The Conspiracy Issue — FZ 310 Juli / August 2015
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The Conspiracy Issue — FZ 310 Juli / August 2015
The Conspiracy Issue — FZ 310 Juli / August 2015 wahn wahr Was für ein Verschwörungstheoretiker bist du eigentlich? Von Michael X Ich bin kein Verschwörungstheoretiker. Eher Verschwörungspraktiker. «Ja klar mach ich den Abfall runter.» «Ich meld auch gleich morgen das Modem ab, versprochen.» «Ok, ich schau dann wegen einer Putzfrau, klar doch, ich schwörs.» Dann gehen wieder zwei, drei, fünf Monate ins Land mit wichtigen anderen Dingen, und schon hab ich mich verschwört. Oder zumindest verversprochen. Ich bin auch kein Rassist, aber ich glaube, das ist einfach, weil ich Schweizer bin. Wie hat denn unser Land begonnen? Mit dem Rütlischwur, also indem wir uns alle, alle gemeinsam verschwört haben gegen die Habsburger. Was im Übrigen auch gar nicht wahr ist, stell dir das mal vor: 1291, die ganzen Bauern treffen sich in der Dämmerung im Wald und beschliessen den Umsturz, gleich nachdem sie das Ganze säuberlich in Latein niedergeschrieben haben, mit den üblichen Floskeln und einigen Regelungen zur Strafverfolgung. Wir mussten in der Sek mal im Zeichnen den Bundesbrief abschreiben, mit Tinte auf einem schönen A3-Blatt, das hat uns dann ein Semester lang ganze zwei Wochenstunden beschäftigt, und ich bin nicht fertig geworden. Was haben die anderen wohl gemacht in der Zeit? Rütlischwur aufsagen, so lange bis den jeder auswendig kann? Es heisst übrigens bei Schiller «Wir wollen sein ein einzig Volk von Brüdern», und nicht «einig». Einig wäre ein besserer Schwur gewesen, aber da haben sie sich halt verschwört. Und wenn man einen neuen Staat auftun will, warum macht man dann nicht eine richtige Urkunde zur Staatsgründung? Die wäre dann natürlich auch in Latein abgefasst, aber offiziell besiegelt. Da würde auch etwas von einem neuen Staat stehen, von den Gesetzen, die dort gelten, von den neuen Rechtsverhältnissen, die damit geschaffen werden. Wenn sich die ganze Sache wie eine Verschwörungstheorie anhört, dann wohl deshalb, weil es eine ist. Ziemlich sicher ist der Bundesbrief von 1291 nichts weiter als eine von sehr vielen Urkunden, mit denen man über staatliche Grenzen hinweg elementare Formen der Zusammenarbeit sicherte; heute mit Schengen-Dublin, EU und Nato, damals eben mit dem Bundesbrief. Schade eigentlich, dass man den Bundesbrief nie anführt, um für die EU einzutreten, schliesslich gründet unser Land auf einem polizeilichen und militärischen Aussenbündnis, und das hat sich ja irgendwie bewährt. Ausserdem steht noch im Bundesbrief, dass man keine fremden Vögte will und die bestehenden Besitzverhältnisse gewahrt bleiben. Lokale Machthaber schreiben also in ein Dokument, dass die lokale Macht zukünftig von den lokalen Machthabern ausgeübt wird. Dem würde ich jetzt persönlich nicht allzu viel umstürzlerische Bedeutung beimessen. Woher kommt die Theorie von einer Verschwörung der Urschweizer gegen Habsburg? – Wie so oft aus späterer Zeit, als man einerseits eine Rechtfertigung brauchte für den aktuellen Konflikt und andererseits auch nicht mehr so genau wusste, wie früher alles war. Ist ja dann auch schon über 100 Jahre her. 1420 wird die Verschwörungstradition in der Berner Chronik von Konrad Justinger erstmals eingebracht, 1470 im weissen Buch von Sarnen präzise dargelegt, kurz darauf entstehen Tellenlieder, die noch zusätzliche Details nachliefern. Das alles hat keinen wirklichen Bezug zur Situation in der Eidgenossenschaft um 1300 und lässt sich nicht an irgendwelchen authentischen Quellen oder Funden belegen, steht vielmehr oft im Widerspruch dazu. Auch der Umstand, dass die Geschichten je länger desto präziser werden, deutet auf nachträgliche Dichtungen hin. In einigen Fällen sind die Fälschungen auch direkt belegt: Verschiedene Bundesbriefe aus der Zeit um 1350 wurden neu aufgelegt, wobei sie an die neuen (respektive neu gewünschten) Machtverhältnisse angepasst wurden und dann rückdatiert wieder ins Archiv gelegt wurden. Um 1500 war es dann schliesslich soweit, dass nach offiziellen Chroniken und Archivquellen die Eidgenossen ein starkes und rechtschaffenes Volk waren, das sich aus der bitteren Unterdrückung durch die gemeinen Habsburger losgerissen hatte, und zwar durch eine Verschwörung in ferner Vergangenheit.Der Link zum Bundesbrief und die Datierung der Bundesgründung auf den 1. August 1291 ist dann wieder eine Verschwörung der Berner im 19. Jahrhundert gegen die damalige Tradition, welche den Bund von Brunnen (1315) feierte. 1891 wurde die Stadt Bern 700 Jahre alt, und indem man den Bundesbrief zum Gründungsdokument erklärte, konnte man die Eidgenossenschaft gleich mitferiern. Das war damals etwas weit hergeholt, hat sich aber durchgesetzt, weil die wichtigen Leute gemeinsam beschlossen haben, so zu tun, als sei dies irgendwie ein Fakt. Wir Schweizer sind also Verschwörer und Verschwörungstheoretiker, das liegt in unserer Natur. Wir verschwören uns, um eine Verschwörung zum feierlichen Gründungsakt unseres Landes zu erheben. Und lernen in der Schule den Verschwörungseid, so wie ihn ein deutscher Dichter niedergeschrieben hat, der nie in der Schweiz war. Und auch noch falsch. Also wir verschwören uns selbst beim Verschwören. Kein Wunder, sind wir bis heute manchmal etwas paranoid. Apropos paranoid: Wie steht es denn mit dir? Bist du Verschwörungstheoretiker? – Ich frag nur mal so, jetzt nicht, weil das für mich was ausmacht, aber ich hab kürzlich mit der NSA gesprochen und ich dachte, dein Name sei gefallen. Also glaubst du so Dinge wie dass der CIA die Türme gesprengt hat? Oder dass Flugzeuge geheime Chemikalien über uns versprühen? Dass Impfungen Autismus erzeugen? belesen. Oder beides, Theoretiker sind ja meist gut belesen, das liegt in der Natur der Sache. Und leider sind die Verschwörungspraktiker bei den Geheimdiensten auch recht phantasievoll und greifen auch mal etwas weit, um ihre Ziele zu erreichen. Vielleicht sind Verschwörungstheoretiker auch einfach nur die Leute, die schon paranoid waren, bevor sie wussten, dass sie verfolgt werden. Die Theorie, dass Impfungen Autismus erzeugen, ist übrigens ebenfalls eine Verschwörung. Rechtsanwälte von Eltern autistischer Kinder haben einem Arzt Geld gegeben, und dieser hat eine Studie publiziert, welche den Zusammenhang anhand einer Gruppe von zwölf autistischen Kindern nahelegte. Die Ergebnisse sind wahrscheinlich komplett erfunden, haben aber zwei Effekte gehabt: Erstens wurden auf der ganzen Welt über 100 Studien mit teilweise 30’000 Kindern durchgeführt oder erneut überprüft, wobei sich in keinem Fall ein Zusammenhang zwischen Autismus und Impfungen belegen liess. Zweitens sinkt die Impfrate, wir haben wieder Epidemien von Masern, Mumps und Röteln, Leute werden hospitalisiert, Menschen sterben. Vielleicht müsste man das Feld in der heutigen Zeit einfach komplett neu definieren. Es gibt anerkannte Verschwörungstheoretiker wie Daniele Ganser, der an der Uni Basel einen Lehrstuhl hat. Der Mann forscht und doziert eigentlich nur über Verschwörungen, nur ist das, was er sagt, im Allgemeinen sehr gut belegt. Und überhaupt dürfen Forscher ja auch wackelige Theorien vertreten. Wenn man mit Sicherheit weiss, dass etwas stimmt, dann muss man es ja nicht erforschen. Historiker beschäftigen sich häufig mit der Konstruktion von Geschichte, also was Leute beschliessen für wahr zu halten. Genau genommen sind das auch Verschwörungen, so wie wir Schweizer uns eben dazu verschworen haben, eine Verschwörung als Gründungsakt unseres Landes zu sehen. Dann gibt es noch ein paar Leute am Rand, welche die Mondlandung für erfunden halten oder hinter allen Dingen, die passieren, eine jüdische Weltverschwörung wittern. Das ist originell und eher etwas abwegig, aber eigentlich auch nicht krasser als das, wofür wir Belege haben. So, wie Esoterik nicht abwegiger ist als Quantenmechanik, sondern einfach weniger gut belegt. Ich bin allgemein eher