VIENNALE 2012
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VIENNALE 2012
V12_PG_Kern:V_PG 11.10.2012 10:46 Uhr Seite 1 VIENNALE 2012 25. OKTOBER BIS 7. NOVEMBER An dieser Stelle finden Sie einen Faltplan mit allen Filmen und Terminen. Falls er abhanden gekommen sein sollte, holen Sie sich bitte Ihren Übersichtsplan an einer Viennale-Kinokassa oder Vorverkaufsstelle. TICKETVORVERKAUF AB 20. OKTOBER 2012, 10 UHR Tickets im Internet www.viennale.at Tickets mit Kreditkarte oder Online-Banking Tickets per Telefon Freeline 0800 664 012 mit Kreditkarte, tägl. 10–20 Uhr Per Telefon bzw. online gekaufte Tickets sind an allen Vorverkaufsstellen oder in den Viennale-Kinos abzuholen. Ab 30 Minuten vor Beginn einer Vorstellung sind ausschließlich Tickets für diese Vorstellung erhältlich. VORVERKAUFSSTELLEN Tickets bar, mit Bankomat oder Kreditkarte Mariahilfer Straße / Ecke Museumsquartier 1070 Wien, Mariahilfer Straße/Ecke MQ; täglich 10–20 Uhr; U2 Museumsquartier Schottentor-Passage U2-Station Schottentor/Universität; täglich 10–20 Uhr; U2 Schottentor/Universität Gartenbaukino 1010 Wien, Parkring 12; von 20. bis 24. Oktober, 10–20 Uhr; U3 Stubentor Zusätzliche Expresskassen am 20. und 21. Oktober Aufgrund des großen Andrangs werden am ersten Vorverkaufswochenende zusätzliche Expresskassen geöffnet. Die Expresskassen sind für Käufe bis zu 10 Tickets vorgesehen, um eine raschere Abwicklung zu gewährleisten. Gartenbaukino 1010 Wien, Parkring 12; 20. und 21. Oktober, 10–20 Uhr Künstlerhaus 1010 Wien, Akademiestraße 13; 20. und 21. Oktober, 10–20 Uhr (nur Barzahlung, nur Expresstickets) Bei ausverkauften Vorstellungen werden 30 Minuten vor Vorstellungsbeginn an der Kinokassa Wartenummern für Resttickets ausgegeben. TICKETS Einzelticket Ab 10 Tickets Ab 20 Tickets Ticketpreise €9 € 8,30 pro Ticket € 7,30 pro Ticket Ticketermäßigungen € 8,30 € 7,60 pro Ticket € 6,60 pro Ticket Ermäßigungen bei Vorweisen der entsprechenden Ausweise. Kunden und Mitarbeiter der Inhaber der «Fernwärme-Servicecard» erhalten für Filme ausgewählter Zeitschienen je 2 Tickets zu je € 5,90 KINOS Gartenbaukino 1010 Wien, Parkring 12; U3 Stubentor 2 Künstlerhaus 1010 Wien, Akademiestraße 13; U1, U2, U4 Karlsplatz Metro 1010 Wien, Johannesgasse 4; U1, U2, U4 Karlsplatz Stadtkino 1030 Wien, Schwarzenbergplatz 7; U4 Stadtpark Urania 1010 Wien, Uraniastraße 1; U1, U4 Schwedenplatz Retrospektive: Österreichisches Filmmuseum 1010 Wien, Augustinerstraße 1; U1, U2, U4 Karlsplatz Tickets für die Retrospektive sind sowohl über die Viennale als auch über das Filmmuseum erhältlich. Informationen unter www.filmmuseum.at und www.viennale.at. Alle Kinos bieten barrierefreien Zugang. VIENNALE MERCHANDISING Katalog Festival The Useful Book: César Aira Plakate (A1 und A2) Viennale DVDs Schlüsselbänder €9 €7 € 3 bzw. € 2 € 14,90 € 2,50 Katalog Retrospektive The Useful Book: Fritz Lang V’12-Filmstills-Plakat Viennale DVD Box € 12 €7 € 10 € 59,90 V12_PG_Kern:V_PG 11.10.2012 10:46 Uhr Seite 2 Das neue Café · Bar · Events · Diskussionen TÄGLICH VON 18 UHR BIS 4 UHR FRÜH 1010 Wien, Dominikanerbastei 11 (U1, U4 Schwedenplatz) VIENNALE FESTIVALZENTRUM Donnerstag, 25.10., ab 22 Uhr Viennale-Eröffnung: Party HANS NIESWANDT & NICK HOOK (CUBIC ZIRCONIA/ FOOLS GOLD) & CID RIM (LUCKY ME / AFFINE REC) Mit «From: Disco To: Disco» sorgte Hans Nieswandt in den 90ern für einen weltweiten Hit. Gemeinsam mit seinem angesagten New Yorker Kollegen Nick Hook steht er bei der Eröffnungsparty an den Turntables. Bewegt eure Ärsche auf die Tanzfläche! Freitag, 26.10., ab 22 Uhr Party RHINOPLASTY: «M.O.L.O.C.H.» Anlässlich der diesjährigen Retrospektive erweist auch das Rhinoplasty – die hipste queere Party der Stadt – Fritz Lang seine Reverenz und beschwört unter dem Titel «M.O.L.O.C.H» den deutschen Expressionismus … Beware! Samstag, 27.10., ab 22 Uhr DJ-Set & Party FILMEMACHERINNEN AN DEN PLATTENTELLERN Das beliebte Format mit Plattenschätzen von: Melanie Shatzky und Brian Cassidy (FRANCINE), Dominga Sotomayor (DE JUEVES A DOMINGO), Andrés Duque (ENSAYO FINAL PARA UTOPÍA), Bernd Schoch (ABER DAS WORT HUND BELLT JA NICHT), Damien Ounouri (FIDAÏ). Moderation: Aki Beckmann INGO BERTRAM Sonntag, 28.10., 19.30 Uhr Buchpräsentation & Lesung «ERINNERUNGEN AN WIEN» VON FRITZ LANG Als neuer Band der Viennale Edition «The Useful Book» präsentiert das Festival erstmals vollständig die Erinnerungen Fritz Langs an seine Geburtsstadt Wien. Sonntag, 28.10., ab 21 Uhr DJ-Set & Party DORIS UHLICH Die Choreografin Doris Uhlich hinterfragt radikal Körperbilder, ironisch und mitreißend setzt sie dabei Popmusik ein – wie jüngst in einer famosen Falco-Performance. Mit Hits aus den 80ern ist also zu rechnen. 2 Freier Eintritt bei allen Veranstaltungen und Konzerten! Presented by Montag, 29.10., 20 Uhr Vernissage VIENNALE PORTRÄTS Siehe Kasten. Montag, 29.10., ab 21 Uhr DJ-Set & Party GATED AREA: HANS SCHABUS, LUDWIG GERSTACKER UND ALEXANDER EHRMANN Auch heuer geben wieder bildende Künstler Einblicke in ihre Musikvorlieben. Der Abend nennt sich «Gated Area»: Ihren geschlossenen Wohnkomplex werden Ludwig Gerstacker und Hans Schabus gemeinsam mit Alexander Ehrmann beschallen. Dienstag, 30.10., 20.30 Uhr Diskussion ÖSTERREICHS FILMFESTIVALS FORDERN: RAUS AUS DER KOMMASTELLE! Filmfestivals in Österreich fristen mit wenigen Ausnahmen ein kärgliches Dasein, leisten jedoch Wesentliches für das Kino. Darüber muss man reden. Mit: Doris Bauer (espressofilm), Daniel Ebner (VIS), Sebastian Höglinger (YOUKI), Hans Hurch (Viennale), Barbara Pichler (Diagonale) Dienstag, 30.10., ab 21.30 Uhr DJ-Set & Party CHEZ DEL UND URBS Wenn phil-Betreiber Christian Schädl gemeinsam mit dem Soundbastler Paul Nawrata aka DJ Urbs an den Turntables steht, dann sind fetzige 80er Hits nostalgische Film-Soundtracks der 60er Jahre und schräge Funk-Loops garantiert. Mittwoch, 31.10., ab 21 Uhr Konzert & Party ANBULEY (LIVE), DJ NU-MARK (TOY-SET/DJ) Anbuley vereint in ihrem schweißtreibenden Afrobeat Einflüsse aus Ghana ebenso wie Jazz und FunkElemente, bis hin zu Melodien von Isaac Hayes. Nu-Mark ist mit seinem Mix aus Latin, Afro- und Balkan-Beat ein Garant für volle Tanzflächen. In Kooperation mit V12_PG_Kern:V_PG 11.10.2012 10:46 Uhr Seite 3 FOTOAUSSTELLUNG IM FESTIVALZENTRUM VIENNALE PORTRÄTS Internationale Star-Gäste gesehen durch die Kameras der Viennale-Fotografen 29.10.– 7.11. 2012 Vernissage: Montag, 29.10., 20 Uhr Anlässlich des 50-Jahre-Jubiläums der Viennale findet eine Ausstellung mit Arbeiten der langjährigen Viennale-Fotografinnen und Fotografen Ruth Ehrmann, Robert Newald, Alexi Pelekanos, Reiner Riedler, Alexander Tuma und Klaus Vyhnalek statt. Donnerstag, 1.11., 19.30 Uhr DVD-Abend TERROR, CHIPS UND BIER Jörg Buttgereit (Special Program: Something Different) präsentiert den Film THE TROLLENBERG TERROR mit einem begleitenden Audiokommentar von John Carpenter. Das gibt’s nur einmal, das kommt nie wieder. Donnerstag, 1.11., ab 21.30 Uhr DJ-Set & Party FILMEMACHERINNEN AN DEN PLATTENTELLERN Mike Ott präsentiert auch heuer wieder Schätze aus seiner Plattensammlung. Weiters legen auf: Tizza Covi & Rainer Frimmel (DER GLANZ DES TAGES) und Jörg Buttgereit (Special Program: Something Different) Moderation: Norman Shetler Freitag, 2.11., 19.30 Uhr Buchpräsentation & Lesung «FESTIVAL» VON CÉSAR AIRA Als weiterer Band eines «Useful Books» erscheint erstmalig in deutscher Übersetzung ein kleiner, fantastischer Schlüsselroman über die verrückte Welt der Filmfestivals Freitag, 2.11., ab 22 Uhr DJ-Set & Party DJ BLACKJOY, SMOAB, FRITZ DA GROOVE Superfly präsentiert mit DJ Blackjoy und Smoab House Music vom Feinsten. Mit im Team ist auch Fritz da Groove mit seiner Mischung aus entspannten Funky Tunes und tanzwütigen Disco Sounds. In Kooperation mit Samstag, 3.11., ab 22 Uhr DJ-Set & Party EBONY BONES (DJ-SET), DJ MICHAEL OSTROWSKI & MATHIAS ZSUTTY Die Auftritte und DJ-Sets von Ebony Bones sind großes Theater: exzentrische Kostüme, wilde Tanzeinlagen zwischen Vogueing und Pogo und dazu einen verwegener Sound. Nach Ebony Bones stehen Michael Ostrowski und FM4Urgestein Mathias Zsutty an den Plattentellern. In Kooperation mit Sonntag, 4.11., ab 21 Uhr DJ-Set & Party TIM SIMENON Bereits eine Legende der elektronischen Tanzmusik, gelang es Simenon, stets Chart-Erfolge mit UndergroundExperimenten zu verbinden. Im Festivalzentrum legt er Schmuckstücke aus seiner Plattensammlung auf. In der Ausstellung sind rund 40 Schwarzweiß- und Farbporträts, einige davon unveröffentlicht, zu sehen. Darunter Porträts von Martin Scorsese, Wim Wenders, Jane Birkin, Lauren Bacall, Danny Glover, Isabelle Huppert, Sofia Coppola, David Lynch, Jane Fonda, Tilda Swinton, Brian De Palma, James Coburn, Yoko Ono, Harry Belafonte. Montag, 5.11., ab 21 Uhr Konzert & Party JOEL GIBB (THE HIDDEN CAMERAS), DJS FIRN UND AROSA Joel Gibb, Band Frontman von The Hidden Cameras (Ban Marriage!!) tourt als Sänger auch Solo. Nach seinem Konzert legt das heimische DJ-Duo Firn und Arosa gewohnt souverän quer durch die Musikstile auf. Dienstag, 6.11., 19.30 Uhr Lesung RAINALD GOETZ Rainald Goetz, einst Chronist der Party-Kultur («Rave», 1998) und früher Apologet der Online-Option («Abfall für alle», 1999), blickt in seinem jüngsten Roman «Johann Holtrop» verächtlich auf die Nullerjahre zurück. Dienstag, 6.11., ab 22 Uhr DJ-Set & Party KAISER CHIEFS (DJ-SET), DJ FRANCO FORTE Seit kurzem sind die Bandmitglieder der Kaiser Chiefs nicht nur in ihrer Heimat Großbritannien auch als DJs sehr beliebt. Als Local Support steht den Briten DJ Franco Forte mit seinem Downbeat, House und Freestyle zur Seite. Mittwoch, 7.11., ab 22 Uhr Viennale-Abschluss & Party MIKE SKINNER (DJ-SET), DJ SOMA Mike Skinner aka The Streets («Has It Come to This») steht für musikalisch höchst raffinierten Rap. Tanzbar wie eh und je: Die Briten wissen eben, wie man Party macht. Unterstützt wird er vom umtriebigen DJ Soma. DER STANDARD SCHENKT HAPPY HOURS MIT Vöslauer Balance Bitter. Während des Festivals erhalten Sie zwischen 18 und 21 Uhr gegen Abgabe eines Viennale-Tickets eine Flasche Vöslauer Balance Bitter im Viennale-Festivalzentrum. Solange der Vorrat reicht. 3 V12_PG_Kern:V_PG 11.10.2012 10:46 Uhr Seite 4 AN EVENING TO REMEMBER PATTI SMITH IM METRO KINO JEM COHEN Sonntag, 4. November, 21 Uhr Metro Kino, 1., Johannesgasse 4 Tickets werden kostenlos und nach dem Zufallsprinzip vergeben. Zur Teilnahme bis zum 1.11. ein E-Mail an remember@viennale.at mit Namen und Ticketanzahl (1 oder 2 Tickets) senden. Aufgrund des besonderen Charakters der Veranstaltung hat Patti Smith den intimen Rahmen des Metro Kinos gewählt. Wir bitten daher um Verständnis, dass wir nicht allen Ticketwünschen nachkommen können. Der 4. November stellt für Patti Smith ein besonderes Datum dar, und es ist ihr Wunsch, an diesem Abend verloren gegangener Freunde und Weggefährten zu gedenken: Robert Mapplethorpe, mit dem sie sich zeitlebens eng verbunden fühlte, wurde am 4.11.1946 geboren, ihr Ehemann Fred «Sonic» Smith verstarb am 4.11.1994. Im intimen Rahmen des Metro Kinos wird Patti Smith eine Reihe ihrer Songs spielen sowie Gedichte und ausgewählte Texte lesen. Am 5.11. findet um 20.30 Uhr im Gartenbaukino die Vorführung von MUSEUM HOURS von Jem Cohen in Anwesenheit von Patti Smith statt, die bei diesem Film als Executive Producer fungiert hat. Tickets für diesen Film sind im regulären Viennale Vorverkauf erhältlich. EVENT OF THE DAY 14 AUSGEWÄHLTE FESTIVAL-MOMENTE Die in diesem Jahr an Höhenpunkten nicht gerade arme Viennale will ihrem Publikum mit der Reihe «Event of the Day» eine kleine Orientierungshilfe geben. Die einzelnen täglichen Events sind von ganz und gar unterschiedlichem Charakter und finden an den verschiedenen Orten des Festivals statt. Freitag, 26.10., 20 Uhr, Gartenbaukino GALA IN HONOR OF MICHAEL CAINE Weltpremiere der restaurierten Fassung von SLEUTH (Joseph L. Mankiewicz, USA/GB 1972) mit anschließendem Gespräch mit Michael Caine. Samstag, 27.10., 20.30 Uhr, Gartenbaukino MONUMENT FILM Ein Abend der besonderen Art mit Peter Kubelka und der Präsentation seiner beiden Arbeiten ARNULF RAINER (1960) und ANTIPHON (2012) in nie dagewesener Form. Sonntag, 28.10., 19.30 Uhr, Festivalzentrum BUCHPRÄSENTATION & LESUNG: «ERINNERUNGEN AN WIEN» VON FRITZ LANG Als neuer Band der Viennale Edition «The Useful Book» präsentiert das Festival erstmals vollständig die Erinnerungen Fritz Langs an seine Geburtsstadt Wien. Montag, 29.10., 23 Uhr, Gartenbaukino FILMPREMIERE: LEVIATHAN Vorführung des experimentellen Dokumentarfilms von Verena Paravel und Lucien Castaing-Taylor in Anwesenheit der Regisseure. Dienstag, 30.10., 20.30 Uhr, Festivalzentrum DISKUSSION: DIE KOMMASTELLE Filmfestivals in Österreich fristen mit wenigen Ausnahmen ein kärgliches Dasein, leisten jedoch Wesentliches für das Kino. Darüber muss man reden. Mittwoch, 31.10., ab 13.30 Uhr, Metro Kino THREE TIMES BOOGIE WOOGIE Ein Film mal drei. Drei Filme in einem. James Bennings hypnotische Serie mit einem neuen dritten Teil als Weltpremiere. In Anwesenheit des Filmemachers. 4 Donnerstag, 1.11., 19.30 Uhr, Festivalzentrum TERROR, CHIPS UND BIER Jörg Buttgereit präsentiert den Film THE TROLLENBERG TERROR aus dem Jahr 1958 mit einem begleitenden Audiokommentar von John Carpenter – auf DVD. Freitag, 2.11., 19.30 Uhr, Festivalzentrum BUCHPRÄSENTATION & LESUNG: «FESTIVAL» VON CÉSAR AIRA Als «Useful Book» erscheint erstmalig in deutscher Übersetzung ein kleiner Schlüsselroman über die verrückte Welt der Filmfestivals. Samstag, 3.11., 21 Uhr, Künstlerhauskino GALA IN HONOR OF WOLF SUSCHITZKY Geburtstagsabend zu Ehren und in Anwesenheit des 100jährigen aus Wien stammenden Kameramannes Wolf Suschitzky. Showing GET CARTER (Mike Hodges, GB 1971). Sonntag, 4.11., 21 Uhr, Metro Kino AN EVENING TO REMEMBER Ein rares akustisches Konzert und Poetry Reading des Viennale Gastes Patti Smith im exklusiven Rahmen des Metro Kinos. Montag, 5.11., 20.30 Uhr, Gartenbaukino FILMPREMIERE: MUSEUM HOURS Ein Wien-Film, der dieser Stadt mehr als zur Ehre gereicht. In Anwesenheit des Regisseurs, der Darsteller und von Executive Producer Patti Smith. Dienstag, 6.11., 19.30 Uhr, Festivalzentrum LESUNG RAINALD GOETZ Der Schriftsteller Rainald Goetz besucht die Viennale und liest aus seinem neuen, viel beachteten Roman «Johann Holtrop». Mittwoch, 7.11., Gartenbaukino & Festivalzentrum ABSCHLUSS DER VIENNALE 2012 Der italienische Abschluss L’INTERVALLO als Gegenthese zum US-Eröffnungsfilm. Anschließend Party im Festivalzentrum bis zum Beginn der Viennale 2013. YANNICK GRANDMONT Donnerstag, 25.10., Gartenbaukino & Festivalzentrum ERÖFFNUNG DER VIENNALE 2012 Die Viennale beginnt – wie jedes Jahr – mit Film und Party. Nur beides diesmal ein bisschen bigger than life. V12_PG_Kern:V_PG 11.10.2012 10:46 Uhr Seite 5 VIENNALE DVD BOX EL SICARIO, ROOM 164 USA/F 2010, 84 Min, spOmeU R: Gianfranco Rosi HALF NELSON USA 2005, 107 Min, OmdU R: Ryan Fleck. D: Ryan Gosling, Shareeka Epps, Anthony Mackie, Monique Curnen AQUELE QUERIDO MÊS DE AGOSTO (OUR BELOVED MONTH OF AUGUST) Portugal/F 2008, 150 Min, OmeU R: Miguel Gomes. D: Sónia Bandeira, Fábio Oliveira, Joaquim Carvalho, Andreia Santos CAPTURING THE FRIEDMANS USA 2003, 107 Min, OF R: Andrew Jarecki LE ROI DE L’ÉVASION (THE KING OF ESCAPE) F 2009, 97 Min, OmeU R: Alain Guiraudie. D: Ludovic Berthillot, Pascal Aubert, Pierre Laur, Hafsia Herzi Anlässlich ihres 50-Jahre-Jubiläums veröffentlicht die Viennale gemeinsam mit der Wiener Stadtzeitung FALTER eine kleine DVD Edition. Diese soll weniger einen Überblick über die Geschichte des Festivals geben, sondern vielmehr den Geist der Viennale repräsentieren und mit einem Umfang von nur fünf Filmen eine besonders handverlesene Auswahl darstellen. Gleichzeitig versteht sich die Edition als Versuch, eine Schneise zu schlagen in den Wildwuchs der aktuellen DVD-Produktion und ein paar wenige herausragende kinematografische Positionen hervorzuheben. VIENNALE DVD BOX € 59,90 Die Filme sind entweder einzeln zumm Preis €14,90 oder gesammelt in der DVD Box erhältlich. Die Box beinhaltet neben den 5 Filmen eine Bonus DVD mit den «20 Little Films», den Viennale-Trailern von 1995 bis 2012 (darunter einminütige Filme von David Lynch, Jean-Luc Godard, Chris Marker, Agnès Varda …). Darüber hinaus finden sich einige attraktive Goodies (ein Stück eines 35mmFilmstreifens eines Viennale-Trailers, ein ViennaleSchlüsselband, ein Viennale-Pin) in dieser limitierten Box. Erhältlich ab 25.10. an allen Vorverkaufsstellen, in den Viennale-Kinos, auf www.faltershop.at und in ausgewählten Buchhandlungen. WHAT A CONSTELLATION VIENNALE UND BLUE BIRD PRÄSENTIEREN «15 JAHRE CONSTELLATION RECORDS» YANNICK GRANDMONT 21. und 22. November Porgy & Bess, 1010 Wien, Riemergasse 11 Anlässlich des 50-Jahre-Jubiläums der Viennale hat sich das Filmfestival mit dem renommierten und seit Jahren hochgeschätzten Singer-Songwriter-Festival Blue Bird zusammengetan, um gemeinsam «15 Jahre Constellation Records» in Wien zu feiern: Das Blue Bird wird um einen Tag verlängert, am 21. und 22. November wird ein «Showroom» im Porgy & Bess für das Label eingerichtet, in dem eine Auswahl der Constellation-RecordsKünstlerInnen präsentiert wird. BLUE BIRD FESTIVAL 2012 Line up 23. November TBC – Vadoinmessico – Daniel Norgren – Squalloscope Line up 24. November Robyn Hitchcock – Mick Flannery – The Irrepressibles – Katrin Navessi Einzel- und Mehrtagespässe für das gesamte BLUE BIRD FESTIVAL sind an allen Viennale Vorverkaufsstellen und in allen Kino erhältlich. BLUE BIRD 2012 4-Tages-Pass (21. bis 24. 11.) € 79 WHAT A CONSTELLATION 2-Tages-Pass (21. und 22. 11.) € 48 Thee Silver Mt Zion – Hrsta – Elfin Saddle – Carla Bozulich BLUE BIRD 2012 2-Tages-Pass (23. und 24. 11.) € 48 Infos unter 50jahre.viennale.at und www.songwriting.at TAGESPÄSSE (für 21., 22., 23. oder 24.11.) € 28 LINE UP 21. NOVEMBER Do Make Say Think – Sandro Perri – Eric Chenaux – Hangedup LINE UP 22. NOVEMBER 5 V12_PG_Kern:V_PG 11.10.2012 10:46 Uhr Seite 6 Spielfilme A LITTLE CLOSER USA 2011, 73 Min, OF, Video R: Matthew Petock, D: Sayra Player, Parker Lutz, Eric Baskerville, Chris Kies Mit aufrichtigem, fast dokumentarischem Blick und einer wunderbar losgelösten Kamera begleitet Petock eine alleinerziehende Mutter und ihre beiden Söhne durch eine Handvoll Sommertage im ländlichen Virginia. Unaufgeregt und unspektakulär fühlt sich das an, und doch sind es große Dinge, die die Erzählung streift – sexuelles Erwachen wie erwachsene Sehnsüchte, Geschlechterund Klassenverhältnisse, Rassismen, materielle Sorgen und Einsamkeit. Eine magische Tanzszene und andere hoffnungsvolle Momente später hallt die Frage nach: A little closer to what? 3.11., 21 Uhr, Urania 4.11., 23.30 Uhr, Künstlerhaus À PERDRE LA RAISON B/LUX/F/CH 2012, 111 Min, OmdU R: Joachim Lafosse, D: Niels Arestrup, Tahar Rahim, Emilie Dequenne, Baya Belal AI DE TI SHEN (All Apologies) China 2012, 88 Min, OmeU, Video R: Emily Tang, D: Cheng Taishen, Yang Shuting, Liang Jing, Gao Jin Von Beginn an rackern sich alle ab: mit ihrer Arbeit, mit der wenigen Zeit, mit ihren Kindern – die eine gute Ausbildung bekommen und es einmal besser haben sollen. Doch dann durchkreuzt ein tragischer Unfall die Lebenswege zweier Nachbarsfamilien. Lässt sich der Verlust eines Kindes sühnen? Was wie die Versuchsanordnung einer griechischen Tragödie anmutet, wird unter Tangs Regie zu einer fesselnden Studie über die Unmöglichkeit von Mitmenschlichkeit und die Unbehaustheit der zwangsweise Individualisierten. In aller Klarheit wird deutlich: Das Leben in Zeiten des entfesselten Kapitalismus ist nicht zu bewältigen. 3.11., 13 Uhr, Stadtkino 5.11., 21 Uhr, Urania AI TO MAKOTO (For Love’s Sake) Vor einigen Jahren erschütterte eine Bluttat Belgien. Eine junge Frau hatte aus, wie es in solchen Fällen oft heißt, unerklärlichen Gründen ihre fünf Kinder ermordet. À PERDRE LA RAISON versucht, die Geschichte nachzuzeichnen, ohne sie in Analysen und Behauptungen zu ersticken. In freier, fast leichter Weise beschreibt er die zunächst glückliche Beziehung zwischen Murielle und ihrem Mann Mounir. Aber über Mounir liegen die Schatten seiner Vergangenheit und die seltsame Abhängigkeit von einem älteren, reichen Mann, eine Verbindung, die langsam in die junge Familie einsickert. Bis sie für Murielle zur furchtbaren Unerträglichkeit wird. 1.11., 21 Uhr, Künstlerhaus 3.11., 24 Uhr, Künstlerhaus 6 Japan 2012, 134 Min, OmeU, Video R: Miike Takashi, D: Emi Takei, Tsumabuki Satoshi, Ihara Tsuyoshi, Saitoh Takumi Tōkyō, 1972: Zwischen sturzbesoffenen Büroangestellten und einer Jugend ohne Gott treffen sich Ai und Makoto wieder. Vor Jahren rettete er ihr das Leben – nun, findet sie, ist es an der Zeit, dass sie sich seiner annimmt und sanft auf den Pfad der Tugend zurückführt. Nur: Makoto geht es eigentlich bestens als unbesiegbarer Straßenkämpfer … Tanzund-Gesangseinlagen zwischen Hollywood und Bollywood in brachial postmoderner Verstiegenheit! Kampfszenen, mal abstrakt, mal hyperrealistisch! Lieblichkulleräugelige Techtelmechteleien! Animationsschübe! Der Burger mit allem unter den Pop-Kino-Krachern! 30.10., 23 Uhr, Gartenbaukino ALIYAH F 2012, 90 Min, OmeU, DCP R: Élie Wajeman, D: Pio Marmaï, Cedric Kahn, Adèle Haenel, Guillaume Gouix Der kleine Drogendealer Alex will Frankreich verlassen, um in Israel ein neues Leben als Restaurantbesitzer zu beginnen – auch, um endlich aus dem langen Schatten seines Bruders Isaac, eines begnadeten Troublemakers, zu treten. Wajemans Debütfilm kontrastiert in rascher Folge die Milieus des Rausches und der Kriminalität, in denen Alex seine Geschäfte abwickelt, mit den nüchternen Orten der Konzentration und des Studiums, wo er seine jüdische Identität zu «konstruieren» versucht. Dass der Versuch, im gelobten Land zu sich selbst zu finden, an der Realität zerschellt, ist die fatale Konsequenz eines hoffnungslosen Versuches der Selbstbefreiung. 26.10., 13.30 Uhr, Künstlerhaus 3.11., 18.30 Uhr, Urania APRÈS MAI F 2012, 122 Min, OmdU, DCP R: Olivier Assayas, D: Clément Métayer, Lola Créton, Felix Armand, Carole Combes APRÈS MAI ist die Geschichte einer Generation nach 1968, einer Generation, deren Hoffnungen und Träume sich nicht unmittelbar aus den Ereignissen des Pariser Mai speist, sondern die auf der Suche nach einem eigenen, neuen Mai ist. Im Politischen wie im Persönlichen eine not yet lost generation, schwankend zwischen ihrem kleinen Glück, ihrer Musik, einer Reise und einer Liebschaft. Noch sind die Zeichen des Mai auf den Wänden nicht verblasst, aber eine Tür ist dabei, ins Schloss zu fallen. Die Politik und das Private scheinen auseinander zu streben und dabei doch zusammenzugehören wie die beiden Seiten einer alten LP. Am 28.10. in Anwesenheit von Olivier Assayas. 28.10., 21 Uhr, Gartenbaukino 1.11., 13.30 Uhr, Urania V12_PG_Kern:V_PG 11.10.2012 10:46 Uhr Seite 7 A LITTLE CLOSER ARGO USA 2012, 120 Min, OmdU, DCP R: Ben Affleck, D: Bryan Cranston, Ben Affleck, John Goodman, Kyle Chandler ARGO ist der Titel eines Films im Film – eines Films, den es nie geben wird, und der erfunden wurde, um am Höhepunkt der nationalen Revolution Ende 1979 eine versprengte Gruppe US-Bürger mit erfundenen Identitäten und Papieren aus dem Iran herauszuschmuggeln. Es ist eine Geschichte über Dreharbeiten in der Wüste, die als Täuschungsmanöver dienen, die so unglaubwürdig und absurd wie faszinierend klingt. Und die doch in jenen Tagen so oder so ähnlich Realität war. Affleck erzählt sie in seiner Regiearbeit auf intelligente und manchmal atemberaubende Weise, zwischen Abenteuer- und Actionfilm, Kolportage und Hollywood-Satire changierend. Mit VIENNALE-TRAILER 2012: KINO 25.10., 19.30 Uhr, Gartenbaukino (Eröffnungsgala) 25.10., 23.30 Uhr, Gartenbaukino AUGUSTINE F 2012, 102 Min, OmeU, DCP R: Alice Winocour, D: Vincent Lindon, Soko, Olivier Rabourdin, Chiara Mastroianni wird und betastet – jenes unterdrückte Begehren, das Charcot-Schüler Freud alsbald ans Licht zerren wird. 29.10., 21 Uhr, Künstlerhaus 31.10., 13.30 Uhr, Urania AUTOREIJI BIYONDO (Outrage Beyond) Japan 2012, 110 Min, OmeU R: Kitano Takeshi, D: Kitano Takeshi, Kase Ryo, Sugata Shun, Mitsuishi Ken Kitano Takeshi is back. Nach ein paar unentschlossenen und spekulativen Filmen in den letzten Jahren liefert Kitano mit seiner Yakuza-Studie AUTOREIJI BIYONDO wieder ein großes und makelloses Werk. Eine aufs Wesentliche reduzierte, hochstilisierte Beschreibung der japanischen Gangsterwelt zwischen Ehrenkodex, Rache und Geschäft, eine Welt der alten Männer und jungen Killer, getragen von einer Kultur des bedingungslosen Gehorsams und tödlichen Ehrgeizes. Skizziert mit der kühlen Beiläufigkeit und Eleganz, wie sie so nur der Meister Kitano selbst beherrscht. 1.11., 20.30 Uhr, Gartenbaukino 3.11., 23.30 Uhr, Urania 1885 wird die 19-jährige Augustine nach einem Krampfanfall ins Pariser Salpêtrière Hospital eingewiesen. Der dort tätige Professor Charcot, aufgrund seiner Forschungen über die mysteriöse Frauenkrankheit «Hysterie» ebenso umstritten wie en vogue, findet in ihr seine Star-Patientin. Wie im Labor präpariert Winocour in ihrem eleganten, auf wahren Begebenheiten beruhenden Kostümfilm die Mechanismen einer Zuschreibung, die den Körper der Frau zum Austragungsort des Geschlechterkrieges macht: Kaum kaschiert als wissenschaftliche Untersuchungsmethode verrät der männliche Blick – gerichtet auf das pathologisierte weibliche Fleisch, das entkleidet BEASTS OF THE SOUTHERN WILD USA 2011, 92 Min, OmdU, DCP R: Benh Zeitlin, D: Quvenzhané Wallis, Dwight Henry, Lowell Landes, Levy Easterly Sie heißt Hushpuppy und sie lebt mit ihrem kranken Vater in einem improvisierten Camp von Marginalisierten im Mississippi-Delta. Die Katastrophe von Katrina und deren Folgen wabert als Grundvibration durch Zeitlins Spielfilmdebüt, in dem die Welt auf ihren Untergang zustrebt, großartig animierte Auerochsen wiederauferstehen und die Menschen zur Organisationsform der Urhorde zurückfinden. Fulminant behauptet BEASTS OF THE SOUTHERN WILD – den A.O. Scott «a passionate and un- ruly explosion of Americana» genannt hat – die Gültigkeit der Mythen als heutige Erzählform. Und schafft aus Licht, Farbe und Lebendigkeit ein postapokalyptisches Märchen-Gedicht. Schillernd, wild und frei, beglückend. 26.10., 18.30 Uhr, Urania 2.11., 20.30 Uhr, Gartenbaukino 6.11., 6.30 Uhr, Künstlerhaus BERBERIAN SOUND STUDIO GB/D/F 2012, 88 Min, OmeU R: Peter Strickland, D: Toby Jones, Cosimo Fusco, Fatma Mohamed, Eugenia Caruso Ein englischer Spezialist für Soundeffekte wird von einem italienischen Studio, das Giallo-Horrorfilme im Stil von Dario Argento produziert, engagiert, um ein halbfertiges Werk akustisch aufzupimpen. Der Job entwickelt sich immer mehr zum kafkaesken Abenteuer im Halbdunkel schlecht beleuchteter Korridore. Toningenieur Gilderoy verliert im chaotischen Soundpool aus Hexenschreien, dumpfen Hieben und elektronischen Dissonanzen zuerst die Kontrolle über seine Arbeit und dann über sich selbst. Eine psychoakustische Attacke, die gerade durch das Fehlen von Schockbildern ihre sinistre Überwältigungskraft entfaltet. In Anwesenheit von Peter Strickland. 30.10., 21 Uhr, Metro 31.10., 11 Uhr, Metro 7 V12_PG_Kern:V_PG 11.10.2012 10:46 Uhr Seite 8 Spielfilme BEUL-LA-IN-DEU (Blind) Südkorea 2011, 111 Min, OmeU, Video R: Ahn Sang-hoon, D: Kim Ha-neul, Yoo Seung-ho, Jo Hie-bong Die blinde Min Soo-ah, eine ehemalige Polizistin, wird Zeugin eines Falles von Fahrerflucht nach einem Unfall mit Todesfolge. Schnell stellt sich heraus, dass der Flüchtige ein Serienmörder ist. Es ist weniger die eher unübersichtliche Plotentwicklung, die den Schwung dieses Filmes ausmacht, als der intensive Spannungsaufbau im Stile Brian de Palmas mit langen Kamerafahrten und dramatischen Orchestertutti. Am eindrücklichsten jene Szene, in der Soo-ah vor dem Killer flüchtend durch die U-Bahn irrt und dabei von einem Freund mit dem Handy durch das Labyrinth navigiert wird. Ein luxuriös inszenierter Psychothriller auf der Höhe der medialen Entwicklung. 26.10., 23 Uhr, Stadtkino 29.10., 16 Uhr, Künstlerhaus CAMILLE REDOUBLE (Camille Rewinds) F 2012, 115 Min, OmeU R: Noémie Lvovsky, D: Noémie Lvovsky, Samir Guesmi, Yolande Moreau, Michel Vuillermoz Was würden wir tun, bekämen wir die sprichwörtliche zweite Chance? Würden wir uns anders entscheiden? Es anders machen? Uns nicht verlieben in den Mann, der uns und die gemeinsame Tochter nach 25 Jahren für eine Jüngere sitzen lässt? Fragen, die sich Camille stellen, als sie nach einer durchzechten Silvesternacht Mitte der 1980er Jahre und als Teenager wieder erwacht. Lvovsky ist Koautorin, Regisseurin und Hauptdarstellerin der bitter-süßen ZeitreisenKomödie CAMILLE REDOUBLE – einer Variation auf Coppolas PEGGY SUE GOT MARRIED (1986), nur eben mit spezifisch französischem Charme: unbefangen, gutgelaunt, nachdenklich. 5.11., 11 Uhr, Künstlerhaus 6.11., 18 Uhr, Gartenbaukino 8 LE CARROSSE D’OR (The Golden Coach) F/I 1952, 102 Min, eF R: Jean Renoir, D: Anna Magnani, Odoardo Spadaro, Duncan Lamont, Paul Campbell Wenn im Kino der Vorhang aufgeht, erscheint auf der Leinwand ein zweiter. Er öffnet sich und gibt den Blick frei auf einen Theaterraum, in dem das Märchen von der Goldenen Karosse von einer Commedia-dell’ArteTruppe gespielt wird. Irgendwann im 18. Jahrhundert: Mit einer italienischen Komödientruppe gastiert die namhafte Schauspielerin Camilla in einer spanischen Kolonie in Südamerika. Sie wird von drei Männern umworben: dem Vizekönig von Peru, dem Stierkämpfer Ramon und von Felipe, der zu Beginn in die Revolution zieht, von dort aber zurückkehrt und der Angebeteten in stiller Verehrung von Ort zu Ort folgt. Als der Vizekönig Camilla seine goldene Karosse schenkt, um sie an sich zu binden, kommt es in dem kleinen, von Eifersüchteleien und Intrigen beherrschten Hofstaat zum Skandal. 4.11., 13 Uhr, Gartenbaukino CHERCHEZ HORTENSE (Looking For Hortense) F 2012, 100 Min, OmeU, DCP R: Pascal Bonitzer, D: Jean-Pierre Bacri, Kristin Scott Thomas, Noé, Claude Rich Iva bittet ihren Mann Damien, bei dessen politisch sehr einflussreichem Vater zu intervenieren, damit eine gute Freundin von ihr eine Arbeitserlaubnis erhält und nicht als Emigrantin abgeschoben wird. Das Problem dabei ist, dass Damien sich mit seinem Vater überhaupt nicht versteht. Bonitzer beherrscht das Spiel mit gesellschaftlichen Verpflichtungen, familiären Abhängigkeiten, der Verwirrung der Gefühle und den alltäglichen Widrigkeiten souverän und manchmal very french and sophisticated. Und JeanPierre Bacri als Damien und Kristin Scott Thomas als Iva sind ein Schauspieler-Paar, wie man es sich nicht sehr viel besser vorstellen kann. In Anwesenheit von Pascal Bonitzer. 30.10., 21 Uhr, Künstlerhaus 31.10., 13 Uhr, Gartenbaukino CSAK A SZÉL (Just The Wind) H/D/F 2011, 91 Min, OmdU, DCP R: Bence Fliegauf, D: Katalin Toldi, Gyöngyi Lendvai, Lajos Sárkány, Györgyi Toldi CHE SAU (Motorway) Hongkong 2012, 90 Min, OmeU, DCP R: Soi Cheang, D: Shawn Yue, Anthony Wong Chau-Sang, Josie Ho, Michelle Ye Cheung ist neu bei der Elitepolizeitruppe, sehr talentiert und heiß auf Erfolge – Lo hingegen will in aller Ruhe die verbleibende Zeit bis zur Pensionierung runterreißen und bloß keine Risiken mehr eingehen. Natürlich kommt alles anders, als man denkt, und Cheung bald aus dem Staunen nicht mehr heraus ob all dessen, was sein Partner am Steuer vermag … Der Autorennfahrer- als Kampfkunstfilm: Jede Verfolgungsjagd, jede Konfrontation Auto gegen Auto ist choreografiert wie ein Waffengang – schlank-elegant, geschmeidig, sehnig, aufs WesentlichNötigste konzentriert. Virtuoses formvollendetes Actionkino. 26.10., 11 Uhr, Künstlerhaus 27.10., 23 Uhr, Gartenbaukino Fliegauf bezieht sich auf eine Serie rassistischer Anschläge, die in Ungarn 2008/2009 auf Roma verübt wurden. Er folgt einer Familie, die unter dem Eindruck der Ermordung ihrer Nachbarn versucht, weiter ihren Alltag zu leben. Er geht mitten rein in die unschönen Verhältnisse und zeichnet Ungeheuerliches und ungeheuerlich Normales auf. Er zeigt verschlossene Gesichter, in denen die Münder nur noch Striche sind und die Augen beinah leer, und er zeigt, wie und warum sie so wurden. Er zeigt strukturelle Gewalt, beispielhaft konkretisiert. Das ist weder schön anzuschauen, noch leicht zu verstehen, noch simpel gedacht. Es ist aber eine Chance. 30.10., 21 Uhr, Urania 31.10., 20.30 Uhr, Gartenbaukino V12_PG_Kern:V_PG 11.10.2012 10:46 Uhr YOUR FIRST CONTACT FOR FILMING IN VIENNA WWW.VIENNAFILMCOMMISSION.AT Seite 9 VIENNA FILM COM MISSION V12_PG_Kern:V_PG 11.10.2012 10:46 Uhr Seite 10 Spielfilme DA-REUN NA-RA-E-SUH (In Another Country) Südkorea 2012, 89 Min, OmeU R: Hong Sangsoo, D: Isabelle Huppert, Yu Junsang, Jung Yumi, Youn Yuhjung Der Regisseur zeigt Isabelle Huppert IN ANOTHER COUNTRY, genauer: holt diese in ein Strandhotel in seiner Heimat Südkorea. Dort verdreht sie unter dem Namen Anne in drei verschiedenen Inkarnationen, in improvisierter Wiederholungsstruktur und in holprigem Touristen-Englisch spätpubertären Männern den Kopf. Weil wir aber in einem Hong-Film sind, ist Anne alles andere als ein Weibsteufel, und weil wir in einem Hong-Film sind, wird sowieso viel geliebt und gestritten, gegessen und getrunken, und vor allem: viel (aneinander vorbei) geredet. In Anwesenheit von Isabelle Huppert. 27.10., 21 Uhr, Künstlerhaus 28.10., 15.30 Uhr, Gartenbaukino DARK HORSE USA 2011, 85 Min, OF, DCP R: Todd Solondz, D: Jordan Gelber, Selma Blair, Christopher Walken, Mia Farrow Abe ist ein vollgültiges Mitglied der «Solondz Society»: Ein korpulenter Mann, Mitte 30, der immer noch bei den Eltern wohnt und mit dem Mut der Verzweiflung um Liebe und Anerkennung kämpft. Seine Begegnung mit Miranda ist ein match made in hell: Die schwer depressive Frau verstrickt sich gegen ihre Neigung in eine Beziehung mit dem underachiever und die Katastrophe nimmt, angereichert durch Familienzwist und Probleme am Arbeitsplatz, ihren Lauf. Regisseur Solondz sendet auf seiner eigenen bizarren Frequenz und lässt die Geschichte immer wieder ins Traumhaft-Surreale kippen. Und aus dem Hinterhalt schlägt der Humor zu. Einmal sagt Abe: «I’m even too old for American Idol.» 31.10., 16 Uhr, Urania 2.11., 18 Uhr, Gartenbaukino DE JUEVES A DOMINGO (Thursday Till Sunday) Chile/NL 2012, 96 Min, OmeU, Video R: Dominga Sotomayor, D: Santi Ahumada, Emiliano Freifeld, Paola Giannini, Jorge Becker Sotomayor hat mit ihrem Debüt eine mehr als erstaunliche Talentprobe abgelegt. Wobei der Begriff «Probe» weit zurückbleibt hinter der Souveränität, mit der hier erzählt, skizziert, beschrieben wird. Eine Familie auf einem gemeinsamen Urlaubstrip durch eine schöne, wilde Landschaft und zugleich eine kleine Gemeinschaft im Zerfall. Die Eltern werden sich trennen, die Kinder ihre eigenen Wege erfinden, aber alles ist noch in der Schwebe und in der Ungewissheit. Die Ahnung der Katastrophe und die Sehnsucht nach Erlösung an einem ewigen, lichten Sommertag, der der letzte und erste zugleich sein wird. Ein wunderbarer, schlafwandlerischer Film. In Anwesenheit von Dominga Sotomayor. 