Menschen sind Mosaike
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www.detecon-dmr.com DMR Das Magazin für Management und Technologie ESSAY: Menschen sind Mosaike Detecon Management Report - 2 / 2011 Detecon Management Report - 2 / 2011 Kulturelle Vielfalt als Chance Sascha Hellmann High Involvement garantiert Erfolgreiche Kundenansprache im Auto via Internet Ein Kessel Buntes Aktives Diversity Management entscheidet den War for Talents Viele Wege führen nach Rom Die Migration zur nächsten Generation der Mobilfunknetze Detecon Management Report 2 / 2011 Editorial Vielfalt Liebe Leserinnen und Leser, Vielfalt ist ein Wettbewerbsvorteil. Und dies tatsächlich in vielerlei Hinsicht: Unter nehmen müssen ihren Kunden eine möglichst breite Produktauswahl bis hin zur Indivi dualisierung anbieten, um im Kampf um Marktanteile mitzuhalten. In die Wertschöp fung ist mittlerweile eine Vielzahl an Lieferanten und Dienstleistern eingebunden, deren Steuerung die Komplexität der Geschäftsprozesse nach oben treibt. Produkte können – und müssen – über zahlreiche Kanäle vertrieben werden, auch mobil. Aber wenn mobil, dann für welches Gerät: iPhone, Android, Blackberry oder vielleicht doch nur über eine mobile Webseite? Darüber hinaus steht die personelle Vielfalt auf dem Management-Plan: Unterschied lichkeit ist das Gebot der Stunde, denn verschiedene Talente, das heißt Erfahrungen, Perspektiven und Kompetenzen von Mitarbeitern aufgrund ihres kulturellen und ethnischen Hintergrunds, können den unternehmerischen Erfolg steigern. Diversity Management toleriert nicht nur die individuelle Verschiedenheit der Mitarbeiter, sondern hebt diese im Sinne einer positiven Wertschätzung besonders hervor. In diesen Kontext ist auch die Frauenquote einzuordnen – eine längst überfällige Diskussion, wie Telekom-Vorstand Thomas Sattelberger in dieser Ausgabe konstatiert. Der Vorreiter-Rolle, die die Deutsche Telekom hier einnimmt, folgen nun alle DAX 30 Unternehmen, und so dürfen wir gespannt auf die Veränderungen sein, die – hoffentlich – mit den Maßnahmen des Diversity Managements einhergehen. Denn die Quote, so sieht es Sattelberger, „ist kein Selbstzweck, sie ist Türöffner für eine umfangreiche Kulturarbeit, sie ist die Keimzelle für die Entfaltung umfassender Vielfalt (…), und das geht jeden etwas an.“ Die Zukunft ist also bunt. Ein schöner Ausblick! Wir wünschen Ihnen in diesem Sinne eine anregende Lektüre. Ihre Ingrid Blessing Chefredakteurin Detecon Management Report 1 Detecon Management Report • 2 / 2011 Vielfalt Inhalt Essay Menschen sind Mosaike Kulturelle Vielfalt als Chance Seite Sascha Hellmann 4 Strategy Always On 8 Wie der Einzelhandel die vielfältigen Möglichkeiten des mobilen Internets für sich nutzen kann Das Problem der weißen Flecken 14 Der Anschluss ländlicher Gebiete an die Informationsgesellschaft Diversity killed the Cat 20 Produktdifferenzierung hat nicht immer die gewünschte Erlössteigerung zur Folge Impressum: Herausgeber: Detecon International GmbH Frankfurter Straße 27 65760 Eschborn Germany www.detecon.com DMR@detecon.com 2 Detecon Management Report • 2 / 2011 Aufsichtsrat: Klaus Werner (Vorsitz) Chefredaktion: Ingrid Blessing (V.i.S.d.P.) Design: Ernst Formes Geschäftsführung: Dr. Klaus Hofmann (Vorsitz) Andreas Baumann Local Court Bonn HRB 2093 Registered Office: Bonn Redaktion: Christine Wolters e-Mail: Christine.Wolters@detecon.com Druck: Kristandt GmbH&Co.KG Frankfurt/Main Erscheinungsweise: vierteljährlich ISSN 1867-3147 Inhalt Organization High Involvement garantiert 26 Erfolgreiche Kundenansprache im Auto via Internet Ein Kessel Buntes 34 Aktives Diversity Management entscheidet den War for Talents Die Quote ist Türöffner für eine umfangreiche Kulturarbeit 40 DMR-Interview mit Telekom-Vorstand Thomas Sattelberger über die Einführung der Frauenquote Was bin ich? Und wenn ja, wie viele? 44 Corporate Project Identity als Balance von Einheit und Vielfalt im Projekt Technology Vielfalt hat Zukunft 50 Kooperationen von IT-Dienstleistern erfolgreich steuern Viele Wege führen nach Rom 56 Die Migration zur nächsten Generation der Mobilfunknetze Die Kraft der kleinen Teile 62 Technologische Fragmentierung als Treiber eines vielschichtigen und innovativen Marktes Detecon publiziert ! 68 3 Detecon Management Report • 2 / 2011 Essay Menschen sind Mosaike Kulturelle Vielfalt als Chance 4 Detecon Management Report • 2 / 2011 Sascha Hellmann Menschen sind Mosaike W ir fühlen uns in Märchen zu Hause: Das Gute wird herausgefordert, das Böse bäumt sich auf, schlägt um sich und wird schlussendlich vom Guten niedergerungen. Der Held ist geboren. So soll es auch in der Wirklichkeit sein. Nur, dass es dort eben nicht immer von Helden, Widersachern und guten Enden wimmelt. Die Wirklichkeit ist komplexer, als wir sie manchmal haben wollen. Auch die Idee der kulturellen Einheit ist nicht wirk lich, sondern ein Märchen. Es gibt sie nicht und hat sie nie gegeben. Die Wirklichkeit ist ständiger Austausch, Beeinflussung und Durchmischung. Natürlich ist diese Durchmischung immer mehr oder weniger stark ausgeprägt, je nach geographischer Lage und Wanderungsbewegungen. Zudem scheint diese Tatsache ein gegenseitiges Einvernehmen des Austausches nahe zu legen, was jedoch eher selten der Fall ist: Vielmehr finden wir an der Schwelle zur Begegnung Konstrukte wie das „Eigene“ und das „Fremde“ vor. Sie ist von Neugier bis Abwehr, ja Feindseligkeit geprägt. Wäh rend jedoch in grauer Vorzeit diese Reserve gegenüber dem Neuen, dem Anderen durch aus noch evolutionäre Vorteile gebracht haben mag, ist dies heute nicht so. Denn unser Leben ist dazu viel zu vernetzt und weit über den Erdball gespannt. Darüber hinaus scheint die Gabe, mit dem Fremden umzugehen, auch seelisch begründet zu sein: Der in sich selbst Versicherte ist zu einem viel größeren Maße in der Lage, Fremdes zuzulassen und diesem offen zu begegnen. Anders jedoch der, der dies nicht ist: „Kleine Fremdheiten regen unsere Seelentätigkeit an“, sagt der Psychologe Wolfgang Schmidbauer, „mittlere fordern unsere ganze Verarbeitungsfähigkeit, übergroße führen dazu, dass wir das Fremde bekämpfen oder vor ihm fliehen.“ Das Fremde hat also immer etwas mit uns selbst zu tun. Es fordert uns heraus, uns selbst zu begegnen und bestenfalls Schritte zu unterneh men, diesem Anderen – allen inneren Widrigkeiten zum Trotz – offen zu begegnen. Denn das Andere ist immer ein Gewinn. Das Fremde erweitert unseren Horizont und zwingt uns, uns selbst und unser Verständnis des Normalen, Selbstverständlichen zu reflektieren. Am Ende sind wir durch das Neue bereichert: Nichts ist selbstverständlich! Unterschiede trennen, Vielfalt verbindet uns. Die Sprache macht uns vor, was in der Wirklichkeit gespielt wird: Solange wir dasjenige, was uns vom anderen unterscheidet, ins Auge fassen, und zwar als das, was zwischen uns steht, haben wir auf die Unterschied lichkeit gesetzt. Diese Perspektive begünstigt eine Trennung, ein Ausgrenzen. Sobald wir jedoch das Fremde als Teil eines bunten Spektrums betrachten, haben wir es mit etwas ganz anderem zu tun, mit etwas, das uns umgreift und zusammenführt: der Vielfalt. Die ser schillernde Begriff hat es in letzter Zeit zu einiger Berühmtheit gebracht. Die Tatsache, dass ihn nicht nur eine Nation für sich entdeckt hat, spiegelt sein englisches Pendant „Diversity“ wider: In der Weltsprache Englisch hat er seinen Platz ebenfalls gefunden. Hierzulande wird Diversity als „Diversität“, „Heterogenität“, „Vielheit“ oder eben als „Vielfalt“ verstanden – und gilt gleichzeitig als positive Wertschätzung dieses Phäno mens. Vielfalt ist dabei selbst vielfältig: Sie beschränkt sich nicht nur auf Ethnizität oder Nationalität, sondern schließt Geschlecht, Generation, körperliche und geistige Befähi gung, Internationalität, sexuelle Orientierung sowie Religion und Spiritualität mit ein. „Alle diese Elemente werden im Diversity-Ansatz als unterschiedliche Kulturen gesehen“, sagt die Bremer Diversity-Expertin Dr. Béatrice Hecht-El Minshawi. Kulturelle Vielfalt ist also ein weiter Begriff, der jede Unterschiedlichkeit aufnimmt. Dieses breite Spektrum macht deutlich, dass jeder einzelne eine Vielzahl verschiedener Prägungen besitzt.HechtEl Minshawi: „Jeder Mensch ist ein Mosaik kultureller Vielfalt.“ 5 Detecon Management Report • 2 / 2011 Essay Der Kulturwissenschaftler Richard Lewis hat dennoch einen Versuch zur Kategorisie rung, wenn man so will: Vereinfachung, unternommen. Die kulturelle Prägung des Men schen ordnet Lewis drei Typen zu: Der linear-aktive Typ ist sachorientiert, wird als kühl, logisch, zielorientiert und realistisch beschrieben. Der multi-aktive Typ ist personen orientiert und gilt als emotional, impulsiv. Der reaktive Typ ist dialogorientiert und wird als höflich und gefällig empfunden. Deutschland und die Schweiz werden dem linearaktiven Typ zugeordnet; Spanien, Argentinien, Chile und Brasilien dem multi-aktiven; Japan, China und Vietnam dem reaktiven. Auch die Kooperation unter den Typen fällt unterschiedlich aus. Als Japan eine wirtschaftliche Zusammenarbeit mit Brasilien und Deutschland anstrebte, war diese mit Deutschland wesentlich harmonischer. Allgemein gelte, dass das multi-aktive Muster, zu dem auch Brasilien gehört, für lineare und reaktive Muster als zu chaotisch empfunden werde. Andersherum ist die linear-aktive Persönlich keit der multi-aktiven oftmals zu entschlossen. Die reaktive Persönlichkeit ist jedoch für die linear-aktive Persönlichkeit in Arbeitsabläufen gut zu integrieren: Japaner und Deut sche konnten gut miteinander. Kulturen lassen sich jedoch auch über andere Aspekte differenzieren: geringe versus starke Machtdistanz, Kollektiv versus Individuum, feminin versus maskulin oder geringe ver sus starke Unsicherheitsvermeidung. Deutschland dürfte als Beispiel für eine Kultur mit starker Unsicherheitsvermeidung gelten, denn Deutschland, so sagt man, ist das Land in der EU mit den meisten Versicherungsabschlüssen und dem dicksten Gesetzbuch. Wie derum allein über diese vier Puzzleteile ergeben sich vielfältige individuelle Ausprägungen in ganz konkreten Lebensbereichen: Während in Kulturen mit geringer Machtdistanz Kinder dazu ermutigt werden, ihren eigenen Willen zu haben, werden Kinder in Kul turen mit starker Machtdistanz zum Gehorsam erzogen. In kollektivistischen Kulturen besteht zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer eine moralische Beziehung, in individu alistischen Kulturen eine kalkulative. Während in femininen Kulturen der durchschnitt liche Schüler die Norm ist, sind es in maskulinen die besten. Und in Kulturen, in denen Unsicherheit weniger stark vermieden wird, ist das, was anders ist, einfach interessant, in Kulturen mit starker Unsicherheitsvermeidung hingegen schlicht gefährlich. Ein Kalei doskop der Vielfältigkeiten. Nun ist der Begriff der Vielfalt, mit der Konnotation der positiven Wertschätzung, auch in der Wirtschaft angekommen. Und das ist kein Wunder: Nicht zuletzt durch die Glo balisierung werden Belegschaften immer internationaler – und das ist nur ein Parameter der kulturellen Vielfalt. Unternehmen haben begriffen, dass sie Vielfalt nicht nur zu tole rieren, sondern anzuerkennen und zu fördern haben. Vielfalt bedeutet in der Wirtschaft eben auch Facettenreichtum der Mitarbeiter: „Durch die Entdeckung kultureller Vielfalt 6 Detecon Management Report • 2 / 2011 Menschen sind Mosaike lassen sich die unterschiedlichen Kompetenzen bündeln“, sagt Hecht-El Minshawi. „So erhält man von jedem nur das Sahnehäubchen.