Öffentlichkeit im Web 2.0: Welches Öffentlichkeitsmodell trifft auf das

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Öffentlichkeit im Web 2.0: Welches Öffentlichkeitsmodell trifft auf das
Seminararbeit
Öffentlichkeit im Web 2.0:
Welches Öffentlichkeitsmodell trifft auf das Web 2.0 zu und
welche Öffentlichkeitsdienste stellt das Internet her?
i
eingereicht von:
Pilar Meier
Binzenmatt 9
6314 Unterägeri
Tel: 076 541 59 27
pilar_m@datazug.ch
Lehrveranstaltung:
Seminar, Schwerpunkt 1:
Medien, Öffentlichkeit, Gesellschaft
Politische Kommunikation im Netz:
Akteure, Prozesse, Strukturen
Frühlingssemester 2013
Matrikel-Nr.: 08-702-250
Studentin im 7. Semester
Hauptfach: Publizistik- und Kommunikationswissenschaften
1. Nebenfach (30 KP): Philosophie
2. Nebenfach (30 KP): Theorie und
Geschichte der Fotografie
Unterägeri, 16.06.2013
Dr. Michael Latzer
IPMZ-Institut für Publizistikwissenschaft
und Medienforschung
der Universität Zürich
Andreasstr. 15
8050 Zürich
Arbeit betreut von:
Christian Wassmer
Öffentlichkeitsmodelle und Öffentlichkeitsdienste im Web 2.0
Pilar Meier, 08-702-250
INHALTSVERZEICHNIS
Inhaltsverzeichnis ...................................................................................................................... I
1.
Einleitung ........................................................................................................................... 1
2.
Öffentlichkeitstheorie ....................................................................................................... 3
3.
4.
5.
2.1.
Grundlagen .................................................................................................................. 3
2.2.
Drei Öffentlichkeitsmodelle ........................................................................................ 4
2.2.1.
Diskursmodell ...................................................................................................... 4
2.2.2.
Spiegelmodell ....................................................................................................... 5
2.2.3.
Ebenenmodell ....................................................................................................... 5
2.3.
Teilöffentlichkeiten und Gegenöffentlichkeit ............................................................. 6
2.4.
Dienste der Medien für die Öffentlichkeit ................................................................... 6
Das Web 2.0 ....................................................................................................................... 7
3.1.
Die Geschichte des Web 2.0 ........................................................................................ 8
3.2.
Dienste, Angebote, Potenziale ..................................................................................... 8
Öffentlichkeit im Web 2.0 .............................................................................................. 10
4.1.
Ist das Internet eine (Gegen-)Öffentlichkeit? ............................................................ 10
4.2.
Fragmentierte Öffentlichkeit/Long Tail .................................................................... 12
4.3.
Vergleich: Die Öffentlichkeitsmodelle angewandt auf das Web 2.0 ........................ 13
4.3.1.
Diskursmodell im Web 2.0................................................................................. 13
4.3.2.
Spiegelmodell im Web 2.0 ................................................................................. 14
4.3.3.
Ebenenmodell im Web 2.0 ................................................................................. 15
Fazit .................................................................................................................................. 16
Literaturverzeichnis .................................................................................................................II
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1. Einleitung
Als im Frühling 2010 die Medien gross die „Facebook-Revolution“ (Salvatore 2013: 223) im
arabischen Raum plakatierten, kam dadurch auch die Frage nach der Bedeutung des Web 2.0,
oft synonym verwendet zu dem Begriff Social Web, für politische Öffentlichkeiten insgesamt
immer vermehrt zum Vorschein. Viele Journalisten und Experten vertraten eine optimistische
Haltung gegenüber dem Internet und sprachen diesem ein Potenzial zur Stärkung und Ausbreitung der Demokratie zu. Und auch in der Kommunikationswissenschaft wurde über diese Möglichkeit bereits vor den Revolutionen in Ägypten, Tunesien und mehreren weiteren Staaten im
arabischen Raum diskutiert und spekuliert. Nicht alle hielten diesen Optimismus für gerechtfertigt und viele Wissenschaftler sprachen gar von einer negativen Beeinflussung der politischen
Öffentlichkeit durch das Web 2.0. Die Öffentlichkeit werde immer mehr aufgespalten, ein politischer Diskurs werde durch die Transnationalität des Internets erschwert und das politische
Interesse der Bürger verringere sich in Folge einer Informationsflut und einem Übermass an
negativen politischen News (vgl. Wolling 2009: 447 – 448). Doch welches Potenzial für die
politische Öffentlichkeit verbirgt sich tatsächlich in den Sphären des Web 2.0?
Für den arabischen Raum war das Social Web in dem Sinne ein Segen, dass es den Menschen
erlaubte, sich öffentlich einer Regierung zu widersetzten, die sonst keinen Widerstand zulässt.
Dank Twitter und Facebook konnten Gleichgesinnte gefunden werden, Frust abgelassen werden
und durch die grosse mediale Resonanz erreicht werden, dass die Regierung und die Medienöffentlichkeit auf ihre Anliegen aufmerksam wurden (vgl. Salvatore 2013: 221 – 222).
Diese Ereignisse im arabischen Raum sind nicht nur politisch sondern vor allem auch soziologisch und speziell im Rahmen der Kommunikationswissenschaften interessant. Anhand dieses
Beispiels konnten einige Hypothesen über die Macht des Social Webs grob bestätigt oder widerlegt und die Diskussion über die politischen Potenziale des Internets in ihrer praktischen Umsetzung neu entfacht werden. Obwohl die Revolutionen im arabischen Raum solche praktische
Beispiele lieferten und viele Thesen beobachtbar machten, soll in dieser Arbeit der Schwerpunkt
vor allem auf theoretische Modelle gelegt werden. Da das Konzept der Öffentlichkeit bereits
sehr westlich ist und die Voraussetzungen für eine deliberative politische Öffentlichkeit in den
meisten muslimischen Staaten nicht gegeben ist (vgl. Salvatore 2013: 218), sind die Ereignisse
sodann auch gar nicht exemplarisch für die typischen Öffentlichkeitskonzeptionen, welche in
dieser Arbeit behandelt werden, auch wenn sie einen interessanten Denkanstoss liefern.
In dieser Seminararbeit wird der Frage nachgegangen, welche Öffentlichkeitsdienste das Web
2.0 zur Verfügung stellt und wie sich diese auf die allgemeine Öffentlichkeit auswirken. Entstehen durch die spezielle Struktur des Web 2.0 neue Öffentlichkeiten? Welchem bekannten Modell in der Öffentlichkeitstheorie ähneln diese neuen Öffentlichkeiten? Bilden sich vermehrt
Teilöffentlichkeiten? Ist das Internet eine Gegenöffentlichkeiten? Kann ein politischer Diskurs
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gefördert werden oder entsteht eine allgemeine Politikverdrossenheit? Kann das Internet als
Intermediär dienen, wie die klassischen Massenmedien? Um diese Fragen beantworten zu können werden Theorien und relevante wissenschaftliche Literatur untersucht, bekannte Konzepte
mit aktuellem Bezug genauer analysiert und einige Ansichten verglichen und diskutiert.
Hierzu wird zuerst wird im Kapitel 2 anhand der Ausführungen über die klassische Öffentlichkeitstheorie die Grundlage für die vorliegende Arbeit gelegt. Drei verschiedene Modelle zur
Öffentlichkeit werden genauer beschrieben. Daraufhin sind die Begriffe Teilöffentlichkeit und
Gegenöffentlichkeit ausführlicher erklärt. Die Geschichte und Hintergründe zum Begriff Social
Web sind Gegenstand des Kapitels 3. Im Kapitel 4, dem eigentlichen Hauptteil der Arbeit, ist
sodann die Auseinandersetzung mit der (Gegen-)Öffentlichkeit, wie sie sich im Social Web
präsentiert und wie sie durch diese konstituiert wird, Thema der Diskussion. Nachfolgend wird
auf die Dienste des Web 2.0 für die Öffentlichkeit eingegangen (Kapitel 4.2.). Die drei vorgestellten Öffentlichkeitsmodelle werden im Kapitel 4.3 auf das Web 2.0 übertragen und es wird
untersucht, welche Eigenschaften und normativen Ansprüche der Öffentlichkeit das Web 2.0
erfüllen kann. Anschliessend wird im Schlussteil (Kapitel 5) ein Fazit zu den gewonnenen Erkenntnissen über die Öffentlichkeit im Internet gezogen und ein Forschungsausblick gewährt.
