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Dr. Andreas Schieder, Dr. Arne Chrestin, Burin Itsarachai
Viele Wege
führen nach Rom
Die Migration zur nächsten Generation der Mobilfunknetze
Als das Rom der Mobilfunkwelt stellt sich derzeit für viele Mobilfunk­
netzbetreiber die sogenannte 4. Generation (4G) der Mobilfunknetze dar.
Mit den Leistungsversprechen dieser neuen Generation lassen sich Kunden
anlocken. Ein Ausweg für den stetig steigenden Hunger nach Übertragungskapazität wird damit ebenfalls in Aussicht gestellt. Kein Wunder also, dass
viele Betreiber sich beeilen, den Weg in Richtung 4G zu beschreiten.
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Detecon Management Report • 2 / 2011
Viele Wege führen nach Rom
egibt man sich auf eine Reise, so muss man sich über zwei
B
Dinge im Klaren sein. Die erste Frage gilt dem Ziel der R
­ eise.
Rom ist groß und man verliert sich leicht, wenn man keine
genauere Zielvorstellung hat. Überträgt man dies in den tech­
nischen Kontext der Mobilfunknetze, so heißt das, die am b­ esten
geeignete 4G-Technologie zu identifizieren. Die zweite Frage
betrifft den zu wählenden Weg, der für verschiedene R
­ eisende
unterschiedlich sein kann. Während einige der Bequemlichkeit
oder Sicherheit den Vorzug geben, kommt es für andere nur
auf die Schnelligkeit an. Auch für Netzbetreiber gibt es keinen
einheitlichen Reiseplan. Abhängig von ihrem Startpunkt und
verschiedenen, vom Marktumfeld abhängigen Faktoren sind
unterschiedliche Wege möglich, die mehr oder weniger direkt
in Rom enden.
Wenn wir das Ziel „Rom“ nun als das nonplusultra an Lebens­
qualität betrachten, so behauptet natürlich jeder gerne von sich,
dort bereits angekommen zu sein. Ähnlich verhalten sich im
Moment einige Mobilnetzbetreiber bezüglich 4G und es gibt
teilweise hitzige Diskussionen, ob es sich tatsächlich um Rom
oder doch eher um einen nicht ganz so glamourösen Vorort
handelt. Seit 2008 vermarktet der Netzbetreiber Sprint N
­ extel
beispielsweise sein drahtloses Breitband-Datenangebot in den
USA unter dem Slogan „das erste und einzige drahtlose 4G
eines nationalen Betreibers“. Im letzten Jahr zog Sprint ­Nextels
Konkurrent Verizon nach und kündigte für den Dezember „das
größte und fortschrittlichste 4G-Netz der Welt“ an. Der Netz­
betreiber T-Mobile wirbt in den USA seit kurzem ebenfalls mit
4G und betreibt nach eigener Aussage bereits jetzt „Amerikas
größtes 4G-Netz“. Das interessante ist, dass sich bei den drei
Netzbetreibern jeweils andere Technologien im Einsatz fin­
den. Die von T-Mobile eingesetzte Technologie etwa wird von
vielen als der 3G-Welt zugehörig angesehen. Der vierte der
großen Mobilnetzbetreiber in Amerika, AT&T, beeilte sich zu
versichern, dass sie eine zu T-Mobile identische Technologie
einsetzen, auch wenn sie sie nicht – fälschlicherweise – als 4G
deklarieren. Andere wiesen darauf hin, dass nach dem Verständ­
nis der International Telecommunication Union ITU, einem
international anerkannten Gremium, auch Sprint Nextel und
Verizon Wireless die Bezeichnung 4G nicht zu Recht verwen­
den. Das verwirrende Spiel mit dem Begriff 4G ist also zu einem
wichtigen Instrument der Marketing-Abteilungen geworden.
Zwar bezieht sich unser Beispiel auf den nordamerikanischen
Markt, die drei von den genannten Netzbetreibern eingesetz­
tenTechnologien werden aber gemeinhin als Kandidaten für die
nächste Mobilfunkgeneration angesehen.