“ Doch Einsicht führt nicht gleich zu praktischen Konsequenzen. Vielfalt muss gemanagt werden – und ein Begriff war schnell zur Hand: Diversity Management. Eines hat das Diversity Management verinnerlicht: Vielfalt birgt ein ökonomisch rele vantes Potenzial. Denn es hat sich gezeigt, dass heterogene Teams bei Problemlösungen erfolgreicher abschneiden als homogene. Darüber hinaus kann sich ein Unternehmen mit einer kulturell vielfältigen Belegschaft überzeugend als Global Player positionieren. Vielfalt wird also zum Wettbewerbsvorteil. Aus Wertschätzung wird Wertschöpfung. So sieht Diversity Management in jedem Mitarbeiter eine kreative, schätzenswerte Ressour ce. Denn Vielfalt setzt Kreativität frei, führt in sich stets verändernden Umfeldern zu in telligenteren Lösungen. Klar ist jedoch, dass Diversity Management einen Wandel in den Köpfen bewirken muss. Denn zur Wirklichkeit gehört auch, dass ein kulturell diverses Potenzial Konflikte mit sich bringen kann. Diese gilt es konstruktiv einzubinden – auf dem Weg zu einem einzigartigen Unternehmen: weil jeder Mitarbeiter einzigartig ist. Diversity und Diversity Management sind auf der Höhe der Zeit: Die Welt ist zum globa len Dorf geworden, in dem Menschen aufeinander treffen, die sich in früheren Zeiten nie begegnet wären. Und die Einstellung, mit der Menschen anderen begegnen, offen und interessiert oder verschlossen und abwehrend, bestimmen das Spiel – in der Wirtschaft über Erfolg und Misserfolg. Diese Entwicklung ist unumkehrbar: Die Globalisierung ist da – und wird noch weiter voranschreiten. So hat das deutsche Unternehmen Z_punkt The Foresight Company zwanzig Megatrends identifiziert, die als langfristige, übergrei fende und wirkungsmächtige Wandlungsprozesse die Zukunft bestimmen werden. Ein Trend ist dabei die kulturelle Vielfalt: Kulturen sind demnach immer stärker der gegen seitigen Beeinflussung ausgesetzt. Lokale Lebensarten werden immer mehr durch neue Mentalitäten herausgefordert, in dessen Folge sich Neues entwickeln wird. Kurzum: Die Gegenwart ist schon bunt, aber die Zukunft wird noch bunter! Die Idee von der kultu rellen Einheit, Reinheit wird spätestens dann als das entlarvt, was sie ist: als Märchen. Dem kann man zu Gute halten, dass künftig hoffentlich Vielfalt statt Einfalt herrschen wird. Und nichtsdestotrotz wird die Wirklichkeit, wenn sie kulturelle Vielfalt anerkennt, fördert und zu nutzen weiß, märchenhafte Züge tragen: Das Ende wird gut. Sascha Hellmann, Magister Artium in Philosophie, Sprach- und Literaturwissenschaft, Fachjournalist (DFJS), Absolvent der Zeitenspiegel-Reportageschule Günter Dahl mit langjähriger Erfahrung als freier Journalist, be treut bei Z_punkt The Foresight Company in Köln den Bereich Corporate Communications. Z_punkt ist ein Beratungsunternehmen für strategische Zukunftsfragen und spezialisiert auf Corporate Foresight: die Überset zung von Trend- und Zukunftsforschung in die Praxis des strategischen Managements. Kunden sind führende Unternehmen aus Investitionsgüterbranchen, Dienstleistung und Konsumgüterindustrie. Darüber hinaus ist Z_punkt eingebunden in ein weltweites Think-Tank-Netzwerk. 7 Detecon Management Report • 2 / 2011 Strategy Dr. Britta Cornelius, Dr. Mike Radmacher, Dr. Christian Kleinhans Always On Wie der Einzelhandel die vielfältigen Möglichkeiten des mobilen Internets für sich nutzen kann Der Einzelhandel ist im Zeitalter des Internets angekommen. Eine Verschnaufpause gibt es nicht: Konsumenten n utzen das Internet nahezu immer und überall. Jetzt muss der Einzelhandel mobile Strategien als Antwort auf das veränderte Kundenverhalten entwickeln. 8 Detecon Management Report • 2 / 2011 Always On „ 2011 wird […] in die Geschichte des deutschen Einzelhan dels als das Jahr eingehen, in dem der Online-Vertrieb als Ergänzung zum stationären Handel den Durchbruch geschafft hat“, prognostiziert Wolfgang Werner, Vorstandsvorsitzender der Praktiker Bau- und Heimwerkermärkte Holding AG1. Und tatsächlich hat sich etwas getan im deutschen Online-Handel: Die deutschen Konsumenten haben 2009 für rund 15,5 Milliarden Euro Waren und Dienstleistungen im Internet ge kauft. Erstmals gingen im Versandhandel mehr als 50 Prozent der Bestellungen über das Internet ein und der E-CommerceUmsatz wächst seit 2003 durchschnittlich um 18 Prozent pro Jahr2. Selbst Unternehmen wie die Media-Saturn-Gruppe, die sich lange gegen den Online-Handel gesträubt haben, wollen noch in diesem Jahr einen Online-Shop eröffnen. Dazu kaufte Media-Saturn kürzlich den Onlinehändler redcoon, der Großes vor hat: Redcoon plant nach eigenen Angaben, den Umsatz in den nächsten fünf Jahren zu verdoppeln und damit auf eine Milliarde Euro zu steigern3. Der Einzelhandel ist also angekommen im Zeitalter des Internet, aber die Technik erlaubt keine Verschnaufpause: Das Internet ist zunehmend nicht mehr nur zu Hause oder am Arbeitsplatz verfügbar, sondern nahezu überall. Immer mehr Menschen sind „always online“ und nutzen dies auch. Herr Meier kauft nahezu täglich mit seinem Smartphone ein. Er beginnt schon morgens nach dem Aufstehen damit, wenn er Schlagzeilen aktueller Nachrichten überfliegt, wichtige Artikel direkt herunter lädt und am Frühstückstisch liest, bevor der Kiosk um die Ecke öffnet. Kurz danach bestellt er das Taxi zum Flughafen mit seinem Smartphone nicht nur mit einem Klick, sondern bezahlt es auch gleich damit, indem er das mobile Endgerät als Geldbörse nutzt. Unterwegs hat er Last Minute noch ein Flugticket bestellt und dabei einen Gutschein seines Reisebüros eingelöst, der ihm gestern anlässlich des 30sten Firmenjubiläums auf sein Smartphone zugeschickt wurde. Die Boardkarte landet auch direkt auf seinem mobilen Endgerät, so dass Herrn Meier am Flughafen genug Zeit bleibt, einige Buchrezensionen auf seiner Lieblings-Community zu lesen. Durch diese Empfehlungen bestellt er als Geschenk für seine Frau auf der mobilen Webseite eines Buchhändlers sicher den richtigen Roman, der hübsch verpackt bei seiner Rückkehr am Abend in der Filiale am Flughafen für ihn bereitstehen wird. Bevor er 1 Lebensmittelzeitung vom 06.01.2011: Trends 2011 – Interviews 2 GfK (2010): WebScope-Panel 3http://www.heise.de/newsticker/meldung/Redcoon-peilt Milliardenumsatz-an-1220684.html (Download am 05. April 2011) ins Flugzeug steigt, bestellt er über seine mobile Einkaufsliste noch die Lebensmittel, die seine Frau auf dem Rückweg von der Arbeit in der Supermarktfiliale abholen wird. Er freut sich schon auf das gemeinsame Kochen und hofft, am Abend mit seiner Frau einen neuen Auftrag feiern zu können. So oder so ähnlich kann das Internet heute überall für die Ab frage von Produktinformationen, zum Finden von Geschäften oder direkt für Einkäufe genutzt werden. Für den Einzelhandel genügt es also nicht mehr, den Internetnutzer am Schreibtisch zu bedienen. Sowohl Online- also auch stationärer Handel werden durch das überall verfügbare mobile Internet herausge fordert. Zukunftsfähig ist nur, wer auch den mobilen „always on“-Konsumenten erreicht und dessen Gewohnheiten bedient. Always-on: Digitaler Lebensstil und Mobilität verändern das Kundenverhalten Schon heute nutzen über 20 Millionen Deutsche ein Smart phone4. Diese Zahl wird sich nach Einschätzung verschiedener Analysten in nur wenigen Jahren verdoppeln. Diese neue Gene ration von intuitiv bedienbaren Endgräten mit großen farbigen Displays, der Ausbau der Mobilfunknetze mit einer deutlichen Erhöhung der Datenübertragungsgeschwindigkeit und neue attraktive Tarifmodelle für das mobile Surfen treiben die Nut zung des mobilen Internets voran. 23 Prozent der Smartpho nenutzer tun dies bereits täglich5. Durch das mobile Internet wird das mobile Endgerät vom Kommunikations- zum Inter aktionsmedium und zum Mittelpunkt eines digitalen Lebens stils. Die situationsabhängige Nutzung bestimmt den mobilen Mehrwert und verändert gleichzeitig Ansprüche und Verhal tensmuster: Vorausschauende Planung wird durch Ad-hoc Ent scheidungen ersetzt. Entscheidungsfähigkeit heißt in Zukunft, die benötigten Informationen schnell und zuverlässig überall abrufen zu können. Im Durchschnitt surfen deutsche Nutzer rund sieben Stun den pro Woche, also eine Stunde pro Tag, mobil mit verschie denen Endgeräten (Handy, Smartphone oder Netbook). Das wöchentliche Zeitbudget für das Lesen von Zeitungen und Magazinen liegt derzeit mit 4,6 beziehungsweise 3,6 Stunden deutlich darunter6. In ihrer Metastudie zeigen die Analysten von 4 5 6 StrategyAnalytics (2010): Global Smartphone Sales Forecast by Country: Western Europe and North America TNS Infratest (2010): GO SMART 2012 European Interactive Advertising Association (2009): Mediascope Europe 2009 9 Detecon Management Report • 2 / 2011 Strategy Kirchner+Robrecht, dass 70 Prozent der mobilen Internetnut zer auch ihre E-Mails mobil empfangen, 43 Prozent mobile Na vigationsdienste nutzen, 36 Prozent unterwegs spielen und auch schon 25 Prozent mobil einkaufen7. Um zu erahnen, wie sich diese Entwicklung fortsetzen wird, lohnt ein Blick in die jün geren Bevölkerungsschichten. Mit digitalen Technologien und dem Internet von Kindesbeinen an vertraut sind inzwischen 31 Prozent der deutschen Bevölkerung, die sogenannten Digital Natives. Verbunden zu jeder Zeit und an jedem Ort als charak teristischem Differenzierungsmerkmal mobiler Zugangstechno logien ist hingegen die neue Generation der sogenannten Smart Natives. Diese Personen werden von Zukunftsforschern durch eine hohe Nutzungsintensität von Smartphones sowie Technikund Webaffinität gekennzeichnet. 