Rechtsextremismus bekämpfen, Demokratie fördern

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Rechtsextremismus bekämpfen, Demokratie fördern
Dokumentation der Veranstaltung »Rechtsextremismus bekämpfen, Demokratie fördern, Menschenrechtsbildung ausbauen.« 17. April 2009
Dokumentation der Veranstaltung
»Rechtsextremismus bekämpfen, Demokratie fördern,
Menschenrechtsbildung ausbauen.«
17. April 2009
Dokumentation der Veranstaltung »Rechtsextremismus bekämpfen, Demokratie fördern, Menschenrechtsbildung ausbauen.« 17. April 2009
Einführung der Landtagsabgeordneten Sigrid Leuschner
Sigrid Leuschner, MdL
stv. Vorsitzende
des Ausschusses für
Inneres, Sport und
Integration
Sehr geehrte Damen und Herren,
im Namen der SPD-Landtagsfraktion möchte ich
Sie recht herzlich zu unserer Veranstaltung »Rechtsextremismus bekämpfen, Demokratie fördern,
Menschenrechtsbildung ausbauen« begrüßen. Ich
freue mich, dass so viele Teilnehmerinnen und Teilnehmer anwesend sind. Besonders möchte ich den
Vizepräsidenten des Niedersächsischen Landtags,
Herrn Dieter Möhrmann, und stellvertretend für die
Gewerkschaften den Vorsitzenden des DGB-Bezirks
Niedersachsen – Bremen – Sachsen-Anhalt, Herrn
Hartmut Tölle, begrüßen.
Ich freue mich besonders, dass wir für diesen
Kongress als Referenten Professor Dr. Wilhelm Heitmeyer, Leiter des Instituts für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung der Universität Bielefeld
und Professor Dr. Karl Peter Fritzsche, UNESCO-Lehrstuhlinhaber an der Universität Magdeburg zwei
herausragende Experten gewinnen konnten.
Professor Dr. Heitmeyer wird in seinem Einstiegsreferat zum Thema »Gesellschaftliche Entwicklungen, Rechtsextremismus und gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit« sprechen.
Anschließend folgt das Einstiegsreferat von
Professor Dr. Karl Peter Fritzsche zum Thema »Menschenrechtsbildung: eine Prävention gegen Rechtsextremismus«.
Wir wollen dann in zwei thematisch zugeordneten
Workshops die Themen der Einstiegreferate mit ihnen diskutieren.
Unter der Leitung meiner Kollegin, der Landtagsabgeordneten und Innenexpertin Jutta Rübke
wollen wir im Workshop I zusammen mit Professor
Dr. Heitmeyer und dem Referatsleiter Rechtsextremismus beim Verfassungsschutz im Niedersächsischen Innenministerium, Wolfgang Freter, einem
Experten aus der Praxis, das Thema »Welche Maßnahmen gegen Rechtsextremismus und gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit benötigen wir in
Niedersachsen?« erörtern.
Der Workshop II wird unter der Leitung meiner Kollegin, der Landtagsabgeordneten Daniela
Behrens, medien- und kulturpolitische Sprecherin
der SPD-Landtagsfraktion, mit Professor Dr. Karl Peter Fritzsche und mir über das Thema „Menschenrechtsbildung für Niedersachsen – was gibt es bereits und was ist notwendig?“ debattieren.
Meine Damen und Herren, im November des
letzten Jahres hat die SPD-Landtagsfraktion ihren
Antrag »Demokratieerfahrungen fördern, Partizipationsmöglichkeiten stärken, den Integrationsgedanken und Menschenrechtsbildung ausbauen
– Aktionsprogramm gegen Rechtsextremismus,
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Menschenfeindlichkeit und Antisemitismus« in die
Beratung des Niedersächsischen Landtags eingebracht. Wir haben uns natürlich im Vorfeld mit den
Forschungsergebnissen und Thesen unserer beiden
heutigen Hauptreferenten auseinandergesetzt und
diese Erkenntnisse auch mit in unseren Antrag mit
einfließen lassen.
Hinzu kam zu diesem Zeitpunkt das verstärkte Auftreten rechtsextremistischer Gruppierungen
mit Kundgebungen und Demonstrationen sowie
eine neue Veröffentlichung einer Studie der Friedrich Ebert Stiftung »Ein Blick in die Mitte« von Oliver
Decker, Katharina Rothe u. a. über die Entstehung
rechtsextremer und demokratischer Einstellungen
in Deutschland.
Diese Studie, meine Damen und Herren, weist
auch auf eine Verfestigung fremdenfeindlicher
Einstellungsmuster in einem nicht unerheblichen
Ausmaß bis in die Mitte der Gesellschaft hinein hin.
Erschreckend ist, dass die Zustimmung zu ausländerfeindlichen Aussagen in allen gesellschaftlichen
Schichten und Altersgruppen in verstärktem Maße
anzutreffen ist.
Die SPD-Landtagsfraktion ist der Meinung,
dass in Niedersachsen dringend zentral abgestimmte und koordinierte Maßnahmen gegen Ausländerfeindlichkeit, Antisemitismus und Rechtsextremismus ergriffen werden müssen.
Dies zeigen auch die aktuellen Entwicklungen in den vergangenen vier Monaten. Bei zwei
großangelegten Durchsuchungsaktionen in SüdOst-Niedersachsen wurden z. B. erhebliche Mengen
an Waffen und rechtsextremistischen Propagandamaterial gefunden.
Rechtsextremistische Kameradschaften treten immer häufiger in der Öffentlichkeit auf und
haben mit der Anmeldung von Demonstrationen
zu symbolträchtigen Daten wie zum Tag der Arbeit
am 1. Mai für Aufsehen gesorgt.
Ebenso weist Prof. Dr. Pfeiffer bei der Vorstellung der ersten Ergebnisse seines Forschungsprojekts »Jugendliche in Deutschland als Opfer und
Täter von Gewalt« besonders auf die bei deutschen
Jugendlichen berichteten ausländerfeindlichen
Einstellungen und Verhaltensweisen hin. So seien
rund 14,4 Prozent der befragten Jugendlichen als
»sehr ausländerfeindlich« einzustufen (19 Prozent
der Jungen, 9,6 Prozent der Mädchen). Von den
befragten Jungen und Mädchen gaben zudem 4,9
Prozent bzw. 2,6 Prozent an, Mitglieder einer rechtsextremen Gruppe oder Kameradschaft zu sein. Auf
antisemitische Einstellungen lassen die Antworten
von 6,4 Prozent der Jungen und 2,1 Prozent der Mädchen schließen.
Aber, rechtsextremistische, menschenfeindliche und
antisemitische Einstellungen findet man nicht nur
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bei Jugendlichen. Damit kein falsches Bild entsteht,
muss deutlich gesagt werden: In allen gesellschaftlichen Schichten und Altersgruppen gibt es eine Verfestigung menschenfeindlicher Einstellungsmuster,
die sich gegen vermeintlich Schwächere in unserer
Gesellschaft richten. Jugendliche sind dabei nicht
anfälliger als andere Altersgruppen.
Die Aussage der Koalitionsfraktionen im Niedersächsischen Landtag Rechtsextremismus sei
vorrangig als ein Jugendproblem zu betrachten,
greift demzufolge zu kurz. Ebenso ist ihre Annahme,
dass die NPD gerade für junge Menschen attraktiv
sei, nicht zutreffend. Obwohl das Durchschnittsalter der NPD gesunken ist, liegt es aber immer noch
bei etwa 40 Jahren.
Zutreffend ist allerdings, dass die Gewaltbereitschaft unter jüngeren Menschen gestiegen ist.
Dieses bestätigte z. B. auch jüngst Professor Stoess
auf einer Veranstaltung der Friedrich-Ebert-Stiftung
in Hannover.
Die SPD-Landtagsfraktion hat in ihrem Antrag
ein umfangreiches Aktionsprogramm vorgelegt, mit
dem durch interdisziplinäre Handlungsvorschläge
die Ursachen von Rechtsextremismus in unserer
Gesellschaft umfassend bekämpft werden sollen.
Dieser Antrag, meine Damen und Herren, liegt hier
auch aus und sie können ihn gerne mitnehmen.
Bei den Beratungen dieses Antrags in den Fach-
ausschüssen haben wir mündlich erläutert, durch
welche konkreten Maßnahmen die 17 Handlungsansätze in die Praxis umgesetzt werden können.
Wir haben dieses auch durch Entschließungsanträge wie z. B. »Kulturelle Teilhabe für alle Kinder und
Jugendlichen sichern: Freier Eintritt zu den Landesmuseen« zum Ausdruck gebracht. Dieser Antrag
wurde von der CDU und der FDP abgelehnt.
Gleiches gilt für den Antrag der SPD »Mehr
Menschen mit Migrationshintergrund in Lehrämter«. Auch dieser wurde abgelehnt. Unsere Forderung nach einer verstärkten Inpflichtnahme der
öffentlich-rechtlichen Medien, die unserer Meinung
nach ihren Bildungsauftrag akzentuieren müssen,
statt zunehmend Formate der Privaten zu kopieren,
wurde von ihnen als vermeintliche Zensur gewertet.
Wir wollen keine Zensur ausüben. Uns ging
und geht es darum, dass sich die öffentlich-rechtlichen Medien verstärkt ihres Bildungsauftrags bewusst werden und diesem auch zur Hauptsendezeit gerecht werden.
Wir, meine Damen und Herren, haben nicht
gesagt, dass die Landesregierung nichts gegen
Rechtsextremismus unternimmt. Vielfach führt die
Landesregierung ja die bereits zu unserer Regierungszeit initiierten Projekte gegen Rechts weiter.
Aber, meine Damen und Herren, der entscheidende
Unterschied ist, dass wir von der Landesregierung,
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bzw. von den sie tragenden Koalitionsfraktionen ein
umfassendes und interdisziplinäres Handlungskonzept fordern und wir ihnen durch unseren Antrag auch vorgelegt haben.
Ein solches Konzept ist nötig, weil die Ursachen für das Entstehen rechtsextremistischer Einstellungen an vielen Stellen unserer Gesellschaft zu
finden sind. So z. B. in autoritären Erziehungsstilen
der Eltern, in Bestimmungen in unseren Schulen
oder eben auch in Tendenzen der sogenannten «öffentlichen Meinung«.
Die Fraktionen von CDU und FDP haben zu
unserem Antrag einen Änderungsantrag vorgelegt,
der eine reine Fleißarbeit ist. In ihm sind eine Aneinanderreihung von allgemeingültigen und damit
natürlich auch einige unterstützenswerte Aussagen enthalten. In ihrer Analyse über die Ursachen
von Rechtsextremismus und Ausländerfeindlichkeit bleiben aber die Koalitionsfraktionen sehr oberflächlich und wenn es auf der Ebene der konkreten
Umsetzung geht, folgerichtig vage.