skeptisch, was die meisten Verschwörungstheorien anbelangt. Nicht weil die Amis oder andere Regierungen das nicht tun würden, dafür gibts ja genug Belege, das kann man auf Wikipedia und in zahlreichen seriösen Publikationen nachlesen, nicht zuletzt auch in offiziellen Regierungsdokumenten aus der Zeit. Zum Beispiel: Die USA haben 1962 in der «Operation Northwoods» geplant, Terroranschläge in Amerika durchzuführen, um einen Vorwand für die Invasion Kubas zu erhalten, was letztlich nur am Widerstand von Präsident Kennedy gescheitert ist. «Operation Mongoose» war eine Verschwörung von 400 Beteiligten mit dem Ziel, Castro zu stürzen, egal wie. In Italien haben rechtsextreme Terroristen mit Unterstützung von NATO, CIA und MI6 zahlreiche Anschläge durchgeführt und die linksextremen Roten Brigaden dafür verantwortlich gemacht. Die USA haben zwischen 1984 und 1994 rund 51 Millionen Dollar aufgeworfen, um Schulbücher für Afghanistan zu drucken, in denen Primarschülern eine gewalttätige Auslegung des Korans und die Pflicht des religiösen Krieges vermittelt werden. Von Nixon gibt es Tonbandaufzeichnungen, wie er mit seinem Stabs-Chef verschwört, einen Reporter zu ermorden oder zumindest sonst unschädlich zu machen, aus Angst vor einer mormonischen Verschwörung. Wenn du also an Verschwörungen glaubst, dann bist du entweder paranoid oder gut Ich schlage also vor, dass wir Verschwörungstheorien als Wissenschaft definieren und abgrenzen von der Verschwörungsesoterik. Dann kannst du seriöser Verschwörungstheoretiker sein, dich auf Wikipedia und wissenschaftlichen Seiten einlesen in Verschwörungen,Theorien zu Verschwörungen entwickeln, und das alles, ohne schief angeschaut zu werden. Oder du bist Verschwörungsesoteriker und glaubst halt was immer dir Spass macht und deiner ganz subjektiven Überzeugung nach korrekt ist, das ist natürlich auch erlaubt. Ich selber, ich bleibe Verschwörungspraktiker. Gleich morgen trage ich den Abfall runter. Spätestens aber am Mittwoch. Ich habs verschworen. Rasende Vernunft Von Magnus Rust Mathilde war gerade zwölf, als ein Buch ihr Leben in neue Bahnen lenkte. Es war nicht die Bibel, nicht der Koran, nicht das Kapital und auch nicht «Die Kammer des Schreckens» – zweifelsohne alles Werke mit Einfluss auf Mathilde, aber an die Existenz von Gespenstern, Muggeln und Propheten hatte sie nie wirklich geglaubt. Dias waren an diesem Nachmittag zum Glück schon ausgestorben, doch Sonntage bei Verwandten waren nach wie vor Speerspitzen der Monotonie. Auch im 21. Jahrhundert. Es war also ein langweiliger Sonntagnachmittag, jede Minute kam ihr mindestens doppelt so lange vor. Ein bisschen wie beim Zähneputzen, da dauerte es auch immer länger als man dachte. Mathilde lag mit verschränkten Armen auf einem Kanapee (so einem muffigen Sofa) und starrte auf die Tischuhr, die wie angewachsen in der Schrankwand stand. Ihrem Gefühl nach hätte sich der Minutenzeiger in der Zeit schon hundertmal bewegt haben sollen, bestimmt waren es aber nicht mehr als zehn Ruckeln gewesen. Die Regalfächer der Schrankwand waren hauptsächlich mit Büchern gefüllt, Freiflächen wurden besonders geschmacklos mit Vasen (heute würde sie sagen: Keramiken) und kleinen Statuen (sprich: Statuetten) zugestellt. Mathildes Ästhetikbegriff war noch nicht sonderlich geschult, jedoch konnte sie Kunst von Kitsch und Krempel trennen. Diese kleine Bibliothek war eine wunderbare Spielwiese für den bildungsbeflissenen Bürger, aber für Mathildes Kaliber fand sich hier wenig Interessantes. Beim letzten Besuch vor ein paar Wochen hatte Mathilde immerhin einen roten Kofferfernseher entdeckt, der sich in einer Zimmerecke versteckt hatte. Nachdem sie wahllos an den Knöpfen und Reglern gefummelt hatte, flimmerte das entfärbte, rauschende ARD-Programm übers gewölbte Glas. What if there was a shadow man? man already knew? Als Mathilde aber an jenem Nachmittag stundenlange Fernseh-Freuden erwartend in das Zimmer gekommen war, gab es gleich die Enttäuschung: Der rote Koffer war weg. Mit verschränkten Armen hatte sie sich aufs Kanapee gelegt und die Mundwinkel verzogen. Mathildes kleiner Bruder hatte es an diesem Nachmittag deutlich besser getroffen. Der war auf einem Geburtstag eingeladen und so der Langeweile entflohen. Es dauerte noch eine halbe Stunde, dann nahm die körperliche Fadesse bei Mathilde endgültig überhand. Sie sprang auf; sie musste etwas machen. Sie ging zur Schrankwand und versuchte die Schubladen aufziehen. Allesamt verschlossen. Sie stellte sich auf die Zehenspitzen, strich mit der Hand über die Vasen und Buchrücken. Ihre Fingerkuppen wurden staubig. Sie musste niesen. Wischte sich die Nase ab. Sie überflog die Autorennamen. Nie gehört. Was für eine nutzlose Bibliothek. Dann blieb sie mit dem Zeigefinger an einem Buchrücken hängen. Darauf war eine kleine Pyramide gestickt. Mathilde ruckelte ein wenig und zog das Buch ein Stückchen aus der Reihe. Auf dem Umschlag waren eine goldene Pyramide und eine Taube abgebildet, auf der Rückseite ein Foto: Cedric D. Thompson, Historiker, Schriftsteller und argwöhnischer Schnauzbartträger. Eine braune Hornbrille zierte sein Gesicht. Ein richtig netter Onkel, dachte Mathilde. Nicht so wie Onkel Claus, der jetzt mit ihren Eltern unten in der Küche saß und über abwegige Themen wie Weltpolitik und Bausparverträge diskutierte. Mathilde nahm das Buch ganz aus dem Regal und setzte sich in die Ecke, in der vor ein paar Wochen noch der Fernseher gestanden hatte. Auf dem Cover glänzte die Pyramide, in der Pyramide befand sich ein Stern, im Stern eineTaube, im Schnabel der Taube so ein Jesuskreuz. «Die verlorene Wahrheit. Mythos der freien Welt und das Geheimnis der Macht.» Das klang ganz stark nach Harry Potter. Mathilde blätterte bis zum ersten Kapitel und las geduldig die ersten Seiten. Das Ganze hatte weniger mit Magie zu tun als mit Rittern und irgendwelchen Adeligen, die irgendwelche anderen Adeligen beherrschten. Da gab’s den Karl Varnhagen von Hense, den Herzog von Sachsen-Weimar-Eisenach, den soundso von dem Bussche, von Göchhausen, Eichendorff und so weiter. Es gab auch Franzosen mit noch absurderen Namen. Comte de Ferrand oder Jean de Vergier de Hauranne (Namen, die Mathilde erst viele Jahre später korrekt aussprechen konnte). So richtig war sich kein Reim auf die Geschichten zu machen, aber gerade deswegen machten sie Mathilde Spaß. Irgendwie geheimnisvoll. Mathilde merkte sich die Seitenzahl und kroch dann aus der Ecke. Die Tischuhr zeigte, dass sie fast eine Stunde in dem Buch geblättert hatte. Sie schob es unter ihren Pullover und lugte in den Flur. Bahn frei. Behutsam stieg sie dieTreppe hinab und verstaute das Buch in ihrem rosa Rucksack. Onkel Claus hat das Buch nie vermisst. Mathilde hat das Buch keinmal komplett von A bis Z gelesen. Meistens las sie es in kleinen, heimlichen Dosen, wenn sie sich sicher sein konnte, dass niemand zu Hause war. In der Zwischenzeit lagerte das Buch in einer Puzzlebox unter ihrem Bett. Später versteckte sie in der Box Geld und Zigaretten. Natürlich drehte sich das Buch nicht bloß um Freiherren und Herzöge, sondern auch um Erfinder, Präsidenten und Scharlatane (um Herzoginnen oder Präsidentinnen drehte es sich natürlich nicht). Grob gesagt ging es um die gesamte Menschheitsgeschichte. EineTelenovela der letzten 2000 Jahre zwischen Revolution, Mordkomplott und Geldgier. Selbst nach mehrmaligen Lesen war das Geflecht von Illuminaten, Israeliten, Jesuiten, Jansenisten, Jakobiner, Juden, Johnson & Johnson nicht ganz zu durchschauen. Jesus war Jude und Goethe ein Illuminat. Oder so ähnlich. Im dritten Jahr auf dem Lyzeum fiel Mathilde dann Walter Lubenskis «Weltbürgerrepublik» in die Hände. 