43 Prozent der Smart Natives nehmen ihr Smartphone ganz bewusst zum Einkaufen mit, um sich unterwegs über Produkte und Preise zu informieren. 50 Prozent der Smart Natives geben an, schon einmal eine Kauf entscheidung aufgrund von Produkt- oder Preisinformationen, die sie über ihr Smartphone abgerufen haben, abgebrochen zu haben8. Der Kaufentscheidungsprozess wird um einen ständig und überall erreichbaren Kanal erweitert, der immer mehr an Bedeutung gewinnt. Immerhin schafft es die Barcode-Scanner Applikation „barcoo“, die es Konsumenten ermöglicht, durch das Sannen eines Produktbarcodes9 blitzschnell umfassende Produktinformationen/-bewertungen und Preisvergleiche aus dem Internet abzurufen, schon auf Platz 8 der von der ChipOnline-Redaktion erarbeiteten Liste der besten kostenlosen iPhone-Applikationen10. Insgesamt wurden im ersten Halbjahr 2010 in Deutschland 346 Millionen Applikationen heruntergeladen11. Doch der Einzel handel ist noch zurückhaltend. Im September 2010 suchten die Analysten von ABIresearch im Apple App Store nach „Shopping“ und landeten 1.625 Treffer. Bei den meisten davon handelte es sich um Location Finder, Barcode Scanner oder Special Deal Anbieter, die aufgrund von zuvor eingegebenen Präferenzen oder dem Standort des mobilen Internetnutzers personalisierte Angebote unterbreiten12. Innovative Applikationen von Händ lern sind noch rar. Die weltweit bisher monetär erfolgreichsten mobilen Händler sind die bisherigen Online-Spezialisten Ama zon and Ebay. Nach Schätzung von Analysten konnte Amazon über den mobilen Kanal weltweit im Jahr 2010 schon über 500 Millionen US-Dollar Umsatz verbuchen, Ebay erreichte diesen Wert schon 200913. Damit nicht wieder zehn Jahre vergehen, bis auch der traditionelle Einzelhandel im neuen Zeitalter des 7 S. Buschow, M. Olavarria (2010): Mobile Research Guide 2010 8 TNS Infratest (2010): GO SMART 2012 9 http://tagnition.de/ (Aufruf 05. April 2011) 10http://www.chip.de/bildergalerie/Kostenlose-iPhone-Apps-Die-50-besten Gratis-Programme-Galerie_33679693.html (Download am 05. April 2011) 10 Detecon Management Report • 2 / 2011 mobilen Internets ankommt, sollte man sich jetzt mit dem ver änderten Kundenverhalten auseinandersetzen und mobile Stra tegien als Antwort entwickeln. Mobile Lösungen: Neue Anwendungen unterstützen die Unternehmensstrategie Konsumenten sind heute ständig unterwegs und durch traditionelle Medien wie TV-Werbung oder Printmedien kaum noch ansprechbar. Die Unternehmensstrategie bestimmt, mit welchem Ziel solche mobilen Kunden angesprochen und in welcher Form der mobile Kanal genutzt werden soll. Denkbar sind verschiedene Möglichkeiten: • Durch den Einzug der mobilen Welt (Mobiletelefone, Tablets, …) in den Einzelhandel ist es möglich, bestehende Zielgruppen individueller anzusprechen. Der mobile Kanal kann als ein wei terer Kommunikationskanal für das sogenannte Mobile Advertising verwendet werden. Durch ihn kann der mobile Kunde jederzeit über aktuelle Aktionen, wie Rabatte oder Angebote in formiert werden sowie allgemeine Produktinformationen, zum Beispiel die Verfügbarkeit von Produkten, abrufen, einfach per SMS oder MMS direkt auf das Mobiletelefon. Die eigentliche Individualisierung erfolgt beispielsweise über den Aufenthalts ort des Nutzers. So erhält er nur diejenigen Angebote, die er aufgrund seines aktuellen Aufenthaltsortes überhaupt erreichen kann, zu Fuß oder mit dem Auto. Auch der mobile Webshop eröffnet neue Möglichkeiten der Individualisierung, da der Smartphone-Nutzer immer identifiziert werden kann. Einkau fen auf der Parkbank ist kein Problem mehr (Mobile Shopping). • Darüber hinaus kann der mobile Kanal auch zur Gewinnung neuer Zielgruppen genutzt werden. Jugendliche, die vielleicht keine Tageszeitung oder Handzettel einer Einzelhandelskette lesen, werden über Applikationen, zum Beispiel von Bravo, Hollister, Esprit, Billabong, Rewe oder Aldi Flyer, an digitale, einzelhandelspezifische Inhalte herangeführt und können diese, teilweise in einem Abo zu einem vergünstigten Preis, konsumie ren. Das digitale Bravo-Abo ist beispielsweise zehn Prozent gün stiger als die Printausgabe. Personen, die bisher k eine Lust auf das Herumtragen verschiedener Bonuskarten hatten, entschei den sich eventuell eher für einen Händler, der ein attraktives mobiles Bonusprogramm anbietet, bei dem das Telefon zur Identifikation genutzt werden kann (Mobile Loyality). Durch Push-Nachrichten in Apps ist der Händler gleichzeitig in der 11 BITKOM (2010): Research2guidance 12 M. Beccue, N. Strother (2010): Mobile Commerce Mobile Online Shopping, Software-based Proximity Payments 13Ebd. Always On dung bei Aldi oder Elektroartikel bei Plus. Die mobile App kann als Artikel-Finder (Instore Navigation) im Store eingesetzt oder zur Zahlung der Artikel an der Kasse verwendet werden (mobile Bezahlfunktion). Für die Darstellung und den Bezug beispielsweise der WMF-Töpfe innerhalb der App verlangt der Einzelhändler in der Regel eine Gebühr oder eine Umsatzbe teiligung. Das Smart Partnering der Gegenwart wird in den mobilen Kanal gehoben und bietet in Zukunft neben den Ver trieb physischer Güter vor allem neue Möglichkeiten für den Verkauf von digitalen Gütern (Zeitschriften, Software, Tickets etc.). Durch geschickte Kooperationen werden außerdem ge meinsame Werbeaktionen plan- und durchführbar, die sich im Netz herumsprechen (Viralmarketing). So wirbt ein Lebens mittelhändler zum Beispiel mit der spanischen Woche, in der spanische Lebensmittel besonders rabattiert sind, Chefkoch.de (Community-Anbindung) bietet über die App des Lebensmit telhändlers passende Rezepte an, einige Musiklabels spanischer Bands die passende Musik – und wenn es doch mit dem spa nischen Abend nicht so geklappt hat, wie es sollte, bietet ein Reiseunternehmen einen Kurztrip nach Malaga an, um die spa nische Woche hautnah zu erleben. Der Lebensmittelhändler er hebt für die Einbindung der Werbeinhalte innerhalb seiner App Gebühren, Chefkoch.de verdient über den Aufruf der Rezepte Lage, Rabatte bei einem sofortigen Einkauf innerhalb der näch sten 15 Minuten zu gewähren (Mobile Couponing) und den Erfolg solcher Aktionen sofort nachzuvollziehen. Apps wie „KaufDa“ oder „Mein Prospekt“ bieten dem mobilen Surfer auch heute schon die klassische Wocheneinlage mit aktuellen Angeboten, die anstatt den Briefkasten zu verstopften, bequem über das Mobiletelefon gelesen werden kann. Dabei erhält der Nutzer nur diejenigen Angebote auf sein Mobiltelefon, die auf grund seines aktuellen Ortes auch aufgesucht werden können. Ist man nicht ortskundig, unterstützt die App bei der Naviga tion zum nächsten Geschäft. Als Ergänzung zu klassischen An geboten kann über Ernährungstipps, Rezepte und gesponserten Sportveranstaltungen informiert werden, was wiederum zur An sprache eines gesundheitsbewussten Kundensegments führt. • Bisher als Informationsplattform betrachtet, können Apps auch als Kooperationsplattform dem Einzelhandel zusätzliche Erlösquellen erschließen, beispielsweise durch die Anbindung von Werbetreibenden (Smart Partnering). Neben der reinen Be reitstellung von Informationen können innerhalb einer mobi len App Produkte Dritter (Up- oder Cross-Selling) vertrieben werden, beispielsweise wie heute in Lebensmittelketten üblich WMF Töpfe oder Singer Messer bei Rewe, Funktionsbeklei Tabelle 1: Eignung verschiedener mobiler Lösungen zur Unterstützung der Unternehmensstrategien über den Kaufprozess Informationsphase Kaufphase After-Sales-Phase Mobile Advertising (Personalisiert und/ oder ortsbezogenen) Produktinformation (z.B. Produktverfügbar keit) Navigation (z.B. Filialfinder) Instore (Kommunikation mit dem Kunden im Laden, InstoreNavigation) Mobile Coupon ing (Personalisiert und/ oder ortsbezogenen) Mobile Shopping (über eine mobile Website oder eine App) Mobiles Bezahlen (z.B. Abrechnung über die Telefonrechnung) Mobile Loyality (Kartenmanager) After Sales Services (z.B Einkaufshistorie, Voting und Feedback) CommunityAnbin dung (Aus tausch) Individuellere Ansprache bestehender Zielgruppen ++ ++ + + ++ ++ ++ + + + Gewinnung neuer Zielgruppen + ++ ++ + + + ++ ++ + ++ Erschliessung neuer Erlösquellen + + + + ++ + Quelle: Detecon 11 Detecon Management Report • 2 / 2011 Strategy auf seiner Website (Werbefinanzierung) und die Musiklabels durch den Verkauf eigener Songs Geld. Um solche Aktionen durchzuführen, bedarf es einer mobilen Kundenabsprache, da klassische Werbemedien (TV, Print) nicht flexibel genug sind. Hohe Ansprüche: Mobile Kundenansprache stellt den Einzelhandel vor Herausforderungen Um die eine oder andere dargelegte Strategie umzusetzen, muss sich der Einzelhandel mit den Herausforderungen der mobilen Welt auseinandersetzen. Unterschieden werden kunden- und marktbezogene, technologische sowie organisatorische Heraus forderungen14. Um konkrete Herausforderungen zu veranschaulichen, sei das folgende fiktive Beispiel „Mobile App für einen Drogeriemarkt“ gewählt. Aus Kundensicht stellt sich die Frage, welche Informationen, die für mich als Kunden einen Mehrwert darstellen, die App eines Drogeriemarktes bieten kann? Um Anforderungen dieser Art zu erfassen, kann der Drogeriemarkt eine Umfrage in seinen Geschäften durchführen, die bereits bekannte