Der SPD-Landtagsfraktion geht es hingegen
um eine umfassende gesamtgesellschaftliche und
inhaltliche Auseinandersetzung mit den Ursachen
und Erscheinungsformen des Rechtsextremismus,
der Ausländerfeindlichkeit und des Antisemitismus.
Strategien zur Bekämpfung des Rechtsextremismus
müssen also von der Einsicht geleitet sein, dass es
sich primär um ein strukturelles politisches und gesellschaftliches Problem handelt und Maßnahmen
gegen Rechts deshalb auf Stetigkeit ausgerichtet
sein müssen.
Notwendig ist ein integratives Konzept, das
neben repressiven sowohl sozial- als auch bildungsund integrationspolitische Maßnahmen einschließt
und das darüber hinaus zivilgesellschaftliche Aktivitäten ermuntert und unterstützt.
Die Landesregierung hat in Niedersachsen
die Landeszentrale für politische Bildung abgeschafft. Wir halten dieses für einen gravierenden
Fehler, meine Damen und Herren. Wir brauchen
hier in Niedersachsen wieder eine Landeszentrale
für politische Bildung!
Landauf und landab beklagen Lehrerinnen
und Lehrer und die übrigen in der politischen Bildung Tätigen das Fehlen einer zentralen Stelle für
politische Bildung, bei der man Materialien erhält,
sich fort- und weiterbilden kann und von der Seminare und Informationsveranstaltungen angeboten
werden. Es ist schon ein eigenartiger Zustand, dass
in Niedersachsen bei Aufklärungsveranstaltungen
gegen Rechtsextremismus auf die Produkte der
Bundeszentrale für Politische Bildung und der Landeszentralen anderer Bundesländer hingewiesen
wird, während wir in Niedersachsen als einziges
Bundesland keine solche Einrichtung mehr haben.
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Uns ist bekannt, meine Damen und Herren,
dass auch aus der unzulänglichen Integration der
Migranten soziale Probleme resultieren, auf die
Rechtsextremisten mit fremdenfeindlichen Forderungen reagieren. Einerseits werden oft muslimfeindliche Stimmungen in der Bevölkerung von
Rechten aufgegriffen. Deshalb ist es auch notwendig, dass die Auseinandersetzung mit dem Islam
ausgesprochen differenziert erfolgen muss, damit
islamophobe Grundstimmungen nicht weiter angeheizt werden. Wenn Rechtsextreme das angebliche Schreckensszenario einer islamischen Einwanderung aus dem Süden aufbauen, werden dadurch
auch in breiten gesellschaftlichen Kreisen islamophobe Vorurteile geschürt.
Andererseits wird von der NPD verstärkt versucht, Spätaussiedler mit Hinweis auf ihre deutsche
Herkunft für sich zu gewinnen.
Beide Beispiele zeigen eine Instrumentalisierung von Bevölkerungsgruppen durch die Rechten
auf. Für die SPD-Landtagsfraktion ist eine grundlegende Menschenrechtsbildung ein Schwerpunkt
unseres Aktionsprogramms. Diskurse, die eine Ungleichwertigkeit von Menschen behaupten, müssen
unterlassen und gesellschaftlich geächtet werden.
Dabei ist es unerheblich, ob diese vermeintliche
Ungleichwertigkeit aufgrund der Geschlechtszugehörigkeit, der Herkunft, der Religionszugehörigkeit,
der Hautfarbe oder z. B. auf einer gleichgeschlechtlichen sexuellen Orientierung beruht.
Meine Damen und Herren, aus Sicht der SPDLandtagsfraktion verwischt eine Gleichsetzung von
Islamismus, Linksextremismus und Rechtsextremismus die Ursachen und führt zu einer unspezifischen Auseinandersetzung mit dem Extremismus
schlechthin. Dabei wird nicht auf die Unterschiede
in Hinsicht auf die sozialen und gesellschaftlichen
Entstehungsbedingungen eingegangen und dieser
pauschale Ansatz verliert sich in allgemein gehaltenen Aussagen und Appellen.
Meine Damen und Herren, wir freuen uns,
dass wir durch diese Veranstaltung und die Referate unserer Experten noch einmal mit dazu beigetragen, weitere Aspekte über die Ursachen von
Rechtsextremismus, Antisemitismus und Menschenfeindlichkeit zu erfahren.
Danach wollen wir mit ihnen gemeinsam
über Handlungsansätze zur Förderung von Demokratieerfahrungen und zur Stärkung von Partizipationsmöglichkeiten diskutieren und Maßnahmen
zum Ausbau von Integration und Menschenrechtsbildung erarbeiten.
Vielen Dank für ihre Aufmerksamkeit.
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Niedersächsischer Landtag – 16. Wahlperiode
Drucksache 16/624
Antrag
Fraktion der SPD Hannover, den 04.11.2008
Demokratieerfahrungen fördern, Partizipationsmöglichkeiten stärken, den Integrationsge-danken
umsetzen und Menschenrechtsbildung ausbauen Aktionsprogramm gegen Rechtsextremismus, Menschenfeindlichkeit und Antisemitismus
Der Landtag wolle beschließen:
Entschließung
Ausländerfeindlichkeit, Antisemitismus, Chauvinismus und Rassismus sind eine Gefahr für die Demokratie und die politische Kultur in Deutschland.
Besonders bedenklich ist, dass sich auch bei vie-len
jungen Menschen eine bedenkliche Zunahme von nationalistischem, ethnozentristischem und antisemitischem Denken breit macht. Die polizeiliche Kriminalstatistik verzeichnet einen besorgnis-erregenden
Anstieg rechtsextremer Gewalttaten; die Ergebnisse
der empirischen Sozialforschung weisen eine Verfestigung fremdenfeindlicher Einstellungsmuster in
einem nicht unerheblichen Ausmaß bis in die Mitte
der Gesellschaft hinein aus. Die Zustimmung zu ausländerfeindlichen Aussagen ist in allen gesellschaftlichen Schichten und Altersgruppen in verstärktem
Maße anzutreffen. In besonderem Maße sind davon
Menschen mit Bildungsdefiziten und autoritären
Schulerfahrungen betroffen.
Rechtsextremistische Gruppierungen sind in
den vergangenen Monaten in Niedersachsen verstärkt
mit Kundgebungen und Demonstrationen öffentlich
aufgetreten wie zuletzt in Braunschweig und Bad
Nenndorf. Sie suchen zudem bewusst die Provokation
wie jetzt die Freien Nationalisten mit der Anmeldung
von Demonstrationszügen und Kundgebungen zum
1. Mai 2009 in Hannover. Aber auch im Alltag verbreiten Anhänger rechtsextremistischer Gruppierungen
offen ihre diskriminierenden Parolen und erhalten
dafür vermehrt Zustimmung. Dieses zeigt, dass eine
umfassende gesamtgesellschaftliche und inhaltliche
Auseinandersetzung mit den Ursachen und Erscheinungsformen des Rechtsextremismus, der Ausländerfeindlichkeit und des Antisemitismus wichtiger denn
je ist.
Erschreckend sind nicht nur die Zunahme der
rechtsextrem motivierten Gewaltdelikte, sondern
auch das Schüren von Hass und die wachsende Brutalisierung der rechtsextremen Szene.
Rechtsextreme Einstellungen sind in allen gesellschaftlichen Gruppen und in allen Bundesländern
vertreten. Die neueste Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung »Ein Blick in die Mitte« zur Entstehung rechtsextremer und demokratischer Einstellungen in Deutsch-
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land zeigt, dass die Notwendigkeit der politischen
Bildungsarbeit nicht nur mit Jugendlichen von zunehmender Bedeutung ist. Denn in der o. g. wissenschaftlichen Untersuchung zum Thema Rechtsextremismus
ist ein auffälliges Ergebnis, dass die Aussagen zu den
Dimensionen Ausländerfeindlichkeit und Chauvinismus die höchsten Zustimmungswerte erhalten. Teilweise stimmen über 40 % der Befragten ausländerfeindlichen Aussagen zu.
Die Erscheinungsformen und Ursachen für das
Entstehen von Rechtsextremismus sind komplex.
Wenn fremdenfeindliche Einstellungsmuster zunehmen und die Anzahl rechtsextremistisch motivierter
Straftaten wächst, verbirgt sich hinter dieser Entwicklung auch eine tiefe Unzufriedenheit mit dem
politischen und gesellschaftlichen System. Der Politikwissenschaftler Richard Stöss führt in diesem Zusammenhang aus: »Rechtsextremismus wird durch
die sozialen, ökonomischen und kulturellen Verhältnisse erzeugt und nicht umgekehrt.«
Junge Menschen aus sozial schwächeren Familien, in denen autoritäre Erziehungsmuster und
Gewalterfahrungen vorherrschen, sind in besonderem Maße anfällig für rechtsextremistisches Gedankengut. Rechtsextremistische Gruppen erhalten bei
diesen Bevölkerungsgruppen ihre besondere Attraktivität vor allem aufgrund einer breiter werdenden
sozialen Verunsicherung. Arbeitslosigkeit, mangelnde
Zukunftsperspektiven, die wachsende Erfahrung sozialer Ungleichheit und eine immer komplexer werdende Gesellschaft sind dafür die Ursachen. Wer sich
auf der gesellschaftlichen Erfolgsskala als Verlierer
sieht, der unterliegt einem höheren Risiko, sich auf
andere Weise Anerkennung und Selbstbestätigung zu
verschaffen – etwa in einer Gruppe, die sich über eine
vermeintliche »rassische Überlegenheit« abzugrenzen
versucht.
Hieraus folgt, dass auch mit den Mitteln der
Wirtschafts- und Sozialpolitik ein wichtiger Beitrag
zur Eindämmung fremdenfeindlicher und rassistischer Erscheinung geleistet werden muss. Appelle
und Aufklärungsmaßnahmen sind zwar schnell konsensfähig, reichen ohne sozialpolitische Flankierung
aber nicht aus.
Zu den sozialen Realitäten gehört auch, dass
Deutschland ein Einwanderungsland geworden ist.
Aus der unzulänglichen Integration der Migranten
resultieren soziale Probleme, auf die Rechtsextremisten mit fremdenfeindlichen Forderungen reagieren.
Die Islamophobie hat sich im Rechtsextremismus zu
einem organisationsübergreifenden Ideologieelement
entwickelt, das geeignet ist, muslimfeindliche Stimmungen in der Bevölkerung aufzugreifen. Die Auseinandersetzung mit dem Islam muss deshalb ausgesprochen differenziert erfolgen, damit islamophobe
Grundstimmungen nicht weiter angeheizt werden.