27.10., 21 Uhr, Urania 29.10., 13.30 Uhr, Künstlerhaus Uruguay/Mexiko/F 2012, 84 Min, OmeU R: Rodrigo Plá, D: Roxana Blanco, Carlos Vallarino, Oscar Pernas, Cecilia Baranda Eines Tages kann sie einfach nicht mehr. Da lässt sie ihren demenzkranken Vater auf irgendeiner Bank in irgendeinem weit von Zuhause entfernten Viertel sitzen und behauptet ihren drei Kindern gegenüber, sie habe Opa ins Altersheim gebracht. Verhärmt ist ihr Gesicht, überarbeitet ihre Gestalt, doch Blut ist dicker als Wasser. Das findet im Übrigen auch der Alte, der sich standhaft weigert, seine Bank zu verlassen, denn die Tochter könnte ja jeden Moment zurückkommen. LA DEMORA ist ein lakonischer Film über die Zumutung Liebe, Beobachtung der Oberflächenphänomene einer Kraft, die einen beständig über die eigenen Grenzen hinaus treibt. 27.10., 21 Uhr, Metro 29.10., 11 Uhr, Metro DIAMANTENFIEBER (Diamond Fever) A 2012, 74 Min, OmeU, DCP R: Peter Kern, D: Johannes Nussbaum, Anna Posch, Josef Hader, Stefanie Fuerstenberg THE DEEP BLUE SEA GB/USA 2011, 98 Min, OF, DCP R: Terence Davies, D: Rachel Weisz, Tom Hiddleston, Simon Russell Beale, Ann Mitchell Lady Hester Collyer hat ihren Mann verlassen, um eines jungen Air Force Piloten willen, der sie zwar nicht liebt, aber befriedigt. THE DEEP BLUE SEA, nach dem 1952 entstandenen Theaterstück von Terence Rattigan, ist ein Melodram schweren Kalibers, das Davies eben so – theatralisch wuchtig und artifiziell – in Szene setzt. In der anspruchsvollen Rolle der sich verselbstständigenden Lady glänzt Rachel Weisz. Dazu spielt Hilary Hahn Samuel Barbers, während des zweiten Weltkriegs geschriebenes, neoromantisches Violinkonzert, das wie ein eigenständiger Handlungsträger ins gefühlsstürmische Narrativ geflochten ist. 28.10., 13.30 Uhr, Urania 31.10., 15.30 Uhr, Gartenbaukino 10 LA DEMORA (The Delay) Auf sich allein gestellt sorgt der 16jährige Hans für seine Oma und seine vier Geschwister. Die Familie ist vom Zugriff des Sozialamtes bedroht und Hans lässt sich auf die kriminellen Machenschaften seines Onkels ein, weil er sich vom schnellen, großen Geld die Lösung seiner Probleme verspricht. Stattdessen trifft er auf noch mehr Schwierigkeiten und ein poor little rich girl. Gemeinsam erkämpfen sie sich wider alle Wahrscheinlichkeit und gegen jeden Realitätssinn den guten Ausgang der Geschichte. So muss das auch sein. Denn, so Philipp Bühler, «Kerns Sympathie mit den Außenseitern und Verletzten ist so radikal wie sein Kino aktuell und notwendig». Und wo blieben wir ohne Hoffnung? In Anwesenheit von Peter Kern. 3.11., 18 Uhr, Gartenbaukino V12_PG_Kern:V_PG 11.10.2012 DONOMA F 2011, 135 Min, OmeU, Video R: Djinn Carrénard, D: Emilia Dérou-Bernal, Laura Kpegli, Salomé Blechmans, Sékouba Doucouré Kein Geld, dafür umso mehr Entschlusskraft, Spontaneität und Fantasie rief dieses furiose Spielfilmdebüt ins Leben. Carrénard, auf Haiti geboren, in Paris beheimatet, entwirft ein weit verzweigtes, zugleich eng geführtes narratives Gewebe aus dem Alltag junger Menschen – und untersucht, wie Klasse, Rasse und Geschlecht, Religion und Kultur die Identität seiner Protagonisten determinieren und ihre Beziehungen zueinander komplizieren. Wie ein atmender Organismus wirkt diese unberechenbare, leidenschaftliche, aufrichtige Erzählung, die an der unscharfen Grenze zwischen pubertärem Irresein und echtem Wahn von der Schwierigkeit handelt, im Verhalten dem Gefühl gerecht zu werden. 6.11., 13.30 Uhr, Künstlerhaus 7.11., 20.30 Uhr, Stadtkino 10:46 Uhr Seite 11 DUPĂ DEALURI (Jenseits der Hügel) RO/F/B 2012, 150 Min, OmdU, DCP R: Cristian Mungiu, D: Cosmina Stratan, Cristina Flutur, Valeriu Andriută, ‚ Dana Tapalagă Sie haben es nur gut gemeint. Und doch ist Alina jetzt tot. Obwohl sie gebetet haben, was das Zeug hält – die Nonnen und der Priester der kleinen bäuerlichen Glaubensgemeinschaft hinter den Hügeln – ihre Besessenheit konnten sie der jungen Frau nicht austreiben. Es ist die Geschichte eines tragischen Missverständnisses, die Mungiu – inspiriert von den Tatsachen-Romanen Tatiana Niculescu Brans – auf kunstvollschlichte Weise inszeniert. Eine weltanschauliche Kollision mit Todesfolge, in der der Kampf einer Frau um ihre (verbotene/verlorene) Liebe auf eine Wahrnehmung stößt, die dafür keinen Begriff hat. In Anwesenheit von Cosmina Stratan. 30.10., 15 Uhr, Künstlerhaus 1.11., 14.30 Uhr, Gartenbaukino THE DYNAMITER USA 2011, 73 Min, OF, Video R: Matthew Gordon, D: William Ruffin, John Alex Nunnery, Joyce Baldwin, Patrick Rutherford DONOVAN’S REEF USA 1963, 109 Min, OF R: John Ford, D: John Wayne, Lee Marvin, Elizabeth Allen, Jack Warden Ein Arzt verlässt die gute Gesellschaft von Boston, um sich auf der paradiesischen Insel Haleakaloha nur noch um das Glück und die Gesundheit einer kleinen Gemeinde zu kümmern. Dort trifft er auf den wortkargen Barbesitzer Donovan, mit dem ihn bald schon eine streitlustige Freundschaft verbindet. Eine Komödie über Heuchelei und Rassismus und ein gelassener Südsee-Film in unaufgeregtem Rhythmus, voll eleganter Melancholie, den Ford ohne finanzielle und narrative Zwänge realisieren konnte. DONOVAN’S REEF wirkt wie ein Familienfilm, den man während der Ferien gedreht hat, um sich zu amüsieren und Augenblicke festzuhalten, die man sich später mit Freude und leiser Wehmut wieder ansehen wird. Immer wieder tauchen auf Filmfestivals unerwartete Juwelen auf. Arbeiten, mit denen sich auf den ersten Blick nicht viel verbindet und die schließlich ein strahlendes Universum an Bildern und Tönen entfalten. THE DYNAMITER ist so ein Glücksfall. Dabei erzählt er nur eine alltägliche nebensächliche Geschichte aus dem Leben dreier Brüder in einer Kleinstadt in Mississippi: das vergebliche Warten auf die verschwundene Mutter, die Feindseligkeit der Nachbarn, die harte und liebevolle Verbindung der drei. Wenn es je einen amerikanischen Film gegeben hat, in dem der große, wilde Geist William Faulkners weht, dann ist es dieser. 4.11., 23 Uhr, Stadtkino 6.11., 15.30 Uhr, Gartenbaukino ELECTRICK CHILDREN USA 2012, 96 Min, OF, Video R: Rebecca Thomas, D: Julia Garner, Rory Culkin, Liam Aiken, Bill Sage Teenage pregnancy für Mormoninnen: Das Lied auf der verbotenen Musikkassette war’s! Und um den Vater des ungeborenen Kindes zu finden, reißt man aus in die große Stadt und spricht den ersten feschen jungen Mann mit Skateboard und EGitarre an. Für die 15-jährige Rachel jedenfalls eine klare Mission, die sie unerschrocken und in tiefer religiöser Überzeugung verfolgt. Der Glaube an Wunder, Rock ’n’ Roll und die Magie des Kinos – so buchstabiert sich hier die heilige Dreifaltigkeit. Eine IndieMusik-Hymne an die Macht der Vorstellungskraft. 27.10., 16.30 Uhr, Urania 3.11., 18 Uhr, Stadtkino EXIT ELENA USA 2012, 72 Min, OF, Video R: Nathan Silver, D: Kia Davis, Cindy Silver, Jim Chiros, Gert O’Connell Altenpflegerin Elena tritt ihre erste Stelle an. Dort bekommt sie es nicht nur mit der freundlichen Greisin Florence zu tun, sondern auch mit deren übergriffig dominanter Schwiegertochter, deren charakterschwachem Versagergatten sowie mit dem verhaltensauffälligen Sohn des Hauses. Alle brauchen Zuwendung und Aufmerksamkeit, alle zerren an der professionellen Hilfskraft. Die Besetzung von Verwandten, Bekannten, Nachbarn, der Freundin, der Mutter und Nathan Silver selbst sorgt für die verblüffend authentische Anmutung zunehmend unfasslicher Ereignisse. Ein bisschen wie ein Kindergeburtstag – für Erwachsene. 29.10., 13 Uhr, Stadtkino 6.11., 18.30 Uhr, Urania FOR ELLEN USA 2012, 94 Min, OF R: So Yong Kim, D: Paul Dano, Jon Heder, Shaylena Mandigo, Jena Malone Erst im Zuge der Scheidung von deren Mutter lernt Rockmusiker Joby 26.10., 16 Uhr, Metro 28.10., 13 Uhr, Gartenbaukino 11 V12_PG_Kern:V_PG 11.10.2012 10:46 Uhr Seite 12 Spielfilme seine Tochter Ellen kennen. Er verbringt einige erste und letzte Stunden mit dem kleinen Mädchen, dabei wird ihm nicht nur klar, dass er die Möglichkeit von Glück und Geborgenheit in der eigenen Familie verspielt hat. Ihm wird auch die Dimension dieses Verlustes klar. Paul Dano füllt das Klischee der MusikerFigur mit Leben und arbeitet aus Drogen-Nebeln eine existenzielle Müdigkeit heraus, die von unbeantworteten Fragen nach dem Sinn und dem Wohin kündet. Geduldig folgt ihm die Kamera, verlangsamt sich gemeinsam mit ihm bis zum völligen Stillstand, in dem die entscheidende Erkenntnis dämmert. 5.11., 21 Uhr, Metro 6.11., 11 Uhr, Metro FRANCINE USA/Kanada 2012, 74 Min, OF, Video R: Brian M. Cassidy, Melanie Shatzky, D: Melissa Leo, Keith Leonard, Victoria Charkut, Dave Clark O GEBO E A SOMBRA (Gebo and the Shadow) P/F 2012, 91 Min, fOmeU R: Manoel de Oliveira, D: Michael Lonsdale, Claudia Cardinale, Leonor Silveira, Jeanne Moreau Er möchte, dass ihn der Tod auf einem Filmset überrascht, soll der 103-jährige Regisseur Manoel de Oliveira erklärt haben, nicht Zuhause in seinem Bett. Also hört er nicht auf, Filme zu drehen, jener Mann, der fast so jung ist wie das Kino selbst. Seine neueste Arbeit O GEBO E A SOMBRA ist eine Geschichte über das Warten, über die Zeit und den Raum, das Herbeisehnen des verlorenen Sohnes und die Angst vor seiner Heimkehr. Und als er den Raum betritt, bringt er die ganze Vergangenheit seines Lebens mit. Wie nebenbei ist O GEBO E A SOMBRA zudem ein Dokumentarfilm über seine Darsteller, vor allem die beiden Diven Jeanne Moreau und Claudia Cardinale. In Anwesenheit von Leonor Silveira und Luís Urbano (Produzent). 2.11., 21 Uhr, Künstlerhaus 3.11., 16 Uhr, Metro GESCHICHTSUNTERRICHT I/BRD 1972, 88 Min, OF R: Danièle Huillet, Jean-Marie Straub, D: Gottfried Bold, Johann Unterpertinger, Henri Ludwig, Carl Vaillant Francine kommt aus dem Gefängnis. Warum und wie lange sie dort war, erfährt man nicht. Ihr Gesicht ist hart geworden, ihr Gemüt verschlossen und ihr Habitus ablehnend. Doch Francine versucht, Fuß zu fassen in einer Kleinstadt irgendwo. Ohne Erfolg. Nur zu den Tieren – Streunern, ausgesetzten Katzen und Hunden sonder Zahl, die bald ihr kleines Haus bevölkern – unterhält sie freundschaftliche, ja liebevolle Beziehungen. Und übersieht dabei ihre und deren zunehmende Verelendung. Francine ist eine Erzählung vom verlorenen Zutrauen, eine Studie des Alleinseins und ein düsteres, neo-realistisches Juwel. In Anwesenheit von Brian M. Cassidy und Melanie Shatzky. 26.10., 21 Uhr, Urania 27.10., 15.30 Uhr, Stadtkino 12 Unterrichten über den Zusammenhang der Gegenwart mit der Vergangenheit: GESCHICHTSUNTERRICHT liegt das Romanfragment «Die Geschäfte des Herrn Julius Caesar» von Bertolt Brecht zugrunde, in dem ein römischer Historiker zwanzig Jahre nach Cäsars Tod die Biografie des großen Mannes schreiben will. Im Film ist ein junger Mann, wie einst Privatdetektiv Philip Marlowe, auf der Suche nach Beweisen und Verdächtigen unterwegs in Rom, dann in den Bergen des Nordens, später am Meer. Dabei trifft er auf –römische Dichter und Politiker, antike Banker und Bauern. Die Rede ist von Sklavenhandel, Bestechung und Ausbeutung. Heute würde man das eine Globalisierungs-Recherche nennen. Mit LA MADRE (iOmdU, siehe Kurzfilmprogramm 6, S. 38) 4.11., 18.30 Uhr, Künstlerhaus GIMME THE LOOT USA 2012, 81 Min, OF, DCP R: Adam Leon, D: Ty Hickson, Tashiana Washington, Zoë Lescaze, Sam Soghor Ein Graffiti-Film fast ohne Graffiti. Die beiden Teenage-Hustler Malcolm und Sofia, die ein Tag Team bilden, planen den Coup ihres Lebens: Die Markierung des überdimensionalen Apfel-Emblems der New York Mets mit Schriftzeichen. Dazu aber brauchen sie Geld, das sie sich mit kleinen Drogendeals und Gaunereien verschaffen wollen. GIMME THE LOOT ist eine Comédie humaine aus den Projects, bei der tough talking mit hohem Fuck-you-Faktor dominiert. Eine Milieustudie aus jenem anderen Land, das Armut heißt. Und dazu ein altmodisch rockender R’n’B-Soundtrack, der die Geschichte wie ein Brecht’scher Verfremdungseffekt aufsprengt. 28.10., 23.30 Uhr, Urania 1.11., 18 Uhr, Gartenbaukino DER GLANZ DES TAGES (The Shine of the Day) A 2012, 90 Min, OmeU, DCP R: Tizza Covi, Rainer Frimmel, D: Philipp Hochmair, Walter Saabel, Vitali Leonti Eines Tages bekommt der vielbeschäftigte Schauspieler Philipp Hochmair Besuch von seinem bis dato unbekannten Onkel Walter, einem ehemaligen Zirkusartisten und Bärenringer. Die beiden freunden sich an, entdecken die Gemeinsamkeiten ihrer Professionen. Walter, bodenständig und ein unmittelbarer und zugewandter Mitmensch, macht sich in Philipps Leben breit und nützlich; Philipp, ehrgeizig und ein wenig selbstverliebt, bemerkt, dass ihm etwas mehr Kontakt zur wirklichen Welt gut täte. Einer Welt, der Covi/Frimmel den spezifischen Glanz der Versöhnung zwischen V12_PG_Kern:V_PG 11.10.2012 Wirklichkeit und Erfindung verleihen. In Anwesenheit von Tizza Covi, Rainer Frimmel und den Schauspielern. 31.10., 18 Uhr, Gartenbaukino 10:46 Uhr Seite 13 L’INTERVALLO (The Interval) I/CH/D 2012, 90 Min, OmeU, DCP R: Leonardo Di Costanzo, D: Francesca Riso, Alessio Gallo, Carmine Paternoster, Salvatore Ruocco GRENZGÄNGER (Crossing Boundaries) A 2012, 88 Min, OmeU, DCP R: Florian Flicker, D: Andreas Lust, Andrea Wenzl, Stefan Pohl, Martin Schwanda GRENZGÄNGER ist nicht so sehr eine freie Adaption von Karl Schönherrs Drama «Der Weibsteufel» aus dem Jahr 1914, als im Grunde ein Laborversuch unter freiem Himmel, ein filmisches Melodram so alt wie das Kino, eine Erzählung, die von drei Menschen am Fluss handelt und davon, dass am Ende eine Frau fortgeht, zurück in die Stadt, und die Männer sich selbst überlassen hat. Eine ewige Geschichte, die manchmal aussieht wie ein Western oder ein Schmugglerfilm – aber die Gegenwart der Gefühle, des Verlangens und der Verwirrung hat diese drei Menschen eingeholt. Und wird sie in ein tödliches Miteinander verstricken. Down by the river. In Anwesenheit von Florian Flicker und den Schauspielern. 30.10., 18 Uhr, Gartenbaukino INS BLAUE (Into The Blue) D 2011, 105 Min, OmeU R: Rudolf Thome, D: Vadim Glowna, Alice Dwyer, Esther Zimmering, Janina Rudenska Im Grunde sind alle Filme Thomes moralische Versuchsanordnungen. Er wählt seine Figuren aus, teilt ihnen Rollen zu, stellt sie in die Welt und in Beziehung zueinander. Und setzt sich selbst in Verbindung zu ihnen. Das klingt einfach, aber man kann im Kino von Rossellini bis Rivette sehen, was für ein schönes und gefährliches und verrücktes Spiel sich daraus entwickelt. INS BLAUE erzählt von der Entstehung eines Roadmovies, das doch nichts anderes ist als ein lebendiger Vorwand für die seltsamsten Begegnungen. Und es ist, so wie PARADISO ein Abschiedsfilm für den wunderbaren Marquard Bohm war, eine lichtdurchflutete Abblende für den großen Vadim Glowna. In Anwesenheit von Rudolf Thome. 2.11., 21 Uhr, Metro 3.11., 11 Uhr, Metro In einer Nebenschiene des diesjährigen Festivals von Venedig versteckt, wurde diese kleine unscheinbare Arbeit dort innerhalb weniger Tage zum Geheimtipp: L’INTERVALLO ist ein dokumentarisch anmutendes, sparsames Kammerspiel, in dem ein junger Bursche ein Mädchen in einem leerstehenden Fabrikgebäude zu bewachen hat, wobei die Gründe dieser Gefangenschaft lange Zeit unklar bleiben. Aber in der seltsamen Gemeinsamkeit von Raum und Zeit entwickelt sich zwischen den beiden Jugendlichen eine vorsichtige Komplizenschaft und ambivalente Beziehung. Damit stellen sie eine andere, gewalttätige Welt auf die Probe. In Anwesenheit von Leonardo Di Costanzo. Mit 20 LITTLE FILMS (siehe Kurzfilmprogramm 6, S. 38) 7.11., 19.30 Uhr, Gartenbaukino (Abschlussgala) 7.11., 23.30 Uhr, Gartenbaukino JAGTEN (Die Jagd) DK/S 2012, 111 Min, OmdU, DCP R: Thomas Vinterberg, D: Mads Mikkelsen, Thomas Bo Larsen, Lars Ranthe, Susse Wold Vom Motiv des Missbrauchs innerhalb der Familie oder zwischen einander nahestehenden oder voneinander abhängigen Menschen scheint Vinterberg geradezu besessen. Es prägte FESTEN und kehrt nun wieder in JAGTEN. Bemerkenswert aber ist, wie wenig besessen der Regisseur das Motiv verhandelt. Vertraut ist die Welt, bis eine kleine Irritation, ein Nebenbei eine gnadenlose Maschine in Gang setzt. Eine Mechanik an Zweifeln, Hysterie, Misstrauen und Selbstgerechtigkeit, angetrieben von der Monstrosität einer Moral, die sich verselbstständigt hat. Darin liegt das Außergewöhnliche des Films und zugleich dessen inhärenter Widerspruch. Am 6. 11. in Anwesenheit von Thomas Vinterberg. 6.11., 20.30 Uhr, Gartenbaukino 7.11., 23.30 Uhr, Künstlerhaus KEBUN BINATANG (Postcards from the Zoo) Indonesien/D/Hongkong/China 2012, 90 Min, OmdU, DCP R: Edwin, D: Ladya Cheryl, Nicholas Saputra, Adje Nur Ahmad, Klarysa Aurelia Raditya JACK AND DIANE USA 2011, 110 Min, OF, Video R: Bradley Rust Gray, D: Juno Temple, Riley Keough, Cara Seymour, Kylie Minogue Diane ist ein ziemlich süßes Girlie, Jack ist eine taffe junge Frau. Und doch fallen sie ineinander mit der Unbedingtheit der ersten Liebe. Und gleich eine Bewährungsprobe: Bestürzt erfährt Jack, dass Diane bald aus New York weggehen wird, und Diane wiederum wird im Zusammensein mit Jack von schrecklichen Visionen geplagt. Das alles verschlingende, monströse Gefühl der Liebe nimmt in JACK AND DIANE konkrete Gestalt an, droht als wirkliches Monster die Liebenden zu verschlingen. Eine atmosphärische KörperHorror-Romanze, die im Schrecken die Schönheit sucht und findet. 6.11., 16 Uhr, Urania 7.11., 23 Uhr, Stadtkino Der Zoo als Ort der Metaphern. Am Anfang steht der Verlust: Wie die Tiere, die sich nur noch im Gehege bewegen dürfen, wird auch die kleine Lana herausgerissen aus ihrem angestammten Lebensraum, als ihr Vater sie im Tierpark von Djakarta aussetzt. Dann kommt die Sehnsucht: nach einer Ersatzfamilie, die Lana in den offiziellen und inoffiziellen Tierpflegern findet, die den Zoo kurzerhand zu ihrer Heimat und Wohnstätte gemacht haben, und nach Berührungen, die im Tierpark eigentlich nicht vorgesehen sind – «Streicheln verboten!» Am Ende steht für Lana die Auswilderung: ins Leben als erwachsene Frau, in dem der Zoo ein irrealer Ort ferner Träume bleibt. 26.10., 11 Uhr, Urania 28.10., 13.30 Uhr, Künstlerhaus 13 V12_PG_Kern:V_PG 11.10.2012 10:46 Uhr Seite 14 Spielfilme KILLER JOE USA 2011, 103 Min, OmdU, Video R: William Friedkin, D: Matthew McConaughey, Emile Hirsch, Juno Temple, Gina Gershon Ein kleiner Gangster schuldet einem großen Gangster, der nicht mit sich spaßen lässt, Geld. Nicht allzu viel, aber doch kann er die Summe nicht aufbringen und überlegt sich deswegen einen ziemlich verwegenen Plan. Um diesen auszuführen, muss er wiederum einen Ganoven verpflichten. Der ist aber diesmal zugleich Killer und Polizist. So oder so ähnlich geht die Story, doch es wäre nicht der Altmeister des amerikanischen Horror- und Actionkinos William Friedkin, wenn daraus nicht ein wilder, atemberaubender Trip würde. Schnell, gnadenlos und gewalttätig. Und von allem manchmal eine Spur zuviel. 27.10., 1 Uhr, Gartenbaukino (Nacht auf 28.10.) 28.10., 16 Uhr, Urania LEONES Argentinien/F/NL 2012, 82 Min, OmeU, Video R: Jazmín López, D: Macarena del Corro, Tomas Mackinlay, Pablo Sigal, Diego Vegezzi LOLA (restaurierte Fassung) F/I 1960, 85 Min, OmeU, DCP R: Jacques Demy, D: Anouk Aimée, Marc Michel, Jacques Harden, Alan Scott Es braucht schon die gesamte Breite des Cinemascope, damit zu Beginn ein weißgekleideter Cowboy in einem Cadillac (ein Amerikaner!) bedeutungsschwer durch Nantes cruisen kann. Er ist der Schlüssel in dieser verwickelten Geschichte um die Nachtklubsängerin Lola, um Lieben und Warten, um Enttäuschung und unverhofftes Glück. Demys Themen sind in seinem ersten Langfilm bereits gesetzt, viel Musik gibt es auch schon, vor allem aber ein wunderbar unrealistisches Happy End, auf dass, so der Regisseur, «ein Zuschauer, der niedergeschlagen und verstimmt in diesen Film geht, lächelnd aus dem Saal herauskommt». 30.10., 18.30 Uhr, Künstlerhaus 7.11., 13 Uhr, Gartenbaukino MARGARET USA 2011, 150 Min, OF, DCP R: Kenneth Lonergan, D: Anna Paquin, Mark Ruffalo, J. Smith-Cameron, Matt Damon Die 17-jährige New Yorker Studentin Lisa wird Zeugin eines Busunfalls, bei dem eine Passantin ums Leben kommt. Abrupt sieht sie sich mit dem Verlust ihrer Unschuld und schwer wiegenden moralischen Fragen nach ihrer Mitschuld konfrontiert. Umgetrieben vom schlechten Gewissen reißt sie mit ihren Versuchen der Wiedergutmachung, denen etwas durchaus Selbstgerechtes anhaftet, sich und ihr Umfeld in einen hochemotionalen, tiefneurotischen Strudel. Lange währten die Auseinandersetzungen, die Lonergan um MARGARET mit der Produktionsfirma führen musste. Nun schafft es sein nach YOU CAN COUNT ON ME erst zweiter Film doch noch an die Öffentlichkeit. Das Warten hat sich gelohnt. 4.11., 20.30 Uhr, Gartenbaukino 7.11., 15.30 Uhr, Künstlerhaus MEANWHILE USA 2011, 60 Min, OF, Video R: Hal Hartley, D: D.J. Mendel, Danielle Meyer, Pallavi Sastry, Stephen Ellis MALAVENTURA Das argentinische Kino ist immer wieder für Überraschungen gut. Ein Beispiel dafür ist dieser Erstlingsfilm. Es ist eine minimalistische Geschichte, die da erzählt wird, angesiedelt zwischen Gus Van Sants GERRY und Lisandro Alonsos LOS MUERTOS. Die Geschichte von fünf jungen Freunden, die durch einen Wald streifen, scheinbar absichtslos und wie aus der Zeit gefallen. Eigentlich sind sie Geister oder Verwunschene, dann wieder ausgelassene Kids am Weg nach Hause. Es bleibt ein rätselhaftes Spiel, das noch rätselhafter wird, als sie einen verwandten Ort wiederfinden und vielleicht seit langem im Kreis gegangen sind. In Anwesenheit von Jazmín López. 5.11., 13 Uhr, Stadtkino 6.11., 20.30 Uhr, Stadtkino 14 Mexiko 2011, 67 Min, OmeU R: Michel Lipkes, D: Isaac Lopez, José Martínez, Alejandra Resendis, Manuel Valderama Die ersten zehn Minuten dieses knapp einstündigen Films sind nicht von dieser Welt, sind wie in Trance erlebt und gesehen: Ein alter Mann erwacht in einem ärmlichen Zimmer und beginnt den Tag mit der schlafwandlerischen Routine und Selbstvergessenheit des ewig Gleichen; während sich aus der Stille langsam steigernd bis zum Lärmen eine wilde, heftige Metal-Musik schält. Danach eine lange Wanderung des Alten durch die Straßen von Mexico City, ziellos, doch wie von einem geheimnisvollen Auftrag getrieben. Ein hybrider Film zwischen Experiment und Dokument, voller Schmutz und Lärm, Stille und Verklärung. Aus einer Zwischenwelt ins Kino getragen. In Anwesenheit von Michel Lipkes. 1.11., 11 Uhr, Metro 6.11., 18.30 Uhr, Metro Joe Fulton ist ein vielfach talentierter, aber definitiv unterkapitalisierter Bohemien aus New York City. Ein nervöser Drifter, vage auf der Suche nach Geld und einem guten Geschäft, aber immer bereit, sich von Zufallsbegegnungen aus seinem Tagesrhythmus bringen zu lassen. Gern reicht er seine helfende Hand, wenn die Schreibmaschine kaputt ist oder ein weiblicher Rücken schmerzt. Das Featurette MEANWHILE ist als Serie von lakonischen Vignetten komponiert, die im Schatten der Krise angesiedelt sind, ohne das Politische explizit zu benennen. Man nimmt das Unheil nur als schwaches Aroma wahr: «The smell of the unsuccessful.» In Anwesenheit von Hal Hartley. 27.10., 17 Uhr, Gartenbaukino 28.10., 11 Uhr, Künstlerhaus 30.10., 6.30 Uhr, Künstlerhaus (mit ADELE1, siehe Filme von Kurdwin Ayub, S. 53) V12_PG_Kern:V_PG 11.10.2012 MEKONG HOTEL Thailand/GB/F 2012, 57 Min, OmeU, DCP R: Apichatpong Weerasethakul, D: Jenjira Pongpas, Maiyatan Techaparn, Sakda Kaewbuadee, Chai Bhatana Ein Haus, ein Paar, ein Grenzfluss, eine Gitarrenimprovisation: Mehr braucht es nicht für diese zarte FilmNovelle. Der Mann und die Frau versuchen, miteinander ins Reine zu kommen, was erschwert wird durch die geisterhafte Präsenz ihrer Mutter. Der Mekong vor der Hotelterrasse schwillt währenddessen bedrohlich an, lässt Thailand und Laos langsam ineinander fließen … Wie stets bei Weerasethakul zergehen auch hier die Dinge unmerklich, durchdringen sich Dies- und Jenseits, Realität und Fiktion, Kino und Leben. Eine exquisite Miniatur, hergestellt fürs Fernsehen, erlebbar aber nur im Kino. Mit WALKER (siehe Kurzfilmprogramm 1, S. 35) 29.10., 13 Uhr, Gartenbaukino 10:46 Uhr Seite 15 EL MUERTO Y SER FELIZ (The Dead and Being Happy) E/Argentinien/F 2012, 92 Min, OmeU, DCP R: Javier Rebollo, D: Valeria Alonso, Roxana Blanco, Lisa Caligaris, Jorge Jellinek Auftragskiller Santos ist sterbenskrank. Weil er nicht im Krankenhaus verdämmern will, setzt er sich mit einem Vorrat Morphium ins Auto und macht sich auf die letzte Reise. Unterwegs gabelt er eine taugliche Frau auf, besucht befremdliche Orte und erlebt mancherlei Seltsames. Rebollo versieht sein schwarzhumoriges Roadmovie durch betörende Landschaften mit einem überaus mitteilungsfreudigen, detailreichen Off-Kommentar, der, zwischen Verdoppelung und Erläuterung changierend, dem Geschehen auf der Leinwand die literarische Qualität eines großen Romans verleiht. Schließlich geht es um Leben und Tod, da sind Späße erlaubt. 2.11., 16 Uhr, Urania MUSEUM HOURS A/USA 2012, 107 Min, Omd/eU, DCP R: Jem Cohen, D: Mary Margaret O’Hara, Bobby Sommer, Ela Piplits NO Chile/USA/Mexiko 2012, 115 Min, OmdU, DCP R: Pablo Larraín, D: Gael García Bernal, Alfredo Castro, Antonia Zegers, Luis Gnecco Chiles Diktator Pinochet sieht sich mit wachsender internationaler Kritik konfrontiert und beschließt, das Volk in einem Referendum über die Zukunft des Landes entscheiden zu lassen. Ein durchschaubares Manöver mit vorhersehbarem Ergebnis. Doch einige führende Oppositionelle wollen mit einer Gegen-Kampagne antreten. Als Mastermind verpflichten sie einen opportunistischen WerbeProfi, der nach Coca-Cola nun Aufklärung verkaufen soll. Was sich als pseudo-engagierter Politfilm gerieren könnte, wird bei Larraín zu einer Fabel der Widersprüche, der Doppelmoral und aller möglichen Klischees. Ohne Selbstgefälligkeit oder Zynismus. Ein im Grunde fast unmöglicher Film. Gerade darin grandios. 29.10., 20.30 Uhr, Gartenbaukino 5.11., 23.30 Uhr, Künstlerhaus LA NOCHE DE ENFRENTE (Night Across the Street) Chile/F 2012, 110 Min, OmeU, DCP R: Raúl Ruiz, D: Christian Vadim, Sergio Hernández, Valentina Vargas, Chamila Rodríguez MOONFLEET USA 1954/55, 87 Min, OF R: Fritz Lang, D: Stewart Granger, George Sanders, Joan Greenwood, Viveca Lindfors So zauberhaft vage wie der titelgebende Name des Dorfes, Moonfleet, so fantastisch sind die Abenteuer, die der 10-jährige John dort erlebt. Gemeinsam mit der in Moonfleet ansässigen, pittoresken Schmugglerbande sowie deren elegantem Anführer Jeremy Fox, in dessen Hände die sterbende Mutter John befohlen hatte. In der Kulisse eines eher legendenhaften denn historisch-realistischen England des 18. Jahrhunderts erzählt Lang die sinnbildliche Geschichte einer Kindheit im Übergang zum so genannten Ernst des Lebens. Auch John wird diesem am Ende nicht entgehen. 1.11., 12.30 Uhr, Gartenbaukino Im Rahmen der Retrospektive Fritz Lang: 18.10., 21 Uhr, Filmmuseum 29.11., 18.30, Filmmuseum Ein «Wien-Film», der den Namen tatsächlich verdient; seit Linklater hat keiner mehr sich dieser Stadt so neugierig überlassen und sie dabei neuentdeckt. Und wieder ist es mit Jem Cohen ein amerikanischer Filmemacher, ein Fremder, der uns die eigene Welt offenbart: Die Gemälde im Kunsthistorischen Museum, den winterlichen Donaukanal, das Jugobeisl. Es ist eine Nicht-Liebesgeschichte zwischen einem Museumswärter und einer Touristin, die Cohen mit mehr Wärme und Wachheit erzählt, als es je eine Amour fou konnte. Ein großer Film, gerade weil er nicht groß sein will. Starring Bobby Sommer, der die Wiener U-Bahn erklärt, ganz alter Roadie und weiser Chinese zugleich. In Anwesenheit von Jem Cohen (Regisseur) und Patti Smith (Executive Producerin). 5.11., 20.30 Uhr, Gartenbaukino Anspielungsreich und elliptisch ist Raúl Ruiz’ frei flottierende Verknüpfung von Motiven aus Erzählungen des chilenischen Autors Hernan del Solar mit Geschichten aus der Wirklichkeit, Erinnerungen und Traumgesichten. Ein Film, in dem Realität und Fantasie, Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft keine Antagonisten sind, sondern sich freundlich berühren und jederzeit ineinander fließen können. Zugleich ist LA NOCHE DE ENFRENTE das Vermächtnis des im August 2011 verstorbenen Regisseurs. Ein bewegender, verschmitzter, wunderlicher und zärtlicher Abschiedsbrief an die Welt, an das Kino und an seine Heimat Chile, aus der Ruiz vor vielen Jahren ins Exil vertrieben wurde. 6.11., 16 Uhr, Künstlerhaus 7.11., 11 Uhr, Urania 15 V12_PG_Kern:V_PG 11.10.2012 10:46 Uhr Seite 16 Spielfilme PEARBLOSSOM HWY USA 2012, 80 Min, OmeU, Video R: Mike Ott, D: Atsuko Okatsuka, Cory Zacharia, John Brotherton, Stephen Tobolowsky RAMPART USA 2011, 105 Min, OF R: Oren Moverman, D: Woody Harrelson, Robin Wright, Ned Beatty, Cynthia Nixon 26.10., 13.30 Uhr, Metro 28.10., 18 Uhr, Stadtkino Dave Brown ist ein sprichwörtlicher bad cop; das Schlimme ist, er findet nichts dabei. Als seine miesen Methoden ins Scheinwerferlicht geraten und er sich verantworten soll, versteht er die Welt nicht mehr. Auch Zuhause steht es nicht zum Besten. Wild entschlossen schraubt sich Brown in einen Selbstzerstörungsmodus hinein, als könne er so die Initiative behalten. Unaufhaltsam geht es fortan bergab. Movermans, nach einem Drehbuch von James Ellroy entstandener, hochkarätig besetzter, rasant elliptisch inszenierter Polizeifilm bietet Harrelson die Gelegenheit zu einem sensationellen schauspielerischen Solo. Kameramann Bobby Bukowskis visuelles Konzept liefert den passenden Rahmen. 5.11., 23 Uhr, Gartenbaukino 6.11., 21 Uhr, Metro PINCUS RENGAINE (Hold Back) PEARBLOSSOM HWY mag einige Ingredienzien mit dem schon etwas schal gewordenen «Mumblecore»Genre gemein haben – das geringe Budget, Figuren, die wie unter Bekenntniszwang ihr Innenleben enthüllen, ein zielloses Slackertum – doch Ott transzendiert den Independent-Stil durch seine Fähigkeit, eine Location mit wenigen Einstellungen atmosphärisch zu definieren. So schafft er Prospekte, vor denen seine «beautiful losers», die Japanerin Atsuko und der erfolglose Rocker Cory, ihr existenzielles Drama zwischen Familienelend, Prostitution und einer quälenden Sehnsucht nach Behaustheit ausleben können. Das Ziel: «Getting out of the fucking desert.» In Anwesenheit von Mike Ott. USA 2012, 79 Min, OF, Video R: David Fenster, D: David Nordstrom, Paul Fenster, Christi Idavoy, Dietmar Franosch Die Parkinson-Erkrankung seines Vaters, der im Film sich selbst spielt, war für den Regisseur der Auslöser, diesen Film zu drehen, der die selbsterlebte Tragödie in einen narrativen Plot verwandelt: Dem erkrankten Bauunternehmer Finster versucht Sohn Pincus im Alltag beizustehen, ist jedoch bald heillos überfordert und sucht Erlösung in Drogen, Sex und Yoga-Kursen. PINCUS ist die Chronik eines graduellen Scheiterns, immer wieder kontrastiert durch verschleierte Unterwasserbilder mit elektronisch pulsierender Musikbegleitung: die poetische Gegenwelt zu den Mühen eines Daseins, das aus den Fugen geraten ist. In Anwesenheit von David Fenster. 29.10., 18 Uhr, Stadtkino 30.10., 23 Uhr, Stadtkino 16 F 2012, 75 Min, OmeU, DCP R: Rachid Djaïdani, D: Sabrina Hamida, Slimane Dazi, Stéphane Soo Mongo Sabrina will Dorcy heiraten. Ihre zahllosen Brüder haben was dagegen. Auch Dorcys Mutter ist nicht begeistert. Warum? Sabrina stammt aus einer algerischen, muslimischen Familie, Dorcy ist ein Christ aus Schwarzafrika. Es wird nicht einfacher dadurch, dass Sabrinas ältester Bruder, als solcher verantwortlich für die Moral der Familie, eine Jüdin liebt. Djaïdani lässt in seinem höchst lebendigen Debüt Kultur, Religion und Rasse aufeinander krachen. Im Zuge des entstehenden Tohuwabohus erlaubt er sich auch einen bösen Scherz, der die von Klischees bestimmten Erwartungen des Publikums zurück ins Kino deflektiert. Denn die Maßgabe lautet, eine Lösung zu finden. 30.10., 13.30 Uhr, Urania 31.10., 18.30 Uhr, Urania THE SHINING GB/USA 1980, 119 Min, OF R: Stanley Kubrick, D: Jack Nicholson, Shelley Duvall, Danny Lloyd, Scatman Crothers «Heeere’s Johnny!» Krachend schlägt das Hackebeil durch die billige Klotür und Wendys Panik über die seltsame Veränderung im Wesen ihres Gatten erreicht ihren Höhepunkt. War man nicht in das riesige, winterbedingt geschlossene Hotel in den Bergen Colorados gezogen, damit er an seinem Roman arbeiten konnte? Und nun versucht er, sie umzubringen! Stephen King war von dem, was Kubrick aus seinem Buch gemacht hatte, nicht begeistert. Freunde des Genres dafür umso mehr. Nie wieder vergisst, wer sie einmal gesehen hat, die Zwillinge, die Frau in Zimmer 237, den blutenden Aufzug, die Kettcar-Fahrt über den wild gemusterten Teppich. Seien Sie dabei, wenn es heißt: Welcome to the Overlook! 26.10., 23.30 Uhr, Gartenbaukino (mit ROOM 237) 27.10., 11 Uhr, Metro SIGHTSEERS GB 2012, 89 Min, OF, DCP R: Ben Wheatley, D: Alice Lowe, Steve Oram, Eileen Davies, Jonathan Aris Tina und Chris scheinen normale britische Touristen zu sein, unterwegs im Wohnwagen auf einer Sightseeing-Tour quer durch die Midlands. Doch fährt ihnen einer quer ein oder kommt ihnen gar blöd, springt er schneller über die Klinge, als er realisieren kann, dass die beiden doch nicht ganz so harmlos sind. SIGHTSEERS, nach einem Drehbuch der beiden Hauptdarsteller und TV-Komödianten Lowe und Oram, kombiniert entfesselte Soziopathen mit Häkeldeckchen-verzierter Englishness und ist ein Beweis dafür, dass der schwärzeste Humor und die gnadenloseste Selbstironie ihre Heimat immer noch auf den Britischen Inseln haben. 30.10., 13 Uhr, Künstlerhaus 2.11., 23 Uhr, Gartenbaukino V12_PG_Kern:V_PG 11.10.2012 SINAPUPUNAN (Thy Womb) Philippinen 2012, 106 Min, OmeU, DCP R: Brillante Mendoza, D: Nora Aunor, Mercedes Cabral, Lovi Poe, Bembol Roco In einer Dorfgemeinschaft im Süden der Philippinen leben Shaleka und Bangas-An. Die einfachen Hütten der Bewohner sind auf Stelzen im Meer errichtet und das paradiesische Ambiente ist von großer Schönheit. Das Glück des Paares jedoch ist getrübt, da Shakela keine Kinder bekommen kann. Jenen Nachwuchs, den sich ihr Mann so ersehnt. So beschließen die beiden, eine andere Frau solle von Bangas-An ein Kind empfangen. Doch als sie diese endlich finden, entsteht eine übergroße Verwirrung. Wie eng Schönheit und Glück verbunden sind mit ihrer Bedrohung und Zerstörung, davon gibt Mendozas Film ein sinnfälliges Beispiel. In Anwesenheit von Brillante Mendoza. 