Webseite nutzen oder aus den Erfahrungen anderer Drogeriemärkte schöpfen. Die Mehrheit der Kunden wünscht sich mit einer mobilen App Zugriff auf Informationen über aktuelle Angebote, einen Store Finder, aktuelle Öffnungszeiten und vor allen die Mög lichkeit der Foto-Entwicklung. Viele Drogeriemärkte und auch Lebensmittelhändler bieten ihren Kunden an, analoge Filme entwickeln zu lassen oder digitale Fotos auszudrucken. Aber auch bereits etablierte Kooperationen mit Herstellern, die ihre Produkte besonders hervorheben wollen, erhalten durch eine mobile App einen nie dagewesenen Zugang zu ihren bis dato anonymen Kunden. So können Braun oder Philips bei aktuellen Angeboten von Rasierern fünf Euro Rabatt über einen mobilen Gutschein gewähren (Bar Code über die Kasse lesbar). Pampers hingegen könnte den Kunden des Drogeriemarktes 15 Euro pro Monat Rabatt anbieten, wenn sie mit ihrem Handy ein mobiles Tagebuch führen, Bar Code der Pampers Verpackung scannen, einen Eintrag + Foto einstellen und anschließend die indivi duelle Windel hinsichtlich Tragekomfort oder Durchlässigkeit bewerten und damit Pampers einen wichtigen Hinweis darüber geben, was zu verbessern ist, damit der Kunde mit dem Produkt zufrieden ist. Die technischen Herausforderungen an eine solche App sind vielfältig und teilweise versteckt. Neben der Tatsache, dass ein App-Entwickler notwendig ist, der die Programmierung der 14 S. Buschow, M. Olavarria (2010): Mobile Research Guide 2010 Tabelle 2: Herausforderungen bei der mobilen Kundenansprache Kunden- und marktbezogene Herausforderungen • Wie sehen die Erwartungen eines Nutzers an einen mobilen Kanal im Einzelhandel aus? • Wie können individuellere Produkte durch verfeinerte Zielgruppen unter Verwendung des mobilen Kontexts entwickelt werden? • Haben Werbetreibende Interesse an dem mobilen Kanal des Einzelhandels und ist es dann vielleicht sinnvoll, strategische Kooperationen einzugehen? • Wie ist eine mobile Werbekampagne in unseren Marketing-Mix einzubinden (integrierte Kommunikation)? • Wie können wir den Werbeerfolg einer mobilen Kampagne messen? • Wie schaffen wir es, alle unsere Vermarktungskanäle zu verstehen und erfolgreich einzusetzen (Multichannel Management)? Technologische Herausforderungen • Haben wir das notwendige Know-how über die aktuell angesagten Web-Plattformen? • Kennen wir die heute am Markt verfügbaren mobilen Endgeräte, die wir adressieren sollten? • Wie lassen sich mobile Lösungen (z. B. mobile Website, Apps) in die Prozesslandschaft (z. B. bestehendes Redaktionssystem) unseres Unternehmens zur Abwicklung einer standardisierten Produktion und Distribution einbinden? • Schaffen wir es, eine ständige und fortlaufende Entwicklungskompetenz vorzuhalten, um den eigenen Service auf aktuellem Stand der Technik zu halten sowie neue Kundenbedürfnisse zu berücksichtigen? • Inwiefern berücksichtigen wir den Daten- und Privatsphärenschutz? Organisatorische Herausforderungen • Wie schaffen wir es auch langfristig, die notwendigen Kompetenzen aufzubauen, z. B. durch die Einstellung von Talenten? • Wie optimieren wir im Hinblick auf den mobilen Kanal unsere eigenen Prozesse (z. B. redaktionelle Prozesse erweitern bzw. anpassen)? • Haben wir eine Unternehmenskultur, die als innovationsfreundlich gilt (z. B. bereichsübergreifende Produktentwicklungen oder Methoden zum Innovationsmanagement)? Quelle: Detecon 12 Detecon Management Report • 2 / 2011 Always On Anwendung übernimmt, stellt sich bereits vorweg die Frage, für welches mobile Gerät eine Anwendung umgesetzt werden soll: Für iPhones, für Android Phones, für Blackberrys oder vielleicht doch keine App und nur eine mobile Webseite? Entscheidend ist, welche Endgeräte die potenzielle Zielgruppe ihrer App nutzt. Wichtig zu wissen ist, dass unterschiedliche Plattformen nicht kompatibel zueinander sind. Für jede Plattform ist eine eigene App zu entwickeln, für die unterschiedliche Programmiersprachen erforderlich sind. Weiterhin muss man darüber nachdenken, ob eine mobile App mit dem Inhalt des bereits existierenden Redaktionssystems (für die Webseite) befüllt werden kann: Sind Erweiterungen notwendig, die auch prozedurale Änderungen mit sich ziehen? Wie wird im Fall von Pampers für den Werbetreibenden die Anbindung eines Tagebuches gewährleistet? Diese und weitere Fragen, die teilweise tiefgreifende Eingriffe in die IT-Landschaft notwendig machen, sind im Vorfeld zu klären. Mit Bezug auf organisatorische Anforderungen gilt es, Personal aufzubauen, das in der Lage ist, die zuvor gestellten Fragen heute und auch in Zukunft zu beantworten. Eine wesentliche Aufgabe liegt darin, bestehende Unternehmensprozesse für die Integration eines mobilen Kanals und den damit verbundenen neuen Möglichkeiten zu optimieren beziehungsweise zu erweitern. Die reine Entwicklung von Apps ist nicht die größte Herausforderung. Kreativität und zukunftsgerichtete ICT-Infrastrukturen ermöglichen die Entfaltung von Innovationen, die auch durch das unternehmerische Umfeld gefördert werden muss. Beispielhaft für eine innovationsfreundliche Unternehmenskultur stehen Firmen wie Apple oder Google. Aber auch im deutschen Einzelhandel gibt es durchaus innovative Vorreiter. Die Metro Group beispielsweise betreibt ein systematisches Innovationsmanagement. Im Sinne eines konzernübergreifenden Austauschs kooperieren die für Innovationen zuständigen Mitarbeiter der Metro AG und des internen IT-Dienstleisters Metro Systems eng mit den Spezialisten der einzelnen Vertriebslinien. Außerdem beschäftigt sich die Metro Group Future Store Initiative als Kooperation von Handelsunternehmen, Konsumgüterherstellern, IT-Spezialisten und Dienstleistern schon seit 2002 mit den technologischen Neuerungen in der Handelsbranche. Der real – Future Store in Tönisvorst bei Krefeld gilt als Zukunftswerkstatt, in der man auf einer Verkaufsfläche von rund 8.600 Quadratmetern neue Konzepte und Technologien testet. Solche Maßnahmen schaffen eine innovationsfreundliche Unternehmenskultur, die kreative Talente anlockt. So gibt es von real schon seit 2007 als erste Applikation im deutschen Einzelhandel eine mobile Anwendung, damals zunächst für das Betriebssystem Symbian und seit Anfang 2010 auch für Android. Mit ihr kann man elektronische Einkaufslisten erstellen, Aktionsangebote abrufen und sich den Weg zum nächstgelegenen SB-Warenhaus anzeigen lassen. Zudem bietet die Applikation Zugriff auf eine Kochshow, in der Menüvorschläge per Video präsentiert und die dazugehörigen Rezepte angezeigt werden. Die notwendigen Zutaten lassen sich direkt in die elektronische Einkaufsliste übertragen. Darüber hinaus lassen sich die Angebote und Rezepte in sozialen Netzwerken wie Facebook und Twitter weiterempfehlen und veröffentlichen. Seit dem Start wurde die kostenlose Applikation nach eigenen Angaben der Metro Group über 180.000 Mal auf Smartphones installiert. Berücksichtigt man die aufgezeigten Herausforderungen, kommt man also heran an die mobilen „always on“-Konsumenten wie Herrn Meier, der den Auftrag übrigens ergattert und mit Hilfe des App-Videos ein tolles Menü gezaubert hat! Dr. Britta Cornelius ist Consultant im Bereich Strategy & Marketing. Ihre Beratungsschwerpunkte umfassen die Bereiche Business Innovation, Marketingstrategie und quantitative Marktforschung. Vor ihrer Tätigkeit bei der D etecon studierte sie Betriebswirtschaftslehre und promovierte an der Johann-WolfgangGoethe Universität in Frankfurt im Bereich Marketing zu den Themen Wett bewerbspositionierung und kundenorientierte Neuproduktentwicklung. Britta.Cornelius@detecon.com Dr. Mike Radmacher ist Consultant im Bereich Strategy & Marketing mit dem Schwerpunkt Produktinnovationen. Durch eine Vielzahl von Projekten sammelte er Erfahrungen in der Entwicklung innovativer Konzepte und Produkte im ICT-Umfeld. Dazu gehörten neben der strategischen Portfolioentwicklung, auch konkreten Themen im Automotive und Retail Umfeld. Nicht nur die reine Entwicklung der Konzepte, sondern ebenso die Begleitung bei deren Umsetzung steht dabei im Vordergrund. Mike.Radmacher@detecon.com Dr. Christian Kleinhans ist der verantwortliche Segmentleiter für die Bereiche High Tech Industries und Retail & Consumer Goods. Er ist seit 2007 bei Detecon tätig und arbeitete zuvor als Experte für CRM und H andelsmarketing für internationale Konzerne, unter anderem für Renault und die Deutsche Post AG. Christian.Kleinhans@detecon.com 13 Detecon Management Report • 2 / 2011 Strategy Das Problem der weißen Flecken Der Anschluss ländlicher Gebiete an die Informationsgesellschaft Dr. Daniel Henkel Dr. Rong Zhao Die Breitbandversorgung ländlicher Gebiete in der ganzen Welt ist eine sehr schwierige Aufgabe. Der Erfolg hängt von der Zusammenarbeit unabhängiger Bürgerinitiativen und großen Betreibern ab. 14 Detecon Management Report • 2 / 2011 Das Problem der weißen Flecken arc ist glücklich. Gerade erst letzte Woche wurde er zum M Leiter der Niederlassung seines Hightech-Unternehmens be fördert. Das Unternehmen hat seinen Sitz in der Region, in der seine Frau und er aufgewachsen sind. Somit kann die gan ze Familie wieder zurückziehen und ihr Leben zusammen mit den Eltern und alten Freunden und Bekannten auf dem Dorf genießen. Die Kinder sehen die Großeltern öfter und Marc’s Frau, eine Jägerin, kann die weiten Wälder rund um das Dorf bewirtschaften. Während der Vorbereitung für den Umzug be merkte Marc schnell, dass sein langjähriger Telekommunika tionsanbieter, mit dem er die letzten Jahre in der Stadt immer sehr zufrieden war, sein beliebtes IPTV-Produkt auf dem Dorf nicht anbietet. Darüber hinaus war Marc nach einem weiteren Telefonat sehr frustriert, denn er muss auch auf seinen 16Mbps Internetanschluss verzichten – auf dem Dorf seiner Eltern gibt es maximal einen 64kbps ISDN-Anschluss. Offensichtlich lag sein neues Zuhause in einem sogenannten „Weißen Fleck“, einem Gebiet, in dem der Internetzugang noch auf analoge Telefoneinwahl beschränkt ist. Stadt oder Dorf: Wo ist das Problem? In Europa teilen zirca 30 Prozent der Einwohner dieses Schick sal. In vielen anderen Ländern in