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Strategien zur Bekämpfung des Rechtsextremismus
müssen also von der Einsicht geleitet sein, dass es sich
primär um ein politisches und gesellschaftliches Problem handelt. Die Verengung auf repressive Formen
der Auseinandersetzung ist keine hinreichende Antwort. Gefordert ist ein integratives Konzept, das neben repressiven sowohl sozial- als auch bildungs- und
integrationspolitische Maßnahmen einschließt und
das darüber hinaus zivilgesellschaftliche Aktivitäten
ermuntert und unterstützt. So sinnvoll Aufklärungsmaßnahmen an Schulen sind, so richtig es ist, den
Rechts-extremisten mit Zivilcourage entgegenzutreten, und so hilfreich Aussteigerprogramme in Einzelfällen sind - als isolierte Maßnahmen ohne Einbettung
in ein Gesamtkonzept, das den gesellschaftlichen und
sozialen Entstehungsbedingungen Rechnung trägt,
verlieren diese Handlungsansätze an Wirkung.
Die Erfahrung der letzten Jahre lehrt, dass gegen den Rechtsextremismus gerichtete politische und
gesellschaftliche Bekämpfungsansätze auf Stetigkeit
ausgerichtet sein müssen.
Der Landtag fordert deshalb die Landesregierung auf, alle Anstrengungen zu unternehmen, um der
rechtsextremistischen Subkultur den Nährboden zu
entziehen. Angesichts des verstärkten öffentlichen und
zunehmend aggressiven Auftretens rechtsextremistischer Gruppierungen und Kamerad-schaften muss dies
ein zentraler Inhalt ihres Handelns werden.
Hierzu gehören:
I. Maßnahmen zur Demokratisierung der Gesellschaft in allen Bereichen,
II. Maßnahmen zur Beseitigung von Jugendarbeitslosigkeit, um Zukunftsperspektiven zu gewährleisten,
III. Herstellung gleicher Bildungschancen für Jugendliche aller sozialen Schichtungen,
IV. pädagogische Maßnahmen, die sozialer Verunsicherung entgegenwirken und die gesell-schaftliche und politische Partizipation ermöglichen, sowie
V. Maßnahmen zur Förderung interkultureller Begegnungen/Förderung von Schulungsangebo-ten,
um Toleranz und respektvollen Umgang miteinander zu vermitteln sowie demokratische Prozesse
erfahrbar zu machen.
Ein Aktionsprogramm gegen Rechtsextremismus,
Menschenfeindlichkeit und Antisemitismus muss
deshalb folgende konkrete Maßnahmen umfassen:
— Demokratieerfahrung und Menschenrechtserziehung an Schulen (Lernziel Demokratie),
— Qualifizierung von Erzieherinnen und Erziehern
und von Lehrerinnen und Lehrern,
— Erweiterung der Erzieher- und Lehrerausbildung
im Studium um interkulturelle Kompetenz,
— Ermöglichung interkultureller Erfahrungen sowie
Förderung von Toleranz und respektvollem Um-
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gang in schulischer und vorschulischer Erziehung
(Kita und Schule),
Förderung einer psychisch stabilen Entwicklung
von Kindern und Jugendlichen,
eine verstärkte Förderung von Kindern aus sozial
benachteiligten Familien, z. B. durch Familienzentren, den Ausbau von qualifizierten Ganztagsschulen und die Intensivierung von Maß-nahmen individueller Förderung,
Bildungsoffensive gegen rechtsextremes Gedankengut: mehr Politikunterricht an Schulen und
Wiedererrichtung der Landeszentrale für Politische
Bildung,
Förderung von Erinnerungskultur und Ausbau der
Gedenkstättenarbeit,
die Ermöglichung des Erlebens von praktischen Erfolgen bei der Mitwirkung an demokratischen Prozessen (Selbstwirksamkeitserfahrungen),
Bewahrung individueller Schutzrechte,
Ausbau von Beteiligungsrechten im betrieblichen
Alltag,
Humanisierung der Arbeitswelt,
Weiterbildung von Führungskräften in der Verwaltung,
stärkere Inpflichtnahme der öffentlich-rechtlichen
Medien (Rundfunk, Fernsehen), die ihren Bildungsauftrag akzentuieren müssen, statt zunehmend Formate der privaten Sender zu kopieren,
— Beseitigung von strukturellen und institutionellen
Diskriminierungen,
— verstärkte Unterstützung von zivilgesellschaftlichen Institutionen,
— niedrigschwelliger Zugang zu kulturellen Gütern.
Begründung
In der im Mai 2008 erschienenen Studie zur Entstehung rechtsextremer und demokratischer Ein-stellungen in Deutschland »Ein Blick in die Mitte« wird
festgestellt, dass viele Menschen Defizite haben, sich
selbst als Subjekte demokratischer Prozesse zu begreifen.
Um demokratische Prozesse wieder verstärkt zu
fördern und Ausgrenzung und Individualisierung entgegen zu wirken, ist neben einer aktiven Aufklärung
über die Ursachen von Rechtsextremismus an Schulen
es auch notwendig, über die Schule hinaus in anderen
gesellschaftlichen Bereichen, z. B. in der Arbeitswelt,
die Erfahrung von Demokratie und Teilhabe zu ermöglichen und auszubauen.
Es ist notwendig, in allen gesellschaftlichen Bereichen jede Form von Ungleichwertigkeitsdiskursen
und stigmatisierenden Darstellungen vor allem in
den Medien zu vermeiden.
Menschen müssen in Politik, Unternehmen und
Bildungseinrichtungen die Erfahrung machen können, dass sie ein bestimmtes Ziel auch durch Überwindung von Hindernissen am Ende tatsächlich erreichen
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können. Das aktive Mitgestalten in ihrer Lebens- und
Arbeitswelt muss gefördert und ge-stärkt werden. Um
dieses Ziel erreichen zu können und auch bildungsbenachteiligte Mitglieder unserer Gesellschaft mit einzubeziehen, sind neue Partizipationsformen und -methoden notwendig.
Ein Unverständnis der Mitgestaltungsmöglichkeiten kann zu einer gefährlichen Geringschätzung
unserer demokratischen Freiheiten führen. Vielfach
wird leider die Akzeptanz des demokratischen Systems ausschließlich mit der Gewährleistung materiellen Wohlstands verknüpft. Das Gefühl, der eigene
Wohlstand sei gefährdet, kann bei dieser Denkweise
nicht nur zu Demokratie-, sondern auch zu Politikverdrossenheit führen.
Zunehmender Normierungsdruck und Zugriff
staatlicher Stellen auf Menschen führen unter Umständen zu einer Einschüchterung. Wird eine Ausgrenzung bei abweichendem individuellen Verhalten
gesellschaftlich sanktioniert und kommt die Forderung nach verstärkter Reglementierung von abweichendem individuellen Verhalten hinzu, z. B. durch
die Darstellung in Medien, werden Vorurteile verstärkt. Dadurch kann ausländerfeindliches und antidemokratisches Verhalten gefördert werden.
Die »Wiederentdeckung eines verklärenden
Heimatbegriffes«, der ausschließlich auf Herkunft
und Abstammung beruht und nicht auch auf den Ort
und das gesellschaftlichen Umfeld bezogen ist, indem man lebt und in dem man politische Prozesse aktiv mit gestalten kann, kann ausländerfeindliche Tendenzen fördern. Davon sind insbesondere Menschen
mit Migrationshintergrund betroffen, da sie ja in einer
»neuen Heimat« leben, die sie aktiv mit gestalten wollen und sollen. Sie dürfen nicht ausgegrenzt werden.
Diskurse, die eine Ungleichwertigkeit von Menschen
behaupten, müssen unterlassen und gesellschaftlich
geächtet werden.
Wir brauchen eine stärkere Verpflichtung der
öffentlich-rechtlichen Medien auf ihren gesellschaftlichen Bildungsauftrag. Wissensdefiziten über den
Aufbau des demokratischen Systems muss entgegen
gewirkt werden, und die Mitwirkungsmöglichkeiten
des Einzelnen müssen umfassend dargestellt und
praktisch gelernt werden.
Eine sensible Erinnerungskultur bezüglich der
nationalsozialistischen Vergangenheit muss gepflegt
werden. Dies bedeutet, von Deutschen begangene Verbrechen anzuerkennen, einen emotionalen Zugang zu
der Vergangenheit zu eröffnen und die aus der Geschichte erwachsende Verantwortung zu vermitteln.
Es reicht nicht aus, im Unterricht Vergleiche
über totalitäre Systeme zu vermitteln oder sie gar
gleichzusetzen. Auch darf keine Aufrechnung mit
anderen Extremismen erfolgen. Eine unspezifi-sche
Auseinandersetzung mit dem Extremismus schlecht-
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hin verwischt die Unterschiede in Hinsicht auf die
sozialen und gesellschaftlichen Entstehungsbedingungen und verliert sich in allgemein gehaltenen
Aussagen und Appellen. Zugleich verdeckt eine solche
Gleichsetzung der Extremismusspielarten den Blick
auf die eigentliche Gefahr, auf die Anschlussfähigkeit
fremdenfeindlicher Parolen in der Mitte der Gesellschaft, denn Rechtsextremisten benötigen die in der
Bevölkerung vorhandenen Vorurteilsstrukturen als
Resonanzboden für die erfolgreiche Verbreitung ihrer
menschen-feindlichen Botschaften.
In den Vordergrund zu stellen ist vielmehr eine
grundlegende Menschenrechtsbildung. Hierzu gehören insbesondere die herausragende Stellung der
Menschenrechte in den Verfassungen und der Umgang mit ihnen in der Gesellschaft.
In einer Einwanderungsgesellschaft ist es eine
Bildungsaufgabe von herausragendem Stellenwert,
Verständnis für den Fremden, für das Andere zu vermitteln. Der indische Nobelpreisträger für Öko-nomie
Amartya Sen warnt vor den Folgen einer reduktio-
nistischen Betrachtungsweise: »Unser gemeinsames
Menschsein wird brutal in Frage gestellt, wenn unsere Unterschiede reduziert werden auf ein einziges,
willkürlich erdachtes Einteilungsschema, dem alles
andere untergeordnet wird.« Deshalb ist es in einer
Gesellschaft mit einem hohen Anteil von Migranten geboten, die politische Bildung, insbesondere die
Menschenrechtsbildung, auszuweiten. Die Auflösung
der Landeszentrale für politische Bildung weist in die
entgegengesetzte, die falsche Richtung.
Eine gelungene Integrationspolitik muss gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit und islamophobe Einstellungsmuster und Vorurteile abbauen. Neben
den religiösen sind vor allem auch die sozialen Aspekte von Migrationserfahrungen in den Vordergrund zu
stellen.