600 Seiten stark, eine Gesamtdarstellung der abendländischen Geschichte (angereichert mit allerlei Zirkelschlüssen), geschrieben mit einer fast pathologischen Akribie. Im gleichen Jahr verfasste Mathilde einen Aufsatz über die grauen Herren in Michael Endes «Momo». Die Arbeit wurde mit fünfzehn Punkten benotet und von ihrem Lehrer kommentiert: «Liebe Mathilde, phantastische Darstellung, beim nächsten Mal achtest du bitte ein wenig auf den Antisemitismus ;)» Nach Lubenskis Lektüre machte sich Mathilde weiter schlau und stieß dabei auf Rolf Niemann, Koryphäe der «Neuen Geschichtswissenschaften» (und Chimäre der Erkenntnis). Niemann plädiert für eine Neukonzeption des Mittelalters, indem er das siebte, achte und neunte Jahrhundert (nach Christus) als reine Erfindung entlarvt. Mathilde las das Buch in einem Monat drei Mal durch und begann jede der 1200 Fußnoten zu recherchieren. Im Geschichts-Abitur hätte sie gerne über Karl den Großen geschrieben, aber keines der angebotenenThemen passte. Karl der Große, Großvater der französischen und deutschen Nation,Taufpater der Europäischen Union. Was für eine infame, dreiste, nationalistische Lüge. Alles eine Erfindung von passabel intelligenten Autoren. Mathilde hätte sich noch weiter echauffiert, aber sie absolvierte ihr Abitur mit sehr guten Noten und der Schulstoff war schnell vergessen. Im Studium (Englische Literatur und Orientalistik) kam sie mit Frederik zusammen, der selbst eine passable Niemann-Bibliothek besaß. Sie waren ein studentisch sehr engagiertes Paar, manche nannten sie universitäre Arschkriecher. Nach zwei Semestern trennten sie sich. Frederik hatte unter anderem behauptet, die Stadt Bielefeld sei nur eine «kommunikative Projektionsfläche und ein ontologisches Luftschloss der Bundesregierung zur Hinterziehung von Steuergeldern». Bielefeld existiere nur auf der Landkarte. Mathildes Großmutter stammte aus Bielefeld, Frederik musste ein dummer Lügner oder geisteskrank sein. Nach der Trennung brach sie ihr erstes Studium ab und studierte anschließend Deutsch und Englisch auf Lehramt. Vor einem Jahr dann saß sie in der Uni-Bib und wälzte Erstausgaben von Johanna Spyri, parallel tippte sie Anmerkungen in ihren Laptop, scrollte sich durch den Lebenslauf. Mathilde war total entkoffeiniert. Am Kaffeeautomaten hing ein DefektSchild. Sie ließ ihren Kopf auf die Tastatur sinken, einige Haarsträhnen blieben am Monitor hängen. Im selben Moment teilte jemand einen Online-Artikel im E-Mail-Verteiler der Deutsch-Fachschaft. «Konspirative Konspiration. Die Lüge hinter der Lüge» Es war eine schlecht geschriebene Polemik gegen AutorInnen wie Niemann & Co., die «materialgesättigte Quellenfiktionen» nutzten, um darauf ihre eigenen Fiktionen zu gründen. Dabei seien aktuelle AutorInnen bloß «Weiterführende einer tautologischen Literaturgeschichte». Sie seien Nutznießer der Kulturindustrie und Profitgeier vor dem Herrn. Sie imaginierten Intrigen und Allmachtsfantasien, um die Auflage zu steigern. Ganz genau wie der der James-Bond-Bösewicht und Medienmogul Elliot Carver in «Tomorrow Never Dies», dachte Mathilde. Toller Spielfilm. Mathilde schloss den Artikel und klickte wieder auf den Tab mit dem Lebenslauf von Spyri. Interessant. Johanna Spyri war 1901 an einem Sonntagnachmittag verstorben. What if somebody copied the cropmarks later into the picture? Verschwörungstheorien der Wirtschaft: Statt Gott lenken jetzt Verschwörer die Welt Interview von David Böcking Verschwörungstheorien beschäftigen nicht nur Stammtische oder Internetforisten, sondern längst auch die Wissenschaft. Ein Interview mit dem Amerikanisten Michael Butter, der die Theorien an der Bergischen Universität Wuppertal erforscht. David Böcking — Herr Professor Butter, was halten Sie von folgender Verschwörungstheorie: Die Wuppertaler Schwebebahn hätte 1901 bereits so schnell wie ein Transrapid fahren können. Doch Carl Benz riss sich das Patent unter den Nagel, um die unliebsame Konkurrenz für sein Auto zu stoppen. Michael Butter — Damit kann man anfangen. Aber Sie müssten die Theorie noch relevant für die Gegenwart machen. David Böcking — Na ja, die Autoindustrie hat später aus denselben Gründen natürlich auch die Einführung des Transrapid in Deutschland verhindert. Michael Butter — Genau. Und das Potenzial der Technologie wurde von Anfang an erkannt und verschwiegen, weshalb Benz sich mit anderen Produzenten abgesprochen hat. Dann haben wir eine Gruppe von fast schon übermenschlichen Verschwörern, die über Jahrzehnte hinweg den Mund halten, sich nie uneins sind und deren Plan auf das gesamte 20. Jahrhundert angelegt ist. Das macht Verschwörungstheorien aus: Einerseits machen sie die Dinge einfacher, weil wir durch sie nicht mehr an Zufälle glauben müssen. Andererseits sind ihre Erklärungen aber selbst höchst komplex. David Böcking — Sie beschäftigen sich seit Jahren wissenschaftlich mit Verschwörungstheorien. Gehen Sie dazu gleich ins Geheimarchiv, oder reicht erst mal die Unibibliothek? Michael Butter — Man kann gut in der Unibibliothek anfangen, weil Verschwörungstheorien inzwischen ein etabliertes Forschungsfeld sind. Schon seit den Sechzigerjahren beschäftigen sich Wissenschaftler unterschiedlichster Disziplinen damit. Einen neuen Schub gab es um die Jahrhundertwende mit Serien wie «Akte X» und den Anschlägen vom 11. September. nichts mehr. Gegenteilige Fakten werden entweder ignoriert oder zu weiteren Beweisen umgedeutet. Deshalb ist es so schwer, mit Verschwörungstheoretikern zu diskutieren. David Böcking — Aber ohne solche Diskussionen könnten echte Verschwörungen unentdeckt bleiben. Michael Butter — Diese Gefahr besteht natürlich. Früher galten Verschwörungstheorien als legitimes Wissen. Heute reicht es meist, jemanden als Verschwörungstheoretiker zu bezeichnen, um sich mit seinen Argumenten nicht weiter auseinandersetzen zu müssen. David Böcking — Und wie unterscheidet man dann echte von vermeintlichen Verschwörungen? Michael Butter — Verschwörungstheoretiker können nie aufhören; bei ihnen hängt alles mit allem zusammen. Es gibt zum Beispiel gute Gründe für die Annahme, dass Lee Harvey Oswald den Anschlag auf John F. Kennedy nicht alleine beging. Weniger wahrscheinlich ist, dass er dabei Teil einer gigantischen Verschwörung von Mafia, Kubanern, der CIA und Vizepräsident Lyndon B. Johnson war. David Böcking — Aber Hand aufs Herz: Hätten Sie vor fünf Jahren geglaubt, dass der US-Geheimdienst NSA jedes Telefongespräch in einem Land mithören und aufzeichnen kann? Michael Butter — Das weiß ich nicht, aber die NSA macht das ja aus wenig überraschenden Motiven. Für eine echte Verschwörungstheorie müsste sie selbst von dunklen Kräften unterwandert sein. David Böcking — Gibt es ein Geburtsdatum für Verschwörungstheorien? Michael Butter — Es gab sie schon im alten Rom und Griechenland. Aber die moderne Form der Verschwörungstheorie, in der es meist um die Herrschaft über eine Nation oder gar die Welt geht und die erst durch Entschlüsselung aufgedeckt werden kann, kam in etwa mit der Aufklärung im 17. und 18. Jahrhundert auf. David Böcking — Wieso? David Böcking — Sind Verschwörungstheoretiker nicht auch Wissenschaftler? Schließlich entwerfen sie wie andere Forscher eine Theorie mit einer Hypothese. Michael Butter — Manche Kollegen sprechen lieber von Verschwörungsideologien, weil sie die Urheber nicht mit dem Theoriebegriff adeln wollen. Ich halte ihn aber für angebracht. Wie Wissenschaftler versuchen Verschwörungstheoretiker, Ereignisse in der Vergangenheit zu erklären und Vorhersagen für die Zukunft zu treffen. David Böcking — Und wo ist dann der Unterschied zur Wissenschaft? Michael Butter — Verschwörungstheorien lassen sich nicht widerlegen. Wenn ein Verschwörungstheoretiker sich einmal die Grundzüge seiner Theorie zurechtgelegt hat, dann ändert sich daran Michael Butter — Vorher glaubten die meisten, dass ihre Geschicke komplett von Gott gelenkt wurden. Mit der Aufklärung wirkten viele Ereignisse plötzlich willkürlich. Da boten die Theorien eine willkommene neue Erklärung: Statt Gott lenken jetzt Verschwörer die Welt. Das war für viele leichter zu akzeptieren als völliges Chaos. David Böcking — Verschwörungstheorien sind also der Preis, den wir für die Aufklärung zahlen? Michael Butter — Ja, das könnte man sagen. Vermutlich gibt es