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2. Öffentlichkeitstheorie
In diesem theoretischen Teil wird auf die klassische Öffentlichkeitstheorie eingegangen und ein
Überblick über die verschiedenen Auffassungen zur Öffentlichkeit verschafft. Ausgangslage ist
die Öffentlichkeitstheorie nach Jürgen Habermas und drei in der Forschung relevante Modelle
zur Öffentlichkeit: das Spiegelmodell, das Diskursmodell und das Ebenenmodell. Weiter sind
die Unterscheidung von Öffentlichkeit, Teilöffentlichkeit und Gegenöffentlichkeit und die
Dienste der Medien für die Öffentlichkeit von Bedeutung, weswegen diese schliesslich im Speziellen beleuchtet werden.
2.1. Grundlagen
Die Öffentlichkeitstheorie, wie sie für die Kommunikationswissenschaft relevant ist, findet in
dem 1962 erstmals erschienenen Aufsatz „Strukturwandel der Öffentlichkeit“ von Jürgen Habermas ihren Ursprung. Seine Ideen zur Öffentlichkeit und die in der Wissenschaft etablierten
Ansichten zur Öffentlichkeit werden hier zunächst grob beschrieben, bevor auf andere konkrete
Ansätze der Öffentlichkeit, welche Gegenstand der Analyse in dieser Arbeit sind, genauer eingegangen wird.
Habermas definiert die politische Öffentlichkeit als ein Netzwerk für die Kommunikation mit
„Kommunikationsbedingungen, unter denen eine Meinungs- und Willensbildung eines Publikums von Staatbürgern zustande kommen kann“ (Habermas 1990: 38). Das Öffentlichkeitskonzept von Habermas ist diskurszentriert und wird auch als Deliberatives Demokratiemodell bezeichnet. Dies bedeutet, dass die öffentliche Meinungsbildung aufgrund von Diskursen und
Verhandlungen unter allen Staatsbürgern entstehen und so die Basis einer gesunden Demokratie
bilden soll. Es ist somit die Zivilgesellschaft, die dank kommunikativer Macht das politische
System beeinflusst. Im öffentlichen politischen Diskurs sind gute Argumente und Glaubwürdigkeit bedeutender als der Status einzelner Akteure, weswegen die öffentliche Meinung mehr
Gewicht erhält. Sie kann nur durch breite Zustimmung entstehen und hat stets das Gemeinwohl
als Ziel (vgl. Winter/Kutschera 2010: 89 u. 92). Auch alle staatlichen Organe unterliegen so
permanent der öffentlichen Kontrolle, und die Demokratie wird so legitimiert (vgl. Jarren/Donges 2011: 96).
Laut Neidhardt (1994) kann die Öffentlichkeit in die drei Prozessdimensionen Input, Throughput und Output zerlegt werden. Themen und Meinungen werden also gesammelt, verarbeitet
und weitergegeben. Im Wesentlichen muss laut ihm die Öffentlichkeit drei normative Ansprüche erfüllen, um diesen Prozess zu gewährleisten:

Transparenzfunktion: Die Öffentlichkeit muss für alle offen und zugänglich sein.
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
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Validierungsfunktion: Akteure der Öffentlichkeit müssen einen ständigen Diskurs führen um sich über Themen einig zu werden und Entscheidungen allenfalls revidieren zu
können.

Orientierungsfunktion: In der öffentlichen Kommunikation entstehen öffentliche Meinungen, die das Publikum wahrnehmen und akzeptieren kann.
Nicht alle Wissenschaftler verwenden diese gleichen normativen Ansprüche an die Öffentlichkeit für ihre Modelle (vgl. Neidhart 1994: 8). In den verschiedenen Modellen wird zwar immer
von Funktionen gesprochen, welche die Öffentlichkeit wahrnehmen muss, doch unterscheiden
sich die Anzahl und die Umschreibungen dieser Funktionen teilweise. Nachfolgend sind drei
ausgewählte Modelle ausführlicher vorgestellt.
2.2. Drei Öffentlichkeitsmodelle
In der Wissenschaft haben sich über die Jahre einige Modelle herauskristallisiert, welche zur
Analyse der Öffentlichkeit herangezogen werden. Zu diesen gehören das Diskursmodell, das
Spiegelmodell und das Ebenenmodell. Jedes Modell beschreibt die Öffentlichkeit und deren
Eigenheiten und Dynamiken auf unterschiedliche Weise.
2.2.1. Diskursmodell
Das Diskursmodell stammt direkt vom Öffentlichkeitskonzept von Jürgen Habermas ab. In seiner Öffentlichkeitskonzeption sind normative Ansprüche konstatiert, welche an die Öffentlichkeit gestellt werden, damit sich eine öffentliche Meinung bilden kann. Diese Ansprüche an die
Öffentlichkeit beinhalten auch die von Neidhardt zusammengefassten drei Funktionen der Öffentlichkeit: Transparenz, Validierung und Orientierung (vgl. Jarren/Donges 2011: 98).
Für die Bildung einer öffentlichen Meinung ist es einerseits notwendig, dass die Öffentlichkeit
transparent ist. Das heisst, sie muss für alle Bürger zugänglich und beobachtbar sein. Der Diskurs soll herrschaftsfrei sein und die Wahrheitsfindung soll mithilfe von Reflexion und Argumentation aller Teilnehmer erfolgen, wobei das bessere Argument schliesslich zur öffentlichen
Meinung und politischen Entscheidung führen soll. In „Strukturwandel der Öffentlichkeit“ äussert Habermas die Vermutung, dass als Folge der zunehmenden Kommerzialisierung der Massenmedien diese wichtige Funktion der Öffentlichkeit nicht mehr gewährleistet ist. Statt auf
Kommunikation und Verständigung liegt der Fokus auf kommerziellem Erfolg und die Qualität
der Demokratie leidet, da die Bürger nicht genügend über relevante Themen informiert und
nicht zur Deliberation aufgefordert werden (vgl. Winter/Kutschera 2010: 90).
Weiter soll die Öffentlichkeit auch die Validierungsfunktion übernehmen, indem alle Akteure
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der Öffentlichkeit kommunikativ handeln und die Verständigung und Einverständnis zum Ziel
haben. Die Orientierungsfunktion wird von der Öffentlichkeit dann erfüllt, wenn das politische
System und seine Entscheidungsträger die öffentliche Meinung anerkennen und sie als das Ergebnis eines fairen und erfolgreichen Diskurses akzeptieren (vgl. Jarren/Donges 2011: 99).
Speziell am Diskursmodell ist auch, dass der Öffentlichkeitsbegriff im Singular steht und die
Möglichkeit von weiteren Öffentlichkeiten bei Habermas anfänglich nicht in Betracht gezogen
wurde (vgl. Butler Breese 2011: 131).
2.2.2. Spiegelmodell
Im Gegensatz zum Diskursmodell sind die systemtheoretischen Spiegelmodelle der Öffentlichkeit normativ nicht sehr anspruchsvoll. In diesem Ansatz nimmt man an, dass die Veröffentlichung von Themen aus der Öffentlichkeit eine Selbstbeobachtung des Systems Öffentlichkeit
ermöglicht. Anhand dieser Beobachtungen kann die Gesellschaft sich sodann auch selbst beschreiben. Somit können innerhalb dieses Systems Selbstreflexionen und auch Vergleiche mit
anderen Akteuren innerhalb der Öffentlichkeit angestellt werden (vgl. Jarren/Donges 2011: 97).