Wolfgang Jüttner
Fraktionsvorsitzender
(Ausgegeben am 05.11.2008)
Institut für interdisziplinäre Konfliktund Gewaltforschung
Gesellschaftliche Entwicklungen,
Rechtsextremismus und
Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit
Prof. Dr. Wilhelm Heitmeyer
Hannover, 17.04.2009
Prozessmodell
Gesellschaftliche Strukturentwicklungen –
Integrations-/Desintegrationsdynamik
5
1
6
Politikund Mobilisierungsangebot
des organisierten,
subkulturellen Rechtsextremismus und
des Rechtspopulismus
2
3
4
Gruppenbezogene
menschenfeindliche
Mentalitäten in
Bevölkerungen
Prozess 1
Politische Entscheidungen, die soziale
Desintegration für Gruppen in der
Gesellschaft erzeugen, verstärken
gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit in
der Bevölkerung
Theorie Sozialer Desintegration
Konzept
Integrationsdimension
strukturell:
institutionell:
sozio -emotional:
individuell -funktionale
Systemintegration
kommunikativ -interaktive
Sozialintegration
kulturell -expressive
Sozialintegration
Lösung folgender
Aufgabenstellung:
• Teilhabe an
materiellen und
kulturellen Gütern
• Ausgleich konfligierender
Interessen
• Herstellung
emotionaler
Beziehungen
Beurteilungskriterien:
• Zugänge zu
Teilsystemen (objektiv)
• Teilnahmechancen/
Teilnahmebereitschaft
[am Entscheidungs prozess]
• Anerkennung
personaler Identität
• Anerkennung (subjektiv)
Anerkennungsformen
Anhut/Heitmeyer 2000
positionale
Anerkennung
• Einhaltung von
Grundprinzipien
[Fairness,
Gerechtigkeit,
Solidarität]
moralische
Anerkennung
• Akzeptanz
kollektiver
Identitäten und
Symbolik
emotionale
Anerkennung
Empirische Einblicke
Gesellschaftliche Strukturentwicklungen: Soziale Spaltung
Beispiel Deutschland
Westdeutschland
Ostdeutschland
Reichstes Viertel
51230€
28540€
+27,5%
+85,8%
Veränderungen
gegenüber 1993
-49,5%
-21,0%
2490€
2030€
Ärmstes Viertel
Quelle: empirica/„Die Zeit“, 12.08.2004 und „Spiegel“ 34/2004
Jürgen Mansel/ Wilhelm Heitmeyer: Spaltung der Gesellschaft. Die negativen Auswirkungen auf das
Zusammenleben. In: Heitmeyer, W. (Hg.): Deutsche Zustände, Band 3, 2005, Suhrkamp, S. 39-72.
Theorie Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit
Konzept
Beispiel Deutschland
Sexismus
Etabliertenvorrechte
Homophobie
Antisemitismus
Islamophobie
Ideologie der
Ungleichwertigkeit
Abwertung von
Obdachlosen
Fremdenfeindlichkeit
Abwertung von
Behinderten
Rassismus
Abwertung von
Langzeitarbeitslosen
Quelle: Heitmeyer, W. (Hg.): Deutsche Zustände, Band 6, Suhrkamp Verlag, Frankfurt.
Empirische Einblicke
Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit
Beispiel Deutschland
Empirische Einblicke
Effekte von Desintegration auf Fremdenfeindlichkeit
2002
2004
.86
Mangel an soz.
Unterstützung
.30
.40
Prekarität
.22
.08
.83
Mangel an soz.
Unterstützung
.10
.07
Mangel an soz.
Unterstützung
.10
.08
Prekarität
.79
Fremdenfeindlichkeit
2006
.78
Prekarität
.07
.83
Fremdenfeindlichkeit
.90
Fremdenfeindlichkeit
Modellfit: Chi-Sqare = 182.70; df = 174; CFI = .996; RMSEA = .012; SRMR = .048; Pfade: p < .05;
Mansel/Christ/Heitmeyer (under review)
Prozessmodell
Gesellschaftliche Strukturentwicklungen –
Integrations-/Desintegrationsdynamik
5
1
6
Politikund Mobilisierungsangebot
des organisierten,
subkulturellen Rechtsextremismus und
des Rechtspopulismus
2
3
4
Gruppenbezogene
menschenfeindliche
Mentalitäten in
Bevölkerungen
Prozess 2
Menschenfeindliche Mentalitäten verändern
negativ das soziale Klima und die
demokratische politische Kultur in den
Sozialräumen von Städten und
Gemeinden
Empirische Zusammenhänge
Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit nach Regionentrend
(GMF-Survey 2007)
Etabliertenvorrechte, n.s.
Abwertung von Obdachlosen**
Abwertung von Langzeitsarbeitlosen, n.s.
Fremdenfeindlichkeit**
aufwärtsstrebende
Regionen
Sexismus*
gleichbleibende
Regionen
Islamophobie*
abwärtsdriftende
Regionen
Rassismus**
1
1,5
2
2,5
3
3,5
4
**=p < .001; *=p<.05
Empirische Zusammenhänge
Wo verdichten sich die Probleme in den Sozialräumen ?
Quelle: Martin Petzke/ Kirsten Endrikat/ Steffen M. Kühnel: Risikofaktor Konformität. Soziale Gruppenprozesse im
kommunalen Kontext. In: Heitmeyer, W. (Hg.): Deutsche Zustände, Band 5, 2007, Suhrkamp, S. 62.
Prozessmodell
Gesellschaftliche Strukturentwicklungen –
Integrations-/Desintegrationsdynamik
5
1
6
Politikund Mobilisierungsangebot
des organisierten,
subkulturellen Rechtsextremismus und
des Rechtspopulismus
2
3
4
Gruppenbezogene
menschenfeindliche
Mentalitäten in
Bevölkerungen
Prozess 3
Menschenfeindliche Mentalitäten schaffen
Legitimationen für den organisierten oder
subkulturellen Rechtsextremismus und
rechtspopulistische Aktivitäten
Empirische Einblicke
Beispiel Deutschland
Rechtspopulismus und
Einstellungen
zur Gewalt bei den Befragten
in den Bundesländern
(Prozentangaben (%) und
Mittelwerte, kumulierter GMFSurvey)
Quelle:
Christian Babka von Gostomski/ Beate Küpper/
Wilhelm Heitmeyer: Fremdenfeindlichkeit in den
Bundesländern. Die schwierige Lage in
Ostdeutschland.
In: Heitmeyer, W. (Hg.): Deutsche Zustände, Band 5,
2007, Suhrkamp, S. 120.
(N=9968/2006)
Empirische Einblicke
Beispiel Deutschland
Anzahl rechtsextremistisch
motivierter Gewalttaten je
100 000 Einwohner in den
Jahren 2004 und 2005
Quelle: Verfassungsschutzbericht 2005
Prozessmodell
Gesellschaftliche Strukturentwicklungen –
Integrations-/Desintegrationsdynamik
5
1
6
Politikund Mobilisierungsangebot
des organisierten,
subkulturellen Rechtsextremismus und
des Rechtspopulismus
2
3
4
Gruppenbezogene
menschenfeindliche
Mentalitäten in
Bevölkerungen
Prozess 4
Organisierter Rechtsextremismus bietet ein
Wahlangebot und knüpft an den
Zusammenhang von Desintegration und
Demokratieentleerung. Von besonderer
Bedeutung: Rechtspopulistisches
Mobilisierungspotenzial
Empirische Zusammenhänge
Desintegration
Beurteilung des politischen Systems
Individuelle politische Reaktion
Funktionale
Systemintegrati
on
.24
.14
.15
.13
Politische
Machtlosigkeit
.17
.18
.19
.29
Institutionelle
Sozialintegration
Rechtspopulistische
Einstellungen
Demokratiezweifel
.33
.12
.24
.37
.15
.34
.22
.29
.13
.21
Demokratiemißachtung
durch politische Eliten
.26
.15
.16
Sozio-emotionale
Desintegration
Model Fit:
Chi²/df=1,8, agfi=,99, rmsea=,02, pclose=,77
Prozessmodell
Gesellschaftliche Strukturentwicklungen –
Integrations-/Desintegrationsdynamik
5
1
6
Politikund Mobilisierungsangebot
des organisierten,
subkulturellen Rechtsextremismus und
des Rechtspopulismus
2
3
4
Gruppenbezogene
menschenfeindliche
Mentalitäten in
Bevölkerungen
Prozess 5
Organisierter Rechtsextremismus
skandalisiert gesellschaftliche
Entwicklungen der Desintegration und der
Effekte eines autoritären Kapitalismus.
Dies führt zu einer „Normalisierung“
rechtsextremistischer Parteien in Teilen
der Bevölkerung.
Normalisierung der NPD
Quelle:
Heitmeyer (2009):
Deutsche Zustände.
Folge 7. Frankfurt am
Main: Suhrkamp.
Prozessmodell
Gesellschaftliche Strukturentwicklungen –
Integrations-/Desintegrationsdynamik
5
Politikund Mobilisierungsangebot
des organisierten,
subkulturellen Rechtsextremismus und
des Rechtspopulismus
1
6
2
3
4
Gruppenbezogene
menschenfeindliche
Mentalitäten in
Bevölkerungen
Prozess 6
Gegenreaktionen:
Staatliche Repression und
zivilgesellschaftliche Intervention müssen
in komplexerer Dynamik gedacht werden
als dies bisher geschieht.
Das Problem der Reproduktion. Ein Modell
Entscheidungen ökonomischer und
politischer Eliten
(1)
Desintegrationsrelevante
Folgeentscheidungen/ Erfahrungen
und subjektive Verarbeitungen von
Desintegration
(2)
Initiierung von
Identitäts-kampagnen
Normalisierung von
Abwertung und
Ausgrenzung
(3)
Populistisches
Aufgreifen von
Stimmungen
(4)
„Vervielfältigung“;
Kanalisierung von Themen
GMF-Mentalitäten in der
Bevölkerung
„Schweigespirale“
(5)
Öffentliche Diskurse
von Eliten/Produktion von Bildern
durch Medien
(6)
Reproduktionsmodell
von
Einstellungsmustern
zur
Gruppenbezogenen
Menschenfeindlichkeit
Ältere Generation/ Eltern
Intergenerationale
Sozialisation, Rolle der
Bezugsgruppe
Jugendliche
Legitimationsbeschaffung für
Abwertung und
Ausgrenzung
(8)
(7)
Wahlangebote
Organisationsangebote/
Anerkennungspotential
AustauschOrganisierte Gruppen/Parteien des
prozeß
rechtsextremen Spektrums
Unterstützung/
Übernahme von
Positionen
Quelle:
Wilhelm Heitmeyer:
Unthematisierte
Reproduktionsprozesse. Zur
Selbststabilisierung
eines feindseligen
Klimas.
In: ders. (Hg.):
Deutsche Zustände,
Band 5, 2007,
Suhrkamp, S. 283.