Amerika, Asien und Afrika ist das Problem des ländlichen Internetzugangs weitaus gravie render: Bis zu 85 Prozent der Einwohner haben keinen Zugang zum Internet. In unserer „Digitalen Wirtschaft“ werden mehr und mehr Services online angeboten, die Unternehmen sind angewiesen auf den Remote-Zugriff ihrer Mitarbeiter und Han delspartner auf wichtige gemeinsame Daten und Regierungen, Schulen und Universitäten verbreiten Wissen über das Inter net. Von diesem riesigen Angebot abgeschnitten zu sein ist so ähnlich, als würde man Literatur studieren ohne Zugang zu Büchern oder anderen Schriftstücken. Dies trägt offensichtlich dazu bei, dass sich die „Digitale Kluft“ zwischen städtischen und ländlichen Gebieten verschärft und dadurch die Wettbewerbs fähigkeit und Wirtschaftskraft eines Landes geschwächt wird. In ländlichen Gebieten kommen einige Faktoren zusammen, durch die es für traditionelle Telekommunikationsunternehmen eine große Herausforderung ist, einen raschen Breitbandausbau auch profitabel durchzuführen. Obwohl die gesamte ländliche Bevölkerung einen großen Anteil an der Gesamtbevölkerung haben kann – im Falle Mosambiks beispielsweise bis zu 60 Pro zent –, verteilt sie sich doch meist auf eine sehr viel größere Fläche als die Stadtbevölkerung. Ein durchschnittliches Verhält nis ist 20 Prozent städtische und 80 Prozent ländliche Fläche. Dadurch herrscht eine sehr geringe Bevölkerungsdichte in länd lichen Regionen. Bei drahtgebundener Versorgung heißt dies, dass lange Gräben gegraben und viele Leerrohre und Kabel ver legt werden müssen, bevor man den ersten Kunden live schalten kann. Dieses Investment in Equipment und „sunk costs“ stellt für etablierte und neue Betreiber ein hohes Risiko dar. Meist sind die Bereitstellungskosten in ländlichen Gebieten, bedingt durch das rauhe Klima, natürliche Hindernisse wie hohe Berge oder Flüsse und eine allgemein unterentwickelte Infrastuktur wie Straßen, Elektrizität und Eisenbahnen, generell höher. Auf der Umsatzseite können Unternehmen keine großen Ein nahmen erwarten, da die ländliche Bevölkerung im Schnitt nicht so wohlhabend ist wie die städtische Bevölkerung, was speziell in Entwicklungsländern der Fall ist. Weiterhin liegt die Anschalt quote von neuen Services in kleineren Städten und Dörfern gemeinhin hinter der in Städten, bedingt durch einen hohen Altersdurchschnitt, traditionellere Lebensweisen und dem da durch geringeren Bedürfnis nach neuen Dienstleistungen und Produkten. All diese Faktoren zusammen genommen zeigen deutlich, dass ein Ausbau des ländlichen Broadbands für tra ditionelle Telekommunikationsunternehmen ein unlukratives Investment darstellt. Vor diesem Hintergrund erstaunt es nicht, dass die durchschnittliche Abdeckung von DSL in Europa bis 2009 auf 94 Prozent gestiegen ist, während nur zirka 80 Prozent der ländlichen Bevölkerung angeschlossen ist. Die Situation in Afrika und Amerika ist noch gravierender. Die Frage ist nun: Wie ist es möglich, diese weißen Flecken zu schließen und die Abdeckung mit der Zeit auf 100 Prozent zu erhöhen? Die starke Hand der Regierung: Steuergelder gut genutzt Es wurde nun international erkannt, dass eine Unterstützung der Regierung nötig ist, um den Ausbau ländlichen Breitbands voranzutreiben. Die Marktkräfte allein würden keinen InternetSegen für die dünn besiedelten Gebiete mit ihren gering be zahlten Jobs bringen. Es gibt nun zwei verschiedene Wege des Einsatzes von Regierungsgeldern und auch zwei potenzielle Nutznießer. Der Regulierer könnte die Nachfrage durch Steuer vergünstigungen oder auch direkte Maßnahmen stimulieren oder die Investitionen in ländliche Regionen durch spezielle, begünstigende Regulierung attraktiver machen. Der Markt könnte von den etablierten Unternehmen erschlossen oder von neuen Anbietern mit genau zugeschnittenen Angeboten als Nischenmarkt erkannt werden. Es wurde in vielen Ländern un tersucht, welches der beiden Schemata ein Regulierer anwenden sollte. Man hat sich meist dazu entschlossen, den Markteintritt für Telekommunikationsunternehmen attraktiver zu machen. Dies wird häufig durch einen speziell gegründeten Entwick 15 Detecon Management Report • 2 / 2011 Strategy lungs-Fond unterstützt, der sowohl auf etablierte als auch auf neu gegründete Unternehmen abzielt. Im Folgenden werden einige nationale Breitbandinitiativen vorgestellt: USA: Das mit 7,2 Milliarden Dollar dotierte “Broadband Stimulus Program” ist Teil des größeren „American Recovery and Reinvestment Act“, welcher 2009 ratifiziert wurde. Ziel ist eine Beschleunigung des Ausbaus von Breitbandzugängen in den USA. Die Subventionen wurden in zwei Programme aufgeteilt: 2,5 Milliarden Dollar für das Broadband Initiative Program des Landwirtschaftsministeriums für ländliches Breitband und 4,7 Milliarden Dollar für das Broadband Technologies Opportuni ties Program (BTOP) des Ministeriums für Telekommunikation und Informationstechnologie. EU: Die Europäische Union hat im März 2010 die Strategie „Europe 2020“ verabschiedet. Erklärtes Ziel ist die Vorbe reitung der Europäischen Wirtschaft auf die kommenden Herausforderungen dieser Dekade. Als eine der Hauptinitiativen dieser Strategie zielt die „Digitale Agenda für Europa“ auf ein schnelleres Wachstum der Wirtschaft durch die Verbreitung von ICT. Einer der Meilensteine ist eine 100 prozentige Abdeckung mit Breitband-Internetzugängen von 30Mbps bis 2020 in ganz Europa, während 50 Prozent davon sogar mit 100Mbps an geschlossen sein sollen. Im Rahmen des European Economic Recovery Package (EERP) wurden 1,02 Milliarden Euro für den Internetausbau ländlicher Gebiete bewilligt. Deutschland: Die Bundesregierung unterstützt den Breitband ausbau in ländlichen Regionen über die EU Initiativen hinaus. Der Fokus liegt darauf, die sogenannte „Wirtschaftlichkeits lücke“ zwischen anfallenden Kosten und erzielbarem Ertrag zu schließen. In der Breitbandstrategie ist vorgesehen, eine Ab deckung von 100 Prozent der Bevölkerung mit 1Mpbs bis Ende 2010 zu erreichen beziehungsweise 75 Prozent der Bevölkerung mit 50Mbps bis 2014. Als Resultat wird ein großes Wachstum nicht nur in der ICT Industrie, sondern auch in GreenICT, eGovernment und anderen erwartet. Weitere EU Staaten: Die Initiative “Digital Britain” plant eine Abdeckung von 100 Prozent der Bevölkerung bis Ende 2012 mit mindestens 2Mbps. Das Programm „France numerique“ zielt darauf ab, 100 Prozent der französischen Bevölkerung bis Ende 2012 mit stationärem und mobilem Internet zu versor gen. Nachdem 2010 bereits 100 Prozent der Bevölkerung in Finnland abgedeckt wurden, arbeitet die Regierung nun mit den 16 Detecon Management Report • 2 / 2011 Partnern an einer Geschwindigkeitssteigerung auf 100Mbps bis 2015. Afrika und Asien: Die meisten afrikanischen und asiatischen Regierungen unterstützen die Verbreitung von Internet durch nationale Breitbandstrategien, die alle Regionen und Einkom mensklassen einbeziehen. In Ägypten wird das Ziel verfolgt, 25 Prozent der Bevölkerung bis 2014 mit Breitbandzugang zu ver sorgen; Uganda hat zusammen mit der Weltbank ein spezielles Programm zur Vernetzung der nördlichen 16 Regionen aufge legt, welches auf die ländliche Bevölkerung abzielt, und Viet nam hat genau zu diesem Zweck ein Projekt ausgeschrieben. Australien: Das Programm „Australian Broadband Guaran tee“ hat zum Ziel, Privathaushalte und Kleinunternehmen mit performantem Breitbandanschluss auszustatten. In vier Jahren (2008-2012) wird die Regierung dazu mehr als 230 Millionen Dollar ausgeben. Von Schnecken und opportunistischem Verhalten Regierungsvorhaben verfolgen im Allgemeinen einen guten Zweck, verlieren jedoch durch die große Anzahl von Stakeholdern und die dadurch nötigen Abstimmungen sowie den zu findenden Konsens an Geschwindigkeit und Fokus. Die Unterstützung im Breitbandausbau leidet speziell unter der komplexen Wettbewerbsregulierung und dem Subventionsrecht in Europa und den Mitgliedsstaaten. Etablierte Telekommuni kationsunternehmen werden in diesem Umfeld aktiv, um po tenzielle neue Unternehmen am Markteintritt zu hindern oder deren Eintritt zu verlangsamen. Ein funktionierender Breit bandmarkt muss gesichert werden. In Afrika sind Sicherheits regeln gegen Korruption einzuführen und die korrekte Verwen dung der Gelder sicherzustellen. Generell verzeichnet man in allen Ländern eine hohe Bürokratie. Die Endverbraucher und Dorfgemeinschaften sind jedoch nicht bereit, auf ihre Breitbandversorgung zu warten und wer den mehr und mehr ungeduldig mit den offiziellen Ankündi gungen. Sie gründeten private und unabhängige Initiativen, die auf einen Rollout von Breitband in ihren Dörfern abzielen. Ein Beispiel hierfür sind Bürgerinitiativen in Großbritannien, welche seit 2001 verstärkt gegründet werden, um private Glas faser- und Drahtlosnetze auszurollen. Die INCA (independent networks cooperative association) harmonisiert und koordiniert diese Initiativen und versucht, technische und regulatorische Das Problem der weißen Flecken Hilfestellung zu geben. In den Niederlanden verbindet das Ons Net über 8000 Häuser im ländlichen Neunen durch ein privates Glasfasernetz mit dem Internet. Das deutsche Open-Source Projekt „Freifunk“ hat in den letz ten zehn Jahren viele drahtlose Bürgernetze installiert und hilft beim Aufbau von privaten Netzen durch kostenlose Software und technische Anleitungen. Weiterhin hat die Stadt Oerel in Niedersachsen ihren Rollout eines privaten 50Mbps-Glasfa sernetzes zu 300 Privathaushalten und 30 Unternehmen abge schlossen. Anfang des Jahres 2008 hat das Bundesministerium für Wirt schaft und Technologie (BMWi) sechs Pilotprojekte in Sachsen, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz, Brandenburg und Bayern ge startet. Harz, eine Kleinstadt in Sachsen-Anhalt, ist ein gutes Beispiel für eine erfolgreiche Kooperation zwischen Dorf gemeinschaft und BMWi. In Nordrhein-Westfalen wurde ein Breitband-Kompetenzzentrum (BBKZ-NRW) als Institut der Fachhochschule Südwestfalen gegründet. Dieses arbeitet als Berater für Dorfgemeinschaften, die sich an das Breitbandnetz anschließen wollen. Wie man jetzt erkennt, gibt es