26.10., 21 Uhr, Künstlerhaus 27.10., 14.30 Uhr, Gartenbaukino O SOM AO REDOR (Neighbouring Sounds) Brasilien 2012, 124 Min, OmeU, DCP R: Kleber Mendonça Filho, D: Irandhir Santos, Gustavo Jahn, Maeve Jinkings, W.J. Solha Der benevolente Patriarch Francisco gebietet mit seiner Familie über eine Straße in der Provinzmetropole Recife. Es ist eine Enklave der Wohlbestallten, wo die Wohnungen mit Flachbildschirmen ausgestattet sind, die Kinder Mandarin lernen und eine frustrierte Hausfrau sich von ihrer Waschmaschine sexuell stimulieren lässt. Doch hinter der Fassade der Bürgerlichkeit lauern Kleinkriminalität und finstere Machenschaften. Filho inszeniert in seinem Debüt mit fast Altman’scher Figurenvielfalt einen Reigen aus Lebenslügen, verdecktem Klassendünkel und soziopathischen Neigungen – bis die scheinheile Welt in einem Gewaltausbruch explodiert. 30.10., 20.30 Uhr, Gartenbaukino 1.11., 11 Uhr, Künstlerhaus 10:46 Uhr Seite 17 SOMEBODY UP THERE LIKES ME USA 2012, 75 Min, OF, Video R: Bob Byington, D: Keith Poulson, Nick Offerman, Jess Weixler, Stephanie Hunt Der Film folgt Max, einem lakonischen aber charmanten Zyniker in Fünfjahresschritten durch sein unspektakuläres Leben in Suburbia. Es ist die bekannte Geschichte von Begegnungen und Trennungen, von großen Plänen und kleinen Erfolgen, von Hoffnungen und Enttäuschungen. Byington macht daraus eine Slacker-Komödie mit präzise gesetzten Punchlines und stilisierten Bildkompositionen, in denen Realfilm plötzlich in Animation übergehen kann und harte Schnitte dem Geschehen im Verbund mit der allgegenwärtigen Indie-Musik eine ganz eigene Rhythmik aufprägen. Das Drama des Alltags als mad parade anekdotischer Mikro-Szenen. In Anwesenheit von Bob Byington. 26.10., 18 Uhr, Stadtkino 27.10., 11 Uhr, Urania STARLET USA 2012, 104 Min, OF, Video R: Sean Baker, D: Dree Hemingway, Besedka Johnson, Stella Maeve, James Ransone Jane, Anfang 20, arbeitet im San Fernando Valley, Sadie, Mitte 80, spielt sonntags Bingo. Ein Zufall stellt zwischen den beiden eine Verbindung her, und auch wenn die alte, störrische Dame auf das offenherzig übergriffige Mädel zunächst ziemlich misstrauisch reagiert, so nähern sie sich einander doch allmählich an. STARLET entwirft die klassische Geschichte der unwahrscheinlichen Freundschaft als zartes, pastellfarbenes, sonnengetränktes, flüchtigspontanes Gewebe und wartet mit zwei Entdeckungen auf: Mariel Hemingways Tochter Dree in der Rolle der Jane und Besedka Johnson, die im Greisinnenalter ihr Debüt als Sadie gibt. In Anwesenheit von Radium Cheung (Koproduzent). 30.10., 20.30 Uhr, Stadtkino 2.11., 13 Uhr, Gartenbaukino THE STRANGE CASE OF WILHELM REICH A 2012, 110 Min, eOF, DCP R: Antonin Svoboda, D: Klaus Maria Brandauer, Julia Jentsch, Jeanette Hain, Birgit Minichmayr Als Wilhelm Reich 1957 im amerikanischen Exil unter ungeklärten Umständen stirbt, wird dies zum Ausgangspunkt von Spekulationen und Verschwörungstheorien. Reichs revolutionäre Lehre über die Zusammenhänge von Macht, Sexualität und Charakterstruktur war der Verfolgung durch den amerikanischen Geheimdienst ausgesetzt, Reich selbst wurde mit Prozessen überzogen. Als genau rekonstruierendes period picture erzählt Svoboda mit dem subtilen Brandauer in der Titelrolle die letzten Jahre Reichs zwischen Forschung, Besessenheit, Widerstand und der ewigen Hoffnung auf Vernunft und Aufklärung. Ein in seiner unspektakulären, doch engagierten Sicht schöner und notwendiger Film. In Anwesenheit von Antonin Svoboda und den SchauspielerInnen. 28.10., 18 Uhr, Gartenbaukino STUDENT Kasachstan 2012, 90 Min, OmeU, Video R: Darezhan Omirbayev, D: Nurlan Baitasov, Maya Serikbayeva, Edige Bolysbayev, Bakhytzhan Turdaliyeva Keiner hat die ökonomischen und moralischen Umbrüche in der postkommunistischen Sowjetunion klarsichtiger beschrieben als Omirbayev. Die Ungleichzeitigkeit zwischen Altem und Neuem, die Leere und Verzweiflung ebenso wie das Verlangen nach Erlösung ist auch Gegenstand von STUDENT. Ein junger Mann begeht scheinbar grundlos einen Mord und Omirbayev, darin ganz ein Schüler Bressons, erzählt diese Tat und ihre Folgen ohne moralisierende Untertöne, kalt, aber mit heißem Herz, untröstlich, aber wie aus einer inneren Notwendigkeit. Ein geheimnisvoller und durchsichtiger Film, entstanden im Schatten der neuen Bankentürme und Businesscenter im alten Kasachstan. 27.10., 20.30 Uhr, Stadtkino 29.10., 11 Uhr, Urania 17 V12_PG_Kern:V_PG 11.10.2012 10:46 Uhr Seite 18 Spielfilme SUEÑO Y SILENCIO (The Dream and the Silence) E/F 2012, 110 Min, OmeU, DCP R: Jaime Rosales, D: Oriol Roselló, Yolanda Galocha, Alba Rose Montet, Celia Correas Oriol und Yolanda sind ein junges, spanisches Paar, das in Paris lebt und arbeitet. Er als Ingenieur, sie als Lehrerin. Sie haben zwei Töchter, Alba und Celia, und im Grunde bilden die vier eine schöne, problemlose Familie, abgesehen von der ein oder anderen beruflichen Schwierigkeit und kleineren Spannungen. Bis eines Tages ein schrecklicher Unfall geschieht. Rosales hat seinen Film in Schwarzweiß und Cinemascope gedreht und nimmt dabei die Position eines Zusehers und Mitwissers ein, so, als gäbe es eine fünfte Person – und er schafft damit eine intime und zugleich befremdliche Relation. Ein seltsamer, verstörender, manchmal ein wenig verquerer Film. 6.11., 23.30 Uhr, Urania 7.11., 18.30 Uhr, Urania SYRAKUS D 2012, 85 Min, OF, Video R: Klaus Wyborny TABU P/D/Brasilien/F 2012, 110 Min, OmdU R: Miguel Gomes, D: Teresa Madruga, Laura Soveral, Ana Moreira, Henrique Espírito Santo TABU ist ein hochintelligenter und zugleich verspielter Film, ein PopSong und eine kleine Sinfonie, Melodram und Abenteuerfilm. Er handelt von einer alten, verarmten Dame im heutigen Lissabon, die ihr letztes Geld im Casino verspielt und mit eigenwilligem Stolz ihr Dasein fristet: Das einmal vor Jahren ein wildes Leben in den afrikanischen Kolonien war, wie sich nach ihrem Tod herausstellt. Ein aufregendes Leben wie in einem alten Film, und wie Gomes das erzählt und die Zeiten und Länder und Figuren wechselt und neu erfindet, ist so atemberaubend, so schön und originell, dass man aus dem Staunen und der Verwunderung nicht so schnell wieder herausfindet. In Anwesenheit von Miguel Gomes und Luís Urbano (Produzent). 3.11., 20.30 Uhr, Gartenbaukino 4.11., 11 Uhr, Metro Der Dichter Durs Grünbein und der Filmemacher Klaus Wyborny haben sich zusammengefunden in einem Projekt, das so spannend wie herausfordernd ist. Die poetische Arbeit des einen mit der kinematografischen des anderen zu verbinden, sie ineinander fließen zu lassen, aneinander zu entzünden. Das Wort und das Bild, Sprache und Welt. Weder Bebilderung des Einen noch Kommentare für das Andere ist SYRAKUS, sondern ein sensibles Ganzes, ein erfinderisches Hin und Her und eine poetische Gleichzeitigkeit. Eingeholt von der Geschichte, den alten Zeugen, den Trümmern und dem Sonnenlicht und Straßenlärm. In Anwesenheit von Klaus Wyborny und am 1.11. mit Durs Grünbein (Autor). 1.11., 20.30 Uhr, Stadtkino 2.11., 15.30 Uhr, Stadtkino 18 TOWER Kanada 2012, 78 Min, OF, DCP R: Kazik Radwanski, D: Derek Bogart, Nicole Fairbairn, Deborah Sawyer, Sean Connolly Affleck erwischt und der Grund hat einen Namen: Nicole. TOWER, angesiedelt in Toronto, ist eine Erzählung von einigem Spaß, einiger Nachdenklichkeit, und mit einer Hauptfigur, die man so schnell nicht vergisst. Wie ein Schlafwandler geht Derek am Leben vorbei, ein Loner und Slacker und Momma’s Man. Partly true and partly fiction. In Anwesenheit von Kazik Radwanski. 26.10., 23.30 Uhr, Künstlerhaus 28.10., 16 Uhr, Künstlerhaus A ÚLTIMA VEZ QUE VI MACAU (The Last Time I Saw Macao) P/F 2012, 85 Min, OmeU, Video R: João Pedro Rodrigues, João Rui Guerra da Mata Der Film statuiert an der Wirklichkeit ein Exempel: Das Vorgefundene birgt das Potenzial, alles zu sein, ist aber nichts ohne Benennung. Angelegt an dokumentarische Aufnahmen des Alltags auf Macao behaupten die Stimmen der Filmemacher im Off eine Krimi-Handlung: Candy ist verschwunden, nachdem ihr Freund erschossen wurde, der einer Geheimverschwörung von Gestaltwandlern auf der Spur war. Mit einem Mal sieht das Neujahrsfeuerwerk apokalyptisch aus, könnte Film noir auch ein Subgenre des Experimentalfilms sein. Die Regisseure haben ihr Werk «ein abstraktes B-Picture» genannt, kreisend um die Frage: Wer war zuerst da, das Kino-Bild oder das Drehbuch-Wort? Man vermeint, sie leise lachen zu hören. 5.11., 23 Uhr, Stadtkino 7.11., 18 Uhr, Stadtkino UN MONDE SANS FEMMES Derek ist ein ziemlich ambitionsloser Bursche. Sein Job ist eine Nebenbeschäftigung und mit einer Beziehung scheint es auch nicht zu klappen. Mit über dreißig lebt er noch bei seinen Eltern, er treibt sich nachts in Bars herum, richtige Freunde hat er nicht. Dabei wirkt er nicht unglücklich, nur ein wenig verschlafen. Bis es ihn eines Tages (A World Without Women) F 2011, 58 Min, OmeU, DCP R: Guillaume Brac, D: Vincent Macaigne, Laure Calamy, Constance Rousseau, Laurent Papot Ein kleiner Küstenort in der Picardie, der nur im Sommer für einige Wochen zum Leben erwacht. Der einsame, schüchterne Sylvain lernt Patricia und ihre Tochter Juliette kennen V12_PG_Kern:V_PG 11.10.2012 und darf als ständiger Begleiter an ihrem Urlaubsleben teilnehmen – bis sich der Dorf-Casanova Gilles dazwischendrängt. Brac entwirft mit Houellebecq’schem Fatalismus ein Drama der stillen Leidenschaft, in dem ein Sommerflirt über Sein oder Nichtsein entscheidet. Und dann, als Sylvain sich längst wieder in dumpfe Resignation gefügt hat, wird er plötzlich auf zarteste und delikateste Weise reich beschenkt. Mit LE NAUFRAGÉ 31.10., 11 Uhr, Künstlerhaus 5.11., 18.30 Uhr, Künstlerhaus THE UNSPEAKABLE ACT USA 2012, 91 Min, OF, Video R: Dan Sallitt, D: Tallie Medel, Sky Hirschkron, Aundrea Fares, Kati Schwartz Fahrrad, Kapuzenpulli, ein Teenagerleben in Brooklyn. Dass Jackie in ihren Bruder verliebt ist, fällt als nüchterne Tatsache in einem Nebensatz. Sallitt nimmt dem potenziellen Tabubruch jeden Hauch von Sensation, mit schönen, klaren Bildern, irgendwo zwischen Alltäglichkeit und der Strenge einer wissenschaftlichen Versuchsanordnung. Wie im unabsichtlich offen liegen gelassenen Tagebuch will man noch eine Seite umblättern – nur haben wir dieses hier nicht verstohlen gefunden, sondern man hat es uns vertrauensvoll in die Hand gedrückt. Ein stiller, schlauer Film voll feinem Humor. 27.10., 18 Uhr, Stadtkino 29.10., 23.30 Uhr, Künstlerhaus VILLEGAS 10:46 Uhr Seite 19 A VINGANÇA DE UMA MULHER (A Woman’s Revenge) P 2011, 100 Min, OmeU, DCP R: Rita Azevedo Gomes, D: Rita Durão, Fernando Rodrigues, Hugo Tourita, Duarte Martins Basierend auf einer der Kurzgeschichten aus Barbey d’Aurevillys 1874 erschienenem «Les Diaboliques» entwickelt Gomes eine moralische Versuchsanordnung unterschiedlicher sozialer Figuren und Milieus. Die Protagonistin, Herzogin eines bedeutenden Hofes, beschließt als Prostituierte zu leben: eine scheinbar simple dramatische Konstruktion, die sich in Gomes’ Film als ein stilisiertes Fegefeuer der Gefühle, Gesten, Körper und Räume entfaltet. Ein glühendes Melodram, eine eiskalte Rachegeschichte, ein Hohelied der Liebe und der Entsagung. Ein Film, in dem jeder Augenblick atmet und singt, reduziert auf Weniges, alles überstrahlend. In Anwesenheit von Rita Azevedo Gomes. 4.11., 21 Uhr, Künstlerhaus 7.11., 13.30 Uhr, Urania VOUS N’AVEZ ENCORE RIEN VU (Ihr werdet euch noch wundern) Argentinien/NL/F 2012, 98 Min, OmeU, DCP R: Gonzalo Tobal, D: Esteban Lamothe, Esteban Bigliardi, Mauricio Minetti, Paula Carruega Zwei Cousins, Mitte dreißig, machen sich im Auto auf den Weg von Buenos Aires nach dem Provinzort Villegas, um am Begräbnis des Großvaters teilzunehmen. Nach einem heftigen Streit während der Fahrt treffen sie am Zielort ein, um dort gleich den Würgegriff der familiären Ansprüche zu spüren – denen sie sich, jeder auf seine Weise, zu entziehen versuchen. Tobals Langfilmdebüt ist gleichermaßen Roadmovie, Familiendrama und Milieustudie. Vor allem aber eine Meditation über die Zeit und die Erinnerung, die ein Paradies beschwört, aus dem man längst vertrieben wurde. F/D 2012, 115 Min, OmdU R: Alain Resnais, D: Mathieu Amalric, Pierre Arditi, Sabine Azéma, Anne Consigny Es ist ein seltsames Vermächtnis, das der Bühnenautor André D’Anthac seinen Freunden hinterlässt. Sie sollen eine Neuinszenierung seines alten Stücks «Eurydice» durch eine junge Theatercompagnie begutachten. Die Testamentseröffnung ist ein Gipfeltreffen französischer Schauspielkunst: Pierre Arditi, Matthieu Amalric, Sabine Azéma, Michel Piccoli, Lambert Wilson und andere spielen sich selbst. Eine Liebeserklärung an das Theater und die Schauspieler, die seit drei Jahrzehnten die vornehmste Grundlage von Resnais’ Werk sind – und mitnichten ein Abschied vom Kino: Der 90-jährige Regisseur hat längst den nächsten Film in Arbeit. 26.10., 16 Uhr, Urania 28.10., 21 Uhr, Künstlerhaus 26.10., 11 Uhr, Metro 27.10., 18.30 Uhr, Metro WADJDA Saudi-Arabien/D 2012, 97 Min, OmeU, DCP R: Haifaa Al Mansour, D: Reem Abdullah, Waad Mohammed, Abdullrahman Al Gohani, Sultan Al Assaf WADJDA ist der Erstlingsfilm einer Frau, die aus einem Land stammt, in dem Frauen das Autofahren untersagt ist. Und Mädchen das Radfahren. Doch genau das will die eigensinnige und selbstbewusste Wadjda, ein elfjähriges Mädchen, das bei einem Schulwettbewerb genug Geld gewonnen hat, um sich diesen besonderen Wunsch zu erfüllen. Frei von Klischees und berechenbarer Didaktik breitet der Film, der eigentlich eine Unmöglichkeit ist, das Bild der saudiarabischen Gesellschaft und Kultur auf realistische Weise aus. Und darin ist für die junge Wadjda nicht der Platz, den sie für sich erträumt und beansprucht. Eine der Entdeckungen diesen Jahres. 28.10., 21 Uhr, Urania 30.10., 15.30 Uhr, Gartenbaukino WO HAI YOU HUA YAO SHUO (When Night Falls) Südkorea/China 2012, 70 Min, OmeU, Video R: Ying Liang, D: Nai An, Kate Wen, Sun Ming 2008 wurde in China einem Mann namens Yang Jia der Prozess gemacht, der bei einem Amoklauf sechs Polizisten getötet haben soll. Der Prozess verlief, selbst für chinesische Verhältnisse, außerordentlich undurchsichtig und endete mit dessen Hinrichtung. In ihrer dokumentarisch nüchtern wirkenden Schilderung betrachtet Ying Liang das Geschehen aus der Perspektive der Mutter des Beschuldigten und legt den Fokus auf deren von Hilf- und Ratlosigkeit geprägte Versuche, dem Sohn zu helfen. Ein Staatsapparat übt Willkürjustiz, eine Bürgerin übt sich in mündigem Handeln. Das Obsiegen der einen bewirkt das Erkennen von Ohnmacht bei der anderen. Gesellschaft geht anders. In Anwesenheit von Ying Liang. 3.11., 15.30 Uhr, Stadtkino 4.11., 20.30 Uhr, Stadtkino 19 V12_PG_Kern:V_PG 11.10.2012 10:46 Uhr Seite 20 Dokumentarfilme 5 BROKEN CAMERAS Israel/F/Palästina 2011, 90 Min, OmeU, Video R: Emad Burnat, Guy Davidi Der palästinensische Bauer Emad Burnat aus Bil’in, einem kleinen Ort im Westjordanland, dokumentiert mit der Kamera den Widerstand gegen die aggressive Okkupationsund Siedlungspolitik der Israelis. Sein Film ist gleichermaßen privates Tagebuch, politischer Essay und Alltagschronik. Während der mehrjährigen Dreharbeiten wurden fünf Kameras zerstört. Es sind jene Momente, in denen die defekten Aufnahmegeräte nur noch flackernde, in Pixel zerfallende Bilder übermitteln, die, mehr noch als explodierende Handgranaten und schreiende Verwundete, dem Film seine Dringlichkeit und eine ganz spezielle Textur verleihen. Mit SNOW TAPES 29.10., 18.30 Uhr, Künstlerhaus 2.11., 13.30 Uhr, Urania À PEINE OMBRE (Out of the Shadows) F 2012, 87 Min, OmeU, DCP R: Nazim Djemaï ABER DAS WORT HUND BELLT JA NICHT (But the Word Dog Doesn’t Bark) D 2011, 49 Min, OmdU/OmeU, DCP/Video R: Bernd Schoch Jedes Jahr unternimmt das renommierte Schlippenbach-Trio seine «Winterreise». Doch statt Schubert gibt es natürlich Free Jazz am Klavier, Schlagzeug und Saxofon. In den vergangenen vier Jahren wurden die Musiker von Bernd Schoch im Jazzclub Karlsruhe erwartet und beim Intonieren und Improvisieren auf genommen – einzeln. Denn gut Ding braucht bekanntlich Weile. Das Ergebnis dieses scheinbar einfachen Konzepts ist bestechend: Vier Stücke, vier Auftritte, vier Jahre. Denn am Ende, nach lyrischen Passagen mit Blick auf die Winterlandschaft, finden alle wieder zueinander. In Anwesenheit von Bernd Schoch. Mit NOTIZ SPEISEWAGEN 29.10., 16 Uhr, Urania (OmeU) 30.10., 13 Uhr, Stadtkino (OmdU) AGE IS Die Klinik La Borde, idyllisch situiert in einem Schloss im Loire-Tal, ist eine Modellinstitution, in der seit 1951 alternative Formen der psychotherapeutischen Arbeit praktiziert werden. Der Film versucht die spezielle Aura dieses Ortes im Wechselspiel zwischen fast gemäldeartig inszenierten Naturbildern aus der Umgebung des Schlosses und Interviews mit Patienten und Helfern einzufangen. Was Djemaï vor allem zeigt, ist das Ringen um Ausdruck, den Abgrund zwischen den Worten, die verwundete Sprache. Am Schluss sagt eine Patientin: «Es ist wahr, dass ich im Begriff bin, mich aufzulösen.» Und dann: das Schweigen. 7.11., 18.30 Uhr, Künstlerhaus GB/F 2012, 73 Min, kein Dialog, Video R: Stephen Dwoskin Mit Dwoskin – der im Sommer 2012 kurz nach der Fertigstellung von AGE IS verstarb – verschwindet eine singuläre Figur des europäischen Avantgarde- und Dokumentarfilms, ein leidenschaftlicher Erforscher des menschlichen Körpers, ein Kundschafter in den Räumen des Privaten und Politischen, ein geduldiger und nervöser Seismograf. Dwoskins Schaffen ist eng verbunden damit, dass er seit seiner Kindheit an den Rollstuhl gefesselt war, die Direktheit seiner Filme ist ein Dokument dieses Lebens. Bewusst oder unbewusst ist AGE IS, diese Studie über das Altern, die Schönheit und das Leid des Vergänglichen, Dwoskins zugleich melancholisches und herzzerreißendes Vermächtnis an uns. Mit LIKNELSEN OM SÅDDEN 30.10., 16 Uhr, Urania 31.10., 13 Uhr, Stadtkino 20 ANDERS, MOLUSSIEN (Differently, Molussia) F 2011, 81 Min, dOF/dOmeU R: Nicolas Rey Der Film zeigt urbanisierte und industrialisierte Landschaften, an die eine Tonspur mit Zivilisationslärm angelegt ist. Dazu wird aus Günther Anders’ Roman «Die molussische Katakombe» gelesen. In zufälliger Reihenfolge gezeigt, setzen sich die visuellen Motive und akustischen Signale der neun Film-Kapitel immer wieder neu zusammen. Was entsteht, ist eine Illustration des von Anders entwickelten, kulturkritischen Begriffs des «prometheischen Gefälles» zwischen der Unvollkommenheit des Menschen und der Perfektion der Maschine; die entwickelt sich, aufgrund ihrer strukturellen Überlegenheit, vom Objekt zum Subjekt der Geschichte. In Anwesenheit von Nicolas Rey. 2.11., 18.30 Uhr, Metro (dOF) 3.11., 13.30 Uhr, Metro (dOmeU) ANGRIFF AUF DIE DEMOKRATIE – EINE INTERVENTION (Democracy under Attack – An Intervention) D 2012, 102 Min, OmeU, Video R: Romuald Karmakar Karmakars «Intervention» gilt in dieser Arbeit fast ausschließlich der Entwicklung von Argumenten, der Darstellung von Sprache und Artikulation von Politik. Zehn deutsche Künstler und Philosophen formulieren ihre Thesen zur aktuellen ökonomischen und politischen Krise in Europa. Zehn Formen und Stile zwischen Analyse, Klischees, Selbstdarstellung und Rhetorik. Als «Montage» hat Karmakar seinen Film bezeichnet, denn es sind gefertigte Teile und Figuren, die sich zu einem Bild verbinden, zu einem Konstrukt. Das in seiner Einfachheit und Vielschichtigkeit zugleich ein faszinierendes Vergnügen und eine wunderbare Irritation ist. 31.10., 15.30 Uhr, Stadtkino V12_PG_Kern:V_PG 11.10.2012 10:47 Uhr Seite 21 LEVIATHAN ANNA I 1972–75, 225 Min, OmeU, DCP R: Alberto Grifi, Massimo Sarchielli Grifi und Sarchielli trafen auf der Piazza Navona in Rom eine verwahrlost ausschauende Frau namens Anna. Bald beschlossen sie, einen Film über diese Frau zu drehen, mit ihr selbst als Darstellerin der eigenen Existenz. Daraus entspann sich ein Spiel wechselseitiger Verführungen, Abhängigkeiten und Ausbeutungen, bei dem Alltag und Film weiter und weiter ineinander verschmolzen … Eines der großen Werke des modernen Kinos, dessen Schönheit des Unmittelbaren, Unbehauenen, Unwiederbringlichen ganz eigen ist, grausam und voll der Gnade. Die Viennale präsentiert die restaurierte, ursprüngliche Fassung von ANNA sowie mit LA DOPPIA VITA DI ANNA eine von der Fondazione Grifi aus dem hinterlassenen Filmkorpus ausgewählte Zusammenstellung zusätzlichen Materials. 3.11., 13 Uhr, Gartenbaukino 5.11., 11 Uhr, Urania (mit LA DOPPIA VITA DI ANNA) ANTON TUT RYADOM (Anton’s Right Here) Russland 2012, 110 Min, OmeU, Video R: Lyubov Arkus Arkus widmet ihren Debütfilm einem autistischen jungen Mann, der davon bedroht ist, aus der Obhut seiner kranken Mutter herausgebrochen und in eine psychiatrische Anstalt eingewiesen zu werden. Noch lebt er ein wenig wie ein Wilder, streift durch die ländliche Gegend, genießt eine seltsam unfreie Freiheit. Als sich seine Situation aber zum Schlechten verändert, wird dies zum unmittelbaren Gegenstand des Films und zur praktischen und moralischen Herausforderung für die Filmemacherin. Von der Dokumentation gerät die Arbeit zur Intervention und staunend und berührt sehen wir die schmerzlichen Übergänge und Bruchlinien zwischen Leben und Film. 27.10., 13 Uhr, Stadtkino 28.10., 18.30 Uhr, Urania ARRAIANOS E 2012, 70 Min, OmeU, DCP R: Eloy Enciso Cachafeiro Wenn das Kino tatsächlich die letzte Form der mündlichen Überlieferung darstellt, dann ist dieser Film ein großes, erzählerisches und dokumentarisches Berichten, Umkreisen, Erinnern einer bäuerlichen Welt, die dem Untergang geweiht ist. Irgendwo im Niemandsland zwischen Spanien und Portugal lebt eine dörfliche Gemeinschaft, bestellt die kargen Felder, bewirtschaftet den Wald, sitzt abends in der Kneipe und singt und erzählt und schweigt. Mitten in Europa eine Fremde, ein Vergessenes, so stur und schön, so eigensinnig und betörend wie aus einem Traum. Und dabei ganz wach und gegenwärtig. Dafür wurde das Kino vor mehr als 100 Jahren erfunden, als Zeugenschaft und Eingedenken. In Anwesenheit von Eloy Enciso Cachafeiro. 29.10., 13.30 Uhr, Urania 30.10., 18.30 Uhr, Urania AUTOPORTRAIT (Self-Portrait) Libanon/F 2012, 46 Min, OmeU, Video R: Simone Fattal Die bildende Künstlerin Simone Fattal wurde 1942 in Damaskus geboren, studierte in Beirut und Paris Philosophie, ging in den 1980er Jahren nach Kalifornien und gründete dort einen Verlag für experimentelle Literatur. AUTOPORTRAIT entstand 1972 im Libanon und zieht die Zwischenbilanz des Lebens einer Frau, die sich als frei zu behaupten wusste. Dass diese Freiheit ihren Preis hat, sieht, wer genau hinschaut, in Zögerlichkeiten, Seitenblicken, Ent- gleisungen, die Fattal vor der Kamera je sekundenkurz unterlaufen, und die das Dokument mit Brüchen, fein wie Haarrisse durchziehen. In Anwesenheit von Simone Fattal. Mit FIREWORKS 30.10., 18 Uhr, Stadtkino BAGRUT LOCHAMIM (Soldier/Citizen) Israel 2012, 70 Min, OmeU, Video R: Silvina Landsmann Im Rahmen eines pädagogischen Projektes, das ausgemusterte israelische Soldaten auf das Zivilleben vorbereiten soll, versucht ein Lehrer für Staatsbürgerkunde den testosterongeladenen jungen Männern ein paar Grundbegriffe des gesellschaftlichen Miteinanders beizubringen. Der Unterricht wird zum Schaukampf zwischen dem Pädagogen und seinen aggressiven Schülern, die ihrem Hass auf Palästinenser und orthodoxe Juden in wilden Tiraden Luft machen – ein «Blackboard Jungle» der anderen Art. Am Ende verabschiedet der Lehrer die Soldaten mit den Worten: «Viel Glück im Leben als zivile Bürger.» Ein frommer Wunsch. In Anwesenheit von Silvina Landsmann. 31.10., 20.30 Uhr, Stadtkino BERG FIDEL – EINE SCHULE FÜR ALLE (Berg Fidel – A School for all) D 2011, 87 Min, OmeU, Video R: Hella Wenders Grundschule im deutschen Münster, eine Welt in der Welt, eine Herausforderung, eine Zumutung, ein alltägli- 21 V12_PG_Kern:V_PG 11.10.2012 10:47 Uhr Seite 22 Dokumentarfilme ches Experiment. In dieser Schule wird der Versuch eines ganzheitlichen, integrativen Lernens und Zusammenlebens einer Gruppe von Kindern praktiziert, von denen jedes einzelne mit einer spezifischen Form der Behinderung konfrontiert ist, mit körperlichen und sozialen Symptomen der Ausgrenzung. Ohne Kommentar, Erklärung oder Einmischung sieht Hella Wenders diesen kleinen Schülern zu, lässt sie zu Wort kommen, gibt ihnen Raum. Ja, gibt ihnen eine ganze, notwendige, eigene Welt. Und stellt dabei unsere Welt wie nebenbei auf den Kopf. In Anwesenheit von Hella Wenders, Barbara Wenders (Protagonistin) und Luca Lucchesi (Ton). 3.11., 20.30 Uhr, Stadtkino 4.11., 13 Uhr, Stadtkino BESTIAIRE Kanada/F 2012, 72 Min, kein Dialog, DCP R: Denis Côté Côté stellt seine Kamera im Parc Safari in Hemmingford, Québec, auf und filmt Tiere – sowie Menschen, die diese ansehen. Wiederholt wird dabei der Blick des Zuschauers vom Tier zurück über den Zaun, den Graben, die Grenze geworfen. Und während die menschliche Interpretation des animalischen Treibens an der fundamentalen Andersartigkeit des Gegenübers scheitert, provoziert dieser Ort – an dem Wildnis und Zivilisation aufeinandertreffen – Fragen zum Verhältnis von Freiheit und Macht, Fremdheit und Neugier, Dasein und Entfremdung. Lauschende Ohren vor Beton. Hornspitzen neben Eisenriegel. Schönheit in grässlicher Umgebung. Ein Lehrfilm. 1.11., 16 Uhr, Urania 6.11., 13 Uhr, Gartenbaukino 22 CAPTURING THE FRIEDMANS CHARLES BRADLEY: SOUL OF AMERICA 29.10., 21 Uhr, Metro 4.11., 13.30 Uhr, Metro 4.11., 16 Uhr, Urania 6.11., 23 Uhr, Gartenbaukino THE CENTRAL PARK FIVE CHIRI (Trace) chen gestand. Der Fall der so genannten «Central Park Five», der hier akribisch nachgezeichnet wird, ist ein Justizskandal. Beispiel für rassistisches Profiling ebenso wie für das Nicht-Funktionieren eines Rechtssystems, Studie von Polizeirepression ebenso wie medialer Verantwortungslosigkeit, kurz: nüchternes Dokument einer uneinigen Gesellschaft. 30.10., 13 Uhr, Gartenbaukino 1.11., 21 Uhr, Metro Als Baby wurde Naomi Kawase von ihren Eltern in die Obhut ihrer Großtante Uno übergeben. Naomi nennt Uno «Oba-chan», Großmutter, und hat ihr Verhältnis zu dieser über die Jahre in ihren Filmen immer wieder zum Thema gemacht. Vor kurzem ist Uno Kawase 95-jährig gestorben und CHIRI ist ein Bilderabschiedsliebesgedicht, das vor dem Schrecken des Verdämmerns nicht die Augen verschließt, dem Schmerz nicht ausweicht und dabei doch immer ein zugeneigtes Herz beweist. Möge Ersatzmutter Uno ihrer Adoptivtochter Naomi die Übergriffigkeit verzeihen, der wir diesen traurig-schönen Film verdanken, möge sie in Frieden ruhen. Mit RITE OF SPRING (siehe Kurzfilmprogramm 5, S. 37) 30.10., 15.30 Uhr, Stadtkino 31.10., 13.30 Uhr, Künstlerhaus USA 2003, 107 Min, OmdU R: Andrew Jarecki Die Geschichte oder Erfindung oder Verdrehung der Geschichte einer amerikanischen Mittelstandsfamilie von den 1950er Jahren bis heute: Der Vater und einer seiner Söhne werden Ende der Achtziger des sexuellen Missbrauchs von Kindern beschuldigt und in einem spektakulären Prozess zu hohen Gefängnisstrafen verurteilt. Ist dieses Urteil Produkt von Massenhysterie und Bigotterie oder die späte, gerechte Strafe für schwere Vergehen? Ein unlösbares, faszinierendes und berührendes Puzzle von privaten Homemovies, Interviews, Prozessberichten, Ermittlungen, das am Ende die ZuseherInnen sich selbst und ihren eigenen Zweifeln und Urteilen überlässt. USA 2012, 119 Min, OF, Video R: Ken Burns, David McMahon, Sarah Burns Der schwarze Mann – die weiße Frau: ein Reiz-Reaktions-Schema, das 1989 in New York dazu führte, dass fünf Teenager aus Harlem wegen mehrfacher Vergewaltigung und versuchten Totschlags verurteilt wurden und zwischen sechs und dreizehn Jahre im Gefängnis verbrachten. Bis endlich – doch eher zufällig – der wahre Täter das Verbre- USA 2012, 74 Min, OF, Video R: Poull Brien Aus der Sozialwohnung auf die Titelseite des «Rolling Stone»: Die Geschichte des Soulsängers Charles Bradley ist eine der erstaunlichsten, die das Showgeschäft in den letzten Jahren hervorgebracht hat. Nach einem Leben in äußerster Armut, nach kläglichen Auftritten, bei denen er unter dem Namen Black Velvet James Brown imitierte, fand Bradley erst im Alter von 62 Jahre seine eigene Stimme und seine genuine Identität. Der Film begleitet den Sänger während der Monate bis zur Veröffentlichung des Albums «No Time for Dreaming», das ihn 2011 an die Spitze der Retro-Soul-Bewegung katapultierte. Wie man Wünsche beim Schwanz packt! Japan/F 2012, 45 Min, OmeU, Video R: Kawase Naomi V12_PG_Kern:V_PG 11.10.2012 DANN BIN ICH JA EIN MÖRDER (If that’s so, then I’m a murderer) A 2012, 70 Min, OmeU, Video R: Walter Manoschek In den letzten Tagen des Zweiten Weltkrieges werden in der burgenländischen Gemeinde Deutsch Schützen-Eisenberg rund 60 aus Ungarn stammende, jüdische Zwangsarbeiter erschossen. Im Zuge seiner Recherchen des Falles gelingt es dem Historiker Manoschek mit einem der Verantwortlichen, dem SS-Mann Adolf Storms, längere Gespräche zu führen – in denen der Täter jedoch die konkrete Erinnerung verweigert. Redend umkreist und vermeidet er die Geschehnisse, dabei mehr offenbarend, als ein Prozess je könnte. «Von der Seite eines Wissenden betrachtet», schreibt Elfriede Jelinek über den Film, «in aller Klarheit, ohne Naivität, sogar ohne Dämonisierung der Täter. Das ist eine große Kunst». In Anwesenheit von Walter Manoschek. 2.11., 18.30 Uhr, Urania DEATH ROW USA/GB/A 2012, 208 Min, OF, Video R: Werner Herzog «Being a guest in the United States of America, I respectfully disagree with the practice of capital punishment.» Herzog sagt es zu Beginn von DEATH ROW, der, auf dem Kinodokumentarfilm INTO THE ABYSS (siehe S. 25) basierend, dessen Verfahren multipliziert: als fürs Fernsehen gedrehte vierteilige Serie von Porträts von im Gefängnis von Huntsville, Texas, einsitzenden Todeskandidaten. James Barnes, Hank Skinner, Joseph Garcia, Georges Rivas und Linda Carty heißen die Gesprächspartner anhand derer Fälle sich verschiedene Verbrechens- und Verbrechertypen erschließen, das Justizsystem der USA aufgefächert wird und Herzog sich einmal mehr als furchtloser Erforscher menschlicher Abgründe erweist. 4.11., 13.30 Uhr, Künstlerhaus 10:47 Uhr Seite 23 LA DOPPIA VITA DI ANNA I 1972–75/2012, 101 Min, OmeU, Video R: Alberto Grifi, Massimo Sarchielli Eine von der Fondazione Grifi aus dem hinterlassenen Filmkorpus ausgewählte Zusammenstellung zusätzlichen Materials zum Dokumentarfilm ANNA (siehe S. 21 und In Focus: Grifi, S. 44). Mit ANNA 5.11., 11 Uhr, Urania DUCH, LE MAÎTRE DES FORGES DE L’ENFER (Duch, Master of the Forges of Hell) F/Kambodscha 2011, 103 Min, OmeU, Video R: Rithy Panh Kaing Guek Eav, genannt Duch, war von 1976 bis 1979 Leiter des Gefängnisses Tuol Sleng (S-21) in Phnom Penh. Als solcher zeichnete er verantwortlich für den Tod von etwa 15.000 Inhaftierten. Eine Verantwortung, die Duch im Gespräch mit Panh nicht leugnet, eher mitunter sophistisch eichmannesk wendet: von einer Ideologie zum Werkzeug gemacht, sei ihm keine Wahl geblieben. Mit DUCH kehrt Panh, zehn Jahre nach S-21, LA MACHINE DE MORT KHMÈRE ROUGE, an einen der zentralen Orte des kambodschanischen Genozids zurück. Und führt eine weitere ebenso schmerzhafte wie unabdingbare Operation am lebenden Volks-Geschichts-Körper durch. tung aufrechtzuerhalten. In langen, ruhigen Einstellungen zeigt die kleine Arbeit den Alltag der individuellen Katastrophe. «Same show every day», heißt es einmal: Die Wiederkehr des Immergleichen als kinematografische Meditation über die Verwaltung des Ausnahmezustandes. In Anwesenheit von Antoine Bourges. Mit CHEZ NICOLE 28.10., 20.30 Uhr, Stadtkino 29.10., 23.30 Uhr, Urania EASY RIDER USA 2012, 95 Min, OF, Video R: James Benning Nachdem er zuletzt Cassavetes’ FACES (1968) aus den Bildern des Ursprungsfilms heraus neu interpretiert hat, legt Benning ein weiteres «Remake» vor. Sein Interesse gilt dabei weniger dem Originalmaterial als den Originalschauplätzen jenes Films, der für seine Generation ikonische Qualität besitzt: EASY RIDER (1969) von Dennis Hopper. Was ebenfalls zurückkehrt, ist eine Hauptlinie in Bennings Werk: die Betrachtung versehrter amerikanischer Landschaften und ihre Aufladung durch politische Geschichte und kulturelle Erinnerung. «Die Gegenkultur der Gegenwart versuchte ich, präsent werden zu lassen, indem ich die Original-Musik durch Musik ersetzte, die ich heute höre.» (Benning) In Anwesenheit von James Benning. 29.10., 21.30 Uhr, Filmmuseum Eine gemeinsame Veranstaltung von Filmmuseum und Viennale. ENSAYO FINAL PARA UTOPÍA (Dress Rehearsal for Utopia) E 2012, 75 Min, OmeU, Video R: Andrés Duque 3.11., 16 Uhr, Urania 5.11., 16 Uhr, Künstlerhaus EAST HASTINGS PHARMACY Kanada 2012, 46 Min, OF, Video R: Antoine Bourges «Have a good day», sagt die Apothekerin gerne, wenn sie ihre Kunden verabschiedet. Ein Euphemismus, denn EAST HASTINGS PHARMACY dokumentiert den Alltag von Drogensüchtigen in Vancouver, die ihre tägliche Methadon-Ration konsumieren. Ein Mikrokosmos zwischen Elend, schrägem Humor und Versuchen, auch unter prekären Lebensumständen Würde und Selbstach- Während er in Mosambik Dokumente aus und über den Unabhängigkeitskampf (1962–1975) recherchierte, ereilte den Filmemacher die Nachricht von der Erkrankung seines Vaters, woraufhin Duque nach Venezuela heimkehrte. Geografie und Chronologie lösen sich in dem tagebuchartigen ENSAYO FINAL PARA 23 V12_PG_Kern:V_PG 11.10.2012 10:47 Uhr Seite 24 Dokumentarfilme UTOPÍA zugunsten eines assoziativen Bilderreigens auf, um variantenreich eines zu befragen: Wie kann die filmische Gestaltung der Intensität des Lebens gerecht werden? Elliptisch werden Bilder der mosambikischen Revolution mit dem Abschied vom Vater verbunden, Aufbruch und Tod werden konkret und metaphorisch zugleich. In Anwesenheit von Andrés Duque. 