachers, ist
eine Industriestadt in Süditalien und
ein ökologisches Inferno. Dem kann
nur mit Drastik begegnet werden:
Ein Neujahrsfeuerwerk bildet den
symbolischen Höhepunkt eines komplex politischen, widerständigen,
zwischen Wunschtraum und Realität
zu verortenden Filmessays, der letztlich in eine mehr cinematografische
als pyrotechnische Zerstörung mündet. «In Taranto spielen manche
Leute Revolution. Und wie alle
Kinder meinen sie das Spiel ernst.»
(Abbruzzese)
In Anwesenheit von Giacomo
Abbruzzese.
Mit AUTOPORTRAIT
30.10., 18 Uhr, Stadtkino
HOLLYWOOD MOVIE
D 2012, 7 Min, eOF, Video
R: Volker Schreiner
«You can make any Hollywood
movie interesting, if you cut the
movie several times …» Diese Anleitung aus «film scenario», einem Text
des Medienkunstpioniers Nam June
Paik, nimmt Schreiner wörtlich,
schneidet aus Dialogszenen dutzender Filme einzelne Wörter heraus
und reiht sie kunstvoll aneinander,
dergestalt dass sie oben erwähnten
Text ergeben. So spricht nicht nur
ein wild montiertes Schauspielerensemble von Michael Caine bis Sean
Connery, von Bogie bis Burt, von Katharine Hepburn bis Anne Heche in
bits and pieces von der Dekonstruktion der Kino-Erfahrung; so wird ein
theoretischer Text zugleich augenzwinkernd angewandt und medial
transformiert.
Mit HARRY DEAN STANTON: PARTLY FICTION
4.11., 18.30 Uhr, Urania
5.11., 13.30 Uhr, Künstlerhaus
LIKNELSEN OM SÅDDEN
(The Parable of the Sower)
S 2011, 6 Min, OmeU, Video
R: Zoltan Nestler
Der 2010 zu früh verstorbene Zoltan
Nestler hatte sich eine Geschichte
aus der Bibel vorgenommen. Sein
Vater, der Dokumentarfilmemacher
Peter Nestler, tritt darin als Bauer in
Erscheinung und hat den Film montiert. In apotheotischen Acker- und
Naturbildern, begleitet von Johann
Sebastian Bachs Kantate »Erhalt uns,
Herr, bei deinem Wort«, interpretiert
Nestler das von einem Off-Erzähler
(Ole Ohlsson) vorgetragene Gleichnis
vom Sämann. «Auf guten Boden ist
der Samen bei dem gesät, der das
Wort hört und es auch versteht; er
bringt dann Frucht, hundertfach
oder sechzigfach oder dreißigfach.»
Mit AGE IS
30.10., 16 Uhr, Urania
31.10., 13 Uhr, Stadtkino
LE NAUFRAGÉ (Stranded)
F 2009, 25 Min, OmeU, Video
R: Guillaume Brac
Ein junger Pariser fährt Beziehungsproblemen mit dem Rennrad davon.
Nach einer Panne ist der Mann im
blau-rosa Trikot in der Provinz gestrandet und lässt sich nach und
nach mit einem freundlichen Ortsansässigen ein – der letztlich stärker in
die Situation eingreifen wird als ihm
lieb ist. Auf hübschen Umwegen und
in annähernd dokumentarischem
Stil erzählt Brac von zwei unfreiwillig komischen Typen, deren Liebesbedürftigkeit sich nicht mit ihrer jeweiligen Liebesfähigkeit deckt.
Mit UN MONDE SANS FEMMES
31.10., 11 Uhr, Künstlerhaus
5.11., 18.30 Uhr, Künstlerhaus
33
V12_PG_Kern:V_PG
11.10.2012
10:47 Uhr
Seite 34
Kurzfilme
NOTES FOR A POLISH JEW
USA 2012, 8 Min, stumm, Video
R: Abraham Ravett
Bereits in einigen Filmen hat Ravett
sich mit seiner jüdischen Herkunft
und mit seinen Eltern beschäftigt,
die beide Auschwitz überlebt hatten.
Hier macht er sich über Straßenszenen aus dem Lodz der 1980er Jahre
her, zerschnipselt, spult, zeichnet
und färbt drunter und drüber und
bringt sogar die einzelnen Filmkader
zum Laufen. Dazwischen, wie oft bei
Ravett: Schwarz als Symbol für die
Lücken eines Erinnerungsfilms. «If
his father had lived beyond the age
of seventy-four, the following may
have been the cinematic response to
the city where in 1944, he last saw
his family.»
Mit LACAN PALESTINE
5.11., 15.30 Uhr, Stadtkino
NOTIZ SPEISEWAGEN
A 2012, 12 Min, kein Dialog
R: Manfred Schwaba
SHOOT DON’T SHOOT
USA 2012, 5 Min, OF, Video
R: William E. Jones
Ohne Zweifel stammt die Szene aus
einem Trainingsfilm für Straßenpolizisten. Aus welcher Zeit, das lässt
sich am Zustand des Materials, an
der Mode und Architektur abschätzen. Ein Afroamerikaner, auf den die
Beschreibung eines bewaffneten Verdächtigen zutrifft, nähert sich an
einer belebten Ecke einer Kinokassa.
Die Entscheidung des Cops im Kopf
des Zuschauers: Schießen oder nicht
schießen? Mit dieser hochpolitischen Miniatur untermauert Jones
erneut seinen Status als Meister der
Entdeckung und ironischen Adaption von Archivmaterial.
Mit THE WAR
1.11., 18.30 Uhr, Urania
2.11., 23 Uhr, Stadtkino
Kurzfilm über eine Nachbarschaft
einen ganzen Kosmos. Äußerst
selbstreflexiv, Kunst und Leben vermischend, kompiliert das amerikanische Regietalent Cam Archer (SHIT
YEAR, 2010) Videobilder und
Sounds aus seiner Umgebung, spielt
sich ausgiebig mit dem Material und
lässt Schauspielerin Jena Malone
einen meta-referenziellen Off-Text
dazu sprechen. Was das Ganze mit in
Büschen hängenden Herren-Slips zu
tun hat, sehen Sie am besten selbst.
Mit A STORY FOR THE MODLINS
26.10., 20.30 Uhr, Stadtkino
27.10., 23.30 Uhr, Urania
VIENNALE-TRAILER 2012: KINO
F/A 2011, 1 Min, eOF
R: Chris Marker
SNOW TAPES
Bilder aus einem slowenischen Speisewagen und dazu die Töne eines
Geigen-Oboen-Quintetts vom Klangforum Wien ergeben eine scheinbar
redundante, jedoch auf Nuancen
achtende Komposition. Eine Hand
auf einem leeren Schreibblock, der
Stift liegt daneben, vor den Fenstern
Sonnenblumen in blauen Vasen,
draußen rast die Landschaft vorbei;
die Notizen machen Kamera und Mikrofon. Und wieder, und anders, und
wieder, und anders, und plötzlich ist
man mittendrin im kakophonischen
Sog des Sounds und will den Block
vollschreiben.
In Anwesenheit von Manfred Schwaba.
Mit ABER DAS WORT HUND BELLT JA NICHT
29.10., 16 Uhr, Urania
30.10., 13 Uhr, Stadtkino
Israel/Palästina 2011, 14 Min, OmeU, Video
R: Mich’ael Zupraner
Der Israel-Palästina-Konflikt, heruntergebrochen auf ein Kinderspiel im
Homevideo-Format. Der Filmemacher
lieh einem palästinensischen Vater
seine Kamera, der zeichnete damit
eine Schneeballschlacht in Hebron
auf. Eine Sichtung des Videos im
Kreis der Familie zieht Zupraner per
Splitscreen-Verfahren ein, und so
wendet der berührende Gewinnerfilm von Oberhausen die Seiten einer
im Grunde harmlosen Auseinandersetzung, deren Gewaltpotenzial man
an der blutigen Geschichte des Westjordanlands zu messen verführt ist.
Kinder an die Macht: Sie werfen
Schneebälle statt Steine.
Mit 5 BROKEN CAMERAS
29.10., 18.30 Uhr, Künstlerhaus
2.11., 13.30 Uhr, Urania
THEIR HOUSES
USA 2011, 32 Min, OF, Video
R: Cam Archer
Die Faszinationskraft des Kinos kann
darin liegen, in einer Szene eine
ganze Welt zu verdichten. Oder, im
Fall von THEIR HOUSES, in einem
34
Der kürzlich verstorbene französische Filmessayist Chris Marker steuert posthum den Viennale-Jubiläumstrailer bei: eine überraschend
verspielte Miniaturlektion in Filmgeschichte. Von Georges Méliès angefangen habe das Kino gesucht nach
dem «perfekten Zuschauer», aber gefunden ward dieser erst jüngst, wie
diese schelmisch funkelnde Perle
enthüllt. Ironie statt Vermächtnis
steckt in der ultimativen Verbeugung
des legendären, einflussreichen Gesamtkünstlers vor den Titanen des
Kinos, und hinaus läuft alles auf
einen verschmitzten Twist.
Mit ARGO
25.10., 19.30 Uhr, Gartenbaukino
25.10., 23.30 Uhr, Gartenbaukino
Der Trailer wird während des
Festivals als Überraschung immer
wieder gezeigt.
V12_PG_Kern:V_PG
11.10.2012
KURZFILMPROGRAMM 1 (63 MIN)
10:47 Uhr
Seite 35
RIVER RITES
WALKER
MANHÃ DE SANTO ANTÓNIO
1.11., 11 Uhr, Urania
6.11., 11 Uhr, Urania
einer wandelnden Kunst-Installation
im öffentlichen Raum. Entsprechend
könnte man sich Meister Tsais herrlich fotografierten Film auch im Ausstellungskontext vorstellen. Museum
in very slow progress sozusagen.
RIVER RITES
MANHÃ DE SANTO ANTÓNIO
USA/Surinam 2011, 12 Min,
kein Dialog, Video
R: Ben Russell
(Morning of Saint Anthony’s Day)
P/F 2011, 24 Min, OmeU, Video
R: João Pedro Rodrigues
ge Filmemacher der Welt, dessen
Karriere sich von der Stummfilmära
bis zum digitalen Zeitalter spannt;
sein Hauptwerk entstand ab einem
Alter, in dem andere in Pension
gehen. Ausschnitte aus O ESTRANHO CASO DE ANGÉLICA (2010) bebildern das respektvolle Porträt des
101-Jährigen, das Miñarro, Ko-Produzent von Oliveiras jüngsten beiden Langfilmen, gestaltet hat.
MANHÃ DE SANTO ANTÓNIO
(Morning of Saint Anthony’s Day)
P/F 2011, 24 Min, OmeU, Video
R: João Pedro Rodrigues
(Siehe Kurzfilmprogramm 1, S. 35)
OS VIVOS TAMBÉM CHORAM
(The Living Also Cry)
Der Voodoo, den man als herkömmlicher Beobachter mit schwarzen indigenen Kulturen zu verbinden eingetrichtert bekommen hat – in diesem eindrücklichen Flussfilm aus
der Reihe «Altered States» wird er
auf einfachste und doch kongeniale
Weise suspendiert. Man sieht Kinder, Frauen und Männer beim Arbeiten und Spielen, beim Schwimmen
und Springen und Plantschen im
Wasser. Dabei schärft sich der ethnografische Blick: Voodoo nämlich fabrizieren die Kamera, die das Geschehen rückwärts ablaufen, und die
wummernde Hintergrundmusik, die
den ganzen Zauber zeitweilig ins Ermessliche anschwellen lässt.
WALKER
Hongkong/Taiwan 2012, 27 Min,
kein Dialog, Video
R: Tsai Ming-liang
Ach ja, die Liebenden. Wie ferngesteuert schreiten sie dahin, manche
fallen, stehen wieder auf, andere
bleiben liegen oder gehen unter. Lissabon macht sich bereit für den 13.
Juni, den Tag des Namenspatrons
der Stadt, an dem traditionell Basilikumtöpfchen und Blümchen mit affichierten Aperçus den Geliebten
dargeboten werden. Aber welch seltsam Liebende sind das hier? Als hätten sich Zombies zu einem Flashmob
verabredet! Diesem verstörenden
Liebesfilmgedicht wohnt ein Vierzeiler des portugiesischen Lyrikers Fernando Pessoa inne: «Es ist besser
nicht hinzugehen, wo man nicht sein
wird», heißt es da.
KURZFILMPROGRAMM 2 (75 Min)
101
MANHÃ DE SANTO ANTÓNIO
OS VIVOS TAMBÉM CHORAM
2.11., 11 Uhr, Urania
101
CH/P 2012, 31 Min, OmeU, DCP
R: Basil Da Cunha
Zé arbeitet an den Docks von Lissabon; ohne jemals selbst an Bord
eines Schiffs gegangen zu sein, lädt
und entlädt er täglich Fracht aus der
ganzen Welt. Doch er hat heimlich
Geld gespart, um nach Schweden zu
reisen. Als seine Frau das Geld findet
und sofort ausgibt, spitzt sich seine
Situation zu. Über nervös-intime
Kameraarbeit, sorgfältiges Sounddesign und das ignorante Verhalten
von Zés Umfeld versteht es der junge
portugiesisch-stämmige Schweizer
Basil De Cunha, die psychische Krise
seines 50-jährigen alkoholkranken
Protagonisten zu vermitteln.
E/P 2012, 20 Min, OmeU, Video
R: Luis Miñarro
Ein Schritt pro Minute: Buchstäblich
im Schneckentempo bewegt sich ein
Mönch in roter Kutte, eine Semmel
in der einen, ein Plastiksackerl in der
anderen Hand, vornübergebeugt
durch ein um ihn herum pulsierendes Hongkong. So wirkt er wie das
erratisch entschleunigte Zentrum
eines Laufbildgemäldes der lärmenden Metropole, macht den Eindruck
Das Filmen halte ihn am Leben wie
das Essen, sagt Manoel de Oliveira.
Er ist der älteste aktive und der einzi35
V12_PG_Kern:V_PG
11.10.2012
10:47 Uhr
Seite 36
Kurzfilme
KURZFILMPROGRAMM 3 (67 MIN)
ES WAR EIN TAG WIE JEDER ANDERE IM
FRÜHLING ODER SOMMER.
PAPERWORK
RECONNAISSANCE
TANTE ELFI BASTELT. DER KOLIBRI
48 KÖPFE AUS DEM MERKUROV MUSEUM
(NACH KURT KREN)
TRESPASS
In Anwesenheit von Selma Doborac,
Sasha Pirker, Johann Lurf, Lia Juresch,
Anna Artaker, Paul Wenninger.
4.11., 21 Uhr, Urania
7.11., 13 Uhr, Stadtkino
ES WAR EIN TAG WIE JEDER ANDERE IM
FRÜHLING ODER SOMMER.
A/BiH 2012, 17 Min, stumm/dt. Text, Video
R: Selma Doborac
Ein Erinnerungsfilm, der darüber reflektiert, dass Erinnerung nicht darstellbar ist: Kamera-Fahrten aus dem
Auto heraus – über Land, durch Orte
und Industriegebiete – gliedern das
Vergangene (ein Bombenangriff im
Bosnien-Krieg 1992) im Heute; eine
Text-Spur berichtet in drei Episoden
von den damaligen Erlebnissen einer
Familie. «Die in Titel gefassten Erinnerungsschichten (de)konstruieren
die Nicht-Vermittelbarkeit, die in
Fahrten gelegten Landschaftsbilder
betiteln und verschenken währenddessen die Nicht-Abbildbarkeit von
(kriegerischen) Handlungen.»
(Selma Doborac)
Niemeyer: Die 1978 bis 1981 entstandene Zentrale des Burgo-Konzerns im italienischen San Mauro
schneidet sie gegen Bilder und Geräusche des Produktionsprozesses
in einer Papierfabrik des Unternehmens. Und einmal mehr geht es
darum, wie die Gestaltung des
Raums die Bewegungsformen der
Menschen determiniert, wie man
durch die Wahrnehmung von Architektur über die Gesellschaft reflektieren kann.
RECONNAISSANCE
USA/A 2012, 5 Min, stumm, Video
R: Johann Lurf
Ein verlassener Torpedotest-Stützpunkt an einem Staudamm bei
Azusa, Kalifornien. Morris Reservoir
heißt der Schauplatz des neuen
Films von Lurf, sein Schau-Wert ergibt sich aus den subtil gerundeten
oder leise flirrenden Bewegungen,
aus den Verfremdungseffekten der
Bilder, die zugleich unsere visuelle
Wahrnehmung auf die Probe stellen
und ein ganzes Reservoir an möglichen Assoziationen bergen. «A true
mindbender», nannte der US-amerikanische Kritiker Michael Sicinski
diese raffinierte Studie.
Einmal mehr studiert Sasha Pirker,
hier in Kamera-Kooperation mit
Johannes Hammel, ein Gebäude
des visionären Architekten Oscar
36
48 KÖPFE AUS DEM MERKUROV
MUSEUM (NACH KURT KREN)
A 2012, 4 Min, stumm, Video
R: Anna Artaker
Aus einem psychologischen Test für
experimentelle Triebdiagnostik
machte Kurt Kren 1960 einen Wahrnehmungstest: 48 KÖPFE AUS DEM
SZONDI-TEST. Darauf Bezug nehmend beschäftigt sich die Künstlerin
mit Totenmasken von der Hand des
sowjetischen Bildhauers Sergej Merkurov (1881–1952), formt Fotografien aus diesem «Archiv der Gesichter des Sowjetregimes» medial unterschiedlich aus. Artakers Anliegen:
«… eine kritische Revision, die
immer auch eine Auseinandersetzung mit Visualisierungsprozessen
meint.» (Naoko Kaltschmidt)
TRESPASS
A 2012, 11 Min, kein Dialog, Video
R: Paul Wenninger
TANTE ELFI BASTELT. DER KOLIBRI
(Aunt Elfi’s Making Things.
The Humming Bird)
A 2012, 15 Min, OmeU, Video
R: Lia Juresch
PAPERWORK
A/I 2012, 15 Min, kein Dialog, Video
R: Sasha Pirker
wie vor raren weiblichen Comedians
zur Aufführung bringt.» (Christa
Benzer)
In ihrem doppelbödigen Humor ist
die groteske Geschichte von Lia Juresch ebenso mit Valentinaden verwandt wie mit den Videos von Kurdwin Ayub: Eine junge Frau ist in den
Keller gegangen und berichtet in
einer so hausbackenen Sprache, als
hätte ihre Großtante sich ein TVTeam herbeigewünscht, von einem
angeblichen Defekt des Holzofens.
«Zusammengenommen ergeben
diese nur allzu bekannten, überwiegend peinlich berührenden Sätze als
Grundlage der ungewöhnlichen Alltagsgeschichte ein ziemlich komisches Bild, das hier eine der nach
Eine ingeniös-fantasievolle Real-Animation, in der titelgemäß eine Grenze nach der anderen überschritten
wird. Ein Avatar des Regisseurs wird
quasi in den eigenen vier Wänden
auf Weltreise geschickt. Doch während die Schauplätze nur so ineinander purzeln, scheint der statuenhaft
steife Protagonist (Nik Hummer) von
all dem nicht angefochten. Am Ende
eine paradoxe Wendung: «Nicht die
Welt, ein anderes Leben, eine fremde
Macht ist plötzlich spürbar, sondern
die eigene Lebendigkeit wird mit
Fortdauer des Films immer mehr
entäußert.» (Christian Höller)
V12_PG_Kern:V_PG
11.10.2012
10:47 Uhr
Seite 37
KURZFILMPROGRAMM 4 (67 MIN)
WERNER SCHROETER
QUOD ERAT DEMONSTRANDUM
101
L’APRÈS-MIDI PRÈS DU TOMBEAU
DE FALCONETTI
5.11., 18.30 Uhr, Urania
WERNER SCHROETER
D 2012, 11 Min, OF, DCP
R: Rosa von Praunheim
Carl Theodor Dreyers 1928 entstandenem Stummfilm DIE PASSION
DER JUNGFRAU VON ORLÉANS.
Später hat sie sich in Buenos Aires,
wohin sie zurückgekehrt war, das
Leben genommen. Jetzt leistet ihr
der alte Mann, der dabei mit seinem
Spazierstock spielt, ein wenig Gesellschaft. Bis er gestört wird.
melt. Ein jährliches Ritual, dessen
poetische Symbolik zu Reflexion
inspiriert: Eine Metapher für das
Niederbrennen der herrschenden
Armutsverhältnisse? «Es könnte
das Feuer in den französischen
Vorstädten sein, man kann es
auf die deportierten und zwangsrepatriierten Roma Europas beziehen, weltweite Proteste gegen Irakund Afghanistankrieg oder die
jüngsten Aufstände in Nordafrika
und im Mittleren Osten damit assoziieren – in jedem Fall die Hoffnung
auf eine gerechtere Welt.»
(Tudor/Vatamanu)
SNOW CITY
Singapur 2011, 16 Min, eOF, Video
R: Tan Pin Pin
(siehe Filmprogramm
Rosa von Praunheim, S. 38)
QUOD ERAT DEMONSTRANDUM
CH 2012, 26 Min, OmeU, Video
R: Fabrice Aragno
Das französischsprachige Fernsehen
der Ostschweiz hat eine kleine
Reihe mit Porträts über wesentliche
Schweizer Filmemacher in Auftrag
gegeben; eine davon ist dem am
Genfer See lebenden Jean-Luc
Godard gewidmet. Die rund 20-minütige Arbeit des Filmemachers und
engen Mitarbeiter des Regisseurs,
Fabrice Aragno, ist dementsprechend
eine Art Gemeinschaftsarbeit von
Godard und Aragno geworden. Eine
Kompilation und immer wieder
überraschende und vielschichtige
Montage aus Filmen Jean-Luc
Godards und einiger anderer
Regisseure. Starring JLG.