eine Vielzahl von unterschied lichen Netzwerken und Betreibern, welche die bestehende Versorgungslücke opportunistisch geschlossen haben. Wäh rend diese verstreuten Netzwerke weiter wachsen, besteht ein verstärkter Bedarf an Harmonisierung der Netzwerktechnolo gien, Interfaces und Regulierung. Einige der Netze werden an der Legalitätsgrenze betrieben und mittlerweile immer stärker überwacht. Kleine Netzwerke müssen sich auch die Frage stel len, was mit ihnen passiert, wenn die etablierten und großen Telekommunikationsunternehmen die ländlichen Regionen erschließen, entweder mit oder ohne Unterstützung durch die Regierung. Können diese Bürgernetze dann noch überleben? Eine gute Strategie, Planung und Partnerschaften sind die wich tigsten Bestandteile einer erfolgreichen, langfristigen Umset zung alternativer Netzwerke, wenn sie in ihren Nischenmärkten koexistieren möchten. Kein Patentrezept für verschiedene Situationen Ländliche Gebiete in aller Welt sind sehr verschieden und benö tigen deshalb einen zugeschnittenen Ansatz für eine erfolgreiche Breitbandversorgung. Die korrekte Netzwerktechnologie ist da bei nur einer der vielen Erfolgsfaktoren. Soziale, ökonomische, finanzielle und regulatorische Fragestellungen müssen ebenfalls in Betracht gezogen werden. Die Abbildung zeigt die verschie denen Aspekte einer ländlichen Versorgung, die in jeder Region immer wieder von neuem zu untersuchen sind. Anwendungen: Speziell in Entwicklungsländern sollten die An forderungen der ländlichen Bevölkerung aufgenommen und in alltagstaugliche Anwendungen umgesetzt werden. Beispiele Abbildung: Eine erfolgreiche Breitbandimplementierung muss viele verschiedene Aspekte berücksichtigen Geschäftsmodell Innovation Was bietet man wie an? Anwendungsentwicklung Welche Anwendungsszenarien? Technologische Innovation Wie bietet man es an? Rural Internet Proposition Regulatorische Kompetenz Welche Strategie? Finanzierung Wer finanziert wie? Nutzer- und Partnerbeziehung Welche Zielgruppe? Welcher Partner? Quelle: Detecon 17 Detecon Management Report • 2 / 2011 Strategy dafür sind virtuelle „Agrarmärkte“ für Getreide, Hühner oder Kühe und virtuelle Gesundheitsstationen für eine schnelle und verbesserte medizinische Versorgung der Landbevölkerung. Die Anwendungen müssen sorgfältig geplant und umgesetzt wer den. Die Mehrzahl der Projekte scheiterte, weil die angebote ne Lösung an den Bedürfnissen des ländlichen Marktes vorbei ging. Geschäftsmodell-Innovation: Es reicht meist nicht aus, die be währten Geschäftsmodelle aus den städtischen Gebieten oder aus den entwickelten Gesellschaften zu kopieren und eins-zueins in ländlichen Gebieten oder Entwicklungsländern um zusetzen. Das Selbstverständnis über Geschäftsabwicklungen und die Gewohnheiten der Bevölkerung unterscheiden sich grundlegend, teilweise selbst in unterschiedlichen Regionen ein und desselben Landes. Ein Beispiel dafür ist das rasante Wachstum des mobilen Bezahlsystems M-PESA in Kenya, das dort ein g roßer Erfolg wurde, bevor man in westlichen Län dern überhaupt über ein ähnliches System nachdachte. Das Geschäftsmodell muss die sozialen Strukturen, ökonomischen Rahmenbedingungen und das ethische Werteverständnis der Endbenutzer berücksichtigen. Technische Innovation: Jede ländliche Gemeinde kann durch eine der existierenden „Letzte Meile-Technologien“ im Zugangs netzwerk angebunden werden. Die verschiedenen Optionen sind xDSL, DOCSIS oder Glasfaser-basierte Technologien wie beispielsweise GPON. Speziell in strukturschwachen Regionen kommen weiterhin auch drahtlose Technologien wie WiMAX, HSPA oder LTE zum Einsatz. Ist ein ländliches Gebiet weit von dem nächsten städtischen Anschlusspunkt entfernt, so muss eine Backhaul-Technologie, meist Glasfaser-basiert, drahtloser Richtfunk oder auch per Satellit, eingesetzt werden. Durch die Einführung des Digitalfernsehens werden weltweit Frequenzbänder frei, die durch ihre attraktiven Übertragungsei genschaften große ländliche Gebiete mit geringem Kapitalein satz abdecken können. Detecon hat ein umfangreiches technoökonomisches Modell und eine Vorgehensweise entwickelt, welche die Auswahl der besten technischen Lösung im Hinblick auf CAPEX/OPEX, Umsatz, Finanzierung, geographische Ge gebenheiten und andere Faktoren unterstützt. Eine neue Herangehensweise ist im Bezug auf ländliche Gebiete in Entwicklungsländern entwickelt worden. Aufgrund der dort vorherrschenden, meist extremen klimatischen Bedingungen, des geringen Einkommens der Bevölkerung, der großen Distan zen zwischen bewohnten Gebieten und einer fehlenden guten Infrastruktur müssen hier innovative Technologien zum Einsatz kommen. Ein sehr erfolgversprechender Ansatz ist die Nut 18 Detecon Management Report • 2 / 2011 zung von weithin verfügbaren WiFi-Komponenten zusammen mit Spezialgehäusen und Softwareerweiterungen, welche das WiFi Signal auch sehr lange Distanzen mit akzeptablen Über tragungsraten und Qualität überbrücken lässt. Das Fraunhofer Institut hat eine prototypische Umsetzung namens WiBACK entwickelt, die diese Eigenschaften besitzt und komplett auf Open Source Software basiert. Kommerzielle Systeme im WiFi Umfeld existieren unter anderem von Meraki, Ruckus oder Altai Networks. Diese Systeme besitzen alle eine andere Phi losophie und Kenngrößen, womit die Auswahl der passenden Lösung einen großen Anteil am Erfolg eines ländlichen Breit bandprojektes hat. Finanzierung: Die Anbindung ländlicher Gebiete kann eine enorme finanzielle Belastung für Gemeinden und kleine, private Betreiber darstellen. Die oben erwähnte Wirtschaftlichkeits lücke ist hierbei zu berücksichtigen. Es gibt nun verschiedene Finanzierungsangebote, um diese Lücke zu verringern oder zu schließen, wie im letzten Abschnitt anhand der Länderini tiativen gezeigt. So haben deutsche Gemeinden zum Beispiel folgende Optionen: a) Beantragung einer Förderung durch die Bundesstaaten, b) Durchführung der Projektausschreibungen und Vendor-Auswahl nach dem nationalen Verfahren (offener Tender), während die finanziellen Ressourcen aus den Töpfen der Gemeinden, der Bundesregierung, des Bundesstaates oder anderer Institutionen kommen, c) Auswahl von Betreibern nach den nationalen Verfahren, wobei die Betreiber der subven tionierten Netzwerke dann aber freien Zugang für die Services anderer Betreiber auf diesen Netzen gewähren müssen. Diese Finanzierungsoptionen beruhen auf der Erhebung des Status Quo der Gemeinden und aller beteiligten Partner. Kenntnis von Nutzern und Partnern: Um Leistungen mit den passenden Optionen und Preisen anbieten zu können, muss ein Betreiber natürlich Marktforschung betreiben, den Markt ein Stück weit vorhersehen und die Kundenbedürfnisse verste hen. Dies ist in Entwicklungsländern allerdings viel aufwän diger und komplexer als in bereits gut verstandenen Märkten in entwickelten Ländern. Genauso muss die Frage nach lokalen Partnern in den Zielregionen beantwortet werden. Dies ist für die erfolgreiche Implementierung des Geschäftsmodells und den Rollout der Leistungen oder Produkte wichtig. Ohne die Unterstützung von lokalen Interessensgruppen ist eine Unter nehmung zum Scheitern verurteilt. So üben meist religiöse und politische Führer in ihren Regionen eine stärkere Macht aus, als es nationale Gremien je könnten. Regulatorische Kompetenz: Der regulatorische Rahmen bezüg lich Frequenzspektrum und Industriepolitik unterscheidet sich enorm von Land zu Land. Es bedarf sehr guter Fachkenntnis, Das Problem der weißen Flecken um entweder das ländliche Breitbandprojekt in diesen Rahmen einzupassen oder die Regulierungsbehörde von der Notwendig keit einer neuen, speziell auf ländliche Gebiete zugeschnittenen Gesetzgebung zu überzeugen. Erfolgreiches Breitbandprojekt hängt von Bürgerinitiativen und Betreibern ab Soziale Strukturen, geographische Gegebenheiten, ökono mische Bedingungen, Geschäftssinn und ethische Werte in diesen Gebieten unterscheiden sich stark von denen ihrer städ tischen Nachbarn. Jedoch birgt gerade die Anbindung dieser unterentwickelten Regionen ein großes Potenzial für Wirt schaftswachstum und die Angleichung des Lebensstandarts in einem ganzen Land und viele Regierungen haben sich dieses Themas angenommen. Während diese Initiativen geplant und an den Interessen vieler Stakeholder ausgerichtet werden, haben sich vielerorts Bürgerinitiativen gebildet, die eine Breitband anbindung unabhängig von den bestehenden Telekommunika tionsanbietern umgesetzt haben. Dies ist ein guter Ansatz, um eine schnelle Abdeckung zu erreichen, jedoch ist eine Strategie zur Planung und Koordination mit bestehenden Betreibern un abdingbar. Beide Parteien, die unabhängigen Bürgerinitiativen und die großen Betreiber, müssen ein Vorgehen ausarbeiten, welches die Technologieoptionen, Anwendungen, Geschäfts modelle, den regulatorischen Rahmen und auch Partnerschaf ten für ein erfolgreiches Breitbandprojekt einbezieht. Dr. Daniel Henkel ist als Senior Consultant in der Gruppe ICT Product Inno vation tätig. Sein Fachwissen und Interesse liegen im Bereich von Drahtlosnetz werken, Design von neuen ICT Produkten und Geschäftsmodellen mit F okus auf Afrika und dem Mittleren Osten. Er hat acht Jahre Erfahrung in der Telekommunikationsbranche und leitete als PMI-zertifizierter Projektmanager diverse Teams bei der Lösung von sowohl technologischen als auch wirtschaft lichen Problemen. Als Forscher hat sich Dr. Henkel mit der Optimierung von Netzwerk- und Protokolldesign in drahtlosen Netzwerken im Hinblick auf Verzögerungs- und Fehlertoleranz beschäftigt. Dabei gewann er ein breites Wissen im Umgang mit low-cost Hardware und deren Programmierung auf Open Source Plattformen. Daniel.Henkel@detecon.com Dr. Rong Zhao ist als Senior Consultant in der Gruppe Fixed Access und Trans port tätig. Seit elf Jahren beschäftigt er sich mit den Themenschwerpunkten Planung, Migration, Optimierung und Kostenmodellierung der Zugangsnetze und Transportnetze. Er ist Mitglied des IEEE und VDE sowie in der ITG Fach gruppe „Access and Home Networks“ (FG 5.2.5) involviert. Dr. Zhao ist Autor und Referent von zahlreichen Veröffentlichungen und Vorträgen. Rong.Zhao@detecon.com Quellen: • A. Picot, B. Holznagel: „Strategies for Rural Broadband“, 2010 • Rutland Telecom, private Bürgernitiative in GB, http://www.relay-rutlandtelecom.co.uk/FAQ/rural-national.html • R. Zhao, N. Nayan, N. Zhelev, C. Mas Machuca, W. Knospe: „Strategic Design for Rural Broadband Access Networks“, VDE/ITG Konferenz „Breitbandversorgung in Deutschland“, Berlin, März 2011 • Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie (BMWi), www.bmwi.de • A Digital Agenda for Europe, COM(2010) 245, European Commission, Brüssel, 19. Mai 2010 19 Detecon Management Report • 2 / 2011 Strategy Jawahar Sajjad, Kathrin Hahne Diversity killed the Cat Produktdifferenzierung hat nicht immer die gewünschte Erlössteigerung zur Folge Telco-Betreiber haben ihr Wachstum zu einem großen Teil durch Differenzierung erreicht. Nun laufen sie Gefahr, die Vielfalt ihrer Erlöse nicht mehr angemessen überblicken zu können. In dieser Situation gewinnt das Thema Revenue Assurance an Bedeutung. 