einen Zusammenhang zwischen der Säkularisierung einer Gesellschaft und der Verbreitung von Verschwörungstheorien. David Böcking — Aber auch in den religiös geprägten Ländern des Nahen Ostens gibt es viele Verschwörungstheorien. Die Auserwählten Von Anton Anaïs Meier Monika kam zwei Monate nach mir, wie wir es vereinbart hatten. Für sie war es schwieriger, obwohl sie wusste, dass es keine Alternative gibt. Es ist schön hier, die Bewohner des Dorfes sind freundlich, das Brot ist gut. Als ich das erste Mal hier war, spürte ich die spezielle Kraft sofort. Eine Kraft, mit der die Einheimischen, die auf den ersten Blick eher unsensibel scheinen, erstaunlich gut umgehen können. Trotz der enormen Schwingungen, die vom Berg aus gehen. Über die letzten paar Monate kamen immer mehr Neuzuzüger, Monika und ich vermieteten unser Wohnzimmer. Die Schwingungen waren merklich stärker geworden. Der Dinkel des Brotes wurde kerniger und kapselte seine Energien tief ein, um im entsprechenden Moment ebenso vorbereitet zu sein wie wir. Die Krume des Brotes verändert sich stetig. Ich kenne Monika erst seit einem Jahr, wir lernten uns beim Feuerlauf-Weekend auf Bad Helmeringen kennen. Obwohl ich noch mit Susanne zusammen war, war ihre Anziehung zu stark, um sich ihr zu widersetzen. Nach vier Stunden Feuerlauf zitterten wir gemeinsam mit den dünnen Zweigen der Büsche hinter Helmeringen. Nun sind wir hier. Es sind nur noch wenige Wochen bis zur Entstehung der neuen Ordnung, jeder hier bereitet sich auf seine ganz eigene Weise darauf vor. Mittlerweile sind wir sechstausend, als ich ankam, waren es etwas mehr als neunhundert. Wir haben uns gemäss unseren Bedürf- und Kenntnis- sen in Gruppen aufgeteilt. Monika ist bei den Feuerschamaninnen, ich bei der energetischen Absicherung des Geländes durch Kraftkristalle, andere meditieren, beten oder berechnen. Wir sind richtig eine kleine Welt nur für uns geworden. Zwist und Missgunst gibt es selten. Und wenn, dann geht es meist nicht um die gemeinsame Sache, sondern um persönliches. Dies müssen wir überwinden, das ist klar. Bei der grossen Verantwortung, die auf uns lastet, ist eine gelegentliche Nervosität allerdings auch verständlich. Manchmal regt mich Monika derart auf, dass ich ihr einen dicken Brauneisenstein über den Kopf ziehen will. Was ich natürlich nicht tue. Als einer der Überlebenden habe ich eine Vorbildfunktion. Lieber höre ich auf das Summen des Berges. Es geht nicht mehr lange. Der Dinkel kapselt und die Krume verändert sich. Heute Morgen hatte es Spuren im Kies. Bald, bald. Mit einem vor Kräften triefenden Fest werden wir die neue Schöpfung willkommen heissen und in das nächste Zeitalter übergehen. Der Berg wird seinen Stein aufspalten und seine Kraft strömen lassen. Von anderen Sternen werden sie zu uns kommen, während unter uns die Welt zusammenbricht. Gut möglich, dass ich dann endlich Gelegenheit haben werde, mich an die schöne Griechin aus der Kräuterhexengruppe heranzumachen. Was danach sein wird, weiss ich nicht. Michael Butter — Stimmt, ebenso in Russland und Südosteuropa. Das liegt aber auch daran, dass diese Länder Umbrüche hinter sich haben, die sich ebenfalls durch Verschwörungstheorien erklären lassen. Hinzu kommt die Beteiligung von US-Geheimdiensten an realen Verschwörungen, etwa in Iran. Die iranische Regierung instrumentalisiert dies fraglos, um die USA für alle möglichen Übel verantwortlich zu machen. David Böcking — Sie haben sich intensiv mit Verschwörungstheorien in den USA beschäftigt. Sind die Amerikaner dafür besonders begabt? Michael Butter — Auf jeden Fall waren Verschwörungstheorien dort immer sehr wichtig und sind länger eine legitime Wissensform geblieben als in Europa. David Böcking — Woran liegt das? Michael Butter — Zum einen am Weltbild der puritanischen Siedler. Die unterschieden sehr klar zwischen Gut und Böse und erklärten jede Missernte und jedes Unwetter letztlich mit demTeufel. Außerdem sahen sich die amerikanischen Revolutionäre in derTradition der frühen römischen Republik und italienischer Stadtstaaten und hatten gelernt, dass die fast immer durch Verschwörungen untergegangen waren. Und schließlich haben die Amerikaner immer besonders daran geglaubt, dass Einzelne die Geschichte beeinflussen können - eben auch durch Verschwörungen. David Böcking — Und wie gut sind wir Deutschen in Sachen Verschwörungstheorien? Michael Butter — Heute nicht besonders. Aber der gesamte Nationalsozialismus lässt sich natürlich als Resultat einer gigantischen Verschwörungstheorie begreifen: Die jüdisch-bolschewistische Weltverschwörung musste von der Macht entfernt werden, mit den bekannten schrecklichen Folgen. chen, sagte Bush: «Das ist so geheim, wir können nicht darüber reden.» Michael Butter — Skull & Bones kenne ich nicht näher. Solch einen Korpsgeist versuchen ja auch andere Studentenverbindungen zu schaffen. Unter Bush wurde aber zweifellos eine Verschwörungstheorie instrumentalisiert: dass Osama Bin Laden und Saddam Hussein unter einer Decke stecken. Das hat super geklappt. David Böcking — Und dann kam es zum Irakkrieg, bei dem es den USA vor allem ums Öl gegangen sein soll. Werden Verschwörungstheorien aus rein wirtschaftlichen Interessen in die Welt gesetzt? Michael Butter — Im Irak hat das Öl sicher eine große Rolle gespielt, aber die Republikaner dachten auch, sie tun der Menschheit etwas Gutes. Menschen sind gut darin, das zu glauben, was ihnen nützt. David Böcking — Haben Sie denn eine Erklärung dafür, warum in Verschwörungstheorien so häufig wirtschaftliche Akteure eine Rolle spielen, etwa Großbanken oder Konzerne wie Microsoft? Michael Butter — Verschwörungstheorien gehen davon aus, dass nichts so ist, wie es scheint. Wenn wichtige Entscheidungen aber nicht von den gewählten Politikern getroffen werden, von wem dann? Da ist man schnell bei Banken und Konzernen. Außerdem sind diese meist transnational aktiv und nicht dem Wohl eines einzelnen Landes verpflichtet. Auch das macht sie suspekt. David Böcking — Kennen Sie denn eine Verschwörungstheorie, die eigentlich gar keine ist? Michael Butter — Nein. David Böcking — Und gibt es umgekehrt eine vermeintliche Wahrheit, die nur noch nicht als Verschwörungstheorie erkannt wurde? David Böcking — Haben wir daraus gelernt? Michael Butter — Auch nicht. Michael Butter — Vielleicht. Verschwörungstheoretische Denkmuster sind jedenfalls in der Nachkriegszeit von Politik und Medien in Deutschland nicht mehr so stark bedient worden. Das ändert sich erst langsam wieder - nicht zuletzt durch das Internet, das ein ideales Medium für Verschwörungstheorien ist. David Böcking — Wieso eigentlich? Damit kann doch jeder leichter als früher Fakten überprüfen. Michael Butter — Ja, aber Internet und Verschwörungstheorien folgen auch demselben Prinzip: Alles ist mit allem verbunden. In wenigen Klicks kommen wir von Barack Obama zu den Illuminaten. David Böcking — Über US-Politiker gibt es aber auch wirklich gruselige Fakten: Ex-Präsident George W. Bush und sein ehemaliger Herausforderer, der jetzige Außenminister John Kerry, waren beide in der Studentenverbindung Skull & Bones in Yale. Diese Verbindung protokolliert sexuelle Eskapaden ihrer Mitglieder, mit denen sie später erpresst werden können. Auf seine Mitgliedschaft angespro- David Böcking — Und wenn Sie Filme über die angeblich inszenierte Mondlandung sehen: Kommen Ihnen da gar keine Zweifel? Michael Butter — Doch, denn diese Filme sind ja oft gut gemacht. Auch wenn ich meinen Studenten Oliver Stones Film über das Kennedy-Attentat zeige, halten das anschließend drei Viertel erst mal für die Wahrheit. Dann erkläre ich ihnen, wie dieser Film logische Verbindungen vorgaukelt, wo gar keine sind. David Böcking — Und danach sind alle überzeugt? Michael Butter — Zumindest sagt dann keiner mehr laut etwas anderes. Dieser Text ist ein Auszug aus dem Buch «Das Glühbirnenkomplott». erschienen im SPIEGEL ONLINE am 09. Januar 2015 What if the content of this Frame would be visible? ABC der