101
E/P 2012, 20 Min, OmeU, Video
R: Luis Miñarro
(siehe Kurzfilmprogramm 2, S. 35)
L’ APRÈS-MIDI PRÈS DU
TOMBEAU DE FALCONETTI
(Afternoon Near the Tomb of Falconetti)
F 2012, 10 Min, OmeU, Video
R: Oleg Tcherny
An einem sonnigen Nachmittag sitzt
ein älterer Mann im Schatten der
Bäume des Friedhofs Montmartre in
Paris. Am Rande des Grabes der großen Schauspielerin Falconetti (18921946). Sie hat unvergessliche Berühmtheit erlangt als Jeanne d’Arc in
KURZFILMPROGRAMM 5 (57 Min)
SKINNINGROVE
RITE OF SPRING
SNOW CITY
WALK-THROUGH
6.11., 16 Uhr, Metro
SKINNINGROVE
USA 2012, 15 Min, OF, Video
R: Michael Almereyda
Chris Killip, auf der Isle of Man geborener Fotograf und seit 20 Jahren
Harvard-Professor, produzierte in
den 1980er Jahren essayistische
Sozialreportagen in Nordengland,
unter anderem in dem abgelegenen
Fischerdorf Skinningrove. Und so
pittoresk und romantisierend seine
mit einer Plattenkamera aufgenommenen Schwarzweiß-Bilder mitunter
auch wirken – das beweist diese von
ihm kommentierte und von Almereyda aufgezeichete Diashow – so
klar erscheint in ihnen Killips Kenntnis dieser Landschaft und der Lebensbedingungen ihrer Menschen.
Die Eröffnung eines Autobahntunnels, tauchende Eisbären im Zoo,
mit Schwemmgestein vermischte
Kachelteile am Meer, Büroszenen,
das Treiben in der titelgebenden
Schnee-Vergnügungshalle. Die
Dokumentarfilmemacherin Tan Pin
Pin hat in ihrem Archiv verstreuter
Szenen aus Singapur gekramt und
humorvolle Querbezüge gefunden.
Eine bizarr improvisierte Autowaschanlage an einer Baustelle, die einem
Fiebertraum entsprungen scheint,
bildet den passenden Höhepunkt:
«It felt dreamlike while we were
editing it so you could say it was
held together by a feverish dream.»
(Tan Pin Pin)
RITE OF SPRING
WALK-THROUGH
Rumänien 2010, 8 Min, stumm, Video
R: Mona Vatamanu, Florin Tudor
Roma-Kinder zünden Pappelflaum
an, der sich am Straßenrand sam-
USA/GB 2012, 18 Min, OF, Video
R: Redmond Entwistle
Der britische Künstler Entwistle besucht das California Institute of the
Arts, wo er Ende der 1990er Jahre
studiert hat. Beginnend als Führung
durch den «CalArts»-Campus, zeichnet der Film einerseits mit Archivbildern die Geschichte der Schule
nach und umreißt ihr von Walt
Disney erdachtes Konzept. Andererseits entsteht Kunst für den Film
selbst: Ehemalige Studenten und
Schauspieler stellen in einem fiktio37
V12_PG_Kern:V_PG
11.10.2012
10:47 Uhr
Seite 38
Kurzfilme
darf der Titel des Beitrags von
Gustav Deutsch 1996 gelten:
FILM IST MEHR ALS FILM.
LA MADRE
CH 2012, 20 Min, iOmeU, DCP
R: Jean-Marie Straub
FILMPROGRAMM
ROSA VON PRAUNHEIM (84 Min)
EIN HARTES LEBEN
D 2012, 15 Min, OF, DCP
R: Rosa von Praunheim, Oliver Kusio
MEINE NACHBARN
D 2012, 29 Min, OF, DCP
R: Rosa von Praunheim
WERNER SCHROETER
D 2012, 11 Min, OF, DCP
R: Rosa von Praunheim
nalen Re-enactment die radikal
struktur- und diskussionsoffenen
und insofern basisdemokratischen
Kurse unter Michael Asher nach.
«Selbstfindung statt Lernzwang» war
und ist das Wesen der Ausbildung
am CalArts.
KURZFILMPROGRAMM 6 (72 Min)
20 LITTLE FILMS
LA MADRE
QUOD ERAT DEMONSTRANDUM
6.11., 21 Uhr, Urania
20 LITTLE FILMS
A 1995–2012, 26 Min, OF
Die Kurzversion der kurzen Form,
die kondensierte Form der Cinephilie: Seit 1995 bat die Viennale jedes
Jahr einen renommierten Filmkünstler (und 2004 mit Agnès Varda eine
Künstlerin), einen annähernd einminütigen Trailer als Einführung zum
Festival beizutragen. Also nicht in
Form eines Werbeclips, sondern als
Momentaufnahme, die auch für sich
stehen kann. Dabei sind über die
Jahre essayistische, überraschende,
philosophische, zärtliche und kraftvolle, mysteriöse und höchst abstrakte, persönliche und politische
kleine Preziosen entstanden, von
Meistern ihres Fachs wie Stan Brakhage, Jonas Mekas, Apichatpong
Weerasethakul, Jean-Luc Godard und
David Lynch, um nur einige von
ihnen zu nennen. Zum Jubiläum
werden diese «real little films», wie
Mekas die Trailer einmal nannte,
nun erstmals alle zusammen gezeigt
und damit in einen gänzlich neuen,
spannenden Rezeptionszusammenhang gestellt. Programmatisch dafür
38
SCHWESTERN DER PERPETUELLEN INDULGENZ
D 2012, 11 Min, OF, DCP
R: Rosa von Praunheim
ICH BIN EIN GEDICHT
D 2012, 18 Min, OF, DCP
R: Elfi Mikesch
Die Texte in Cesare Paveses «Dialoghi con Leucò» (1947) haben Anteil
am Alten und am Neuen. Sie sind
aus der Erfahrung der Moderne
entstanden und leihen ihr Gewand
und ihre Figuren von den uralten
Geschichten und Mythen. Die Rede
ist von den Jahren und den Tagen.
Es ist jene lebendige Spannung,
jener Bogen zwischen Mythos und
Moderne, der uns so tief anrührt in
Paveses Schriften und der als neue
Erfahrung so wunderbar hineinragt
in diesen kleinen Film von JeanMarie Straub. Aber was heißt hier
«klein». LA MADRE ist ein Monumentalfilm und das vielleicht
Schönste an ihm ist seine vollkommene Durchsichtigkeit und sein
vollkommenes Dunkel zugleich.
QUOD ERAT DEMONSTRANDUM
CH 2012, 26 Min, OmeU, Video
R: Fabrice Aragno
Das französischsprachige Fernsehen
der Ostschweiz hat eine kleine
Reihe mit Porträts über wesentliche
Schweizer Filmemacher in Auftrag
gegeben; eine davon ist dem am
Genfer See lebenden Jean-Luc
Godard gewidmet. Die rund 20-minütige Arbeit des Filmemachers und
engen Mitarbeiter des Regisseurs,
Fabrice Aragno, ist dementsprechend
eine Art Gemeinschaftsarbeit von
Godard und Aragno geworden. Eine
Kompilation und immer wieder
überraschende und vielschichtige
Montage aus Filmen Jean-Luc
Godards und einiger anderer
Regisseure. Starring JLG.
ICH BIN EIN GEDICHT
Rosas Welt ist prall und saftig, teilnahmsvoll und berührend, mehr
denn je: 70 neue Filme legt die immerjunge Berliner Ikone der Schwulenszene als Teil opulenter Geburtstagsfeierlichkeiten zu ihrem Siebziger am 25. November 2012 vor.
Filme über starke Frauen, starke
Schwule, Pornostars, Drag Queens,
Transgender-Menschen und, man
höre und staune, über sensible Heteros. In mehr als 20 Stunden Film fächert sich ein charmant megalomanes Leporello von Menschen- und
Sittenbildern auf, das man in diesem
Facettenreichtum noch nicht gesehen hat. Fünf Filme in knapp eineinhalb Stunden daraus versammelt
das hier gezeigte Programm, darunter ICH BIN EIN GEDICHT, ein von
Praunheims bester Freundin Elfi
Mikesch gestaltetes Porträt des Porträtierers («Da erkennt man, dass ich
ein verkannter Dichter und Maler
bin»), und elf Gesprächsminuten, die
Praunheim mit seinem einstigen
Weggefährten verbrachte und die
sich als letztes Interview mit dem
2010 verstorbenen Werner Schroeter
herausstellen sollten. (Dem wiederum ein eigenes Programm mit seinen frühen, restaurierten Filmen
gewidmet ist) Seine Nachbarn Conny
und Gerd nimmt Rosa ebenso interessiert in den Blick wie, in EIN
HARTES LEBEN, seine «Reinemachefrau», «eine wahre Heldin der
V12_PG_Kern:V_PG
11.10.2012
Arbeit», die in Berlin Geld für ihre
Familie in Breslau verdient. Oder die
Berliner «Schwestern der Perpetuellen Indulgenz», die auf Parties und
bei Events in Nonnenkostümen über
AIDS-Prävention aufklären. Die
Liebe scheint dem «liebevollen Provokateur» Praunheim inzwischen
wichtiger als die Provokation.
In Anwesenheit von
Rosa von Praunheim.
5.11., 18 Uhr, Gartenbaukino
FILME VON
JEAN-CLAUDE ROUSSEAU (71 Min)
VENISE N’EXISTE PAS
F 1984, 11 Min, kein Dialog
KEEP IN TOUCH
F 1987, 25 Min, eOF
NUIT BLANCHE
F 2011, 2 Min, kein Dialog, Video
ATTIQUE
F 2011, 3 Min, kein Dialog, Video
DERNIER SOUPIR
10:47 Uhr
Seite 39
SAUDADE
(Licht) und ein leerer Schreibblock
(Gedächtnis) bekommen die Bedeutung, die ihnen in diesem Arrangement zusteht. Und dazwischen
nächtliche Eistänzer, zu deren fließenden Bewegungen Rousseau eine
Melodie summt. Einer der schönsten
Momente in einem Programm, das
aus Momenten Ewigkeiten werden
lässt.
In Anwesenheit von
Jean-Claude Rousseau.
2.11., 18.30 Uhr, Künstlerhaus
3.11., 13.30 Uhr, Künstlerhaus
F 2011, 2 Min, kein Dialog, Video
SAUDADE
F 2012, 14 Min, kein Dialog, Video
FILME VON
WERNER SCHROETER (94 Min)
F 2011, 4 Min, kein Dialog, Video
CARLA (CARLA SINGT CALLAS)
F 2011, 10 Min, kein Dialog, Video
MARIA CALLAS SINGT 1957 REZITATIV UND ARIE
DER ELVIRA AUS ERNANI 1844 VON GUISEPPE
VERDI (CALLAS I, II, III, IV)
UN JOUR
SENZA MOSTRA
BRD 1968, 5 Min, kein Dialog, Video
BRD 1968, 11 Min, OF, Video
LA MORTE D’ISOTTA
BRD 1968, 37 Min, OF, Video
HIMMEL HOCH
BRD 1968, 10 Min, kein Dialog, Video
PAULA – «JE REVIENS»
NUIT BLANCHE
Jean-Claude Rousseau ist einer der
eigenwilligsten Einzelkämpfer des
französischen Kinos. In seinen meist
kurzen Arbeiten – auch dieses Programm versammelt acht ausgewählte Miniaturen – geht es um nichts
Geringeres als um das Kino selbst:
Raum, Zeit und Bewegung. So abstrakt diese Begriffe auch einzeln erscheinen mögen, in ihrer Gesamtheit
erlangen sie bei Rousseau ihre Bestimmung: Ein Mensch (oder eben
niemand) bewegt sich (oder eben
nicht) für eine gewisse Zeit in einem
Raum (oder blickt in einen anderen).
Im zweiten und zugleich längsten
Film dieser Reihe, KEEP IN TOUCH,
entstanden 1987 in New York, sieht
man Rousseau in einem Zimmer sitzend, wartend. Stimmen hinterlassen Botschaften auf seinem Anrufbeantworter (Ton), eine Tischlampe
BRD 1968, 31 Min, kein Dialog, Video
Werner Schroeter war einer von 55
ausgewählten Studenten des ersten
Jahrgangs der HFF in München 1967.
Doch bald schon besuchte er die
theorielastigen Vorlesungen nicht
mehr und fuhr stattdessen zum Exprmtlfilmfestival in Knokke, wo er
Rosa von Praunheim kennen lernte.
Schroeter begann, mit seiner 8mmKamera zu experimentieren und in
kurzer Zeit entstanden etwa ein Dutzend Arbeiten, die nur sehr selten
außerhalb des privaten Kontextes zu
sehen waren. »Ich habe nie gedacht,
dass jemand die Filme anschaut», so
Schroeter, »der Gesichtspunkt, sie
anderen Leuten zu zeigen, war bei
mir wirklich privat-kommunikativer
Natur, ich hab’ sie Freunden gezeigt
oder so.” In diesen frühen, in ihrer
Intimität und Freiheit beglückenden
Filmen finden sich bereits zentrale
Motive von Schroeters weiterem
Werk: die ungezügelte Lust am Melodram und die orgiastische Leidenschaft für die göttliche, die einzige,
unsterbliche Callas.
HIMMEL HOCH
Allerdings veranlasste der prekäre
Zustand des Originalmaterials den
Filmemacher vor einigen Jahren
dazu, weitere Aufführungen der
Filme zu verbieten. Und erst durch
digitale Umkopierungen, in denen
die Bildwirkung der 8mm-Originalmaterialien bewahrt wurde, und
durch die Rekonstruktion der originalen Töne wird es nun zum Beispiel
auch wieder möglich zu erkennen,
wie genau die Filme auf die Tonspuren hin konzipiert und geschnitten
sind. Vor allem aber eröffnet die vorliegende Restaurierung die Möglichkeit, in einen sich bildenden filmischen Kosmos einzutauchen: Werner
Schroeter als nackte Diva, Carla Aulaulu als die Göttliche, der Liebestod
der Isolde. Für wen hat die Callas je
schöner gesungen?
1.11., 15.30 Uhr, Stadtkino
2.11., 23.30 Uhr, Urania
CARLA
39
V12_PG_Kern:V_PG
11.10.2012
10:47 Uhr
Seite 40
Tribute
MICHAEL CAINE
«Such is an actor’s life. We must ride
the waves of every film, barfing occasionally, yet maintain our dignity, even
as the bulk of our Herculean efforts are
keel-hauled before our very eyes.»
(Michael Caine)
Rund zehn Jahre hatte sich der
1933 als Maurice Joseph Micklewhite
in London geborene Michael Caine bereits in Nebenrollen durch Britanniens
Film- und TV-Landschaft geschlagen,
ehe ihn Mitte der 1960er Jahre zwei
für seine Karriere wegweisende Filme doch noch zum Star machten. Der
Spionagethriller THE IPCRESS FILE (Sidney J. Furie, 1965) präsentierte ihn
in der Rolle des Geheimagenten Harry Palmer als bodenständigen Stoiker
mit Cockney-Dialekt, der gerne zuhause kocht und seinen Vorgesetzten mit
ironischer Renitenz begegnet: ein perfekter Anti-James Bond. Wenig später
gelang Caine der internationale Durchbruch als zynischer Frauenheld in
ALFIE (1966), einem der größten kommerziellen Erfolge des englischen Kinos
in den USA. Caines «britishness» und sein ironischer Witz wurden alsbald
zum Markenzeichen einer bis heute andauernden Weltkarriere, in der er
mit der Fähigkeit, seinen kühlen Charme von kaum verhüllter Emotionalität
bis zur teilnahmslosen Kaltblütigkeit variieren zu lassen, jedes erdenkliche
Genre mit Bravour meistert. Vielfach – unter anderem mit zwei Oscars –
ausgezeichnet, gehört Sir Michael Caine zu den ganz Großen des Weltkinos:
ein Mann mit zeitlosem Stil und Format.
In Anwesenheit von Michael Caine.
ALFIE
GB 1965, 112 Min, OF
R: Lewis Gilbert, D: Michael Caine, Shelley
Winters, Millicent Martin, Julia Foster
In dem Comedy-Drama, das ihm den
internationalen Durchbruch bescherte, verkörpert Michael Caine
einen Chauffeur aus der Londoner
Arbeiterklasse, der mit kühlem
Zynismus seiner Lieblingsbeschäftigung nachgeht: dem Aufreißen von
Frauen. Emotional unbeteiligt durchläuft er eine Reihe von Beziehungen,
nutzt die Frauen für seine Bedürfnisse und Bequemlichkeiten skrupellos
aus. Dabei kommentiert er seine
Erlebnisse ungerührt direkt in die
Kamera – bis ihm am Ende – vielleicht – dämmert, dass er im Leben
etwas verpasst haben könnte. Meh40
rere Schauspieler hatten die Rolle
des zwiespältigen Hallodris als
vermeintlichen Todesstoß für ihre
Karriere abgelehnt, Caine wurde
durch sie endgültig zum Star. ALFIE
wurde 2004 von Charles Shyer ohne
großen Erfolg neu verfilmt; Jude
Law übernahm darin die Rolle
Caines (ebenso 2007 im Remake
von SLEUTH, in dem Law Caine, der
die Rolle des Älteren übernommen
hatte, tatsächlich auch gegenüberstehen sollte).
29.10., 16 Uhr, Metro
7.11., 21 Uhr, Metro
DIRTY ROTTEN SCOUNDRELS
USA 1988, 110 Min, OF
R: Frank Oz, D: Michael Caine, Steve Martin,
Glenne Headly, Anton Rodgers
Bereits das erste Zusammentreffen in
einem Zug charakterisiert die Hauptfiguren dieser amüsanten Komödie
hinreichend: Während Freddy Benson (Martin), der ungehobelte Amerikaner, in einem «Mad»-Heft blättert,
liest der sich aristokratisch gebende
Engländer Lawrence Jamieson (Caine
mit gegeltem Haar und Schnurrbart)
lieber die konservative Tageszeitung
«Le Figaro». Doch Hochstapler sind
sie in dem Remake von BEDTIME
STORY (Ralph Levy, 1964) alle beide:
Mit unterschiedlicher Masche versuchen sie, weiblichen Opfern das Geld
aus der Tasche zu ziehen. In einem
französischen Riviera-Ort hebt alsbald ein absurd-komisches Duell um
Gunst und Geld einer vermeintlichen
Millionenerbin an. «Steves Charakterisierung seiner Figur war derart
unorthodox und verrückt», erinnert
sich Caine an die Dreharbeiten,
«dass es für mich tatsächlich eine
Weile schwierig war, mit ihm zu
spielen. Die Lösung aber stellte sich
schließlich als sehr simpel heraus:
Ich spielte meinen Part einfach komplett straight und überließ die Lacher
sich selbst.»
2.11., 16 Uhr, Metro
DRESSED TO KILL
USA 1980, 105 Min, OF
R: Brian De Palma, D: Michael Caine, Nancy
Allen, Angie Dickinson, Keith Gordon
Ein Film aus jenen Tagen, als Brian
De Palmas Fähigkeit, einen Thriller
aus vielen verschärften HitchcockVersatzstücken und vergleichsweise
wenig Logik zu basteln, noch etwas
galt. In DRESSED TO KILL geht ein
Frauenmörder um, der irgendwie
aus dem Umkreis des distinguierten
Psychiaters Dr. Robert Elliott (Caine)
zu stammen scheint. Einer seiner
Klienten vielleicht? Ganz konkret bedroht ist die Prostituierte Liz Blake
(Allen), denn sie hat als Einzige den
Killer in Aktion gesehen. Polizisten,
unschuldig Verdächtigte und sexuell
V12_PG_Kern:V_PG
11.10.2012
10:47 Uhr
Seite 41
SLEUTH
Frustrierte tappen auf falschen
Fährten herum – bis zu einem
Finale, das den Filmtitel absolut
wörtlich nimmt. «A bloody good
thriller», befindet Caine und erzählt:
«Er kam zu einer Zeit heraus, als
der so genannte ‹Yorkshire Ripper›
sein Unwesen trieb. Verschiedene
Gruppen versuchten, den Vertrieb
des Films im Norden Englands zu
verhindern, weil sie glaubten, er
habe den Mörder beeinflusst.»
30.10., 13.30 Uhr, Metro
3.11., 23 Uhr, Gartenbaukino
EDUCATING RITA
GB 1983, 110 Min, OF
R: Lewis Gilbert, D: Michael Caine,
Julie Walters, Michael Williams,
Maureen Lipman
Mit ALFIE-Regisseur Gilbert realisierte Caine einen seiner größten
kommerziellen Erfolge: Mit angefutterter Wampe und Vollbart verkörpert er den alkoholkranken
Literaturprofessor Frank Bryant,
der sein ihm abhanden gekommenes
Leben erst langsam als Tutor der
schlagfertigen Friseuse Rita (Walters,
die ihre Rolle bereits in dem zugrundeliegenden Bühnenstück gespielt
hatte) wiederfindet. Rita hingegen
sehnt sich nach ihr bislang verwehrt
gebliebener akademischer Bildung
und Eigenständigkeit. Für Caine ist
der Literaturprofessor eine Lieblingsrolle: «To me, EDUCATING RITA is
the most perfect performance I could
give of a character who was as far
away from me as you could possibly
get and of all the films I have ever
been in, I think it may be the one I
am most proud of.»