WiMAX steht für „Worldwide Interoperability for
Microwave Access“. Long Term Evolution (LTE) ist die
­Bezeichnung für die als Nach­folger der 3G UMTS Tech­
nologie entwickelte Zugangstechnik. Beide S­ysteme,
LTE und WiMAX, weisen große Ähnlichkeiten auf,
­unterscheiden sich aber deutlich von UMTS. High Speed
Packet Access (HSPA) ist aus UMTS hervorgegangen und
kann mit diesem parallel im gleichen Frequenzbereich
eingesetzt werden. Es wird von der 3GPP kontinuierlich
weiterentwickelt und erreicht in der als HSPA+ bekannten
Ausbaustufe ähnliche Leistungswerte wie die gegen­
wärtigen Varianten von WiMAX und LTE.
Was sind echte 4G-Mobilfunknetze?
Um festzustellen, ob sich ein Ziel schon in Rom befindet,
müssen wir uns auf die Stadtgrenzen einigen. Bezüglich der
Beurteilung, ob eine Technologie tatsächlich den Anspruch er­
füllt, einen echten Generationswechsel darzustellen, entspricht
dies den für die Generation anzulegenden Kriterien. Welcher
Maßstab dabei sinnvoll ist, wurde bereits in einem früheren
Artikel diskutiert*. Eine ganze Reihe von Netzbetreibern und
Technologieher­stellern hat sich bereits vor einigen Jahren in
der „Next Generation Mobile Networks Alliance“ zusammen­
getan, um sich gemeinsam Gedanken über die Anforderungen
an die M
­ obilfunknetze der Zukunft zu machen – etwa für die
­effiziente Unterstützung von Anwendungen wie Online-Spie­
len, Videos oder Multimedia Kommunikation. Die ITU, die
bereits den Maßstab für die dritte Mobilfunkgeneration lieferte,
definierte einen detaillierten Katalog von Kriterien, die eine 4GTechnologie erfüllen müsse. Diese Vorgaben werden weder von
der aktuellen WiMAX-Variante erfüllt noch von LTE. In diesem
Sinne haben die Kritiker recht, die behaupten, dass bisher kein
Netzbetreiber echtes 4G anbiete. Die von der ITU definierten
Kriterien können erst die Nachfolgeversionen Wireless MAN
Advanced sowie LTE Advanced einhalten, deren Standardisie­
rung derzeit noch abgeschlossen wird. Allerdings wird die Errei­
chung der von der ITU geforderten Datenraten bis zu ein Gbps
auf absehbare Zeit höchstens in Feldversuchen möglich sein, da
kein Netzbetreiber über ein hinreichend großes Frequenzspek­
trum verfügt. Letztlich ist die nächste Generation dadurch cha­
rakterisiert, dass sie für die möglichst effiziente Übermittlung
von Daten optimiert ist und eine Vielzahl datenbasierter Dien­
ste und Anwendungen unterstützt, die vorwiegend von den
immer zahlreicheren Smartphones, Tablet PCs, Laptops und
* Siehe DMR 4/2007, Mobile Breitbandnetzte – was kommt da noch?,
Dr. H.-P. Petry/Dr. W. Knospe.
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Netbooks mit Mobilfunkzugang unterstützt werden. Tatsäch­
lich entsprechen also alle drei genannten Technologien diesem
Verständnis der nächsten Mobilfunkgeneration, 4G.
Long Term Evolution gehört die Zukunft
Da nun die Stadtgrenzen von Rom hinreichend festgelegt sind,
können sich die Reisenden Gedanken zu ihrem Zielort innerhalb
der Stadt machen. Mittlerweile hat sich LTE als das b­ evorzugte
Ziel für die Mehrheit der Mobilnetzbetreiber ­etabliert. Dies
war aber durchaus nicht immer so eindeutig absehbar. Als das
erste kommerzielle LTE Netz Ende 2009 an den Start ging,
war ­WiMAX bereits seit einigen Jahren verfügbar. Zu Beginn
­seiner Standardisierung durch die IEEE wurde es als Bedrohung
für die Telekommunikations- (TK) ­
Industrie angesehen, da
ein eher mit der IT-Industrie verbundenes Standardisierungs­
gremium in den Gefilden der TK-Industrie zu wildern begann.