20 Detecon Management Report • 2 / 2011 Diversity killed the Cat elekommunikationsunternehmen müssen sich heute weltweit T den gleichen Herausforderungen stellen: Die Intensivierung des Wettbewerbs, sinkende Marktpreise, steigende Kundenanfor derungen bezüglich der Funktionalität und Individualität der Produkte, kürzere Produktlebenszyklen und kürzere Durchlauf zeiten der Aufträge können als Beispiele genannt werden1. Die Entwicklung und Einführung von innovativen Produkten ist daher für das langfristige Bestehen eines Telco-Unternehmens am Markt essentiell. Dies gilt für reife wie auch für aufstrebende Märkte. An der Wertschöpfung beteiligt ist zudem eine Vielfalt von Partnerunternehmen wie Content Provider, Werber und verschiedenste Dienstleister, die ihren Teil des Gewinns einfor dern. Die Entwicklung neuer Produkte und die Vielfalt an Partnern in der Telco-Branche werfen Probleme in den Bereichen Billing, Partnermanagement und Konfliktmanagement auf – und treffen die Telco-Betreiber genau dort, wo es sie am meisten schmerzt: am Umsatz oder Erlös. Aufgrund der steigenden Komplexität der Wert- beziehungsweise Erlösschöpfungskette wird das Ver langen immer größer, eine möglichst hohe Präzision der Erlöse sicherzustellen. Treiber der Vielfalt Um ein nachhaltiges Wachstum des Gewinns und Marktanteils sicherzustellen, sind Telco-Betreiber gezwungen, Markttrends möglichst zu ihrem Vorteil zu nutzen. Die Produktdifferenzie rung ist ein Weg, diesen Trends Folge zu leisten. Im Wesent lichen beeinflussen diese Diversifizierung folgende Faktoren: • Marktpreise: Mit Hilfe von differenzierten Preisniveaus kön nen Telco-Unternehmen eine breitere Spanne von Kunden an sprechen, für die jeweils eine höhere oder niedrigere Zahlungs bereitschaft charakteristisch ist. • Produktfunktionalität: Steigende Kundenanforderungen bezüglich der Eigenschaften von Telco-Produkten zwingen Unternehmen, ihren Produkten stetig neue Funktionalitäten hinzuzufügen. Dadurch wird ihre Produktpalette automatisch differenziert. • Produktlebenszyklen: Der Konkurrenzdruck im Telekommu nikationsumfeld führt dazu, dass Unternehmen neue Produkte in immer kürzerer Zeit entwickeln und in den Markt einführen. Das Ergebnis sind verkürzte Produktlebenszyklen und kürzere Time-to-market. • Time-to-market: Für eine langfristige Sicherung der Wettbe werbsfähigkeit ist diese immer kürzere Zeit von der Entwicklung bis zur Produkteinführung essentiell. Die Beschleunigung von Prozessen ist ein weiterer Einflussfaktor im Kampf um Kunden und Wachstum und geht weit über den Produktionsprozess hi naus: So ist heute beispielsweise auch der Bestellprozess diffe renziert; dank neuer Technologien ist es Kunden möglich, über verschiedenste Kanäle Produkte zu bestellen oder zu sonstigen Zwecken mit Telco-Betreibern in Kontakt zu treten. Produkte oder Dienstleistungen erfolgreich zu diversifizieren wird von CFOs als eine der wichtigsten Herausforderungen gesehen (27%, Q3 2010)2. Ein weiterer, ausschlaggebender Einflussfaktor für CFOs bezieht sich auf die Erlössteigerung: Kosten senken und Cashflow steigern haben zirka 30 Prozent der Befragten genannt. CEOs aus der ganzen Welt sehen vor allem die Wandlung von Geschäftsmodellen (57%), Branchen (54%) sowie Modellen zur Erlösgenerierung (51%) als die wichtigsten Faktoren an. Diese Entwicklungen haben jeweils auch eine größere Vielfalt und Komplexität zur Folge. Dadurch verändert sich die Wettbewerbslandkarte insgesamt3. Beispielsweise haben Kabelnetzbetreiber früher den Großteil ihrer Gewinne durch ihre TV-Kunden generiert. Heute erwirt schaften sie zwei Drittel ihrer Erträge durch Festnetzkunden oder Broadband Internet. Vergleichbar mit oben beschriebenen Markttrends konnten zentrale Größen identifiziert werden, die den Telekommunikationsmarkt maßgeblich weiterentwickeln: technologische Entwicklungen, Kundenanforderungen und – wünsche, aufstrebende Geschäftsmodelle sowie staatliche Regu lierungen. • Produktindividualität: Nicht nur das Bestreben, den Pro dukten stets verschiedene neue Features hinzuzufügen, sondern vor allem der Druck zur Individualisierung der Produkte fordert die Telco-Betreiber heute heraus und steigert in hohem Maße die Komplexität der Produktpalette eines Unternehmens. Telco-Unternehmen müssen sich immer wieder auf ein Neues in einem fordernden Umfeld beweisen, da die Gewinne aus ih rem Kerngeschäft stetig sinken. Obwohl sie sich bemühen, die sen Herausforderungen mit der Diversifizierung von Produkten und Dienstleistungen zu begegnen, erfordert die Entwicklung der letzten Jahre eine genaue Analyse des Zielkonfliktes. Dabei müssen insbesondere die wesentlichen Geschäftsprozesse un tersucht werden, um am Markt weiterhin wettbewerbsfähig zu bleiben. 1 Integrated product development as a measure to counteract increasing complexity in the telecommunications industry, Julius D. Golovatchev 2010, Seite 393. 2 CxO Painpoints – T-Systems Research, H. Hänle 2011, Seite 1. 3 Next Generation Competition – Driving Innovation in Telecommunications, Bain & Company 2009, Seite 12. 21 Detecon Management Report • 2 / 2011 Strategy Diversifikation löst Zielkonflikte aus Das Streben nach immer neuen Erlösquellen und größeren Ge winnmargen zieht nach sich, dass Telco-Betreiber ihre Produkte, Dienstleistungen und sogar Geschäftsmodelle diversifizieren. Dies hat nicht nur die erwünschte Steigerung der Erträge zur Folge, sondern auch ernstzunehmende Zielkonflikte. Im Fol genden werden die drei wichtigsten Zielkonflikte beschrieben: Erweiterung der Wertschöpfungskette: Telekommunikations unternehmen bieten Endverbrauchern komplexe und kun denindividuelle Produkte oder Dienstleistungen an. An dem Erstellungsprozess dieser Produkte oder Dienstleistungen sind immer mehr Unternehmen beteiligt. Daher ist es unvermeid lich, dass eine immer größere Anzahl von Partnerunternehmen in die Wertschöpfungskette eingebunden wird. Diese Erweite rung der Wertschöpfungskette erfordert ein gewisses Maß an Transparenz und Visibilität. Die Frage, wer welches Produkt zu wem geliefert hat, muss jederzeit beantwortet werden können. Tonia Graham, Programm Managerin des TM Forum Busi ness Benchmarking Programms, ist überzeugt, dass der Con tent von Drittanbietern einer der zentralen Faktoren ist, in dem Transaktionen abgeschlossen werden sollten4. Aufgrund dieser komplexen Wertschöpfungskette ist auch an die Möglichkeit des Betrugs zu denken. Deshalb ist es wichtig, dass die Auswahl der Partner nicht nur auf Grundlage des Preises, sondern zu gunsten des größten zusätzlichen Wertes für die gesamte Wert schöpfungskette getroffen wird. Ansteigende Integration vielfältiger Plattformen: Abgesehen von der immer größer werdenden Notwendigkeit, ein funktio nierendes Partner- und Vertragsmanagement entlang der Wert schöpfungskette zu betreiben, spielt auch die Integration von vielfältigen Plattformen eine immer bedeutendere Rolle. Of fene, flexible, standardisierte und reproduzierbare Schnittstellen sind die wesentlichen Eigenschaften, um „New Generation Pro zesse“ zu realisieren. Erhöhte Komplexität im Bereich Billing: Heute sind ver schiedenste Parteien an der Wertschöpfung im Telco-Bereich beteiligt und verdienen typischerweise alle an einem einzigen Produkt beziehungsweise einer Dienstleistung. In Bezug auf Billing spielt insbesondere das Vertragsmanagement eine wich tige Rolle. Telco-Betreiber tendieren dazu, mehr als ein Team zu beschäftigen, das sich um die Partnerverträge entlang der Wertschöpfungskette kümmert. Gewöhnlicherweise hat jedes dieser Teams sein eigenes Expertenwissen ausgebaut und ist 4 TM Forum Perspectives – The Innovation Revolution – How bright ideas are enabling smart new services – Retail models need real-time billing, J. Williamson 2011, Seite 50. 