5.11., 13.30 Uhr, Metro
GET CARTER
GB 1971, 112 Min, OmdU
R: Mike Hodges, D: Michael Caine,
Ian Hendry, Britt Ekland, John Osborne
Es dauert eine Weile, aber dann ist
der Body Count erklecklich in Mike
Hodges’ düsterem Thriller GET
CARTER, einem Klassiker des britischen Gangsterfilms. Caine spielt
eine seiner unsympathischsten Rollen als kühler Londoner Killer Jack
Carter, der im heruntergekommenen
Norden Englands dem mysteriösen
Tod seines Bruders nachgeht und
dabei in seiner Heimatstadt
Newcastle auf eine schäbige Unterwelt voller schmieriger Intrigen
stößt. Und auch wenn Carter auf
einer Zugfahrt den Hardboiled-Krimi
«Farewell, My Lovely» liest, geht ihm
die moralische Integrität von Raymond Chandlers Helden doch völlig
ab – anstelle von Noir-Stilisierung
inszeniert Hodges ein Stück bitteren
Realismus. Pauline Kael stimmte
seinerzeit eine ambivalente Lobeshymne an: «GET CARTER ist derart
kalkuliert cool, seelenlos und gemein
sexy, dass er ein neues Genre virtuoser Bösartigkeit zu begründen
scheint. Was ihn so ungewöhnlich
macht, ist seine metallische Eleganz
und die sture Effektivität, mit der er
seine ‹Sadismus-für-Kenner›-Formel
verfolgt.»
3.11., 21 Uhr, Künstlerhaus
5.11., 15.30 Uhr, Gartenbaukino
HANNAH AND HER SISTERS
USA 1985, 105 Min, OF
R: Woody Allen, D: Michael Caine,
Barbara Hershey, Dianne Wiest, Mia Farrow
In Allens Ensemble-Komödie um die
verschiedenen (Neu-)Verbandelungen einer New Yorker Familie, in
deren Zentrum die Schwestern
Hannah (Farrow), Lee (Hershey) und
Holly (Wiest) stehen, verkörpert
Michael Caine den mit Hannah verheirateten Elliot, einen Finanzberater für Rockstars, der eine leidenschaftliche Affäre mit Lee beginnt,
ohne jedoch Hannah zu verlassen.
Mit der ihm eigenen Mischung aus
Ernst und einer eher sanften Komik
trifft Caine sehr genau den Ton dieses Comedy-Dramas und gewann
1987 für seine Darstellung den Oscar
als bester Schauspieler in einer
Nebenrolle. Den er allerdings nicht
persönlich in Empfang nehmen
konnte, weil er für Dreharbeiten zu
JAWS: THE REVENGE in die Karibik
verpflichtet war. Über diesen Film
sagt Caine später: «Ich habe ihn nie
gesehen, sehr wahrscheinlich ist er
sehr schrecklich. Aber ich habe das
Haus gesehen, das er geholfen hat zu
bauen, und das ist ganz großartig.»
27.10., 12 Uhr, Gartenbaukino
31.10., 23 Uhr, Stadtkino
41
V12_PG_Kern:V_PG
11.10.2012
10:47 Uhr
Seite 42
Tribute
HARRY BROWN
GB 2009, 102 Min, OF
R: Daniel Barber, D: Michael Caine, Emily
Mortimer, Charlie Creed-Miles, David Bradley
Der frisch verwitwete Harry Brown
(Caine) lebt in einem Problembezirk
Londons, in dem Jugend- und
Drogenkriminalität an der Tagesordnung sind. Als sein bester Freund
von einer Jugendgang ermordet
wird, wandelt sich der ehemalige
Elitesoldat zu einem gnadenlosen
Rächer. Obwohl in seiner mitleidlosen Darstellung einer unerfreulich
morallosen Zone an den Klassiker
GET CARTER erinnernd, maßt sich
HARRY BROWN letztlich einen
fragwürdigen sozialen Kommentar
an – und wurde im Wahlkampf
2009/2010 von der britischen
Konservativen Partei als Teil ihrer
law-and-order-inspirierten «Broken
Britain»-Kampagne entsprechend
zitiert.
28.10., 23 Uhr, Stadtkino
THE MAN WHO WOULD BE KING
GB/USA 1975, 129 Min, OF
R: John Huston, D: Michael Caine,
Sean Connery, Christopher Plummer,
Shakira Caine
Nach einer Kurzgeschichte von
Rudyard Kipling inszeniert Huston
einen klassischen Abenteuerfilm, in
dem Connery und Caine zwei Ex-Soldaten des viktorianisch-britischen
Kolonialreichs spielen, die sich auf
die Suche nach Schätzen im entlegenen Kafiristan machen. Dort wird
Daniel Dravot (Connery) versehentlich für einen göttlichen Nachkommen Alexanders des Großen gehalten und beginnt schon bald, seinen
neuen Status ernst zu nehmen. Doch
das kann in einer Gegend, in der
42
man mit den Köpfen getöteter Feinde Polo spielt, auf Dauer nicht gut
gehen. Caine verkörpert den aufschneiderischen Gauner Peachy
Carnehan, der gleichwohl die Realität besser im Blick behält. Caine
erzählt: «Mit Sean zu arbeiten war
ein Vergnügen. Weil wir einander
vertrauten – und weil wiederum
John uns beiden vertraute – konnten
wir riskieren zu improvisieren und
zu experimentieren. Ich glaube,
am Ende hat sich das für den Film
ausgezahlt.»
1.11., 13.30 Uhr, Metro
THE QUIET AMERICAN
USA/Australien/D 2002, 101 Min, OF
R: Phillip Noyce, D: Michael Caine, Brendan
Fraser, Do Thi Hai Yen, Rade Šerbedžija
«Selbst eine Meinung ist eine Form
der Einmischung.» Der englische
Journalist Thomas Fowler (Caine)
lebt im Saigon der 1950er-Jahre sein
Leben mit zynischer Gelassenheit.
Das ändert sich, als der junge Amerikaner Alden Pyle (Fraser) auftaucht,
der ihm nicht nur seine schöne Geliebte streitig macht, sondern auch
einen dreckig-terroristischen Krieg
anfängt, mit dem die Einmischung
der USA in Vietnam beginnt. Noyces
stilvolle Verfilmung von Graham
Greenes gleichnamigen Roman
bietet Caine einmal mehr die Paraderolle eines Mannes, unter dessen
kühler Oberfläche sich Leidenschaften verbergen, die hier zwischen
privaten Interessen und grundsätzlichen moralischen Entscheidungen
klug in der Balance gehalten werden.
«Fowler may be the richest character
of Caine’s screen career. Slipping into
his skin with an effortless grace,
this great english actor gives a performance of astonishing understatement whose tone wavers delicately
between irony and sadness», schrieb
Stephen Holden seinerzeit in der
«New York Times».
28.10., 11 Uhr, Metro
SLEUTH
USA/GB 1972, 138 Min, OF
R: Joseph L. Mankiewicz, D: Michael Caine,
Laurence Olivier, Alec Cawthorne,
Eve Channing
Der von Production Designer Ken
Adam entworfene Irrgarten im Park
des herrschaftlichen Hauses, in dem
Milo Tindle (Caine) gleich zu Beginn
den Hausherren Andrew Wyke (Olivier) suchen muss, ist das perfekte
Symbol für diese Verfilmung des erfolgreichen Zwei-Personen-Stücks
von Anthony Shaffer. Denn weil
Tindle dem schon älteren Krimiautor
Wykes die Frau ausgespannt hat,
spielen die beiden – bis zum bitteren
Ende – eine Reihe von ebenso verwirrenden wie für den Zuschauer
vergnüglichen Charaden miteinander, um sich gegenseitig schwer
zu demütigen. Großes Schauspielerkino, perfekt in Szene gesetzt von
Mankiewicz, der einmal mehr sein
Talent für die Umsetzung von Bühnenstücken mit scharfzüngigen
Dialogen beweist. «Er lässt Olivier
und Caine das Ritual der exzessiven
gegenseitigen Demütigungen so erschöpfend auskosten, dass sich ein
Gefühl der Betroffenheit einstellt, wo
ein schlechterer Regisseur nur schadenfrohes Gelächter erzeugt hätte»,
schreibt H. C. Blumenberg.
2007 wurde SLEUTH, allerdings
weitaus weniger erfolgreich, von
Kenneth Branagh erneut verfilmt.
Caine übernahm darin den Part
Oliviers und stand nunmehr Jude
Law gegenüber (der wiederum 2004
im Remake von ALFIE bereits einmal
in Caines Fußstapfen getreten war).
26.10., 20 Uhr, Gartenbaukino (Galavorstellung in Anwesenheit von Michael Caine)
Restoration World Premiere
Presented in partnership with the
Academy of Motion Picture Arts
and Sciences.
V12_PG_Kern:V_PG
11.10.2012
10:47 Uhr
Seite 43
Falters Feine Filme
+++ Anlässlich ihres 50-Jahre-Jubiläums veröffentlicht die Viennale gemeinsam mit dem FALTER
eine DVD Edition. Diese soll weniger einen Überblick über die Geschichte des Festivals geben,
sondern vielmehr den Geist der Viennale repräsentieren .+++
Ryan Fleck
HALF NELSON
Alain Guiraudie
LE ROI DE L’ÉVASION
Das Leben des engagierten Lehrers Dan
Dunne gerät durch seinen zunehmenden
Drogenkonsum aus der Bahn. Eines Tages
wird er von einer seiner Schülerinnen im
Rausch ertappt. Doch die Begegnung, die
sich fatal hätte auswirken können, mündet
in eine tiefe Freundschaft.
Le Roi de l’évasion handelt von einem
schwulen Junggesellen, einem hübschen,
jungen Mädchen, einem eifersüchtigen
Vater, einer seltsamen Mutter, von der
Landwirtschaft, der Kleinstadt. Vom Leben,
oder was immer das ist. Mehr ist vom Kino
nicht einmal imTraum zu haben.
107 min, UMdU, € 14,90
97 min, OmeU, € 14,90
Miguel Gomes
AQUELE QUERIDO
MÊS DE AGOSTO
Im August kehren die Emigranten und
Gastarbeiter zurück nach Portugal. All die
Müdigkeit ist vergessen, und die Zeit vergeht
mit Festen, Fußball, Liebesgeschichten und dem
Sprung in den erfrischenden Fluss.
150 min, OmeU, € 14,90
6 DVD
BOX
Gianfranco Rosi
EL SICARIO, ROOM 164
Andrew Jarecki
CAPTURING THE FRIEDMANS
Ein Auftragskiller eines mexikanischen
Drogenkartells, der hunderte Menschen
auf dem Gewissen hat, berichtet wie ein
Darsteller seines eigenen Lebens von Folter,
Mord und Gräueltaten. Jetzt ist er untergetaucht und erhofft die große Vergebung
durch Gott. Eine atemberaubende
Dokumentation!
Vater und Sohn einer amerikanischen
Mittelstandsfamilie werden des sexuellen
Missbrauchs von Kindern beschuldigt und
in einem spektakulären Prozess zu hohen
Gefängnisstrafen verurteilt. Ist dieses Urteil
Produkt von Massenhysterie und Bigotterie
oder die späte, gerechte Strafe für schwere
Vergehen?
Die streng limitierte Viennale DVD Box
beinhaltet neben den 5 Filmen eine exklusive
Bonus DVD mit den «20 Little Films», den
Viennale-Trailern von 1995 bis 2012.
84 min, spOmeU, € 14,90
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+ ein Viennale-Schlüsselband
+ ein aktueller Festivalpin
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und im gut sortierten Buchhandel.
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Die besten Seiten Österreichs
V12_PG_Kern:V_PG
11.10.2012
10:47 Uhr
Seite 44
In Focus
ORGONAUTI, EVVIVA!
ALBERTO GRIFI
(Long Live the Orgonauts!)
Filmarbeit zwischen Experiment und Politik
Alberto Grifi (1938–2007) ist einer
der bedeutendsten, in seiner Ästhetik
jedenfalls der vielgestaltigste Avantgardefilmemacher Italiens – was
jedoch leider nicht heißt, dass sein
Schaffen auch angemessen bekannt
wäre. Im Gegenteil, gerade einmal
zwei Werke Grifis erlangten – zumindest zeitweise – eine gewisse internationale Berühmtheit: LA VERIFICA
INCERTA, ein frühes Hauptwerk des
Found-footage-Films das eine, das
andere, ANNA, ein Epos über das Scheitern der Alternativkultur an den
Grenzen der Verhältnisse wie der eigenen Beschränktheit. Dadaistische
Medienanalyse einerseits, Wieder(er)findung des Neorealismus für das frühe
Videozeitalter andererseits – das sind nur zwei Facetten eines wieder und
wieder verblüffenden Œuvres, in dem jedes Werk etwas von einem Solitär
hat. Grifi, das ist Kino als beständiger Aufbruch, als permanente Revolution
des Sehens wie Lebens, als fortlaufende Suche nach neuen, sinnstiftend-gerechten Formen des Zusammenseins. Anlässlich der Präsentation des ersten
Werkabschnitts einer posthum restaurierten Langfassung von ANNA zeigt
die Viennale sämtliche Hauptwerke Alberto Grifis und offeriert so die rare
Gelegenheit zum Studium eines außergewöhnlichen Filmemachers.
In Anwesenheit von Annamaria Licciardello von der Cineteca Nazionale und
Associazione Culturale Alberto Grifi.
PROGRAMM 1 (69 Min)
I 1968–70, 18 Min, OmeU
R: Alberto Grifi
Eine so heitere wie bunte Hommage
an Wilhelm Reich und seine Experimente mit der menschlichen Lust als
Kraft(stoff )quelle, gestaltet in einem
angemessen aparten Total CinemaMix aus Z-filmigen Spielszenen, fluxen Animationen, essayistisch anmutenden Realitäts(ein)schüben etcetera. Ein sich allen Klassifizierungskonventionen spielerisch-hakenschlagend verweigerndes Experiment
in Science Fiction und Anarchie, dessen schwebend-schimmernd-spinnerte Poesie eine Energie hat, die
Freude spendend ist und zeitlos.
IL GRANDE FREDDO (The Big Chill)
I 1971, 20 Min, OmeU, Video
R: Alberto Grifi
LA VERIFICA INCERTA
ORGONAUTI, EVVIVA!
IL GRANDE FREDDO
1.11., 18.30 Uhr, Künstlerhaus
3.11., 11 Uhr, Künstlerhaus
LA VERIFICA INCERTA
ANNA
I 1972–75, 225 Min, OmeU
R: Alberto Grifi, Massimo Sarchielli
(Siehe S. 21)
3.11., 13 Uhr, Gartenbaukino
5.11., 11 Uhr, Urania
LA DOPPIA VITA DI ANNA
(The Double Life of Anna)
I 1972–75/2012, 101 Min, OmeU, Video
R: Alberto Grifi, Massimo Sarchielli
(Siehe S. 23)
5.11., 11 Uhr, Urania
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(Uncertain Verification)
I 1964, 31 Min, OmeU
R: Gianfranco Baruchello, Alberto Grifi
Das erste Meisterwerk der italienischen Nachkriegsavantgarde: Ein
Found-footage-Film, der primär aus
CinemaScope-Szenen diverser Hollywood-Klassiker besteht – wobei der
Film selbst im Standardformat zu
zeigen ist, also alle Bilder famos absurd gestaucht ausschauen. Rhythmus ist der Schlüssel – man erfreue
sich zum Beispiel an einer Szene, in
der Grifi und Baruchello allein mittels Montage aus dem Auf- und Zuknallen diverser Türen ein knack-zackiges Stück music concrète komponieren. Als guter Geist des Projektes
tritt auf: Marcel Duchamp (unverzerrt).
Ein Märchen über die Befreiung der
Kunst, mit einem Blauen Prinz und
einer Schlafenden Schönen. Wird in
den ersten Szenen noch eher einer
Ästhetik der Zersplitterung und Kontraste beziehungsweise Widersprüche gehuldigt, wandelt sich der Film
zur Mitte hin in ein etwas geradlinigdokumentarischer anmutendes Geschöpf, nur um am Ende wieder zu
zerfallen. Vom Surrealismus bis zum
Direct Cinema: Hier kommt alles
zum Einsatz, und Grifis frühe Suche
nach einer Filmästhetik, der keine
Gefühls- wie Geistesbewegungen
fremd sind, erreicht ihren Höhepunkt.
V12_PG_Kern:V_PG
11.10.2012
PROGRAMM 2 (111 Min)
IL FESTIVAL DEL PROLETARIATO GIOVANILE AL
PARCO LAMBRO
LIA
DINNI E LA NORMALINA
4.11., 18 Uhr, Stadtkino
6.11., 23.30 Uhr, Künstlerhaus
IL FESTIVAL DEL PROLETARIATO
GIOVANILE AL PARCO LAMBRO (Parco
Lambro Juvenile Proletariat Festival)
I 1976, 58 Min, OmeU, Video
R: Alberto Grifi
Vom 26. bis 30. Juli 1976 fand im
Parco Lambro zu Mailand das Zweite
Festival der proletarischen Jugend
statt: Mal mehr mal weniger bekleidete Menschen singen und tanzen
und diskutieren und konsumieren
Drogen und legen sich mit den Veranstaltern an … Ausgewählte Impressionen aus rund dreißig Stunden
mehrheitlich auf Video realisierten
Materials; Wirklichkeitsbruchstücke,
in denen man eine Ahnung von den
inneren Widersprüchen, dem Gewaltpotenzial der italienischen Gegenbewegung der 1970er erhält.
LIA
I 1977, 26 Min, OmeU, Video
R: Alberto Grifi
10:47 Uhr
Seite 45
DINNI E LA NORMALINA
(Dinni And Normalin)
I 1978, 27 Min, OmeU, Video
R: Alberto Grifi
Eine weitere Audio-Video-Maulwurfsarbeit von Grifi und Drehbuchautor Guido Blumir, ein weiterer
Zensurfall in Form einer weiteren
RAI-Eigenproduktion, deren Ausstrahlung der Sender verweigerte.
DINNI E LA NORMALINA sieht zu
Beginn aus wie ein typisches Stück
öffentlich-rechtlicher Propaganda
für eine Droge namens Normalina,
durch die der Staat endlich diese
lästigen dissidenten Bewegungen
im Land unter Kontrolle bekommen
kann, entpuppt sich aber bald als
pulp-Brecht’sches Fantasy-Lehrstück
darüber, was passiert, wenn die
Ordnung zu gut wird.
PROGRAMM 3 (108 Min)
MICHELE ALLA RICERCA DELLA FELICITÀ
A PROPOSITO DEGLI EFFETTI SPECIALI
AUTORITRATTO AUSCHWITZ / L’OCCHIO È PER
COSÌ DIRE L’EVOLUZIONE BIOLOGICA DI UNA
LAGRIMA
5.11., 18 Uhr, Stadtkino
7.11., 11 Uhr, Künstlerhaus
MICHELE ALLA RICERCA DELLA FELICITÀ
(Michele Searching for Happiness)
I 1978, 23 Min, OmeU, Video
R: Alberto Grifi
In den frühen 1970er Jahren gehörte
Grifi zu den ersten italienischen
Medienschaffenden, die systematisch mit Video arbeiteten. In dieser
Werksphase verstand er sich primär
als Chronist der alternativen Kulturen. Aus den hunderten Stunden
Material, die sich über die Jahre
ansammelten, suchte er ab und an
kurze, in sich sinnfällige Momente
heraus, wie diesen hier: Eine junge
Frau meldet sich bei einem Kongress
zu Wort und redet sich in Rage. Ein
einfaches Ereignis schmucklos aufgezeichnet, vertrauend auf die Energie des Augenblicks. In diesen wenigen Minuten kommt eine ganze Zeit
zum Punkt: In Lias Argumentation,
ihrer Leidenschaft verdichtet sich ein
linksradikales Italien.
Gemeinsam mit ehemaligen politischen Häftlingen rekonstruierten
Grifi und Drehbuchautor Guido
Blumir die alltäglichen Repressionen, denen sich Andersdenkende
in Italiens Gefängnissen während
der heißesten Zeit des bewaffneten
Kampfes von Links- wie Rechtsaußen ausgesetzt sahen. Erstaunlich
ist, dass der italienische TV-Sender
RAI den Film überhaupt in Auftrag
gab – wenig überraschend dann,
dass er seine Ausstrahlung absetzte.
Wobei allerdings die bleierne Geschichte in diese Absetzung hineinspielte: Als MICHELE gezeigt werden
sollte, entführten die Roten Brigaden
Aldo Moro.
A PROPOSITO DEGLI EFFETTI SPECIALI
(About Special Effects)
I 2001, 50 Min, OmeU, Video
R: Alberto Grifi
Ab den späten 1980er Jahren begann
Grifi, seine Filme immer wieder umzuarbeiten, neue Werke aus alten zu
gestalten und auf diese Weise über
die eigene Praxis nachzudenken.
A PROPOSITO DEGLI EFFETTI
SPECIALI schaut zurück auf den hier
zur Gänze enthaltenen TRANSFERT
PER CAMERA VERSO VIRULENTIA
(1967) und damit auf Grifis frühe
Faszination für Prismen, Kristalle etcetera, schlicht alles, womit sich Bilder verformen, andere Welten visuell
schaffen lassen. Ein Versuch über
Grifis künstlerische Wurzeln, mit gelegentlichen Einwürfen einer gewissen Miss Ontophilogenesis, einer
entfernten Verwandten des Blauen
Prinzen aus IL GRANDE FREDDO.
AUTORITRATTO AUSCHWITZ / L’OCCHIO
È PER COSÌ DIRE L’EVOLUZIONE
BIOLOGICA DI UNA LAGRIMA
(Self-Portrait Auschwitz / The Eye
is so to Speak the Biological Evolution
of a Tear)
I 1965–68/2007, 35 Min, OmeU
R: Alberto Grifi
Ein weiterer später Remix früher
Werke, vollendet in den letzten Lebenswochen. L’OCCHIO È PER COSÌ
DIRE zeigt den Aufwand, der für
eine Träne Monica Vittis in Michelangelo Antonionis IL DESERTO
ROSSO (1964) getrieben wurde.