Die Entwicklung eines breitbandigen Systems für die Übertra­
gung von Daten war bis zu dem Zeitpunkt von der TK Industrie
und ­ihrem Standardisierungsgremium 3GPP nicht mit voller
Kraft vorangetrieben worden. So begann die Standardisierung
von LTE als direkte Antwort auf WiMAX. Wodurch gelang es
nun LTE trotz des späteren Starts seine inzwischen weitgehend
anerkannte Dominanz zu erreichen?
Der Wettkampf um die Positionierung als 4G-Technologie der
Wahl ist nur vordergründig von einzelnen Kenngrößen wie ma­
ximalen Datenraten beeinflusst. Viel wichtiger für Netzbetreiber
ist der Rückhalt der Technologie in der Industrie und das jewei­
lige Gesamt-Systemkonzept, das heißt der Umfang der archi­
tektonischen Ausarbeitung des Standards. Hier unterscheiden
sich die beiden Technologien in maßgeblicher Weise. Parallel zu
LTE wurde eine vollständige Netzarchitektur inklusive Mobili­
tätsmanagement, Authentifizierungs-, Autorisierungs- und Ab­
rechnungsverfahren sowie Dienstgütesteuerung spezifiziert. Der
ursprüngliche von der IEEE veröffentlichte WiMAX-Standard
war auf die Spezifikation der Luftschnittstelle beschränkt und
beinhaltete diese Funktionen nicht. Sie wurden erst in späteren
Versionen nachgereicht oder von verbundenen Initiativen wie
dem WiMAX-Forum zugeliefert. Auch wurde WiMAX ohne
Vorkehrungen für die Kooperationen mit bereits existierenden
Funkstandards und Systemen spezifiziert, wie sie bei LTE vorge­
sehen sind. Da so eine schrittweise Migration möglich wird und
Investitionen lokal begrenzt vorgenommen werden können, ist
LTE zur ersten Wahl für die Betreiber existierender GSM- und
UMTS-, aber auch von cdma Netzen geworden. Damit ist Wi­
MAX mittlerweile nur noch eine Alternative für Netzbetreiber,
die eine komplett neue Netzinfrastruktur quasi auf der grünen
Wiese ausrollen wollen. Für einen solchen kompletten Netzauf­
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bau muss sich natürlich auch ein positives Geschäftsmodell er­
geben. Dies funktioniert aber in der Regel nur lokal begrenzt, so
dass großflächige WiMAX-Netze aller Voraussicht nach selten
bleiben werden. Allgemein wird WiMAX nur noch eine Rolle
als räumlich begrenzter Ersatz für leitungsgebundene Anbin­
dungen an das Internet zugesprochen, mit begrenzter Mobilität
innerhalb des Abdeckungsbereiches.
In der bisherigen Betrachtung haben wir die dritte der ange­
sprochenen Technologien, HSPA+, noch nicht weiter betrach­
tet. HSPA+ ist eine direkte Weiterentwicklung von UMTS und
bietet daher auch ein vollständiges Systemkonzept. Es fehlen
allerdings einige Möglichkeiten der Integration mit anderen
Zugangstechnologien, die LTE bietet, so dass HSPA+ nur von
Betreibern der GSM / GPRS / UMTS Technologiefamilie der
3GPP eingesetzt wird. Für diese Betreiber kann HSPA+ noch
für längere Zeit eine gangbare Zwischenlösung darstellen. Da
HSPA+ im selben Frequenzspektrum wie die 3G-Technologien
eingesetzt wird, ist das für Datenübertragung verfügbare Spek­
trum allerdings limitiert. Für LTE dagegen werden derzeit in
vielen Ländern neue und teilweise großzügig dimensionierte
Spektralbereiche verfügbar gemacht, wie etwa das ehemals für
analoges terrestrisches Fernsehen genutzte Spektrum („Digitale
Dividende“). Schließlich werden die Vorteile durch die konzep­
tionelle Neugestaltung von LTE überwiegen, so dass langfristig
auch für diese Betreiber kein Weg an LTE vorbeiführt.