27.10., 18.30 Uhr, Urania 28.10., 12 Uhr, Stadtkino EL ETNÓGRAFO (The Ethnographer) Argentinien 2012, 85 Min, OmeU, DCP R: Ulises Rosell Die indigene Bevölkerung Argentiniens wurde durch Landnahme und Enteignung nahezu vollständig ausgerottet, eine Ausnahme bilden – noch – die Wichi, die in einer Region im Norden Argentiniens leben; theoretisch geschützt durch staatliche Bestimmungen, in der Realität jedoch immer schnellerer und brutalerer Zerstörung ihres Lebensraums ausgesetzt. Von Ölbohrungen und Soja-Anbau bedroht, kämpfen sie einen aussichtslosen Kampf und ihr einziger leidenschaftlicher Unterstützer ist der britische Ethnologe John Palmer, der seit vielen Jahren unter ihnen lebt. EL ETNÓGRAFO ist das engagierte und klarsichtige Dokument einer untergehenden Kultur und zerstörten Welt. 27.10., 11 Uhr, Künstlerhaus 7.11., 13.30 Uhr, Künstlerhaus Inserts, historischen Rückblenden und poetischen Sidesteps. Immer wieder gegengeschnitten mit Szenen des Luxus und der Armut aus dem kriegführenden Imperium USA. Ein Protokoll aus dem Herzen der Finsternis mit einer eindeutigen Botschaft: «The virus has turned on the host.» 26.10., 13 Uhr, Stadtkino 7.11., 21 Uhr, Urania und geduldige, neugierige und materialreiche Weise, dass die vier Stunden ihres Films keinen Moment zu viel sind. Ein großes Dokument – eine abenteuerliche Reise – a labour of love, wie sie wohl über kaum einen Filmemacher in dieser Weise existiert. In Anwesenheit von Martina Kudláček und Peter Kubelka. 29.10., 15.30 Uhr, Gartenbaukino FIDAÏ FREMD (Foreign) 26.10., 13.30 Uhr, Urania 27.10., 16 Uhr, Künstlerhaus In Algerien trifft der Malier Mohamed nach seinem dritten gescheiterten Migrationsversuch nach Europa auf den Musiker Jerry aus Kamerun. Zwei von Millionen, die ihre Heimat verlassen haben, um in eine angeblich bessere Welt aufzubrechen. Faßbender begleitet sie bei ihrem alltäglichen Überlebenskampf und ihren Reise-Vorbereitungen, erfährt von ihren Zweifeln, ihren Hoffnungen und ihrer Entschlossenheit. Sie hört zu und sieht zu, was einfach klingt, doch nicht einfach ist. Sie macht das Kino zum Zeugen, zum Erzähler und Bewahrer einer konkreten politischen und individuellen Situation unserer Tage. Ohne falsche Betroffenheit, geduldig und klar. In Anwesenheit von Miriam Faßbender und Max Milhahn (Produzent). 31.10., 21 Uhr, Metro 2.11., 20.30 Uhr, Stadtkino F/Algerien 2012, 82 Min, OmeU, DCP R: Damien Ounouri »Auch wenn ich mich nicht erinnern will, ist der Krieg ein nie enden wollender Terror. In der Seele, in der Welt.« Mit diesen Worten wirft uns FIDAÏ in die Geschichte seines Protagonisten: El Hadi, Großonkel des Filmemachers, hatte sich während des algerischen Befreiungskrieges dem bewaffneten Kampf der FLN angeschlossen und war als «Fidaï» an mehreren Attentaten auf Angehörige der konkurrierenden Befreiungsbewegung MNA beteiligt. Minutiös rekonstruiert Ounouri die Taten und die Gefühle des Täters. Kaltblütig war und ist hier gar nichts. Die Erinnerungsarbeit ist schmerzhaft, der Film ein Aufbruch: zu den Bedingungen der Möglichkeit postkolonialer Freiheit. In Anwesenheit von Damien Ounouri. FRAGMENTS OF KUBELKA A 2012, 232 Min, eOF, Video R: Martina Kudláček FAR FROM AFGHANISTAN USA 2012, 129 Min, OmeU, Video R: John Gianvito, Jon Jost, Minda Martin, Travis Wilkerson, Soon-mi Yoo Nach dem Vorbild des kollektiven Films FAR FROM VIETNAM (1967) bringt auch diese Arbeit eine Reihe von Filmemachern, Kameramännern, Cuttern und Technikern zusammen, um einen kritischen Report aus dem Inneren der Kriegsmaschine abzuliefern. Ein Mosaik aus grobgepixelten Bildern der Zerstörung, Interviews, polemischen Text24 D/Mali/Algerien/Marokko 2011, 93 Min, fOmeU, Video R: Miriam Faßbender GIRL MODEL Eine dokumentarische Beschreibung des Künstlers und Menschen Peter Kubelka ist ein nahezu unmögliches Unterfangen. Seine Persönlichkeit, seine Geschichte, seine Arbeit und seine Ideen sind so vielschichtig, eigensinnig, überbordend, originär und manchmal unberechenbar, dass nicht viel mehr als eine fragmentarische Annäherung machbar scheint. Martina Kudláček ist das Unmögliche gelungen und dies auf so reiche USA 2011, 78 Min, OmeU, Video R: Ashley Sabin, David Redmon Der Film folgt einem weiblichen Model Scout, der Amerikanerin Ashley, nach Sibirien, wo blutjunge Mädchen mit dem Versprechen auf eine große Karriere in Japan wie bei einer Viehauktion zusammengetrieben werden. Im dialektischen Wechselspiel zwischen der selbstkritischen Amerikanerin und der von ihr «entdeckten» naiven 13-jährigen Nadya beschreibt der V12_PG_Kern:V_PG 11.10.2012 10:47 Uhr Seite 25 Film ein unmenschliches Spiel von Angebot und Nachfrage, in dem die Opfer vom Individuum zum «Material» schrumpfen und nach und nach ihrer Würde verlustig gehen. Jugend und Schönheit als Exportware: eine andere Facette der Globalisierung. In Anwesenheit von Ashley Sabin und David Redmon. 5.11., 20.30 Uhr, Stadtkino 6.11., 13.30 Uhr, Urania stilisierte Darstellungsposen und nervöse Tics. Bonello hat ein ganzes Konzert aufgezeichnet, in dem Ingrid Caven wie ein wahnhaftes Traumbild out of the dark erscheint. Eine wie keine. In Anwesenheit von Bertrand Bonello und Ingrid Caven. 2.11., 21 Uhr, Urania 3.11., 23 Uhr, Stadtkino HARRY DEAN STANTON: PARTLY FICTION Japan 2012, 72 Min, OmeU, Video R: Pedro Gonzalez-Rubio Im Südosten Japans, in der Präfektur Nara, inmitten einer üppig bewaldeten Berglandschaft, durch die Nebelfelder ziehen und Bäche rauschen, liegt der Ort Kannogawa, aus dem allmählich das Leben weicht. Die Bevölkerung besteht aus wenigen älteren und alten Menschen, deren Kinder und Enkelkinder fortgezogen sind, weil es in der Region keine Arbeit gibt. Im Bewusstsein der eigenen Vergänglichkeit ebenso wie der ihrer Ansiedlung leben diese Verbliebenen einen gemächlichen Alltag, den Gonzalez-Rubio mit sicherem Gespür für die tiefe Melancholie dieses Noch-Daseins aufzeichnet. CH/USA 2012, 77 Min, OmdU, DCP R: Sophie Huber Harry Dean Stanton ist eine der bedeutenden Randfiguren des amerikanischen Kinos, ein Unbekannter, den jeder erkennt, ein Vergessener, den jeder erinnert. Eine geradezu unmögliche Figur jener Fabrik von Illusionen und Ideologien, die den Namen «Hollywood» trägt. Aus Filmfragmenten, den Erinnerungen von Kollegen und Regisseuren, Aufnahmen des musizierenden Fotokünstlers, Beschwörungen und Verweigerungen hat Sophie Huber ein zärtliches Porträt gezeichnet, ein kleines Monument errichtet und vor allem die Gegenwart eines großartigen Künstlers und Menschen für uns erschlossen. Mit HOLLYWOOD MOVIE 4.11., 18.30 Uhr, Urania 5.11., 13.30 Uhr, Künstlerhaus INGRID CAVEN. MUSIQUE ET VOIX F 2012, 98 Min, OF, Video R: Bertrand Bonello Diva, Soubrette, Königin der Nacht: Ingrid Caven, bekannt geworden in der Entourage von Rainer Werner Fassbinder, später berühmt als Sängerin in Frankreich, besetzt eine einzigartige Position in der zeitgenössischen Musiklandschaft: Chansonette in der Traditionslinie von Marlene Dietrich, Edith Piaf und Lotte Lenya. Protagonistin eines großen Klangtheaters, in dem eine Welt der Vergangenheit ersteht, gebrochen durch INORI Mit THE CREATION AS WE SAW IT 29.10., 11 Uhr, Künstlerhaus 7.11., 15.30 Uhr, Stadtkino INTO THE ABYSS USA 2011, 103 Min, OF, DCP R: Werner Herzog Tätern, Überlebenden, Zeugen, Vertretern von Polizei, Justiz und Gefängnis; und erarbeitet sich und uns die Erkenntnis der Hilflosigkeit des Versuchs, mittels der Todesstrafe dem Abgrund den Schrecken zu exorzieren. In Anwesenheit von Werner Herzog. 26.10., 17 Uhr, Gartenbaukino JAI BHIM COMRADE Indien 2011, 182 Min, OmeU, Video R: Anand Patwardhan Der rund dreistündige JAI BHIM COMRADE – eine der umfassendsten und spannendsten Arbeiten zur Kastengesellschaft in Indien – gehört zu den zentralen Dokumentationen der diesjährigen Viennale. In seinem über 14 Jahre hinweg entstandenen Werk zeigt der aus Mumbai stammende Patwardhan die leidvollen Erfahrungen und das Schicksal von Vertretern der Kaste der «Unberührbaren», jener tiefsten und zutiefst erniedrigten Schicht der indischen Gesellschaft. Doch ebenso erklärt der Filmemacher die ökonomischen und politischen Zusammenhänge und gibt ein Bild der reichen Volkskultur und Überlieferung jener Ärmsten der Armen. Ein faszinierender, ein wichtiger Film! In Anwesenheit von Anand Patwardhan. 28.10., 14 Uhr, Stadtkino 29.10., 20.30 Uhr, Stadtkino JEFF Welchen Abgrund meint Herzog? Den Gleichmacher Tod, der, als Strafe angewandt, Täter und Opfer vereint in der alttestamentarischen Hoffnung auf Sühne und Versöhnung? Oder das Schwarze Loch inmitten unseres Lebens, den Abgrund, den das Verbrechen aufreißt: die Frage nach dem Warum? Der Kinofilm INTO THE ABYSS ging der TV-Dokuserie DEATH ROW (siehe S. 23) voraus und schildert den Fall des Michael Perry – zum Tode verurteilt wegen dreifachen Mordes, begangen, um eines Red Camaro habhaft zu werden. Herzog spricht mit USA 2012, 76 Min, OF, Video R: Chris James Thompson 1991 wurde Jeffrey Dahmer in Milwaukee zu 957 Jahren Gefängnis verurteilt: Er hatte 17 junge Männer ermordet, ihre Körper zerstückelt und Teile der Leichen verzehrt. Thompson rekonstruiert den spektakulären Fall als entsensationalisiertes DokuDrama: Spielfilmsequenzen zeigen den Serienmörder in seinem banalen Alltag. Seine suggestive Qualität gewinnt der Film jedoch durch Tiefeninterviews mit dem Rechtsmediziner, dem ermittelnden Polizisten und einer Nachbarin: Ihre zum Teil 25 V12_PG_Kern:V_PG 11.10.2012 10:47 Uhr Seite 26 Dokumentarfilme lakonischen, zum Teil emotional gefärbten Berichte aus dem Herzen der Finsternis geben dem Unfassbaren eine Form und dem Grauen eine Gestalt. 30.10., 11 Uhr, Künstlerhaus 1.11., 23.30 Uhr, Urania JOURNAL DE FRANCE F 2012, 100 Min, OmeU, DCP R: Claudine Nougaret, Raymond Depardon Land, nennt es der Kommentator. Ein Film als politisch-historiografische Bilderreise und Montage von Utopien, Konflikten und Widersprüchen. Mit NOTES FOR A POLISH JEW 5.11., 15.30 Uhr, Stadtkino LEVIATHAN Dokumentarfilmer Depardon ist unterwegs in Frankreich und macht Fotos mit der Plattenkamera. Seine langjährige Mitarbeiterin Nougaret wühlt sich derweil durchs Archiv, fördert Überbleibsel von Reportagen und Outtakes aus Filmen zutage, rekapituliert die gemeinsame Laufbahn. JOURNAL DE FRANCE ist die Parallelführung dieser beiden gleichermaßen faszinierenden Unterfangen. Ein dichtes Gewebe aus gegenwärtigen Gegebenheiten der Provinz und historischen Zeugnissen der Weltpolitik. Zusammengehalten durch den wachen, teilnehmenden Blick, den da einer auf Söldner in Afrika, Rebellen in Lateinamerika, kleine Dorfgeschäfte, alte Männer auf einer Bank und immer wieder auf die Frauen wirft. In Anwesenheit von Claudine Nougaret. 29.10., 21 Uhr, Urania 30.10., 11 Uhr, Urania LACAN PALESTINE Kanada 2012, 70 Min, OF, Video R: Mike Hoolboom Der kanadische Experimentalfilmer Mike Hoolboom hat mit LACAN PALESTINE ein Filmessay besonderer Art erstellt. Eine Art film fleuve aus Found-footage-Material, Bildern aus diversesten Zusammenhängen wie TV-Nachrichten, alten Fernsehserien, Dokumentar- und Spielfilmfragmenten. All diese Aufnahmen kreisen um die Geschichte des Landes Palästina, um die Realitäten und Projektionen ebenso wie um den alltäglichen Überlebenskampf und die historischen Hoffnungen und Enttäuschungen. Ein Land ohne 26 USA/GB/F 2012, 87 Min, OF, DCP R: Véréna Paravel, Lucien Castaing-Taylor LEVIATHAN entzieht sich jeder Beschreibung und Kategorisierung, ist ein Stück radikales kinematografisches Erleben, ein wilder Kosmos von Bildern und Tönen, aufgezeichnet auf einem Fischerboot auf offenem Meer vor der Ostküste der USA. Ohne jeden Kommentar vertraut der Film auf die optische und akustische Erzählung seiner Elemente: der menschlichen Arbeit, der Gewalt des Meeres, der Ausgesetztheit und Rauheit der Nacht. «Ein filmisches AC/DC-Konzert» meinte die Kritik, eine «biblische Geschichte» und ein «gothic tale of fish and man». Und man wäre nicht wirklich erstaunt, würde sich plötzlich Kapitän Ahab über das Deck bewegen. Ausschau haltend nach dem weißen Wal. In Anwesenheit von Véréna Paravel und Lucien Castaing-Taylor. 29.10., 23 Uhr, Gartenbaukino 31.10., 21 Uhr, Urania MARINA ABRAMOVIĆ: THE ARTIST IS PRESENT USA 2011, 105 Min, OmdU, DCP R: Matthew Akers Der Titel des Films sowie der Retrospektive ihrer Performances 2010 im New Yorker MoMA ist die programmatische «Formel» der Kunst Marina Abramovićs. Akers beobachtet Entstehung und Betrieb der Ausstellung – und Abramović selbst: Die Vorbereitung einer neuen Performance, die physische und psychische Anstrengung: Abramović saß 2,5 Monate, 6 Tage die Woche, etwa 7 Stunden lang in einem Raum, die Besucher_innen waren eingeladen, ihr einzeln, von Angesicht zu Angesicht, einige Minuten auf einem Sessel gegenüber zu sitzen. Stumm. Regungslos. Bewegende Szenen – im Inneren der Sitzenden, auf der Leinwand. Die Begegnung mit der Künstlerin wird zur Sucht. In Anwesenheit von Marina Abramović und Matthew Akers. 26.10., 14 Uhr, Gartenbaukino MEINE KEINE FAMILIE (With(Out) Family) A 2012, 93 Min, OmeU, Video R: Paul-Julien Robert In den 1970er Jahren existierte im Burgenland eine der größten und einflussreichsten Kommunen Europas. Die von Otto Mühl gegründete Gemeinschaft am Friedrichshof war Gegenstand von Bewunderung, von bedingungsloser Gefolgschaft, aber auch von Skandalen. Heute ist diese von vielen Ungereimtheiten begleitete Geschichte nahezu vergessen, doch es gibt Menschen, in denen sie fortlebt und die von ihr wesentlich geprägt wurden. Einer davon ist der in der Kommune geborene und aufgewachsene Regisseur der vorliegenden Recherche. Was er zu Tage fördert und zur Sprache bringt, ist das bis heute spannendste, tiefgehendste, ehrlichste Dokument über die Gemeinschaft. In Anwesenheit von Paul-Julien Robert und ProtagonistInnen. 4.11., 18 Uhr, Gartenbaukino V12_PG_Kern:V_PG 11.10.2012 METHOD TO THE MADNESS OF JERRY LEWIS USA 2011, 116 Min, OF R: Gregg Barson Jerry Lewis kann Sachen, die kann eigentlich nur eine Cartoon-Figur von Chuck Jones: die Gesetzmäßigkeiten der Physik in Trümmer legen, die Beschränkungen des Körpers überwinden, aus Chaos und Anarchie eine Welt schaffen, neu, gefährlich und verheißungsvoll, in der das Gelächter herrscht. In Barsons Porträt geben Kollegen ihrer Verehrung Ausdruck, erzählt der Meister von seiner Arbeit, machen Ausschnitte aus alten Filmen und neuen Bühnenauftritten Lust auf die transgressive Komik, die Lewis – vor allem in der Zusammenarbeit mit Dean Martin – wie kein Zweiter beherrscht. Die Geheimnisse dieser hohen Kunst werden freilich nicht verraten, zum Trost wird umso mehr geblödelt. 28.10., 23.30 Uhr, Künstlerhaus 6.11., 18.30 Uhr, Künstlerhaus NYUKURIA NEISYON (Nuclear Nation) Japan 2012, 96 Min, OmeU, Video R: Funahashi Atsushi 10:47 Uhr Seite 27 OH YEAH, SHE PERFORMS! A 2012, 98 Min, OmeU, Video R: Mirjam Unger Gustav, Clara Luzia, Teresa Rotschopf, Luise Pop: vier österreichische Modelle einer weiblichen Sensibilität im Pop zwischen Indie, SongwriterElektronik und Breitwand-Elektro. Unger zeichnet ein Panoramabild der neuen weiblichen Selbstermächtigung und mischt Situationen zwischen Proberaum und Bühne, zwischen privater Wurzelsuche und Aufnahmestudio mit kurzen Interviews. Ein raues Dokument, das mit dichten Montagen, Jumpcuts und schnellen Szenenwechseln eine visuelle Sprache für eine Szene findet, die immer auch Widersprüche in einem männlich besetzten Raum verhandeln muss. Ausgeliefert, jede Nacht! In Anwesenheit von Mirjam Unger und den Musikerinnen. 3.11., 18 Uhr, Künstlerhaus ONE WAY BOOGIE WOOGIE 27 YEARS LATER USA 2005, 60 Min, OF R: James Benning 2005 kehrte Benning an exakt jene Schauplätze in Milwaukee zurück, an denen er 1977 seinen ersten abendfüllenden Film gedreht hatte. Nach Möglichkeit nimmt die Kamera den gleichen Standpunkt ein wie in ONE WAY BOOGIE WOOGIE, zum Teil treten auch dieselben Protagonisten in Aktion, die ihre Tätigkeiten von einst in leichten Variationen wiederholen. Viele Orte und Gebäude aber existieren nicht mehr, und die satte Farbigkeit des ersten Films ist nun einer differenzierteren Farbgebung gewichen. Mit der ihm eigenen Genauigkeit gelingt Benning eine ebenso präzise wie heitere Studie der Vergänglichkeit, die – insbesondere im Zusammenspiel mit der Tonspur – immer wieder auf kleine Pointen hin inszeniert ist. In Anwesenheit von James Benning. 31.10., 16 Uhr, Metro ONE WAY BOOGIE WOOGIE 2012 USA 2012, 90 Min, kein Dialog, Video R: James Benning ONE WAY BOOGIE WOOGIE März 2011: Erdbeben, Tsunami, GAU von Fukushima. Die Einwohner der drei Kilometer vom AKW gelegenen Kleinstadt Futanaba verlieren alles. Sie werden evakuiert, in einer Turnhalle in Tokyo untergebracht, hingehalten, irregeführt, ignoriert. Ein Gemeinwesen zerfällt, Existenzen bröckeln. Beispielhaft dokumentiert Funahashi Japans Umgang mit den Folgen der Katastrophe, er zeigt das skandalöse Versagen der politischen Kaste, die Stigmatisierung der Opfer, deren Versuche, sich zu wehren. So wird mit der Zeit nicht nur die Größe des erlittenen, materiellen wie ideellen Verlustes erahnbar, sondern auch die Dimension der Weigerung, sich diesem verantwortlich zu stellen. 29.10., 18.30 Uhr, Urania 1.11., 13 Uhr, Stadtkino USA 1977, 60 Min, OF R: James Benning Als Benning Ende der 1970er Jahre seine Heimatstadt Milwaukee, Wisconsin, filmt, eine bereits damals im Abwind befindliche Industriemetropole, unterwirft er sie einem gewohnt strengen experimentellen Raster: sechzig feste Einstellungen von je sechzig Sekunden Dauer. Innerhalb des starren Rahmens jedoch, in der Spannung etwa zwischen Bild und Tonspur, inszeniert er präzise kleine Geschichten, groteske Abläufe, manche von slapstickhafter Komik, und erlaubt sich einen im Lichte seiner späteren Filme ungewöhnlichen, minimalistischerzählerischen Duktus. In Anwesenheit von James Benning. 31.10., 13.30 Uhr, Metro 2012 sieht Benning erneut nach dem Rechten in Milwaukee und wiederum sind einige der Schauplätze der beiden vorangegangenen Filme dem Zahn der Zeit zum Opfer gefallen. Dafür richtet sich auf die übriggebliebenen ein längerer Blick: fünf Minuten haben die Betrachter diesmal Zeit, beispielsweise zu lauschen, wie der Regen sich verstärkt, während traurig und grau ein verlassener Betonbau im Dämmer steht. Manchmal bewegen sich Autos, Güterzüge, Menschen duch einzelne Einstellungen. Manchmal der Wind und die Wolken. Omnipräsent die Melancholie. Erzählt wird im dritten ONE WAY BOOGIE WOOGIE nicht mehr; jedenfalls nicht mehr als von der Unaufhaltsamkeit des Vergehens. In Anwesenheit von James Benning. 31.10., 18.30 Uhr, Metro 27 V12_PG_Kern:V_PG 11.10.2012 10:47 Uhr Seite 28 Dokumentarfilme ONLY THE YOUNG USA 2011, 68 Min, OF, Video R: Elizabeth Mims, Jason Tippet Die beiden Freunde Kevin und Gerrison und ihre gemeinsame Liebe Skye verbringen die letzten Tage ihrer Kindheit und eines langen, ewigen Sommers in ihrem Heimatort, einem kleinen Kaff in der kalifornischen Wüste. Auf Skateboards unterwegs, bei Einbrüchen in leerstehende Häuser und der Erfindung immer neuer Skateparks und Abenteuerplätze geht nahezu unmerklich ein Teil ihres Lebens zu Ende und verloren. Diese uralte Geschichte lebt hier noch einmal so grandios und verzweifelt auf, dass einem manchmal der Atem stockt und eine längst vergessene Erinnerung einholt. Mit ERDBEERLAND 28.10., 21 Uhr, Metro 1.11., 23.30 Uhr, Künstlerhaus PARABETON – PIER LUIGI NERVI UND RÖMISCHER BETON (Parabeton – Pier Luigi Nervi and Roman Concrete) D 2012, 100 Min, kein Dialog/eZT, DCP R: Heinz Emigholz Der italienische Bauingenieur Pier Luigi Nervi (1891–1979) schuf – vor allem in seiner Heimat – eine Reihe von bedeutenden Betonbauten, denen oftmals Kuppeln und kühn geschwungene Treppenkonstruktionen zu eigen sind, die das Material an seine Grenzen zu führen scheinen. Wie in seinen Architekturfilmen üblich, erfasst Emigholz die Gebäude in starren Einstellungen, montiert jedoch so beweglich, dass dem Betrachter der Weg durch das Gebäude quasi «vorgeschlagen» wird. Ergänzt werden die unkommentierten und mit einem aus Originaltönen komponierten Soundtrack versehenen Bilder von Nervis Werken um Aufnahmen von Betonbauten der römischen Antike. In Anwesenheit von Heinz Emigholz. 26.10., 16 Uhr, Künstlerhaus 28 PERRET IN FRANKREICH UND ALGERIEN (Perret in France and Algeria) D 2012, 110 Min, kein Dialog/eZT, DCP R: Heinz Emigholz Im zweiten Teil seiner insgesamt dreiteiligen Reihe «Aufbruch der Moderne», mit der Emigholz seine Filme zu den Themen Architektur und Baugestaltung beenden wird, zeigt der Filmemacher insgesamt 30 Werke der französischen Architekten und Bauingenieure Auguste und Gustave Perret. Auguste Perret (1874–1954) gehört mit seinen kühnen Eisenbetonexperimenten zu den Wegbereitern der Moderne und schuf seine Bauten sowohl in Frankreich als auch im kolonialen Algerien. Emig- holz erfasst die Gebäude in ihrem Ist-Zustand, bettet die Autoren-Architektur damit in kulturelle und soziale Zusammenhänge und macht die Veränderung der Gebäude im Lauf der Zeit sichtbar. In Anwesenheit von Heinz Emigholz. 26.10., 18.30 Uhr, Künstlerhaus RE:GENERATION MUSIC PROJECT USA 2012, 82 Min, OF, Video R: Amir Bar-Lev The soul, the flavor, the feeling: Die Doku begleitet fünf DJs aus der aktuellen Dance- und Hip Hop-Szene – DJ Premier, Skrillex, Pretty Lights, Mark Ronson und The Crystal Method – bei einem Experiment: Sie schließen sich mit lebenden Legenden aus Genres wie Country, Jazz, Rock und Klassik zusammen, die weit entfernt von ihrem Tagesgeschäft sind, und versuchen gemeinsam ihre Ideen und Leidenschaften zu Musik-Hybriden zusammenzuschmelzen. Geschichte und Gegenwart als lustvolle Klangkollision mit Cameo-Auftritten von Soul-Legende Martha Reeves und Country Preacher Ralph Stanley. DJ Premier: «Its not just about machines, this is a human performance!» 27.10., 23.30 Uhr, Künstlerhaus 5.11., 13 Uhr, Gartenbaukino RENMIN GONGYUAN (People’s Park) USA/China 2012, 78 Min, kein Dialog, Video R: Libbie D. Cohn, J. P. Sniadecki Ein Besuch in einem der großen Parks in chinesischen Großstädten ist ein Erlebnis für sich: Dort ist der Park tatsächlich noch ein Ort der Erholung, der Erbauung und der Zusammenkunft, an dem musiziert, gesungen, getanzt, Sport betrieben, Tee getrunken oder ganz einfach «nichts getan» wird. Nicht anders ist es im Volkspark in Chengdu, der Hauptstadt der Provinz Sichuan. Gedreht in einer einzigen sehr langen Kamerabewegung, fängt der Film von Libbie D. Cohn und J. P. Sniadecki das bunte, friedliche Treiben ein und bekommt mit der Zeit eine nahezu meditative Qualität. 1.11., 18 Uhr, Stadtkino 7.11., 16 Uhr, Urania ROOM 237 USA 2012, 102 Min, OF, DCP R: Rodney Ascher Seit über drei Jahrzehnten ruft Stanley Kubricks meisterlicher Horrorschocker THE SHINING (siehe S. 16), nach einem Bestseller von Stephen King, seriöse Kritiker wie durchgeknallte Nerds auf den Plan, die den geheimen Botschaften und verborgenen Hinweisen des Films auf den Grund zu gehen versuchen. In ROOM 237 kommt das ganze Spektrum der Kubrick-Exegeten zu Wort und darf von einfachen Erläuterungen einiger Bildmotive bis hin zu schwer paranoiden Erklärungen vermeintlicher Subtexte analysieren und schwadronieren, was das Zeug hält. Das ist nicht nur überaus unterhaltsam, das ist vor allem auch außerordentlich erhellend und zudem gekonnt dargeboten. In Anwesenheit von Rodney Ascher. 26.10., 23.30 Uhr, Gartenbaukino (mit SHINING) 27.10., 13.30 Uhr, Künstlerhaus V12_PG_Kern:V_PG 11.10.2012 10:47 Uhr Seite 29 SAN ZIMEI (Three Sisters) TECTONICS 27.10., 13.30 Uhr, Urania 31.10., 15.30 Uhr, Künstlerhaus Mit CENTURY 31.10., 21.30 Uhr, Künstlerhaus 2.11., 11 Uhr, Künstlerhaus F/Hongkong 2012, 153 Min, OmeU, DCP R: Wang Bing Wang Bing, eine der zentralen Figuren eines kritischen dokumentarischen Kinos in China, zeigt den Alltag dreier auf sich gestellter Mädchen in einer der ärmlichsten Provinzen von Yunan. Ohne die Mutter, die die Familie verlassen hat, und meistens ohne den im Nachbardorf arbeitenden Vater, versuchen die Mädchen im Alter zwischen vier und zehn Jahren ihr bescheidenes Dasein zu organisieren. Die Schweine hütend, sich von Kartoffeln ernährend, ohne Schule und Fürsorge sind sie zu kleinen, manchmal traurigen Erwachsenen geworden. SAN ZIMEI ist ein wichtiges und auch belastendes Beweisstück für ein anderes China jenseits von Wirtschaftswachstum und Aufbruch. SEARCHING FOR SUGAR MAN S/GB 2011, 86 Min, OmdU, DCP R: Malik Bendjelloul In den frühen 1970er Jahren nahm der Songwriter Sixto Rodriguez aus Detroit zwei Alben mit barock verschnörkeltem Psychedelic-Pop und hermetischen Texten auf. Ein neuer Dylan schien geboren, doch die Platten floppten und Rodriguez verschwand in der Obskurität. Auf verschlungenen Pfaden fand die Musik den Weg nach Südafrika, wo der Sänger unversehens zum Superstar wurde – ohne etwas davon zu wissen. Das Rockumentary zeigt unter Einsatz von Interviews, inszenierten Szenen und Animationen die Suche nach einem mythenumwobenen heiligen Gral der Rockgeschichte: Rodriguez, the greatest 70s rock icon who never was. Mit ENJOY YOURSELF 30.10., 23.30 Uhr, Urania 2.11., 15.30 Uhr, Gartenbaukino USA/Mexiko 2012, 60 Min, kein Dialog, Video R: Peter Bo Rappmund Der Künstler, Fotograf und Filmemacher Peter Bo Rappmund hat mit TECTONICS eine ganz eigene, höchst artifizielle Form eines Landschaftsfilms erfunden. Eine persönliche und zugleich politische Studie über das Phänomen Grenze, jene Grenze, die die Vereinigten Staaten von Mexiko trennt. Eine viel beschriebene und analysierte Linie der Hoffnung und Gewalt wird hier zu einer zittrigen, geheimnisvollen, dann wieder überkonkreten Konstruktion. Absperrungen, das Wasser des Rio Grande, unsichtbare Übergänge, leere Ebenen und volle Highways. Die Grenze als eine experimentelle Seh- und Hörerfahrung, ein Kinoerlebnis, das man so nicht geahnt und gekannt hat. In Anwesenheit von Peter Bo Rappmund. TONY CURTIS: DRIVEN TO STARDOM F 2012, 96 Min, eOF, Video R: Ian Ayres Über seine Frisur, den mit Pomade hochgetürmten «Curtis Cut», sagt einer der interviewten Zeitzeugen: «Man hatte den Eindruck, dass sein Haar eigene Abenteuer erleben würde.» DRIVEN TO STARDOM erzählt unter Einbindung zahlreicher Weggefährten und Co-Aktricen die rags to riches-Story von Tony Curtis, einem jüdischen Jungen aus der Bronx, der als Sexy boy zum Filmstar und Rollenmodell wurde, aber sein Leben lang um die Anerkennung als seriöser Schauspieler kämpfte und immer wieder von Drogen, Depressionen und Ehedramen aus der Bahn geworfen wurde. Eine klassische Hollywood-Saga aus einer Zeit, in der die Devise «Manche mögen’s heiß» galt. In Anwesenheit von Christine Kaufmann (Schauspielerin). 31.10., 23.30 Uhr, Urania 1.11., 21 Uhr, Urania TROPICÁLIA Brasilien 2012, 87 Min, OmeU, Video R: Marcelo Machado Tropicália war eine psychedelische Kulturrevolution im Brasilien der 1960er Jahre. Im Schatten einer Militärdiktatur fanden Popmusiker wie Gilberto Gil und Caetano Veloso, Filmemacher und Künstler zusammen, um sich kannibalisch an der Kunst der reichen nördlichen Länder zu nähren und daraus eine eigene ästhetische Sprache zu destillieren. Regisseur Machado verzichtet weitgehend auf in Ehren ergraute Talking Heads und vertraut stattdessen dem Period feeling von alten Fotos, Wochenschauberichten und Ausschnitten aus Fernsehshows. Doch wie er diese Bilder montiert, koloriert und zu visuellen Katarakten verdichtet – das muss man gesehen haben. 1.11., 23 Uhr, Stadtkino 6.11., 18 Uhr, Stadtkino TURNING DK/USA 2011, 82 Min, OF, Video R: Charles Atlas Ausgangspunkt von TURNING war das gleichnamige Konzertspektakel von Antony and the Johnsons, bei dem sich 13 faszinierende, außergewöhnliche Frauen aus New York mit queer-Hintergrund auf einer Drehbühne spektakulär in Szene setzten, ergänzt durch Bilder und Projektionen von Charles Atlas. Im Film wird daraus ein dichtes Bedeutungsnetz aus Bilderüberblendungen, erhellenden biografischen Konfessionen und Antony Hegartys vibrierendem Falsettgesang. Ein transsexuelles Manifest sei dieser Film, heißt es einmal. Man könnte auch sagen: ein Karneval, ein Maskenspiel, ein spielerisches Plädoyer für das Andere. Was zählt, das liegt dazwischen! In Anwesenheit von Charles Atlas. 3.11., 13.30 Uhr, Urania 4.11., 23.30 Uhr, Gartenbaukino 29 V12_PG_Kern:V_PG 11.10.2012 10:47 Uhr Seite 30 Dokumentarfilme UN MITO ANTROPOLOGICO TELEVISIVO (An Anthropological Television Myth) I 2011, 60 Min, OmeU, Video R: Maria Helene Bertino, Dario Castelli, Alessandro Gagliardo tische Intervention bis zum Straßenkampf dokumentiert George als Zeuge, als Komplize, als Staunender immer zugleich den einen konkreten Moment und eine historische Konstellation. In Anwesenheit von Sylvain George. 27.10., 23 Uhr, Stadtkino 28.10., 18.30 Uhr, Künstlerhaus THE WAR nauso hart zu wie seinerzeit im Mai 1968. 26.10., 23.30 Uhr, Urania 29.10., 15.30 Uhr, Stadtkino ZIMA, UHODI! (Winter, Go Away!) Russland 2012, 79 Min, OmeU, Video R: Elena Khoreva, Denis Klebleev, Dmitry Kusabov, Askold Kurov, Nadezhda Leonteva, Anna Moiseenko, Madina Mustafina, Sofia Rodkevich, Anton Seregin, Alexey Zhiryakov USA 2012, 55 Min, OmeU, Video R: James Benning Hinter dem seltsamen Titel versteckt sich die beeindruckende und lebendige Montage von Fernsehaufnahmen eines sizilianischen Privatsenders der frühen 1990er Jahre: Fernsehbilder als die wahrhaftigen Dokumente einer Zeit der Gewalt, des Widerstandes, der legendären Mafiamorde in Catania und Umgebung. In der Kleidung, den Gesichtern, den Gesten und Aussagen der Menschen liegt eine Zeit aufgehoben, die uns heute zutiefst berührt und erstaunt. 20 Jahre sind vergangen und eine andere Welt ist inzwischen entstanden, aber aus den TV-Archiven steigt alltäglich und selbstverständlich eine Geschichte herauf, die nicht ruhen und verschwinden will. In Anwesenheit der FilmemacherInnen. Mit 25572 BÜTTEL 30.10., 18.30 Uhr, Metro 31.10., 11 Uhr, Urania VERS MADRID (THE BURNING BRIGHT!) F/E 2012, 60 Min, OmeU, Video R: Sylvain George Benning versammelt Material, das einige der spektakulärsten Aktionen der russischen Kunst-/AktivismusGruppe Voina («Krieg») zeigt – nicht zuletzt den Anti-Putin-Auftritt der aus Voina hervorgegangenen Frauengruppe Pussy Riot in der ErlöserKirche in Moskau, die zur Verurteilung von zwei der Protagonistinnen und zu weltweiter Solidarität führte. «Art Is Resistance» steht unmissverständlich auf dem T-Shirt von Natalia Sokol, einer der Voina-Mitbegründerinnen, und die Gruppe, die vor allem in Petersburg und Moskau agiert, lebt dieses Motto seit sechs Jahren. In Anwesenheit von James Benning. Mit SHOOT DON’T SHOOT 1.11., 18.30 Uhr, Urania 2.11., 23 Uhr, Stadtkino ZAVTRA (Tomorrow) Als Dokumentarist hat George einen unverwechselbaren, zugleich poetischen wie rohen Stil entwickelt. Sein Kino ist von feiner Nuancierung und musikalischer Struktur, zugleich von interventionistischer Direktheit und zutiefst agitatorisch. VERS MADRID widmet sich der Bewegung der «Indignados» («Empörten»), die in Spanien gegen die ökonomische Diktatur und ihre politischen Handlanger Widerstand leisten. Vom öffentlichen Streitgespräch über kabarettis30 Russland 2012, 90 Min, OmeU, Video R: Andrey Gryazev Durch das skandalöse «Pussy Riot»Urteil wurde politische Kunst wieder zum weltweit diskutierten Thema. Die notorische Frauenpunkband war in ihrer Frühzeit Teil des subversiven Street-Art-Kollektivs Voijna. Gryazev begleitet die Gruppe mit der Handkamera bei ihren meist nächtlichen pranks. Er dokumentiert im VeritéStil, wie sie ein Polizeiauto umkippen und die gefilmte Aktion dann ins Internet stellen. Scherz, Satire und dadaistische Zerstörungslust geben Putins Willkürherrschaft der Lächerlichkeit preis. Die Polizeiknüppel schlagen allerdings in Russland ge- Im Vorfeld der russischen Präsidentschaftswahl im Winter 2011 entstand im Land eine bis dahin ungekannte Protestbewegung und ein vielstimmiger Widerstand gegen den undemokratischen und autoritären Kurs Vladimir Putins. Wie zahlreich, wie unterschiedlich, wie radikal, wie erfinderisch und engagiert diese Bewegung war und ist und zugleich wie zersplittert und voller Hoffnung – das zeigt ZIMA, UHODI!. Als Kollektivarbeit von zehn Studenten einer Moskauer Dokumentarfilmschule entstanden, ist das, was diese Gruppe schließlich aus tausend Stunden Material montiert hat, spannender und aufschlussreicher als tausend Fernsehfeatures und Analysen. 