So kann zum Beispiel auch das Teilsystem Politik die öffentliche Meinung durch Umweltbeobachtung ablesen, ohne die Meinung einzelner Bürger zu kennen. Die Spiegel-Funktion besteht
also insofern, als dass die öffentliche Meinung systemübergreifend dank der öffentlichen Meinung beobachtet werden kann. Weiter unterscheidet sich das Spiegelmodell zum Diskursmodell,
indem in ihm die Kommunikation nicht auf einen Konsens zusteuert sondern es alle Meinungen
zu einem Thema zulässt und diese zu einer Mehrheitsmeinung aggregiert. Die einzige normative
Anforderung an die Öffentlichkeit im systemtheoretischen Spiegelmodell ist als die Transparenz
und die Medien übernehmen hier nur die Informationsübermittlung, wodurch sie aber wiederum
dazu beitragen, dass die öffentliche Meinung für alle beobachtbar ist (vgl. Bentele 2009: 18 –
21).
2.2.3. Ebenenmodell
Im Ebenenmodell wird die Öffentlichkeit unterteilt in drei verschiedene Ebenen: die Encounteröffentlichkeit, die Themenöffentlichkeit und die Medienöffentlichkeit. Die Encounter-Ebene
stellt hierbei eine nur lose oder gar nicht strukturierte Art von Öffentlichkeit dar. Sie umfasst
Spontanöffentlichkeiten und Quartiers- und Betriebsöffentlichkeiten und beinhaltet spontane
öffentliche Kommunikation in öffentlichen und auch in privaten Räumen. Die Rollen der Sprecher sind nicht klar verteilt, es gibt keinen Vermittler und der Status der Öffentlichkeit ist oft
nur vorübergehend. In der Themenöffentlichkeit ist der Organisationsgrad stärker ausgeprägt,
doch sind auch hier die Rollen nicht strikt zugeteilt und die Kommunikation kann auch spontan
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stattfinden. Eine Besonderheit dieser Öffentlichkeitsform ist, dass in ihr Themen besprochen
werden, die mediale Aufmerksamkeit erlangen sollen, z.B. mithilfe von Demonstrationen oder
Veranstaltungen, und sie deshalb auch von Journalisten beobachtet wird. Auf der höchsten Ebene befindet sich die Medienöffentlichkeit, welche sich durch einen sehr hohen Organisationsgrad auszeichnet (vgl. Jarren/Donges 2011: 104 – 105). Die Rolle der Medien ist im Ebenenmodell stärker hervorgehoben als in den anderen vorgestellten Modellen. Die Medien nehmen
in der Öffentlichkeit die wichtige Rolle eines Intermediärs (vgl. Kapitel 2.4.) ein. Sie sind Anbieter von einigen wichtigen Leistungen für die Gesellschaft, da sie die Themen der Themenöffentlichkeit aufnehmen und selektionieren und diese dann zu öffentlichen Themen machen,
indem sie diese an ein sehr breites Publikum weitervermitteln (vgl. Jarren 2008: 331).
2.3. Teilöffentlichkeiten und Gegenöffentlichkeit
Die Öffentlichkeit kann weiter unterteilt werden in sogenannte Teilöffentlichkeiten. Diese existieren entweder innerhalb oder ausserhalb der eigentlichen Öffentlichkeit, wobei diese untereinander nicht gleichwertig sein müssen und grundsätzlich der dominanten allgemeinen Öffentlichkeit untergeordnet sind (vgl. Butler Breese 2011: 131).
Ein Spezialfall dieser untergeordneten Teilöffentlichkeiten ist die Gegenöffentlichkeit. Der Begriff der Gegenöffentlichkeit besteht seit den 60er Jahren, als damit Neue Soziale Bewegungen
und Alternative Medien gemeint waren. Seit dem digitalen Zeitalter werden aber auch Weblogs
und andere Online-Portale, welche den Neuen Sozialen Bewegungen ähneln, als Gegenöffentlichkeiten gesehen (vgl. Wimmer 2007: 13 – 14), worauf in Kapitel 4 genauer eingegangen
wird. Laut Wimmer gibt es drei Formen der Gegenöffentlichkeiten: die alternative Öffentlichkeit, die partizipatorische Öffentlichkeit und der individuelle Medienaktivismus. Alternative
Öffentlichkeiten sind kritische Teilöffentlichkeiten, welche anhand von alternativen Medien und
Grossaktionen versuchen, die massenmediale Öffentlichkeit auf bestimmte Themen aufmerksam zu machen. Partizipatorische Öffentlichkeiten sind Organisationen politisch motivierter
Akteure, welche sich innerhalb von alternativen Organisationszusammenhängen gruppieren um
ihre Themen in die Medienöffentlichkeit vorzubringen. Medienaktivisten sind individuelle Akteure, welche über verschieden Kanäle versuchen, Einfluss auf das politische System zu nehmen
(vgl. Wimmer 2008: 214). Weitere Ansichten von Gegenöffentlichkeit, welche in der Forschung
vorkommen, wie z.B. der Journalismus und nicht-etablierte politische Akteure als Träger von
Gegenöffentlichkeit, sind für diese Arbeit nicht relevant und werden ausser Acht gelassen.
2.4. Dienste der Medien für die Öffentlichkeit
Die Medien leisten einen grossen Beitrag an die Öffentlichkeit, indem sie entscheidungsrelevanSeminararbeit SP1
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te Themen für die Gesellschaft realisieren und repräsentieren, die Komplexität der Themen für
das Publikum reduzieren, Interaktionsprozesse zwischen Informationsanbietern und Bürgern
ermöglichen und stets für alle sichtbar und verbindlich sind. Massenmedien sind institutionalisiert und fungieren als Intermediäre. Das heisst, sie nehmen Themen aus der Themenöffentlichkeit auf und vermitteln zwischen der politischen Sphäre und den Bürgern und halten diese zuverlässig über Aktualitäten und relevante Themen auf dem Laufenden (vgl. Jarren 2008: 329).
Damit eine Institution überhaupt erst entstehen kann, müssen konstitutive Regeln aufgestellt
werden und Geld erst geschaffen werden. Bereits bestehende Regeln und Mittel genügen nicht,
um eine Institution zu gründen. Die klassischen Massenmedien erfüllen diese Anforderungen
(vgl. Neuberger 2013: 98 – 99). Als Institutionen sind Massenmedien in der Lage zeitlich stabile und sozial homogene Erwartungsstrukturen zu errichten und so die Kommunikation zwischen
dem massenmedialen Akteur und dem Rezipienten vor Missverständnissen zu schützen. Wenn
eine langfristige Bindung an ein bestimmtes Medienangebot erreicht werden kann, so kann dieses zu einem Erfahrungs- und Vertrauensgut avancieren und die Kommunikation ebenfalls erleichtern (vgl. Neuberger 2013: 102 – 103). Ausserdem kommt durch die grosse Masse an neuen Medieninhalten, mit welchen unsere Generation ständig bombardiert wird, die Schwierigkeit
hinzu, dass Selektionsprozesse immer komplexer und aufwändiger werden. Um diese Informationsflut zu filtern und zu reduzieren und den Blick auf das Wesentliche zu richten braucht es
laut Jarren (2008) die klassischen Massenmedien in Form von Presse und Rundfunk. Ob das
Web 2.0 die Dienste einer massenmedialen Öffentlichkeit ebenfalls erbringen kann, ist in Kapitel 4 Teil der Diskussion.
3. Das Web 2.0
Zur Annäherung an das Hauptthema wird hier zunächst ein Abriss zur Geschichte des Social
Webs geliefert, welcher klar machen soll, weshalb die Diskussion um die Öffentlichkeit im
Internet überhaupt so stark an Bedeutung gewinnt.