AUTORITRATTO AUSCHWITZ dokumentiert einen Gang Grifis durch die
Konzentrationslager nahe Oświęcim,
seine Bemühungen, ein Verhältnis
zu dieser Gegenwart massenhaften
Mordens zu entwickeln. Für wen
vergießt die Vitti in dieser WerksVerschränkung nun ihre mühsam
provozierte Träne?
45
V12_PG_Kern:V_PG
11.10.2012
10:47 Uhr
Seite 46
In Focus
MANUEL MOZOS
Die Entdeckung eines portugiesischen Filmemachers
Manuel Mozos nimmt inmitten der
Vertreter des neueren portugiesischen
Kinos eine Sonderrolle ein. Das Werk
des 1959 geborenen Mozos umfasst nur
wenige Filme, die zwischen erzählerischem und dokumentarischem Kino,
zwischen emotionalen Fantasmen und
realistischen Milieuschilderungen
pendeln. Seine filmischen Essays handeln von der Geschichte der portugiesischen Kinematografie (CINEMA
PORTUGUÊS (…)?) oder reflektieren –
im Fall von RUÍNAS – das Nachleben verfallener Gebäude in seinem Heimatland. Als sein zentrales Werk gilt der erst 2002 nach vielen Hindernissen
fertig gestellte XAVIER, der bereits 1991 gedreht wurde. Schon in dessen hybrider Familienerzählung hat Mozos seinen Stil perfektioniert, der sich auch
in den beiden anderen Erzählfilmen …QUANDO TROVEJA und UM PASSO,
OUTRO PASSO E DEPOIS… wiederfindet. Ausgehend von lakonisch gezeichneten realistischen Beziehungsgeflechten entstehen im Kino von Manuel
Mozos fragile, elliptische Suchbewegungen in emotionalen Transiträumen,
in denen sich das Verhältnis zwischen Privatem und Allgemeinem spiegelt.
Kuratiert von Miguel Gomes.
In Anwesenheit von Manuel Mozos.
FILME VON MANUEL MOZOS
…QUANDO TROVEJA (When It Thunders)
P 1999, 93 Min, OmeU
R: Manuel Mozos, D: Miguel Guilherme, Elsa
Valentim, José Wallenstein, Raquel Dias
Zerbrechende Beziehungen zwischen dreißigjährigen Künstlern und
Schriftstellern, die sich im Lissabon
der späten 1990er Jahre mit prekären Jobs mehr schlecht als recht über
Wasser halten können. Beinahe unmerklich ändert der Film während
seiner geduldigen Erzählung ständig
die Tonlagen. Lakonisch gespielte
Milieuschilderungen, melodramatische Konfrontationen, nostalgische
und zauberhaft irreale Fantasiesequenzen sind zu einem flirrenden
Film konstelliert, der dabei stets Bodenhaftung behält.
1.11., 16 Uhr, Metro
46
CINEMA PORTUGUÊS (…)?
P 1996, 56 Min, OmeU, Video
R: Manuel Mozos
Zum einhundertjährigen Jubiläum
der ersten öffentlichen Filmvorführung (im Dezember 1895) versetzt
Mozos die portugiesische Filmgeschichte in lebendige Schwingungen.
Basierend auf geschickt in Fluss
gehaltenen Interviews mit dem
Filmhistoriker João Bénard da Costa
erstellt sich ein spannendes Montage-Dispositiv. Ohne repräsentative
Lautsprecherei blickt der Film auf
das stets prekäre portugiesische
Kino, seine Korrelationen und Spiegelungen, wiederkehrende Themen
und Motive. Eine berührend intime
Montage über den Zusammenhang
von Film und Gesellschaft.
mit den Ruinen verbunden sind:
vom einstigen Gebrauch der Orte,
vom verlebten Nutzen, vom abgelaufenen Funktionieren. Ein sanft melancholischer Essay über die Vergänglichkeit.
4.11., 13.30 Uhr, Urania
UM PASSO, OUTRO PASSO E DEPOIS…
(Step By Step)
P 1989, 58 Min, OmeU, Video
R: Manuel Mozos, D: Henrique Canto e
Castro, Pedro Hestnes, Sandra Garcia, Carlos
Ribeiro d’Almeida
In Mozos erstem, knapp einstündigem Spielfilm findet sich der ältliche,
steif wirkende Hausmeister eines
Gymnasiums urplötzlich inmitten
seltsamer, von einer Schülergruppe
initiierter Beziehungs-Vorfälle, die
die Routinen seines Lebens von
einem Tag auf den anderen in unsichere Zustände versetzen. Die 24
Stunden, von denen die Erzählung
handelt, sind in der für Mozos typischen Mischung aus lakonischem
Realismus und poetischen Ellipsen
inszeniert.
2.11., 18 Uhr, Stadtkino
XAVIER
P 1991/2002, 96 Min, OmeU
R: Manuel Mozos, D: Pedro Hestnes, Cristina
Carvalhal, Sandra Faleiro, José Meireles
4.11., 15.30 Uhr, Stadtkino
RUÍNAS (Ruins)
P 2009, 60 Min, OmeU, Video
R: Manuel Mozos
In fragmentierten, statischen Einstellungen wird in verschiedenen Regionen Portugals – von Vila do Conde
über Lissabon bis nach Porto – dem
Eigenleben leerer, verlassener Gebäude nachgespürt: Wohnhäuser, Fabriken, Kinos, Theater, Kirchen, Geschäfte, Industrieanlagen, Bahnhöfe,
Kraftwerke. Aus dem Off sprechen
Stimmen von alten Geschichten, die
Mozos erster Langfilm, der 1991
gedreht, aber wegen finanzieller
Schwierigkeiten erst 2002 fertig
gestellt und uraufgeführt wurde.
Inmitten fragiler Lissaboner Milieus
erzählt sich die emotionale Passage
eines Mannes, der als Kind von seiner Mutter zur Adoption freigegeben
wurde, und nun auf der Suche danach ist, den Kontakt zu ihr, aber
auch zum Rest seiner Welt aufrecht-
V12_PG_Kern:V_PG
11.10.2012
zuerhalten. Ein Film voller tastender
Bewegungen ohne Zentrum, von
denen ein somnambuler Drift ausgeht.
3.11., 21 Uhr, Metro
6.11., 13 Uhr, Stadtkino
CARTE BLANCHE FÜR
MANUEL MOZOS
BELARMINO
P 1964, 72 Min, OmeU
R: Fernando Lopes
Belarmino Fragoso (1931–82) war
ein Federgewichtler auf dem Weg
nach Europa. Leben allerdings konnte er vom Boxen kaum: Sein Grundauskommen hatte er als Kolorist von
Bildern. Fragoso spielt sich selbst in
BELARMINO; genauer gesagt: Er gibt
jenen Belarmino, den Fernando
Lopes – zu Recht, wie die Dekaden
zeigten – für zeitgültig hielt. Der Film
ist ein Gewebe aus Beobachtungen,
Szenenskizzen; die Geschichte von
einem Betrug und zwei verlorenen
Kämpfen nicht mehr als ein Vorwand, um das Estade-Novo-Lissabon
mit seinen allseitig sichtbaren Widersprüchen zu zeigen. Ein zentrales
Werk des 1960er-Jahre-Kinos, das
außerhalb Portugals jedoch kaum
bekannt ist.
4.11., 11 Uhr, Künstlerhaus
10:47 Uhr
Seite 47
Das alles als Reflexion über die verlorenen oder verschleuderten Versprechungen des Jahres 1974. Ein
Paradestück der portugiesischen Kinomoderne, realisiert von ihrem
vielleicht größten Unvollendeten.
5.11., 16 Uhr, Metro
7.11., 11 Uhr, Metro
RECORDAÇÕES DA CASA AMARELA
(Recollections of the Yellow House)
P 1989, 115 Min, OmeU
R: João César Monteiro, D: João César
Monteiro, Manuela de Freitas, Ruy Furtado,
Teresa Calado
João de Deus hat drei Obsessionen
im Leben: Die Musik Schuberts und
Mozarts, das Spiel Benficas und die
Schamhaare der Vermieterstochter.
Nachdem er Letztere zu vergewaltigen versuchte, findet er sich auf der
Straße wieder … João de Deus ist ein
professioneller Provokateur und
Freischärler des Freidenkertums,
der nur den dubiosesten Geistern
huldigt und alles tut, damit man
ihn hassen muss, es dann aber
nicht kann, weil man weiß, wie unerträglich die Welt wäre ohne seine
Gemeinheiten und Garstigkeiten.
João César Monteiro gab diesen anarchisch-sardonischen Schalk, den alle
für sein Alter Ego halten sollten, über
mehrere, immer irrwitzigere Werke
hinweg und wurde so zu einem
monstre sacré des Weltkinos.
2.11., 11 Uhr, Metro
7.11., 16 Uhr, Metro
TRÁS-OS-MONTES
P 1976, 111 Min, OmeU
R: António Reis, Margarida Cordeiro
D: Albino S. Pedro, Carlos Margarido,
Mariana Margarido, Luis Ferreira
O BOBO
P 1987, 123 Min, OmeU
R: José Álvaro de Morais, D: Luís Lucas,
Fernando Heitor, Paula Guedes, Carlos
Farinha
Lissabon, 1978: João war ganz vorn
an der Front des Fortschritts bei der
Nelkenrevolution – nur um danach
alle Illusionen zu verlieren. Francisco wiederum erarbeitet gerade das
Theaterstück O bobo, in dem es um
den ersten König Portugals, das Werden und Schicksal der Nation geht.
Dann wird João ermordet … Ein Vexierspiel, in dem sich eine bühnenhaft gestaltete Realität und eine wie
dokumentarisch aufgezeichnete
Theaterarbeit ständig gegenseitig befragen, hinterfragen, in Frage stellen.
siert über mehrere Jahre hinweg vor
Ort mit Laien, die für Reis und Cordeiro Anekdoten zum Besten gaben
aus ihren eigenen Leben und/oder
denen ihnen Nahestehender. Ein
ganz außerordentlicher Hybrid aus
Spiel- und Dokumentarfilm, extrem
elliptisch, fragmentarisch in seinem
Bau, von ungeheuerlicher visueller
Schönheit und seltener Sanftmut,
Gnade. Am Ende gibt es sogar Hoffnung.
1.11., 13.30 Uhr, Künstlerhaus
OS VERDES ANOS
(The Green Years)
P 1963, 87 Min, OmeU
R: Paulo Rocha, D: Rui Gomes, Isabel Ruth,
Ruy Furtado, Paulo Renato
Júlio, neunzehn Jahre alt, kommt
vom Land in die Stadt. Im Portugal
jener Zeit bedeutete das: Er wird von
einem Jahrhundert in das nächste
geschleudert – die rurale Rückständigkeit und Armut damals sind
kaum mehr vorstellbar, Lissabon
und Porto wirkten wie Blasen, Erscheinungen einer anderen Zivilisation. Júlio verkraftet diese Erfahrung
nicht … Paulo Rochas OS VERDES
ANOS gilt gemeinhin als Beginn des
portugiesischen Kinoaufbruchs der
1960er Jahre: als erster Spielfilm, der
die Wirklichkeit des faschistischen
Landes in ihrer ganzen Gewöhnlichkeit widerspiegelt. Manuel Mozos’
XAVIER versteht sich als eine Anknüpfung an diesen Meilenstein,
auch um davon zu sprechen, was
sich alles nicht wirklich verändert
hat.
2.11., 13.30 Uhr, Künstlerhaus
Trás-os-Montes ist eine Region im
Norden Portugals. Nach der Nelkenrevolution, als man begann, sich Gedanken darüber zu machen, wofür
das Land nun eigentlich stehen soll,
gingen viele Künstler in diesem zurückgebliebenen Winkel auf die
Suche nach den Wurzeln ihrer zukünftigen Kultur. Das Werk, das
blieb, war TRÁS-OS-MONTES, reali47
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11.10.2012
10:47 Uhr
Seite 48
Special Programs
THEY WANTED TO SEE
SOMETHING DIFFERENT
Eine kleine Geschichte des Unheimlichen
«They wanted to see something different, but something different saw them
first!» Mit diesen markigen Worten beginnt der Trailer des kleinen, ruppigen
Horror-Films THE HILLS HAVE EYES.
Der reißerische Spruch bringt die Sache
mit dem Kino des Abseitigen wunderbar pragmatisch auf den Punkt. Es ist
unsere unstillbare Lust auf das Außergewöhnliche, das Andere, die uns
immer wieder zum Verhängnis wird.
Es ist unsere unermüdliche Suche nach
ALIEN
der vermeintlichen Wahrheit, mit der
wir unser Unglück immer wieder heraufbeschwören. In unserer fortwährenden Ruhelosigkeit sind wir nur zu bereit, Grenzen zu überschreiten. Zumindest im Kino. Wir fühlen uns sicher in der Anonymität des Publikums und in
der Enge des Kinosessels. Und werden immer wieder kalt erwischt. Unsere
latente Angst vor dem Unbekannten, diesem «Something», die auch immer
die Angst vor dem eigenen Tod ist, materialisiert und manifestiert sich auf der
Leinwand in Form schrecklicher Monster, fremder Lebensformen, grotesker
Mutationen oder als Bestie in Menschengestalt, die unsere Angst sichtbar
werden lässt, damit wir in der Lage sind, sie zu bekämpfen.
In Anwesenheit von Kurator Jörg Buttgereit.
THE ACT OF SEEING WITH
ONE’S OWN EYES
USA 1971, 32 Min, stumm
R: Stan Brakhage
Experimentalfilmer Brakhage dokumentiert auf poetische Weise Obduktionen menschlicher Leichen. THE
ACT OF SEEING WITH ONE’S OWN
EYES ist der vielleicht erste Film, der
uns erschreckend ungeschönt mit
dem letzten Geheimnis, dem Tod,
konfrontiert und uns die eigene Körperlichkeit bewusst macht. Der Titel
ist abgeleitet vom griechischen Wort
«Autopsie», das sich aus den Worten
für «selbst» und «der Blick» oder
«das Sehen» zusammensetzt.
Mit FANTASTIC VOYAGE
31.10., 18.30 Uhr, Künstlerhaus
48
zum Mars. Dort bekommen sie es
mit fleischfressenden Pflanzen,
riesigen Spinnenfledermäusen mit
Rattenköpfen, gigantischen Amöben
und bösen Marsianern zu tun. Gedreht ist der Film in dem fragwürdigen «Kamerawunder Cinemagic», ein
starker Rotfilter und Negativ-Effekt,
der über alle Szenen auf dem Mars
gelegt ist und wohl vor allem die aus
heutiger Sicht allzu offensichtlichen
Unzulänglichkeiten der billigen
Spezialeffekte verschleiern sollte.
Doch es sind gerade die handgemachten Gummi-Kreaturen, Monster-Marionetten und PappkartonLandschaften, die dieses ambitionierte SF-Spektakel zu einem ungekrönten Klassiker des Trivialkinos
machen.
31.10., 23.30 Uhr, Künstlerhaus
7.11., 18.30 Uhr, Metro
CANNIBAL HOLOCAUST
I 1979, 95 Min, eF
R: Ruggero Deodato, D: Robert Kerman,
Francesca Ciardi, Perry Pirkanen,
Luca Barbareschi
ALIEN
USA/GB 1979, 117 Min, OF
R: Ridley Scott, D: Sigourney Weaver,
Tom Skerritt, Ian Holm, John Hurt
Auf einem fremden Planeten saugt
sich ein spinnenartiges Geschöpf im
Gesicht eines Astronauten fest. Sein
Körper wird zur Brutstätte eines
wurmartigen Wesens, das, zu einer
biomechanischen Bestie herangewachsen, rücksichtslos die Besatzung des Weltraumfrachters Nostromo dezimiert. Der Bordandroide bezeichnet das Alien bewundernd als
den perfekten Organismus. Zu sehen
ist es jedoch so gut wie nie. Dafür
spielt unsere Fantasie verrückt. Und
Sigourney Weaver, hier am Anfang
ihrer Karriere, schafft mit ihrer Lt.
Ellen Ripley eine Ikone des SF-Films.
28.10., 24 Uhr, Gartenbaukino
5.11., 11 Uhr, Metro
THE ANGRY RED PLANET (Weltraumschiff MR 1 gibt keine Antwort)
USA 1959, 83 Min, dF
R: Ib Melchior, D: Gerald Mohr, Nora Hayden,
Les Tremayne, Jack Kruschen
Drei Männer und eine Frau fliegen
Eine Gruppe sensationshungriger
amerikanischer Journalisten ist im
Amazonas verschollen, wo sie einen
Kannibalenstamm besuchen wollten, um spektakuläre Filmaufnahmen zu machen. Ein Anthropologe
findet schließlich die Überreste dieses Teams und das von ihnen gedrehte Material. CANNIBAL HOLOCAUST besteht zum großen Teil aus
eben diesem und ist tatsächlich so
realistisch unappetitlich wie sein
Titel und pure Exploitation. Deodato
prangert scheinheilig an, was er
selbst genüsslich zelebriert, und gerade deshalb ist sein Film eine
immer noch hochaktuelle Reflexion
über die Vermarktung drastischer
Bilder durch heuchlerische Medien.
2.11., 23.30 Uhr, Künstlerhaus
6.11., 13.30 Uhr, Metro
11.10.2012
DELIVERANCE
USA 1972, 109 Min, OF
R: John Boorman, D: Jon Voight,
Burt Reynolds, Ned Beatty, Ronny Cox
Die vier Outdoor-Fanatiker Lewis, Ed,
Bobby und Drew aus Atlanta wollen
die gefürchteten Stromschnellen
eines Flusses in Georgia mit dem
Kanu bezwingen, bevor dieser in
einen Stausee verwandelt wird. Doch
schon bald rächt sich die vergewaltigte Natur in der Gestalt von ein
paar Einheimischen an den hochmütigen City boys. Der zivilisationskritische und ungewöhnlich harte
Abenteuerfilm machte den Schauspieler Burt Reynolds zum Star und
diente als Steilvorlage für zahllose
spätere Backwood-Horrorfilme. Er
wurde 1973 in den Kategorien Bester
Schnitt, Beste Regie und Bester Film
für den Oscar nominiert, ging aber
leer aus.
29.10., 13.30 Uhr, Metro
30.10., 23.30 Uhr, Künstlerhaus
EIN MOMENT DER STILLE
AM GRAB VON ED GEIN
D 2012, 2 Min, kein Dialog, Video
R: Jörg Buttgereit
Der bizarre Fall des Ed Gein hat Ende
der 1950er Jahre die USA schockiert
und die Populärkultur bis heute
entscheidend geprägt. Filme wie
PSYCHO, THE TEXAS CHAIN SAW
MASSACRE, DERANGED oder
SILENCE OF THE LAMBS basieren
auf den Taten des Grabräubers mit
Mutterkomplex. Im Juli 2012 hat Jörg
Buttgereit einen der Tatorte, den
Friedhof in Plainfield in Wisconsin,
besucht. Am Grab der Familie Gein
hat er eine kleine Digitalkamera für
knapp 2 Minuten laufen lassen. Hier
liegt Ed an einer unmarkierten Stelle
zwischen seiner geliebten Mutter
Augusta und seinem Bruder Henry.
Mit THE TEXAS CHAIN SAW MASSACRE
3.11., 1 Uhr, Gartenbaukino (Nacht auf 4.11.)
7.11., 21 Uhr, Künstlerhaus
10:47 Uhr
Seite 49
FANTASTIC VOYAGE
USA 1966, 100 Min, OF
R: Richard Fleischer, D: Stephen Boyd,
Raquel Welch, Edmond O’Brien,
Donald Pleasence
Ein russischer Wissenschaftler, der
für die US-Regierung wichtige Informationen besitzt, wird Opfer eines
Attentats und liegt im Koma. Daraufhin werden Ärzte auf Mikrobengröße
eingeschrumpft und in einem U-Boot
in seinen Blutkreislauf injiziert. Mit
einer Laserkanone sollen sie ein Gerinnsel im Gehirn auflösen und so
den Patienten retten. Doch schon
bald bekommt es die Besatzung mit
dessen abwehrfreudigem Immunsystem zu tun. Die gigantischen Reproduktionen vom menschlichen
Herzen, Lunge und Gehirn, in denen
die Schauspieler agieren, machen
diesen Film zu einem wahrhaft außergewöhnlichen Seherlebnis.
Mit THE ACT OF SEEING WITH ONE’S
OWN EYES
31.10., 18.30 Uhr, Künstlerhaus
7.11., 23.30 Uhr, Urania
THE HILLS HAVE EYES
USA 1977, 89 Min, OF
R: Wes Craven, D: Russ Grieve, Susan Lanier,
Michael Berryman, Robert Houston
Die Carters befinden sich auf einem
Camping-Trip durch Kalifornien, als
in einem von der Air Force als Atomversuchsgelände genutzten Wüstengebiet ihr Auto liegen bleibt. Ein
alter Tankwart warnt sie: Sein Sohn
sei ein mutiertes Monster und habe
irgendwo hier in der Wüste mit einer
verschleppten Frau eine Familie gegründet. In der Folge wird die typisch amerikanische Familie mit
ihrem kannibalischen Zerrbild konfrontiert. Wie viele exploitative Horror-Filme der 1970er Jahre basiert
auch dieser auf einer angeblich wahren Begebenheit. In der deutschen
Fassung übrigens wurden aus den
atomar verseuchten Mutanten außerirdische Menschenfresser.
1.11., 23 Uhr, Gartenbaukino
2.11., 13.30 Uhr, Metro
MATANGO
(Attack of the Mushroom People)
Japan 1963, 89 Min, OmeU
R: Honda Ishirô, D: Kubo Akira, Mizuno Kumi,
Koizumi Hiroshi, Sahara Kenji
Sieben Japaner auf einer schicken
Segelyacht geraten in Seenot und
© TOHO CO., LTD.