Verschwörungstheorien Von Paul Riemann Der Schlagersänger, Ex-Karatelehrer und investigative Verschwörungstheoretiker Christian Anders hat in seinem Buch ‹The Man who created AIDS› detailliert dargelegt, wie westliche Regierungen den HI-Virus künstlich hergestellt haben, um damit Schwarzafrikaner und Homosexuelle zu infizieren. Auf den jährlich stattfindenden Bilderberg-Konferenzen treffen sich Vertreter aus Wirtschaft, Militär, Politik, Medien, Hochschulen und Adel, um die Geschicke der Welt im Geheimen zu planen und zu lenken. Der über jeden Zweifel erhabene Wissenschaftsjournalist Joachim Bublath hat im ZDF erklärt, wie Schwefel in das Kerosin von Flugzeugen gemischt wird, um die Klimaerwärmung mit sogenannten Chemtrails zu stoppen. Über die klimatischen und gesundheitlichen Wechselwirkungen könne nur spekuliert werden. Ist Bublath ein Verschwörungstheoretiker? Der Freimaurer Walt Disney hat sich nach seinem Tod 1966 in kryonischen Tiefschlaf versetzen lassen, aus dem er wieder erweckt werden möchte, wenn sich die Welt technologisch und gesellschaftlich nach seinen Vorstellungen entwickelt hat, wozu auch eine Welt ohne Juden gehört, wie in einer Family Guy-Episode angedeutet wurde. In der Zwischenzeit lässt er von seiner Gefolgschaft unschuldige Kinder mithilfe von sublimen Sexbotschaften in seinen Zeichentrickfilmen manipulieren. Die Jahre 614 bis 911 sind auch bekannt als Phantomzeit, denn diese 300 Jahre sind das erfundene Mittelalter, weshalb Persönlichkeiten wie Karl der Große entweder nie existiert haben oder chronologisch anders einzuordnen sind. Die FIFA um Oberpaten Sepp Blatter hat sich die WM-Vergaben nach Russland und Katar großzügig vergolden lassen. Die WM in Katar muss nun vom Sommer in den Winter verschoben werden, weil Fußballspielen bei über 40 Grad im Schatten auch millionenschweren Profis nicht zuzumuten ist. Der German Wings Co-Pilot Andreas L. hat am 24.03.2015 mutmaßlich vorsätzlich einen Airbus A320 über den südfranzösischen Alpen zerschellen lassen. Der Pilot versuchte mit einer Axt die Cockpittür aufzubrechen, um die Kontrolle über die Maschine zurück zu erlangen. Aber wie gelangt eine Axt in den Passagierraum der Maschine, wenn selbst Nagelscheren aus Angst vor Terroristen verboten sind? Gut 90 prominente Holocaustleugner bestreiten hartnäckig, dass die Vernichtung von über 6 Millionen Juden jemals stattgefunden hat. Höchstens ein willkürlicher Massenmord oder ein Massensterben werden akzeptiert. Jack the Ripper war ein geheimes Kind von Königin Victoria. Dass der misanthropische Einzelgänger Lee Harvey Oswald, der bis heute offizielle Kennedy-Attentäter, alleine aus mehreren Richtungen schoss, noch dazu als mittelmäßiger Schütze, ist wenig glaubhaft. Naheliegender ist es da doch, dass der Präsidentenmord ein Gemeinschaftswerk von CIA, Mafia, Exilkubanern, Vertretern der Militärindustrie und Vizepräsident Lyndon B. Johnson war. Als Diana von Wales, aka Lady Di, aka Königin der Herzen, am 31.08.1997 zusammen mit ihrem Liebhaber Dodi Fayed von einer Meute Motorradpa- parazzi in den Tod getrieben wurde, lag die Vermutung nahe, dass daran die Fahrweise des sturzbesoffenen Fahrers Henri Paul und die Tatsache, dass niemand angeschnallt war, schuld sein könnte. Doch das wäre viel zu einfach gedacht. Eindeutige Mordmotive gab es von vielen Seiten, zum Beispiel von der Waffenindustrie, weil sich Diana für ein Verbot von Landminen einsetzte, der Blumenindustrie, weil sie mit Dianas Tod soviel Umsatz machte wie nie zuvor und nicht zuletzt die Königsfamilie selbst, denn Diana hatte es gewagt Charles zu verlassen und wollte zudem öffentlich machen, das die Royals in Wahrheit humanoide Reptilienwesen sind. Als Marilyn Monroe in der Nacht vom 4. auf den 5. August 1962 in ihrem Bett verstarb, hieß die offizielle Todesursache «wahrscheinlich Selbstmord durch Überdosis». Doch ihr stand nach einigen Ehen, Abtreibungen und Affären ein Comeback bevor und sie sah optimistisch in die Zukunft: Nach ihrem Techtelmechtel mit John F. und Robert Kennedy hatte sie JFK gedroht, an die Öffentlichkeit zu gehen, würde er sich nicht von seiner Frau trennen. Zudem hatte sie in ihrer letzten Nacht bis heute unbekannten Männerbesuch, höchstwahrscheinlich Mafia und FBI; bei der Autopsie wurden schwere Blutergüsse in der unteren Lendengegend und eine violette Verfärbung des Dickdarmausgangs festgestellt, was auf eine Giftverabreichung mit einem Klistir hinweisen könnte. Als am 11. September 2001 neunzehn mutmaßliche, zum Teil in Deutschland studierte, Al-Quaida Mitglieder drei Verkehrsflugzeuge entführten und sie in das World Trade Center und das Pentagon lenkten – das dritte Flugzeug, das vermutlich das Weiße Haus treffen sollte, war nach Kämpfen in der Maschine in Pensylvania abgestürzt – war für Regierung und Medien schnell klar, dass nur der pakistanische Millionär Osama bin Laden, ehemaliger CIA-Agent und ehemaliger Freund der Familie Bush, als Drahtzieher in Frage käme und es deshalb zwingend notwendig sei, Afghanistan anzugreifen, das man «in die Steinzeit zurück bomben» wolle, so der damalige Präsident George W. Bush. Nicht nur an den Konsequenzen, auch an dem offiziellen Ablauf von Nine-Eleven bestehen seit jeher große Zweifel aus verschiedensten Lagern. In den USA haben sich diese Lager zum «9/11 Truth Movement» zusammen geschlossen, das seit 2005 eine Wiederaufnahme der Untersuchung fordert. Die Hauptthesen sind, dass die US-Regierung die Terroranschläge billigend in Kauf genommen hat, um einen Kriegsgrund zu haben, wie schon 1942 nach dem Angriff der Japaner auf Pearl Harbour. Mit Publikationsverbot belegt, flüchtete der österreichisch-ungarische Schriftsteller Ödön von Horváth 1938 vor den Nazis nach Paris. Am 2. Juni sah er sich mit Robert Siodmak, der Horváths Buch ‹Jugend ohne Gott› verfilmen wollte, die Nachmittagsvorstellung von Disneys ‹Schneewittchen und die sieben Zwerge› an. Anschließend lehte er es ab, sich nach Hause fahren zu lassen und spazierte allein die Champs-Élysés entlang, als er von einem heftigen Sturm überrascht wurde. Eine Kastanie schlug auf eine Platane und ein Ast erschlug Horváth. Zu welchem Baum der Ast gehörte, kann nicht mehr rekonstruiert werden. ‹Schneewittchen und die sieben Zwerge› war Adolf Hitlers Lieblingsfilm. Zufall? Als der schwedische Ministerpräsident Olof Palme am 28. Februar 1986 einmal Zeit hatte, mit seiner Familie ins Kino zu gehen, wurde er erschossen. Er war ausnahmsweise ohne Personenschützer unterwegs. Palme hatte sich mit seiner menschenfreundlichen Politik weltweit viele Feinde gemacht. So geißelte er den Vietnamkrieg der USA, wollte die Rüstungsindustrie stärker kontrollieren und die schwedische Polizei und Geheimdienst von Rechtsradikalen säubern. Sein mächtigster Gegner war allerdings der südafrikanische Geheimdienst NIS, denn Palme war ein strikter Gegner der Apartheid. Polizei und Geheimdienst vertuschten Spuren und Beweise, verstrickten sich in Widersprüche und hatten schließlich in dem kleinkriminellen Junkie Christer Pettersen einen Sündenbock gefunden. Dieser gestand den Mord, behauptete er wäre beauftragt wurden, von wem sagte er nie, er verstarb 2004 an einer ominösen Kopfverletzung. Die Reichsbürger gehen davon aus, dass das Deutsche Reich in den Grenzen von 1937 immer noch besteht und von einer Exilregierung vertreten wird. Das wird damit begründet, dass die Weimarer Reichsverfassung weder von den Nazis noch von den alliierten Siegermächten abgeschafft worden sei. Die Bundesrepublik Deutschland ist also verfassungswidrig und de facto nicht existent, wird auch nur als «BRD GmbH» bezeichnet. Präsident Nixon hatte 1969 Zweifel an der technischen Machbarkeit der Apollo-11-Mission und heuerte Stanley Kubrick an, die Mondlandung im Studio für den Notfall vorzuproduzieren. Warum sich Kubrick auf den Deal einließ, dafür gibt es zwei mögliche Antworten. Sein Bruder Raul Kubrick war ein hohes Tier bei den US-Kommunisten, was ein Kompromittierungsmotiv hätte sein können. Eine