Zurück nach Europa
Rechtsextreme Politikangebote in Europa (Nationale Parlamentswahlen)
Quelle: Cas Mudde (2008): Radikale Parteien in Europa,
APuZ, 47, 12-19.
Dokumentation der Veranstaltung »Rechtsextremismus bekämpfen, Demokratie fördern, Menschenrechtsbildung ausbauen.« 17. April 2009
Referat von Prof. Dr. K. Peter Fritzsche
UNESCO-Lehrstuhl für Menschenrechtsbildung
Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg
Anerkennung ist nicht genug!
Zur Prävention der Menschenrechtsbildung gegen
den Rechtsextremismus
12 Thesen
1. Der politische Ruf nach Bildung zur Bekämpfung
des Rechtsextremismus ist nicht neu! So richtig
es immer wieder ist, darauf zu verweisen, dass
Bildung weder eine kurzfristige „Feuerwehrrolle“ übernehmen kann, noch Fehler der Sozial-,
Integrations- oder Medienpolitik kompensieren
kann, so richtig ist es auch, das empirisch belegte Präventionspotenzial von Bildung zu nutzen.
Welche Erwartungen und Anforderungen sind
aber mit dem relativ neuen Ansatz der Menschenrechtsbildung verbunden?
2. Vertreter der Menschenrechte und Anhänger der
Ideologien der Ungleichwertigkeit beziehen sich
in wechselseitiger Kritik und Gegnerschaft aufeinander. Bereits der klassische Faschismus bekämpfte die »Ideen von 1789« und die Ideale der
internationalen Menschenrechtsentwicklung,
wie sie sich in der Allgemeinen Erklärung der
Menschenrechte ausdrücken, sind eine direkte
Reaktion auf die systematische Entrechtung
und Entwürdigung im Nationalsozialismus. Der
moderne Rechtsextremismus wiederum stellt
der Gleichheitsvorstellung der Menschenrechte sein »realistisches Menschenbild der Verschiedenartigkeit der Menschen« entgegen.
Die Menschenrechtsbildung zielt mit ihren
Bildungsperspektiven deshalb auf die Wurzel
der menschenfeindlichen Herausforderung: Sie
versucht, eine Bereitschaft oder Neigung andere
Menschen zu entwürdigen und abzuwerten, gar
nicht erst entstehen zu lassen.
3. Soviel Menschenrechtsbildung war nie: Während
es in Deutschland bereits 1980 einen differenzierten KMK-Beschluss zur Berücksichtigung der
Menschenrechtsbildung in Unterricht und Schule gab, der 2000 noch einmal bestätigt wurde,
erfolgte international der Aufschwung der Menschenrechtsbildung nach der Wiener Weltkonferenz zu den Menschenrechten im Jahr 1993. Seitdem gibt es eine Zunahme an Weltprogrammen,
Konferenzen, Seminarangeboten, Workshops,
Weiterbildungen, Veröffentlichungen und Erziehungsmaterialien. Auch wenn die Zielwerte der
Weltprogramme nirgendwo erreicht sind und es
der MRB auch in Deutschland noch schwer fällt
sich schulisch und außerschulisch zu verankern,
so ist der langfristige Aufwärtstrend doch erkennbar.
Dokumentation der Veranstaltung »Rechtsextremismus bekämpfen, Demokratie fördern, Menschenrechtsbildung ausbauen.« 17. April 2009
4. Die Menschenrechtsbildung gewinnt Profil. Sie
zielt darauf, dass die Menschen die Idee verstehen, die Instrumente kennen, die Imperative befolgen. Die Idee verstehen heißt, jenseits aller
Artikel und Abkommen die Menschenrechte als
einen Zivilisationsentwurf verstehen, als Angebot für ein Zusammenleben in gleicher Würde
und mit gleichen Rechten und mit der der Toleranz unterschiedlicher Lebensformen. Die Instrumente kennen heißt, Grundkenntnisse haben
über die Möglichkeiten, sich gegen Menschenrechtsverletzungen zu schützen und zu verteidigen. Die Imperative kennen will sagen, dass sich
aus den Menschenrechten vier Handlungsaufforderungen ergeben: Kenne und verteidige deine
Rechte! Anerkenne dieselben Rechte aller anderen Menschen! Hilf nach deinen Möglichkeiten
Opfern von Menschenrechtsverletzungen! Achte die Rechte deiner »Klientel« und befolge deine
menschenrechtlichen Schutzpflichten.
5. Diese Imperative unterstreichen, dass sich Menschenrechtsbildung zwar an alle Menschen
wendet, aber dies in einer differenzierten Weise
an unterschiedliche Adressatengruppen: Einerseits an die (potenziellen) Opfer, andererseits
aber auch an die potenziellen Verletzer wie auch
an diejenigen, die als Träger staatlicher Autorität
verpflichtet sind, die Menschenrechte zu achten,
zu schützen und zu fördern.
6. Anerkennung ist nicht genug! Das vielfach geforderte Engagement für eine „Kultur der Anerkennung“ als Reaktion auf Probleme der Fremdenfeindlichkeit und der »gruppenbezogenen
Menschenfeindlichkeit« (Heitmeyer), der Diskriminierung und der Gewalt in der Gesellschaft
darf nicht darüber hinwegsehen, dass es durchaus konkurrierende Angebote der Anerkennung
gibt. Auch in den Gemeinschaften und Kameradschaften der Rechten gibt es vielfältige und offensichtlich als attraktiv angesehene Angebote, Anerkennung zu erlangen: als Weißer, als Deutscher,
als nationaler Revolutionär. Es wurde bislang zuwenig wahrgenommen, welche Verkopplungen
von Anerkennung und Ausgrenzung oder Anerkennung durch Ausgrenzung es gibt. Man erhält
dann Anerkennung nicht als Gleichberechtigter,
sondern als Besonderer, als Privilegierter und
Überlegener. Das Überlegene ist zudem meistens nicht individuell, sondern gemeinschaftlich
zugeordnet. Wir brauchen aber keine exklusive, sondern eine inklusive Anerkennungskultur.
Eine solche Anerkennungskultur, die sich an den
Menschenrechten ausrichtet, also an der universellen Gleichwertigkeit und Gleichberechtigung
Dokumentation der Veranstaltung »Rechtsextremismus bekämpfen, Demokratie fördern, Menschenrechtsbildung ausbauen.« 17. April 2009
aller Menschen, muss ihre Attraktivität gleichwohl immer wieder unter Beweis stellen. Hierzu
reicht es nicht, eine moralische Überlegenheit zu
behaupten, sondern es gilt durch Bildung eine
Anerkennungsbereitschaft zu fördern, die ohne
Ausgrenzungen auskommt.
7. Menschenrechtsbildung entfaltet ein Präventionspotenzial gegen rechte Anerkennungsangebote. Der besondere Anspruch der Menschenrechtsbildung ist es, dass sie nicht nur
Querschnittsunterricht über die Menschenrechte anbietet, sondern dass sie ihren Gegenstand selbst: gleiche Würde, gleiche Rechte und
Selbstbestimmung im Bildungsprozess erfahrbar macht. Es wird in der Folge dann erwartet,
dass diejenigen die frühzeitig die Anerkennung ihrer Würde und Rechte erfahren haben,
es nicht mehr nötig haben, sich Anerkennung
über die Ausgrenzung und Abwertung anderer
zu verschaffen. Auf der Grundlage der Erfahrung gleicher Würde und Rechte, wird auch die
Bereitschaft zur Toleranz gefördert: Man lernt zu
tolerieren, dass die Menschen auf der Grundlage ihrer gleichen Selbstbestimmungsrechte sich
für sehr unterschiedliche Lebensweisen entscheiden können. Damit Menschenrechte in der
Schule aber erfahrbar werden, bedarf es eines
bestimmten Schulklimas, einer Schulkultur und
einer Schulverfassung, die an den Menschenrechten orientiert sind. Dazu müssen Schulen
den Schülern angemessene Mitsprache ermöglichen und sicherstellen, dass Ombudspersonen
Beschwerden über Gewalt oder Diskriminierung
behandeln können. Dies rüttelt an Bestehendem
und fordert Reformen.
8. Es ist nie zu früh: Kinderrechtsbildung ist ein Einstieg in die Menschenrechtsbildung. Auf dem
Weg einer menschenrechtsorientierten Anerkennungskultur können bereits die Kinderrechte
einen wichtigen Grundstein legen. Wenn bereits
Kinder ein Bewusstsein ihrer Menschenrechte
entwickeln, können sie frühzeitig und nachhaltig ihre Menschenrechte wahrnehmen! Wenn
schon Kinder erfahren, dass ihre Freiheiten und
Rechte bei den Freiheiten und Rechten der anderen ihre Grenze haben, werden sie rechtzeitig
lernen die Menschenrechte nicht als eine exklusive Berechtigung missverstehen. Wenn schon
Kinder erfahren, dass Ali und Shula zwar anders
aussehen, aber nicht weniger wert sind als Julia
und Markus, fällt es ihnen auch als Erwachsenen
leichter, Anerkennung und Toleranz zu praktizieren. Schützenhilfe für einen Bedeutungszuwachs
der Kinderrechte in Schule und Unterricht stellt
Dokumentation der Veranstaltung »Rechtsextremismus bekämpfen, Demokratie fördern, Menschenrechtsbildung ausbauen.« 17. April 2009
in Deutschland die (leider kaum bekannte!) »Erklärung zur Umsetzung des Übereinkommens
der Vereinten Nationen über die Rechte des Kindes« der Kultusministerkonferenz vom 3. März
2006 dar, in der sich die Kultusminister/innen
der Bundesländer einstimmig dafür ausgesprochen haben, »dass die Subjektstellung des Kindes und dessen allseitiger Entfaltungsanspruch
in allen Schulstufen und -arten zu respektieren
sind und Maßnahmen zur Förderung von Begabungsvielfalt sowie zur Vermeidung von sozialer
Ausgrenzung verstärkt werden müssen.«
9. Menschenrechtsbildung findet auch an außerschulischen Lernorten statt. Auch wenn Schule
ein bevorzugter Lernort ist, so bestehen auch an
anderen Lernorten wie in Vereinen, NGOs oder
Kommunen der Bedarf und die Chance von an
den Menschenrechten ausgerichteten Bildungsprojekten. Anregungen vielfältiger Art bieten
die Projekte der Antonio Amadeu Stiftung wie
beispielsweise »Gleichwertigkeit leben/Living
Equality«.