V12_PG_Kern:V_PG
stranden auf einer von Nebel umgebenen einsamen Insel. Sie finden
ein Schiffswrack, in dem ein schimmeliger Pilzbelag wuchert. In einer
Kabine befindet sich ein Labor, in
dem offenbar die Auswirkung von
Nuklearstrahlung auf Flora und
Fauna untersucht wurde. Schon
bald liegen die Nerven der Ausgehungerten blank, und die einst so
Zivilisierten springen sich voller
Missgunst gegenseitig an die Hälse.
Die Frauen müssen sich gegen die
Männer wehren, die ihre animalischen Instinkte nur schwer im Zaum
halten können. Dann wird es Nacht
und es erscheinen Gespenster …
5.11., 23.30 Uhr, Urania
SOMETHING DIFFERENT –
TRAILERSHOW
66 Min, OF und dF
Da das Motto dieser Schau auf dem
Werbespruch des Trailers von THE
HILLS HAVE EYES basiert, ist es nur
folgerichtig, sich einer geballten
Ladung themenbezogener Filmvorschauen mit marktschreierischen
Slogans auszusetzen. Zur Vorführung kommen zeitgenössische, überwiegend deutsche 35mm-Trailer aus
Privatsammlungen, geordnet nach
den drei Themenblöcken «Backwood
Horrors/Bestie Mensch», «Fremde
Welten» und «Creature Features».
Aus «They wanted to see something
different, but something different
saw them first!» wird auf dem
HÜGEL DER BLUTIGEN AUGEN
dann «Sie suchten das Abenteuer
fern von einer eigenen Welt. Doch
eine andere Welt wurde ihnen zum
Verhängnis». Der intensive Einsatz
der Trailer in diversen Kinos hat
Kratzer, Laufschrammen und Bildsprünge entstehen lassen. Den mechanisch geschundenen Filmstreifen
sieht man ihr Alter an. Sie sind letzte
Zeitzeugen der weltweit aussterbenden analogen Projektionstechnik in
den Lichtspielhäusern. Freuen Sie
sich auf ein kommentiertes, wahr49
V12_PG_Kern:V_PG
11.10.2012
10:47 Uhr
Seite 50
Special Programs
THE THING
USA 1981, 109 Min, OF
R: John Carpenter, D: Kurt Russell,
Wilford Brimley, T. K. Carter, David Clennon
TERRORE NELLO SPAZIO
(Planet of the Vampires)
I/E/USA 1965, 88 Min, iFmeU
R: Mario Bava, D: Barry Sullivan,
Norma Bengell, Ángel Aranda, Evi Marandi
Von einer unheimlichen Gravitationsmacht wird das Raumschiff
Argos gezwungen, auf dem nebelverhangenen Planeten Aura zu landen.
Dort findet die Besatzung das verschollene Raumschiff Galliot und
dessen auf grausame Weise getötete
Crew. Die Astronauten müssen erkennen, dass Aura von körperlosen
Außerirdischen bevölkert wird, die
es auf ihre Körper abgesehen haben.
Das italienische Low-Budget-Werk
TERRORE NELLO SPAZIO ist inhaltlich und vor allem formal die heimliche Vorlage zu Ridley Scotts ALIEN
und damit auch zum aktuellen
ALIEN-Prequel PROMETHEUS.
1.11., 16 Uhr, Künstlerhaus
THE TEXAS CHAIN SAW MASSACRE
USA 1974, 83 Min, OF
R: Tobe Hooper, D: Marilyn Burns, Gunnar
Hansen, Allen Danziger, Paul A. Partain
Eine Gruppe Jugendlicher wird bei
einem Landausflug von einer kannibalischen Schlachterfamilie aufgegriffen. THE TEXAS CHAIN SAW
MASSACRE bebildert auf drastische
Weise die Vietnamkriegsängste der
damaligen Jugend; die USA hatten
sich in eine Mordmaschine verwandelt, die ihre Kinder abschlachtete.
Dieser bis heute stilprägende, frühe
Splatter-Klassiker basiert auf dem
Fall des Mörders und Grabräubers Ed
Gein. Hinter der Gesichtshautmaske
des hühnenhaften Schlachters Leatherface verbirgt sich das unterdrückte Wesen eines einsamen Muttersöhnchens. Mit der Kettensäge als
Phallussymbol brechen schließlich
die unterdrückten Triebe in einem
Befreiungsakt von brachialer Gewalt
hervor.
Mit EIN MOMENT DER STILLE AM GRAB
VON ED GEIN
3.11., 1 Uhr, Gartenbaukino (Nacht auf 4.11.)
7.11., 21 Uhr, Künstlerhaus
In der Arktis bekommt es ein Team
von Wissenschaftlern mit einem parasitären Bodysnatcher zu tun, der
sich in eine genaue Kopie jeder beliebigen anderen Existenzform verwandeln kann. Paranoia und Blutbad sind die Folgen. THE THING war
1982 ein Meilenstein des Spezialeffekt-Kinos und basiert auf dem
gleichnamigen, wegweisenden SFKlassiker aus dem Jahr 1951. Der
wiederum mit dem Konzept der Bedrohung durch «das Ding» die Invasionsängste des Kalten Krieges gestaltete. Es ist ein bösartiger Eindringling aus einer fremden Welt, ein
Feind von Außen, der unsere Gesellschaft zu unterwandern und infizieren droht, bis wir niemandem mehr
trauen können.
28.10., 16 Uhr, Metro
31.10., 23 Uhr, Gartenbaukino (mit
THE THING FROM ANOTHER WORLD)
GB 1958, 82 Min, OF
R: Quentin Lawrence, D: Forrest Tucker,
Laurence Payne, Jennifer Jayne, Janet Munro
Als es in den Schweizer Alpen zu unerklärlichen Todesfällen kommt, will
der Wissenschaftler Alan Brooks der
Sache auf den Grund gehen. Auch
die übernatürlich begabte Ann wird
von der ungewöhnlichen Wolke angezogen, die sich nahe dem Ort Trollenberg festgesetzt hat. Schon bald
müssen sie feststellen, dass sich in
der Wolke ein riesiges Auge verbirgt,
das die gesamte Menschheit bedroht. THE TROLLENBERG TERROR
ist eine frühkindliche Seherfahrung
des verdienten Genre-Regisseurs
John Carpenter, der davon immer
wieder heimliche Remakes gedreht
hat. Etwa THE FOG mit seiner todbringenden Nebelwolke oder THE
THING mit seinen schrecklichen
Tentakelmonstern.
4.11., 23.30 Uhr, Urania
UCHU DAIKAIJU GIRARA
(The X from Outer Space)
Japan 1967, 88 Min, OmeU
R: Kazui Nihonmatsu, D: Toshiya Wazaki,
Itoko Harada, Shinichi Yanagisawa,
Keisuke Sonoi
THE THING FROM ANOTHER WORLD
USA 1951, 87 Min, OF
R: Christian Nyby, D: Kenneth Tobey,
Margaret Sheridan, Robert Cornthwaite,
Douglas Spencer
Wissenschaftler entdecken im Eis
der Arktis ein abgestürztes UFO und
unweit davon eine konservierte,
außerirdische Lebensform, die sie
in ihre Forschungsstation bringen.
Dort taut sie auf, erwacht zu neuem
Leben und greift die Forscher an. Wie
Jahrzehnte später in ALIEN wird die
Kreatur als perfekter Organismus
charakterisiert, der nichts weiter als
überleben und sich seiner neuen
Umgebung anpassen will. «No pleasure, no pain, no emotion. Our superior in every way.» Zu sehen bekommt man das Ding, das in Wirklichkeit ein Pflanze zu sein scheint,
nur schemenhaft.
28.10., 13.30 Uhr, Metro
31.10., 23 Uhr, Gartenbaukino
(mit THE THING)
50
THE TROLLENBERG TERROR
© SHOCHIKU
haft sinnliches Seherlebnis. Filmriss
nicht ausgeschlossen.
2.11., 16 Uhr, Künstlerhaus
6.11., 23 Uhr, Stadtkino
Captain Sano und seine Crew sind
auf dem Weg zum Mars. Sie werden
von Ufos, die an fliegende Spiegeleier erinnern, angegriffen. Danach
klebt an der Hülle des Raumschiffs
eine eiförmige Substanz, die Sano
an Bord holt. Zurück auf der Erde
schlüpft aus dem Ei ein Monster und
wächst auf stattliche 60 Meter Größe
heran. Waffen werden eingesetzt. Ein
Gegenmittel wird entwickelt. Groß
ist die Zerstörung. Am Ende wird
alles gut. Auf dem Höhepunkt der
Monsterwelle in Japan versuchte die
Produktionsfirma Shoshiku mit Girara, dem bizarren grünen Riesenhuhn
aus dem Weltraum, Tohos beliebtem
Godzilla Konkurrenz zu machen.
3.11., 16 Uhr, Künstlerhaus
V12_PG_Kern:V_PG
11.10.2012
10:47 Uhr
Seite 51
FIVE WOMEN
Coleen Fitzgibbon / Narcisa Hirsch /
Mati Diop / Kurdwin Ayub /Amy Seimetz
Die spannendsten Programme eines Festivals sind die, die sich fast absichtslos zusammenfügen. Durch Zufälle und Ungleichzeitigkeiten wächst eine
Auswahl an Filmen zusammen zu einem vorläufigen Ganzen. Einem Ganzen,
das jeden Augenblick in seine eigensinnigen Momente zerfallen darf.
«Five Women» verdankt sich einer solchen Auswahl.
Die Arbeiten der argentinischen Avantgardistin Narcisa Hirsch, die in
privater und souveräner Weise seit einem halben Jahrhundert eine eigene
Geschichte des experimentellen Kinos buchstabiert, stehen neben den nur
scheinbar verspielt anmutenden Miniaturen der jungen Österreicherin
Kurdwin Ayub, die in ihrer Direktheit so verstörend sind wie lustig. Eine
nahezu vergessene Vertreterin des amerikanischen experimental cinema
der 1970er Jahre, Coleen Fitzgibbon, ist DIE Entdeckung dieser Reihe. Ihre
Arbeiten – vom home movie bis zum seriellen und abstrakten Werk – stellen
einen Kosmos des Kinos weit über das Avantgardistische hinaus dar. Schließlich eine amerikanische Schauspielerin, die eine radikale Filmemacherin
ist, Amy Seimetz, bei der durch die Sanftheit der Figuren ein ungeheurer,
physischer Horror flackert. Und nicht zuletzt Mati Diop, die französische
Filmemacherin, von Claire Denis als Schauspielerin entdeckt, die ihre politisch-experimentelle Filmarbeit unbeirrt und sensibel zu einem kleinen
Œuvre ohnegleichen entwickelt hat.
In Anwesenheit von Kurdwin Ayub, Mati Diop, Coleen Fitzgibbon,
Narcisa Hirsch und Amy Seimetz.
COLEEN FITZGIBBON
Filmmaker
assoziative Sounddesign hechelt der
redundanten HochgeschwindigkeitsMontage hinterher. Noch radikaler
abstrahierte die spätere Mitgründerin des legendären «Collaborative
Projects, Inc.» (Colab) bei einem
Zwölfminuter aus 1974: »FM/TRCS is
a study of image destruction and its
subsequent effect on recognition
and suggestion of new images.»
(Fitzgibbon) Es folgten sozialkritische Arbeiten (LOWER EAST SIDE
(LES), RICH AND POOR), und ein
schönes Beispiel kongenialer Grobpixel-Ästhetik findet sich in X MAGAZINE BENEFIT (gemeinsam mit Alan
W. Moore), in dem Fitzgibbon Auftritte von Bands mit sprechenden
Namen wie «James Chance and the
Contortions» buchstäblich underground festhielt.
26.10., 18.30 Uhr, Metro
27.10., 13.30 Uhr, Metro
NARCISA HIRSCH
Filmmaker
X MAGAZINE BENEFIT
USA 1978/2010, 12 Min, OF, Video
R: Coleen Fitzgibbon, Alan W. Moore
FM/TRCS
USA 1974, 12 Min, kein Dialog
R: Coleen Fitzgibbon
© SHOCHIKU
DER SPIEGEL
FILME VON
COLEEN FITZGIBBON (83 Min)
USA 1975/2011, 10 Min, kein Dialog
R: Coleen Fitzgibbon
Irgendwie scheinen sie den Code der
Welt entschlüsseln zu wollen, die
fiebrig flackernden Filme DER SPIEGEL, DOCUMENT und DAILY NEWS
von Coleen Fitzgibbon. Sie zählen zu
den rigorosesten Experimentalfilmen nicht nur der 1970er Jahre: In
gedruckten Schriftsätzen, in Über-
USA 1976/2010, 11 Min, OF, Video
R: Coleen Fitzgibbon
RICH AND POOR
LOWER EAST SIDE (LES)
USA 1976/2011, 17 Min, OF, Video
R: Coleen Fitzgibbon
Argentinien 1972, 17 Min, kein Dialog
TALLER
Argentinien 1999, 27 Min, kein Dialog
«I had to, like open the bruise up and
let some of the bruise blood come
out to show them»: COME OUT ist
ein hypnotisch-poetischer Kommen-
DAILY NEWS
USA 1974–76/2008, 9 Min, OF, Video
R: Coleen Fitzgibbon
Argentinien 1971, 12 Min, eOF
PATAGONIA
RUMI
USA 1974/2011, 5 Min, kein Dialog, Video
R: Coleen Fitzgibbon
DOCUMENT
COME OUT
Argentinien 1975, 10 Min, eOF
TRIP TO CAROLEE
USA 1977/2010, 7 Min, OF, Video
R: X & Y (Coleen Fitzgibbon and Robin
Winters)
FILME VON
NARCISA HIRSCH 1 (66 Min)
DER SPIEGEL
schriften, Zeitungsartikeln, Anzeigen, in der Körnung gedruckter Fotos
scheinen sie nach einer neuen Begriffs- und Bildstruktur zu suchen.
Die Kamera rückt den Zeichen gefährlich nahe, die Buchstaben werden porös wie das Filmmaterial, das
PATAGONIA
51
V12_PG_Kern:V_PG
11.10.2012
10:47 Uhr
Seite 52
Special Programs
tar zu den «Harlem Riots» von 1964,
im Zuge derer sechs Knaben wegen
Mordes verhaftet wurden. Einer von
ihnen, Daniel Hamm, war zusammengeschlagen worden und hatte
sich für die Polizei eine Wunde am
Bein geöffnet – weil er sonst nicht
ins Spital gebracht worden wäre. Der
von Narcisa Hirsch um ein Stück des
Minimal Music-Pioniers Steve Reich
gebaute Film führt auf verschwommenem Weg zu den Tatsachen.
Rumi war ein Sufi-Poet des 13. Jahrhunderts, der in der moslemischen
Welt für seine mystisch-erotischen
Gedichte bekannt ist und dessen
Grab im türkischen Konya bis heute
das Ziel von Pilgerreisen ist. Seine
Texte interpretiert Hirsch in szenischen Schleifen, auf unnachahmlich
freie, musikalisch meditative, symbolmächtige und keiner Logik außer
dem Wechsel der Jahreszeiten verpflichtete Weise. RUMI zeigt eindrucksvoll die breite, verfließende
ästhetische Palette der Künstlerin.
28.10., 18.30 Uhr, Metro
30.10., 11 Uhr, Metro
aber vereint werden im Blick des Zuschauers.» (Diego Trerotola) AMAZONA trägt die Verbindung schon
durch den Bindestrich im Titel. Basierend auf dem Mythos, wonach
Amazonen sich die Brust abschneiden, um besser den Bogen spannen
zu können, montiert Hirsch Szenen,
die nur auf den ersten Blick wenig
miteinander zu tun haben. Die Liebes-Zone wird zur Kampf-Zone wird
zur Todes-Zone – und plötzlich
fliegt, in seitenverkehrter Verlangsamung, ein Skispringer durchs Bild.
In A-DIOS greift Hirsch, unter gleichso großzügigem Einsatz von Streichinstrumenten, wieder im Wechsel
von Farbe und Schwarzweiß, abermals ihr Grundthema von Eros und
Thanatos auf. Warum wohl wird hier
ein Frosch gekreuzigt? EL ALEPH
zitiert die gleichnamige Kurzgeschichte von Jorge Luis Borges via
Voice over und hätte das Zeug zum
Viennale-Trailer: das ganze Leben in
einer Minute.
31.10., 18 Uhr, Stadtkino
2.11., 13 Uhr, Stadtkino
FILME VON
NARCISA HIRSCH 2 (77 Min)
MATI DIOP
AÍDA
Filmmaker/Actress
Argentinien 1976/2012, 7 Min,
kein Dialog, Video
BIG IN VIETNAM
jährige, in Paris lebende Filmemacherin und Schauspielerin Mati Diop
befragt in ihren Filmgedichten die
Grenzen zwischen Kunst und Leben,
zwischen Heimat und der Erinnerung daran, zwischen Mythos und
Geschichte. Ob in Form einer stimmungsvollen Parabel wie ATLANTIQUES oder ob als feinfühlig-fieser
Coming-of-age-Film wie SNOW
CANON, in dem ein Teenager sich in
der Isolation der französischen
Alpen in die amerikanische Babysitterin verliebt: Mit außerordentlichem cinematografischen Verständnis und fast magischer Sensitivität
verhandelt Diop interkulturelle Themen und Generationsunterschiede.
6.11., 21 Uhr, Künstlerhaus
35 RHUMS
F/D 2008, 100 Min, OmdU
R: Claire Denis, D: Alex Descas, Mati Diop,
Grégoire Colin, Nicole Dogué
MUJERES
Argentinien 1985, 25 Min, kein Dialog, Video
TESTAMENTO Y VIDA INTERIOR
Argentinien 1976/2001, 11 Min,
kein Dialog, Video
AMA-ZONA
Argentinien 1983/2001, 11 Min,
kein Dialog, Video
A-DIOS
Argentinien 1989, 22 Min, kein Dialog, Video
EL ALEPH
Argentinien 2005, 1 Min, OF, Video
FILME VON MATI DIOP (76 Min)
ATLANTIQUES
Senegal/F 2009, 15 Min, OmeU, Video
SNOW CANON
F 2011, 33 Min, OmeU
BIG IN VIETNAM
TESTAMENTO Y VIDA INTERIOR
In ihren Filmgedichten transformiert
die Allround-Künstlerin Narcisa
Hirsch heterogene Ideen und Formen, Genres und Gegensätze zu
einer singulären Vision. «Verschiedene Verbindungen erschaffen Universen, die einander gegenübergestellt
hätten werden können, stattdessen
52
F 2011, 28 Min, OmeU
BIG IN VIETNAM: Eine auf Sensualität basierende Version von «Les Liaisons dangereuses» will die vietnamesische Regisseurin Henriette in einem
Wald bei Marseille filmen, doch
dann kommt der Produktion der
Darsteller des Vicomte de Valmont
abhanden. Während ihr assistierender Sohn Mike und die Crew hilflos
weiterarbeiten, lernt Henriette beim
Streifen durch die Stadt einen interessanten Mann kennen und erfährt
dessen Lebensgeschichte. Die 30-
Lionel stammt aus Guadeloupe. Er
arbeitet als Zugführer und lebt mit
seiner Tochter Joséphine (Mati Diop)
in einer Pariser Vorstadt. Joséphine
ist erwachsen geworden, Lionel gewöhnt sich allmählich an den Gedanken, sie loszulassen. Nicht die Ereignisse, sondern die Bilder prägen
das Narrativ von 35 RHUMS, der an
keiner Stelle das Klischee des von
Armut und Kriminalität bestimmten
Migrantenlebens bedient. Und doch
gelingt es Denis, in dieser Geschichte
einer sich verändernden Vater-Tochter-Bindung auch vom ewigen
Fremdbleiben zu erzählen und von
den Wurzeln, die einen festhalten
und nähren.
7.11., 13.30 Uhr, Metro
V12_PG_Kern:V_PG
11.10.2012
KURDWIN AYUB
Filmmaker
FILME VON
KURDWIN AYUB (60 Min)
10:47 Uhr
Seite 53
nen und in Wien aufgewachsenen
Filmemacherin. Auch in ADELE1
etwa geht es um einen Ex-Freund:
Die Künstlerin bemüht sich, in privat
wirkendem Setting den Love-Song
«Someone like you» von Adele zu interpretieren, bis sie – von Traurigkeit
überwältigt – verstummt. Die Assoziation mit youtube nutzt Ayub
dabei als Affektverstärker. «Immer
wieder kippt das Ganze jedoch in
eine ironische Persiflage, die das Potenzial der Plattform jenseits einer
Schaubühne für Privates befragt.»
(Christa Benzer)
27.10., 18.30 Uhr, Künstlerhaus
KATZENHIMMEL (CAT HEAVEN)
AMY SEIMETZ
ADELE1
Actress/Filmmaker
A 2012, 12 Min, OmeU, Video
A 2012, 5 Min, OmeU, Video
KATZENJAMMER (CAT POWER)
A 2012, 5 Min, OmeU, Video
HASENZAHN (RABBIT TOOTH)
A 2012, 4 Min, OmeU, Video
LANGSAM REITEN COWBOY (SLOW RIDE)
A 2011, 2 Min, kein Dialog, Video
SCHNEIDEREI (ABSCISSION)
A 2011, 5 Min, OmeU, Video
SOMMERURLAUB (SUMMER HOLIDAY)
A 2011, 4 Min, kein Dialog, Video
FAMILIENURLAUB (SZENEN 1–17)
(FAMILY HOLIDAYS (SCENES 1–17))
A 2012, 23 Min, OmeU, Video
SOMMERURLAUB
«Ich hab noch immer dieselben
Haare, und ich trag noch immer Lippenstift, und ich hab noch immer
dieselben Beine.» Mit diesen Worten
versucht eine junge Frau, sich in
Reizwäsche zwischen Animal-PrintPölstern auf ihrem Bett räkelnd,
ihren Freund zurückzugewinnen.