Die Wahl des Weges
Nachdem das Ziel des Weges also für die Netzbetreiber weit­
gehend feststeht, bleibt die Frage nach dem Weg dorthin zu
klären. Einen Überblick der möglichen Wege stellt Abbildung
1 dar. Wir unterscheiden hierbei vier Startpunkte für unseren
Weg nach Rom:
1. Netzbetreiber ohne existierende Infrastruktur, die ein reines
Datennetz anbieten wollen, werden den kürzesten Weg nach
Rom wählen und LTE- oder WiMAX-Netze aufbauen. Für
diesen eher seltenen Startpunkt sprechen wir WiMAX noch
immer Chancen zu, aber aufgrund des erwarteten stärkere
Marktwachstums von LTE wird auch für diese Netzbetreiber
LTE durch Skalenvorteile immer attraktiver werden. Einige
existierende WiMAX-Netzbetreiber denken inzwischen über
­
einen mittelfristigen Übergang zu LTE nach.
Ist zusätzlich Sprachunterstützung und eine umfangreiches
Portfolio von Endgeräten erforderlich, so kommt derzeit als
­erster Schritt auf unserem Weg am ehesten eine UMTS/HSPA+
Kombination in Frage.
Viele Wege führen nach Rom
4. Ähnlich sieht es für Netzbetreiber mit einem bereits existie­
renden UMTS-Netz aus. Für sie ist allerdings der Zwischen­
schritt über HSPA+ oft einfacher zu bewerkstelligen, da ledig­
lich eine Umrüstung existierender Netzelemente erforderlich
ist. Die Entscheidung für oder gegen die direkte Einführung
von LTE unter Auslassung des HSPA+ Zwischenschritts oder
wann der Übergang erfolgt wird innerhalb eines Netzes regional
unterschiedlich ausfallen.
4G-Netzbetreiber bieten ihren Kunden bisher nur ­Modem-artige
Geräte, die zum Beispiel angeschlossenen ­Laptops eine Inter­
netverbindung ermöglichen. Die heute ­populären Smartphones
wie iPhone, Blackberry oder die verschiedenen Android-Model­
le unterstützen keines der angesprochenen 4G-Verfahren. Eben­
so sieht es bisher bei den sich schnell verbreitenden Tablet PCs
aus. Seit kurzem hat Sprint Nextel ein Android Smartphone mit
WiMAX-Unterstützung im Programm und es gibt eine kleine
Zahl von LTE-fähigen Mobiltelefonen der oberen Preiskate­
gorie. Um das Interesse seiner Kunden befriedigen zu können,
muss das Spektrum der Endgeräte auch für Netzbetreiber ein
ausschlaggebender Indikator sowohl für die Wahl des Weges als
auch für den geeigneten Zeitpunkt der Einführung von 4GTechnologie sein. Zwar wird sich das 4G-Produktspektrum lau­
fend erweitern, die Modell-Auswahl wird aber an die bei 3G
bei weitem nicht heranreichen und für längere Zeit vorwiegend
den High-End Markt bedienen. Dies kann gegen die Über­
springung von 3G in weniger entwickelten Märkten sprechen.
Umgekehrt können sich große Netzbetreiber, die mit den End­
geräteherstellern exklusive M
­ odelle vereinbaren, dadurch einen
Wettbewerbsvorteil verschaffen.