10. Zu den Projekten außerschulischer Menschenrechtsbildung zählen auch die Versuche, selbst
die Täter noch zu erreichen. Aus normativer Sicht
der Menschenrechte steht es außer Zweifel, dass
auch diejenigen, die straffällig werden Menschenwürde und Menschenrechte haben. Es ist
ja gerade das Besondere der Menschenrechte,
dass sie unverlierbar sind. Aus empirischer Sicht
stellt sich aber die Frage: Wie erreichbar sind
rechtsextreme Straftäter? Langjährige Projekte,
die vom Konzept »Lernort Knast« (Dovermann)
ausgehen und mit Unterstützung und Anleitung der Bundeszentrale für politische Bildung
durchgeführt werden, ermutigen zumindest in
der Hinsicht, dass es gelingt, die Gewalttätigkeit
der straffällig gewordenen rechtsextremen Gewalttäter durch anerkennende Bildungsangebote im Gefängnis und danach im großen Maße zu
senken.
11. Wir wissen noch wenig über die Erfolge der Menschenrechtsbildung. Obwohl die Erwartungen
an die MRB hoch sind, ist unser Wissen über ihre
Wirkung sehr gering. An die Stelle wissenschaftlicher Evaluation tritt meistens die Sammlung
und frohe Weitergabe von »guter Praxis«: Ermutigende Beispiele über einzelne als gelungen
wahrgenommene Projekte, die schnell die Runde unter den interessierten Bildnern machen, da
es an systematischem Wissen meistens fehlt.
Erst in Ansätzen entwickelt sich – vor allem im
Bereich der Kinderrechtsbildung – eine wissen-
Dokumentation der Veranstaltung »Rechtsextremismus bekämpfen, Demokratie fördern, Menschenrechtsbildung ausbauen.« 17. April 2009
schaftliche Wirkungsforschung. Die allerdings
gibt Anlass zur Zuversicht. Menschenrechtsbildung macht einen Unterschied und fördert prosoziales Verhalten.
12. Bildung für die Bildner! Damit Menschenrechtsbildung auch nachhaltig gelingen kann, bedarf
es der entsprechenden Lehrpersonen, die professionell darauf vorbereitet sind. Menschenrechtsbildung gehört in die Lehrerbildung. Erklärungen
wie die der Kultusministerkonferenz gemeinsam
mit dem Verband Entwicklungspolitik deutscher
Nichtregierungsorganisationen (VENRO) anlässlich des 60. Jahrestags der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte am 10.12.2008, die
erneut auf die Bedeutung hingewiesen haben,
die die Menschenbildung an deutschen Schulen
hat, sollten Taten folgen lassen.
Die erweiterte Neu-Auflage (2009) ist da!
K. Peter Fritzsche
Menschenrechte
Eine Einführung mit Dokumenten
2., erweiterte Auflage, 2009
Kurzbeschreibung
Dieser Band bietet eine fundierte und leicht verständliche Hinführung zur Thematik derMenschenrechte. Die didaktisierte
Darstellung und die typographische Gestaltungunterstützen
dabei das Verstehen. Mit Fotos, Schaubildern und InternetLinkswerden Geschichte, gegenwärtiger Stand und zukünftige
Perspektiven der Verankerungund Fortentwicklung der Menschenrechte dargestellt. Ein durchgängig deutschsprachigerDokumententeil bietet Material für die Arbeit in Seminaren
und Kursen.
Die erweiterte Neuauflage ermöglicht dem Leser Zeuge zusein,
von dem, was der Autor den »unabgeschlossenen Prozess derMenschenrechtsentwicklung« nennt. Neue Schutzinhalte, Institutionen, Akteure, Interpretationen sind zu verzeichnen: der
Menschenrechtsrat, die Behindertenkonvention, die verstärkte
Berücksichtigung des Würdebegriffs, neue Armutsdiskussionen aus menschenrechtlicher Sicht, die Stärkung der WSKRechtedurch neue Beschwerdemöglichkeiten, eine Schärfung
des Profils der Menschenrechtsbildung.
Karl-PeterFritzsche, Jg. 1950, Inhaber des UNESCO-Lehrstuhls für
Menschenrechtsbildungan der Universität Magdeburg
Verlag: Schöningh, 2009; Umfang: 405 Seiten, zahlreiche Abb.
ISBN:3-8252-2437-6; Preis: 15,90 EUR od. 28,50 Sfr
Dokumentation der Veranstaltung »Rechtsextremismus bekämpfen, Demokratie fördern, Menschenrechtsbildung ausbauen.« 17. April 2009
Workshop 1
Jutta Rübke, MdL
Mitglied im Ausschuss
für Inneres, Sport und
Integration
Bemerkungen von Jutta Rübke:
— Mai 2009 in Hannover – kostet viel Geld und Zeit.
Aber das gehört dazu, um »gesellschaftliche Haltung« zu zeigen.
— Gefragt ist bereits ein niedrigschwelliges Eingreifen von Jedem und Jeder.
— Dazu sollte es Trainingsangebote geben.
— Können Medien dabei unterstützen?
— In allen Schulformen muss das Thema »Migration« auf dem Lehrplan stehen.
— KiTas und Schulen sind die ersten Begegnungen außerhalb der Familie, wo Anerkennung an
oberster Stelle stehen muss.
— Dazu müssen LehrerInnen als »BildnerInnen«
weitergebildet werden.
— Migranten und Migrantinnen im öffentlichen
Dienst einstellen.
— Maßnahmen, Quote, Kontrolle
— Gutes Beispiel: aller Orten werden in den Feuerwehren Jugendliche mit Migrationshintergrund
aufgenommen.
— Sozialräumiger Ansatz; wer hat die Deutungsmacht in unserer Zivilgesellschaft?
— Bürgerschaftliches Engagement gefordert; welche Akteure sprechen für Integration und Migration?
— Dazu ist es immer wieder erforderlich, zu hinterfragen, in welchem sozialen Klima und welcher
politischen Kultur wir leben und warum gibt es
vor Ort kaum Konfliktkonzepte?
— Einigkeit bestand unter den an der Diskussion
Teilnehmenden darüber, dass vor allen genannten Unterstützungen die beherrschende Frage
aber ist: »Wie und wer kommt in die Migrationsfamilie, um auch dort über die täglichen Entwürdigungen zu sprechen und sie zu ändern?«
Dokumentation der Veranstaltung »Rechtsextremismus bekämpfen, Demokratie fördern, Menschenrechtsbildung ausbauen.« 17. April 2009
Workshop 1
Manuskript Wolfgang Freter: Welche Maßnahmen
gegen Rechtsextremismus und gruppenbezogene
Menschenfeindlichkeit benötigen wir in Niedersachsen?
Zunächst sollen die drei Begriffe, die im Mittelpunkt
der heutigen Veranstaltung stehen – Rechtsextremismus, gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit
und Menschenrechte -, zueinander in ein definitorisches Verhältnis gestellt werden.
Rechtsextremismus und Menschenrechte
Unter Rechtsextremismus wird nach allgemeinem Verständnis eine Ideologie der Ungleichheit
im Sinne der Ungleichwertigkeit der Menschen
verstanden. Rechtsextremismus könnte aber auch
als Antithese zur universellen Gültigkeit der Menschenrechte bezeichnet werden. In einem »Metapolitischen Hand- und Wörterbuch der kulturellen
Revolution zur Neugeburt Europas« z. B. werden die
Menschenrechte als
»Hauptwerkzeug im Arsenal der modernen
Ideologie des Fortschritts und des individualistischen Gleichheitsdenkens, zugleich Mittel zur Einführung einer Gedankenpolizei in der Gesellschaft
sowie zur Zerstörung der Rechte der Völker« definiert. Weiter heißt es in dem Handbuch: »Die Ideo-
logie der Menschenrechte ist heute die Hauptwaffe
zur Zerstörung der Identität der Völker und zur Kolonisation Europas durch Fremde.« 1
Im »Taschenkalender des Nationalen Widerstandes«, der im Deutschen Stimme Verlag der NPD
erscheint, werden Menschenrechte in einem »Kleinen Lexikon der politischen Grundbegriffe« definiert als
»Vorstellung, daß allen Menschen Würde
und gewisse Grundrechte angeboren seien. Diese
Rechte werden rein individualistisch ausgelegt. Diese liberalistische Vorstellung wird heute vom Imperialismus der ›Westlichen Wertegemeinschaft‹ oft
als Vorwand benutzt, die Unabhängigkeit freier Nationen durch Eingriffe in ihre ureigensten inneren
Angelegenheiten zu schmälern oder abzuschaffen.
Diese Vermengung von Politik (die nationale Anliegen zu vertreten hat und zu gesundem Eigennutz
zugunsten des Volkes verpflichtet ist) und einer
heuchlerischen Moral stützt sich auf die Werkzeuge
der Medienbevormundung im Weltmaßstab sowie
auf die ›politische Korrektheit‹. Die Lehre der Menschenrechte ist ein wichtiger Hebel des Internationalismus zur Schaffung der ›Einen Welt‹, unter
Zerstörung gewachsener kultureller und ökonomischer Strukturen.«
Wie diese Definitionen ausweisen, liefern
Rechtsextremisten ein ideologisches Orientierungs-
Dokumentation der Veranstaltung »Rechtsextremismus bekämpfen, Demokratie fördern, Menschenrechtsbildung ausbauen.« 17. April 2009
muster, das von dem Einzelnen verlangt, seine Individualrechte aufzugeben, um in einer Großeinheit
– Volk, Nation, Volksgemeinschaft – aufzugehen. Für
die Präventionsarbeit stellt sich die Frage, für wen
und in welcher sozialen Situation ein solches »Angebot« attraktiv erscheint.
Rechtsextremismus und gruppenbezogene
Menschenfeindlichkeit
Ideologie, Programmatik und Agitation offenbaren, dass gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit (GMF) für den Rechtsextremismus konstitutiv
ist. Für jede Erscheinungsform der GMF lassen sich
ohne Schwierigkeiten drastische Beispiele finden.