KATZENJAMMER, wie die meisten
Video-Miniaturen von Kurdwin Ayub
im «youtube-Style» direkt in die Kamera performt, spielt so erfrischend
wie mitunter herzzerreißend mit Erwartungshaltungen, Rollenzuweisungen und Genderklischees. Die
Empfindsamkeit junger Frauen und
Mädchen, Einsamkeit, Beziehung
und Liebeskummer sind ein Schwerpunkt in den doppelbödigen Arbeiten der 22-jährigen, im Irak gebore-
BLACK DRAGON CANYON
USA 2005, 52 Min, OF, V
R: Jay Keitel, D: Amy Seimetz, Jason Joel
Harris, Christine Kellogg Darrin,
Michael Kelber
In eisigem Schwarzweiß und grandiosem Cinemascope in den Bergen
von Utah gefilmt, erzählt BLACK
DRAGON CANYON die Fragmente
einer Rachegeschichte: Eine junge
Frau (Amy Seimetz) begibt sich auf
die Suche nach dem Mörder ihrer
Mutter und verliert sich in einer Verfolgung auf Leben und Tod – schweigsam, besessen und von ihrem eige-
nen Untergang geradezu magisch
angezogen. Das hohe Maß an Stilisierung, verbunden mit der Lakonie
und Verzweiflung einer zu Ende gehenden Geschichte gemahnt an die
surrealen Westernerzählungen von
Monte Hellman und lässt wie dieser
Genregrenzen hinter sich.
6.11., 15.30 Uhr, Stadtkino
SUN DON’T SHINE
USA 2012, 82 Min, OF, Video
R: Amy Seimetz, D: Kate Lyn Sheil,
Kentucker Audley, A.J. Bowen, Kit Gwin
In Filmen von Joe Swanberg, Jay Keitel oder Lena Dunham ist die Schauspielerin Amy Seimetz in den letzten
Jahren sozusagen zum Star des amerikanischen Independent Cinema
avanciert. Markenzeichen ihrer Figuren ist der Widerspruch zwischen
ihrem zerbrechlichen Aussehen und
ihrer physischen Direktheit und Präsenz. Mit SUN DON’T SHINE legt Seimetz nun einen extrem reduzierten
und von untergründiger Bedrohung
geprägten Debütfilm über ein junges
Paar vor, das auf der Flucht zu sein
scheint. Eine seltsame Bewegung,
die sich nicht erklärt und dadurch
noch auswegloser wird. Ein wenig
Vincent Gallo, ein wenig Monte Hellman, aber sehr viel und sehr Eigenes
von Amy Seimetz.
Mit WHEN WE LIVED IN MIAMI
5.11., 21 Uhr, Künstlerhaus
WHEN WE LIVED IN MIAMI
R: Amy Seimetz
USA 2012, 12 Min, OF, Video
Die tobende Naturgewalt draußen
macht den nur knapp unterdrückten
Sturm im Inneren augenscheinlich.
Hurrikan Isaac fegt durch Miami,
während eine junge Mutter sich
müht, ihre zerbrechende Ehe zu
retten und vor ihrer ahnungslosen
kleinen Tochter den Anschein häuslichen Glücks zu wahren. Auf eigenen Erfahrungen als Scheidungskind
aufbauend, schafft Seimetz mit
WHEN WE LIVED IN MIAMI eine
einfache, doch eindringliche und
kraftvolle Geschichte, die Anleihen
nimmt sowohl bei der ungeschliffenen Emotionalität der Filme Cassavetes’ wie bei der leicht gegen die
Realität verschobenen Unheimlichkeit der Fotografien Cindy Shermans.
Mit SUN DON’T SHINE
5.11., 21 Uhr, Künstlerhaus
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10:47 Uhr
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Special Programs
FOTO: JOERG BURGER
THAT’S WOLF
Zum 100. Geburtstag des Fotografen und
Kameramanns Wolf Suschitzky
Wolf Suschitzky wurde 1912 in Wien
geboren. Er studierte Fotografie und
emigrierte 1934 unter dem Eindruck
des Austrofaschismus nach England.
Während in Wien das Verlagshaus der Eltern «arisiert« wurde, fotografierte Suschitzky in London die Straße der Buchhandlungen: Heute gilt seine «Charing
Cross Road Series» als Meilenstein der britischen Reportagefotografie – 1938
ebnete sie ihm den Weg zum Film. Er habe sich nie als Künstler gesehen,
meint Suschitzky bescheiden. Doch mit seinem handwerklichen Können,
seinem Einfallsreichtum und nicht zuletzt mit seinem Humor hat er Schönheit in den Dokumentarfilm und dokumentarische Genauigkeit in den
Spielfilm gebracht. Am Beispiel seiner Karriere ließe sich eine Geschichte
des britischen Kinos des 20. Jahrhunderts erzählen.
Eine gemeinsame Veranstaltung mit Synema.
In Anwesenheit von Wolf Suschitzky.
SNOW
GB 1963, 8 Min, OF
R: Geoffrey Jones
«The Rhythm of Film» heißt eine
vom British Film Institute herausgebrachte DVD mit den Werken von
Geoffrey Jones. Ganz besonders gilt
dieses Motto für den zügigen Avantgardefilm SNOW: Die Mühen der
Eisenbahnbediensteten im briti-
schen Winter kontrastiert Jones mit
den Annehmlichkeiten der Reisenden. Dabei montiert er das von Wolf
Suschitzky fotografierte Material
nach dem Rhythmus jazzig beschwingter Musik und lässt sein
«Rail Movie» bis hin zu einem wilden Schlagzeug-Finale zum Crescendo anschwellen. Vielfach prämiert
und 1965 für den Oscar nominiert.
GET CARTER
GB 1971, 112 Min, OmdU
R: Mike Hodges, D: Michael Caine,
Ian Hendry, Britt Ekland, John Osborne
Es dauert eine Weile, aber dann ist
der Body Count erklecklich in Mike
Hodges’ düsterem Thriller GET
CARTER, einem Klassiker des britischen Gangsterfilms. Caine spielt
eine seiner unsympathischsten Rollen als kühler Londoner Killer Jack
Carter, der im heruntergekommenen
Norden Englands dem mysteriösen
Tod seines Bruders nachgeht und
dabei in seiner Heimatstadt
Newcastle auf eine schäbige Unterwelt voller schmieriger Intrigen
stößt. Und auch wenn Carter auf
einer Zugfahrt den Hardboiled-Krimi
«Farewell, My Lovely» liest, geht ihm
die moralische Integrität von Raymond Chandlers Helden doch völlig
ab – anstelle von Noir-Stilisierung
inszeniert Hodges ein Stück bitteren
Realismus.
3.11., 21 Uhr, Künstlerhaus
MONUMENT FILM
Ein Abend mit Peter Kubelka
Im Mai 1960 schockte Peter Kubelka
das Wiener Publikum mit sechseinhalb Minuten audiovisueller, scheinbarer Anarchie: Sein Experimentalfilm ARNULF RAINER erforscht die
vier Elemente des Kinematografischen – Licht, Dunkelheit, Ton, Stille
– und «ist eine Gegenmaßnahme
zum dominierenden emotionalen
Bewegungsbild» (Jonas Mekas), «feiert die Entmachtung der Kamera als
Film generierende Maschine» (Stefan
Grissemann), «hat die rohe, primitive
Kraft eines Naturereignisses« (Fred
Camper).
Inzwischen muss Kubelka, eine
der zentralen Figuren des Avantgardefilms, niemandem mehr die Relevanz seiner Arbeiten beweisen. Damals aber hatte sich am Ende der Vorführung das bis auf den letzten Platz
besetzte Kino nahezu geleert. Wegen
ARNULF RAINER, erinnert sich Ku54
belka, habe er die meisten seiner
Freunde verloren. Die kraftvolle Wirkung seines mit dem Wesentlichen
befassten Filmstreifens hat Kubelka
gleichwohl nicht vergessen und legt
nun mit ANTIPHON die, im Wortsinn, Antwort auf ARNULF RAINER
vor: Was vorher weiß war, wird
schwarz, wo Ton war, kehrt Stille ein.
Gemeinsam sind die beiden Filme
Teil des Projektes «Monument Film»,
das aus den Formen «Projektion»
und «Installation» besteht und
folgendermaßen vorzustellen ist:
Auf die Vorführung von ARNULF
RAINER folgt die Vorführung von
ANTIPHON, danach werden ARNULF
RAINER und ANTIPHON in einer
Doppelprojektion nebeneinander
gezeigt und endlich aufeinander
projiziert.
Zur Filmvorführung gehört eine
Ausstellung, in der die Filmstreifen
von ARNULF RAINER und ANTIPHON in jeweils 128 gleich lange
Streifen geschnitten, in rechteckiger
und gleichmäßiger Form an Nägeln
aufgehängt sind: links ARNULF RAINER, rechts gegenüber ANTIPHON,
in der Mitte ergeben beide übereinandergelegt ein schwarzes Rechteck.
«Monument Film» steht im Kontext
der von Kubelka so bezeichneten
«feindlichen Übernahme» analoger
Kinotechnologie durch digitale Medien und sei zu verstehen als «Aufruf zu beharrlichem Widerstand».
In Anwesenheit von Peter Kubelka.
27.10., 20.30 Uhr, Gartenbaukino
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50 JAHRE VIENNALE!
Wir gratulieren sehr herzlich!
KAMERA
AB 9. NOVEMBER IM KINO
REGIE
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Special Programs
WIEN – MOSKAU
Artur Berger und Gerbert Rappaport –
Österreichische Filmarbeiter in der Sowjetunion
EIN PROGRAMM DES FILMARCHIV AUSTRIA
«Wien – Moskau» gibt einen ersten
Einblick in das Forschungsprojekt
«Österreichische Filmarbeiter in der
Sowjetunion» des Filmarchiv-Austria.
Dieses Projekt widmet sich zwei Wiener Filmpionieren, deren Biografien einerseits exemplarisch für das 20. Jahrhundert stehen, andererseits bis heute
in der Öffentlichkeit weitgehend unbekannt sind. Artur Berger wird 1892 in
einer jüdischen Familie in Wien geboren. Bis zu seiner Emigration nach
Herbert Rappaport, Artur Berger
Moskau 1936 arbeitet er als Filmarchitekt bei der Wiener Sascha-Film. Seine Wege kreuzen sich mit vielen, deren
Namen noch heute den Klang von Meistern haben: Michael Kertész (= Curtiz),
Alexander Korda, Otto Ludwig Preminger, Vsevolod Pudovkin, Ivan Pyr’ev
oder Boris Barnet. Der als Herbert Otto Jacob Rappaport 1908 in Wien geborene Regisseur entstammte einer der hochangesehenen jüdischen Familien der
Stadt. Sein Weg ins Exil hat viele Stationen: von Berlin aus nach Paris, über
Hollywood, mit Zwischenstopp in Italien, schließlich nach Russland. 1936
nimmt Gerbert – wie er dort, da das Russische kein «H» kennt, heißt – Rappaport eine Einladung des Lenfil’m-Studios an und wird in der Sowjetunion
über vierzig Jahre bleiben.
Kuratiert von Petr Bagrov, Ruslana Berndl, Christian Dewald, Olaf Möller,
Werner Michael Schwarz, Barbara Wurm.
PROGRAMM 1
UBIJCY VYCHODJAT NA DOROGU
(DIE MÖRDER MACHEN SICH AUF DEN WEG)
UdSSR 1942, 60 Minuten, OmdU
R: Vsevolod Pudovkin, Jurij Tarič
gen würde. Ohne Schwierigkeiten
konnte der Terror aber auch als Entlarvung der eigenen Verhältnisse gelesen werden.
Einführung: Dewald/Schwarz
26.10., 21 Uhr, Metro
PROGRAMM 2
SKAZANIE O ZEMLE SIBIRSKOJ
(DAS LIED VON SIBIRIEN)
UdSSR 1947, 110 Minuten, OmdU
R: Ivan Pyr’ev
Eine Studie über die Entfaltung des
nationalsozialistischen Terrors im
Privaten. Der Film, von Bert Brechts
Drama Furcht und Elend des Dritten
Reiches inspiriert, wurde von Pudovkin in Alma Ata realisiert. In die kasachische Hauptstadt waren im
Herbst 1941 die Moskauer Studios
vor den herannahenden deutschen
Truppen evakuiert worden. Nach seiner Fertigstellung wurde DIE MÖRDER MACHEN SICH AUF DEN WEG
allerdings verboten. Offiziell, weil er
zu sehr Mitgefühl für die Opfer und
zu wenig Hass auf die Täter erzeu56
Pyr‘ev hatte bereits in den 1930er
Jahren die sowjetische Musikkomödie begründet, die mit Leichtigkeit,
Witz und romantischem Dekor staatliche Ansprüche und privates Glück,
altrussische Traditionen und sowjetische Modernisierung vereinte.
Einführung: Dewald/Schwarz
27.10., 16 Uhr, Metro
PROGRAMM 3
ANNUŠKA
UdSSR 1959, 84 Minuten, OmdU
R: Boris Barnet
ANNUŠKA beginnt mit einer Erinnerung. An leuchtende Sommertage, in
die der Krieg unvermittelt und todbringend einbricht. Der jungen Annuška stehen grausame Prüfungen
bevor: der Tod des Mannes, eines
Kindes, der Verlust des Zuhauses. Sie
besteht sie, wird zurückkehren, ein
neues Zuhause für sich und ihre Kinder bauen. Der Verlust und die Erinnerungen bleiben dennoch ständig
gegenwärtig. Für den Eisenstein-Experten Naum Klejman ist Barnet mit
seinen einfühlsamen Porträts einfacher Menschen ein Ufer des sowjetischen Kinos. Eisenstein das andere.
Einführung: Dewald/Schwarz
29.10., 18.30 Uhr, Metro
PROGRAMM 4
OPERACIJA «Y» I DRUGIE PRIKLJU ČENIJA ŠURIKA
(OPERATION «Y» UND ANDERE ABENTEUER
VON ŠURIK)
UdSSR 1965, 91 Minuten, OmdU
R: Leonid Gajdaj
Wie in vielen Kriegsheimkehrerdramen dieser Zeit erhofft sich der Held,
ein Pianist aus Moskau, Heilung
durch ein Leben in Abgeschiedenheit und Einfachheit. Er zieht nach
Sibirien, wo es für Entwurzelte wie
ihn Platz und Aufgaben gibt. Ivan
Šurik, angelehnt an die großen
Stummfilmkomiker, ist ein schmächtiger, tollpatschiger, aber in den ent-
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scheidenden Momenten mutiger
und gewitzter Held, der es meist –
wie es nicht anders sein kann – mit
wesentlich Stärkeren zu tun bekommt. Mit seinen in Russland bis
heute beliebten Komödien zählte
Leonid Gajdaj in den 1960er und
1970er Jahren zu den erfolgreichsten
Regisseuren in der Sowjetunion. Der
Witz bewegte sich immer am Rand
des Erlaubten. In OPERATION «Y» ist
es sogar möglich, sich über das heiligste Gebiet der staatlichen Fürsorge, den Wohnbau, lustig zu machen.
Einführung: Dewald/Schwarz
30.10., 16 Uhr, Metro
PROGRAMM 5
PROFESSOR MAMLOK
UdSSR 1938, 104 Minuten, OmdU
R: Gerbert Rappaport, Adol’f Minkin
Rappaports Regie-Debüt, die Friedrich-Wolf-Adaption PROFESSOR
MAMLOK, ist ein Anti-Nazi-Film und
eine qualvoll analytische, nackt inszenierte Studie des Antisemitismus,
in der sämtliche Abstufungen von
Erniedrigung-Degradierung-Auslöschung in eisigem Schwarz-Weiß
durchdekliniert werden. Einst Heimstätte des renommierten Chirurgen
Mamlok wird die Klinik zum Hort
des Spotts und der Entfremdung. Am
Ende muss Mamlok gehen, um den
Hals ein «Jude»-Schild. Einst glaubte
er an Aufklärung, Forschung und liberale Werte, hatte mit den Kommunisten ein Problem, wich der Klassenfrage aus. Nun steht er der Rotzbande und ihrer «Rassentheorie» gegenüber. Im Buch nimmt er sich das
Leben; der Film ruft zur Revolution.
Rotfront!
Einführung: Möller/Wurm
1.11., 18.30 Uhr, Metro
10:47 Uhr
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PROGRAMM 6
ŽIZN’ V CITADELI (LEBEN IN DER ZITADELLE)
UdSSR 1947, 86 Minuten, OmdU
R: Gerbert Rappaport
spielen Fußball. Die ČASTUŠKI AUS
PODDUBKI wiederum, freche SingSang-Reime frecher Kolchosenarbeiterinnen (auf ihren verbohrten Vorsitzenden zum Beispiel oder den
Traktoristen Griša), werden von
Laien dargeboten: Kolchosalltag im
Leningrader Kirov-Palast der Kultur!
Einführung: Möller/Wurm
4.11., 16 Uhr, Metro
PROGRAMM 8
ČEREMUŠKI
Über das Schicksal der Regisseure in
der UdSSR der direkten Nachkriegsjahre weiß man nicht allzu viel. Rappaport jedenfalls wurde in die Estnische SSR geschickt, um in Tallinn
das nationale Filmstudio aufzubauen. Vier Spielfilme drehte er dort, zunächst LEBEN IN DER ZITADELLE,
der heute – insbesondere in Estland
– als nicht ganz unproblematisch erachtet wird. Wie Mamlock will auch
Professor Mijlas neutral sein – doch
die Zeiten sprechen dagegen. Seine
Söhne haben sich schon entschieden: der eine mordet auf der Seite
der Nazis, der andere siegt mit der
Roten Armee.
Einführung: Möller/Wurm
3.11., 18.30 Uhr, Metro
PROGRAMM 7
SON BOLEL’ŠČIKA
(DER TRAUM EINES FUSSBALLFANS)
UdSSR 1953, 4 Minuten, kein Dialog
R: Gerbert Rappaport
PODDUBENSKIE ČASTUŠKI
(ČASTUŠKI AUS PODDUBKI)
UdSSR 1957, 78 Minuten, OmdU
R: Gerbert Rappaport
UdSSR 1963, 90 Minuten, OmdU
R: Gerbert Rappaport
Die sechziger Jahre, so pastellfarben
und glücksverheißend, wie sie Minelli und Demy nicht hätten perfekter zeichnen können. Rappaports Inszenierkunst, seine Genreverfeinerungen rund um das Musical, erreicht in ČEREMUŠKI, basierend auf
Šostakovičs Operette Moskva, Čeremuški ihren Höhepunkt. Worum es
konkret geht: Chruščevs großangelegtes Umkrempeln der Moskauer
Wohnlandschaft, eine Riesenbaustelle, die sich peu à peu in eine
(leicht imaginäre) Tanzfläche verwandelt, auf der die Menschen –
junge reine Seelen, ältere bürokratisch verbaute Typen oder sehr
durchschnittliche SowjetbürgerInnen – in einem ersungenen Delirium
der Freude (aber auch des Zanks)
baden. Im Film tauwettert es noch,
draußen fröstelt es bereits. RealSoz,
sehnsuchtsvoll.
Einführung: Möller/Wurm
5.11., 18.30 Uhr, Metro
Das durchgestaltete In- und Miteinander der Künste sollte die
(post)stalinistische Gesellschaft
einer einzigartigen Form der Kultur
zuführen: einer, die den Unterschied
von E/U, Hochkultur/Folklore,
Stadt/Land oder jung/alt nicht kennt.
Im kongenialen DER TRAUM EINES
FUSSBALLFANS tanzen also Sportler
Ballett oder umgekehrt: Volkstänzer
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Retrospektive
FRITZ LANG
Mit Fritz Lang (geboren 1890 in Wien, gestorben
1976 in Beverly Hills) assoziiert man gemeinhin
nicht nur den Monokel-tragenden Star-Regisseur
von METROPOLIS, M und den DR. MABUSE-Filmen, sondern auch jenen Mann, dem Goebbels
1933 die Leitung der deutschen Filmproduktion
angetragen hatte, und der daraufhin über Frankreich in die USA floh, wo er die nächsten 40 Jahre
leben und – oft unter schwierigen Bedingungen –
arbeiten sollte. Wie die Klassiker-Aura hängen
über Langs Werk und Namen also ebenso verschiedene Geschichts-Nebel des 20. Jahrhunderts. Was Lang aus seinem deutschen Werk im
amerikanischen – das mit 22 Filmen aus praktisch allen Genres größer ist – weiterentwickeln
konnte (vieles) und was nicht (genauso vieles), ist das beredte und bewegende
Zeugnis einer Künstler-Biografie, das zu sprechen beginnt, so man die Filme
in direkter Nachbarschaft sieht. Solcherart lässt sich ein Klassiker für die heutige, schwierige Zeit gewinnen. Denn so wie Lang selbst gekämpft hat, stellt
der Kampf auch eine Grundnotwendigkeit für seine Helden dar. Der junge
Godard schrieb einmal, die exemplarische Situation beim «germanischsten
aller amerikanischen» Regisseure sei diese: Einem normalen Menschen wird
etwas genommen, das aus seinem Leben nie wegzudenken war. Nun muss er
sein Schneckenhaus verlassen und auf eigene Rechnung Gerechtigkeit herstellen. «Wichtig ist nicht so sehr, ob er gewinnt», sagte Lang immer wieder,
«sondern, DASS er den Kampf aufnimmt.»