Damit die Kunden des Netzbetreibers die Reise nach Rom mit­
machen, ist die Verfügbarkeit von attraktiven Endgeräten ent­
scheidend, die zu dem gewählten Weg passen. Während es eine
unübersehbare Vielfalt von 3G und HSPA fähigen Endgeräten
in allen Preislagen und mit verschiedenster Ausstattung gibt, ist
die Auswahl bei HSPA+, LTE und WiMAX bisher gering. Viele
Die Zeitdauer bis zur Zielerreichung ist aber nicht nur von der
Endgeräte-Verfügbarkeit bestimmt. Die Netzbetreiber werden
4G zunächst in geografisch eng begrenzten Gebieten einführen,
während weite Bereiche weiterhin über 2G- oder 3G-Netze ver­
sorgt werden. Wie schnell die Ausbreitung erfolgt, hängt neben
dem jeweiligen Marktpotenzial für mobile Breitbanddienste
2. Existiert bereits ein Netz, das nicht zur 3GPP-Familie gehört
und sollen an Abdeckungsgrenzen Übergänge zwischen dem 4G
und dem existierenden Zugangsnetz ermöglicht werden, so wird
dies am ehesten durch LTE ermöglicht.
3. Für einen bisher reinen GSM/GPRS Anbieter besteht die
Möglichkeit, 3G zu überspringen und direkt LTE für mobile
Datendienste einzuführen oder den Zwischenschritt über 3G
und HSPA+ zu wählen. Der Zwischenschritt bringt die Kosten
einer weiteren Technologieeinführung mit sich, hat aber den
Vorteil der Verfügbarkeit eines umfangreichen Portfolios von
Endgeräten zum gegenwärtigen Zeitpunkt.
Abbildung 1: Welche Wege führen zum Ziel?
Ausgangsnetz
Zwischenstufe
Endzustand
UMTS/HSPA
HSPA+
GSM/GPRS
Nicht 3GPP
(z.B. CDMA)
Kein Netz
LTE
UMTS (Sprache)/HSPA+
WiMAX
4G Migration
Quelle: Detecon
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auch von regulatorischen Anforderungen, Frequenzverfügbarkeit oder der Wettbewerbssituation ab. Dies bedeutet, dass viele
Betreiber Netze verschiedener Generationen für die absehbare
Zukunft parallel betreiben werden und hierfür eine möglichst
wirtschaftliche Lösung finden müssen.
Reiseplanung
Auf einer Reise treten immer wieder unvorhergesehene oder
unterschätzte Herausforderungen auf. Umso wichtiger ist es
daher, vorhersehbare Herausforderungen frühzeitig durch angemessene Planung zu berücksichtigen. Bei der Einführung der
4G-Technologie entspricht die Wegplanung der Migrationsstrategie des Netzbetreibers. Diese muss alle Ebenen der Netzarchitektur berücksichtigen, von den Endgeräten der Kunden
über das Radio-Zugangsnetz bis zur Anwendungsebene (siehe
Abbildung 2). Die aufkommenden Fragestellungen betreffen
beispielsweise die Erweiterung der Transportkapazität, Überleitung von Diensten und Anwendungen oder Konsolidierung der
Teilnehmerdaten und Netzelemente. Im Folgenden nennen wir
einige besonders kritische Aspekte, zu denen sich Netzbetreiber
im Vorfeld einer 4G-Migration Gedanken machen sollten.
Die Tatsache, dass mit LTE ein durchgehend IP-basiertes Konzept mit flacher Netzhierarchie Einzug in Mobilfunknetze hält,
hat neben der erwünschten Effizienzsteigerung weitere wesentliche Auswirkungen. Netzbetreiber müssen sich völlig neue Gedanken über die Sicherheitsanforderungen an ihr Netz machen.