26.10., 15.30 Uhr, Stadtkino 6.11., 11 Uhr, Künstlerhaus V12_PG_Kern:V_PG 11.10.2012 10:47 Uhr Seite 31 V12_PG_Kern:V_PG 11.10.2012 10:47 Uhr Seite 32 Kurzfilme 25572 BÜTTEL D 2012, 5 Min, kein Dialog, Video R: Rainer Komers Komers Filme zeigen oft Orte, die von Verfall und Zerstörung betroffen sind. Nach Arbeiten in Alaska, Montana, Ecuador, Indien, Japan und im Jemen sind es nun die Reste eines Dorfes in Schleswig Holstein – umringt von Kernkraftwerken, Ruinen, Stromkabeln und Windrädern (die den Film mit einer sonderbaren Soundtapete überziehen). Hat die Energiewende hier bereits stattgefunden? Zu Beginn fliegt ein Vogelschwarm an einem Fluss vorbei, am Ende tuckert ein riesiger Frachter durchs Bild. Mit UN MITO ANTROPOLOGICO TELEVISIVO 30.10., 18.30 Uhr, Metro 31.10., 11 Uhr, Urania A STORY FOR THE MODLINS E 2012, 26 Min, eOF, Video R: Sergio Oksman CENTURY USA 2012, 7 Min, kein Dialog R: Kevin Jerome Everson THE CREATION AS WE SAW IT GB/F 2012, 14 Min, OF, Video R: Ben Rivers Ein Auto wird platt gemacht. Immer wieder hebt die Abrisszange einen Betonrundblock auf und lässt ihn auf das Blech niedersausen. Wohin der rotbraune Buick Century seine Fahrer einst gebracht hat, welche Strecken er wohl zurückgelegt hat im «land of the free»? Der Universalkünstler und Filmemacher Everson beobachtet den Prozess der Havarie und bebildert zugleich die Demontage einer ganzen Industrie – die sinnbildlich war für das Versprechen der unbegrenzten Möglichkeiten und Mobilität für alle: für den amerikanischen Mythos des zwanzigsten Jahrhunderts. Mit TECTONICS 31.10., 21.30 Uhr, Künstlerhaus 2.11., 11 Uhr, Künstlerhaus CHEZ NICOLE Oksman hat seine Geschichte auf der Straße gefunden: neben einer Mülltonne in Madrid, in einer Schachtel voll mit Andenken aus dem Leben der Familie Modlin. Zu unheimlich, zu traurig und zu gut ist diese Geschichte, um erfunden zu sein. ROSEMARY’S BABY in fast forward gibt dabei prophetisch den Ton an: von der Schauspielkarriere, die nicht werden will, von religiösem Eifer und seltsamen Dingen, die hinter Vorhängen geschehen. Bis zuletzt geheimnisvoll bleibt diese aus Puzzlesteinen meisterlich montierte Skizze. Und die Pointe: Der Zufall und ein fremder Künstler schenken den Modlins die Anerkennung, nach der sie sich zeitlebens sehnten. Mit THEIR HOUSES 26.10., 20.30 Uhr, Stadtkino 27.10., 23.30 Uhr, Urania 32 genen Wohnung, während Nicole auf der Tonspur offen aus ihrem Leben erzählt. In Anwesenheit von Viki Kühn. Mit EAST HASTINGS PHARMACY 28.10., 20.30 Uhr, Stadtkino 29.10., 23.30 Uhr, Urania A 2012, 22 Min, OF, Video R: Viki Kühn Wollten Sie immer schon mal wissen, warum Schweine auf allen vieren gehen und warum ein Vulkan dort zu liegen kommt, wo er dann eben liegt? Dann schauen Sie sich diese eigenwillige kleine Schöpfungsgeschichte an. Rivers, der sich gern mit Kulturen weit abseits der globalisierten Gesellschaft beschäftigt, besuchte den Inselstaat Vanuatu im Südpazifik und erfuhr von den Bewohnern drei oral legends von der Herkunft des Menschen, von Mann und Frau und vom Weg des Feuers. Von diesen ausgehend fertigte er diesen wunderschön antik fotografierten Film. Mit INORI 29.10., 11 Uhr, Künstlerhaus 7.11., 15.30 Uhr, Stadtkino ENJOY YOURSELF Die junge Künstlerin möchte mit ihren Filmen vor allem eines: berühren. Das gelang ihr mit FRIEDL, und es gelingt ihr auch mit diesem schön gestalteten Porträt der als Lionel geborenen Französin Nicole, Vater von vier Töchtern. Sie hat viel erlebt und noch mehr durchgemacht, nach dem Wechsel ihres Geschlechts mit fast 70 Jahren wurde sie Tänzerin, Kunsthandwerkerin und Fotomodell. Kühn kommt ihrer Protagonistin respektvoll nahe (etwa bei der Kleider-Anprobe oder vor dem Schminkspiegel) und zeigt sie beim Tänzeln in der ei- Argentinien 2012, 3 Min, kein Dialog, Video R: Gastón Solnicki Der junge argentinische Filmemacher Gastón Solnicki, der mit seinen beiden Langfilmen SÜDEN und PAPIROSEN bei der Viennale zu Gast war, hat nun seinerseits dem Festival ein besonderes Geschenk gemacht. Einen kurzen Film mit dem Titel ENJOY YOURSELF, den Solnicki der Viennale zum 50-jährigen Bestehen gewidmet hat. Und zum Jubiläum zeigt die kleine Arbeit ausgelassen tanzende Mädchen, aufgenommen bei der Feier seiner Bar Mitzwa vor etlichen Jahren. Ein wunderbarer Moment der Selbstvergessenheit und des Glücks, unterbrochen von V12_PG_Kern:V_PG 11.10.2012 10:47 Uhr Seite 33 QUOD ERAT DEMONSTRANDUM einem geheimnisvollen kleinen Naturschauspiel. Wir nehmen das Geschenk mit großer Freude an. Mit SEARCHING FOR SUGAR MAN 30.10., 23.30 Uhr, Urania 2.11., 15.30 Uhr, Gartenbaukino ERDBEERLAND (Maybes) A 2012, 32 Min, OmeU, Video R: Florian Pochlatko Vom Erwachsenwerden wird hier erzählt, vom alltäglichen Gruppendruck, von der emotional komplexen Kampfzone zwischen Spiel und Ernst. Improvisierte Dialoge und eine distanzlose Kamera verstärken den Eindruck der tonalen Treffsicherheit eines Teenagerfilms, der Adoleszenz als das zeigt, was sie in der Regel ist: eine einzige Qual. «ERDBEERLAND ist ein Film über das Gefühl des Fremdseins in der eigenen Existenz, über den Schrecken der Desillusionierung, die zwischen Kindheit und Volljährigkeit liegt. Der Geruch des teen spirit ist penetrant.» (Stefan Grissemann) In Anwesenheit von Florian Pochlatko. Mit ONLY THE YOUNG 28.10., 21 Uhr, Metro 1.11., 23.30 Uhr, Künstlerhaus FIREWORKS F/I 2011, 21 Min, OmeU, Video R: Giacomo Abbruzzese Taranto, der Herkunftsort des 29-jährigen, zwischen Italien und Frankreich pendelnden Filmemachers, ist eine Industriestadt in Süditalien und ein ökologisches Inferno. Dem kann nur mit Drastik begegnet werden: Ein Neujahrsfeuerwerk bildet den symbolischen Höhepunkt eines komplex politischen, widerständigen, zwischen Wunschtraum und Realität zu verortenden Filmessays, der letztlich in eine mehr cinematografische als pyrotechnische Zerstörung mündet. «In Taranto spielen manche Leute Revolution. Und wie alle Kinder meinen sie das Spiel ernst.» (Abbruzzese) In Anwesenheit von Giacomo Abbruzzese. Mit AUTOPORTRAIT 30.10., 18 Uhr, Stadtkino HOLLYWOOD MOVIE D 2012, 7 Min, eOF, Video R: Volker Schreiner «You can make any Hollywood movie interesting, if you cut the movie several times …» Diese Anleitung aus «film scenario», einem Text des Medienkunstpioniers Nam June Paik, nimmt Schreiner wörtlich, schneidet aus Dialogszenen dutzender Filme einzelne Wörter heraus und reiht sie kunstvoll aneinander, dergestalt dass sie oben erwähnten Text ergeben. So spricht nicht nur ein wild montiertes Schauspielerensemble von Michael Caine bis Sean Connery, von Bogie bis Burt, von Katharine Hepburn bis Anne Heche in bits and pieces von der Dekonstruktion der Kino-Erfahrung; so wird ein theoretischer Text zugleich augenzwinkernd angewandt und medial transformiert. Mit HARRY DEAN STANTON: PARTLY FICTION 4.11., 18.30 Uhr, Urania 5.11., 13.30 Uhr, Künstlerhaus LIKNELSEN OM SÅDDEN (The Parable of the Sower) S 2011, 6 Min, OmeU, Video R: Zoltan Nestler Der 2010 zu früh verstorbene Zoltan Nestler hatte sich eine Geschichte aus der Bibel vorgenommen. Sein Vater, der Dokumentarfilmemacher Peter Nestler, tritt darin als Bauer in Erscheinung und hat den Film montiert. In apotheotischen Acker- und Naturbildern, begleitet von Johann Sebastian Bachs Kantate »Erhalt uns, Herr, bei deinem Wort«, interpretiert Nestler das von einem Off-Erzähler (Ole Ohlsson) vorgetragene Gleichnis vom Sämann. «Auf guten Boden ist der Samen bei dem gesät, der das Wort hört und es auch versteht; er bringt dann Frucht, hundertfach oder sechzigfach oder dreißigfach.» Mit AGE IS 30.10., 16 Uhr, Urania 31.10., 13 Uhr, Stadtkino LE NAUFRAGÉ (Stranded) F 2009, 25 Min, OmeU, Video R: Guillaume Brac Ein junger Pariser fährt Beziehungsproblemen mit dem Rennrad davon. Nach einer Panne ist der Mann im blau-rosa Trikot in der Provinz gestrandet und lässt sich nach und nach mit einem freundlichen Ortsansässigen ein – der letztlich stärker in die Situation eingreifen wird als ihm lieb ist. Auf hübschen Umwegen und in annähernd dokumentarischem Stil erzählt Brac von zwei unfreiwillig komischen Typen, deren Liebesbedürftigkeit sich nicht mit ihrer jeweiligen Liebesfähigkeit deckt. Mit UN MONDE SANS FEMMES 31.10., 11 Uhr, Künstlerhaus 5.11., 18.30 Uhr, Künstlerhaus 33 V12_PG_Kern:V_PG 11.10.2012 10:47 Uhr Seite 34 Kurzfilme NOTES FOR A POLISH JEW USA 2012, 8 Min, stumm, Video R: Abraham Ravett Bereits in einigen Filmen hat Ravett sich mit seiner jüdischen Herkunft und mit seinen Eltern beschäftigt, die beide Auschwitz überlebt hatten. Hier macht er sich über Straßenszenen aus dem Lodz der 1980er Jahre her, zerschnipselt, spult, zeichnet und färbt drunter und drüber und bringt sogar die einzelnen Filmkader zum Laufen. Dazwischen, wie oft bei Ravett: Schwarz als Symbol für die Lücken eines Erinnerungsfilms. «If his father had lived beyond the age of seventy-four, the following may have been the cinematic response to the city where in 1944, he last saw his family.» Mit LACAN PALESTINE 5.11., 15.30 Uhr, Stadtkino NOTIZ SPEISEWAGEN A 2012, 12 Min, kein Dialog R: Manfred Schwaba SHOOT DON’T SHOOT USA 2012, 5 Min, OF, Video R: William E. Jones Ohne Zweifel stammt die Szene aus einem Trainingsfilm für Straßenpolizisten. Aus welcher Zeit, das lässt sich am Zustand des Materials, an der Mode und Architektur abschätzen. Ein Afroamerikaner, auf den die Beschreibung eines bewaffneten Verdächtigen zutrifft, nähert sich an einer belebten Ecke einer Kinokassa. Die Entscheidung des Cops im Kopf des Zuschauers: Schießen oder nicht schießen? Mit dieser hochpolitischen Miniatur untermauert Jones erneut seinen Status als Meister der Entdeckung und ironischen Adaption von Archivmaterial. Mit THE WAR 1.11., 18.30 Uhr, Urania 2.11., 23 Uhr, Stadtkino Kurzfilm über eine Nachbarschaft einen ganzen Kosmos. Äußerst selbstreflexiv, Kunst und Leben vermischend, kompiliert das amerikanische Regietalent Cam Archer (SHIT YEAR, 2010) Videobilder und Sounds aus seiner Umgebung, spielt sich ausgiebig mit dem Material und lässt Schauspielerin Jena Malone einen meta-referenziellen Off-Text dazu sprechen. Was das Ganze mit in Büschen hängenden Herren-Slips zu tun hat, sehen Sie am besten selbst. Mit A STORY FOR THE MODLINS 26.10., 20.30 Uhr, Stadtkino 27.10., 23.30 Uhr, Urania VIENNALE-TRAILER 2012: KINO F/A 2011, 1 Min, eOF R: Chris Marker SNOW TAPES Bilder aus einem slowenischen Speisewagen und dazu die Töne eines Geigen-Oboen-Quintetts vom Klangforum Wien ergeben eine scheinbar redundante, jedoch auf Nuancen achtende Komposition. Eine Hand auf einem leeren Schreibblock, der Stift liegt daneben, vor den Fenstern Sonnenblumen in blauen Vasen, draußen rast die Landschaft vorbei; die Notizen machen Kamera und Mikrofon. Und wieder, und anders, und wieder, und anders, und plötzlich ist man mittendrin im kakophonischen Sog des Sounds und will den Block vollschreiben. In Anwesenheit von Manfred Schwaba. Mit ABER DAS WORT HUND BELLT JA NICHT 29.10., 16 Uhr, Urania 30.10., 13 Uhr, Stadtkino Israel/Palästina 2011, 14 Min, OmeU, Video R: Mich’ael Zupraner Der Israel-Palästina-Konflikt, heruntergebrochen auf ein Kinderspiel im Homevideo-Format. Der Filmemacher lieh einem palästinensischen Vater seine Kamera, der zeichnete damit eine Schneeballschlacht in Hebron auf. Eine Sichtung des Videos im Kreis der Familie zieht Zupraner per Splitscreen-Verfahren ein, und so wendet der berührende Gewinnerfilm von Oberhausen die Seiten einer im Grunde harmlosen Auseinandersetzung, deren Gewaltpotenzial man an der blutigen Geschichte des Westjordanlands zu messen verführt ist. Kinder an die Macht: Sie werfen Schneebälle statt Steine. Mit 5 BROKEN CAMERAS 29.10., 18.30 Uhr, Künstlerhaus 2.11., 13.30 Uhr, Urania THEIR HOUSES USA 2011, 32 Min, OF, Video R: Cam Archer Die Faszinationskraft des Kinos kann darin liegen, in einer Szene eine ganze Welt zu verdichten. Oder, im Fall von THEIR HOUSES, in einem 34 Der kürzlich verstorbene französische Filmessayist Chris Marker steuert posthum den Viennale-Jubiläumstrailer bei: eine überraschend verspielte Miniaturlektion in Filmgeschichte. Von Georges Méliès angefangen habe das Kino gesucht nach dem «perfekten Zuschauer», aber gefunden ward dieser erst jüngst, wie diese schelmisch funkelnde Perle enthüllt. Ironie statt Vermächtnis steckt in der ultimativen Verbeugung des legendären, einflussreichen Gesamtkünstlers vor den Titanen des Kinos, und hinaus läuft alles auf einen verschmitzten Twist. Mit ARGO 25.10., 19.30 Uhr, Gartenbaukino 25.10., 23.30 Uhr, Gartenbaukino Der Trailer wird während des Festivals als Überraschung immer wieder gezeigt. V12_PG_Kern:V_PG 11.10.2012 KURZFILMPROGRAMM 1 (63 MIN) 10:47 Uhr Seite 35 RIVER RITES WALKER MANHÃ DE SANTO ANTÓNIO 1.11., 11 Uhr, Urania 6.11., 11 Uhr, Urania einer wandelnden Kunst-Installation im öffentlichen Raum. Entsprechend könnte man sich Meister Tsais herrlich fotografierten Film auch im Ausstellungskontext vorstellen. Museum in very slow progress sozusagen. RIVER RITES MANHÃ DE SANTO ANTÓNIO USA/Surinam 2011, 12 Min, kein Dialog, Video R: Ben Russell (Morning of Saint Anthony’s Day) P/F 2011, 24 Min, OmeU, Video R: João Pedro Rodrigues ge Filmemacher der Welt, dessen Karriere sich von der Stummfilmära bis zum digitalen Zeitalter spannt; sein Hauptwerk entstand ab einem Alter, in dem andere in Pension gehen. Ausschnitte aus O ESTRANHO CASO DE ANGÉLICA (2010) bebildern das respektvolle Porträt des 101-Jährigen, das Miñarro, Ko-Produzent von Oliveiras jüngsten beiden Langfilmen, gestaltet hat. MANHÃ DE SANTO ANTÓNIO (Morning of Saint Anthony’s Day) P/F 2011, 24 Min, OmeU, Video R: João Pedro Rodrigues (Siehe Kurzfilmprogramm 1, S. 35) OS VIVOS TAMBÉM CHORAM (The Living Also Cry) Der Voodoo, den man als herkömmlicher Beobachter mit schwarzen indigenen Kulturen zu verbinden eingetrichtert bekommen hat – in diesem eindrücklichen Flussfilm aus der Reihe «Altered States» wird er auf einfachste und doch kongeniale Weise suspendiert. Man sieht Kinder, Frauen und Männer beim Arbeiten und Spielen, beim Schwimmen und Springen und Plantschen im Wasser. Dabei schärft sich der ethnografische Blick: Voodoo nämlich fabrizieren die Kamera, die das Geschehen rückwärts ablaufen, und die wummernde Hintergrundmusik, die den ganzen Zauber zeitweilig ins Ermessliche anschwellen lässt. WALKER Hongkong/Taiwan 2012, 27 Min, kein Dialog, Video R: Tsai Ming-liang Ach ja, die Liebenden. Wie ferngesteuert schreiten sie dahin, manche fallen, stehen wieder auf, andere bleiben liegen oder gehen unter. Lissabon macht sich bereit für den 13. Juni, den Tag des Namenspatrons der Stadt, an dem traditionell Basilikumtöpfchen und Blümchen mit affichierten Aperçus den Geliebten dargeboten werden. Aber welch seltsam Liebende sind das hier? Als hätten sich Zombies zu einem Flashmob verabredet! Diesem verstörenden Liebesfilmgedicht wohnt ein Vierzeiler des portugiesischen Lyrikers Fernando Pessoa inne: «Es ist besser nicht hinzugehen, wo man nicht sein wird», heißt es da. KURZFILMPROGRAMM 2 (75 Min) 101 MANHÃ DE SANTO ANTÓNIO OS VIVOS TAMBÉM CHORAM 2.11., 11 Uhr, Urania 101 CH/P 2012, 31 Min, OmeU, DCP R: Basil Da Cunha Zé arbeitet an den Docks von Lissabon; ohne jemals selbst an Bord eines Schiffs gegangen zu sein, lädt und entlädt er täglich Fracht aus der ganzen Welt. Doch er hat heimlich Geld gespart, um nach Schweden zu reisen. Als seine Frau das Geld findet und sofort ausgibt, spitzt sich seine Situation zu. Über nervös-intime Kameraarbeit, sorgfältiges Sounddesign und das ignorante Verhalten von Zés Umfeld versteht es der junge portugiesisch-stämmige Schweizer Basil De Cunha, die psychische Krise seines 50-jährigen alkoholkranken Protagonisten zu vermitteln. E/P 2012, 20 Min, OmeU, Video R: Luis Miñarro Ein Schritt pro Minute: Buchstäblich im Schneckentempo bewegt sich ein Mönch in roter Kutte, eine Semmel in der einen, ein Plastiksackerl in der anderen Hand, vornübergebeugt durch ein um ihn herum pulsierendes Hongkong. So wirkt er wie das erratisch entschleunigte Zentrum eines Laufbildgemäldes der lärmenden Metropole, macht den Eindruck Das Filmen halte ihn am Leben wie das Essen, sagt Manoel de Oliveira. Er ist der älteste aktive und der einzi35 V12_PG_Kern:V_PG 11.10.2012 10:47 Uhr Seite 36 Kurzfilme KURZFILMPROGRAMM 3 (67 MIN) ES WAR EIN TAG WIE JEDER ANDERE IM FRÜHLING ODER SOMMER. PAPERWORK RECONNAISSANCE TANTE ELFI BASTELT. DER KOLIBRI 48 KÖPFE AUS DEM MERKUROV MUSEUM (NACH KURT KREN) TRESPASS In Anwesenheit von Selma Doborac, Sasha Pirker, Johann Lurf, Lia Juresch, Anna Artaker, Paul Wenninger. 4.11., 21 Uhr, Urania 7.11., 13 Uhr, Stadtkino ES WAR EIN TAG WIE JEDER ANDERE IM FRÜHLING ODER SOMMER. A/BiH 2012, 17 Min, stumm/dt. Text, Video R: Selma Doborac Ein Erinnerungsfilm, der darüber reflektiert, dass Erinnerung nicht darstellbar ist: Kamera-Fahrten aus dem Auto heraus – über Land, durch Orte und Industriegebiete – gliedern das Vergangene (ein Bombenangriff im Bosnien-Krieg 1992) im Heute; eine Text-Spur berichtet in drei Episoden von den damaligen Erlebnissen einer Familie. «Die in Titel gefassten Erinnerungsschichten (de)konstruieren die Nicht-Vermittelbarkeit, die in Fahrten gelegten Landschaftsbilder betiteln und verschenken währenddessen die Nicht-Abbildbarkeit von (kriegerischen) Handlungen.» (Selma Doborac) Niemeyer: Die 1978 bis 1981 entstandene Zentrale des Burgo-Konzerns im italienischen San Mauro schneidet sie gegen Bilder und Geräusche des Produktionsprozesses in einer Papierfabrik des Unternehmens. Und einmal mehr geht es darum, wie die Gestaltung des Raums die Bewegungsformen der Menschen determiniert, wie man durch die Wahrnehmung von Architektur über die Gesellschaft reflektieren kann. RECONNAISSANCE USA/A 2012, 5 Min, stumm, Video R: Johann Lurf Ein verlassener Torpedotest-Stützpunkt an einem Staudamm bei Azusa, Kalifornien. Morris Reservoir heißt der Schauplatz des neuen Films von Lurf, sein Schau-Wert ergibt sich aus den subtil gerundeten oder leise flirrenden Bewegungen, aus den Verfremdungseffekten der Bilder, die zugleich unsere visuelle Wahrnehmung auf die Probe stellen und ein ganzes Reservoir an möglichen Assoziationen bergen. «A true mindbender», nannte der US-amerikanische Kritiker Michael Sicinski diese raffinierte Studie. Einmal mehr studiert Sasha Pirker, hier in Kamera-Kooperation mit Johannes Hammel, ein Gebäude des visionären Architekten Oscar 36 48 KÖPFE AUS DEM MERKUROV MUSEUM (NACH KURT KREN) A 2012, 4 Min, stumm, Video R: Anna Artaker Aus einem psychologischen Test für experimentelle Triebdiagnostik machte Kurt Kren 1960 einen Wahrnehmungstest: 48 KÖPFE AUS DEM SZONDI-TEST. Darauf Bezug nehmend beschäftigt sich die Künstlerin mit Totenmasken von der Hand des sowjetischen Bildhauers Sergej Merkurov (1881–1952), formt Fotografien aus diesem «Archiv der Gesichter des Sowjetregimes» medial unterschiedlich aus. Artakers Anliegen: «… eine kritische Revision, die immer auch eine Auseinandersetzung mit Visualisierungsprozessen meint.» (Naoko Kaltschmidt) TRESPASS A 2012, 11 Min, kein Dialog, Video R: Paul Wenninger TANTE ELFI BASTELT. DER KOLIBRI (Aunt Elfi’s Making Things. The Humming Bird) A 2012, 15 Min, OmeU, Video R: Lia Juresch PAPERWORK A/I 2012, 15 Min, kein Dialog, Video R: Sasha Pirker wie vor raren weiblichen Comedians zur Aufführung bringt.» (Christa Benzer) In ihrem doppelbödigen Humor ist die groteske Geschichte von Lia Juresch ebenso mit Valentinaden verwandt wie mit den Videos von Kurdwin Ayub: Eine junge Frau ist in den Keller gegangen und berichtet in einer so hausbackenen Sprache, als hätte ihre Großtante sich ein TVTeam herbeigewünscht, von einem angeblichen Defekt des Holzofens. «Zusammengenommen ergeben diese nur allzu bekannten, überwiegend peinlich berührenden Sätze als Grundlage der ungewöhnlichen Alltagsgeschichte ein ziemlich komisches Bild, das hier eine der nach Eine ingeniös-fantasievolle Real-Animation, in der titelgemäß eine Grenze nach der anderen überschritten wird. Ein Avatar des Regisseurs wird quasi in den eigenen vier Wänden auf Weltreise geschickt. Doch während die Schauplätze nur so ineinander purzeln, scheint der statuenhaft steife Protagonist (Nik Hummer) von all dem nicht angefochten. Am Ende eine paradoxe Wendung: «Nicht die Welt, ein anderes Leben, eine fremde Macht ist plötzlich spürbar, sondern die eigene Lebendigkeit wird mit Fortdauer des Films immer mehr entäußert.» (Christian Höller) V12_PG_Kern:V_PG 11.10.2012 10:47 Uhr Seite 37 KURZFILMPROGRAMM 4 (67 MIN) WERNER SCHROETER QUOD ERAT DEMONSTRANDUM 101 L’APRÈS-MIDI PRÈS DU TOMBEAU DE FALCONETTI 5.11., 18.30 Uhr, Urania WERNER SCHROETER D 2012, 11 Min, OF, DCP R: Rosa von Praunheim Carl Theodor Dreyers 1928 entstandenem Stummfilm DIE PASSION DER JUNGFRAU VON ORLÉANS. Später hat sie sich in Buenos Aires, wohin sie zurückgekehrt war, das Leben genommen. Jetzt leistet ihr der alte Mann, der dabei mit seinem Spazierstock spielt, ein wenig Gesellschaft. Bis er gestört wird. melt. Ein jährliches Ritual, dessen poetische Symbolik zu Reflexion inspiriert: Eine Metapher für das Niederbrennen der herrschenden Armutsverhältnisse? «Es könnte das Feuer in den französischen Vorstädten sein, man kann es auf die deportierten und zwangsrepatriierten Roma Europas beziehen, weltweite Proteste gegen Irakund Afghanistankrieg oder die jüngsten Aufstände in Nordafrika und im Mittleren Osten damit assoziieren – in jedem Fall die Hoffnung auf eine gerechtere Welt.» (Tudor/Vatamanu) SNOW CITY Singapur 2011, 16 Min, eOF, Video R: Tan Pin Pin (siehe Filmprogramm Rosa von Praunheim, S. 38) QUOD ERAT DEMONSTRANDUM CH 2012, 26 Min, OmeU, Video R: Fabrice Aragno Das französischsprachige Fernsehen der Ostschweiz hat eine kleine Reihe mit Porträts über wesentliche Schweizer Filmemacher in Auftrag gegeben; eine davon ist dem am Genfer See lebenden Jean-Luc Godard gewidmet. Die rund 20-minütige Arbeit des Filmemachers und engen Mitarbeiter des Regisseurs, Fabrice Aragno, ist dementsprechend eine Art Gemeinschaftsarbeit von Godard und Aragno geworden. Eine Kompilation und immer wieder überraschende und vielschichtige Montage aus Filmen Jean-Luc Godards und einiger anderer Regisseure. Starring JLG. 101 E/P 2012, 20 Min, OmeU, Video R: Luis Miñarro (siehe Kurzfilmprogramm 2, S. 35) L’ APRÈS-MIDI PRÈS DU TOMBEAU DE FALCONETTI (Afternoon Near the Tomb of Falconetti) F 2012, 10 Min, OmeU, Video R: Oleg Tcherny An einem sonnigen Nachmittag sitzt ein älterer Mann im Schatten der Bäume des Friedhofs Montmartre in Paris. Am Rande des Grabes der großen Schauspielerin Falconetti (18921946). Sie hat unvergessliche Berühmtheit erlangt als Jeanne d’Arc in KURZFILMPROGRAMM 5 (57 Min) SKINNINGROVE RITE OF SPRING SNOW CITY WALK-THROUGH 6.11., 16 Uhr, Metro SKINNINGROVE USA 2012, 15 Min, OF, Video R: Michael Almereyda Chris Killip, auf der Isle of Man geborener Fotograf und seit 20 Jahren Harvard-Professor, produzierte in den 1980er Jahren essayistische Sozialreportagen in Nordengland, unter anderem in dem abgelegenen Fischerdorf Skinningrove. Und so pittoresk und romantisierend seine mit einer Plattenkamera aufgenommenen Schwarzweiß-Bilder mitunter auch wirken – das beweist diese von ihm kommentierte und von Almereyda aufgezeichete Diashow – so klar erscheint in ihnen Killips Kenntnis dieser Landschaft und der Lebensbedingungen ihrer Menschen. Die Eröffnung eines Autobahntunnels, tauchende Eisbären im Zoo, mit Schwemmgestein vermischte Kachelteile am Meer, Büroszenen, das Treiben in der titelgebenden Schnee-Vergnügungshalle. Die Dokumentarfilmemacherin Tan Pin Pin hat in ihrem Archiv verstreuter Szenen aus Singapur gekramt und humorvolle Querbezüge gefunden. Eine bizarr improvisierte Autowaschanlage an einer Baustelle, die einem Fiebertraum entsprungen scheint, bildet den passenden Höhepunkt: «It felt dreamlike while we were editing it so you could say it was held together by a feverish dream.» (Tan Pin Pin) RITE OF SPRING WALK-THROUGH Rumänien 2010, 8 Min, stumm, Video R: Mona Vatamanu, Florin Tudor Roma-Kinder zünden Pappelflaum an, der sich am Straßenrand sam- USA/GB 2012, 18 Min, OF, Video R: Redmond Entwistle Der britische Künstler Entwistle besucht das California Institute of the Arts, wo er Ende der 1990er Jahre studiert hat. Beginnend als Führung durch den «CalArts»-Campus, zeichnet der Film einerseits mit Archivbildern die Geschichte der Schule nach und umreißt ihr von Walt Disney erdachtes Konzept. Andererseits entsteht Kunst für den Film selbst: Ehemalige Studenten und Schauspieler stellen in einem fiktio37 V12_PG_Kern:V_PG 11.10.2012 10:47 Uhr Seite 38 Kurzfilme darf der Titel des Beitrags von Gustav Deutsch 1996 gelten: FILM IST MEHR ALS FILM. LA MADRE CH 2012, 20 Min, iOmeU, DCP R: Jean-Marie Straub FILMPROGRAMM ROSA VON PRAUNHEIM (84 Min) EIN HARTES LEBEN D 2012, 15 Min, OF, DCP R: Rosa von Praunheim, Oliver Kusio MEINE NACHBARN D 2012, 29 Min, OF, DCP R: Rosa von Praunheim WERNER SCHROETER D 2012, 11 Min, OF, DCP R: Rosa von Praunheim nalen Re-enactment die radikal struktur- und diskussionsoffenen und insofern basisdemokratischen Kurse unter Michael Asher nach. «Selbstfindung statt Lernzwang» war und ist das Wesen der Ausbildung am CalArts. KURZFILMPROGRAMM 6 (72 Min) 20 LITTLE FILMS LA MADRE QUOD ERAT DEMONSTRANDUM 6.11., 21 Uhr, Urania 20 LITTLE FILMS A 1995–2012, 26 Min, OF Die Kurzversion der kurzen Form, die kondensierte Form der Cinephilie: Seit 1995 bat die Viennale jedes Jahr einen renommierten Filmkünstler (und 2004 mit Agnès Varda eine Künstlerin), einen annähernd einminütigen Trailer als Einführung zum Festival beizutragen. Also nicht in Form eines Werbeclips, sondern als Momentaufnahme, die auch für sich stehen kann. Dabei sind über die Jahre essayistische, überraschende, philosophische, zärtliche und kraftvolle, mysteriöse und höchst abstrakte, persönliche und politische kleine Preziosen entstanden, von Meistern ihres Fachs wie Stan Brakhage, Jonas Mekas, Apichatpong Weerasethakul, Jean-Luc Godard und David Lynch, um nur einige von ihnen zu nennen. Zum Jubiläum werden diese «real little films», wie Mekas die Trailer einmal nannte, nun erstmals alle zusammen gezeigt und damit in einen gänzlich neuen, spannenden Rezeptionszusammenhang gestellt. Programmatisch dafür 38 SCHWESTERN DER PERPETUELLEN INDULGENZ D 2012, 11 Min, OF, DCP R: Rosa von Praunheim ICH BIN EIN GEDICHT D 2012, 18 Min, OF, DCP R: Elfi Mikesch Die Texte in Cesare Paveses «Dialoghi con Leucò» (1947) haben Anteil am Alten und am Neuen. Sie sind aus der Erfahrung der Moderne entstanden und leihen ihr Gewand und ihre Figuren von den uralten Geschichten und Mythen. Die Rede ist von den Jahren und den Tagen. Es ist jene lebendige Spannung, jener Bogen zwischen Mythos und Moderne, der uns so tief anrührt in Paveses Schriften und der als neue Erfahrung so wunderbar hineinragt in diesen kleinen Film von JeanMarie Straub. Aber was heißt hier «klein». LA MADRE ist ein Monumentalfilm und das vielleicht Schönste an ihm ist seine vollkommene Durchsichtigkeit und sein vollkommenes Dunkel zugleich. QUOD ERAT DEMONSTRANDUM CH 2012, 26 Min, OmeU, Video R: Fabrice Aragno Das französischsprachige Fernsehen der Ostschweiz hat eine kleine Reihe mit Porträts über wesentliche Schweizer Filmemacher in Auftrag gegeben; eine davon ist dem am Genfer See lebenden Jean-Luc Godard gewidmet. Die rund 20-minütige Arbeit des Filmemachers und engen Mitarbeiter des Regisseurs, Fabrice Aragno, ist dementsprechend eine Art Gemeinschaftsarbeit von Godard und Aragno geworden. Eine Kompilation und immer wieder überraschende und vielschichtige Montage aus Filmen Jean-Luc Godards und einiger anderer Regisseure. Starring JLG. ICH BIN EIN GEDICHT Rosas Welt ist prall und saftig, teilnahmsvoll und berührend, mehr denn je: 70 neue Filme legt die immerjunge Berliner Ikone der Schwulenszene als Teil opulenter Geburtstagsfeierlichkeiten zu ihrem Siebziger am 25. November 2012 vor. Filme über starke Frauen, starke Schwule, Pornostars, Drag Queens, Transgender-Menschen und, man höre und staune, über sensible Heteros. In mehr als 20 Stunden Film fächert sich ein charmant megalomanes Leporello von Menschen- und Sittenbildern auf, das man in diesem Facettenreichtum noch nicht gesehen hat. Fünf Filme in knapp eineinhalb Stunden daraus versammelt das hier gezeigte Programm, darunter ICH BIN EIN GEDICHT, ein von Praunheims bester Freundin Elfi Mikesch gestaltetes Porträt des Porträtierers («Da erkennt man, dass ich ein verkannter Dichter und Maler bin»), und elf Gesprächsminuten, die Praunheim mit seinem einstigen Weggefährten verbrachte und die sich als letztes Interview mit dem 2010 verstorbenen Werner Schroeter herausstellen sollten. (Dem wiederum ein eigenes Programm mit seinen frühen, restaurierten Filmen gewidmet ist) Seine Nachbarn Conny und Gerd nimmt Rosa ebenso interessiert in den Blick wie, in EIN HARTES LEBEN, seine «Reinemachefrau», «eine wahre Heldin der V12_PG_Kern:V_PG 11.10.2012 Arbeit», die in Berlin Geld für ihre Familie in Breslau verdient. Oder die Berliner «Schwestern der Perpetuellen Indulgenz», die auf Parties und bei Events in Nonnenkostümen über AIDS-Prävention aufklären. Die Liebe scheint dem «liebevollen Provokateur» Praunheim inzwischen wichtiger als die Provokation. In Anwesenheit von Rosa von Praunheim. 5.11., 18 Uhr, Gartenbaukino FILME VON JEAN-CLAUDE ROUSSEAU (71 Min) VENISE N’EXISTE PAS F 1984, 11 Min, kein Dialog KEEP IN TOUCH F 1987, 25 Min, eOF NUIT BLANCHE F 2011, 2 Min, kein Dialog, Video ATTIQUE F 2011, 3 Min, kein Dialog, Video DERNIER SOUPIR 10:47 Uhr Seite 39 SAUDADE (Licht) und ein leerer Schreibblock (Gedächtnis) bekommen die Bedeutung, die ihnen in diesem Arrangement zusteht. Und dazwischen nächtliche Eistänzer, zu deren fließenden Bewegungen Rousseau eine Melodie summt. Einer der schönsten Momente in einem Programm, das aus Momenten Ewigkeiten werden lässt. In Anwesenheit von Jean-Claude Rousseau. 2.11., 18.30 Uhr, Künstlerhaus 3.11., 13.30 Uhr, Künstlerhaus F 2011, 2 Min, kein Dialog, Video SAUDADE F 2012, 14 Min, kein Dialog, Video FILME VON WERNER SCHROETER (94 Min) F 2011, 4 Min, kein Dialog, Video CARLA (CARLA SINGT CALLAS) F 2011, 10 Min, kein Dialog, Video MARIA CALLAS SINGT 1957 REZITATIV UND ARIE DER ELVIRA AUS ERNANI 1844 VON GUISEPPE VERDI (CALLAS I, II, III, IV) UN JOUR SENZA MOSTRA BRD 1968, 5 Min, kein Dialog, Video BRD 1968, 11 Min, OF, Video LA MORTE D’ISOTTA BRD 1968, 37 Min, OF, Video HIMMEL HOCH BRD 1968, 10 Min, kein Dialog, Video PAULA – «JE REVIENS» NUIT BLANCHE Jean-Claude Rousseau ist einer der eigenwilligsten Einzelkämpfer des französischen Kinos. In seinen meist kurzen Arbeiten – auch dieses Programm versammelt acht ausgewählte Miniaturen – geht es um nichts Geringeres als um das Kino selbst: Raum, Zeit und Bewegung. So abstrakt diese Begriffe auch einzeln erscheinen mögen, in ihrer Gesamtheit erlangen sie bei Rousseau ihre Bestimmung: Ein Mensch (oder eben niemand) bewegt sich (oder eben nicht) für eine gewisse Zeit in einem Raum (oder blickt in einen anderen). Im zweiten und zugleich längsten Film dieser Reihe, KEEP IN TOUCH, entstanden 1987 in New York, sieht man Rousseau in einem Zimmer sitzend, wartend. Stimmen hinterlassen Botschaften auf seinem Anrufbeantworter (Ton), eine Tischlampe BRD 1968, 31 Min, kein Dialog, Video Werner Schroeter war einer von 55 ausgewählten Studenten des ersten Jahrgangs der HFF in München 1967. Doch bald schon besuchte er die theorielastigen Vorlesungen nicht mehr und fuhr stattdessen zum Exprmtlfilmfestival in Knokke, wo er Rosa von Praunheim kennen lernte. Schroeter begann, mit seiner 8mmKamera zu experimentieren und in kurzer Zeit entstanden etwa ein Dutzend Arbeiten, die nur sehr selten außerhalb des privaten Kontextes zu sehen waren. »Ich habe nie gedacht, dass jemand die Filme anschaut», so Schroeter, »der Gesichtspunkt, sie anderen Leuten zu zeigen, war bei mir wirklich privat-kommunikativer Natur, ich hab’ sie Freunden gezeigt oder so.” In diesen frühen, in ihrer Intimität und Freiheit beglückenden Filmen finden sich bereits zentrale Motive von Schroeters weiterem Werk: die ungezügelte Lust am Melodram und die orgiastische Leidenschaft für die göttliche, die einzige, unsterbliche Callas. HIMMEL HOCH Allerdings veranlasste der prekäre Zustand des Originalmaterials den Filmemacher vor einigen Jahren dazu, weitere Aufführungen der Filme zu verbieten. Und erst durch digitale Umkopierungen, in denen die Bildwirkung der 8mm-Originalmaterialien bewahrt wurde, und durch die Rekonstruktion der originalen Töne wird es nun zum Beispiel auch wieder möglich zu erkennen, wie genau die Filme auf die Tonspuren hin konzipiert und geschnitten sind. Vor allem aber eröffnet die vorliegende Restaurierung die Möglichkeit, in einen sich bildenden filmischen Kosmos einzutauchen: Werner Schroeter als nackte Diva, Carla Aulaulu als die Göttliche, der Liebestod der Isolde. Für wen hat die Callas je schöner gesungen? 1.11., 15.30 Uhr, Stadtkino 2.11., 23.30 Uhr, Urania CARLA 39 V12_PG_Kern:V_PG 11.10.2012 10:47 Uhr Seite 40 Tribute MICHAEL CAINE «Such is an actor’s life. We must ride the waves of every film, barfing occasionally, yet maintain our dignity, even as the bulk of our Herculean efforts are keel-hauled before our very eyes.» (Michael Caine) Rund zehn Jahre hatte sich der 1933 als Maurice Joseph Micklewhite in London geborene Michael Caine bereits in Nebenrollen durch Britanniens Film- und TV-Landschaft geschlagen, ehe ihn Mitte der 1960er Jahre zwei für seine Karriere wegweisende Filme doch noch zum Star machten. Der Spionagethriller THE IPCRESS FILE (Sidney J. Furie, 1965) präsentierte ihn in der Rolle des Geheimagenten Harry Palmer als bodenständigen Stoiker mit Cockney-Dialekt, der gerne zuhause kocht und seinen Vorgesetzten mit ironischer Renitenz begegnet: ein perfekter Anti-James Bond. Wenig später gelang Caine der internationale Durchbruch als zynischer Frauenheld in ALFIE (1966), einem der größten kommerziellen Erfolge des englischen Kinos in den USA. Caines «britishness» und sein ironischer Witz wurden alsbald zum Markenzeichen einer bis heute andauernden Weltkarriere, in der er mit der Fähigkeit, seinen kühlen Charme von kaum verhüllter Emotionalität bis zur teilnahmslosen Kaltblütigkeit variieren zu lassen, jedes erdenkliche Genre mit Bravour meistert. Vielfach – unter anderem mit zwei Oscars – ausgezeichnet, gehört Sir Michael Caine zu den ganz Großen des Weltkinos: ein Mann mit zeitlosem Stil und Format. In Anwesenheit von Michael Caine. ALFIE GB 1965, 112 Min, OF R: Lewis Gilbert, D: Michael Caine, Shelley Winters, Millicent Martin, Julia Foster In dem Comedy-Drama, das ihm den internationalen Durchbruch bescherte, verkörpert Michael Caine einen Chauffeur aus der Londoner Arbeiterklasse, der mit kühlem Zynismus seiner Lieblingsbeschäftigung nachgeht: dem Aufreißen von Frauen. Emotional unbeteiligt durchläuft er eine Reihe von Beziehungen, nutzt die Frauen für seine Bedürfnisse und Bequemlichkeiten skrupellos aus. Dabei kommentiert er seine Erlebnisse ungerührt direkt in die Kamera – bis ihm am Ende – vielleicht – dämmert, dass er im Leben etwas verpasst haben könnte. Meh40 rere Schauspieler hatten die Rolle des zwiespältigen Hallodris als vermeintlichen Todesstoß für ihre Karriere abgelehnt, Caine wurde durch sie endgültig zum Star. ALFIE wurde 2004 von Charles Shyer ohne großen Erfolg neu verfilmt; Jude Law übernahm darin die Rolle Caines (ebenso 2007 im Remake von SLEUTH, in dem Law Caine, der die Rolle des Älteren übernommen hatte, tatsächlich auch gegenüberstehen sollte). 29.10., 16 Uhr, Metro 7.11., 21 Uhr, Metro DIRTY ROTTEN SCOUNDRELS USA 1988, 110 Min, OF R: Frank Oz, D: Michael Caine, Steve Martin, Glenne Headly, Anton Rodgers Bereits das erste Zusammentreffen in einem Zug charakterisiert die Hauptfiguren dieser amüsanten Komödie hinreichend: Während Freddy Benson (Martin), der ungehobelte Amerikaner, in einem «Mad»-Heft blättert, liest der sich aristokratisch gebende Engländer Lawrence Jamieson (Caine mit gegeltem Haar und Schnurrbart) lieber die konservative Tageszeitung «Le Figaro». Doch Hochstapler sind sie in dem Remake von BEDTIME STORY (Ralph Levy, 1964) alle beide: Mit unterschiedlicher Masche versuchen sie, weiblichen Opfern das Geld aus der Tasche zu ziehen. In einem französischen Riviera-Ort hebt alsbald ein absurd-komisches Duell um Gunst und Geld einer vermeintlichen Millionenerbin an. «Steves Charakterisierung seiner Figur war derart unorthodox und verrückt», erinnert sich Caine an die Dreharbeiten, «dass es für mich tatsächlich eine Weile schwierig war, mit ihm zu spielen. Die Lösung aber stellte sich schließlich als sehr simpel heraus: Ich spielte meinen Part einfach komplett straight und überließ die Lacher sich selbst.» 