AMERICAN GUERRILLA
IN THE PHILIPPINES
USA 1950, 105 Min, OF
D: Tyrone Power, Micheline Presle, Jack Elam,
Bob Patten
Pazifikkrieg 1942. Die amerikanische Besatzung eines Torpedobootes
rettet sich auf eine der philippinischen Inseln. Zunächst nur darauf
aus, möglichst bald wieder in den
«richtigen» Krieg einzugreifen,
schließen sie sich, beeindruckt von
der philippinischen Widerstandsbewegung, der Guerilla gegen die japanischen Besatzer an. Gedreht an Originalschauplätzen und durch die Erzählerstimme aus dem Off mit quasidokumentarischem Einschlag, zeugt
der Film von der Hochachtung Langs
für jeglichen Kampf für Freiheit und
Unabhängigkeit.
31.10., 16 Uhr, Filmmuseum
12.11., 18.30 Uhr, Filmmuseum
BEYOND A REASONABLE DOUBT
USA 1955/56, 80 Min, OF
D: Dana Andrews, Joan Fontaine, Sidney
Blackmer, Philip Bourneuf
In dieser raffinierten Verkehrung
eines gängigen Plots gibt sich der
Schriftsteller Tom Garrett alle Mühe,
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für einen Mord verurteilt zu werden,
den er nicht begangen hat. Um zu
beweisen, wie leicht in den USA ein
Unschuldiger auf dem elektrischen
Stuhl landet, konstruiert er mit seinem gegen die Todesstrafe engagierten, künftigen Schwiegervater eine
perfekte Indizienreihe. Doch in der
Todeszelle erfährt Tom vom Unfalltod seines einzigen Mitwissers, alles
Entlastungsmaterial ist vernichtet.
Seine letzte Hoffnung ruht nun auf
seiner Verlobten.
25.10., 18.45 Uhr, Filmmuseum
10.11., 18.30 Uhr, Filmmuseum
THE BIG HEAT
USA 1953, 88 Min, OF
D: Glenn Ford, Gloria Grahame,
Jocelyn Brando, Alexander Scourby
Das korrupte Gespinst zwischen
Mafia, Polizei und Regierung ist
schier unentwirrbar geworden, die
Brutalität, in Gestalt des von Lee
Marvin verkörperten sadistischen
Gangsters Vince Stone, hat einen unerhörten Grad erreicht. Selbst die Ermittlungen des rechtschaffenen Cops
Bannion schlagen nach dem Mord
an seiner Frau um in einen persönlichen Rachefeldzug. Das Etikett Film
noir scheint hier fast untertrieben,
und es sind Zweifel erlaubt, wie
ernst am Ende der Sieg des Guten
und die Entlarvung der Bösen zu
nehmen sind.
20.10., 19.15 Uhr, Filmmuseum
4.11., 21 Uhr, Filmmuseum
THE BLUE GARDENIA
USA 1952/53, 90 Min, OmfU
D: Anne Baxter, Richard Conte, Ann Sothern,
Raymond Burr
Nat King Coles «Blue Gardenia» ist
der einschmeichelnde Titelsong dieses Film noir um die Telefonistin
Norah, die unter Mordverdacht und
damit in die Fänge der Polizei wie
auch der sensationslüsternen Presse
gerät. Dagegen ist die Tat selbst, der
Mord an einem skrupellosen Frauenhelden, bitterböse ironisch mit dem
«Liebestod» aus Richard Wagners
«Tristan und Isolde» unterlegt. Betont wird so, auch durch Details wie
etwa Norahs loyaler FreundinnenWG, Langs Solidarität mit den Frauen in einer von Männermoral und
-dominanz geprägten Gesellschaft.
29.10., 19.45 Uhr, Filmmuseum
11.11., 18.30 Uhr, Filmmuseum
CLASH BY NIGHT
USA 1951/52, 105 Min, OF
D: Barbara Stanwyck, Paul Douglas,
Robert Ryan, Marilyn Monroe
Das Meer, Wellen, die ans Ufer schlagen, eröffnen den Film, doch der
Eindruck von Freiheit täuscht. Mae
kehrt nach einem misslungenen
Leben in ihr heimatliches Fischerdorf zurück, heiratet, Halt suchend,
den Fischer Jerry und kann doch
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11.10.2012
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CLASH BY NIGHT
bald die Enge nicht mehr ertragen.
Sie flieht, ohne von ihrer Liebe überzeugt zu sein, in eine Affäre. Der
Film lebt von seiner bedrückend
realistischen Atmosphäre und einer
großartigen Barbara Stanwyck,
die mit einer unnachahmlichen
Mischung aus Sehnsucht und
stoischem Sarkasmus aufwartet.
2.11., 18.30 Uhr, Filmmuseum
18.11., 18.30 Uhr, Filmmuseum
CLOAK AND DAGGER
USA 1946, 104 Min, OF
D: Gary Cooper, Lilli Palmer, Robert Alda,
Vladimir Sokoloff
In den letzten Kriegsjahren wird ein
amerikanischer Physiker (Gary Cooper) vom Geheimdienst angeworben,
um mehr über die Atombombenpläne
der Nazis herauszufinden und einen
italienischen Wissenschaftler zu befreien. Dabei verliebt er sich in die
Widerstandskämpferin Gina (die
junge Lilli Palmer in einer ungewöhnlich starken Frauenrolle). Eine etwas
konstruierte Spionagegeschichte, die
neben Lang-typischer Licht- und
Schattensetzung durch eine erstaunlich naturalistische und harte Darstellung von Gewalt beeindruckt.
5.11., 18.30 Uhr, Filmmuseum
19.11., 18.30 Uhr, Filmmuseum
DR. MABUSE, DER SPIELER
TEIL 1: DER GROSSE SPIELER. EIN BILD UNSERER ZEIT
TEIL 2: INFERNO. EIN SPIEL VON MENSCHEN
UNSERER ZEIT
D 1921/22, 155 Min/115 Min, dZT
D: Rudolf Klein-Rogge, Aud Egede Nissen,
Gertrude Welcker, Alfred Abel
des bösen Übermenschen. Entstanden nach der Vorlage eines Fortsetzungsromans eröffnet Lang mit DR.
MABUSE das Kinozeitalter des Thrillers und Gangsterfilms und ordnet
sich künstlerisch ein in den Übergang von Expressionismus und
neuer Sachlichkeit.
25.10., 20.30 Uhr, Filmmuseum (Teil 1)
26.10., 18.30 Uhr, Filmmuseum (Teil 2)
FRAU IM MOND
D 1929, 185 Min, dZT
D: Klaus Pohl, Willy Fritsch,
Gustav von Wangenheim, Gerda Maurus
Gold auf dem Mond? Das weckt Begehrlichkeiten. Und so müssen der
freakige Professor und seine Mitstreiter (unter ihnen eine Frau!) die
Rakete zum Mond mit einem goldgierigen Vertreter der turbokapitalistischen «Gehirne und Scheckbücher» teilen. Für Umsetzung und
Ausstattung dieses genuinen Science-Fiction Films holte sich Lang
Rat von Astrophysikern und Raketenforschern und entwirft neben der
technischen eine damit verbundene
soziale Utopie des Zusammengehens
von «Kopf und Hand», Intellekt und
Arbeit.
10.11., 20.15 Uhr, Filmmuseum
FURY
Langs Zweiteiler ist vor allem ein
Spiegel der geistigen Verfassung seiner Zeit, einer Gesellschaft am Abgrund. Als Psychoanalytiker nutzt
Mabuse seine hypnotischen Fähigkeiten, um Menschen in den Wahnsinn zu treiben und die Weltherrschaft zu erringen. Der Verkleidungskünstler, Falschspieler und
Verführer entpuppt sich als Inbild
USA 1936, 94 Min, OF
D: Spencer Tracy, Sylvia Sidney,
Walter Abel, Bruce Cabot
Der harmlose Joe Wilson gerät in den
Verdacht, ein Mädchen entführt zu
haben, und wird von einem sich aufschaukelnden Mob beinahe gelyncht. Aber er überlebt und betreibt
nun von Rache besessen aus seinem
Versteck heraus die Verurteilung der
22 Rädelsführer wegen Mordes.
Langs erster Film im amerikanischen
Exil, eine Parabel auf den Juden verfolgenden Mob in Deutschland, geht
zugleich frontal das in den USA viru-
lente Problem der Lynchjustiz an –
und kontrastiert sie mit der verfassungsmäßigen Rechtsstaatlichkeit
der neuen Heimat.
21.10., 21 Uhr, Filmmuseum
3.11., 18.30 Uhr, Filmmuseum
HANGMEN ALSO DIE!
USA 1942/43, 135 Min, OF
D: Brian Donlevy, Walter Brennan, Anna Lee,
Gene Lockhart
Langs «Kriegsbeitrag» gegen das faschistische Deutschland. Nach dem
Mordanschlag auf Heydrich jagt die
Gestapo den Attentäter. Die tschechische Widerstandsbewegung lenkt
den Verdacht auf einen Kollaborateur. Der Film verhandelt Themen
von Verschwörung und Vergeltung,
fremder und eigener Schuld. Das
Volk, auf der Seite des Gejagten,
steht dem Staatsterroristen – einem
Widergänger Dr. Mabuses – gegenüber. Gemimt werden die Nazis, Ironie des Schicksals, von Schauspielern, die vor eben jenen in die USA
geflohen waren.
26.10., 16 Uhr, Filmmuseum
11.11., 20.15 Uhr, Filmmuseum
HARAKIRI
D 1919, 79 Min, dt. eingespr.
D: Paul Biensfeldt, Lil Dagover, Georg John,
Meinhart Maur
Kulissen im Zoo Hagenbeck, Ausstattung durch ein völkerkundliches Museum: Diese Version der «Madame
Butterfly» lässt nichts aus, um ein
«authentisches» Japan zu bieten.
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11.10.2012
10:47 Uhr
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Retrospektive
Thema des Films ist die Ehre der
Frau; deren Gefährdung beziehungsweise deren Erhalt zuerst O-TakeSans Vater, dann diese selbst durch
Harakiri zum Opfer fallen. Die Darstellung der brutalen Missachtung
fremder Empfindung und Kultur
durch den europäischen Offizier, der
O-Take-San in den Tod treibt, sorgt
überdies für einen unüberhörbaren
antikolonialistischen Unterton.
Mit DAS WANDERNDE BILD
4.11., 16 Uhr, Filmmuseum
HOUSE BY THE RIVER
USA 1949, 89 Min, OF
D: Louis Hayward, Lee Bowman, Jane Wyatt,
Dorothy Patrick
Die Konstellationen und Stimmungen
dieses Thrillers im Gewand der Jahrhundertwende wären sicher ebenso
gut in einem Film noir untergebracht.
Diesmal ist es der mäßig erfolgreiche
Schriftsteller Stephen Byrne, der
durch einen ersten Fehltritt in den
unentrinnbaren Sog des Verbrechens
gerät. Langs eher skeptische Einschätzung menschlicher Moralfähigkeit zeigt sich freilich darin, dass,
verglichen mit ähnlichen Plots bei
Hitchcock, der Held dieser Geschichte von Anfang an alles andere als ein
unschuldig naiver Tropf ist.
25.10., 17 Uhr, Filmmuseum
8.11., 18.30 Uhr, Filmmuseum
HUMAN DESIRE
USA 1953/54, 91 Min, OF
D: Glenn Ford, Gloria Grahame,
Broderick Crawford, Edgar Buchanan
Die Eisenbahn, Züge, Schienen spannen die metaphorische Bildebene für
dieses Eifersuchtsmelodram. Jeff
und Carl arbeiten bei der Bahn, zeitweise verbindet und trennt sie die
Liebe zur selben Frau, zu Carls Frau
Vicki. Jeff fährt die Züge, er bewegt
sich, anfangs in die Stadt, am Ende
hinaus. Carl und Vicki bleiben in
ihren Leidenschaften, ihrem Hass
und ihrer Schuld gefangen wie in
den Zugabteilen, in denen die zwei
Morde des Films passieren. Es gibt
kein Aussteigen aus dem fahrenden
60
Zug, er folgt den Schienen unerbittlich bis zum Ende.
1.11., 21 Uhr, Filmmuseum
12.11., 20.30 Uhr, Filmmuseum
DAS INDISCHE GRABMAL
(siehe DER TIGER VON ESCHNAPUR,
S. 62.)
KÄMPFENDE HERZEN
D 1920/21, 79 Min, dZT
D: Carola Toelle, Hermann Böttcher,
Ludwig Hartau, Anton Edthofer
Tags ein angesehener Makler, frequentiert Harry Yquem des Nachts
in Verkleidung anrüchige Spelunken
und trifft sich mit Geldfälschern, Dieben und Hehlern. Als er dort einen
vermeintlichen Liebhaber seiner
Frau zu erkennen meint, nimmt ein
actionreiches Verwirrspiel seinen
Lauf. Dass die scheinbar getrennten
Welten von rechtschaffenem Bürgertum, Gesetzeshütern und kriminellem Untergrund von verblüffend
ähnlichen Strukturen und Regeln
beherrscht sind, deutet sich hier bereits als ein politisches Grundthema
Langs an.
1.11., 16 Uhr, Filmmuseum
LILIOM
F 1933/34, 117 Min, OmdU
D: Charles Boyer, Madeleine Ozeray,
Florelle, Robert Arnoux
M
D 1931, 110 Min, OF
D: Peter Lorre, Ellen Widmann, Inge Landgut,
Gustaf Gründgens
Ein pathologischer Kindermörder
löst in Berlin eine Massenhysterie
aus und wird von Obrigkeit wie bestorganisierter Unterwelt gnadenlos
gejagt. Peter Lorre beeindruckt als
innerlich gespaltener, seinen kranken Trieben ausgelieferter Täter, der
selbst zum Opfer wird. Langs erster
Tonfilm ist ein Parforceritt durch die
Genres mit zugleich formal strengem
Konzept. Das erhitzte gesellschaftliche Klima am Vorabend des Nationalsozialismus im Hintergrund,
weist er populistische Lynchjustiz
zurück und kulminiert in einem
Plädoyer für Rechtsstaatlichkeit.
19.10., 21 Uhr, Filmmuseum
7.11., 20.30 Uhr, Filmmuseum
MAN HUNT
USA 1941, 100 Min, OF
D: Walter Pidgeon, Joan Bennett,
George Sanders, John Carradine
Thorndike, in Deutschland auf Jagdurlaub, hat die gefährlichste Beute
der Welt im Visier, Adolf Hitler. Aber
bevor er sein Gewehr laden kann,
wird er festgenommen, gefoltert und
schafft nur knapp die Flucht nach
England. Dort sind die Nazis ihm
weiter auf den Fersen, doch er entkommt erneut. Wochen später
springt er als Soldat mit dem Fallschirm über Deutschland ab, diesmal wird sein Gewehr geladen sein.
Von diesem vor Kriegseintritt der
USA entstandenen Propagandafilm
waren die auf Neutralität bedachten
amerikanischen Behörden nur
mäßig begeistert.
28.10., 18.30 Uhr, Filmmuseum
8.11., 20.30 Uhr, Filmmuseum
Wunderbar leicht und märchenhaft
und mit angemessener Ironie inszeniert Lang Ferenc Molnárs Bühnenstück vom Rummelkönig und Filou
Liliom, der sich aus Scham über
einen missglückten Coup das Leben
nimmt. Doch die himmlische Bürokratie, die jedem Vergleich mit der
irdischen standhält, gibt ihm auf
Erden eine zweite Chance, die in
guter alter Tradition an eine unerfüllbare Bedingung geknüpft ist. Als
Liliom nach dem Scheitern schicksalergeben ins Jenseits zurückkehrt,
hat die Liebe das Unmögliche vollbracht.
28.10., 16 Uhr, Filmmuseum
9.11., 20.30 Uhr, Filmmuseum
METROPOLIS
D 1926, 83 Min/149 Min, dZT
D: Alfred Abel, Gustav Fröhlich,
Rudolf Klein-Rogge, Fritz Rasp
Mit einem weiblichen Homunkulus
stachelt ein mad scientist die versklavten Arbeiter, die tief unter der
Erde die Maschinen in Gang halten,
gegen die ihrem genussreichen
Leben frönenden Schönen und Reichen der Oberstadt auf. Die Utopie
einer Versöhnung von «Kopf und
Hand» verbunden mit einer grandios
futuristischen Bildgestaltung und
Architektur machten METROPOLIS
zum Klassiker des Science-FictionKinos. Wenn man will, lassen sich in
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Langs meisterhafter Choreografie der
Massenszenen überdies Anfänge des
modernen Tanzes erkennen.
20.10., 17.30 Uhr, Filmmuseum
(Moroder-Fassung 1984, 83 Min)
3.11., 20.30 Uhr, Filmmuseum
(Restaurierte Fassung 2010, 149 Min)
10:47 Uhr
Seite 61
DER MÜDE TOD
D 1921, 105 Min, dZT
D: Lil Dagover, Walter Janssen,
Bernhard Goetzke, Hans Sternberg
MINISTRY OF FEAR
USA 1943/44, 87 Min, OF
D: Ray Milland, Marjorie Reynolds,
Carl Esmond, Dan Duryea
Eine weitere Anti-Nazi-Propaganda
Langs und eine filmische Umsetzung
von Paranoia erster Güte. Kaum aus
der Nervenheilanstalt entlassen, in
die er zu Unrecht eingewiesen
wurde, gerät Stephen Neale durch
den harmlosen Gewinn einer Torte
in einen Strudel von Verschwörung,
Spionage und Geheimgesellschafterei, der keinen Stein seines gerade
wiedergewonnenen Lebens in der
Normalität auf dem anderen lässt.
Mit eisigen Klauen herrscht die
Angst; geradezu brachial herbeigeführt erscheint da das sonnige
Happy End.
27.10., 16 Uhr, Filmmuseum
9.11., 18.30 Uhr, Filmmuseum
MOONFLEET
USA 1954/55, 87 Min, OF
D: Stewart Granger, George Sanders,
Joan Greenwood, Viveca Lindfors
So zauberhaft vage wie der titelgebende Name des Dorfes, Moonfleet,
so fantastisch sind die Abenteuer,
die der 10-jährige John dort erlebt.
Gemeinsam mit der in Moonfleet ansässigen, pittoresken Schmugglerbande sowie deren elegantem Anführer Jeremy Fox, in dessen Hände
die sterbende Mutter John befohlen
hatte. In der Kulisse eines eher legendenhaften denn historisch-realistischen England des 18. Jahrhunderts erzählt Lang die sinnbildliche
Geschichte einer Kindheit im Übergang zum so genannten Ernst des Lebens. Auch John wird diesem am
Ende nicht entgehen.
18.10., 21 Uhr, Filmmuseum
29.11., 18.30 Uhr, Filmmuseum
gemusterten Gewändern. Mit anderen Worten: Langs Genialität erweist
sich weniger in der Erzählung nationaler Mythen, denn in seiner absoluten Meisterschaft cineastischer
Schauwerte, denen sich der Zuschauer auch 90 Jahre später gerne
für ein paar Stunden überlässt.
27.10., 18 Uhr, Filmmuseum (Teil 1)
27.10., 21 Uhr, Filmmuseum (Teil 2)
RANCHO NOTORIOUS
Der Tod, eine expressionistische Gestalt in Künstlermantel und -hut, ist
seines Geschäfts so müde, dass die
junge Frau ihn leicht überredet: Sie
darf ihren toten Geliebten wiedersehen, wenn sie ein anderes Leben
retten kann. Ihre drei Versuche –
märchenhaft üppig in Szene gesetzt
– führen sie in den Orient, ins alte
Venedig und ins kaiserliche China,
doch keinen der dort je drohenden,
gewaltsamen Tode kann sie verhindern. Auch die Elenden und Todgeweihten, die sie daraufhin anfleht,
wollen ihr Leben nicht hergeben. Erst
mit einem spontanen, selbstbestimmten Opfer erfüllt sich der Wunsch.
18.10., 19 Uhr, Filmmuseum
DIE NIBELUNGEN
TEIL 1: SIEGFRIED
TEIL 2: KRIEMHILDS RACHE
D 1922/24, 149 Min/130 Min, dZT
D: Gertrud Arnold, Margarete Schön, Hanna
Ralph, Paul Richter
Die Widmung «Dem deutschen Volke
zu eigen» lässt Nationalideologisches in einem Maße erwarten, in
dem es nicht eingelöst wird. Denn so
sehr es in diesem Film um Mythisches geht, um Treue, Gier, Verrat
und Rache, so wenig ist, zumal angesichts des sinnlosen gegenseitigen
Abschlachtens am Ende, ernsthaft
nationalheroisches Kapital daraus
zu schlagen. Der Ideologieverdacht
mag denn eher in der monumentalen Ästhetik ein Indiz finden. Alles
erscheint in großartiger Weise überdimensioniert. Kleine Menschen verlieren sich in himmelhohen Gebäuden und auf meterhohen Thronen,
der Wald besteht aus Mammutbäumen, selbst das Licht strahlt in
übermenschlichen Dimensionen.
Kostüme und Ausstattung changieren zwischen einer imaginierten
germanischen Sagenwelt und dem
Stil mittelalterlicher Miniaturen mit
ihren fantastischen Ritterrüstungen,
monströsen Helmen und plakativ
USA 1951, 89 Min, OF
D: Marlene Dietrich, Arthur Kennedy,
Mel Ferrer, Gloria Henry
Marlene Dietrich betreibt als ehemalige Bardame und Sängerin Altar
Keane in diesem Abschied Langs
vom Westerngenre das Outlaw-Versteck, in dem der Cowboy Vern Haskell den Mörder seiner Verlobten
sucht. Unüberbietbar lässig die
Kippe im Mundwinkel, im aufreizenden Saloon-Kleid oder im CowboyOutfit ist sie die unhinterfragte Herrscherin in ihrem Reich. Nur ihr Blick,
enigmatisch wie stets, vermittelt
eine Ahnung von Daseins-Müdigkeit
und der nicht erloschenen Sehnsucht nach der einen Liebe, für die
sich das Opfer lohnen wird.