schönere Geschichte ist aber die: Als Gegenleistung für sein Engagement bekam Kubrick von der NASA das lichtstarke Objektiv Planar ƒ/0,7, ohne das er die Kerzenscheinszenen in ‹Barry Lyndon› (1975) nicht hätte drehen können. Nixon ließ aus Angst, das Filmmaterial könne an die Öffentlichkeit gelangen, alle Regierungsbeamten, die an Kubricks Mondfilm mitgewirkt hatten, liquidieren. Kubrick hatte sich zur Sicherheit ganz auf seinen Landsitz in England zurückgezogen. Die ganze eindrucksvolle Geschichte ist nachzuvollziehen in ‹Kubrick, Nixon und der Mann im Mond› (2003) von William Karel. Über dasTransatlantische Handelsabkommen, kurz TTIP, wird seit Jahren im Geheimen verhandelt. Die Befürworter versprechen Wirtschaftswachstum durch den Abbau von Handelshemmnissen. Dumm nur, dass die eigenen Studien dem widersprechen. Die Argumente der Gegner sind wesentlich stichhaltiger, befürchten sie doch Nachteile für Verbraucher, Umwelt, Kultur und nicht zuletzt die Handlungsfreiheit der regierenden Politiker. Die Kanadier und die Mexikaner warnen uns davor, uns auf ein Handelsabkommen mit den USA einzulassen. Die skeptische Zivilgesellschaft fragt zurecht, was die Geheimniskrämerei soll, wenn es für alle nur Vorteile bringen soll. Und warum vermeintlich sozialdemokratische Politiker wie SPD-Chef Gabriel so vehement für TTIP kämpfen, als hinge ihr Seelenheil davon ab. Vielleicht aber auch nur eine grozügige Privatbonusrente. Western Star John Wayne machte einen seiner wenigen Genreausflüge in der Rolle des Dschingis Khan in dem Film ‹The Conqueror›, gedreht 1954 in Utah. Nur ein Jahr zuvor fand im Nachbarstaat Nevada der Atomversuch «Harry» statt, der auch den Drehort kontaminierte. Dem Filmteam war das durchaus bewusst und der stramme, stets linientreue Republikaner posierte sogar für Fotos mit einem Geigerzähler. Sein Patriotismus konnte ihn nicht retten. Wayne starb 1979 an Krebs, genauso wie überdurchschnittlich viele Schauspieler und Crewmitglieder, die bei diesem Film mitgewirkt hatten. Kann man hier noch von Verschwörung sprechen? Oder einfach von Dummheit? Kommentar Dieser wilde Strauß an gefährlichen Verschwörungsideologien wie Holocaustleugnung und Reichsbürgerbewegung, verifizierbaren Verschwörungs theorien, wo auf Ungereimtheiten in offiziellen Versionen hingewiesen wird – wie zum Beispiel bei JFK, Olof Palme oder TTIP, und eher popkulturellen Absurditäten wie der Behauptung, die Royal Family bestehe aus Eidechsen oder Disney sei nur eingefroren, macht die ganze Bandbreite deutlich. Verschwörungstheorien wird es immer geben; sie geben dem Leben Würze und es wird nie langweilig, wenn man jeden Kondensstreifen am Himmel mitfilmt. Bei manchen entwickelt sich das investigative Interesse aber zu Fixierung und die Fixierung zum Wahn. Wer will es ihnen verdenken? Regierungen und Geheimdienste geben mit realen Verschwörungen und Verschleierungen genug Grund zum Misstrauen. Im Anthropozän, dem menschengemachten Zeitalter, das von der Zerstörung des Planeten geprägt ist, in dem es gefühlt an jeder Ecke brennt und die Menschen, anstatt an die Zukunft zu denken und nachhaltig zu handeln, immer noch dem schnellen Geld und seinen Bequemlichkeiten nachhechten, gibt es genug Gründe verzweifelt zu sein. In einer Welt, in der der US-Präsident das Monsanto-Schutzgesetz unterschreibt, was dem Gen-High-Tech-Riesen mit eigener Privatarmee gerichtliche Immunität verschafft, wo aus fadenscheinigen Gründen Kriege um Öl und Wasser geführt werden, wo jährlich tausende Flüchtlinge im Mittelmeer elendig ertrinken und in Deutschland als drittgrößtem Waffenexporteur der Welt das «Boot voll ist», kann man sich leicht ohnmächtig fühlen. In dieser Situation können Verschwörungsphantasien wie eine Therapie dienen. Sie sind ein Ablenkungsmanöver unseres Geistes, das es uns ermöglicht, uns nicht unserer eigenen Verantwortung stellen zu müssen. Wer alles Unheil auf «die da oben» oder «die im Dunkeln» schiebt, kann sich ohnmächtig zurück lehnen. Es stimmt zwar, dass passionierte Verschwörungstheoretiker viel recherchieren und sich unter einander konspirativ austauschen. Doch wirklichen Einfluss haben sie selten, vielleicht weil sie schon betriebsblind auf ihre Verschwörung fixiert sind und sie niemand mehr ernst nimmt. Sich über Verschwörungstheoretiker lustig zu machen ist leicht. Man braucht nur das Wort «Aluhüte» und hat einen sicheren Lacher. Es ist nun aber auch ein Zeitgeistphänomen, dass man sehr leicht als Verschwörungstheoretiker, Esospinner oder sogar Nazi gebrandmarkt werden kann, wenn man nicht alles glaubt, was in der Tagesschau vermeldet wird – zehn Minuten FIFA-Korruption und fünf Minuten Vorratsdatenspeicherung sprechen eine eigene Sprache. Ob Sophie Scholl und der Beinahe-Hitler-Attentäter Georg Elser zu Lebzeiten auch als Verschwörungstheoretiker gegolten haben? Subergs Zerstörung Von ? Ein schwarzer Vogel sass auf der Brüstung und legte den Kopf schräg; was weiss er? Sein Auge glänzte feucht, aber hart – als wäre es und das ganze Innere des Vogels poliertes, schwarzes Gestein. Er hüpfte ein Stück weiter, sodass das letzte Licht anders auf sein Gefieder fiel, und da erkannte Suberg, dass der Vogel nicht schwarz wie Kohle war, sondern von einem Schwarz, das wie Öl auf Wasser schimmerte. Ein Sprung und wenige Flügelschläge später war er auf dem Tisch, an dem Suberg gerade ein ganzes Poulet verzehrt hatte; das Essen von Tieren war zurzeit sein einziger Trost. In kleinen Hüpfern näherte sich der Vogel dem Teller, den Kopf mal auf die eine, mal auf die andere Seite legend – was weiss er? Suberg hob die Hand und bewegte sie so, als wolle er dem Vogel Luft zufächern, der Vogel blieb. Er nahm das Glas, in dem noch ein Rest Rotwein war und bewegte es ruckartig nach vorn, um den Vogel mit einem Schwall zu übergiessen, doch der Vogel hüpfte rechtzeitig beiseite und senkte dann seinen Schnabel in die Flüssigkeit, die sich auf der glatten Oberfläche des Tisches langsam zusammenzog. Als Suberg ausholte, um den letzten Rest auf das Tier zu schleudern, entglitt ihm das Glas nach hinten und zerschellte auf dem Balkon einer Nachbarin, die er kaum kannte. What if what we were told was a total lie? What if what we saw with our eyes on televisionwas a carefully planned illusion? Suberg ging eine Allee von fetten Platanen entlang, unter deren Rinden Geschwüre lagerten. Die Nachtschichten machten ihm nichts aus; als der Abteilungsteiler ihn einmal versehentlich zweimal hintereinander zur Nachtschicht eingeteilt hatte, hatte er sich nicht beschwert. Die Nächte vergingen rasch, und er mochte es, im Morgenlicht als Eingeweihter nachhause zu gehen. Im Winter aber, wenn die Tage sehr kurz waren, war ihm, als sehe er kaum die Sonne – er stellte sich dann vor, wie seine Glieder sich wie Gewächse auf der Suche nach einem Flecken Sonne zerbogen. Er hatte Bilder dieser Krankheit in einem medizinischen Lexikon gesehen, das sie einst gedruckt hatten. Die Schwarzweissbilder des Lexikons, die absonderliche Zerformungen des menschlichen Körpers zeigten, verfolgten Suberg derart, dass er den Abteilungsleiter darum bitten musste, mit jemandem aus der Nachtschicht tauschen zu dürfen. Denn nachts wurde ausschliesslich die Tageszeitung gedruckt. – Plötzlich bellte etwas auf Suberg herab, es war der Vogel, er hockte auf einer der Platanen und verfiel nun in eine Tirade von spöttischen Pfeiflauten; als Suberg weiterging, flog der Vogel auf den nächsten Baum. Es wehte ein warmer Wind an jenem Abend, und Suberg hatte vorgehabt, den ganzen Weg zur Druckerei zu Fuss zu gehen, doch nun, da ein Vogel begonnen hatte, ihn zu beschimpfen, nahm er doch lieber den Bus. Als aber Suberg im schmalen Windfang der Bushaltestelle wartete, setzte sich der Vogel vor ihn auf den Asphalt und begann erneut sein verächtliches Gepfeife. Die anderen Wartenden bemerkten den Vogel, sie lachten und zeigten mit dem Finger auf ihn und Suberg. Dann imitierte der Vogel das Geräusch des einfahrenden Busses und das der