Eine kleine Auswahl:
Antisemitismus
»Wir erkennen in der massiven Überfremdung unseres und der anderen europäischen Völker die
Strategie zur Auslöschung der Gojim-Völker. Die auf
diesem Wege entstehende rassisch, völkisch und
kulturell durchmischte Weltbevölkerung ist der jüdischen Welthirtschaft wehrunfähig preisgegeben.« 2
Homophobie
»Die selbsternannten ›demokratischen Parteien‹ fördern inzwischen alle homosexuellen Unterorganisa-
tionen, selbst bei den Christdemokraten gibt es nun
die LSU ... . Angesichts einer solchen Sympathiewelle
frage ich mich, was normal ist? Zum Glück definieren dies noch nicht die Sensationsmedien, sondern
an der Meinung im Volk, und die drückt sich am Arbeitsplatz, in den Kneipen, in den Nachbarschaftsgesprächen, in der Familie aus, wo die ›Schwulenwitze‹
ein neues Comeback finden und vielleicht Ausdruck
des Widerstandes gegen die stattfindende Umerziehung sind. Die vielen normalen heterosexuellen
Paare in der Nachbarschaft, die vielen Kinder, zeigen
mir zudem, daß es doch noch normale Verhältnisse
in Deutschland gibt. Auch ich betrachte mich als normal und ich denke, das ist besser so!« 3
»Nachdem sie lange einen Status des anerkannten Abweichlertums gefordert hat, ist die homosexuelle Lobby heute dazu übergegangen, eine
Art Überlegenheit zu behaupten, indem sie nicht
nur durch die Blume zu verstehen gibt, heterosexuelle Menschen seien irgendwie unterlegen, minderwertig, krüppelhaft. Nach der Gleichheit der Rechte
kommt also die Forderung nach Sonder-, ja sogar
nach Vorrechten. Man spricht bereits nach einer
Ahndung der Homophobie (Kritik an der Homosexualität), die wie Rassismus oder Antisemitismus
unter Strafe stehen soll. Mit anderen Worten: die
Homo-Mafia will nicht mehr nur friedlich existieren, sondern auch herrschen.« 4
Dokumentation der Veranstaltung »Rechtsextremismus bekämpfen, Demokratie fördern, Menschenrechtsbildung ausbauen.« 17. April 2009
Fremdenfeindlichkeit
»Der Gegner ist dabei, die ‚multikulturelle Gesellschaft‘ zu verwirklichen; das bedeutet natürlich
die Zerstörung unseres Volkes. Wenn wir also unser
Volk retten sollen, so müssen wir diesen Kampf bedingungslos aufnehmen und zwar auf allen Ebenen
und in allen Lebensbereichen. ...
Sucht gleichgesinnte Familien, damit Eure Kinder nicht mit dem netten Türken von nebenan oder
dem Negerkind von nebenan spielen müssen.« 5
Rassismus
»Wer begeht biologischen Verrat:
Jeder, der Kinder anderer Rassen adoptiert und in
unseren Lebensbereich bringt, so daß dadurch die
Bastardisierung hier gefördert wird. ...
Jede Frau, die einen Mann fremder Rasse heiratet und dadurch entweder krankheitsanfälligen
Kindern das Leben gibt oder unter Verzicht auf Kinder ausstirbt.« 6
»Das Sittengesetz in uns gebietet gleichgeartete Gattenwahl, die Gewähr für gleichgeartete
Kinder« 7
Rassismus und Antisemitismus
»Mit der Wahl von Barack Obama ... hat sich das wahre Wesen des amerikanischen Molochs im 21. Jahrhundert enthüllt. Das weiße von europäischen Aus-
wanderern getragene Amerika befindet sich durch
Einwanderung und Rassenmischung in Auflösung
und hat mit dem Afrika-Sprößling seinen symbolischen Totengräber ins Präsidentenamt gewählt. ...
Die alte Selbstbehauptungsstrategie des
Judentums, Inländervorrechte durch Minderheitenrechte zu ersetzen und ethno-kulturelle Unterschiede zwischen dem Eigenen und den Fremden
zu verwischen, deckt sich mit den Interessen aller
Minderheiten, Mischlinge und Entwurzelten im
Schmelztiegel Amerika.«8
Sozialdarwinismus
»So wie mein Opa den Juden abstrafte
so wie der Skinhead den Türken jagt
So wie der weiße Mann den Nigger versklavte
So wie der Deutsche den Polaken hasst. ...
Das ist der Lauf der Natur
Gesetze des Lebens – pur
Fressen oder gefressen werden
Starke überleben und Schwache sterben.« 9
Auslese = Kollektiver Auswahlprozess, bei dem den
Unfähigeren oder Schwächeren auf der Grundlage
des Wettbewerbs eine untere Stelle eingeräumt
wird oder sie ausgeschieden werden, während die
Begabteren oder Fähigeren den Vorrang erhalten.
(Definition)
Dokumentation der Veranstaltung »Rechtsextremismus bekämpfen, Demokratie fördern, Menschenrechtsbildung ausbauen.« 17. April 2009
... Die Überlegenheit eines Volkes, einer Kultur, einer
Rasse, einer Art beruht letztendlich auf deren langfristiger Überlebensfähigkeit, d.h. Auf deren Fähigkeit, die Falle der Auslese zu überwinden und sich
im Wettkampf des Lebens zu behaupten.« 10
Islamophobie
»Heute reisen sie nicht mit Krummsäbeln ein, sondern mit Kopftüchern an ihrer Seite und einer höchst
gefährlichen Samenkanone, die sie ständig bei sich
tragen und das wollen wir nicht in Europa und nicht
in Deutschland. Sie sollen sich dort vermehren, wo
sie hingehören ....
Und wer Selbstrespekt hat und Stolz entwickelt hat auf das, was er ist und über die Ahnenkette
geworden ist, der wird sich wehrhaft dieser muselmanischen Bedrohung entgegenstellen mit Herz,
mit Verstand und wenn nötig auch mit Hand«. 11
»Eine bedrohliche Islamisierung des Alten
Kontinents schreitet unaufhaltsam voran. Der Krieg
der Kulturen scheint im Kreißsaal entschieden zu
werden, denn die Schwächung der europäischen
Völker macht sich auch in ihrer Reproduktionsrate bemerkbar. ... der islamische Bevölkerungsanteil
wächst in viel stärkerem Maße als der der autochthonen Bevölkerung überall in Europa. Die Zeit, in
der Deutsche und Franzosen Fremde im eigenen
Land sein werden, ist höchst berechenbar. ... Die
Niederlande, Spanien, England, Frankreich und jetzt
auch Deutschland: Die Einwanderer in Europa melden ihren Herrschaftsanspruch deutlich an.« 12
Aus dem Dargelegten lässt sich als Schlussfolgerung eine weitere Definition ableiten: Rechtsextremismus kann als die mit mehr oder weniger
deutlich ausformulierten politischen Forderungen
verbundene organisierte Form gruppenbezogener
Menschenfeindlichkeit bezeichnet werden.
Zum Glück ist es ein weiter Weg von der Prädisposition bis zur Organisation: In den aktuellen
Verfassungsschutzberichten wird für Deutschland
ein rechtsextremistisches Potenzial von 30.000
Personen ausgewiesen; GMF hingegen ist ein Syndrom, das Millionen Menschen betrifft. Rechtsextremismus und GMF sind also nicht identisch, aber
GMF bildet die Grundlage, den Resonanzboden für
den Rechtsextremismus und seinen Erfolg. Der Soziologe Oskar Negt appelliert deshalb in Bezug auf
die Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus
»auf der gesicherten sozialwissenschaftlichen Erkenntnis zu beharren, daß Bewegungen, die ihre
Identität ausschließlich aus Feinderklärungen gewinnen, durch Ausgrenzung der Fremden und Andersdenkenden, nur dann Erfolg haben, wenn sie
genügend Sympathisanten im gesellschaftlichen
Zentrum finden.« 13
Dokumentation der Veranstaltung »Rechtsextremismus bekämpfen, Demokratie fördern, Menschenrechtsbildung ausbauen.« 17. April 2009
Leitgedanken zum Umgang mit
Rechtsextremismus
1. Der Kampf gegen Rechtsextremismus muss,
wenn er ursächlich ansetzen soll, den qualitativen Umschlag von GMF zum organisierten
Rechtsextremismus verhindern. Aktionen gegen
den organisierten Rechtsextremismus, gegen
einzelne Personen sind in der Regel schnell konsensfähig, bergen aber die Gefahr der schnellen
Zufriedenheit, der Selbstgerechtigkeit und eines
Kurierens an Symptomen in sich. Oskar Negt
mahnt: »Die Schlägerbanden, die Feuerballen in
bewohnte Häuser werfen, sind schlimm genug;
gefährlicher für den Bestand eines demokratischen Gemeinwesens sind die, die zustimmend
zusehen oder noch schlimmer: zustimmend
wegsehen, wenn Stellvertreter das tun, wozu sie
selbst, solange der staatliche Befehl noch nicht
erkennbar ist, keinen Mut haben.« 14
2. Extremismus bringt immer auch eine Kritik an
bestehenden Verhältnissen zum Ausdruck. Bei
aller Abscheu vor rassistischen und fremdenfeindlichen Äußerungen sollte die Suche nach
einem rationalen Kern rechtsextremistischer Äußerungen und Handlungen nicht unterbleiben.
Haben wir es möglicherweise mit einem perver-
tierten Ausdruck von Hoffnungen auf ein besseres Leben zu tun? Was gibt uns das Recht über
kaum der Artikulation fähige 15jährige Jugendliche selbstgerecht den Stab zu brechen, wie dies
in der Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus leider häufig allzu schnell geschieht?
Hierzu noch einmal Oskar Negt:
»Wie soll man mit ‚unwertem Leben‘ leben, mit
dem umgehen, was aus den Gebrauchsrastern
der Leistungsgesellschaft herausfällt, mit verschrottbarem, parasitärem Leben? Die Mordlust
ist Ausdruck eines räuberischen Kampfes um
Erfolg, der jede Form der Solidarität und der Gefühlswelt des Mitleidens beschädigt. Dieser Sozialdarwinismus, bei dem nur die Bestausgestatteten überleben, bestimmt das Handeln jener,
die bei diesem Kampf auf der Strecke geblieben
sind. Sie sind Kinder dieser Gesellschaft, Opfer
und blutige Täter in einem.«
3. Rechtsextremismus ist ein internationales Phänomen. Erklärungs- und Bekämpfungsansätze,
die auf Analogien zur nationalsozialistischen
Herrschaftsperiode zurückgreifen und Kontinuitäten betonen, greifen deshalb zu kurz. Der Beitrag des Geschichtsunterricht und der Gedenkstättenarbeit sollte deshalb nicht überschätzt
Dokumentation der Veranstaltung »Rechtsextremismus bekämpfen, Demokratie fördern, Menschenrechtsbildung ausbauen.« 17. April 2009
4. Wie aufgezeigt wurde, spiegelt die rechtsextremistische Ideologie und Agitation, die einzelnen Elemente der GMF wider. Jede Erscheinungsform der
GMF bildet deshalb zugleich ein politisches Handlungsfeld gegen Rechtsextremismus. Rassismus,
Islamophobie und Integrations- sowie Sicherheitspolitik, Sozialdarwinismus und Sozial- bzw. Wirtschaftspolitik, Homophobie und Erziehungspolitik
usw. bilden enge Bezugsgeflechte.