2.11., 16 Uhr, Metro DRESSED TO KILL USA 1980, 105 Min, OF R: Brian De Palma, D: Michael Caine, Nancy Allen, Angie Dickinson, Keith Gordon Ein Film aus jenen Tagen, als Brian De Palmas Fähigkeit, einen Thriller aus vielen verschärften HitchcockVersatzstücken und vergleichsweise wenig Logik zu basteln, noch etwas galt. In DRESSED TO KILL geht ein Frauenmörder um, der irgendwie aus dem Umkreis des distinguierten Psychiaters Dr. Robert Elliott (Caine) zu stammen scheint. Einer seiner Klienten vielleicht? Ganz konkret bedroht ist die Prostituierte Liz Blake (Allen), denn sie hat als Einzige den Killer in Aktion gesehen. Polizisten, unschuldig Verdächtigte und sexuell V12_PG_Kern:V_PG 11.10.2012 10:47 Uhr Seite 41 SLEUTH Frustrierte tappen auf falschen Fährten herum – bis zu einem Finale, das den Filmtitel absolut wörtlich nimmt. «A bloody good thriller», befindet Caine und erzählt: «Er kam zu einer Zeit heraus, als der so genannte ‹Yorkshire Ripper› sein Unwesen trieb. Verschiedene Gruppen versuchten, den Vertrieb des Films im Norden Englands zu verhindern, weil sie glaubten, er habe den Mörder beeinflusst.» 30.10., 13.30 Uhr, Metro 3.11., 23 Uhr, Gartenbaukino EDUCATING RITA GB 1983, 110 Min, OF R: Lewis Gilbert, D: Michael Caine, Julie Walters, Michael Williams, Maureen Lipman Mit ALFIE-Regisseur Gilbert realisierte Caine einen seiner größten kommerziellen Erfolge: Mit angefutterter Wampe und Vollbart verkörpert er den alkoholkranken Literaturprofessor Frank Bryant, der sein ihm abhanden gekommenes Leben erst langsam als Tutor der schlagfertigen Friseuse Rita (Walters, die ihre Rolle bereits in dem zugrundeliegenden Bühnenstück gespielt hatte) wiederfindet. Rita hingegen sehnt sich nach ihr bislang verwehrt gebliebener akademischer Bildung und Eigenständigkeit. Für Caine ist der Literaturprofessor eine Lieblingsrolle: «To me, EDUCATING RITA is the most perfect performance I could give of a character who was as far away from me as you could possibly get and of all the films I have ever been in, I think it may be the one I am most proud of.» 5.11., 13.30 Uhr, Metro GET CARTER GB 1971, 112 Min, OmdU R: Mike Hodges, D: Michael Caine, Ian Hendry, Britt Ekland, John Osborne Es dauert eine Weile, aber dann ist der Body Count erklecklich in Mike Hodges’ düsterem Thriller GET CARTER, einem Klassiker des britischen Gangsterfilms. Caine spielt eine seiner unsympathischsten Rollen als kühler Londoner Killer Jack Carter, der im heruntergekommenen Norden Englands dem mysteriösen Tod seines Bruders nachgeht und dabei in seiner Heimatstadt Newcastle auf eine schäbige Unterwelt voller schmieriger Intrigen stößt. Und auch wenn Carter auf einer Zugfahrt den Hardboiled-Krimi «Farewell, My Lovely» liest, geht ihm die moralische Integrität von Raymond Chandlers Helden doch völlig ab – anstelle von Noir-Stilisierung inszeniert Hodges ein Stück bitteren Realismus. Pauline Kael stimmte seinerzeit eine ambivalente Lobeshymne an: «GET CARTER ist derart kalkuliert cool, seelenlos und gemein sexy, dass er ein neues Genre virtuoser Bösartigkeit zu begründen scheint. Was ihn so ungewöhnlich macht, ist seine metallische Eleganz und die sture Effektivität, mit der er seine ‹Sadismus-für-Kenner›-Formel verfolgt.» 3.11., 21 Uhr, Künstlerhaus 5.11., 15.30 Uhr, Gartenbaukino HANNAH AND HER SISTERS USA 1985, 105 Min, OF R: Woody Allen, D: Michael Caine, Barbara Hershey, Dianne Wiest, Mia Farrow In Allens Ensemble-Komödie um die verschiedenen (Neu-)Verbandelungen einer New Yorker Familie, in deren Zentrum die Schwestern Hannah (Farrow), Lee (Hershey) und Holly (Wiest) stehen, verkörpert Michael Caine den mit Hannah verheirateten Elliot, einen Finanzberater für Rockstars, der eine leidenschaftliche Affäre mit Lee beginnt, ohne jedoch Hannah zu verlassen. Mit der ihm eigenen Mischung aus Ernst und einer eher sanften Komik trifft Caine sehr genau den Ton dieses Comedy-Dramas und gewann 1987 für seine Darstellung den Oscar als bester Schauspieler in einer Nebenrolle. Den er allerdings nicht persönlich in Empfang nehmen konnte, weil er für Dreharbeiten zu JAWS: THE REVENGE in die Karibik verpflichtet war. Über diesen Film sagt Caine später: «Ich habe ihn nie gesehen, sehr wahrscheinlich ist er sehr schrecklich. Aber ich habe das Haus gesehen, das er geholfen hat zu bauen, und das ist ganz großartig.» 27.10., 12 Uhr, Gartenbaukino 31.10., 23 Uhr, Stadtkino 41 V12_PG_Kern:V_PG 11.10.2012 10:47 Uhr Seite 42 Tribute HARRY BROWN GB 2009, 102 Min, OF R: Daniel Barber, D: Michael Caine, Emily Mortimer, Charlie Creed-Miles, David Bradley Der frisch verwitwete Harry Brown (Caine) lebt in einem Problembezirk Londons, in dem Jugend- und Drogenkriminalität an der Tagesordnung sind. Als sein bester Freund von einer Jugendgang ermordet wird, wandelt sich der ehemalige Elitesoldat zu einem gnadenlosen Rächer. Obwohl in seiner mitleidlosen Darstellung einer unerfreulich morallosen Zone an den Klassiker GET CARTER erinnernd, maßt sich HARRY BROWN letztlich einen fragwürdigen sozialen Kommentar an – und wurde im Wahlkampf 2009/2010 von der britischen Konservativen Partei als Teil ihrer law-and-order-inspirierten «Broken Britain»-Kampagne entsprechend zitiert. 28.10., 23 Uhr, Stadtkino THE MAN WHO WOULD BE KING GB/USA 1975, 129 Min, OF R: John Huston, D: Michael Caine, Sean Connery, Christopher Plummer, Shakira Caine Nach einer Kurzgeschichte von Rudyard Kipling inszeniert Huston einen klassischen Abenteuerfilm, in dem Connery und Caine zwei Ex-Soldaten des viktorianisch-britischen Kolonialreichs spielen, die sich auf die Suche nach Schätzen im entlegenen Kafiristan machen. Dort wird Daniel Dravot (Connery) versehentlich für einen göttlichen Nachkommen Alexanders des Großen gehalten und beginnt schon bald, seinen neuen Status ernst zu nehmen. Doch das kann in einer Gegend, in der 42 man mit den Köpfen getöteter Feinde Polo spielt, auf Dauer nicht gut gehen. Caine verkörpert den aufschneiderischen Gauner Peachy Carnehan, der gleichwohl die Realität besser im Blick behält. Caine erzählt: «Mit Sean zu arbeiten war ein Vergnügen. Weil wir einander vertrauten – und weil wiederum John uns beiden vertraute – konnten wir riskieren zu improvisieren und zu experimentieren. Ich glaube, am Ende hat sich das für den Film ausgezahlt.» 1.11., 13.30 Uhr, Metro THE QUIET AMERICAN USA/Australien/D 2002, 101 Min, OF R: Phillip Noyce, D: Michael Caine, Brendan Fraser, Do Thi Hai Yen, Rade Šerbedžija «Selbst eine Meinung ist eine Form der Einmischung.» Der englische Journalist Thomas Fowler (Caine) lebt im Saigon der 1950er-Jahre sein Leben mit zynischer Gelassenheit. Das ändert sich, als der junge Amerikaner Alden Pyle (Fraser) auftaucht, der ihm nicht nur seine schöne Geliebte streitig macht, sondern auch einen dreckig-terroristischen Krieg anfängt, mit dem die Einmischung der USA in Vietnam beginnt. Noyces stilvolle Verfilmung von Graham Greenes gleichnamigen Roman bietet Caine einmal mehr die Paraderolle eines Mannes, unter dessen kühler Oberfläche sich Leidenschaften verbergen, die hier zwischen privaten Interessen und grundsätzlichen moralischen Entscheidungen klug in der Balance gehalten werden. «Fowler may be the richest character of Caine’s screen career. Slipping into his skin with an effortless grace, this great english actor gives a performance of astonishing understatement whose tone wavers delicately between irony and sadness», schrieb Stephen Holden seinerzeit in der «New York Times». 28.10., 11 Uhr, Metro SLEUTH USA/GB 1972, 138 Min, OF R: Joseph L. Mankiewicz, D: Michael Caine, Laurence Olivier, Alec Cawthorne, Eve Channing Der von Production Designer Ken Adam entworfene Irrgarten im Park des herrschaftlichen Hauses, in dem Milo Tindle (Caine) gleich zu Beginn den Hausherren Andrew Wyke (Olivier) suchen muss, ist das perfekte Symbol für diese Verfilmung des erfolgreichen Zwei-Personen-Stücks von Anthony Shaffer. Denn weil Tindle dem schon älteren Krimiautor Wykes die Frau ausgespannt hat, spielen die beiden – bis zum bitteren Ende – eine Reihe von ebenso verwirrenden wie für den Zuschauer vergnüglichen Charaden miteinander, um sich gegenseitig schwer zu demütigen. Großes Schauspielerkino, perfekt in Szene gesetzt von Mankiewicz, der einmal mehr sein Talent für die Umsetzung von Bühnenstücken mit scharfzüngigen Dialogen beweist. «Er lässt Olivier und Caine das Ritual der exzessiven gegenseitigen Demütigungen so erschöpfend auskosten, dass sich ein Gefühl der Betroffenheit einstellt, wo ein schlechterer Regisseur nur schadenfrohes Gelächter erzeugt hätte», schreibt H. C. Blumenberg. 2007 wurde SLEUTH, allerdings weitaus weniger erfolgreich, von Kenneth Branagh erneut verfilmt. Caine übernahm darin den Part Oliviers und stand nunmehr Jude Law gegenüber (der wiederum 2004 im Remake von ALFIE bereits einmal in Caines Fußstapfen getreten war). 26.10., 20 Uhr, Gartenbaukino (Galavorstellung in Anwesenheit von Michael Caine) Restoration World Premiere Presented in partnership with the Academy of Motion Picture Arts and Sciences. V12_PG_Kern:V_PG 11.10.2012 10:47 Uhr Seite 43 Falters Feine Filme +++ Anlässlich ihres 50-Jahre-Jubiläums veröffentlicht die Viennale gemeinsam mit dem FALTER eine DVD Edition. Diese soll weniger einen Überblick über die Geschichte des Festivals geben, sondern vielmehr den Geist der Viennale repräsentieren .+++ Ryan Fleck HALF NELSON Alain Guiraudie LE ROI DE L’ÉVASION Das Leben des engagierten Lehrers Dan Dunne gerät durch seinen zunehmenden Drogenkonsum aus der Bahn. Eines Tages wird er von einer seiner Schülerinnen im Rausch ertappt. Doch die Begegnung, die sich fatal hätte auswirken können, mündet in eine tiefe Freundschaft. Le Roi de l’évasion handelt von einem schwulen Junggesellen, einem hübschen, jungen Mädchen, einem eifersüchtigen Vater, einer seltsamen Mutter, von der Landwirtschaft, der Kleinstadt. Vom Leben, oder was immer das ist. Mehr ist vom Kino nicht einmal imTraum zu haben. 107 min, UMdU, € 14,90 97 min, OmeU, € 14,90 Miguel Gomes AQUELE QUERIDO MÊS DE AGOSTO Im August kehren die Emigranten und Gastarbeiter zurück nach Portugal. All die Müdigkeit ist vergessen, und die Zeit vergeht mit Festen, Fußball, Liebesgeschichten und dem Sprung in den erfrischenden Fluss. 150 min, OmeU, € 14,90 6 DVD BOX Gianfranco Rosi EL SICARIO, ROOM 164 Andrew Jarecki CAPTURING THE FRIEDMANS Ein Auftragskiller eines mexikanischen Drogenkartells, der hunderte Menschen auf dem Gewissen hat, berichtet wie ein Darsteller seines eigenen Lebens von Folter, Mord und Gräueltaten. Jetzt ist er untergetaucht und erhofft die große Vergebung durch Gott. Eine atemberaubende Dokumentation! Vater und Sohn einer amerikanischen Mittelstandsfamilie werden des sexuellen Missbrauchs von Kindern beschuldigt und in einem spektakulären Prozess zu hohen Gefängnisstrafen verurteilt. Ist dieses Urteil Produkt von Massenhysterie und Bigotterie oder die späte, gerechte Strafe für schwere Vergehen? Die streng limitierte Viennale DVD Box beinhaltet neben den 5 Filmen eine exklusive Bonus DVD mit den «20 Little Films», den Viennale-Trailern von 1995 bis 2012. 84 min, spOmeU, € 14,90 107 min, OF, € 14,90 571 min, statt € 74,50 um nur € 59,90 VIENNALE DVD BOX + ein original 35mm-Filmstreifen + ein Viennale-Schlüsselband + ein aktueller Festivalpin Die Viennale DVD Edition ist erhältlich unter www.viennale.at . faltershop.at und im gut sortierten Buchhandel. Falter Verlag Die besten Seiten Österreichs V12_PG_Kern:V_PG 11.10.2012 10:47 Uhr Seite 44 In Focus ORGONAUTI, EVVIVA! ALBERTO GRIFI (Long Live the Orgonauts!) Filmarbeit zwischen Experiment und Politik Alberto Grifi (1938–2007) ist einer der bedeutendsten, in seiner Ästhetik jedenfalls der vielgestaltigste Avantgardefilmemacher Italiens – was jedoch leider nicht heißt, dass sein Schaffen auch angemessen bekannt wäre. Im Gegenteil, gerade einmal zwei Werke Grifis erlangten – zumindest zeitweise – eine gewisse internationale Berühmtheit: LA VERIFICA INCERTA, ein frühes Hauptwerk des Found-footage-Films das eine, das andere, ANNA, ein Epos über das Scheitern der Alternativkultur an den Grenzen der Verhältnisse wie der eigenen Beschränktheit. Dadaistische Medienanalyse einerseits, Wieder(er)findung des Neorealismus für das frühe Videozeitalter andererseits – das sind nur zwei Facetten eines wieder und wieder verblüffenden Œuvres, in dem jedes Werk etwas von einem Solitär hat. Grifi, das ist Kino als beständiger Aufbruch, als permanente Revolution des Sehens wie Lebens, als fortlaufende Suche nach neuen, sinnstiftend-gerechten Formen des Zusammenseins. Anlässlich der Präsentation des ersten Werkabschnitts einer posthum restaurierten Langfassung von ANNA zeigt die Viennale sämtliche Hauptwerke Alberto Grifis und offeriert so die rare Gelegenheit zum Studium eines außergewöhnlichen Filmemachers. In Anwesenheit von Annamaria Licciardello von der Cineteca Nazionale und Associazione Culturale Alberto Grifi. PROGRAMM 1 (69 Min) I 1968–70, 18 Min, OmeU R: Alberto Grifi Eine so heitere wie bunte Hommage an Wilhelm Reich und seine Experimente mit der menschlichen Lust als Kraft(stoff )quelle, gestaltet in einem angemessen aparten Total CinemaMix aus Z-filmigen Spielszenen, fluxen Animationen, essayistisch anmutenden Realitäts(ein)schüben etcetera. Ein sich allen Klassifizierungskonventionen spielerisch-hakenschlagend verweigerndes Experiment in Science Fiction und Anarchie, dessen schwebend-schimmernd-spinnerte Poesie eine Energie hat, die Freude spendend ist und zeitlos. IL GRANDE FREDDO (The Big Chill) I 1971, 20 Min, OmeU, Video R: Alberto Grifi LA VERIFICA INCERTA ORGONAUTI, EVVIVA! IL GRANDE FREDDO 1.11., 18.30 Uhr, Künstlerhaus 3.11., 11 Uhr, Künstlerhaus LA VERIFICA INCERTA ANNA I 1972–75, 225 Min, OmeU R: Alberto Grifi, Massimo Sarchielli (Siehe S. 21) 3.11., 13 Uhr, Gartenbaukino 5.11., 11 Uhr, Urania LA DOPPIA VITA DI ANNA (The Double Life of Anna) I 1972–75/2012, 101 Min, OmeU, Video R: Alberto Grifi, Massimo Sarchielli (Siehe S. 23) 5.11., 11 Uhr, Urania 44 (Uncertain Verification) I 1964, 31 Min, OmeU R: Gianfranco Baruchello, Alberto Grifi Das erste Meisterwerk der italienischen Nachkriegsavantgarde: Ein Found-footage-Film, der primär aus CinemaScope-Szenen diverser Hollywood-Klassiker besteht – wobei der Film selbst im Standardformat zu zeigen ist, also alle Bilder famos absurd gestaucht ausschauen. Rhythmus ist der Schlüssel – man erfreue sich zum Beispiel an einer Szene, in der Grifi und Baruchello allein mittels Montage aus dem Auf- und Zuknallen diverser Türen ein knack-zackiges Stück music concrète komponieren. Als guter Geist des Projektes tritt auf: Marcel Duchamp (unverzerrt). Ein Märchen über die Befreiung der Kunst, mit einem Blauen Prinz und einer Schlafenden Schönen. Wird in den ersten Szenen noch eher einer Ästhetik der Zersplitterung und Kontraste beziehungsweise Widersprüche gehuldigt, wandelt sich der Film zur Mitte hin in ein etwas geradlinigdokumentarischer anmutendes Geschöpf, nur um am Ende wieder zu zerfallen. Vom Surrealismus bis zum Direct Cinema: Hier kommt alles zum Einsatz, und Grifis frühe Suche nach einer Filmästhetik, der keine Gefühls- wie Geistesbewegungen fremd sind, erreicht ihren Höhepunkt. V12_PG_Kern:V_PG 11.10.2012 PROGRAMM 2 (111 Min) IL FESTIVAL DEL PROLETARIATO GIOVANILE AL PARCO LAMBRO LIA DINNI E LA NORMALINA 4.11., 18 Uhr, Stadtkino 6.11., 23.30 Uhr, Künstlerhaus IL FESTIVAL DEL PROLETARIATO GIOVANILE AL PARCO LAMBRO (Parco Lambro Juvenile Proletariat Festival) I 1976, 58 Min, OmeU, Video R: Alberto Grifi Vom 26. bis 30. Juli 1976 fand im Parco Lambro zu Mailand das Zweite Festival der proletarischen Jugend statt: Mal mehr mal weniger bekleidete Menschen singen und tanzen und diskutieren und konsumieren Drogen und legen sich mit den Veranstaltern an … Ausgewählte Impressionen aus rund dreißig Stunden mehrheitlich auf Video realisierten Materials; Wirklichkeitsbruchstücke, in denen man eine Ahnung von den inneren Widersprüchen, dem Gewaltpotenzial der italienischen Gegenbewegung der 1970er erhält. LIA I 1977, 26 Min, OmeU, Video R: Alberto Grifi 10:47 Uhr Seite 45 DINNI E LA NORMALINA (Dinni And Normalin) I 1978, 27 Min, OmeU, Video R: Alberto Grifi Eine weitere Audio-Video-Maulwurfsarbeit von Grifi und Drehbuchautor Guido Blumir, ein weiterer Zensurfall in Form einer weiteren RAI-Eigenproduktion, deren Ausstrahlung der Sender verweigerte. DINNI E LA NORMALINA sieht zu Beginn aus wie ein typisches Stück öffentlich-rechtlicher Propaganda für eine Droge namens Normalina, durch die der Staat endlich diese lästigen dissidenten Bewegungen im Land unter Kontrolle bekommen kann, entpuppt sich aber bald als pulp-Brecht’sches Fantasy-Lehrstück darüber, was passiert, wenn die Ordnung zu gut wird. PROGRAMM 3 (108 Min) MICHELE ALLA RICERCA DELLA FELICITÀ A PROPOSITO DEGLI EFFETTI SPECIALI AUTORITRATTO AUSCHWITZ / L’OCCHIO È PER COSÌ DIRE L’EVOLUZIONE BIOLOGICA DI UNA LAGRIMA 5.11., 18 Uhr, Stadtkino 7.11., 11 Uhr, Künstlerhaus MICHELE ALLA RICERCA DELLA FELICITÀ (Michele Searching for Happiness) I 1978, 23 Min, OmeU, Video R: Alberto Grifi In den frühen 1970er Jahren gehörte Grifi zu den ersten italienischen Medienschaffenden, die systematisch mit Video arbeiteten. In dieser Werksphase verstand er sich primär als Chronist der alternativen Kulturen. Aus den hunderten Stunden Material, die sich über die Jahre ansammelten, suchte er ab und an kurze, in sich sinnfällige Momente heraus, wie diesen hier: Eine junge Frau meldet sich bei einem Kongress zu Wort und redet sich in Rage. Ein einfaches Ereignis schmucklos aufgezeichnet, vertrauend auf die Energie des Augenblicks. In diesen wenigen Minuten kommt eine ganze Zeit zum Punkt: In Lias Argumentation, ihrer Leidenschaft verdichtet sich ein linksradikales Italien. Gemeinsam mit ehemaligen politischen Häftlingen rekonstruierten Grifi und Drehbuchautor Guido Blumir die alltäglichen Repressionen, denen sich Andersdenkende in Italiens Gefängnissen während der heißesten Zeit des bewaffneten Kampfes von Links- wie Rechtsaußen ausgesetzt sahen. Erstaunlich ist, dass der italienische TV-Sender RAI den Film überhaupt in Auftrag gab – wenig überraschend dann, dass er seine Ausstrahlung absetzte. Wobei allerdings die bleierne Geschichte in diese Absetzung hineinspielte: Als MICHELE gezeigt werden sollte, entführten die Roten Brigaden Aldo Moro. A PROPOSITO DEGLI EFFETTI SPECIALI (About Special Effects) I 2001, 50 Min, OmeU, Video R: Alberto Grifi Ab den späten 1980er Jahren begann Grifi, seine Filme immer wieder umzuarbeiten, neue Werke aus alten zu gestalten und auf diese Weise über die eigene Praxis nachzudenken. A PROPOSITO DEGLI EFFETTI SPECIALI schaut zurück auf den hier zur Gänze enthaltenen TRANSFERT PER CAMERA VERSO VIRULENTIA (1967) und damit auf Grifis frühe Faszination für Prismen, Kristalle etcetera, schlicht alles, womit sich Bilder verformen, andere Welten visuell schaffen lassen. Ein Versuch über Grifis künstlerische Wurzeln, mit gelegentlichen Einwürfen einer gewissen Miss Ontophilogenesis, einer entfernten Verwandten des Blauen Prinzen aus IL GRANDE FREDDO. AUTORITRATTO AUSCHWITZ / L’OCCHIO È PER COSÌ DIRE L’EVOLUZIONE BIOLOGICA DI UNA LAGRIMA (Self-Portrait Auschwitz / The Eye is so to Speak the Biological Evolution of a Tear) I 1965–68/2007, 35 Min, OmeU R: Alberto Grifi Ein weiterer später Remix früher Werke, vollendet in den letzten Lebenswochen. L’OCCHIO È PER COSÌ DIRE zeigt den Aufwand, der für eine Träne Monica Vittis in Michelangelo Antonionis IL DESERTO ROSSO (1964) getrieben wurde. AUTORITRATTO AUSCHWITZ dokumentiert einen Gang Grifis durch die Konzentrationslager nahe Oświęcim, seine Bemühungen, ein Verhältnis zu dieser Gegenwart massenhaften Mordens zu entwickeln. Für wen vergießt die Vitti in dieser WerksVerschränkung nun ihre mühsam provozierte Träne? 45 V12_PG_Kern:V_PG 11.10.2012 10:47 Uhr Seite 46 In Focus MANUEL MOZOS Die Entdeckung eines portugiesischen Filmemachers Manuel Mozos nimmt inmitten der Vertreter des neueren portugiesischen Kinos eine Sonderrolle ein. Das Werk des 1959 geborenen Mozos umfasst nur wenige Filme, die zwischen erzählerischem und dokumentarischem Kino, zwischen emotionalen Fantasmen und realistischen Milieuschilderungen pendeln. Seine filmischen Essays handeln von der Geschichte der portugiesischen Kinematografie (CINEMA PORTUGUÊS (…)?) oder reflektieren – im Fall von RUÍNAS – das Nachleben verfallener Gebäude in seinem Heimatland. Als sein zentrales Werk gilt der erst 2002 nach vielen Hindernissen fertig gestellte XAVIER, der bereits 1991 gedreht wurde. Schon in dessen hybrider Familienerzählung hat Mozos seinen Stil perfektioniert, der sich auch in den beiden anderen Erzählfilmen …QUANDO TROVEJA und UM PASSO, OUTRO PASSO E DEPOIS… wiederfindet. Ausgehend von lakonisch gezeichneten realistischen Beziehungsgeflechten entstehen im Kino von Manuel Mozos fragile, elliptische Suchbewegungen in emotionalen Transiträumen, in denen sich das Verhältnis zwischen Privatem und Allgemeinem spiegelt. Kuratiert von Miguel Gomes. In Anwesenheit von Manuel Mozos. FILME VON MANUEL MOZOS …QUANDO TROVEJA (When It Thunders) P 1999, 93 Min, OmeU R: Manuel Mozos, D: Miguel Guilherme, Elsa Valentim, José Wallenstein, Raquel Dias Zerbrechende Beziehungen zwischen dreißigjährigen Künstlern und Schriftstellern, die sich im Lissabon der späten 1990er Jahre mit prekären Jobs mehr schlecht als recht über Wasser halten können. Beinahe unmerklich ändert der Film während seiner geduldigen Erzählung ständig die Tonlagen. Lakonisch gespielte Milieuschilderungen, melodramatische Konfrontationen, nostalgische und zauberhaft irreale Fantasiesequenzen sind zu einem flirrenden Film konstelliert, der dabei stets Bodenhaftung behält. 1.11., 16 Uhr, Metro 46 CINEMA PORTUGUÊS (…)? P 1996, 56 Min, OmeU, Video R: Manuel Mozos Zum einhundertjährigen Jubiläum der ersten öffentlichen Filmvorführung (im Dezember 1895) versetzt Mozos die portugiesische Filmgeschichte in lebendige Schwingungen. Basierend auf geschickt in Fluss gehaltenen Interviews mit dem Filmhistoriker João Bénard da Costa erstellt sich ein spannendes Montage-Dispositiv. Ohne repräsentative Lautsprecherei blickt der Film auf das stets prekäre portugiesische Kino, seine Korrelationen und Spiegelungen, wiederkehrende Themen und Motive. Eine berührend intime Montage über den Zusammenhang von Film und Gesellschaft. mit den Ruinen verbunden sind: vom einstigen Gebrauch der Orte, vom verlebten Nutzen, vom abgelaufenen Funktionieren. Ein sanft melancholischer Essay über die Vergänglichkeit. 4.11., 13.30 Uhr, Urania UM PASSO, OUTRO PASSO E DEPOIS… (Step By Step) P 1989, 58 Min, OmeU, Video R: Manuel Mozos, D: Henrique Canto e Castro, Pedro Hestnes, Sandra Garcia, Carlos Ribeiro d’Almeida In Mozos erstem, knapp einstündigem Spielfilm findet sich der ältliche, steif wirkende Hausmeister eines Gymnasiums urplötzlich inmitten seltsamer, von einer Schülergruppe initiierter Beziehungs-Vorfälle, die die Routinen seines Lebens von einem Tag auf den anderen in unsichere Zustände versetzen. Die 24 Stunden, von denen die Erzählung handelt, sind in der für Mozos typischen Mischung aus lakonischem Realismus und poetischen Ellipsen inszeniert. 2.11., 18 Uhr, Stadtkino XAVIER P 1991/2002, 96 Min, OmeU R: Manuel Mozos, D: Pedro Hestnes, Cristina Carvalhal, Sandra Faleiro, José Meireles 4.11., 15.30 Uhr, Stadtkino RUÍNAS (Ruins) P 2009, 60 Min, OmeU, Video R: Manuel Mozos In fragmentierten, statischen Einstellungen wird in verschiedenen Regionen Portugals – von Vila do Conde über Lissabon bis nach Porto – dem Eigenleben leerer, verlassener Gebäude nachgespürt: Wohnhäuser, Fabriken, Kinos, Theater, Kirchen, Geschäfte, Industrieanlagen, Bahnhöfe, Kraftwerke. Aus dem Off sprechen Stimmen von alten Geschichten, die Mozos erster Langfilm, der 1991 gedreht, aber wegen finanzieller Schwierigkeiten erst 2002 fertig gestellt und uraufgeführt wurde. Inmitten fragiler Lissaboner Milieus erzählt sich die emotionale Passage eines Mannes, der als Kind von seiner Mutter zur Adoption freigegeben wurde, und nun auf der Suche danach ist, den Kontakt zu ihr, aber auch zum Rest seiner Welt aufrecht- V12_PG_Kern:V_PG 11.10.2012 zuerhalten. Ein Film voller tastender Bewegungen ohne Zentrum, von denen ein somnambuler Drift ausgeht. 3.11., 21 Uhr, Metro 6.11., 13 Uhr, Stadtkino CARTE BLANCHE FÜR MANUEL MOZOS BELARMINO P 1964, 72 Min, OmeU R: Fernando Lopes Belarmino Fragoso (1931–82) war ein Federgewichtler auf dem Weg nach Europa. Leben allerdings konnte er vom Boxen kaum: Sein Grundauskommen hatte er als Kolorist von Bildern. Fragoso spielt sich selbst in BELARMINO; genauer gesagt: Er gibt jenen Belarmino, den Fernando Lopes – zu Recht, wie die Dekaden zeigten – für zeitgültig hielt. Der Film ist ein Gewebe aus Beobachtungen, Szenenskizzen; die Geschichte von einem Betrug und zwei verlorenen Kämpfen nicht mehr als ein Vorwand, um das Estade-Novo-Lissabon mit seinen allseitig sichtbaren Widersprüchen zu zeigen. Ein zentrales Werk des 1960er-Jahre-Kinos, das außerhalb Portugals jedoch kaum bekannt ist. 4.11., 11 Uhr, Künstlerhaus 10:47 Uhr Seite 47 Das alles als Reflexion über die verlorenen oder verschleuderten Versprechungen des Jahres 1974. Ein Paradestück der portugiesischen Kinomoderne, realisiert von ihrem vielleicht größten Unvollendeten. 5.11., 16 Uhr, Metro 7.11., 11 Uhr, Metro RECORDAÇÕES DA CASA AMARELA (Recollections of the Yellow House) P 1989, 115 Min, OmeU R: João César Monteiro, D: João César Monteiro, Manuela de Freitas, Ruy Furtado, Teresa Calado João de Deus hat drei Obsessionen im Leben: Die Musik Schuberts und Mozarts, das Spiel Benficas und die Schamhaare der Vermieterstochter. Nachdem er Letztere zu vergewaltigen versuchte, findet er sich auf der Straße wieder … João de Deus ist ein professioneller Provokateur und Freischärler des Freidenkertums, der nur den dubiosesten Geistern huldigt und alles tut, damit man ihn hassen muss, es dann aber nicht kann, weil man weiß, wie unerträglich die Welt wäre ohne seine Gemeinheiten und Garstigkeiten. João César Monteiro gab diesen anarchisch-sardonischen Schalk, den alle für sein Alter Ego halten sollten, über mehrere, immer irrwitzigere Werke hinweg und wurde so zu einem monstre sacré des Weltkinos. 2.11., 11 Uhr, Metro 7.11., 16 Uhr, Metro TRÁS-OS-MONTES P 1976, 111 Min, OmeU R: António Reis, Margarida Cordeiro D: Albino S. Pedro, Carlos Margarido, Mariana Margarido, Luis Ferreira O BOBO P 1987, 123 Min, OmeU R: José Álvaro de Morais, D: Luís Lucas, Fernando Heitor, Paula Guedes, Carlos Farinha Lissabon, 1978: João war ganz vorn an der Front des Fortschritts bei der Nelkenrevolution – nur um danach alle Illusionen zu verlieren. Francisco wiederum erarbeitet gerade das Theaterstück O bobo, in dem es um den ersten König Portugals, das Werden und Schicksal der Nation geht. Dann wird João ermordet … Ein Vexierspiel, in dem sich eine bühnenhaft gestaltete Realität und eine wie dokumentarisch aufgezeichnete Theaterarbeit ständig gegenseitig befragen, hinterfragen, in Frage stellen. siert über mehrere Jahre hinweg vor Ort mit Laien, die für Reis und Cordeiro Anekdoten zum Besten gaben aus ihren eigenen Leben und/oder denen ihnen Nahestehender. Ein ganz außerordentlicher Hybrid aus Spiel- und Dokumentarfilm, extrem elliptisch, fragmentarisch in seinem Bau, von ungeheuerlicher visueller Schönheit und seltener Sanftmut, Gnade. Am Ende gibt es sogar Hoffnung. 1.11., 13.30 Uhr, Künstlerhaus OS VERDES ANOS (The Green Years) P 1963, 87 Min, OmeU R: Paulo Rocha, D: Rui Gomes, Isabel Ruth, Ruy Furtado, Paulo Renato Júlio, neunzehn Jahre alt, kommt vom Land in die Stadt. Im Portugal jener Zeit bedeutete das: Er wird von einem Jahrhundert in das nächste geschleudert – die rurale Rückständigkeit und Armut damals sind kaum mehr vorstellbar, Lissabon und Porto wirkten wie Blasen, Erscheinungen einer anderen Zivilisation. Júlio verkraftet diese Erfahrung nicht … Paulo Rochas OS VERDES ANOS gilt gemeinhin als Beginn des portugiesischen Kinoaufbruchs der 1960er Jahre: als erster Spielfilm, der die Wirklichkeit des faschistischen Landes in ihrer ganzen Gewöhnlichkeit widerspiegelt. Manuel Mozos’ XAVIER versteht sich als eine Anknüpfung an diesen Meilenstein, auch um davon zu sprechen, was sich alles nicht wirklich verändert hat. 2.11., 13.30 Uhr, Künstlerhaus Trás-os-Montes ist eine Region im Norden Portugals. Nach der Nelkenrevolution, als man begann, sich Gedanken darüber zu machen, wofür das Land nun eigentlich stehen soll, gingen viele Künstler in diesem zurückgebliebenen Winkel auf die Suche nach den Wurzeln ihrer zukünftigen Kultur. Das Werk, das blieb, war TRÁS-OS-MONTES, reali47 V12_PG_Kern:V_PG 11.10.2012 10:47 Uhr Seite 48 Special Programs THEY WANTED TO SEE SOMETHING DIFFERENT Eine kleine Geschichte des Unheimlichen «They wanted to see something different, but something different saw them first!» Mit diesen markigen Worten beginnt der Trailer des kleinen, ruppigen Horror-Films THE HILLS HAVE EYES. Der reißerische Spruch bringt die Sache mit dem Kino des Abseitigen wunderbar pragmatisch auf den Punkt. Es ist unsere unstillbare Lust auf das Außergewöhnliche, das Andere, die uns immer wieder zum Verhängnis wird. Es ist unsere unermüdliche Suche nach ALIEN der vermeintlichen Wahrheit, mit der wir unser Unglück immer wieder heraufbeschwören. In unserer fortwährenden Ruhelosigkeit sind wir nur zu bereit, Grenzen zu überschreiten. Zumindest im Kino. Wir fühlen uns sicher in der Anonymität des Publikums und in der Enge des Kinosessels. Und werden immer wieder kalt erwischt. Unsere latente Angst vor dem Unbekannten, diesem «Something», die auch immer die Angst vor dem eigenen Tod ist, materialisiert und manifestiert sich auf der Leinwand in Form schrecklicher Monster, fremder Lebensformen, grotesker Mutationen oder als Bestie in Menschengestalt, die unsere Angst sichtbar werden lässt, damit wir in der Lage sind, sie zu bekämpfen. In Anwesenheit von Kurator Jörg Buttgereit. THE ACT OF SEEING WITH ONE’S OWN EYES USA 1971, 32 Min, stumm R: Stan Brakhage Experimentalfilmer Brakhage dokumentiert auf poetische Weise Obduktionen menschlicher Leichen. THE ACT OF SEEING WITH ONE’S OWN EYES ist der vielleicht erste Film, der uns erschreckend ungeschönt mit dem letzten Geheimnis, dem Tod, konfrontiert und uns die eigene Körperlichkeit bewusst macht. Der Titel ist abgeleitet vom griechischen Wort «Autopsie», das sich aus den Worten für «selbst» und «der Blick» oder «das Sehen» zusammensetzt. Mit FANTASTIC VOYAGE 31.10., 18.30 Uhr, Künstlerhaus 48 zum Mars. Dort bekommen sie es mit fleischfressenden Pflanzen, riesigen Spinnenfledermäusen mit Rattenköpfen, gigantischen Amöben und bösen Marsianern zu tun. Gedreht ist der Film in dem fragwürdigen «Kamerawunder Cinemagic», ein starker Rotfilter und Negativ-Effekt, der über alle Szenen auf dem Mars gelegt ist und wohl vor allem die aus heutiger Sicht allzu offensichtlichen Unzulänglichkeiten der billigen Spezialeffekte verschleiern sollte. Doch es sind gerade die handgemachten Gummi-Kreaturen, Monster-Marionetten und PappkartonLandschaften, die dieses ambitionierte SF-Spektakel zu einem ungekrönten Klassiker des Trivialkinos machen. 31.10., 23.30 Uhr, Künstlerhaus 7.11., 18.30 Uhr, Metro CANNIBAL HOLOCAUST I 1979, 95 Min, eF R: Ruggero Deodato, D: Robert Kerman, Francesca Ciardi, Perry Pirkanen, Luca Barbareschi ALIEN USA/GB 1979, 117 Min, OF R: Ridley Scott, D: Sigourney Weaver, Tom Skerritt, Ian Holm, John Hurt Auf einem fremden Planeten saugt sich ein spinnenartiges Geschöpf im Gesicht eines Astronauten fest. Sein Körper wird zur Brutstätte eines wurmartigen Wesens, das, zu einer biomechanischen Bestie herangewachsen, rücksichtslos die Besatzung des Weltraumfrachters Nostromo dezimiert. Der Bordandroide bezeichnet das Alien bewundernd als den perfekten Organismus. Zu sehen ist es jedoch so gut wie nie. Dafür spielt unsere Fantasie verrückt. Und Sigourney Weaver, hier am Anfang ihrer Karriere, schafft mit ihrer Lt. Ellen Ripley eine Ikone des SF-Films. 28.10., 24 Uhr, Gartenbaukino 5.11., 11 Uhr, Metro THE ANGRY RED PLANET (Weltraumschiff MR 1 gibt keine Antwort) USA 1959, 83 Min, dF R: Ib Melchior, D: Gerald Mohr, Nora Hayden, Les Tremayne, Jack Kruschen Drei Männer und eine Frau fliegen Eine Gruppe sensationshungriger amerikanischer Journalisten ist im Amazonas verschollen, wo sie einen Kannibalenstamm besuchen wollten, um spektakuläre Filmaufnahmen zu machen. Ein Anthropologe findet schließlich die Überreste dieses Teams und das von ihnen gedrehte Material. CANNIBAL HOLOCAUST besteht zum großen Teil aus eben diesem und ist tatsächlich so realistisch unappetitlich wie sein Titel und pure Exploitation. Deodato prangert scheinheilig an, was er selbst genüsslich zelebriert, und gerade deshalb ist sein Film eine immer noch hochaktuelle Reflexion über die Vermarktung drastischer Bilder durch heuchlerische Medien. 2.11., 23.30 Uhr, Künstlerhaus 6.11., 13.30 Uhr, Metro 11.10.2012 DELIVERANCE USA 1972, 109 Min, OF R: John Boorman, D: Jon Voight, Burt Reynolds, Ned Beatty, Ronny Cox Die vier Outdoor-Fanatiker Lewis, Ed, Bobby und Drew aus Atlanta wollen die gefürchteten Stromschnellen eines Flusses in Georgia mit dem Kanu bezwingen, bevor dieser in einen Stausee verwandelt wird. Doch schon bald rächt sich die vergewaltigte Natur in der Gestalt von ein paar Einheimischen an den hochmütigen City boys. Der zivilisationskritische und ungewöhnlich harte Abenteuerfilm machte den Schauspieler Burt Reynolds zum Star und diente als Steilvorlage für zahllose spätere Backwood-Horrorfilme. Er wurde 1973 in den Kategorien Bester Schnitt, Beste Regie und Bester Film für den Oscar nominiert, ging aber leer aus. 29.10., 13.30 Uhr, Metro 30.10., 23.30 Uhr, Künstlerhaus EIN MOMENT DER STILLE AM GRAB VON ED GEIN D 2012, 2 Min, kein Dialog, Video R: Jörg Buttgereit Der bizarre Fall des Ed Gein hat Ende der 1950er Jahre die USA schockiert und die Populärkultur bis heute entscheidend geprägt. Filme wie PSYCHO, THE TEXAS CHAIN SAW MASSACRE, DERANGED oder SILENCE OF THE LAMBS basieren auf den Taten des Grabräubers mit Mutterkomplex. Im Juli 2012 hat Jörg Buttgereit einen der Tatorte, den Friedhof in Plainfield in Wisconsin, besucht. Am Grab der Familie Gein hat er eine kleine Digitalkamera für knapp 2 Minuten laufen lassen. Hier liegt Ed an einer unmarkierten Stelle zwischen seiner geliebten Mutter Augusta und seinem Bruder Henry. Mit THE TEXAS CHAIN SAW MASSACRE 3.11., 1 Uhr, Gartenbaukino (Nacht auf 4.11.) 