Unter dem Begriff „Web 2.0“ wird in dieser Arbeit die Definition von Stefan Münker (2009)
übernommen, welcher konkret unter dem Web 2.0 „den Trend, Internetauftritte so zu gestalten,
dass ihre Erscheinungsweise in einem wesentlichen Sinn durch die Partizipation ihrer Nutzer
(mit-)bestimmt wird“ (Münker 2009: 15; Hervorhebungen aus Original) versteht. Der Grad an
Partizipation kann hierbei stark variieren und reicht von blossem Bewerten und Kommentieren
zu ausschliesslich von Nutzern generierten Inhalten auf einer Webseite (vgl. Münker 2009: 15).
In Kapitel 3.1. wird die Entwicklung vom Internet zum Sozialen Web kurz aufgezeigt. In Kapitel 3.2. wird auf die wichtigsten Dienste des Web 2.0 eingegangen.
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3.1. Die Geschichte des Web 2.0
Das Web 2.0 als solches ist keine Weiterentwicklung des Internets oder des World Wide Web
an und für sich. Der Begriff beschreibt lediglich den Trend, Webinhalte kontinuierlich interaktiver zu gestalten und die User selbst Inhalte generieren zu lassen. Der Name entstammt einer im
Oktober 2004 abgehaltenen und seither jährlich stattfindenden Konferenz in San Francisco mit
dem Titel „Web 2.0 conference“. Mit der Bezeichnung „2.0“ wird bei Software ausgedrückt,
dass eine neue Version erhältlich ist. Dies ist beim Web 2.0 nicht analog zutreffend. Die für das
Web 2.0 wichtigste Entwicklung fand bereits in den frühen 90er Jahren statt, als am CERN in
Genf vom Informatiker Tim Berners-Lee die Hypertext Markup Language (HTML) erfunden
wurde. HTML bildet die Grundlage von Webseiten, die vom Internet abgerufen werden können.
Ab diesem Zeitpunkt barg das Web bereits das Potenzial, von allen Usern demokratisch genutzt
und auch selbst abgeändert zu werden, doch wurde dieses Potenzial erst schwach ausgeschöpft
(hauptsächlich in Form von Gästebüchern, Kommentaren und Online-Foren) (vgl. Münker
2009: 20 – 22). Die aufkommende Popularität des Web 2.0 und Social Media ab 2004 wird
folglich also nicht als technische sondern soziale Entwicklung gesehen. Soziale Netzwerke
funktionieren nur, wenn sie von vielen gleichzeitig genutzt werden und sich immer mehr Mitglieder anschliessen. Im Gegensatz dazu können „normale“ Webinhalte auch alleine und passiv
rezipiert werden. Durch das Auftauchen von Plattformen, welche soziale Interaktionen ins Netz
verlagern und diese ausbauen sollten, wie zum Beispiel Studentennetzwerke (StudiVZ), gewannen soziale Online-Dienste, die es dem User ermöglichen, sich mit Gleichgesinnten zu gruppieren, immer mehr an Beliebtheit und das Angebot solcher Seiten wurde stets ausgebaut. Es entstanden Netzwerke zum Austausch von Meinungen, Fotos, Musik und anderen Medien (vgl.
Münker 2009: 26 – 27). Heute gehören Social Networking Services wie Facebook und YouTube zu den meistgenutzten Webseiten überhaupt und ein Web ohne solche Dienste ist für die
meisten unvorstellbar, weswegen die Terminologie des Web 2.0 in gewisser Weise tatsächlich
Sinn macht, da Social Media zu einem integralen Bestandteil des Webs geworden ist und tatsächlich ein nicht irreversibler Sprung stattgefunden hat.
3.2. Dienste, Angebote, Potenziale
Eine Besonderheit des Web 2.0 ist die grosse Dichte an neuen Diensten, welche es ermöglichen,
sich mit anderen Internet-Usern auszutauschen. Nicht alle Dienste sind hierbei gleich bedeutend, da einige wenige Dienste sich grosser Beliebtheit erfreuen und eine sehr viel grössere
Reichweite haben als eine Grosszahl weiterer, kleinerer Anbieter. Zu den unbestritten wichtigsten sozialen Netzwerken gehören die Dienste Facebook und Twitter. Die bekanntesten Webseiten, deren Inhalte gänzlich durch User generiert werden, sind Wikipedia und YouTube. Facebook ermöglicht den Nutzern, ein Profil zur eigenen Person zu erstellen und dieses mit medialen
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Inhalten frei zu gestalten. Freunde können in eine Freundesliste hinzugefügt, zu spezifischen
Themen können Gruppen erstellt und hochgeladene Inhalte können mit der Öffentlichkeit oder
eingegrenzten Personenkreisen geteilt werden (vgl. https://www.facebook.com/). Twitter hingegen ist ein Mikroblogging-Dienst, in welches nur kurze Statusupdates reingestellt werden und
anhand von „Retweets“ (Teilen eines Statusupdates einer anderen Person), „@ Mentions“ (Verlinkung auf anderen Twitter-Account) oder „Hashtags“ (nach Stichwort sortierte Beiträge) mit
anderen Usern kommuniziert wird (vgl. https://twitter.com/). Wikipedia ist eine rein virtuelle,
allen gratis zur Verfügung stehende Enzyklopädie. Beiträge werden von Nutzern verfasst und
können von beliebig vielen anderen Mitgliedern editiert oder ergänz werden (vgl.
http://www.wikipedia.org/). Auf YouTube können registrierte Nutzer einen eigenen Videokanal
erstellen, auf welchen eigene Videos hochgeladen und mit anderen Nutzern geteilt werden können (vgl. http://www.youtube.com/). Die Nutzung solcher Portale verspricht, für die Nutzer
einige Funktionen zu erfüllen. Persönliche Weblogs und Seiten wie YouTube erlauben dem
Nutzer, seine Person selektiv einem Publikum zu präsentieren („Identitätsmanagement“). Auf
Kontaktplattformen können Beziehungen gepflegt und neue Kontakte geknüpft werden („Beziehungsmanagement“). Wikipedia und informative Blogs helfen dem User bei der gezielten
Suche nach relevanten Informationen („Informationsmanagement“) (vgl. Schmidt 2008: 24).
Trotz des hohen interaktiven Potenzials des Web 2.0 dank dieser Angebote, bleibt jedoch eine
Mehrheit der Nutzer lieber in der Rolle des passiven Rezipienten und produziert keine eigenen
Inhalte, auch weil die vollumfängliche Nutzung solcher Dienste spezielle Medienkompetenzen
verlangt (vgl. Schmidt 2008: 27).
Auch die Blogosphäre insgesamt ist eine neue Erscheinung des Web 2.0. Blogs sind Webseiten
in tagebuchähnlicher Gestalt, die meist von nur einem Autor oder einem sehr kleinen Autorenkreis geführt werden. Die Autoren verfassen kurze Inhalte aller Art und die Beiträge sind meist
kurz, subjektiv und hochaktuell. Leser können sich dank der Kommentarfunktion einklinken
und mit den Autoren oder anderen Lesern über den publizierten Beitrag diskutieren (vgl. Ebersbach/Glaser/Heigl 2011: 61 – 62). Blogs bieten Laienjournalisten die Möglichkeit, ihre Artikel
im Internet zu verbreiten und mit geschickten Taktiken des Bloggens ein grösseres Publikum zu
erreichen. Als Promotion-Massnahmen können unter verfasste Beiträge Tags gesetzt werden,
welche dazu führen, dass der Beitrag in Themenlisten aufgeführt wird. Durch Vernetzung mit
anderen Bloggern wird der eigene Blog auf anderen Blogs verlinkt. Am wichtigsten aber sind
die Persönlichkeit des Autors und die verfassten Inhalte, um einen Blog populär zu machen
(vgl. Ebersbach/Glaser/Heigl 2011: 74).