Bei der Gestaltung der Politikfelder, vor allem aber in den politischen Debatten sind mögliche Wirkungen auf den Rechtsextremismus
einzubedenken. Dies gilt in besonderer Weise für
die innenpolitische Debatte über Zuwanderung
und die Bedrohung durch den Islamismus, die zu
einer Belastung für die in Deutschland lebenden
Moslems geworden ist.
losophie der Ungleichheit, nicht in Vergessenheit geraten. Sie bildet ein Angebot für Eliten zur
Legitimation gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Herrschaftsstrukturen. Rechtsextremistisches Denken ist also offensichtlich eine Facette
menschlichen Daseins. Wer glaubt, den Rechtsextremismus durch die Bekämpfung von Personen oder durch ein Verbot von Organisationen
eliminieren zu können, unterliegt einer Illusion
und ist geschichtsvergessen. Gegen die Vertreter
einer intellektuellen Form des Rechtsextremismus, die nach kultureller Hegemonie, also Deutungsmacht, streben, helfen Auseinandersetzungen auf der Straße nicht. Vielmehr bedarf es
beständiger demokratischer und argumentativer Überzeugungskraft, um den verführerischen
Ideologien und Philosophien der Ungleichheit
auf der Ebene der intellektuellen Auseinandersetzung wirksam entgegenzutreten. Deshalb ist
es unabdingbar, sich mit den Inhalten rechtsextremistischer Ideologieproduktion argumentativ
auseinanderzusetzen.
5. Neben den sozialen, politischen und historischen Gründen für virulente Erscheinungsformen des Rechtsextremismus sollte die Kontinuität des antidemokratischen Denkens, besser
einer sich immanent weiterentwickelnden Phi-
6. Bei der Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus wird den gewandelten sozialen und
technischen Rahmenbedingungen zu wenig
Beachtung geschenkt. Den in Sprache und Form
ritualisierten, häufig reflexhaften Reaktions-
werden, so wichtig diese Formen der Auseinandersetzung mit dem rassistischen und antisemitischen Erbe auch sind, um ein kollektives Gedächtnis zu bewahren.
Dokumentation der Veranstaltung »Rechtsextremismus bekämpfen, Demokratie fördern, Menschenrechtsbildung ausbauen.« 17. April 2009
mustern steht ein modernisierter Rechtsextremismus gegenüber, der sich im Internet in seiner eigenen segmentierten Welt fortentwickelt.
Herkömmliche politische Diskurse erreichen die
sich im geschützten Raum des Internets bewegenden Jugendlichen nicht mehr. Die politische
Bildung wird hierauf mit neuen Konzepten reagieren müssen.
Grundsätzlich kann die Prävention gegen Rechtsextremismus auf zwei Ebenen erfolgen: sie kann
sich auf der Ebene der konkreten Erscheinungsform
abspielen oder im Vorfeld ansetzen, bevor GMF
entsteht, bzw. in konkrete rechtsextremistische Bestrebungen umschlägt. Die meisten Ansätze – ob
zivilgesellschaftlicher oder staatlich-repressiver Art
- beschreiten den ersten Weg, über den ein parteiübergreifender Konsens schnell herzustellen ist.
Der Wert dieser Maßnahmen ist unbestritten. Vor
allem geht es darum, konkret bedrohte Opfer zu
schützen und ein öffentlich sichtbares Bekenntnis
zu den humanistischen Grundlagen des Staatswesens abzulegen. Dennoch verknüpfen sich mit
diesem Weg einige Fragen: Wird das Engagement
gegen den Rechtsextremismus nicht zuweilen zum
Selbstzweck? Reichen diese Maßnahmen aus bzw.
welche Maßnahmen müssen hinzukommen, um
den Entstehungsbedingungen des Rechtsextremismus entgegenzuwirken?
Verlagert man die Auseinandersetzung mit dem
Rechtsextremismus in das politische Vorfeld, um
bei den Ursachen der Entstehung anzusetzen, wie
es der Entschließungsantrag der SPD-Landtagsfraktion reklamiert, wird der in Hinsicht auf die Ablehnung konkreter rechtsextremistischer Erscheinungsformen bestehende überparteiliche Konsens
vermutlich schnell strapaziert werden, denn so verstandene Prävention bedeutet, Partizipationsmöglichkeiten und Chancengleichheit zu fördern und
politisch durchzusetzen.
In einem Beitrag für den Vorwärts hat Gesine
Schwan ein weiteres wichtiges Problemfeld angesprochen. Sie kritisiert den gängigen, auf rein ökonomische Kriterien reduzierten Leistungsbegriff
und fordert eine neue Kultur der Anerkennung jenseits eines wirtschaftlichen Effizienzkults:
Die Ökonomisierung aller Lebensbereiche
und das mit ihr einhergehende überall präsente
Wettbewerbsprinzip haben ganz offenbar psychophysische Folgen. Es vereinzelt die Menschen, fügt
ihnen innere Wunden zu und lässt beschädigte
Personen zurück. Das gilt besonders für unsere Bildungsinstitutionen, die eigentlich vor dem Markt
geschützte Räume sein sollten, und es gilt mehr für
die Ober- als die Grundschulen. ...
Genau diese bedingungslose Anerkennung
versagen heute Schulen den jungen Menschen viel-
Dokumentation der Veranstaltung »Rechtsextremismus bekämpfen, Demokratie fördern, Menschenrechtsbildung ausbauen.« 17. April 2009
fach, da sie Wertschätzung immer häufiger nur im
Austausch für Planerfüllung Erfolg aussprechen
dürfen. Doch wenn Jugendliche lernen sollen, das
Leben als solches zu bejahen, müssen sie persönlich
das Gefühl haben, um ihrer selbst willen bejaht zu
werden.« 15
Die Ausführungen von Gesine Schwan sind
Mahnung und Appell zugleich. Zur Selbstgerechtigkeit in der Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus besteht kein Anlass.
1
Guillaume Faye: Wofür wir kämpfen. Manifest des europäischen Widerstandes. Das metapolitische Hand- und Wörterbuch der kulturellen Revolution zur Neugeburt Europas. Ohne Ort. 2006, S. 192 f.
2
Deutsches Kolleg: Ausrufung des Aufstandes der Anständigen,
eingestellt ins Internet am 15.10.2000. Eine Zentralfigur des antisemitischen und revisionistischen Deutschen Kollegs war Horst
Mahler.
3
Udo Voigt (Parteivorsitzender der NPD): Ich bin normal – und das ist
besser so! Leitartikel im Parteiorgan Deutsche Stimme, nachdem
sich der spätere Regierende Bürgermeister von Berlin Klaus Wowereit öffentlich zu seiner Homosexualität bekannt hatte.
4
Faye a.a.O., S. 158.
5
»Der Fremde als Feind«. Konzeptpapier der Jungen Nationaldemokraten aus dem Jahr 1998.
6
Informationsblatt der Gesellschaft für biologische Anthropologie,
Eugenik und Verhaltensforschung. Vorsitz: Jürgen Rieger.
7
Sittengesetz der Artgemeinschaft. Vorsitz: Jürgen Rieger.
8
Pressemitteilung der NPD vom 07.11.2008 aus Anlass der Wahl Barack Obamas zum US-Präsidenten. Autor: Norbert Gansel.
9
Liedtext der Skinhead-Band Rassenhass von der CD „Lasst sie ruhig
kommen“, produiert im Jahr 2003.
10 Faye a.a.O., S. 82.
11
Rede von Udo Pastörs, Fraktionsvorsitzender der NPD im Landtag
von Mecklenburg-Vorpommern, am 25.02.2009 in Saarbrücken.
12 Andreas Molau: Wer die Begriffe bestimmt, bestimmt das Denken.
Vorwort zu Guillaume Faye a.a.O., S. 9.
13 Oskar Negt: Achtundsechzig. Politische Intellektuelle und die
Macht. Göttingen 2008, S. 53.
14 Ebenda, S. 53 f.
15 Gesine Schwan: Winnenden, warum?, in: Vorwärts, Nr. 04/2009, S.
36.
Dokumentation der Veranstaltung »Rechtsextremismus bekämpfen, Demokratie fördern, Menschenrechtsbildung ausbauen.« 17. April 2009
Workshop II
Menschenrechtsbildung für Niedersachsen – was
gibt es bereits und was ist notwendig?
Diskussion mit Prof. Dr. K. Peter Fritzsche und Sigrid
Leuschner, MdL, Moderation: Daniela Behrens, MdL
Statements in der Diskussion:
— Amnesty International berichtet über die gute
Zusammenarbeit mit Schulen und weist auf den
Erlass des Kultusministeriums hin.
— Einer großen Bedeutung wird der Arbeit in den
Schulen zugemessen:
— Die entwickelte Schulcharta sollte auf Kompatibilität mit Menschenrechten geprüft
werden. Des Weiteren sollte mit der Schulinspektion diese Kompatibilität geprüft werden.
— Die Schulen brauchen Freiräume und Ressourcen, um Menschenrechtsbildung im Rahmen
der pädagogischen Arbeit zu vermitteln. Die
BBS plädiert für die Beibehaltung des Wegs
PROREKO.
— Jugendliche spielen auch die Gesellschaft wider.
Die Erreichbarkeit von Jugendlichen ist heute
schwer. Erwachsene müssen sich auf ihre Le-
benswelt (z.B. Sprache) einlassen, um einen Kontakt aufzubauen. Auch fehlt es an positiven Vorbildern. Vorschlag: PolitikerInnen aller Ebenen
sollten regelmäßig Jugendprojekte betreuen,
um einen Zugang zur »Jugendwelt« zu finden.
— Die Umsetzung der Menschenrechte muss alltäglich passieren. Daher sind auch Wege zu finden, die Menschenrechtsbildung in den Vereinen, Verbänden und weiteren ehrenamtlichen
Organisationen zu unterstützen.
— Vorgeschlagen wird die Implementierung eines
Menschenrechtsbeauftragten.
— Angeregt wird, die Medien für die Thematik
»Menschenrechtsbildung« zu gewinnen und sie
z.B. zu QThemenwochen« bzw. »Schwerpunktberichterstattung« zu bewegen.
— Problematisiert wird ein Intoleranzproblem der
Älteren (über 45jährigen). Frage: Wie kommt
man ein Menschen heran, die in ihrer Meinung
schon gefestigt sind?
— Angerissen wird die Elternarbeit bzw. die Unterstützung der Familien in ihrer Erziehungsleistung. Gebraucht werden Unterstützungssysteme für Familien.
Dokumentation der Veranstaltung »Rechtsextremismus bekämpfen, Demokratie fördern, Menschenrechtsbildung ausbauen.« 17. April 2009
Empfehlungen von Prof. Fritzsche an die
Landespolitik:
— Umsetzung der beschlossenen KMK-Richtlinie
zur Menschenrechtsbildung
— Umsetzung der beschlossenen KMK-Richtlinie
zur Umsetzung der Kinderrechte-Konvention
— Menschenrechtsbildung für Medienmacher
— Menschenrechtsbildung in der Erwachsenenbildung verankern
— Entwürdigung von Menschen entgegentreten:
einerseits durch Schaffung einer Anerkennungskultur, andererseits durch Einräumung von Protestmöglichkeiten.