31.10., 21.15 Uhr, Filmmuseum
25.11., 18.45 Uhr, Filmmuseum
THE RETURN OF FRANK JAMES
USA 1940, 92 Min, OF
D: Henry Fonda, Gene Tierney, Jackie Cooper
Der Western, das wusste Lang, ist die
mythische Erzählung Nordamerikas,
und so gilt sein erster Versuch in
diesem Genre – darin dem Nibelungenfilm nicht unähnlich – einer
Geschichte von Treue, Verrat und
Rache. Dass zugleich Themen wie
Korruption der Justiz, Pressefreiheit
und die Machtinteressen des Kapitals (verkörpert durch die skrupellose Eisenbahngesellschaft) gegenüber dem Einzelnen verhandelt
werden, ist ein Beweis mehr für
die Fähigkeit des Regisseurs, aus
jedem Stoff das politisch Virulente
herauszufiltern.
4.11., 18.45 Uhr, Filmmuseum
25.11., 17 Uhr, Filmmuseum
SCARLET STREET
USA 1945, 102 Min, OmfU
D: Edward G. Robinson, Joan Bennett,
Dan Duryea, Margaret Lindsay
Einmal im Leben spielt Christopher
Cross den Helden und schützt eine
Frau vor einem Schläger, doch ge61
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Retrospektive
lohnt wird ihm dies nicht. Vielmehr
rutscht er in eine skrupellose Halbwelt ab, der er nicht gewachsen ist
und die sein Leben zerstört. Edward
G. Robinson mimt den demütigen
kleinen Angestellten Cross mit einer
Intensität, die körperlich schmerzt.
Und es wundert nicht, dass Lang mit
einem so bitteren und düster-realistischen Film der US-amerikanischen
Zensur diesmal, im Jahr 1945, nicht
entkam.
1.11., 18.30 Uhr, Filmmuseum
18.11., 20.30 Uhr, Filmmuseum
SECRET BEYOND THE DOOR …
USA 1947, 99 Min, OF
D: Joan Bennett, Michael Redgrave,
Anne Revere, Barbara O’Neil
Mark, den Celia nach kurzer Bekanntschaft geheiratet hat, pflegt ein
schauriges Hobby: Er baut Zimmer
nach, in denen Morde geschehen
sind, überzeugt, die Architektur
eines Raums bestimme, was in ihm
geschieht. Der siebte, wie bei Blaubart verschlossene Raum sieht exakt
aus wie Celias Zimmer … Ein nebelumwogtes Schloss, eine enigmatische Sekretärin und ein neurotischer
Protagonist mit einem dunklen Geheimnis sind weitere Ingredienzien
zu Langs bemerkenswerter Variante
des psychoanalytischen gothic
thriller.
28.10., 21 Uhr, Filmmuseum
15.11., 20.30 Uhr, Filmmuseum
DIE SPINNEN
1. ABENTEUER: DER GOLDENE SEE
2. ABENTEUER: DAS BRILLANTENSCHIFF
D 1919, 72 Min/99 Min, dt. eingespr.
D: Carl de Vogt, Ressel Orla, Georg John,
Rudolf Lettinger
Ähnlich den Fortsetzungsromanen
in den Zeitungen erlangten im Kino
der 1910er Jahre Serienfilme große
Popularität. DIE SPINNEN von Lang
brachten es zwar nur auf zwei der
geplanten vier Folgen, doch die sind
randvoll mit allem, was sich die verarmte und zerstreuungsbedürftige
Bevölkerung des sich vom politischen Chaos erholenden Zwischen62
kriegsdeutschlands von zwei Stunden Realitätsflucht im Kino nur wünschen konnte. Beim Kampf um einen
Inkagoldschatz (erster Teil) beziehungsweise einen Diamanten (zweiter Teil) bekommt es Sportsmann,
Gentleman und Abenteurer Kay
Hoog mit der Geheimorganisation
der so genannten «Spinnen» zu tun.
Deren Agenten schleichen sich ninjagleich in schwarzen Ganzkörpermasken heran, die Fäden spinnt im Verborgenen die geheimnisvolle Lio
erneut auf. Wieder ist es ein Psychiater, der wahnsinnig und machtbesessen danach trachtet, die Welt ins
Chaos zu stürzen. Mittelpunkt dieses
Karussells von Schein und Entlarvung ist ein von den Nazis erbautes
Luxushotel, in dem jedes Zimmer
mit Kameras überwacht wird. Dem
neuen Mabuse, Herr über Gedanken
und Imagination, bleibt nichts verborgen. Als Machtzentrale genügt
ihm ein Raum voller Monitore.
29.10., 16 Uhr, Filmmuseum
15.11., 18.30 Uhr, Filmmuseum
DAS TESTAMENT DES DR. MABUSE
Sha, unterstützt von Vertretern des
Großkapitals in Zylinder und Frack.
Dies der Hintergrund oder, sagen
wir, Vorwand für großes Drama und
wilde Abenteuer, exotische Reisen
zu Lande, Luft und Wasser und eine
der damals noch weitgehend starren
Kamera in bewundernswerter Weise
abgetrotzte Rasanz der Action.
21.10., 17.30 Uhr, Filmmuseum (Teil 1)
21.10., 19 Uhr, Filmmuseum (Teil 2)
SPIONE
D 1927/28, 150 Min, dZT
D: Rudolf Klein-Rogge, Gerda Maurus,
Lien Deyers, Louis Ralph
Ein Minister wird ermordet, brisante
Dokumente werden geraubt, der Geheimdienst ist machtlos. Bis endlich
– nein, nicht 007, sondern der ebenso gut aussehende und smarte Agent
326 zum Einsatz kommt. Allen Widrigkeiten und weiblichen Verführungen zum Trotz kann er in diesem
rasanten Spionagethriller den Drahtzieher der Affäre entlarven. Der sitzt
– wen wundert’s – in der großbürgerlichen Chefetage einer Bank und
führt seit Jahren unbehelligt sein kriminelles Doppelleben – bis Nr. 326
dem Spuk souverän ein Ende macht.
31.10., 18.30 Uhr, Filmmuseum
DIE TAUSEND AUGEN DES DR. MABUSE
F/I/BRD 1960, 103 Min, OF
D: Dawn Addams, Peter van Eyck,
Wolfgang Preiss, Gert Fröbe
In seiner letzten Regiearbeit greift
Lang 27 Jahre nach seinem ersten
MABUSE-Film das Thema des genialen und omnipräsenten Verbrechers
D 1932/33, 121 Min, OF
D: Rudolf Klein-Rogge, Oskar Beregi,
Karl Meixner, Theodor Loos
Nach der Machtübernahme durch
die Nationalsozialisten verbot die
Zensurbehörde Langs letzten deutschen Film, der seine Premiere dann
im Ausland erlebte. In einer Irrenanstalt notiert der wahnsinnige Psychiater Mabuse manisch Anleitungen zu Verbrechen, derweil sich eine
Großstadt im Würgegriff einer ominösen Macht des Bösen befindet.
Mabuse scheint telepathisch von
den Seelen derer Besitz zu ergreifen,
die den Terror ausführen. Eine
geniale Illustration der Idee vom
perfekten Verbrechen und vorweggenommener Spiegel einer Angst
und Schrecken säenden Ideologie.
20.10., 21 Uhr, Filmmuseum
11.11., 16 Uhr, Filmmuseum
DER TIGER VON ESCHNAPUR /
DAS INDISCHE GRABMAL
BRD/F/I 1959, 101 Min/101 Min, OF
D: Debra Paget, Paul Hubschmid,
Walter Reyer, Claus Holm
Bereits 1921 hatte Lang, nach der
Vorlage der Romane seiner damaligen Frau Thea von Harbou, das
Drehbuch zu Joe Mays gleichnamigen Stummfilmen geliefert. Und es
ist wohl nicht von ungefähr, dass es
die Remakes dieser Monumentalfilme waren, mit denen er versuchte,
erstmals wieder in Deutschland Fuß
zu fassen. Knüpfen sie doch ästhe-
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tisch weit mehr an seine frühe
Stummfilmzeit an als an die Sozialrealistik seiner amerikanischen
Werke. Mögen die Filme auch an Originalschauplätzen in Indien gedreht
sein, so erscheint der Subkontinent
doch, farbenprächtig bevölkert von
Maharadschas, Elefanten, Sahibs
und Tempeltänzerinnen, ganz und
gar als märchenhafte Kulisse europäischer Projektion in ein fernes,
ewig fremdes Hindustan. Dass Lang
nichtsdestotrotz sehr viel an den
Charakteren, an Psychologie und
Dialog gelegen war, erweist sich
überraschenderweise aus der Wahl
des Formats. Als wolle er sich von
den Historien- und Kostümschinken
seiner Zeit absetzen, wählt er nicht
das nahe liegende Cinemascope,
sondern geht sogar noch unter Breitwand auf das alte Normalformat von
3:4 zurück. Hatte er doch schon mit
DIE NIBELUNGEN bewiesen, dass
dies dem Schauwert keinen Abbruch
tun muss.
17.11., 16.30 Uhr, Filmmuseum
(DER TIGER VON ESCHNAPUR)
18.11., 16.30 Uhr, Filmmuseum
(DAS INDISCHE GRABMAL)
DAS WANDERNDE BILD
D 1920, 60 Min, dZT
D: Mia May, Hans Marr, Rudolf Klein-Rogge,
Harry Frank
Die Frau in dem Zug Richtung Alpen
wirkt niedergeschlagen und verzweifelt. Sie ist die Witwe von Georg Vanderheit – oder doch die Frau von
dessen Zwillingsbruder John? Geschickt verzögert Lang die Aufklärung des Rätsels bis in den dritten
Akt, wenn die Frau nach einem Anschlag Johns mit Georg in dessen
Einsiedlerhütte verschüttet wird und
Rückblenden die vertrackte Vorgeschichte offenbaren. Vor imposanter
Bergkulisse findet das Drama um falsche und wahre Liebe, um Konvention, Eifersucht und Wahn seinen würdigen Abschluss.
Mit HARAKIRI
4.11., 16 Uhr, Filmmuseum
WESTERN UNION
USA 1940, 95 Min, OF
D: Robert Young, Randolph Scott,
Dean Jagger, Virginia Gilmore
Langs zweiter Western greift einen
weiteren US-amerikanischen Mythos
auf: die technische Erschließung des
Westens durch den Bau der transkontinentalen Telegrafenleitung im
Jahr 1861. Vor dem Hintergrund des
10:47 Uhr
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aus seinem Wunschtraum ein Erwachen gibt.
24.10., 21 Uhr, Filmmuseum
24.11., 18.30 Uhr, Filmmuseum
YOU AND ME
beginnenden Sezessionskrieges
muss sich der einstige Outlaw Vance
Shaw im blutigen Kampf der Interessen positionieren, in dem moderne
Staatlichkeit, Ansprüche der indigenen Bevölkerung und altes Faustrecht einander gegenüberstehen. Am
Ende zerreibt ihn der Konflikt und
der Film inszeniert ihn als Märtyrer
des Fortschritts.
3.11., 16 Uhr, Filmmuseum
14.11., 18.30 Uhr, Filmmuseum
WHILE THE CITY SLEEPS
USA 1955, 99 Min, OF
D: Dana Andrews, Rhonda Fleming,
Sally Forrest, Thomas Mitchell
Der nichtsnutzige Erbe des Medienmoguls Amos Kyne setzt seine willigen Untergebenen – unter ihnen ein
nur geringfügig skrupulöserer Pulitzerpreisträger –, in Konkurrenz um
den verwaisten Direktorenposten,
auf den «Lippenstiftmörder» an.
Hinter diesem Namen verbirgt sich
ein triebgesteuertes Muttersöhnchen
Freud’scher Prägung, das schließlich
zur Strecke gebracht wird. Mit Methoden, die durch moralische Bedenken nur mäßig getrübt sind. Ein düsteres Bild einer medienterrorisierten
Gesellschaft lange vor Murdoch, Berlusconi und Konsorten.
19.10., 19 Uhr, Filmmuseum
5.11., 21 Uhr, Filmmuseum
THE WOMAN IN THE WINDOW
USA 1944, 99 Min, OF
D: Edward G. Robinson, Joan Bennett,
Raymond Massey, Dan Duryea
Der Name Sigmund Freuds, in der
Vorlesung des Professors für Kriminalpsychologie, Richard Wanley,
groß auf der Tafel zu lesen, setzt den
Ton für diesen raffinierten Film noir.
Als Wanley, wie so oft, sehnsüchtig
das Gemälde einer schönen Frau in
einem Schaufenster betrachtet, steht
diese plötzlich neben ihm. Doch die
erfüllte Männerfantasie entwickelt
sich zum Alptraum, der Professor
verheddert sich in einem Gespinst
aus Leidenschaft, Gewalt und Schuld
und kann am Ende froh sein, dass es
USA 1938, 94 Min, OF
D: Sylvia Sidney, George Raft, Robert
Cummings, Barton MacLane
Joe und Helen, zwei der von Kaufhausbesitzer Morris großherzig
engagierten Ex-Sträflinge, verlieben
sich und heiraten, doch Joe weiß
nichts von Helens Vergangenheit.
Damit ist für Drama gesorgt in einem
Film, der überdies mühelos musicalhafte Songs von Kurt Weill, Film noir
und augenzwinkernde Ironie verbindet. Und der in einer so hochmoralischen wie hochkomischen Szene
kulminiert, in der die «schweren
Jungs» nach misslungenem Einbruch brav in der Kinderabteilung in
ihren Tretautos sitzen und Helen es
ihnen an der Tafel vorrechnet:
«Crime doesn’t pay».
24.10., 19 Uhr, Filmmuseum
7.11., 18.30 Uhr, Filmmuseum
YOU ONLY LIVE ONCE
USA 1936/37, 86 Min, OF
D: Sylvia Sidney, Henry Fonda,
Barton MacLane, Jean Dixon
Der Kleinkriminelle Eddie will nach
seiner Haft mit Joan, die auf ihn gewartet hat, ein neues Leben beginnen. Doch da sei die Unerbittlichkeit
einer Gesellschaft vor, die ihm keine
Chance gibt, bis er sich diese selbst
verbaut. Er wird auf tragische Weise
schuldig und flieht mit Joan, die bis
in den gewaltsamen Tod bedingungslos zu ihm hält. Ein früher Film
noir von expressionistischer Ausdrucksstärke, mit Schatten so scharfkantig wie die Kritik an der selbstgerechten Gnadenlosigkeit der nie
gestrauchelten braven Bürger.
26.10., 21 Uhr, Filmmuseum
17.11., 18.30 Uhr, Filmmuseum
63
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11.10.2012
10:47 Uhr
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Retrospektive
FILME MIT UND ÜBER FRITZ LANG
LE MÉPRIS
F/I 1963, 102 Min, OmdU
R: Jean-Luc Godard, D: Brigitte Bardot,
Michel Piccoli, Jack Palance, Fritz Lang
nicht funktioniere, suche er sich
eben einen anderen.
Mit DEUTSCHE LEBENSLÄUFE –
DIE 1000 AUGEN DES FRITZ LANG
22.10., 19 Uhr, Filmmuseum
sellschaft, die Rückkehr aber durch
Entfremdung verbaut, wie in dem
von Lang zitierten Gedicht: «… doch
wenn er dann nach Hause kommt,
ist er daheim ein fremder Mann.»
Mit CINÉASTES DE NOTRE TEMPS:
LE DINOSAURE ET LE BÉBÉ
22.10., 19 Uhr, Filmmuseum
CONVERSATION WITH FRITZ LANG
Wunderbar und mit viel Respekt
setzt Godard in LE MÉPRIS Fritz
Lang als Ikone seiner selbst in Szene.
Lang spielt in diesem Film über das
(kommerzielle) Filmemachen den
Regisseur eines Odysseus-Projektes
– und Godard in einer Kleinstrolle
seinen Assistenten. Im altmodisch
eleganten Nadelstreifen tritt Lang
auf, das Monokel lässig ins Auge
geklemmt, rauchend und polyglott
parlierend zitiert er mal Dante mal
Hölderlin, bevor er in seinem amerikanischen Straßenkreuzer davonrauscht. Er hat das letzte Wort auf
dem Set: Silenzio!
22.10., 21 Uhr, Filmmuseum
2.11., 21 Uhr, Filmmuseum
USA 1974, 47 Min, OF, Video
R: William Friedkin
Lang, ein alter Mann mit Augenklappe und Sonnenbrille, sitzt entspannt
und abgeklärt auf einem Sofa und
antwortet in großer Ausführlichkeit
auf Friedkins Fragen, die fast ausschließlich die Jahre 1918 bis 1933
berühren. Dabei spricht er wenig
über die Filme selbst; produktionstechnische und gesellschaftliche,
aber auch persönliche Hintergründe
scheinen ihm wichtiger. Getreu seinem auch bei dieser Gelegenheit geäußerten Credo: «If a director needs
to give an interview to explain his
films to the audience, he is a lousy
director!»
FRITZ LANG
D 1990, 44 Min, OF
R: Werner Dütsch
Mit wohltuend hohem Anspruch präpariert und analysiert Dütschs 1974
fürs Fernsehen gedrehter und 1990
überarbeiteter Essay einige Konstanten im Werk Langs: den nüchternen
Blick, den dieser auf eng und immer
enger werdende (auch metaphorisch
zu verstehende) Räume richtet, der
allgemeine große Schuldzusammenhang, in dem die Lang’schen Figuren
stehen, und dem sie ebenso wenig
entrinnen können wie der Technisierung ihrer Lebenswelt. Das ist die
Lang’sche Versuchsanordnung: dem
von Hybris berauschten Menschen
eine Schlinge um den Hals legen –
und beobachten, wie er sich abstrampelt.
Mit FRITZ LANG
29.10., 18 Uhr, Filmmuseum
DEUTSCHE LEBENSLÄUFE –
DIE 1000 AUGEN DES FRITZ LANG
Mit CONVERSATION WITH FRITZ LANG
29.10., 18 Uhr, Filmmuseum
D 2007, 44 Min, OF, Video
R: Artem Demenok
FRITZ LANGS DEUTSCHE FILME
F 1967, 63 Min, OmeU, Video
R: André Sylvain Labarthe
In einem Gespräch mit Jean-Luc Godard, das drei Jahre nach LE MÉPRIS
stattfand und Themen von Psychoanalyse bis Filmzensur streift, verwendet Lang scherzhaft die kuriose
Nomenklatur des Titels auf sich, den
quasi «Filmpionier», und Godard,
den jungen Vertreter eines schnellen, spontaneren Kinos. Und nichts
könnte die konträren Herangehensweisen der beiden besser veranschaulichen als jener Moment, in
dem Lang demonstriert, wie er einen
Raum minutiös der Idee einer Szene
gemäß konstruiert, woraufhin Godard lapidar meint, wenn der Raum
BILD: © SWR (S2)
CINÉASTES DE NOTRE TEMPS:
LE DINOSAURE ET LE BÉBÉ
Filmszenen, Interviewausschnitte,
Zeugnisse aus Langs Leben und persönliche Aussagen dreier Regisseure
(Jean-Marie Straub, Volker Schlöndorff, Claude Chabrol) verbindet ein
kluger Kommentar zu einem stimmigen Porträt eines Mannes, der bei
aller zur Schau getragenen Souveränität und trotz allen äußeren Erfolges das Schicksal so vieler Emigranten teilte: Nie wirklich heimisch
geworden zu sein in der neuen Ge-
BRD 1971, 92 Min, OF, Video
R: Klaus Kreimeier
In drei Kapiteln und unter tendenziös ideologiekritischer Maßgabe beschäftigt sich Kreimeier mit dem
Werk Langs bis zur Emigration: «Der
Ästhet und die Wirklichkeit» zeigt,
inwieweit das von der Industrialisierung geprägte Schönheitsempfinden
des gründerzeitlichen Großbürgertums Eingang in Langs Filme fand.
«Der Idealist und die Zivilisation»
beschäftigt sich mit dem ideologischen Subtext seiner Werke und
«Der Bürger und die politische
Macht» stellt schließlich den weltanschaulichen Konnex zum dräuenden
Faschismus her.
2.11., 16 Uhr, Filmmuseum
FÜR DEN INHALT VERANTWORTLICH Alexandra Seitz, Paolo Calamita TEXTE Hans Hurch, Thomas Mießgang, Michael Pekler,
Maria Poell, Roman Scheiber, Alexandra Seitz, Katja Wiederspahn sowie Michael Baute (Mozos), Jörg Buttgereit (Something Different) Olaf Möller (Grifi u.a.),
Lars Penning (Caine u.a.), Christian Dewald, Werner Michael Schwarz, Barbara Wurm (Wien-Moskau), Barbara Kronsfoth & Maria Marchetta (Retrospektive)
LEKTORAT Roland Faltlhansl GRAFIK Gabi Adébisi Schuster, Rainer Dempf ANZEIGENVERKAUF Barbara Heumesser ABBILDUNGSNACHWEIS Produktionsfirmen; Regisseure; Verleiher; Weltvertriebe; Filmdokumentationszentrum Filmarchiv Austria; Aus den Sammlungen des Österreichischen Filmmuseum; Filmbild Fundus, Herbert Klemens; Deutsche Kinemathek; Coleção Cinemateca Portuguesa; Privatarchiv Manuel Mozos; Associazione
Culturale Alberto Grifi; Cineteca Nazionale; Filmmuseum München, Gerhard Ullmann; David Kordansky Gallery; Toho Co., Ltd.; Shochiku; Joerg Burger; SWR