7.11., 21 Uhr, Künstlerhaus 10:47 Uhr Seite 49 FANTASTIC VOYAGE USA 1966, 100 Min, OF R: Richard Fleischer, D: Stephen Boyd, Raquel Welch, Edmond O’Brien, Donald Pleasence Ein russischer Wissenschaftler, der für die US-Regierung wichtige Informationen besitzt, wird Opfer eines Attentats und liegt im Koma. Daraufhin werden Ärzte auf Mikrobengröße eingeschrumpft und in einem U-Boot in seinen Blutkreislauf injiziert. Mit einer Laserkanone sollen sie ein Gerinnsel im Gehirn auflösen und so den Patienten retten. Doch schon bald bekommt es die Besatzung mit dessen abwehrfreudigem Immunsystem zu tun. Die gigantischen Reproduktionen vom menschlichen Herzen, Lunge und Gehirn, in denen die Schauspieler agieren, machen diesen Film zu einem wahrhaft außergewöhnlichen Seherlebnis. Mit THE ACT OF SEEING WITH ONE’S OWN EYES 31.10., 18.30 Uhr, Künstlerhaus 7.11., 23.30 Uhr, Urania THE HILLS HAVE EYES USA 1977, 89 Min, OF R: Wes Craven, D: Russ Grieve, Susan Lanier, Michael Berryman, Robert Houston Die Carters befinden sich auf einem Camping-Trip durch Kalifornien, als in einem von der Air Force als Atomversuchsgelände genutzten Wüstengebiet ihr Auto liegen bleibt. Ein alter Tankwart warnt sie: Sein Sohn sei ein mutiertes Monster und habe irgendwo hier in der Wüste mit einer verschleppten Frau eine Familie gegründet. In der Folge wird die typisch amerikanische Familie mit ihrem kannibalischen Zerrbild konfrontiert. Wie viele exploitative Horror-Filme der 1970er Jahre basiert auch dieser auf einer angeblich wahren Begebenheit. In der deutschen Fassung übrigens wurden aus den atomar verseuchten Mutanten außerirdische Menschenfresser. 1.11., 23 Uhr, Gartenbaukino 2.11., 13.30 Uhr, Metro MATANGO (Attack of the Mushroom People) Japan 1963, 89 Min, OmeU R: Honda Ishirô, D: Kubo Akira, Mizuno Kumi, Koizumi Hiroshi, Sahara Kenji Sieben Japaner auf einer schicken Segelyacht geraten in Seenot und © TOHO CO., LTD. V12_PG_Kern:V_PG stranden auf einer von Nebel umgebenen einsamen Insel. Sie finden ein Schiffswrack, in dem ein schimmeliger Pilzbelag wuchert. In einer Kabine befindet sich ein Labor, in dem offenbar die Auswirkung von Nuklearstrahlung auf Flora und Fauna untersucht wurde. Schon bald liegen die Nerven der Ausgehungerten blank, und die einst so Zivilisierten springen sich voller Missgunst gegenseitig an die Hälse. Die Frauen müssen sich gegen die Männer wehren, die ihre animalischen Instinkte nur schwer im Zaum halten können. Dann wird es Nacht und es erscheinen Gespenster … 5.11., 23.30 Uhr, Urania SOMETHING DIFFERENT – TRAILERSHOW 66 Min, OF und dF Da das Motto dieser Schau auf dem Werbespruch des Trailers von THE HILLS HAVE EYES basiert, ist es nur folgerichtig, sich einer geballten Ladung themenbezogener Filmvorschauen mit marktschreierischen Slogans auszusetzen. Zur Vorführung kommen zeitgenössische, überwiegend deutsche 35mm-Trailer aus Privatsammlungen, geordnet nach den drei Themenblöcken «Backwood Horrors/Bestie Mensch», «Fremde Welten» und «Creature Features». Aus «They wanted to see something different, but something different saw them first!» wird auf dem HÜGEL DER BLUTIGEN AUGEN dann «Sie suchten das Abenteuer fern von einer eigenen Welt. Doch eine andere Welt wurde ihnen zum Verhängnis». Der intensive Einsatz der Trailer in diversen Kinos hat Kratzer, Laufschrammen und Bildsprünge entstehen lassen. Den mechanisch geschundenen Filmstreifen sieht man ihr Alter an. Sie sind letzte Zeitzeugen der weltweit aussterbenden analogen Projektionstechnik in den Lichtspielhäusern. Freuen Sie sich auf ein kommentiertes, wahr49 V12_PG_Kern:V_PG 11.10.2012 10:47 Uhr Seite 50 Special Programs THE THING USA 1981, 109 Min, OF R: John Carpenter, D: Kurt Russell, Wilford Brimley, T. K. Carter, David Clennon TERRORE NELLO SPAZIO (Planet of the Vampires) I/E/USA 1965, 88 Min, iFmeU R: Mario Bava, D: Barry Sullivan, Norma Bengell, Ángel Aranda, Evi Marandi Von einer unheimlichen Gravitationsmacht wird das Raumschiff Argos gezwungen, auf dem nebelverhangenen Planeten Aura zu landen. Dort findet die Besatzung das verschollene Raumschiff Galliot und dessen auf grausame Weise getötete Crew. Die Astronauten müssen erkennen, dass Aura von körperlosen Außerirdischen bevölkert wird, die es auf ihre Körper abgesehen haben. Das italienische Low-Budget-Werk TERRORE NELLO SPAZIO ist inhaltlich und vor allem formal die heimliche Vorlage zu Ridley Scotts ALIEN und damit auch zum aktuellen ALIEN-Prequel PROMETHEUS. 1.11., 16 Uhr, Künstlerhaus THE TEXAS CHAIN SAW MASSACRE USA 1974, 83 Min, OF R: Tobe Hooper, D: Marilyn Burns, Gunnar Hansen, Allen Danziger, Paul A. Partain Eine Gruppe Jugendlicher wird bei einem Landausflug von einer kannibalischen Schlachterfamilie aufgegriffen. THE TEXAS CHAIN SAW MASSACRE bebildert auf drastische Weise die Vietnamkriegsängste der damaligen Jugend; die USA hatten sich in eine Mordmaschine verwandelt, die ihre Kinder abschlachtete. Dieser bis heute stilprägende, frühe Splatter-Klassiker basiert auf dem Fall des Mörders und Grabräubers Ed Gein. Hinter der Gesichtshautmaske des hühnenhaften Schlachters Leatherface verbirgt sich das unterdrückte Wesen eines einsamen Muttersöhnchens. Mit der Kettensäge als Phallussymbol brechen schließlich die unterdrückten Triebe in einem Befreiungsakt von brachialer Gewalt hervor. Mit EIN MOMENT DER STILLE AM GRAB VON ED GEIN 3.11., 1 Uhr, Gartenbaukino (Nacht auf 4.11.) 7.11., 21 Uhr, Künstlerhaus In der Arktis bekommt es ein Team von Wissenschaftlern mit einem parasitären Bodysnatcher zu tun, der sich in eine genaue Kopie jeder beliebigen anderen Existenzform verwandeln kann. Paranoia und Blutbad sind die Folgen. THE THING war 1982 ein Meilenstein des Spezialeffekt-Kinos und basiert auf dem gleichnamigen, wegweisenden SFKlassiker aus dem Jahr 1951. Der wiederum mit dem Konzept der Bedrohung durch «das Ding» die Invasionsängste des Kalten Krieges gestaltete. Es ist ein bösartiger Eindringling aus einer fremden Welt, ein Feind von Außen, der unsere Gesellschaft zu unterwandern und infizieren droht, bis wir niemandem mehr trauen können. 28.10., 16 Uhr, Metro 31.10., 23 Uhr, Gartenbaukino (mit THE THING FROM ANOTHER WORLD) GB 1958, 82 Min, OF R: Quentin Lawrence, D: Forrest Tucker, Laurence Payne, Jennifer Jayne, Janet Munro Als es in den Schweizer Alpen zu unerklärlichen Todesfällen kommt, will der Wissenschaftler Alan Brooks der Sache auf den Grund gehen. Auch die übernatürlich begabte Ann wird von der ungewöhnlichen Wolke angezogen, die sich nahe dem Ort Trollenberg festgesetzt hat. Schon bald müssen sie feststellen, dass sich in der Wolke ein riesiges Auge verbirgt, das die gesamte Menschheit bedroht. THE TROLLENBERG TERROR ist eine frühkindliche Seherfahrung des verdienten Genre-Regisseurs John Carpenter, der davon immer wieder heimliche Remakes gedreht hat. Etwa THE FOG mit seiner todbringenden Nebelwolke oder THE THING mit seinen schrecklichen Tentakelmonstern. 4.11., 23.30 Uhr, Urania UCHU DAIKAIJU GIRARA (The X from Outer Space) Japan 1967, 88 Min, OmeU R: Kazui Nihonmatsu, D: Toshiya Wazaki, Itoko Harada, Shinichi Yanagisawa, Keisuke Sonoi THE THING FROM ANOTHER WORLD USA 1951, 87 Min, OF R: Christian Nyby, D: Kenneth Tobey, Margaret Sheridan, Robert Cornthwaite, Douglas Spencer Wissenschaftler entdecken im Eis der Arktis ein abgestürztes UFO und unweit davon eine konservierte, außerirdische Lebensform, die sie in ihre Forschungsstation bringen. Dort taut sie auf, erwacht zu neuem Leben und greift die Forscher an. Wie Jahrzehnte später in ALIEN wird die Kreatur als perfekter Organismus charakterisiert, der nichts weiter als überleben und sich seiner neuen Umgebung anpassen will. «No pleasure, no pain, no emotion. Our superior in every way.» Zu sehen bekommt man das Ding, das in Wirklichkeit ein Pflanze zu sein scheint, nur schemenhaft. 28.10., 13.30 Uhr, Metro 31.10., 23 Uhr, Gartenbaukino (mit THE THING) 50 THE TROLLENBERG TERROR © SHOCHIKU haft sinnliches Seherlebnis. Filmriss nicht ausgeschlossen. 2.11., 16 Uhr, Künstlerhaus 6.11., 23 Uhr, Stadtkino Captain Sano und seine Crew sind auf dem Weg zum Mars. Sie werden von Ufos, die an fliegende Spiegeleier erinnern, angegriffen. Danach klebt an der Hülle des Raumschiffs eine eiförmige Substanz, die Sano an Bord holt. Zurück auf der Erde schlüpft aus dem Ei ein Monster und wächst auf stattliche 60 Meter Größe heran. Waffen werden eingesetzt. Ein Gegenmittel wird entwickelt. Groß ist die Zerstörung. Am Ende wird alles gut. Auf dem Höhepunkt der Monsterwelle in Japan versuchte die Produktionsfirma Shoshiku mit Girara, dem bizarren grünen Riesenhuhn aus dem Weltraum, Tohos beliebtem Godzilla Konkurrenz zu machen. 3.11., 16 Uhr, Künstlerhaus V12_PG_Kern:V_PG 11.10.2012 10:47 Uhr Seite 51 FIVE WOMEN Coleen Fitzgibbon / Narcisa Hirsch / Mati Diop / Kurdwin Ayub /Amy Seimetz Die spannendsten Programme eines Festivals sind die, die sich fast absichtslos zusammenfügen. Durch Zufälle und Ungleichzeitigkeiten wächst eine Auswahl an Filmen zusammen zu einem vorläufigen Ganzen. Einem Ganzen, das jeden Augenblick in seine eigensinnigen Momente zerfallen darf. «Five Women» verdankt sich einer solchen Auswahl. Die Arbeiten der argentinischen Avantgardistin Narcisa Hirsch, die in privater und souveräner Weise seit einem halben Jahrhundert eine eigene Geschichte des experimentellen Kinos buchstabiert, stehen neben den nur scheinbar verspielt anmutenden Miniaturen der jungen Österreicherin Kurdwin Ayub, die in ihrer Direktheit so verstörend sind wie lustig. Eine nahezu vergessene Vertreterin des amerikanischen experimental cinema der 1970er Jahre, Coleen Fitzgibbon, ist DIE Entdeckung dieser Reihe. Ihre Arbeiten – vom home movie bis zum seriellen und abstrakten Werk – stellen einen Kosmos des Kinos weit über das Avantgardistische hinaus dar. Schließlich eine amerikanische Schauspielerin, die eine radikale Filmemacherin ist, Amy Seimetz, bei der durch die Sanftheit der Figuren ein ungeheurer, physischer Horror flackert. Und nicht zuletzt Mati Diop, die französische Filmemacherin, von Claire Denis als Schauspielerin entdeckt, die ihre politisch-experimentelle Filmarbeit unbeirrt und sensibel zu einem kleinen Œuvre ohnegleichen entwickelt hat. In Anwesenheit von Kurdwin Ayub, Mati Diop, Coleen Fitzgibbon, Narcisa Hirsch und Amy Seimetz. COLEEN FITZGIBBON Filmmaker assoziative Sounddesign hechelt der redundanten HochgeschwindigkeitsMontage hinterher. Noch radikaler abstrahierte die spätere Mitgründerin des legendären «Collaborative Projects, Inc.» (Colab) bei einem Zwölfminuter aus 1974: »FM/TRCS is a study of image destruction and its subsequent effect on recognition and suggestion of new images.» (Fitzgibbon) Es folgten sozialkritische Arbeiten (LOWER EAST SIDE (LES), RICH AND POOR), und ein schönes Beispiel kongenialer Grobpixel-Ästhetik findet sich in X MAGAZINE BENEFIT (gemeinsam mit Alan W. Moore), in dem Fitzgibbon Auftritte von Bands mit sprechenden Namen wie «James Chance and the Contortions» buchstäblich underground festhielt. 26.10., 18.30 Uhr, Metro 27.10., 13.30 Uhr, Metro NARCISA HIRSCH Filmmaker X MAGAZINE BENEFIT USA 1978/2010, 12 Min, OF, Video R: Coleen Fitzgibbon, Alan W. Moore FM/TRCS USA 1974, 12 Min, kein Dialog R: Coleen Fitzgibbon © SHOCHIKU DER SPIEGEL FILME VON COLEEN FITZGIBBON (83 Min) USA 1975/2011, 10 Min, kein Dialog R: Coleen Fitzgibbon Irgendwie scheinen sie den Code der Welt entschlüsseln zu wollen, die fiebrig flackernden Filme DER SPIEGEL, DOCUMENT und DAILY NEWS von Coleen Fitzgibbon. Sie zählen zu den rigorosesten Experimentalfilmen nicht nur der 1970er Jahre: In gedruckten Schriftsätzen, in Über- USA 1976/2010, 11 Min, OF, Video R: Coleen Fitzgibbon RICH AND POOR LOWER EAST SIDE (LES) USA 1976/2011, 17 Min, OF, Video R: Coleen Fitzgibbon Argentinien 1972, 17 Min, kein Dialog TALLER Argentinien 1999, 27 Min, kein Dialog «I had to, like open the bruise up and let some of the bruise blood come out to show them»: COME OUT ist ein hypnotisch-poetischer Kommen- DAILY NEWS USA 1974–76/2008, 9 Min, OF, Video R: Coleen Fitzgibbon Argentinien 1971, 12 Min, eOF PATAGONIA RUMI USA 1974/2011, 5 Min, kein Dialog, Video R: Coleen Fitzgibbon DOCUMENT COME OUT Argentinien 1975, 10 Min, eOF TRIP TO CAROLEE USA 1977/2010, 7 Min, OF, Video R: X & Y (Coleen Fitzgibbon and Robin Winters) FILME VON NARCISA HIRSCH 1 (66 Min) DER SPIEGEL schriften, Zeitungsartikeln, Anzeigen, in der Körnung gedruckter Fotos scheinen sie nach einer neuen Begriffs- und Bildstruktur zu suchen. Die Kamera rückt den Zeichen gefährlich nahe, die Buchstaben werden porös wie das Filmmaterial, das PATAGONIA 51 V12_PG_Kern:V_PG 11.10.2012 10:47 Uhr Seite 52 Special Programs tar zu den «Harlem Riots» von 1964, im Zuge derer sechs Knaben wegen Mordes verhaftet wurden. Einer von ihnen, Daniel Hamm, war zusammengeschlagen worden und hatte sich für die Polizei eine Wunde am Bein geöffnet – weil er sonst nicht ins Spital gebracht worden wäre. Der von Narcisa Hirsch um ein Stück des Minimal Music-Pioniers Steve Reich gebaute Film führt auf verschwommenem Weg zu den Tatsachen. Rumi war ein Sufi-Poet des 13. Jahrhunderts, der in der moslemischen Welt für seine mystisch-erotischen Gedichte bekannt ist und dessen Grab im türkischen Konya bis heute das Ziel von Pilgerreisen ist. Seine Texte interpretiert Hirsch in szenischen Schleifen, auf unnachahmlich freie, musikalisch meditative, symbolmächtige und keiner Logik außer dem Wechsel der Jahreszeiten verpflichtete Weise. RUMI zeigt eindrucksvoll die breite, verfließende ästhetische Palette der Künstlerin. 28.10., 18.30 Uhr, Metro 30.10., 11 Uhr, Metro aber vereint werden im Blick des Zuschauers.» (Diego Trerotola) AMAZONA trägt die Verbindung schon durch den Bindestrich im Titel. Basierend auf dem Mythos, wonach Amazonen sich die Brust abschneiden, um besser den Bogen spannen zu können, montiert Hirsch Szenen, die nur auf den ersten Blick wenig miteinander zu tun haben. Die Liebes-Zone wird zur Kampf-Zone wird zur Todes-Zone – und plötzlich fliegt, in seitenverkehrter Verlangsamung, ein Skispringer durchs Bild. In A-DIOS greift Hirsch, unter gleichso großzügigem Einsatz von Streichinstrumenten, wieder im Wechsel von Farbe und Schwarzweiß, abermals ihr Grundthema von Eros und Thanatos auf. Warum wohl wird hier ein Frosch gekreuzigt? EL ALEPH zitiert die gleichnamige Kurzgeschichte von Jorge Luis Borges via Voice over und hätte das Zeug zum Viennale-Trailer: das ganze Leben in einer Minute. 31.10., 18 Uhr, Stadtkino 2.11., 13 Uhr, Stadtkino FILME VON NARCISA HIRSCH 2 (77 Min) MATI DIOP AÍDA Filmmaker/Actress Argentinien 1976/2012, 7 Min, kein Dialog, Video BIG IN VIETNAM jährige, in Paris lebende Filmemacherin und Schauspielerin Mati Diop befragt in ihren Filmgedichten die Grenzen zwischen Kunst und Leben, zwischen Heimat und der Erinnerung daran, zwischen Mythos und Geschichte. Ob in Form einer stimmungsvollen Parabel wie ATLANTIQUES oder ob als feinfühlig-fieser Coming-of-age-Film wie SNOW CANON, in dem ein Teenager sich in der Isolation der französischen Alpen in die amerikanische Babysitterin verliebt: Mit außerordentlichem cinematografischen Verständnis und fast magischer Sensitivität verhandelt Diop interkulturelle Themen und Generationsunterschiede. 6.11., 21 Uhr, Künstlerhaus 35 RHUMS F/D 2008, 100 Min, OmdU R: Claire Denis, D: Alex Descas, Mati Diop, Grégoire Colin, Nicole Dogué MUJERES Argentinien 1985, 25 Min, kein Dialog, Video TESTAMENTO Y VIDA INTERIOR Argentinien 1976/2001, 11 Min, kein Dialog, Video AMA-ZONA Argentinien 1983/2001, 11 Min, kein Dialog, Video A-DIOS Argentinien 1989, 22 Min, kein Dialog, Video EL ALEPH Argentinien 2005, 1 Min, OF, Video FILME VON MATI DIOP (76 Min) ATLANTIQUES Senegal/F 2009, 15 Min, OmeU, Video SNOW CANON F 2011, 33 Min, OmeU BIG IN VIETNAM TESTAMENTO Y VIDA INTERIOR In ihren Filmgedichten transformiert die Allround-Künstlerin Narcisa Hirsch heterogene Ideen und Formen, Genres und Gegensätze zu einer singulären Vision. «Verschiedene Verbindungen erschaffen Universen, die einander gegenübergestellt hätten werden können, stattdessen 52 F 2011, 28 Min, OmeU BIG IN VIETNAM: Eine auf Sensualität basierende Version von «Les Liaisons dangereuses» will die vietnamesische Regisseurin Henriette in einem Wald bei Marseille filmen, doch dann kommt der Produktion der Darsteller des Vicomte de Valmont abhanden. Während ihr assistierender Sohn Mike und die Crew hilflos weiterarbeiten, lernt Henriette beim Streifen durch die Stadt einen interessanten Mann kennen und erfährt dessen Lebensgeschichte. Die 30- Lionel stammt aus Guadeloupe. Er arbeitet als Zugführer und lebt mit seiner Tochter Joséphine (Mati Diop) in einer Pariser Vorstadt. Joséphine ist erwachsen geworden, Lionel gewöhnt sich allmählich an den Gedanken, sie loszulassen. Nicht die Ereignisse, sondern die Bilder prägen das Narrativ von 35 RHUMS, der an keiner Stelle das Klischee des von Armut und Kriminalität bestimmten Migrantenlebens bedient. Und doch gelingt es Denis, in dieser Geschichte einer sich verändernden Vater-Tochter-Bindung auch vom ewigen Fremdbleiben zu erzählen und von den Wurzeln, die einen festhalten und nähren. 7.11., 13.30 Uhr, Metro V12_PG_Kern:V_PG 11.10.2012 KURDWIN AYUB Filmmaker FILME VON KURDWIN AYUB (60 Min) 10:47 Uhr Seite 53 nen und in Wien aufgewachsenen Filmemacherin. Auch in ADELE1 etwa geht es um einen Ex-Freund: Die Künstlerin bemüht sich, in privat wirkendem Setting den Love-Song «Someone like you» von Adele zu interpretieren, bis sie – von Traurigkeit überwältigt – verstummt. Die Assoziation mit youtube nutzt Ayub dabei als Affektverstärker. «Immer wieder kippt das Ganze jedoch in eine ironische Persiflage, die das Potenzial der Plattform jenseits einer Schaubühne für Privates befragt.» (Christa Benzer) 27.10., 18.30 Uhr, Künstlerhaus KATZENHIMMEL (CAT HEAVEN) AMY SEIMETZ ADELE1 Actress/Filmmaker A 2012, 12 Min, OmeU, Video A 2012, 5 Min, OmeU, Video KATZENJAMMER (CAT POWER) A 2012, 5 Min, OmeU, Video HASENZAHN (RABBIT TOOTH) A 2012, 4 Min, OmeU, Video LANGSAM REITEN COWBOY (SLOW RIDE) A 2011, 2 Min, kein Dialog, Video SCHNEIDEREI (ABSCISSION) A 2011, 5 Min, OmeU, Video SOMMERURLAUB (SUMMER HOLIDAY) A 2011, 4 Min, kein Dialog, Video FAMILIENURLAUB (SZENEN 1–17) (FAMILY HOLIDAYS (SCENES 1–17)) A 2012, 23 Min, OmeU, Video SOMMERURLAUB «Ich hab noch immer dieselben Haare, und ich trag noch immer Lippenstift, und ich hab noch immer dieselben Beine.» Mit diesen Worten versucht eine junge Frau, sich in Reizwäsche zwischen Animal-PrintPölstern auf ihrem Bett räkelnd, ihren Freund zurückzugewinnen. KATZENJAMMER, wie die meisten Video-Miniaturen von Kurdwin Ayub im «youtube-Style» direkt in die Kamera performt, spielt so erfrischend wie mitunter herzzerreißend mit Erwartungshaltungen, Rollenzuweisungen und Genderklischees. Die Empfindsamkeit junger Frauen und Mädchen, Einsamkeit, Beziehung und Liebeskummer sind ein Schwerpunkt in den doppelbödigen Arbeiten der 22-jährigen, im Irak gebore- BLACK DRAGON CANYON USA 2005, 52 Min, OF, V R: Jay Keitel, D: Amy Seimetz, Jason Joel Harris, Christine Kellogg Darrin, Michael Kelber In eisigem Schwarzweiß und grandiosem Cinemascope in den Bergen von Utah gefilmt, erzählt BLACK DRAGON CANYON die Fragmente einer Rachegeschichte: Eine junge Frau (Amy Seimetz) begibt sich auf die Suche nach dem Mörder ihrer Mutter und verliert sich in einer Verfolgung auf Leben und Tod – schweigsam, besessen und von ihrem eige- nen Untergang geradezu magisch angezogen. Das hohe Maß an Stilisierung, verbunden mit der Lakonie und Verzweiflung einer zu Ende gehenden Geschichte gemahnt an die surrealen Westernerzählungen von Monte Hellman und lässt wie dieser Genregrenzen hinter sich. 6.11., 15.30 Uhr, Stadtkino SUN DON’T SHINE USA 2012, 82 Min, OF, Video R: Amy Seimetz, D: Kate Lyn Sheil, Kentucker Audley, A.J. Bowen, Kit Gwin In Filmen von Joe Swanberg, Jay Keitel oder Lena Dunham ist die Schauspielerin Amy Seimetz in den letzten Jahren sozusagen zum Star des amerikanischen Independent Cinema avanciert. Markenzeichen ihrer Figuren ist der Widerspruch zwischen ihrem zerbrechlichen Aussehen und ihrer physischen Direktheit und Präsenz. Mit SUN DON’T SHINE legt Seimetz nun einen extrem reduzierten und von untergründiger Bedrohung geprägten Debütfilm über ein junges Paar vor, das auf der Flucht zu sein scheint. Eine seltsame Bewegung, die sich nicht erklärt und dadurch noch auswegloser wird. Ein wenig Vincent Gallo, ein wenig Monte Hellman, aber sehr viel und sehr Eigenes von Amy Seimetz. Mit WHEN WE LIVED IN MIAMI 5.11., 21 Uhr, Künstlerhaus WHEN WE LIVED IN MIAMI R: Amy Seimetz USA 2012, 12 Min, OF, Video Die tobende Naturgewalt draußen macht den nur knapp unterdrückten Sturm im Inneren augenscheinlich. Hurrikan Isaac fegt durch Miami, während eine junge Mutter sich müht, ihre zerbrechende Ehe zu retten und vor ihrer ahnungslosen kleinen Tochter den Anschein häuslichen Glücks zu wahren. Auf eigenen Erfahrungen als Scheidungskind aufbauend, schafft Seimetz mit WHEN WE LIVED IN MIAMI eine einfache, doch eindringliche und kraftvolle Geschichte, die Anleihen nimmt sowohl bei der ungeschliffenen Emotionalität der Filme Cassavetes’ wie bei der leicht gegen die Realität verschobenen Unheimlichkeit der Fotografien Cindy Shermans. Mit SUN DON’T SHINE 5.11., 21 Uhr, Künstlerhaus 53 V12_PG_Kern:V_PG 11.10.2012 10:47 Uhr Seite 54 Special Programs FOTO: JOERG BURGER THAT’S WOLF Zum 100. Geburtstag des Fotografen und Kameramanns Wolf Suschitzky Wolf Suschitzky wurde 1912 in Wien geboren. Er studierte Fotografie und emigrierte 1934 unter dem Eindruck des Austrofaschismus nach England. Während in Wien das Verlagshaus der Eltern «arisiert« wurde, fotografierte Suschitzky in London die Straße der Buchhandlungen: Heute gilt seine «Charing Cross Road Series» als Meilenstein der britischen Reportagefotografie – 1938 ebnete sie ihm den Weg zum Film. Er habe sich nie als Künstler gesehen, meint Suschitzky bescheiden. Doch mit seinem handwerklichen Können, seinem Einfallsreichtum und nicht zuletzt mit seinem Humor hat er Schönheit in den Dokumentarfilm und dokumentarische Genauigkeit in den Spielfilm gebracht. Am Beispiel seiner Karriere ließe sich eine Geschichte des britischen Kinos des 20. Jahrhunderts erzählen. Eine gemeinsame Veranstaltung mit Synema. In Anwesenheit von Wolf Suschitzky. SNOW GB 1963, 8 Min, OF R: Geoffrey Jones «The Rhythm of Film» heißt eine vom British Film Institute herausgebrachte DVD mit den Werken von Geoffrey Jones. Ganz besonders gilt dieses Motto für den zügigen Avantgardefilm SNOW: Die Mühen der Eisenbahnbediensteten im briti- schen Winter kontrastiert Jones mit den Annehmlichkeiten der Reisenden. Dabei montiert er das von Wolf Suschitzky fotografierte Material nach dem Rhythmus jazzig beschwingter Musik und lässt sein «Rail Movie» bis hin zu einem wilden Schlagzeug-Finale zum Crescendo anschwellen. Vielfach prämiert und 1965 für den Oscar nominiert. GET CARTER GB 1971, 112 Min, OmdU R: Mike Hodges, D: Michael Caine, Ian Hendry, Britt Ekland, John Osborne Es dauert eine Weile, aber dann ist der Body Count erklecklich in Mike Hodges’ düsterem Thriller GET CARTER, einem Klassiker des britischen Gangsterfilms. Caine spielt eine seiner unsympathischsten Rollen als kühler Londoner Killer Jack Carter, der im heruntergekommenen Norden Englands dem mysteriösen Tod seines Bruders nachgeht und dabei in seiner Heimatstadt Newcastle auf eine schäbige Unterwelt voller schmieriger Intrigen stößt. Und auch wenn Carter auf einer Zugfahrt den Hardboiled-Krimi «Farewell, My Lovely» liest, geht ihm die moralische Integrität von Raymond Chandlers Helden doch völlig ab – anstelle von Noir-Stilisierung inszeniert Hodges ein Stück bitteren Realismus. 3.11., 21 Uhr, Künstlerhaus MONUMENT FILM Ein Abend mit Peter Kubelka Im Mai 1960 schockte Peter Kubelka das Wiener Publikum mit sechseinhalb Minuten audiovisueller, scheinbarer Anarchie: Sein Experimentalfilm ARNULF RAINER erforscht die vier Elemente des Kinematografischen – Licht, Dunkelheit, Ton, Stille – und «ist eine Gegenmaßnahme zum dominierenden emotionalen Bewegungsbild» (Jonas Mekas), «feiert die Entmachtung der Kamera als Film generierende Maschine» (Stefan Grissemann), «hat die rohe, primitive Kraft eines Naturereignisses« (Fred Camper). Inzwischen muss Kubelka, eine der zentralen Figuren des Avantgardefilms, niemandem mehr die Relevanz seiner Arbeiten beweisen. Damals aber hatte sich am Ende der Vorführung das bis auf den letzten Platz besetzte Kino nahezu geleert. Wegen ARNULF RAINER, erinnert sich Ku54 belka, habe er die meisten seiner Freunde verloren. Die kraftvolle Wirkung seines mit dem Wesentlichen befassten Filmstreifens hat Kubelka gleichwohl nicht vergessen und legt nun mit ANTIPHON die, im Wortsinn, Antwort auf ARNULF RAINER vor: Was vorher weiß war, wird schwarz, wo Ton war, kehrt Stille ein. Gemeinsam sind die beiden Filme Teil des Projektes «Monument Film», das aus den Formen «Projektion» und «Installation» besteht und folgendermaßen vorzustellen ist: Auf die Vorführung von ARNULF RAINER folgt die Vorführung von ANTIPHON, danach werden ARNULF RAINER und ANTIPHON in einer Doppelprojektion nebeneinander gezeigt und endlich aufeinander projiziert. Zur Filmvorführung gehört eine Ausstellung, in der die Filmstreifen von ARNULF RAINER und ANTIPHON in jeweils 128 gleich lange Streifen geschnitten, in rechteckiger und gleichmäßiger Form an Nägeln aufgehängt sind: links ARNULF RAINER, rechts gegenüber ANTIPHON, in der Mitte ergeben beide übereinandergelegt ein schwarzes Rechteck. «Monument Film» steht im Kontext der von Kubelka so bezeichneten «feindlichen Übernahme» analoger Kinotechnologie durch digitale Medien und sei zu verstehen als «Aufruf zu beharrlichem Widerstand». In Anwesenheit von Peter Kubelka. 27.10., 20.30 Uhr, Gartenbaukino V12_PG_Kern:V_PG 11.10.2012 10:47 Uhr Seite 55 50 JAHRE VIENNALE! Wir gratulieren sehr herzlich! KAMERA AB 9. NOVEMBER IM KINO REGIE V12_PG_Kern:V_PG 11.10.2012 10:47 Uhr Seite 56 Special Programs WIEN – MOSKAU Artur Berger und Gerbert Rappaport – Österreichische Filmarbeiter in der Sowjetunion EIN PROGRAMM DES FILMARCHIV AUSTRIA «Wien – Moskau» gibt einen ersten Einblick in das Forschungsprojekt «Österreichische Filmarbeiter in der Sowjetunion» des Filmarchiv-Austria. Dieses Projekt widmet sich zwei Wiener Filmpionieren, deren Biografien einerseits exemplarisch für das 20. Jahrhundert stehen, andererseits bis heute in der Öffentlichkeit weitgehend unbekannt sind. Artur Berger wird 1892 in einer jüdischen Familie in Wien geboren. Bis zu seiner Emigration nach Herbert Rappaport, Artur Berger Moskau 1936 arbeitet er als Filmarchitekt bei der Wiener Sascha-Film. Seine Wege kreuzen sich mit vielen, deren Namen noch heute den Klang von Meistern haben: Michael Kertész (= Curtiz), Alexander Korda, Otto Ludwig Preminger, Vsevolod Pudovkin, Ivan Pyr’ev oder Boris Barnet. Der als Herbert Otto Jacob Rappaport 1908 in Wien geborene Regisseur entstammte einer der hochangesehenen jüdischen Familien der Stadt. Sein Weg ins Exil hat viele Stationen: von Berlin aus nach Paris, über Hollywood, mit Zwischenstopp in Italien, schließlich nach Russland. 1936 nimmt Gerbert – wie er dort, da das Russische kein «H» kennt, heißt – Rappaport eine Einladung des Lenfil’m-Studios an und wird in der Sowjetunion über vierzig Jahre bleiben. Kuratiert von Petr Bagrov, Ruslana Berndl, Christian Dewald, Olaf Möller, Werner Michael Schwarz, Barbara Wurm. PROGRAMM 1 UBIJCY VYCHODJAT NA DOROGU (DIE MÖRDER MACHEN SICH AUF DEN WEG) UdSSR 1942, 60 Minuten, OmdU R: Vsevolod Pudovkin, Jurij Tarič gen würde. Ohne Schwierigkeiten konnte der Terror aber auch als Entlarvung der eigenen Verhältnisse gelesen werden. Einführung: Dewald/Schwarz 26.10., 21 Uhr, Metro PROGRAMM 2 SKAZANIE O ZEMLE SIBIRSKOJ (DAS LIED VON SIBIRIEN) UdSSR 1947, 110 Minuten, OmdU R: Ivan Pyr’ev Eine Studie über die Entfaltung des nationalsozialistischen Terrors im Privaten. Der Film, von Bert Brechts Drama Furcht und Elend des Dritten Reiches inspiriert, wurde von Pudovkin in Alma Ata realisiert. In die kasachische Hauptstadt waren im Herbst 1941 die Moskauer Studios vor den herannahenden deutschen Truppen evakuiert worden. Nach seiner Fertigstellung wurde DIE MÖRDER MACHEN SICH AUF DEN WEG allerdings verboten. Offiziell, weil er zu sehr Mitgefühl für die Opfer und zu wenig Hass auf die Täter erzeu56 Pyr‘ev hatte bereits in den 1930er Jahren die sowjetische Musikkomödie begründet, die mit Leichtigkeit, Witz und romantischem Dekor staatliche Ansprüche und privates Glück, altrussische Traditionen und sowjetische Modernisierung vereinte. Einführung: Dewald/Schwarz 27.10., 16 Uhr, Metro PROGRAMM 3 ANNUŠKA UdSSR 1959, 84 Minuten, OmdU R: Boris Barnet ANNUŠKA beginnt mit einer Erinnerung. An leuchtende Sommertage, in die der Krieg unvermittelt und todbringend einbricht. Der jungen Annuška stehen grausame Prüfungen bevor: der Tod des Mannes, eines Kindes, der Verlust des Zuhauses. Sie besteht sie, wird zurückkehren, ein neues Zuhause für sich und ihre Kinder bauen. Der Verlust und die Erinnerungen bleiben dennoch ständig gegenwärtig. Für den Eisenstein-Experten Naum Klejman ist Barnet mit seinen einfühlsamen Porträts einfacher Menschen ein Ufer des sowjetischen Kinos. Eisenstein das andere. Einführung: Dewald/Schwarz 29.10., 18.30 Uhr, Metro PROGRAMM 4 OPERACIJA «Y» I DRUGIE PRIKLJU ČENIJA ŠURIKA (OPERATION «Y» UND ANDERE ABENTEUER VON ŠURIK) UdSSR 1965, 91 Minuten, OmdU R: Leonid Gajdaj Wie in vielen Kriegsheimkehrerdramen dieser Zeit erhofft sich der Held, ein Pianist aus Moskau, Heilung durch ein Leben in Abgeschiedenheit und Einfachheit. Er zieht nach Sibirien, wo es für Entwurzelte wie ihn Platz und Aufgaben gibt. Ivan Šurik, angelehnt an die großen Stummfilmkomiker, ist ein schmächtiger, tollpatschiger, aber in den ent- V12_PG_Kern:V_PG 11.10.2012 scheidenden Momenten mutiger und gewitzter Held, der es meist – wie es nicht anders sein kann – mit wesentlich Stärkeren zu tun bekommt. Mit seinen in Russland bis heute beliebten Komödien zählte Leonid Gajdaj in den 1960er und 1970er Jahren zu den erfolgreichsten Regisseuren in der Sowjetunion. Der Witz bewegte sich immer am Rand des Erlaubten. In OPERATION «Y» ist es sogar möglich, sich über das heiligste Gebiet der staatlichen Fürsorge, den Wohnbau, lustig zu machen. Einführung: Dewald/Schwarz 30.10., 16 Uhr, Metro PROGRAMM 5 PROFESSOR MAMLOK UdSSR 1938, 104 Minuten, OmdU R: Gerbert Rappaport, Adol’f Minkin Rappaports Regie-Debüt, die Friedrich-Wolf-Adaption PROFESSOR MAMLOK, ist ein Anti-Nazi-Film und eine qualvoll analytische, nackt inszenierte Studie des Antisemitismus, in der sämtliche Abstufungen von Erniedrigung-Degradierung-Auslöschung in eisigem Schwarz-Weiß durchdekliniert werden. Einst Heimstätte des renommierten Chirurgen Mamlok wird die Klinik zum Hort des Spotts und der Entfremdung. Am Ende muss Mamlok gehen, um den Hals ein «Jude»-Schild. Einst glaubte er an Aufklärung, Forschung und liberale Werte, hatte mit den Kommunisten ein Problem, wich der Klassenfrage aus. Nun steht er der Rotzbande und ihrer «Rassentheorie» gegenüber. Im Buch nimmt er sich das Leben; der Film ruft zur Revolution. Rotfront! Einführung: Möller/Wurm 1.11., 18.30 Uhr, Metro 10:47 Uhr Seite 57 PROGRAMM 6 ŽIZN’ V CITADELI (LEBEN IN DER ZITADELLE) UdSSR 1947, 86 Minuten, OmdU R: Gerbert Rappaport spielen Fußball. Die ČASTUŠKI AUS PODDUBKI wiederum, freche SingSang-Reime frecher Kolchosenarbeiterinnen (auf ihren verbohrten Vorsitzenden zum Beispiel oder den Traktoristen Griša), werden von Laien dargeboten: Kolchosalltag im Leningrader Kirov-Palast der Kultur! Einführung: Möller/Wurm 4.11., 16 Uhr, Metro PROGRAMM 8 ČEREMUŠKI Über das Schicksal der Regisseure in der UdSSR der direkten Nachkriegsjahre weiß man nicht allzu viel. Rappaport jedenfalls wurde in die Estnische SSR geschickt, um in Tallinn das nationale Filmstudio aufzubauen. Vier Spielfilme drehte er dort, zunächst LEBEN IN DER ZITADELLE, der heute – insbesondere in Estland – als nicht ganz unproblematisch erachtet wird. Wie Mamlock will auch Professor Mijlas neutral sein – doch die Zeiten sprechen dagegen. Seine Söhne haben sich schon entschieden: der eine mordet auf der Seite der Nazis, der andere siegt mit der Roten Armee. Einführung: Möller/Wurm 3.11., 18.30 Uhr, Metro PROGRAMM 7 SON BOLEL’ŠČIKA (DER TRAUM EINES FUSSBALLFANS) UdSSR 1953, 4 Minuten, kein Dialog R: Gerbert Rappaport PODDUBENSKIE ČASTUŠKI (ČASTUŠKI AUS PODDUBKI) UdSSR 1957, 78 Minuten, OmdU R: Gerbert Rappaport UdSSR 1963, 90 Minuten, OmdU R: Gerbert Rappaport Die sechziger Jahre, so pastellfarben und glücksverheißend, wie sie Minelli und Demy nicht hätten perfekter zeichnen können. Rappaports Inszenierkunst, seine Genreverfeinerungen rund um das Musical, erreicht in ČEREMUŠKI, basierend auf Šostakovičs Operette Moskva, Čeremuški ihren Höhepunkt. Worum es konkret geht: Chruščevs großangelegtes Umkrempeln der Moskauer Wohnlandschaft, eine Riesenbaustelle, die sich peu à peu in eine (leicht imaginäre) Tanzfläche verwandelt, auf der die Menschen – junge reine Seelen, ältere bürokratisch verbaute Typen oder sehr durchschnittliche SowjetbürgerInnen – in einem ersungenen Delirium der Freude (aber auch des Zanks) baden. Im Film tauwettert es noch, draußen fröstelt es bereits. RealSoz, sehnsuchtsvoll. Einführung: Möller/Wurm 5.11., 18.30 Uhr, Metro Das durchgestaltete In- und Miteinander der Künste sollte die (post)stalinistische Gesellschaft einer einzigartigen Form der Kultur zuführen: einer, die den Unterschied von E/U, Hochkultur/Folklore, Stadt/Land oder jung/alt nicht kennt. Im kongenialen DER TRAUM EINES FUSSBALLFANS tanzen also Sportler Ballett oder umgekehrt: Volkstänzer 57 V12_PG_Kern:V_PG 11.10.2012 10:47 Uhr Seite 58 Retrospektive FRITZ LANG Mit Fritz Lang (geboren 1890 in Wien, gestorben 1976 in Beverly Hills) assoziiert man gemeinhin nicht nur den Monokel-tragenden Star-Regisseur von METROPOLIS, M und den DR. MABUSE-Filmen, sondern auch jenen Mann, dem Goebbels 1933 die Leitung der deutschen Filmproduktion angetragen hatte, und der daraufhin über Frankreich in die USA floh, wo er die nächsten 40 Jahre leben und – oft unter schwierigen Bedingungen – arbeiten sollte. Wie die Klassiker-Aura hängen über Langs Werk und Namen also ebenso verschiedene Geschichts-Nebel des 20. Jahrhunderts. Was Lang aus seinem deutschen Werk im amerikanischen – das mit 22 Filmen aus praktisch allen Genres größer ist – weiterentwickeln konnte (vieles) und was nicht (genauso vieles), ist das beredte und bewegende Zeugnis einer Künstler-Biografie, das zu sprechen beginnt, so man die Filme in direkter Nachbarschaft sieht. Solcherart lässt sich ein Klassiker für die heutige, schwierige Zeit gewinnen. Denn so wie Lang selbst gekämpft hat, stellt der Kampf auch eine Grundnotwendigkeit für seine Helden dar. Der junge Godard schrieb einmal, die exemplarische Situation beim «germanischsten aller amerikanischen» Regisseure sei diese: Einem normalen Menschen wird etwas genommen, das aus seinem Leben nie wegzudenken war. Nun muss er sein Schneckenhaus verlassen und auf eigene Rechnung Gerechtigkeit herstellen. «Wichtig ist nicht so sehr, ob er gewinnt», sagte Lang immer wieder, «sondern, DASS er den Kampf aufnimmt.» AMERICAN GUERRILLA IN THE PHILIPPINES USA 1950, 105 Min, OF D: Tyrone Power, Micheline Presle, Jack Elam, Bob Patten Pazifikkrieg 1942. Die amerikanische Besatzung eines Torpedobootes rettet sich auf eine der philippinischen Inseln. Zunächst nur darauf aus, möglichst bald wieder in den «richtigen» Krieg einzugreifen, schließen sie sich, beeindruckt von der philippinischen Widerstandsbewegung, der Guerilla gegen die japanischen Besatzer an. Gedreht an Originalschauplätzen und durch die Erzählerstimme aus dem Off mit quasidokumentarischem Einschlag, zeugt der Film von der Hochachtung Langs für jeglichen Kampf für Freiheit und Unabhängigkeit. 