Auch Web 2.0 Dienste, die von der Regierung zur Verfügung gestellt werden, gewinnen kontinuierlich an Relevanz. Sie werden oft unter den Begriffen „Gov 2.0“ oder „e-government“ geführt und umfassen Dienstleistungen aller Art, welche vom Staat zur Verfügung gestellt werden
und von Bürgern online entgegengenommen werden können. Diese Dienste sollen nicht nur
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eine effizientere staatliche Administration bewirken sondern dank des leichten Zugangs, der
schnellen Informationsbeschaffung und einem attraktiveren Service-Angebot auch die demokratische Interaktion zwischen Staat und Bürgern fördern. Dem Staat ist es dank dem Web 2.0 also
möglich, ganz neue Formen von Dienstleistungen anzubieten und sich bürgernah im Internet zu
präsentieren (vgl. Morison 2010: 552 u. 572).
4. Öffentlichkeit im Web 2.0
Dem Öffentlichkeitsmodell von Jürgen Habermass wird oftmals vorgeworfen, dass es den stets
wachsenden Komplexitäten des digitalen Zeitalters nicht gerecht wird und nicht mehr zeitgenössisch ist. Durch die vielen neuen Potenziale des Social Webs, wie der ortsunabhängigen
Interaktion in Echtzeit, könne die Öffentlichkeit nicht mehr als statisches Gebilde konzeptualisiert werden, sondern es müsse der Schwerpunkt auf die Dynamiken der Öffentlichkeiten – im
Plural – gelegt werden. Die Öffentlichkeit wird so stark von den Medien beeinflusst und geformt, dass ihre Definition direkt von den medialen Gegebenheiten abhängt (vgl. Sinekopova
2006: 511 – 513). Unter Betrachtung dieser Kritikpunkte kann deshalb die Öffentlichkeit im
Social Web neu definiert werden und es stellen sich ganz neue Fragen. Nachfolgend wird zuerst
geklärt, ob das Internet eine eigene Öffentlichkeit darstellt oder ob sie stets eine Gegenöffentlichkeit oder Träger von Gegenöffentlichkeiten ist. Daraufhin wird das Entstehen von öffentlicher Meinung im Web untersucht und schliesslich werden die verschiedenen Modelle der Öffentlichkeit auf das Web 2.0 übertragen.
4.1. Ist das Internet eine (Gegen-)Öffentlichkeit?
Laut Nancy Fraser (2009) sollten Gegenöffentlichkeiten legitim, wirkmächtig und transparent
sein. Das heisst, sie sollten durch einen fairen Prozess gebildet werden, die Fähigkeit besitzen
auf die politischen Gefüge Einfluss zu nehmen und für alle Bürger zugänglich sein. Ihre Absichten sind immer, staatliche Akteure und Staatspolitik zu verändern und verbessern (vgl. Fraser
2009: 155). Im Web 2.0 sind all diese Möglichkeiten theoretisch vorhanden und die Bildung
von Gegenöffentlichkeiten im Internet sollte also durchaus möglich sein.
Welche Formen der Gegenöffentlichkeiten bestehen aber im Web 2.0 (vgl. Kapitel 2. 3)? Nach
Wimmer (2008) ist es vor allem der Medienaktivismus, der in den neuen Medien sehr präsent
ist. Diese sich auf der Mikroebene befindende Art von Öffentlichkeit bezeichnet die Aktionen
eines Einzelnen oder einer kleinen, nicht-organsierten Gruppe, welche sich gegen das politische
System aufzulehnen versucht. (vgl. Wimmer 2008: 214). Sie können durch geschickten Einsatz
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von Blogging und Social Networking Services ein breiteres Publikum erreichen und bei entsprechendem Anklang andere Nutzer für ihre Ideen begeistern. Das Potenzial eines einzelnen
Bloggers von der Medienöffentlichkeit wahrgenommen zu werden ist jedoch aufgrund der sehr
hohen Dichte von Bloggern stark limitiert. Möglichkeiten, dieses Problem zu umgehen, sind die
Organisation von Sit-Ins oder Online-Streiks und das Versenden von Kettenbriefen. Bei den SitIns und Online-Streiks wird versucht, eine Webseite zur Überlastung zu bringen. Ein weiteres
wirksames Mittel, Aufmerksamkeit zu erlangen, ist die Erstellung einer Enthüllungs-Webseite,
welche brisante Fakten zu einem Ereignis oder einer Person auflistet (vgl. Wimmer 2008: 216).
Auf der Ebene der Themenöffentlichkeit existieren im Web 2.0 einige Dienste, die der Gegenöffentlichkeit zuzuordnen sind. So gibt es alternative Informationsquellen wie Wikipedia, alternative Nachrichtendienste, welche unabhängig und offline nicht präsent sind, und auch alternative
Publikations- und Diskursplattformen, welche eine offene Diskussion über Politik fördern (vgl.
Wimmer 2008: 219). Im Internet scheinen also Formen der Gegenöffentlichkeit zu existieren.
Ein weiterer interessanter Aspekt ist, vom Habermas’schen Öffentlichkeitsverständnis auszugehen und die Öffentlichkeit im Singular und somit das Web 2.0 an sich als Gegenöffentlichkeit
zu betrachten. Wenn die klassischen Massenmedien die Öffentlichkeit darstellen, so zählt das
Internet als alternatives Medium, was es laut der Begriffsherleitung von Wimmer (2008) zu
einer Gegenöffentlichkeit macht. Dem Internet fehlen jedoch die Transparenz und das Gründungsmotiv, was die Gegenöffentlichkeit nach Frasers Definition ausmachen würde. Es wird
sogar die Theorie geäussert, dass das Medium Internet ein Produkt der Gegenöffentlichkeit ist
(da es ein alternatives Medium ist), jedoch nicht selbst eine Gegenöffentlichkeit sein kann (vgl.
Münker 2009: 18 u. 23).
Jodi Dean (2003) bezieht sich in ihrer Argumentation auf das Modell von Habermas, welches
von der Singularität der Öffentlichkeit ausgeht, und folgert, dass das Internet wegen dieser Einschränkung keine Öffentlichkeit sein kann. Dass sie als eine der wenigen Wissenschaftler auf
dem Prinzip der „einen“ Öffentlichkeit beharrt, erklärt sie damit, dass das Modell bereits voraussetzt, dass alle inkludiert sind und eine gemeinsame öffentliche Meinung vertreten. Bürger
mit anderen Interessen seien dann keine Öffentlichkeit sondern nur Interessengruppen, welche
dennoch am allgemeinen öffentlichen Diskurs teilnehmen, weil sie erreichen möchten, dass ihre
Themen in der Öffentlichkeit behandelt werden. Die Existenz von Gegenöffentlichkeiten
schliesst sie somit prinzipiell aus. Ausserdem ist das Internet nicht offen für alle, da mit dem
Zugang einige Voraussetzungen verbunden sind (Besitz eines Computers oder mobilen Geräts
mit Internetzugang, spezifische Medien- und Sozialkompetenzen), weswegen eine weitere Voraussetzung für die Konstitution von Öffentlichkeit wegfällt (vgl. Dean 2003: 96 – 97). Dean
kommt zum Schluss, dass das Internet weder eine Öffentlichkeit noch eine Gegenöffentlichkeit
sei, sondern lediglich eine nicht genauer definierbare Null-Institution sei, da es nicht einmal ein
bestimmtes politisches Ziel verfolge und keine staatlichen Leistungen erbringe (vgl. Dean 2003:
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105).