Hydraulik, wenn er sich absenkte, solange, bis der Bus vorfuhr und Suberg der Erniedrigung durch den Vogel entging. Als Suberg zum Schichtwechsel erschien, hatte der Lehrling Grütter dem Hilfsarbeiter bereits angeordnet, die Farbwerke zu waschen. Suberg war darüber überrascht; der Lehrling war eigentlich nicht dazu befugt, dem Hilfsarbeiter Befehle zu erteilen. Doch Suberg war in einer zu melancholischen Verfassung, als dass er wütend hätte werden können. Er verfluchte seinen Zustand, gerne hätte er sich eine Strafe ausgedacht. Das überhebliche Lachen des Lehrlings widerte ihn an, wahrscheinlich hatte er eine Freundin, die nun zuhause sass und darauf wartete, ihn zu befriedigen. Der Abteilungsleiter erschien am Steuerpult, lehnte sich ungelenk dagegen und lächelte beinahe unterwürfig, er sprach einige nichtssagende Sätze, bevor er Suberg bat, kurz mitzukommen. Allein diese Blossstellung vor dem Lehrling war im Grunde kaum verzeihbar; es würde ihn eine ganze Woche kosten, das selbstgefällige Grinsen aus dem Gesicht des Lehrlings zu vertreiben. Im Büro des Abteilungsleiters angelangt, holte dieser die gestrige Zeitung hervor, blätterte darin und legte sie dann offen auf den Tisch. Es war nicht nötig, dass er etwas sagte, der Mangel war zu of- fensichtlich: Ein breiter, blauer Schmierstreifen zog sich über die ganze Seite, eine ganze Spalte war unlesbar. Hunderttausend Exemplare, sagte der Abteilungsleiter. Er könne sich das nicht erklären, sagte Suberg. Der Abteilungsleiter meinte, dass die Redaktion ernsthaft diskutiere, morgen einige Zeilen der Entschuldigung ins Blatt zu nehmen. Werde dann sein Name genannt, wollte Suberg wissen, sein Chef lachte und schüttelte den Kopf. Auf dem Weg zum Pausenraum fragte sich Suberg, wie das hatte passieren können; hatte er letzte Nacht seine Arbeit nicht so zuverlässig wie immer getan? Und wenn ihm gestern, hunderttausend Exemplare lang, der Schmierstreifen nicht aufgefallen war, war es nicht möglich, dass ihm bisher ganz andere Mängel auch nicht aufgefallen waren? Mängel, die sein Chef zwar bemerkt, ihm aber nicht mitgeteilt hatte? Dann konnte es sein, dass ihm bereits die Entlassung drohte. Es stimmte schon, er neigte dazu, seinen Gedanken nachzuhängen, wenn er arbeitete; doch machte er diese Arbeit schon so lange, dass seine Hände beinahe unabhängig arbeiteten. Hatten ihn letzten Endes gar seine Hände verraten? Als er den Pausenraum betrat, grinste ihm der Lehrling ins Gesicht, und da durchschoss es Suberg: Er hatte gestern ungewöhnlich oft das Gespräch mit ihm gesucht, ihm Fragen zur Justierung der Feucht- walzen gestellt. Doch das Interesse war geheuchelt gewesen, er hatte ihn bloss ablenken wollen. Suberg zündete sich eine Zigarette an, schlug ein Bein über das andere und stützte sich mit einer Hand an der Wand ab. Der Lehrling trank Kaffee am Stehtisch und scherzte mit den anderen Druckern. Dann aber kam er wie zufällig zu Suberg herüber, sein Mund stand halboffen, er lehnte sich gegen die Hand Subergs. Einige Sekunden lang liess es Suberg geschehen, eine stille Wut überkam ihn. Der Lehrling verschränkte die Arme vor der Brust und schlug ein Bein über das andere, um den andern zu zeigen, dass nun sein ganzes Gewicht auf Subergs Hand ruhte. Da zog Suberg ruckartig seine Hand weg, der Lehrling wurde mitgezogen und fiel zu Boden. Die anderen Drucker hatten aufgehört, zu lachen, einer sprang herbei, dem Lehrling aufzuhelfen; es wurden einige abfällige Worte über Suberg geflüstert. Als Suberg im ersten Licht nachhause ging, fühlte er nicht jene Leichtigkeit und Euphorie, die ihn normalerweise nach einer durcharbeiteten Nacht überkam. Sein Körper war schwer und seine Gelenke schmerzten. Wenn der Schmierstreifen tatsächlich im morgigen Blatt erwähnt werden sollte, dann war das eine kaum überbietbare Demütigung – für immer wäre diese Information in den Archiven gespeichert, unauslöschlich. Es war gewissermassen auch sein Fehler gewesen. Er hatte sich vom Lehrling ablenken lassen, hatte sein schlecht gespieltes Interesse nicht enttarnt. Was aber nützte es dem Lehrling, Suberg loszuwerden? Der Lehrling war, das war bekannt, der Sohn eines Freundes des Verlegers, und er hatte es deswegen anfangs schwer gehabt. Die üblichen Erniedrigungen am Anfang der Lehre hatte er doppelt so oft zu ertragen; auch als er diese schon durchschaut hatte, wurde er ihnen ausgesetzt und es wurde erwartet, dass er sich unwissend stellte, sich erniedrigen liess. Nun aber wurde er von den anderen mit Respekt behandelt, und es stand ausser Zweifel, dass er nächstes Jahr, wenn der neue Lehrling seine Ausbildung beginnen würde, einer der Grausameren sein würde. Suberg zog die Vorhänge zu, legte sich ins Bett und massierte sich die Schläfen. Aus den Baumkronen auf der Höhe seiner Wohnung hörte er junge Vögel. Suberg verfluchte einmal mehr die Hellhörigkeit des Hauses und seine eigene. Nach unbestimmten Träumen weckte ihn Türklingeln. Eine Frau, weder alt noch jung, stand nachlässig gekleidet vor der Tür. Ihre Haare waren strähnig, die löchrige Strickjacke war ihr von der einen Schulter gerutscht und entblösste ein von lederner Haut überspanntes Schlüsselbein. Sie hielt eine Kehrschaufel voller Scherben in der Hand. «Wir wissen alle», sagte sie, «was Ihnen widerfahren ist. Das heisst aber nicht, dass sie sich alles erlauben können.» Es klang nicht wie ein Vorwurf, vielmehr wie ein gutgemeinter Ratschlag. Sie hielt ihm weiterhin die Schaufel hin, und weil Suberg nicht wusste, was er sagen sollte, nahm er sie in die Hand. Ihre Miene entspannte sich, offenbar hatte sie genau das von ihm erwartet. Er versprach, sich um die Entsorgung der Scherben zu kümmern und ihr die Kehrschaufel dann zurückzubringen. Sie wünschte ihm einen guten Tag und wandte sich um, zu gehen. Als Suberg die Tür schon halb zugezogen hatte, drehte sie sich um, und sagte mit einem gütigen Lächeln: «Manche Menschen sind halt nicht dafür geschaffen, geliebt zu werden.» Sie lachte in kurzen, schrillen Tönen, die im hohen Treppenhaus mehrfach nachhallten. Nachdem Suberg auf dem Balkon beinahe ein Kilo Hackfleisch verzehrt hatte, wollte er hineingehen, um sich vor der Nachtschicht ein wenig hinzulegen. Plötzlich glitt der schwarze Vogel ohne Flügelschlag auf die Brüstung, legte den Kopf schräg und betrachtete Suberg. Etwas war im Glänzen seiner Augen, das einem den Eindruck verschaffte, es denke dahinter. Er öffnete den Schnabel und Suberg lachte darüber, dass er im ersten Moment gedacht hatte, er werde nun sprechen. Das dümmliche Öffnen des Schnabels zeigte ihn als das geistig unterlegene Wesen, das er war. Suberg griff langsam nach der Pfeffermühle, liess sie unter den Tisch verschwinden und machte sich bereit, den Schädel des Vogels zu zerschmettern. Da aber drang aus dem Vogel, und doch nicht aus dem Vogel, etwas Menschliches; der Schnabel bewegte sich nicht, es war ein Lachen, der Vogel lachte in schrillen Stössen. nach vorne sinken und legte den Kopf schräg, als wolle er Suberg seinen Hals darbieten. Suberg bedankte sich mit metallener Stimme und sagte dann, er brauche Ruhe, da er doch krank sei. Als der Lehrling die Wohnung verliess, warf er sein altes, selbstherrliches Lachen über die Schulter. Als Suberg zurück ins Wohnzimmer kam, lag eine Zeitung auf dem niedrigen Tisch vor dem Sofa, es war eine frische Ausgabe der heutigen Zeitung. Er durchblätterte sie rasch, fand aber auf den ersten Blick nichts, er begann von vorne und mit genauerem Blick. Und da, auf dem Titel, fand er, wonach er suchte: Eine einspaltige, neunzeilige Meldung, worin sich der Verlag bei seinen Abonnenten dafür entschuldigte, dass die vorgestrige Zeitung «drucktechnische Mängel» aufgewiesen hätte. Man habe aus dem Vorfall gelernt und werde daraus Konsequenzen ziehen. Nun war die Verschwörung gegen Suberg offensichtlich; er war froh darum, denn nun waren alle Mittel erlaubt. Lächelnd dachte er an die tausenden Liter von Isopropyl-Alkohol, die im Keller der Druckerei in der Nähe der Papierrollen