Sie befinden sich nun in einer Situation, die sie anfällig für die
gleichen Attacken macht, die bereits seit langem im Internet
immer wieder für Schlagzeilen sorgen. Der Einsatz von Firewalls, Verschlüsselung, Authentifizierung und die strikte Trennung von Nutzer-, Kontroll- und Managementverkehr muss
über das ganze Netz hinweg sorgfältig geplant werden. Dabei
werden Angriffe nicht unbedingt nur von Endgeräten aus geführt. Die Vielzahl der LTE-Basisstationen kann der Netzbetreiber kaum vollständig physikalisch sichern. Ein Angreifer
könnte sich Zugang zu einer unzureichend gesicherten Basis-
Internet;
Zusatzdienste
Internet: Integrierte
IP-Datenplattform
Leistungsgebunden
und paketotientiert
Rein paketotientiert
TDM, ATM
IP
2G/3G
2G/3G/4G
Endgerät
Radio
Transport
Steuerung
Anwendung
Abbildung 2: Wegplanung: Migrationsstrategie eines Netzbetreibers
Quelle: Detecon
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station verschaffen und von dort aus versuchen, ins Netz einzu­
dringen. Eine Beschränkung und Absicherung des Netzzugriffs
über die Basisstation ist daher unabdingbar. Ebenfalls mit der
Einführung des IP basierten Konzepts verknüpft ist das Thema
IPv6. Die Vergabe der letzten verfügbaren IPv4 Adressblöcke
Anfang Februar 2011 erhielt weite Aufmerksamkeit. In einem
LTE-Netz benötigt jedes erreichbare Endgerät mindestens eine
IP-Adresse – auch wenn es momentan nicht selbst kommuni­
ziert. Zwar gibt es Zwischenlösungen, auf mittlere Sicht wird
aber der Übergang zu IPv6 unvermeidbar sein. Eine weitere
Herausforderung für Betreiber mobiler Breitbandnetze besteht
in der Gefahr, zum reinen Datentransporteur herabgestuft zu
werden, der lediglich den Zugang zu höherwertigen Diensten
über das Internet herstellt. Als mögliches Gegenmittel bietet
sich eine „Policy and Charging Control“ (PCC) Lösung an.
Damit können Netzbetreiber Anwendungen und Nutzern nach
detaillierten Anforderungen unterschiedliche Transportgüten
zugestehen und darüber unterschiedliche Nutzerverhalten dif­
ferenzierter berücksichtigen.
Ein weiterer zu klärender Aspekt ist die Abwicklung von Sprach­
telefonie nach der Einführung von 4G. Für HSPA+ sind durch
den Zusammenhang mit 3G keine besonderen Maßnahmen er­
forderlich. Sowohl LTE als auch WiMAX arbeiten aber rein pa­
ketorientiert. Sprache wurde von Anfang an als einer von vielen
IP Diensten betrachtet, dessen spezielle Anforderungen ledig­
lich über die Steuerung der zur Verfügung gestellten Dienstgüte
berücksichtigt werden. Die WiMAX-Standardisierung befasst
sich darüber hinaus nicht mit Sprache. Für LTE ist in der Stan­
dardisierung die Realisierung des Sprachdienstes basierend auf
Voice over IP (VoIP) und gesteuert vom „IP Multimedia Subsy­
stem“ (IMS) vorgesehen. Obwohl das IMS-Konzept bereits vor
etwa zehn Jahren entwickelt wurde, hat es sich bisher in Mobil­
funknetzen nicht durchsetzen können und eine Sprachlösung
für LTE über IMS ist kommerziell noch nicht verfügbar. Als
Übergangslösung ist der Rückfall auf den Sprachdienst eines 2G
oder 3G Netzes vorgesehen (Circuit Switched Fall Back; CSFB).
Dies geht natürlich nur, wenn dem Betreiber ein solches Netz
zur Verfügung steht. Für CSFB sind sowohl Änderungen an
Netzelementen des 2G- oder 3G-Netzes notwendig, als auch
ein dafür vorbereitetes Endgerät. In ersten Analysen zeigte sich,
dass der Gesprächsaufbau erheblich länger dauert als in 2Goder 3G-Netzen. Erschwerend kommt hinzu, dass datenbasierte
Sprachzusatzdienste, beispielsweise Präsenzinformationen oder
Bildaustausch, in Verbindung mit CSFB nicht möglich sind.