Ob das Internet oder das Web 2.0 also eine Öffentlichkeit oder eine Gegenöffentlichkeit ist,
muss subjektiv beurteilt werden. Dass das Web 2.0 aber Träger von Gegenöffentlichkeiten sein
kann, dürfte – vor allem auch unter der Betrachtung von Wimmers Argumentation – logisch
nachvollziehbar sein. Wie sich solche Öffentlichkeiten, also Teil- und Gegenöffentlichkeiten,
im Web verhalten, wird nachfolgend analysiert.
4.2. Fragmentierte Öffentlichkeit/Long Tail
Einige Wissenschaftler erkennen seit der rapiden Entwicklung des Internets auch eine starke
Tendenz zu einer fragmentierten Öffentlichkeit (vgl. Sinekopova 2006: 507). Dieser Trend deutet zusätzlich auf eine eher negative Einflussnahme auf die Demokratie durch das Web 2.0 hin.
Wenn die Öffentlichkeit sich zu stark in einzelne Fragmente aufteilt, leidet darunter die gemeinsame Entscheidungsfindung im politischen Prozess. Beteiligen sich einige Gruppen nicht mehr
an der allgemeinen Öffentlichkeit, weil sie sich stattdessen in sogenannten „Nischen“ zusammenfinden und sich auf spezifische Themen konzentrieren, so ist die Legitimität der Demokratie
nicht mehr gänzlich gewährleistet.
Im Internet betitelt man dieses Phänomen der Nischenbildung oft auch mit dem Begriff „Long
Tail“. Dieser Begriff verweist auf die grafische Darstellung von Nutzerstatistiken, die stets die
gleiche Kurve aufzeigen, nämlich eine exponentiell fallende Kurve, welche beinahe unendlich
auf tiefem Niveau fortläuft, also einen „langen Schwanz“ hat. Solch ein Long Tail zeigt sich bei
Verteilungen von Reichweiten oder Marktanteilen, bei welchem einige wenige Angebote sehr
hohe Werte aufweisen und ein sehr grosser Rest nur niedrige Werte erreicht. Diese Entwicklung
ist durch die enorm hohe Angebotsdichte im Internet zustande gekommen, da immer mehr Angebote um Aufmerksam buhlen, die Aufmerksamkeitsspanne der Rezipienten jedoch limitiert
bleibt (vgl. Webster/Ksiazek 2012: 41 – 42). Auch zeitlich dargestellte Long Tails können beobachtet werden, so zum Beispiel bei Statistiken zu News oder Multimediangeboten. Während
sich bei Erscheinen der Nachricht oder des Produktes sofort eine sehr hohe Nachfrage entsteht,
so sinkt dieses Interesse rapide ab und mit der Zeit interessieren sich nur noch bestimmte Nischen für dieses mediale Produkt. Das Internet bietet eine optimale Plattform für solche Nischenangebote, da das Bereitstellen von solchen Angeboten mit keinem finanziellen oder zeitlichen Mehraufwand verbunden ist und durch die Dezentralisierung des Internets einfacher mit
Personen, welche die gleichen Interessen teilen, in Kontakt getreten werden kann und kleine bis
grössere Interessengruppen gebildet werden können (vgl Neuberger 2013: 104). Ob diese Nischenöffentlichkeiten sich aber tatsächlich weniger an der allgemeinen Öffentlichkeit beteiligen
und deshalb der Demokratie schaden, kann statistisch nicht nachgewiesen werden. Was aber
beobachtet werden konnte, ist die Tatsache, dass es bei der Nutzung von verschiedenen DiensSeminararbeit SP1
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ten Überlappungen gibt und Konsumenten von Nischenangeboten also nicht generell aus der
breiten Masse exkludiert sind, da sie auch die populären Angebote weiter rezipieren (vgl. Webster/Ksiazek 2012: 50).
4.3. Vergleich: Die Öffentlichkeitsmodelle angewandt auf das Web 2.0
Die verschiedenen Modelle, welche von Wissenschaftlern über die Öffentlichkeit konzipiert
wurden, tragen allesamt Eigenschaften, welche auch auf die Online-Öffentlichkeit übertragbar
sein müssten, wenn diese sodann als eigenständige Öffentlichkeit betrachtet wird. Da die Modelle sich untereinander jedoch stark unterscheiden, ist eine Untersuchung interessant, in welcher die Applikationen und Potenziale des Social Webs direkt auf diese in den Modellen beschriebenen Eigenschaften geprüft werden.
4.3.1. Diskursmodell im Web 2.0
Wie in Kapitel 2.2.1 erläutert, wird im Diskursmodell davon ausgegangen, dass zur Herstellung
von öffentlicher Meinung ein herrschaftsfreier Diskurs nötig ist. Auch Wimmer (2007) stützt
sich auf die Theorie von Habermas und betont, dass sich für diesen die Zivilgesellschaft jenseits
der institutionalisierten und vermachteten Öffentlichkeit etabliert und die in der Zivilgesellschaft stattfindende Öffentlichkeit der Ort ist, wo der eigentliche deliberative Austausch stattfindet (vgl Wimmer 2007: 81). Das Internet stellt ein weiteres Forum für politische Deliberation
zur Verfügung und nimmt somit in diesem Punkt sicherlich Ähnlichkeiten mit der Konzeption
der Öffentlichkeit im Diskursmodell an (vgl. Papacharissi 2002: 12). Was den Diskurs im Internet jedoch erschwert, ist erstens, dass das Internet global ist, es jedoch keine globale Identität
gibt und für viele politisch brisante Themen der Bezug zur eigenen Lebenswelt fehlt. Diese
Tatsache verhindert, dass eine allgemeine Öffentlichkeit mit Partizipation aller Bürger im Internet und ein förderlicher Diskurs für die Demokratie entstehen können. Zweitens findet im Internet der Diskurs meist zwischen Gleichgesinnten oder im Rahmen eines spezifischen Themas
statt (vgl. Kutschera/Groinig 2010: 94 – 95). Anstatt eine neue allgemeine Öffentlichkeit zu
schaffen, bedroht laut Sunstein (2001) das Internet sogar eher die Demokratie, weil aufgrund
der vielen Kanäle und dem schnellen Wachstum des Internets eine Gruppenpolarisierung entsteht. Bürger isolieren sich voneinander anstatt am unmittelbaren politischen Geschehen teilzunehmen und treten so weniger in Kontakt mit Personen, die gegensätzliche Meinungen vertreten. Dadurch meidet man den eigentlichen Diskurs und es entsteht keine repräsentative öffentliche Meinung. Somit ist folglich die Validierungsfunktion der Öffentlichkeit im Internet nicht
erfüllt.
Papacharissi (2002) kommt zum Schluss, dass das Internet zwar ein öffentlicher Raum (public
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space) aber keine Öffentlichkeit (public sphere) sei, wobei der Unterschied sei, dass ein öffentlicher Raum Diskussion fördere, die Öffentlichkeit nach dem Diskursmodell aber zwingend
auch die Demokratie fördern müsse (vgl. Papacharissi 2002: 12). Er glaubt somit nicht, dass das
Internet eine Öffentlichkeit im Sinne des Diskursmodells ist. Bohman (2004) hält hingegen fest,
dass das Internet den kosmopolitischen Diskurs fördere und genau dadurch dank des Internets
auch eine transnationale, deliberative Demokratie entstehen könne, auch wenn er das Problem
der fehlenden globalen Identität ebenfalls anerkennt (vgl. Bohman 2004: 152).
Interessant ist auch der Aspekt der Anonymität im Internet und wie dieser sich auf den im Web
2.0 geführten Diskurs auswirkt. In der Kommunikationswissenschaft gibt es die Idee, dass Menschen aus Angst vor Ausgrenzung und Diskriminierung ihre Meinung lieber nicht kundtun,
wenn diese von der bisher geäusserten abweicht („Schweigespirale“ bei Noelle-Neumann). Dies
führt dazu, dass eine verzerrte öffentliche Meinung entsteht, weil sich nur diese Bürger zu Wort
melden, die der vermeintlichen Mehrheitsmeinung zustimmen (vgl. Wimmer 2007: 52 – 53).