31.10., 16 Uhr, Filmmuseum 12.11., 18.30 Uhr, Filmmuseum BEYOND A REASONABLE DOUBT USA 1955/56, 80 Min, OF D: Dana Andrews, Joan Fontaine, Sidney Blackmer, Philip Bourneuf In dieser raffinierten Verkehrung eines gängigen Plots gibt sich der Schriftsteller Tom Garrett alle Mühe, 58 für einen Mord verurteilt zu werden, den er nicht begangen hat. Um zu beweisen, wie leicht in den USA ein Unschuldiger auf dem elektrischen Stuhl landet, konstruiert er mit seinem gegen die Todesstrafe engagierten, künftigen Schwiegervater eine perfekte Indizienreihe. Doch in der Todeszelle erfährt Tom vom Unfalltod seines einzigen Mitwissers, alles Entlastungsmaterial ist vernichtet. Seine letzte Hoffnung ruht nun auf seiner Verlobten. 25.10., 18.45 Uhr, Filmmuseum 10.11., 18.30 Uhr, Filmmuseum THE BIG HEAT USA 1953, 88 Min, OF D: Glenn Ford, Gloria Grahame, Jocelyn Brando, Alexander Scourby Das korrupte Gespinst zwischen Mafia, Polizei und Regierung ist schier unentwirrbar geworden, die Brutalität, in Gestalt des von Lee Marvin verkörperten sadistischen Gangsters Vince Stone, hat einen unerhörten Grad erreicht. Selbst die Ermittlungen des rechtschaffenen Cops Bannion schlagen nach dem Mord an seiner Frau um in einen persönlichen Rachefeldzug. Das Etikett Film noir scheint hier fast untertrieben, und es sind Zweifel erlaubt, wie ernst am Ende der Sieg des Guten und die Entlarvung der Bösen zu nehmen sind. 20.10., 19.15 Uhr, Filmmuseum 4.11., 21 Uhr, Filmmuseum THE BLUE GARDENIA USA 1952/53, 90 Min, OmfU D: Anne Baxter, Richard Conte, Ann Sothern, Raymond Burr Nat King Coles «Blue Gardenia» ist der einschmeichelnde Titelsong dieses Film noir um die Telefonistin Norah, die unter Mordverdacht und damit in die Fänge der Polizei wie auch der sensationslüsternen Presse gerät. Dagegen ist die Tat selbst, der Mord an einem skrupellosen Frauenhelden, bitterböse ironisch mit dem «Liebestod» aus Richard Wagners «Tristan und Isolde» unterlegt. Betont wird so, auch durch Details wie etwa Norahs loyaler FreundinnenWG, Langs Solidarität mit den Frauen in einer von Männermoral und -dominanz geprägten Gesellschaft. 29.10., 19.45 Uhr, Filmmuseum 11.11., 18.30 Uhr, Filmmuseum CLASH BY NIGHT USA 1951/52, 105 Min, OF D: Barbara Stanwyck, Paul Douglas, Robert Ryan, Marilyn Monroe Das Meer, Wellen, die ans Ufer schlagen, eröffnen den Film, doch der Eindruck von Freiheit täuscht. Mae kehrt nach einem misslungenen Leben in ihr heimatliches Fischerdorf zurück, heiratet, Halt suchend, den Fischer Jerry und kann doch V12_PG_Kern:V_PG 11.10.2012 10:47 Uhr Seite 59 CLASH BY NIGHT bald die Enge nicht mehr ertragen. Sie flieht, ohne von ihrer Liebe überzeugt zu sein, in eine Affäre. Der Film lebt von seiner bedrückend realistischen Atmosphäre und einer großartigen Barbara Stanwyck, die mit einer unnachahmlichen Mischung aus Sehnsucht und stoischem Sarkasmus aufwartet. 2.11., 18.30 Uhr, Filmmuseum 18.11., 18.30 Uhr, Filmmuseum CLOAK AND DAGGER USA 1946, 104 Min, OF D: Gary Cooper, Lilli Palmer, Robert Alda, Vladimir Sokoloff In den letzten Kriegsjahren wird ein amerikanischer Physiker (Gary Cooper) vom Geheimdienst angeworben, um mehr über die Atombombenpläne der Nazis herauszufinden und einen italienischen Wissenschaftler zu befreien. Dabei verliebt er sich in die Widerstandskämpferin Gina (die junge Lilli Palmer in einer ungewöhnlich starken Frauenrolle). Eine etwas konstruierte Spionagegeschichte, die neben Lang-typischer Licht- und Schattensetzung durch eine erstaunlich naturalistische und harte Darstellung von Gewalt beeindruckt. 5.11., 18.30 Uhr, Filmmuseum 19.11., 18.30 Uhr, Filmmuseum DR. MABUSE, DER SPIELER TEIL 1: DER GROSSE SPIELER. EIN BILD UNSERER ZEIT TEIL 2: INFERNO. EIN SPIEL VON MENSCHEN UNSERER ZEIT D 1921/22, 155 Min/115 Min, dZT D: Rudolf Klein-Rogge, Aud Egede Nissen, Gertrude Welcker, Alfred Abel des bösen Übermenschen. Entstanden nach der Vorlage eines Fortsetzungsromans eröffnet Lang mit DR. MABUSE das Kinozeitalter des Thrillers und Gangsterfilms und ordnet sich künstlerisch ein in den Übergang von Expressionismus und neuer Sachlichkeit. 25.10., 20.30 Uhr, Filmmuseum (Teil 1) 26.10., 18.30 Uhr, Filmmuseum (Teil 2) FRAU IM MOND D 1929, 185 Min, dZT D: Klaus Pohl, Willy Fritsch, Gustav von Wangenheim, Gerda Maurus Gold auf dem Mond? Das weckt Begehrlichkeiten. Und so müssen der freakige Professor und seine Mitstreiter (unter ihnen eine Frau!) die Rakete zum Mond mit einem goldgierigen Vertreter der turbokapitalistischen «Gehirne und Scheckbücher» teilen. Für Umsetzung und Ausstattung dieses genuinen Science-Fiction Films holte sich Lang Rat von Astrophysikern und Raketenforschern und entwirft neben der technischen eine damit verbundene soziale Utopie des Zusammengehens von «Kopf und Hand», Intellekt und Arbeit. 10.11., 20.15 Uhr, Filmmuseum FURY Langs Zweiteiler ist vor allem ein Spiegel der geistigen Verfassung seiner Zeit, einer Gesellschaft am Abgrund. Als Psychoanalytiker nutzt Mabuse seine hypnotischen Fähigkeiten, um Menschen in den Wahnsinn zu treiben und die Weltherrschaft zu erringen. Der Verkleidungskünstler, Falschspieler und Verführer entpuppt sich als Inbild USA 1936, 94 Min, OF D: Spencer Tracy, Sylvia Sidney, Walter Abel, Bruce Cabot Der harmlose Joe Wilson gerät in den Verdacht, ein Mädchen entführt zu haben, und wird von einem sich aufschaukelnden Mob beinahe gelyncht. Aber er überlebt und betreibt nun von Rache besessen aus seinem Versteck heraus die Verurteilung der 22 Rädelsführer wegen Mordes. Langs erster Film im amerikanischen Exil, eine Parabel auf den Juden verfolgenden Mob in Deutschland, geht zugleich frontal das in den USA viru- lente Problem der Lynchjustiz an – und kontrastiert sie mit der verfassungsmäßigen Rechtsstaatlichkeit der neuen Heimat. 21.10., 21 Uhr, Filmmuseum 3.11., 18.30 Uhr, Filmmuseum HANGMEN ALSO DIE! USA 1942/43, 135 Min, OF D: Brian Donlevy, Walter Brennan, Anna Lee, Gene Lockhart Langs «Kriegsbeitrag» gegen das faschistische Deutschland. Nach dem Mordanschlag auf Heydrich jagt die Gestapo den Attentäter. Die tschechische Widerstandsbewegung lenkt den Verdacht auf einen Kollaborateur. Der Film verhandelt Themen von Verschwörung und Vergeltung, fremder und eigener Schuld. Das Volk, auf der Seite des Gejagten, steht dem Staatsterroristen – einem Widergänger Dr. Mabuses – gegenüber. Gemimt werden die Nazis, Ironie des Schicksals, von Schauspielern, die vor eben jenen in die USA geflohen waren. 26.10., 16 Uhr, Filmmuseum 11.11., 20.15 Uhr, Filmmuseum HARAKIRI D 1919, 79 Min, dt. eingespr. D: Paul Biensfeldt, Lil Dagover, Georg John, Meinhart Maur Kulissen im Zoo Hagenbeck, Ausstattung durch ein völkerkundliches Museum: Diese Version der «Madame Butterfly» lässt nichts aus, um ein «authentisches» Japan zu bieten. 59 V12_PG_Kern:V_PG 11.10.2012 10:47 Uhr Seite 60 Retrospektive Thema des Films ist die Ehre der Frau; deren Gefährdung beziehungsweise deren Erhalt zuerst O-TakeSans Vater, dann diese selbst durch Harakiri zum Opfer fallen. Die Darstellung der brutalen Missachtung fremder Empfindung und Kultur durch den europäischen Offizier, der O-Take-San in den Tod treibt, sorgt überdies für einen unüberhörbaren antikolonialistischen Unterton. Mit DAS WANDERNDE BILD 4.11., 16 Uhr, Filmmuseum HOUSE BY THE RIVER USA 1949, 89 Min, OF D: Louis Hayward, Lee Bowman, Jane Wyatt, Dorothy Patrick Die Konstellationen und Stimmungen dieses Thrillers im Gewand der Jahrhundertwende wären sicher ebenso gut in einem Film noir untergebracht. Diesmal ist es der mäßig erfolgreiche Schriftsteller Stephen Byrne, der durch einen ersten Fehltritt in den unentrinnbaren Sog des Verbrechens gerät. Langs eher skeptische Einschätzung menschlicher Moralfähigkeit zeigt sich freilich darin, dass, verglichen mit ähnlichen Plots bei Hitchcock, der Held dieser Geschichte von Anfang an alles andere als ein unschuldig naiver Tropf ist. 25.10., 17 Uhr, Filmmuseum 8.11., 18.30 Uhr, Filmmuseum HUMAN DESIRE USA 1953/54, 91 Min, OF D: Glenn Ford, Gloria Grahame, Broderick Crawford, Edgar Buchanan Die Eisenbahn, Züge, Schienen spannen die metaphorische Bildebene für dieses Eifersuchtsmelodram. Jeff und Carl arbeiten bei der Bahn, zeitweise verbindet und trennt sie die Liebe zur selben Frau, zu Carls Frau Vicki. Jeff fährt die Züge, er bewegt sich, anfangs in die Stadt, am Ende hinaus. Carl und Vicki bleiben in ihren Leidenschaften, ihrem Hass und ihrer Schuld gefangen wie in den Zugabteilen, in denen die zwei Morde des Films passieren. Es gibt kein Aussteigen aus dem fahrenden 60 Zug, er folgt den Schienen unerbittlich bis zum Ende. 1.11., 21 Uhr, Filmmuseum 12.11., 20.30 Uhr, Filmmuseum DAS INDISCHE GRABMAL (siehe DER TIGER VON ESCHNAPUR, S. 62.) KÄMPFENDE HERZEN D 1920/21, 79 Min, dZT D: Carola Toelle, Hermann Böttcher, Ludwig Hartau, Anton Edthofer Tags ein angesehener Makler, frequentiert Harry Yquem des Nachts in Verkleidung anrüchige Spelunken und trifft sich mit Geldfälschern, Dieben und Hehlern. Als er dort einen vermeintlichen Liebhaber seiner Frau zu erkennen meint, nimmt ein actionreiches Verwirrspiel seinen Lauf. Dass die scheinbar getrennten Welten von rechtschaffenem Bürgertum, Gesetzeshütern und kriminellem Untergrund von verblüffend ähnlichen Strukturen und Regeln beherrscht sind, deutet sich hier bereits als ein politisches Grundthema Langs an. 1.11., 16 Uhr, Filmmuseum LILIOM F 1933/34, 117 Min, OmdU D: Charles Boyer, Madeleine Ozeray, Florelle, Robert Arnoux M D 1931, 110 Min, OF D: Peter Lorre, Ellen Widmann, Inge Landgut, Gustaf Gründgens Ein pathologischer Kindermörder löst in Berlin eine Massenhysterie aus und wird von Obrigkeit wie bestorganisierter Unterwelt gnadenlos gejagt. Peter Lorre beeindruckt als innerlich gespaltener, seinen kranken Trieben ausgelieferter Täter, der selbst zum Opfer wird. Langs erster Tonfilm ist ein Parforceritt durch die Genres mit zugleich formal strengem Konzept. Das erhitzte gesellschaftliche Klima am Vorabend des Nationalsozialismus im Hintergrund, weist er populistische Lynchjustiz zurück und kulminiert in einem Plädoyer für Rechtsstaatlichkeit. 19.10., 21 Uhr, Filmmuseum 7.11., 20.30 Uhr, Filmmuseum MAN HUNT USA 1941, 100 Min, OF D: Walter Pidgeon, Joan Bennett, George Sanders, John Carradine Thorndike, in Deutschland auf Jagdurlaub, hat die gefährlichste Beute der Welt im Visier, Adolf Hitler. Aber bevor er sein Gewehr laden kann, wird er festgenommen, gefoltert und schafft nur knapp die Flucht nach England. Dort sind die Nazis ihm weiter auf den Fersen, doch er entkommt erneut. Wochen später springt er als Soldat mit dem Fallschirm über Deutschland ab, diesmal wird sein Gewehr geladen sein. Von diesem vor Kriegseintritt der USA entstandenen Propagandafilm waren die auf Neutralität bedachten amerikanischen Behörden nur mäßig begeistert. 28.10., 18.30 Uhr, Filmmuseum 8.11., 20.30 Uhr, Filmmuseum Wunderbar leicht und märchenhaft und mit angemessener Ironie inszeniert Lang Ferenc Molnárs Bühnenstück vom Rummelkönig und Filou Liliom, der sich aus Scham über einen missglückten Coup das Leben nimmt. Doch die himmlische Bürokratie, die jedem Vergleich mit der irdischen standhält, gibt ihm auf Erden eine zweite Chance, die in guter alter Tradition an eine unerfüllbare Bedingung geknüpft ist. Als Liliom nach dem Scheitern schicksalergeben ins Jenseits zurückkehrt, hat die Liebe das Unmögliche vollbracht. 28.10., 16 Uhr, Filmmuseum 9.11., 20.30 Uhr, Filmmuseum METROPOLIS D 1926, 83 Min/149 Min, dZT D: Alfred Abel, Gustav Fröhlich, Rudolf Klein-Rogge, Fritz Rasp Mit einem weiblichen Homunkulus stachelt ein mad scientist die versklavten Arbeiter, die tief unter der Erde die Maschinen in Gang halten, gegen die ihrem genussreichen Leben frönenden Schönen und Reichen der Oberstadt auf. Die Utopie einer Versöhnung von «Kopf und Hand» verbunden mit einer grandios futuristischen Bildgestaltung und Architektur machten METROPOLIS zum Klassiker des Science-FictionKinos. Wenn man will, lassen sich in V12_PG_Kern:V_PG 11.10.2012 Langs meisterhafter Choreografie der Massenszenen überdies Anfänge des modernen Tanzes erkennen. 20.10., 17.30 Uhr, Filmmuseum (Moroder-Fassung 1984, 83 Min) 3.11., 20.30 Uhr, Filmmuseum (Restaurierte Fassung 2010, 149 Min) 10:47 Uhr Seite 61 DER MÜDE TOD D 1921, 105 Min, dZT D: Lil Dagover, Walter Janssen, Bernhard Goetzke, Hans Sternberg MINISTRY OF FEAR USA 1943/44, 87 Min, OF D: Ray Milland, Marjorie Reynolds, Carl Esmond, Dan Duryea Eine weitere Anti-Nazi-Propaganda Langs und eine filmische Umsetzung von Paranoia erster Güte. Kaum aus der Nervenheilanstalt entlassen, in die er zu Unrecht eingewiesen wurde, gerät Stephen Neale durch den harmlosen Gewinn einer Torte in einen Strudel von Verschwörung, Spionage und Geheimgesellschafterei, der keinen Stein seines gerade wiedergewonnenen Lebens in der Normalität auf dem anderen lässt. Mit eisigen Klauen herrscht die Angst; geradezu brachial herbeigeführt erscheint da das sonnige Happy End. 27.10., 16 Uhr, Filmmuseum 9.11., 18.30 Uhr, Filmmuseum MOONFLEET USA 1954/55, 87 Min, OF D: Stewart Granger, George Sanders, Joan Greenwood, Viveca Lindfors So zauberhaft vage wie der titelgebende Name des Dorfes, Moonfleet, so fantastisch sind die Abenteuer, die der 10-jährige John dort erlebt. Gemeinsam mit der in Moonfleet ansässigen, pittoresken Schmugglerbande sowie deren elegantem Anführer Jeremy Fox, in dessen Hände die sterbende Mutter John befohlen hatte. In der Kulisse eines eher legendenhaften denn historisch-realistischen England des 18. Jahrhunderts erzählt Lang die sinnbildliche Geschichte einer Kindheit im Übergang zum so genannten Ernst des Lebens. Auch John wird diesem am Ende nicht entgehen. 18.10., 21 Uhr, Filmmuseum 29.11., 18.30 Uhr, Filmmuseum gemusterten Gewändern. Mit anderen Worten: Langs Genialität erweist sich weniger in der Erzählung nationaler Mythen, denn in seiner absoluten Meisterschaft cineastischer Schauwerte, denen sich der Zuschauer auch 90 Jahre später gerne für ein paar Stunden überlässt. 27.10., 18 Uhr, Filmmuseum (Teil 1) 27.10., 21 Uhr, Filmmuseum (Teil 2) RANCHO NOTORIOUS Der Tod, eine expressionistische Gestalt in Künstlermantel und -hut, ist seines Geschäfts so müde, dass die junge Frau ihn leicht überredet: Sie darf ihren toten Geliebten wiedersehen, wenn sie ein anderes Leben retten kann. Ihre drei Versuche – märchenhaft üppig in Szene gesetzt – führen sie in den Orient, ins alte Venedig und ins kaiserliche China, doch keinen der dort je drohenden, gewaltsamen Tode kann sie verhindern. Auch die Elenden und Todgeweihten, die sie daraufhin anfleht, wollen ihr Leben nicht hergeben. Erst mit einem spontanen, selbstbestimmten Opfer erfüllt sich der Wunsch. 18.10., 19 Uhr, Filmmuseum DIE NIBELUNGEN TEIL 1: SIEGFRIED TEIL 2: KRIEMHILDS RACHE D 1922/24, 149 Min/130 Min, dZT D: Gertrud Arnold, Margarete Schön, Hanna Ralph, Paul Richter Die Widmung «Dem deutschen Volke zu eigen» lässt Nationalideologisches in einem Maße erwarten, in dem es nicht eingelöst wird. Denn so sehr es in diesem Film um Mythisches geht, um Treue, Gier, Verrat und Rache, so wenig ist, zumal angesichts des sinnlosen gegenseitigen Abschlachtens am Ende, ernsthaft nationalheroisches Kapital daraus zu schlagen. Der Ideologieverdacht mag denn eher in der monumentalen Ästhetik ein Indiz finden. Alles erscheint in großartiger Weise überdimensioniert. Kleine Menschen verlieren sich in himmelhohen Gebäuden und auf meterhohen Thronen, der Wald besteht aus Mammutbäumen, selbst das Licht strahlt in übermenschlichen Dimensionen. Kostüme und Ausstattung changieren zwischen einer imaginierten germanischen Sagenwelt und dem Stil mittelalterlicher Miniaturen mit ihren fantastischen Ritterrüstungen, monströsen Helmen und plakativ USA 1951, 89 Min, OF D: Marlene Dietrich, Arthur Kennedy, Mel Ferrer, Gloria Henry Marlene Dietrich betreibt als ehemalige Bardame und Sängerin Altar Keane in diesem Abschied Langs vom Westerngenre das Outlaw-Versteck, in dem der Cowboy Vern Haskell den Mörder seiner Verlobten sucht. Unüberbietbar lässig die Kippe im Mundwinkel, im aufreizenden Saloon-Kleid oder im CowboyOutfit ist sie die unhinterfragte Herrscherin in ihrem Reich. Nur ihr Blick, enigmatisch wie stets, vermittelt eine Ahnung von Daseins-Müdigkeit und der nicht erloschenen Sehnsucht nach der einen Liebe, für die sich das Opfer lohnen wird. 31.10., 21.15 Uhr, Filmmuseum 25.11., 18.45 Uhr, Filmmuseum THE RETURN OF FRANK JAMES USA 1940, 92 Min, OF D: Henry Fonda, Gene Tierney, Jackie Cooper Der Western, das wusste Lang, ist die mythische Erzählung Nordamerikas, und so gilt sein erster Versuch in diesem Genre – darin dem Nibelungenfilm nicht unähnlich – einer Geschichte von Treue, Verrat und Rache. Dass zugleich Themen wie Korruption der Justiz, Pressefreiheit und die Machtinteressen des Kapitals (verkörpert durch die skrupellose Eisenbahngesellschaft) gegenüber dem Einzelnen verhandelt werden, ist ein Beweis mehr für die Fähigkeit des Regisseurs, aus jedem Stoff das politisch Virulente herauszufiltern. 4.11., 18.45 Uhr, Filmmuseum 25.11., 17 Uhr, Filmmuseum SCARLET STREET USA 1945, 102 Min, OmfU D: Edward G. Robinson, Joan Bennett, Dan Duryea, Margaret Lindsay Einmal im Leben spielt Christopher Cross den Helden und schützt eine Frau vor einem Schläger, doch ge61 V12_PG_Kern:V_PG 11.10.2012 10:47 Uhr Seite 62 Retrospektive lohnt wird ihm dies nicht. Vielmehr rutscht er in eine skrupellose Halbwelt ab, der er nicht gewachsen ist und die sein Leben zerstört. Edward G. Robinson mimt den demütigen kleinen Angestellten Cross mit einer Intensität, die körperlich schmerzt. Und es wundert nicht, dass Lang mit einem so bitteren und düster-realistischen Film der US-amerikanischen Zensur diesmal, im Jahr 1945, nicht entkam. 1.11., 18.30 Uhr, Filmmuseum 18.11., 20.30 Uhr, Filmmuseum SECRET BEYOND THE DOOR … USA 1947, 99 Min, OF D: Joan Bennett, Michael Redgrave, Anne Revere, Barbara O’Neil Mark, den Celia nach kurzer Bekanntschaft geheiratet hat, pflegt ein schauriges Hobby: Er baut Zimmer nach, in denen Morde geschehen sind, überzeugt, die Architektur eines Raums bestimme, was in ihm geschieht. Der siebte, wie bei Blaubart verschlossene Raum sieht exakt aus wie Celias Zimmer … Ein nebelumwogtes Schloss, eine enigmatische Sekretärin und ein neurotischer Protagonist mit einem dunklen Geheimnis sind weitere Ingredienzien zu Langs bemerkenswerter Variante des psychoanalytischen gothic thriller. 28.10., 21 Uhr, Filmmuseum 15.11., 20.30 Uhr, Filmmuseum DIE SPINNEN 1. ABENTEUER: DER GOLDENE SEE 2. ABENTEUER: DAS BRILLANTENSCHIFF D 1919, 72 Min/99 Min, dt. eingespr. D: Carl de Vogt, Ressel Orla, Georg John, Rudolf Lettinger Ähnlich den Fortsetzungsromanen in den Zeitungen erlangten im Kino der 1910er Jahre Serienfilme große Popularität. DIE SPINNEN von Lang brachten es zwar nur auf zwei der geplanten vier Folgen, doch die sind randvoll mit allem, was sich die verarmte und zerstreuungsbedürftige Bevölkerung des sich vom politischen Chaos erholenden Zwischen62 kriegsdeutschlands von zwei Stunden Realitätsflucht im Kino nur wünschen konnte. Beim Kampf um einen Inkagoldschatz (erster Teil) beziehungsweise einen Diamanten (zweiter Teil) bekommt es Sportsmann, Gentleman und Abenteurer Kay Hoog mit der Geheimorganisation der so genannten «Spinnen» zu tun. Deren Agenten schleichen sich ninjagleich in schwarzen Ganzkörpermasken heran, die Fäden spinnt im Verborgenen die geheimnisvolle Lio erneut auf. Wieder ist es ein Psychiater, der wahnsinnig und machtbesessen danach trachtet, die Welt ins Chaos zu stürzen. Mittelpunkt dieses Karussells von Schein und Entlarvung ist ein von den Nazis erbautes Luxushotel, in dem jedes Zimmer mit Kameras überwacht wird. Dem neuen Mabuse, Herr über Gedanken und Imagination, bleibt nichts verborgen. Als Machtzentrale genügt ihm ein Raum voller Monitore. 29.10., 16 Uhr, Filmmuseum 15.11., 18.30 Uhr, Filmmuseum DAS TESTAMENT DES DR. MABUSE Sha, unterstützt von Vertretern des Großkapitals in Zylinder und Frack. Dies der Hintergrund oder, sagen wir, Vorwand für großes Drama und wilde Abenteuer, exotische Reisen zu Lande, Luft und Wasser und eine der damals noch weitgehend starren Kamera in bewundernswerter Weise abgetrotzte Rasanz der Action. 21.10., 17.30 Uhr, Filmmuseum (Teil 1) 21.10., 19 Uhr, Filmmuseum (Teil 2) SPIONE D 1927/28, 150 Min, dZT D: Rudolf Klein-Rogge, Gerda Maurus, Lien Deyers, Louis Ralph Ein Minister wird ermordet, brisante Dokumente werden geraubt, der Geheimdienst ist machtlos. Bis endlich – nein, nicht 007, sondern der ebenso gut aussehende und smarte Agent 326 zum Einsatz kommt. Allen Widrigkeiten und weiblichen Verführungen zum Trotz kann er in diesem rasanten Spionagethriller den Drahtzieher der Affäre entlarven. Der sitzt – wen wundert’s – in der großbürgerlichen Chefetage einer Bank und führt seit Jahren unbehelligt sein kriminelles Doppelleben – bis Nr. 326 dem Spuk souverän ein Ende macht. 31.10., 18.30 Uhr, Filmmuseum DIE TAUSEND AUGEN DES DR. MABUSE F/I/BRD 1960, 103 Min, OF D: Dawn Addams, Peter van Eyck, Wolfgang Preiss, Gert Fröbe In seiner letzten Regiearbeit greift Lang 27 Jahre nach seinem ersten MABUSE-Film das Thema des genialen und omnipräsenten Verbrechers D 1932/33, 121 Min, OF D: Rudolf Klein-Rogge, Oskar Beregi, Karl Meixner, Theodor Loos Nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten verbot die Zensurbehörde Langs letzten deutschen Film, der seine Premiere dann im Ausland erlebte. In einer Irrenanstalt notiert der wahnsinnige Psychiater Mabuse manisch Anleitungen zu Verbrechen, derweil sich eine Großstadt im Würgegriff einer ominösen Macht des Bösen befindet. Mabuse scheint telepathisch von den Seelen derer Besitz zu ergreifen, die den Terror ausführen. Eine geniale Illustration der Idee vom perfekten Verbrechen und vorweggenommener Spiegel einer Angst und Schrecken säenden Ideologie. 20.10., 21 Uhr, Filmmuseum 11.11., 16 Uhr, Filmmuseum DER TIGER VON ESCHNAPUR / DAS INDISCHE GRABMAL BRD/F/I 1959, 101 Min/101 Min, OF D: Debra Paget, Paul Hubschmid, Walter Reyer, Claus Holm Bereits 1921 hatte Lang, nach der Vorlage der Romane seiner damaligen Frau Thea von Harbou, das Drehbuch zu Joe Mays gleichnamigen Stummfilmen geliefert. Und es ist wohl nicht von ungefähr, dass es die Remakes dieser Monumentalfilme waren, mit denen er versuchte, erstmals wieder in Deutschland Fuß zu fassen. Knüpfen sie doch ästhe- V12_PG_Kern:V_PG 11.10.2012 tisch weit mehr an seine frühe Stummfilmzeit an als an die Sozialrealistik seiner amerikanischen Werke. Mögen die Filme auch an Originalschauplätzen in Indien gedreht sein, so erscheint der Subkontinent doch, farbenprächtig bevölkert von Maharadschas, Elefanten, Sahibs und Tempeltänzerinnen, ganz und gar als märchenhafte Kulisse europäischer Projektion in ein fernes, ewig fremdes Hindustan. Dass Lang nichtsdestotrotz sehr viel an den Charakteren, an Psychologie und Dialog gelegen war, erweist sich überraschenderweise aus der Wahl des Formats. Als wolle er sich von den Historien- und Kostümschinken seiner Zeit absetzen, wählt er nicht das nahe liegende Cinemascope, sondern geht sogar noch unter Breitwand auf das alte Normalformat von 3:4 zurück. Hatte er doch schon mit DIE NIBELUNGEN bewiesen, dass dies dem Schauwert keinen Abbruch tun muss. 17.11., 16.30 Uhr, Filmmuseum (DER TIGER VON ESCHNAPUR) 18.11., 16.30 Uhr, Filmmuseum (DAS INDISCHE GRABMAL) DAS WANDERNDE BILD D 1920, 60 Min, dZT D: Mia May, Hans Marr, Rudolf Klein-Rogge, Harry Frank Die Frau in dem Zug Richtung Alpen wirkt niedergeschlagen und verzweifelt. Sie ist die Witwe von Georg Vanderheit – oder doch die Frau von dessen Zwillingsbruder John? Geschickt verzögert Lang die Aufklärung des Rätsels bis in den dritten Akt, wenn die Frau nach einem Anschlag Johns mit Georg in dessen Einsiedlerhütte verschüttet wird und Rückblenden die vertrackte Vorgeschichte offenbaren. Vor imposanter Bergkulisse findet das Drama um falsche und wahre Liebe, um Konvention, Eifersucht und Wahn seinen würdigen Abschluss. Mit HARAKIRI 4.11., 16 Uhr, Filmmuseum WESTERN UNION USA 1940, 95 Min, OF D: Robert Young, Randolph Scott, Dean Jagger, Virginia Gilmore Langs zweiter Western greift einen weiteren US-amerikanischen Mythos auf: die technische Erschließung des Westens durch den Bau der transkontinentalen Telegrafenleitung im Jahr 1861. Vor dem Hintergrund des 10:47 Uhr Seite 63 aus seinem Wunschtraum ein Erwachen gibt. 24.10., 21 Uhr, Filmmuseum 24.11., 18.30 Uhr, Filmmuseum YOU AND ME beginnenden Sezessionskrieges muss sich der einstige Outlaw Vance Shaw im blutigen Kampf der Interessen positionieren, in dem moderne Staatlichkeit, Ansprüche der indigenen Bevölkerung und altes Faustrecht einander gegenüberstehen. Am Ende zerreibt ihn der Konflikt und der Film inszeniert ihn als Märtyrer des Fortschritts. 3.11., 16 Uhr, Filmmuseum 14.11., 18.30 Uhr, Filmmuseum WHILE THE CITY SLEEPS USA 1955, 99 Min, OF D: Dana Andrews, Rhonda Fleming, Sally Forrest, Thomas Mitchell Der nichtsnutzige Erbe des Medienmoguls Amos Kyne setzt seine willigen Untergebenen – unter ihnen ein nur geringfügig skrupulöserer Pulitzerpreisträger –, in Konkurrenz um den verwaisten Direktorenposten, auf den «Lippenstiftmörder» an. Hinter diesem Namen verbirgt sich ein triebgesteuertes Muttersöhnchen Freud’scher Prägung, das schließlich zur Strecke gebracht wird. Mit Methoden, die durch moralische Bedenken nur mäßig getrübt sind. Ein düsteres Bild einer medienterrorisierten Gesellschaft lange vor Murdoch, Berlusconi und Konsorten. 19.10., 19 Uhr, Filmmuseum 5.11., 21 Uhr, Filmmuseum THE WOMAN IN THE WINDOW USA 1944, 99 Min, OF D: Edward G. Robinson, Joan Bennett, Raymond Massey, Dan Duryea Der Name Sigmund Freuds, in der Vorlesung des Professors für Kriminalpsychologie, Richard Wanley, groß auf der Tafel zu lesen, setzt den Ton für diesen raffinierten Film noir. Als Wanley, wie so oft, sehnsüchtig das Gemälde einer schönen Frau in einem Schaufenster betrachtet, steht diese plötzlich neben ihm. Doch die erfüllte Männerfantasie entwickelt sich zum Alptraum, der Professor verheddert sich in einem Gespinst aus Leidenschaft, Gewalt und Schuld und kann am Ende froh sein, dass es USA 1938, 94 Min, OF D: Sylvia Sidney, George Raft, Robert Cummings, Barton MacLane Joe und Helen, zwei der von Kaufhausbesitzer Morris großherzig engagierten Ex-Sträflinge, verlieben sich und heiraten, doch Joe weiß nichts von Helens Vergangenheit. Damit ist für Drama gesorgt in einem Film, der überdies mühelos musicalhafte Songs von Kurt Weill, Film noir und augenzwinkernde Ironie verbindet. Und der in einer so hochmoralischen wie hochkomischen Szene kulminiert, in der die «schweren Jungs» nach misslungenem Einbruch brav in der Kinderabteilung in ihren Tretautos sitzen und Helen es ihnen an der Tafel vorrechnet: «Crime doesn’t pay». 24.10., 19 Uhr, Filmmuseum 7.11., 18.30 Uhr, Filmmuseum YOU ONLY LIVE ONCE USA 1936/37, 86 Min, OF D: Sylvia Sidney, Henry Fonda, Barton MacLane, Jean Dixon Der Kleinkriminelle Eddie will nach seiner Haft mit Joan, die auf ihn gewartet hat, ein neues Leben beginnen. Doch da sei die Unerbittlichkeit einer Gesellschaft vor, die ihm keine Chance gibt, bis er sich diese selbst verbaut. Er wird auf tragische Weise schuldig und flieht mit Joan, die bis in den gewaltsamen Tod bedingungslos zu ihm hält. Ein früher Film noir von expressionistischer Ausdrucksstärke, mit Schatten so scharfkantig wie die Kritik an der selbstgerechten Gnadenlosigkeit der nie gestrauchelten braven Bürger. 26.10., 21 Uhr, Filmmuseum 17.11., 18.30 Uhr, Filmmuseum 63 V12_PG_Kern:V_PG 11.10.2012 10:47 Uhr Seite 64 Retrospektive FILME MIT UND ÜBER FRITZ LANG LE MÉPRIS F/I 1963, 102 Min, OmdU R: Jean-Luc Godard, D: Brigitte Bardot, Michel Piccoli, Jack Palance, Fritz Lang nicht funktioniere, suche er sich eben einen anderen. Mit DEUTSCHE LEBENSLÄUFE – DIE 1000 AUGEN DES FRITZ LANG 22.10., 19 Uhr, Filmmuseum sellschaft, die Rückkehr aber durch Entfremdung verbaut, wie in dem von Lang zitierten Gedicht: «… doch wenn er dann nach Hause kommt, ist er daheim ein fremder Mann.» Mit CINÉASTES DE NOTRE TEMPS: LE DINOSAURE ET LE BÉBÉ 22.10., 19 Uhr, Filmmuseum CONVERSATION WITH FRITZ LANG Wunderbar und mit viel Respekt setzt Godard in LE MÉPRIS Fritz Lang als Ikone seiner selbst in Szene. Lang spielt in diesem Film über das (kommerzielle) Filmemachen den Regisseur eines Odysseus-Projektes – und Godard in einer Kleinstrolle seinen Assistenten. Im altmodisch eleganten Nadelstreifen tritt Lang auf, das Monokel lässig ins Auge geklemmt, rauchend und polyglott parlierend zitiert er mal Dante mal Hölderlin, bevor er in seinem amerikanischen Straßenkreuzer davonrauscht. Er hat das letzte Wort auf dem Set: Silenzio! 22.10., 21 Uhr, Filmmuseum 2.11., 21 Uhr, Filmmuseum USA 1974, 47 Min, OF, Video R: William Friedkin Lang, ein alter Mann mit Augenklappe und Sonnenbrille, sitzt entspannt und abgeklärt auf einem Sofa und antwortet in großer Ausführlichkeit auf Friedkins Fragen, die fast ausschließlich die Jahre 1918 bis 1933 berühren. Dabei spricht er wenig über die Filme selbst; produktionstechnische und gesellschaftliche, aber auch persönliche Hintergründe scheinen ihm wichtiger. Getreu seinem auch bei dieser Gelegenheit geäußerten Credo: «If a director needs to give an interview to explain his films to the audience, he is a lousy director!» FRITZ LANG D 1990, 44 Min, OF R: Werner Dütsch Mit wohltuend hohem Anspruch präpariert und analysiert Dütschs 1974 fürs Fernsehen gedrehter und 1990 überarbeiteter Essay einige Konstanten im Werk Langs: den nüchternen Blick, den dieser auf eng und immer enger werdende (auch metaphorisch zu verstehende) Räume richtet, der allgemeine große Schuldzusammenhang, in dem die Lang’schen Figuren stehen, und dem sie ebenso wenig entrinnen können wie der Technisierung ihrer Lebenswelt. Das ist die Lang’sche Versuchsanordnung: dem von Hybris berauschten Menschen eine Schlinge um den Hals legen – und beobachten, wie er sich abstrampelt. Mit FRITZ LANG 29.10., 18 Uhr, Filmmuseum DEUTSCHE LEBENSLÄUFE – DIE 1000 AUGEN DES FRITZ LANG Mit CONVERSATION WITH FRITZ LANG 29.10., 18 Uhr, Filmmuseum D 2007, 44 Min, OF, Video R: Artem Demenok FRITZ LANGS DEUTSCHE FILME F 1967, 63 Min, OmeU, Video R: André Sylvain Labarthe In einem Gespräch mit Jean-Luc Godard, das drei Jahre nach LE MÉPRIS stattfand und Themen von Psychoanalyse bis Filmzensur streift, verwendet Lang scherzhaft die kuriose Nomenklatur des Titels auf sich, den quasi «Filmpionier», und Godard, den jungen Vertreter eines schnellen, spontaneren Kinos. Und nichts könnte die konträren Herangehensweisen der beiden besser veranschaulichen als jener Moment, in dem Lang demonstriert, wie er einen Raum minutiös der Idee einer Szene gemäß konstruiert, woraufhin Godard lapidar meint, wenn der Raum BILD: © SWR (S2) CINÉASTES DE NOTRE TEMPS: LE DINOSAURE ET LE BÉBÉ Filmszenen, Interviewausschnitte, Zeugnisse aus Langs Leben und persönliche Aussagen dreier Regisseure (Jean-Marie Straub, Volker Schlöndorff, Claude Chabrol) verbindet ein kluger Kommentar zu einem stimmigen Porträt eines Mannes, der bei aller zur Schau getragenen Souveränität und trotz allen äußeren Erfolges das Schicksal so vieler Emigranten teilte: Nie wirklich heimisch geworden zu sein in der neuen Ge- BRD 1971, 92 Min, OF, Video R: Klaus Kreimeier In drei Kapiteln und unter tendenziös ideologiekritischer Maßgabe beschäftigt sich Kreimeier mit dem Werk Langs bis zur Emigration: «Der Ästhet und die Wirklichkeit» zeigt, inwieweit das von der Industrialisierung geprägte Schönheitsempfinden des gründerzeitlichen Großbürgertums Eingang in Langs Filme fand. «Der Idealist und die Zivilisation» beschäftigt sich mit dem ideologischen Subtext seiner Werke und «Der Bürger und die politische Macht» stellt schließlich den weltanschaulichen Konnex zum dräuenden Faschismus her. 2.11., 16 Uhr, Filmmuseum FÜR DEN INHALT VERANTWORTLICH Alexandra Seitz, Paolo Calamita TEXTE Hans Hurch, Thomas Mießgang, Michael Pekler, Maria Poell, Roman Scheiber, Alexandra Seitz, Katja Wiederspahn sowie Michael Baute (Mozos), Jörg Buttgereit (Something Different) Olaf Möller (Grifi u.a.), Lars Penning (Caine u.a.), Christian Dewald, Werner Michael Schwarz, Barbara Wurm (Wien-Moskau), Barbara Kronsfoth & Maria Marchetta (Retrospektive) LEKTORAT Roland Faltlhansl GRAFIK Gabi Adébisi Schuster, Rainer Dempf ANZEIGENVERKAUF Barbara Heumesser ABBILDUNGSNACHWEIS Produktionsfirmen; Regisseure; Verleiher; Weltvertriebe; Filmdokumentationszentrum Filmarchiv Austria; Aus den Sammlungen des Österreichischen Filmmuseum; Filmbild Fundus, Herbert Klemens; Deutsche Kinemathek; Coleção Cinemateca Portuguesa; Privatarchiv Manuel Mozos; Associazione Culturale Alberto Grifi; Cineteca Nazionale; Filmmuseum München, Gerhard Ullmann; David Kordansky Gallery; Toho Co., Ltd.; Shochiku; Joerg Burger; SWR