Solange LTE als reiner Datendienst vermarktet wird, mag die
fehlende Sprachunterstützung verschmerzbar sein. Netzbetrei­
ber müssen sich jedoch darüber klar sein, dass sie nach wie vor
den größten Teil ihrer Umsätze über Sprachtelefonie generie­
ren und dass die Verfügbarkeit von LTE die Abwanderung von
Sprachverkehr zu Internet basierten VoIP-Anbietern begünstigt.
Eine rein abwartende Haltung ist daher nicht angebracht.
Beste Reiseroute nach Rom mit individueller Ausgestaltung:
LTE
Die Diskussion um die technologische Vorherrschaft im Um­
feld der 4. Generation der Mobilfunknetze hat in letzter Zeit
eine gewisse Klarheit gewonnen. Das Rom der Mobilfunknetze,
das heißt das anvisierte Entwicklungsziel ist für die meisten eta­
blierten Netzbetreiber LTE. Die Verbreitung von WiMAX wird
zwar ebenfalls zunehmen, es wird aber mittelfristig durch LTE
überholt werden und eher ein Nischendasein führen. HSPA+
wird in vielen Fällen noch für längere Zeit eine gangbare Zwi­
schenlösung darstellen, die eine allzu rasche Ausbreitung von
LTE begrenzen wird, insbesondere so lange LTE nur von we­
nigen populären Endgeräten unterstützt wird. Der beste Weg
zur Einführung von LTE muss von den Netzbetreibern jeweils
individuell identifiziert werden. Längerfristig führt kein Weg an
LTE vorbei, um das steigende Datenvolumen in Mobilfunk­
netzen effizient bewältigen zu können.
Dr. Andreas Schieder ist Managing Consultant im Bereich Mobilfunkarchitek­
tur und Dienste innerhalb der Competence Practice Communication Techno­
logy. Er ist seit mehr als 15 Jahren in der Weiterentwicklung moderner Kom­
munikationsnetze zur Verbesserung der Effizienz und Nutzerfreundlichkeit
involviert. Bevor er 2008 als Technologieberater zur Detecon kam, war er in der
Entwicklung, Standardisierung und Forschung tätig. Sein Schwerpunkt als Be­
rater liegt in der Architekturentwicklung für Next Generation Mobile Networks
und der Entwicklung von Migrationsstrategien für Mobilfunknetze.
Andreas.Schieder@detecon.com
Dr. Arne Chrestin ist Managing Consultant für Mobilfunkarchitektur und
Dienste. Seine Beratungsschwerpunkte sind Technologiestrategien für Mobil­
netzbetreiber sowie Architekturentwicklung und Implementierung von Next
Generation Mobile Networks. Seine Beratungserfahrung umfasst Mobilnetzbe­
treiber in Europa, dem Mittleren Osten, Afrika und Asien in unterschiedlichen
Marktsituationen. Bevor er 2003 zu Detecon kam, war er für einen Hersteller
von Telekommunikationsinfrastruktur im Bereich Architekturplanung und
-entwicklung tätig.
Arne.Chrestin@detecon.com
Burin Itsarachai ist Corenetzwerkexperte für Mobile Packet Core. Er ist im Be­
reich Corenetzplanung der Deutsche Telekom Netzproduktion GbmH tätig.
Seine Schwerpunkte sind Designs- und Planungsaufgaben im Bereich Evolved
Packet Core (EPC) und Einführung neuer Technologien im Umfeld von Next
Generation Mobile Networks. Ausserdem kümmert er sich um die strategische
Ausrichtung der Corenetzelemente und Ausbaustrategie für das Packet Switched
Corenetz. Früher war er als Senior Consultant im Bereich Mobilfunkarchitektur
und Dienste bei Detecon Asia Pacific tätig.
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