Diese Angst müsste in Diskussionen im Internet entfallen, da anonym Beiträge kommentiert
und auf Blogs oder anderen sozialen Netzwerken die eigene Meinung auch anonym verbreitet
werden kann. Das Problem bleibt aber weiterhin, dass die Reichweite solcher Meinungsäusserungen im Internet meist beschränkt ist und die politische Einflussnahme gering ist.
Ein weiterer wichtiger Punkt, der gegen eine vorhandene diskursive Öffentlichkeit im Web 2.0
spricht, ist die Tatsache, dass Themen weiter aus den klassischen Massenmedien in das Web
fliessen und das Internet ohne die institutionalisierten Massenmedien schlecht dasteht. Bürger
müssten die für eine gesunde Demokratie relevanten Themen selbst herausfiltern, was ohne die
klassischen Massenmedien fast nicht möglich ist, da diese einen grossen Beitrag zur Reduktion
der Themenkomplexität leisten (vgl. Kapitel 2.4). Die Massenmedien erfüllen in dem Sinn die
an die von Habermas an die Öffentlichkeit gestellten Anspruch der Orientierungsfunktion, was
für das Web 2.0 nicht zutrifft.
Und schliesslich ist auch die Transparenzfunktion nicht erfüllt, weil – wie auch in Kapitel 4.1.
erwähnt – der allgemeine Zugang für alle nicht gewährleistet ist. Um sich im Web 2.0 an Diskussionen zu beteiligen benötigt es einen Internetzugang, das nötige Wissen über die Diskussionskultur im Internet und je nachdem auch zusätzliche Kompetenzen wie z.B. gewisse Sprachkenntnisse. Von der Internet-Öffentlichkeit sind viele soziale und Alters- und Bildungsschichten
ausgeschlossen, was die Chancen einer deliberativen Demokratie immens einschränkt.
4.3.2. Spiegelmodell im Web 2.0
Klassische Massenmedien haben die Eigenschaft, dass sie die Öffentlichkeit für Akteure eigener
und anderer Systeme beobachtbar machen. Die Themen in der Medienöffentlichkeit geben wieSeminararbeit SP1
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der, welche Themen gesellschaftlich relevant und aktuell sind und bieten einen Überblick über
die Lage in der Öffentlichkeit. Begünstigt wird diese Eigenheit auch dadurch, dass die klassischen Massenmedien unter politischer Beobachtung stehen und die Massenmedien selbst auch
das ökonomische Interesse haben, sich politisch klar auszurichten, über Politik zu berichten und
so die politische Standesaufnahme zu illustrieren (vgl. Jarren 2008: 337 u. 340). Ist dies in den
Web 2.0-Diensten auch der Fall? Der einzige normative Anspruch an die Öffentlichkeit in den
systemtheoretischen Spiegelmodellen ist eben jene Transparenz (vgl. Kapitel 2.2.2.). Doch kann
diese in der Online-Öffentlichkeit trotz der gigantischen Masse an Informationen und medialen
Inhalten überhaupt gewährleistet werden? Logisch betrachtet dürfte es gar nicht möglich sein,
dass die Online-Welt ein Abbild der wirklichen politischen Gesellschaft erstellt, da das Internet
dezentralisiert und fragmentiert ist und somit im Netz keine klaren Tendenzen zur Öffentlichkeit sofortig erkennbar sein dürften. Dafür erfüllt das Web 2.0 aber die Eigenschaft des Spiegelmodells, dass es alle Themen und Meinungen zulässt. Aufgrund der starken Fragmentierung
der Öffentlichkeit im Web 2.0 (vgl. Kapitel 4.2.) ist die Öffentlichkeit im Internet aber so heterogen, dass sich Nischen- und Teilöffentlichkeiten bilden, die – so wird befürchtet – sich weniger an der allgemeinen Öffentlichkeit beteiligen. Das Spiegelmodell setzt aber voraus, dass die
Öffentlichkeit transparent ist und sich alle Staatsbürger an ihr beteiligen, ohne dass einzelne
Gruppen von ihr ausgeschlossen sind (vgl. Jarren/Donges 2011: 98). Es gibt also eher wenig
Grund zur Annahme, dass das Web 2.0 eine Öffentlichkeit im Sinne eines systemtheoretischen
Spiegelmodells darstellen könnte.
4.3.3. Ebenenmodell im Web 2.0
Das Ebenenmodell ist insofern auf das Web 2.0 übertragbar, als dass das Internet ebenfalls verschiedene Kommunikationsformen mit unterschiedlichem Strukturierungsgrad und unterschiedlichen Rollenausprägungen anbietet. Wenn man one-to-one Chats oder kleine, geschlossene
Gruppenchats betrachtet, so kann man definitiv Ähnlichkeiten zur Encounteröffentlichkeit erkennen. Der Strukturierungsgrad ist tief, die Rollen sind nicht strikt zugeteilt, die Kommunikation entsteht meist spontan.
Auch ein Pendent zur Themenöffentlichkeit findet sich im Internet in Form von sozialen Netzwerken. Internetnutzer treffen in virtuellen Communities und Foren zu einem bestimmten Themenkreis aufeinander und diskutieren zu diesem Thema, es werden Gruppen auf Facebook gegründet und thematische Blogs oder Mailinglisten geführt (vgl. Ebersbach/Glaser/Heigl 2011).
Auch die Medienöffentlichkeit ist im Web 2.0 stark vertreten. Jede Zeitung, jeder TV-Sender
und jede Radiostation hat einen eigenen Webauftritt. Auf dieser Ebene wird aber der Vergleich
mit der realen Öffentlichkeit schon schwieriger. Können Massenmedien im Internet das gleiche
leisten wie in der wirklichen Welt? Nach Wimmer (2008) hat das Web 2.0 nur auf der Ebene
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der Encounter- und Themenöffentlichkeit zu Erweiterungen geführt, doch können die im Internet vertretenen Massenmedien ihre Leistungen als Intermediär erst erbringen, wenn sie die Inhalte über ihre üblichen offline-Kanäle verbreiten. Somit besteht eine Medienöffentlichkeit in
einer strikten Strukturierung und mit festen Rollenzuweisungen im Internet nicht Hinzu kommt,
dass das Internet ein reines Pull-Medium ist. Nur jene Inhalte, die der Nutzer gezielt abruft,
erscheinen ihm. Er muss die gesuchten Informationen also selber vom Internet „ziehen“. Hingegen sind die klassischen Massenmedien Push-Medien. Ihre Bereitstellung von Nachrichten
weist eine den meisten Bürgern bekannte Periodizität auf und der Rezipient bekommt zu seinen
gewohnten Zeiten alle relevanten Informationen geliefert, ohne diese aktiv zu suchen. Die klassischen Massenmedien haben denn auch eine weitaus höhere Reichweite als Internetdienste
(vgl. Jarren 2008: 331 – 333).
Ein weiterer wichtiger Faktor ist die Qualität des Angebotes und das Vertrauen, das der Rezipient jenem schenkt. Im Internet sind hauptsächlich jene Dienste sehr gefragt, die von einem
renommierten Medienunternehmen geführt werden (vgl. Jarren 2008: 334). Jedoch fragt sich,
ob sich hier in den letzten Jahren nicht auch eine Veränderung bemerkbar gemacht hat, dadurch
dass viele Internetdienste selbst zu grossen, anerkannten Marken aufgestiegen sind und diesen
Anbietern vermutlich ebenfalls ein wachsendes Vertrauen entgegengebracht wird. Diese Legitimierung geschieht aber wohl auch wiederum über die klassischen Massenmedien, welche über
diese Marken berichten und ihnen so zur Glaubwürdigkeit verhelfen. Münker (2009) jedoch
vertritt hier ebenfalls eine optimistischere Position gegenüber dem Internet und suggeriert, dass
es die Massenmedien sind, welche sich den Onlinemedien assimilieren müssen, damit sie weiterhin massenhaft genutzt werden. Er geht sogar noch weiter und hält fest, dass es auf absehbare
Zeit nur noch digitale Öffentlichkeiten geben werde, da der technische Wandel sich unaufhaltbar vollziehe (vgl. Münker 2009: 133 – 134).