lagerten; herrliche Bilder der Zerstörung durchzuckten ihn. Das erste Mal seit Monaten fühlte Suberg eine tiefe Ruhe und Zufriedenheit. Suberg telefonierte dem Abteilungsleiter, er habe sich mehrfach übergeben und fühle sich nicht in der Lage, in dieser Nacht zur Arbeit zu erscheinen. Sein Chef akzeptierte die Erklärung ohne Nachfragen. Suberg legte sich schlafen, und als er erwachte, war er nicht sicher, ob es Morgen oder Abend war. Erleichtert stellte er fest, dass es heller wurde. Es klingelte an der Türe, und Suberg sprang auf, leerte die Kehrschaufel in den Müllsack und öffnete die Türe. Es war Grütter, der Lehrling. Als er eintrat, zog er seinen Fuss leicht nach. Suberg, der nie Besuch hatte, wusste nicht, was er tun sollte, schliesslich setzte sich Grütter ohne Aufforderung auf das Sofa. Suberg stand noch immer mit der Kehrschaufel in der Hand da. Der Lehrling sagte, dass es ihm leidtue, wie er sich verhalten habe, und dass er sich in Zukunft ihm, seinem Lehrmeister, ganz unterwerfen wolle. Tatsächlich nahm Grütter nun eine unterwürfige Haltung an; er bog den Rücken, liess die Schultern Wie denken Anhänger von Verschwörungstheorien? Von Florian Rötzer Nach einer Studie von Psychologen halten Verschwörungstheoretiker aufgrund ihres Misstrauens gegenüber Mächtigen auch einander widersprechende Theorien für möglich Anhänger von Verschwörungstheorien sollen, selbst wenn diese eine verschwörerische Wirklichkeit treffen, auch wenn die Interpretation falsch sein mag, eine seltsame Veranlagung haben. Britische Psychologen wollen herausgefunden haben, dass sie in aller Regel nicht kritisch oder skeptisch sind, sondern ein “monologisches Glaubenssystem” ausbilden, das allgemein davon ausgeht, dass die Mächtigen oder gesellschaftlichen Eliten die Allgemeinheit hintergehen. Und diese Grundannahme würde dazu führen, dass sie auch inkompatible Ansichten vertreten, deren einzige Gemeinsamkeit ist, dass sie vom herrschenden Diskurs abweichen. Das würde auch heißen, Verschwörungstheoretiker aller Art sind hochgradig irrational. Es könnte allerdings auch sein, dass sie selbst widersprechenden Interpretationen zustimmen, weil sie zwar die vorherrschende Meinung ablehnen, aber nicht eine dezidierte Gegenposition einnehmen. Verschwörungstheorien gedeihen vor allem dann, wenn viel hinter den Türen geschieht und die Menschen den Eindruck haben, von wichtigen Entscheidungen ausgeschlossen zu sein, aber deren ohnmächtige Opfer zu werden. Verschwörungstheorien, die ja oft gar nicht falsch sind, weil permanent Verschwörungen oder geheime Absprachen zur Durchsetzung von Interessen stattfinden, oder die zu Recht nach Möglichkeiten suchen, wie sich Entscheidungen, Erklärungen und Darstellungen deuten lassen, stellen eine Kritik an der Macht dar, die aber die Ohnmacht eigentlich fortschreibt. Denn statt politisch aktiv zu werden und die verschwörerischen Verhältnisse zu verändern, wird lediglich Transparenz und Entlarvung der Mächtigen gefordert. Aber das wäre nur eine andere These. Interessant ist auf jeden Fall, dass viele “Verschwörungstheoretiker”, die man auch weniger verfänglich Skeptiker nennen könnte, rigoros die dominante Erzählung eines Sachverhalts ablehnen und überall Verschwörungen sehen, was heißt, dass sie glauben, die gesellschaftlichen Entwicklungen seien stets das Ergebnis bewusster und autonomer Entscheidungen von Mächtigen. Überdies sollen diese in der Lage sein, die Wirklichkeit wie in Platons Höhlenwelt konsistent vor der Öffentlichkeit zu verschleiern. Das ist eine starke Projektion, die die Ausübung von Macht durch Einzelne in aller Regel überhöht, während die Verhältnisse oft weitaus komplexer und undurchschaubarer, von vielen interagierenden Interessen und Annahmen bestimmt sind.Die Psychologen gehen in ihrer Studie, die in der Zeitschrift Social Psychological and Personality Science erschienen ist, davon aus, dass Verschwörungstheorien auf einem grundlegenden Verdacht gegenüber Mächtigen und damit auf dem Boden einer Ungewissheit entstehen, die gewissermaßen alles möglich macht, was von der herrschenden Erzählung abweicht, selbst wenn sich die alternativen Erzählungen direkt widersprechen. Um dieThese zu prüfen, befragten die Psychologen 137 Studenten zum Tod von Prinzessin Diana. Wer der These anhing, dass es einen Geheimdienstplot oder eine Verschwörung von Geschäftsfeinden von Dodi und Mohammed al-Fayeds zur Tötung von Diana gab, glaubte auch stärker daran, dass sie ihren eigenen Tod nur vortäuschte, um sich mit Dodi aus der Gesellschaft in die Isolation zurückzuziehen. Beides aber gehe nicht zusammen, sagen die Psychologen, Diana könne nicht wie Schrödingers Katze gleichzeitig tot und lebendig sein. Wer glaubte, dass der britische Geheimdienst hinter dem Tod von Diana stand, glaubte auch eher daran, dass die Mondlandung eine Fälschung war, dass die Regierungen die Existenz von Außerirdischen leugnen oder dass AIDS in einem Labor entstanden ist. Wer jedoch glaubte, dass derTod von Diana ein Unfall war, hing den Verschwörungstheorien in aller Regel nicht an.In einem zweiten Experiment wurden 102 Studenten über denTod von Osama bin Laden befragt. Wer angab, dass er schon vor dem Eindringen des Killerkommandos in sein pakistanisches Haus tot war, war auch eher der Meinung, er würde noch leben. Wer an der offiziellen Version zweifelte, war auch eher der Ansicht, das “Verhalten der ObamaRegierung” weise daraufhin, “dass sie irgendetwas Wichtiges oder eine für sie schädliche Information über den Einsatz verbergen”. Da die Regierung und das Pentagon tatsächlich nicht sonderlich offen waren, wären eigentlich eher jene naiv zu nennen, die unkritisch die offizielle Version übernehmen. Und die Regierung nahm zudem in Kauf, dass Verschwörungstheorien entstehen. Warum allerdings die Skeptiker einander wi- dersprechende Szenarien gleichermaßen für gültig erachten, ist eine interessante Frage. Für die Psychologen stehen das grundsätzliche Misstrauen gegenüber den Mächtigen oder gar eine Paranoia hinter dem Hang zu Verschwörungstheorien, deren Anhänger oft notorisch gegenüber Falsifikation resistent seien. Erst das grundsätzliche Misstrauen untergrabe das vernünftige Denken und ermögliche es, dass man gleichzeitig einander widersprechenden Hypothesen anhänge. Die Psychologen vergleichen dies mit dem gerne in der Politik umgesetzten Prinzip, dass “der Feind meines Feindes mein Freund ist”. Allerdings ist die Hypothese der Psychologen von der monologischen Struktur der Verschwörungstheoretiker nicht ganz überzeigend. Sie gehen letztlich davon aus, dass Menschen eine Position einnehmen sollten, die sie gemäß argumentativen Gründen für überzeugend bzw. wahr halten. Zudem sollten sie bestrebt sein, Widersprüche zu vermeiden. So schreiben die Autoren als Schlussfolgerung, was aber eigentlich der Ausgangspunkt ihrer Fragestellung ist: These results suggest that those who distrust the official story of Diana’s death do not tend to settle on a single conspiracist account as the only acceptable explanation; rather, they simultaneously endorse several contradictory accounts. Was bei Verschwörungsanhängern, denen bereits unterstellt wird, sie würden nicht nur abweichlerische, sondern unhaltbare Meinungen vertreten, noch als Kritik plausibel erscheint, wäre als Haltung gegenüber einem Sachverhalt, für den es noch keine gesicherte Erklärung gibt, durchaus vernünftig. Man sucht dann nach Erklärungsmöglichkeiten, die sich zunächst auch widerspreche können, und schließt erst dann Alternativen aus, wenn eine richtige oder überzeugende Hypothese bzw. ein solches Narrativ gefunden wurde. Fraglich erscheint zudem, ob Anhänger von Verschwörungstheorien stets einen Schwarm von mitunter sich auch widersprechenden Narrativen für möglich halten. Schließlich ist doch auch ein Wahnsystem vorstellbar, in dem ein Narrativ geglaubt und alle anderen Erklärungen abgewiesen werden. erschienen auf Telepolis What if this guy already knew? What if you cant trust the sky?