5. Fazit
Medien sind institutionalisiert und erstellen so die Dienste, welche zur Konstitution einer politischen Öffentlichkeit notwendig sind und so erst eine funktionierende Demokratie ermöglichen.
In dieser Arbeit konnte gezeigt werden, dass das Internet generell nicht ausreichend institutionalisiert ist, um diese Verantwortung ebenfalls zu tragen. Doch kann das Internet überhaupt stärker institutionalisiert werden? Eine Institutionalisierung müsste wohl unter verstärkter Kontrolle
des Internets realisiert werden. Wenn das Internet aber zu stark reguliert wird, verliert es bereits
wieder an seinem demokratischen Potenzial und eine dadurch entstehende Institutionalisierung
wäre deswegen sogar kontraproduktiv.
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Auch im Falle des Arabischen Frühlings, um auf das Beispiel aus Kapitel 1 zurückzukommen,
hat sich gezeigt, dass die klassischen Massenmedien in Form des unabhängigen Fernsehsenders
Al Jazeera weit mehr zu den entscheidenden Ereignissen beigetragen haben, als die neuen sozialen Medien. Auch wenn die Revolutionen im arabischen Raum gerne als Facebook- oder Twitter-Revolutionen tituliert wurden, so waren es dennoch der Fernsehsender Al Jazeera und andere klassische Massenmedien, welche ein weites Publikum erreichten und die Menschen dazu
bringen konnten, sich überhaupt eine Meinung über die politische Situation zu bilden. Die Sozialen Netzwerke dienten lediglich zur Visualisierung der in Gruppierungen entstandenen Ansichten und Ziele. Diese Beobachtungen lassen jedoch direkte Analogien zu westlichen Gegenöffentlichkeitstheorien nicht zu, weil die Öffentlichkeitskonzepte da zu kurz greifen und schon
von Grund auf eher auf demokratische Staaten zugeschnitten sind. Die Entwicklungen im arabischen Raum sind viel komplexer, da die Voraussetzungen für eine Öffentlichkeit nicht von sich
aus gegeben sind (vgl. Salvatore: 219 u. 227). Ähnliche Tendenzen zum Web 2.0 konnten in der
für diese Arbeit recherchierten Literatur aber dennoch festgestellt werden. Es sind immer noch
die klassischen Massenmedien, welche die Öffentlichkeit für alle zugänglich machen, die Themenselektion vornehmen, sich als Vertrauensgüter etabliert haben und die Erwartungshaltungen
der Bürger erfüllen (vgl. Jarren 2008; Neuberger 2013). Allgemein gesehen kann das Internet
also nicht als neue oder als „die“ Öffentlichkeit gesehen werden. Es bietet die Grundlage für die
Erweiterung des politischen Diskurses und erlaubt es Bewegungen aus der Gegenöffentlichkeit
sich im Internet in Szene zu setzen. Doch erfüllt das Web 2.0 nicht die normativen Ansprüche
an eine eigenständige Öffentlichkeit. Dennoch birgt das Web 2.0 viele neue Potenziale, welche
zumindest einige der normativen Anforderungen in spezifischen Öffentlichkeitsmodellen erfüllen. Am fruchtbarsten war hier der Vergleich des Web 2.0 mit dem Ebenenmodell. Die Gruppen
und Bewegungen innerhalb des 2.0 können verschiedenen Öffentlichkeitsebenen zugeteilt werden und erfüllen dort auch ähnliche Funktionen wie in der realen Öffentlichkeit. Doch gibt es
auch hier Defizite, zum Beispiel aufgrund des beschränkten Zugangs und der zu geringen Institutionalisierung des Internets, was die Annahme das Web 2.0 als eine eigene Medienöffentlichkeit ausschliesst. Für eine Analogie des Web 2.0 zum Diskursmodell und dem Spiegelmodell
fehlen dem Web 2.0 sehr grundsätzliche Charakteristiken. Dieser Vergleich wird also als nicht
ganz so erfolgreich betrachtet.
Die Resultate dieser Analyse sind zur Übersicht in folgender Tabelle zusammengefasst:
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Die drei Öffentlichkeitsmodelle im Web 2.0 (eigene Darstellung)
Diskursmodell
Spiegelmodell
Ebenenmodell
Transparenzfunktion
nicht erfüllt, weil einzelne Gruppen aus Internet-Öffentlichkeit
ausgeschlossen sind
nicht erfüllt, weil einzelne Gruppen aus
Internet-Öffentlichkeit
ausgeschlossen sind;
aber: alle Meinungen
und Themen akzeptiert
nicht erfüllt, weil einzelne Gruppen aus Internet-Öffentlichkeit
ausgeschlossen sind
Validierungsfunktion
herrschaftsfreier Diskurs
auch im Internet möglich;
aber: häufig nur themenspezifische
Diskurse
unter Gleichgesinnten
-
Potenzial
vorhanden,
weil der Themenöffentlichkeit viele Chancen
zur politischen Deliberation geboten werden
Orientierungsfunktion
keine Themenselektion
durch
Massenmedien,
somit Nutzer mit Themenkomplexität überfordert
-
Medienöffentlichkeit
und somit die klassischen
Massenmedien
übernehmen hier weiterhin diese Funktion
Besonderheiten in Bezug auf Web 2.0
Gefahr der Gruppenpolarisierung; keine repräsentative
öffentliche
Meinung
Heterogenität des Web
2.0 erschwert Beobachtung und Beschreibung der Öffentlichkeit
Potenzial für Öffentlichkeit v.a. auf Encounter- und Themenöffentlichkeit
Welchen Dienst stellt das Web 2.0 also für die Öffentlichkeit her? Einerseits ist unbestritten,
dass das Web 2.0 viele neue Plattformen für das Pflegen von sozialen Beziehungen und thematischen Diskussionen bietet und so die Öffentlichkeit auf der Encounter- und der Themenöffentlichkeit stärkt (vgl. Wimmer 2008). Andererseits bietet das Internet den Anbietern der Medienöffentlichkeit und Akteuren aus der Politik eine direktere Interaktionsmöglichkeit an. Hierarchien können dadurch gelockert werden und der demokratische Diskurs in gewisser Weise gefördert werden, wenn auch nicht auf transnationaler Ebene (vgl. Dean 2003). Dennoch hinkt das
Web 2.0 in vielen Belangen den klassischen Massenmedien hinterher und es bräuchte noch viele Schritte, um ein Level zu erreichen, das es erlaubt zu behaupten, dass das Internet die Massenmedien gänzlich verdrängen kann.
Für weitere Forschungsarbeiten auf diesem Themengebiet empfehlen sich eine noch differenziertere Auseinandersetzung mit der globalen Identität im Internet und die Erforschung von
Potenzialen auf der Ebene der Transparenz und wie das Internet für alle zugänglich gemacht
werden kann. Das Potenzial einer Institutionalisierung des Internets sollte untersucht werden,
damit das Web 2.0 in Zukunft vielleicht tatsächlich ähnliche Dienste für die Bürger bereitstellen
kann wie die klassischen Massenmedien. Durch den laufenden Ausbau der Web 2.0 Dienste
bieten sich kontinuierlich neue Fragen an, welche in der Wissenschaft behandelt werden müssen
und es lässt sich sagen, dass die Forschung auf dem Gebiet wohl nie erschöpft sein wird.
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Bildquelle Titelblatt: http://media.appappeal.com/cloud/web-2.0-tag-cloud-5.png (14.06.2013)
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