22 Detecon Management Report • 2 / 2011 enig vertraut mit dem Wissen und der Rolle anderer Teams. w An diesem Punkt sollte daher angesetzt werden, um Zeit, Geld und Aufwand eines Unternehmens zu sparen. Mary Whatman, Mitbegründerin und Partner von ParhelionGCA sowie Vorstandsmitglied des Center for Outsourcing Research and Education, glaubt, dass sogar weniger als zehn Prozent aller Dienstleistungsanbieter im Kommunikations bereich (CSPs) einen Vertrag mit ihren unterschiedlichen Part nern unterzeichnet haben5. Normalerweise sollte ein solches Dokument die Verantwortlichkeiten der einzelnen Parteien festlegen und bestimmen, wie die Vendoren ihre Abnehmer als eine Art integrierter Supportmechanismus unterstützen kön nen. Sofern diese Aspekte nicht klar geregelt sind, besteht die Gefahr, dass der Kunde viel Zeit und Energie investieren muss, um zwischen streitenden Partnern zu vermitteln. Der Service leidet in Folge dessen. Nicht selten befinden sich Telco-Betreiber aber auch in einer Situation, in der sie eine Vielzahl an unterschiedlich lange lau fenden Verträgen für diverse Funktionen unter verschiedenen Bedingungen überblicken müssen. Teilweise laufen diese fünf oder sogar mehr als fünf Jahre. In diesem Fall ist die benötigte Flexibilität in Zeiten von sinkenden Gewinnmargen nicht ge währleistet. In den letzten zehn Jahren hat sich deutlich ge zeigt, dass sich der Telekommunikationsmarkt und sein Um feld schnell verändern können. Verträge wurden isoliert von einander geschlossen, so dass es für die beteiligten Unterneh men teuer sein kann, diese zu beenden oder die Bedingungen zu verändern. Daher ist es überaus wichtig, eine gewisse Flexibi lität und die Möglichkeit für Nachverhandlungen zu bewahren, ohne massive Strafen zahlen zu müssen. Risiken aufgrund von Vielfalt Während bereits Zielkonflikte in Folge von einer Vielfalt an Pro dukten und Geschäftsmodellen im vorangegangenen Abschnitt diskutiert wurden, ist es ebenso relevant, allgemeine Fallen und Risiken zu diskutieren, die es zu vermeiden gilt. Wichtig ist zu wissen, welche Risiken am Markt im Allgemeinen, aber auch für das einzelne Unternehmen im Speziellen bestehen. Dieses Wissen erleichtert das Treffen von fundierten Entscheidungen und die Entwicklung von Notfallplänen. Explosion der Produktvielfalt: Das erste Risiko ist die plötzliche Explosion der Anzahl von Produkten, die Auswirkungen auf Prozesse in der Produktentwicklung haben könnte. Während 5 TM Forum Perspectives – The Innovation Revolution – How bright ideas are enabling smart new services – The art of deploying managed services, A. Turner 2011, Seite 43. Diversity killed the Cat sich die Time-to-market verkürzt und neue Produkte schnel ler an den Markt gebracht werden, neigen viele Unternehmen dazu, ihre Hauptsteuerungselemente im Prozess zu opfern, um schnellere Ergebnisse zu erzielen. Mit neuen Produkten, neuen Netzwerkkomponenten und neuen Lieferanten sieht der Prozess schnell sehr viel komplexer aus als zuvor. Beispielsweise hat sich der Kunde-zu-Kunde-Prozess („usage-to-bill“) mit Einführung der IP-Netzwerke grundlegend verändert. Switches werden nicht länger benötigt, daher veralten die ursprünglichen Pro zesse in einem Unternehmen sehr schnell. Sie stellen ein mög liches Risiko dar. Insbesondere Prepaid-Produkte, dessen Pricing in Echtzeit ge schieht, sind anfällig für den Verlust von Erlösen. Da ein Prepaid Wireless Service typischerweise via Intelligent Network (IN) Applikationen mit ihrer eigenen Software angeboten wird, ist es schwierig, in diesem Falle Echtzeit-Mechanismen einzuführen. Mit der steigenden Anzahl an Produkten ist die Kontrolle von Beständen, Service, Konfigurationen, Fehlern beziehungsweise Defekten zwingend erforderlich; die Verfügbarkeit dieser Infor mationen in kurzer Zeit wird zu einer überaus g roßen Heraus forderung. In einer ähnlichen Weise steigt die Nutzung von mobilen Daten aufgrund der „App-Explosion“. Hieraus lassen sich ver schiedene Herausforderungen ableiten. Eine Klassifikation der Datennutzung wird zunehmend wichtiger, da nur einige wenige Produkte die Mehrheit der Bandbreite an Angeboten für sich einnehmen. Hier ist vor allem das Pricing wichtig, um das Kon sumverhalten der Kunden zu steuern. Datenservice erfordern Abstimmungen mit Content Providern, um eine genaue Ver rechnung zu gewährleisten. Im Falle von „konvergent billing“ stellt der Datenservice eine einmalige Herausforderung dar, um Rechnungsstellung und Charging mit Hilfe von Diensten wie Voice zu kombinieren. Explosion der Anzahl von Partner: Die Vielfalt an Content Providern hindern Telco-Unternehmen oftmals daran, ihre Ver bindlichkeiten unter Kontrolle zu halten und ihre F orderungen einzutreiben. Beispielsweise beläuft sich die Provision der Händ ler in traditionellen Telco-Geschäftsmodellen auf 10-15 Prozent der Gesamtausgaben. Zieht man die Vervielfältigung der Part ner und Content Provider in Betracht, kann man davon ausge hen, dass sich auch diese Kosten zumindest verdoppeln werden. Lieferanten sind besonders wichtige Partner eines Unterneh mens. Für fast jeden Service Provider in der Telco-Branche, unabhängig von seiner Größe, ist es üblich, verschiedene Bil ling-Systeme zu nutzen. Diese verarbeiten Prepaid, Postpaid, Inter-carrier und internationale Roaming-Daten. Aufgrund der Abbildung 1: Herausforderungen aufgrund von Vielfalt in der Telekommunikationsbranche Daten & Systeme Produkte & Dienstleistungen Unterschiedliche Datenstandards und -formate, keine synchronisierten Systeme für Prepaid (IN), Postpaid, OSS, Billing, CRM … Eine Fülle von Produkten, z.B. Daten Apps, Hardware, Fixed, Mobile, Internet, Voice … Partner & Lieferanten Partner und Lieferanten, z.B. als App-Entwickler, Content Provider, Werbekunden, Vertragspartner … Quelle: Detecon 23 Detecon Management Report • 2 / 2011 Strategy Dies ist vor allem bei Unternehmen der Fall, die eine Vielfalt an Lieferanten haben und unterschiedliche Datenstandards auf verschiedenen Plattformen bewältigen müssen. Während Anrufaufzeichnungen von einem System zum nächsten über tragen werden, sind verschiedenste Protokolle notwendig, um die Datenübertragung erfolgreich durchzuführen. Sobald sich etwas an den Daten oder dem System verändert, besteht ein neues Risiko für Datenverlust. Darüber hinaus ist es möglich, dass Daten aufgrund von unzureichendem Monitoring nicht wiederhergestellt werden können. Vielzahl an Lieferanten mit spezialisierten Systemen und Stan dards lässt sich dies kaum vermeiden. Jedes Billing-System hat nicht nur von einander abweichende Datenstandards, sondern kann zudem auch verschiedene Regeln aufstellen, wie zum Bei spiel das Timing für das Rating von Kundenrechnungen. Dies beeinflusst wiederum die Billingzyklen. Jedes dieser Systeme stellt Datenaufzeichnungen (CDRs und/oder IPDRs) in ver schiedenen Zeitperioden in Rechnung. Jede Abweichung der Zeiträume, Rechnungsformate, Regeln und Datenstrukturen erhöht das Potenzial für den Verlust von Erträgen e xponentiell. Das Timing von Rechnungsstellung und Einzug des Rech nungsbetrages variiert von Kunde zu Kunde. Genau hier stoßen wir auf den Kern des Problems, dem Revenue Assurance (RA)Teams von Service Providern in der Telekommunikations branche begegnen. Sollte Revenue Assurance sich anpassen? Eine Online-Umfrage von knowledge@Wharton, veröffentlicht durch die George Group, entdeckte die folgenden Tatsachen durch die Befragung von mehr als 400 leitenden Angestellten in über 30 Branchen6: Explosion der Datenmenge: Mit dem Anstieg von mobilen Applikationen und Datenservices wächst die Anzahl von ab rechnungsfähigen Transaktionen um ein Vielfaches an. Zu dem erhöhen sich die Probleme in Bezug auf Provisioning und Billing sowie das Verlangen nach einer neuen Controlling-Me thode, nicht nur in der Telekommunikation, sondern auch bei Drittanbietern. • Fast die Hälfte aller leitenden Angestellten sagen, dass die Produktdiversifizierung einen „negativen oder leicht negativen Einfluss auf die Wettbewerbsfähigkeit unter hohem Kosten druck und auf die Durchlaufzeit in ihren Unternehmen hatte“. • 64 Prozent glauben, dass nur eine geringe Anzahl an Pro dukten oder Dienstleistungen hauptsächlich zum Betriebser gebnis ihrer Unternehmen beitragen. Während außerdem die Integration vielfältiger Plattformen er forderlich ist, wird auch das Bestreben größer, den Datenverlust und das Datenmanagement unter Kontrolle zu halten. Trotz der scheinbaren Einfachheit dieses Problems sind viele TelcoBetreiber nicht in der Lage, mit diesen Risiken umzugehen. 6 The Complexity Crisis: Why too many products, markets and customers are crippling your company – and what to do about it, John L. Mariotti 2008, Seite 46. Abbildung 2: Wesentliche Schritte im Bereich Revenue Assurance •Unterstützung durch das Management •Abstimmung der RA- und Unternehmensziele •Förderung einer positiven Einstellung zum Thema RA im Unternehmen RA-Kultur Erweiterter Geltungsbereich von RA-Prozessen •RA der “nächsten Generation” einführen •Neue Geschäftsmodelle einbeziehen •Auf Kosten und Ertrag konzentrieren (Margin Assurance) Übertragung von RA-Aktivitäten in andere Bereiche •Aufbau flexibel gestalten •Funktionsübergreifendes RA-Team einsetzen •RA-Ziele in persönlichen und Abteilungszielen verankern + + Zusätzliche Datenquellen/Reports Zusätzliche Prozesse + € Zusätzliche Revenue Streams Anpassung an neue Herausforderungen aufgrund einer Vielfalt an Revenue-Modellen und -Produkten. Quelle: Detecon 24 Detecon Management Report • 2 / 2011 Diversity killed the Cat • Sogar 38 Prozent derer, die der Meinung waren, dass eine Vielfalt an Produkten und Dienstleistungen den Gewinn des Unternehmens steigern, stimmten zu, dass ein Großteil nur durch wenige ihrer Produkte oder Dienstleistungen erwirtschaf tet wurde. Diese Umfrage hebt die Tatsache hervor, dass sich aus der stei genden Vielfalt nicht zwangsläufig ein größerer Gewinn ergibt. Sie bringt darüberhinaus Veränderungen mit sich, sowohl in Bezug auf Unternehmensprozesse als auch Technologien. Die Telekommunikationsbranche ist in der glücklichen Lage, RA als Mittel zur Verfügung zu haben, um Gewinne zu sichern und Kosten zu kontrollieren. Jedoch muss sich RA in jeder Organi sation an die neuen Gegebenheiten im Markt und dem Unter nehmen selbst anpassen. Traditionelle RA-Prozesse konzentrieren sich auf den Abgleich von Datenaufzeichnungen über verschiedene Systeme hinweg. Jedoch sollten aufgrund der grundlegenden Veränderungen in der Branche folgende drei wesentliche Themen bezüglich des RA Managements beachtet werden: Erweiterter Geltungsbereich von Revenue Assurance: Das traditionelle Verständnis von RA wird durch neue Geschäfts modelle ersetzt, in denen RA einen viel breiteren und flexibleren Geltungsbereich anstrebt. RA dient nicht länger als reines Tool zur Sicherung des Kundenverbrauchs und der -aufträge. RA in der nächsten Generation bietet zudem Tools zur Kontrolle von Kosten, die für diverse Dienstleistungen anfallen. Dies bringt RA auch ein Stück näher in Richtung Controlling, das nicht selten Unterstützung durch RA-Aktivitäten benötigt. Mit der Profitabilität neuer Produkte und Dienstleistungen im Fokus ist auch die Margensicherung ein neuer Bestandteil von RA. Be trachtet man das komplexe Kostenmodell und häufig wechseln de Prozesse, dann werden traditionelle Buchhaltungssysteme immer stärker von RA-Systemen abhängen, um tagesgenaue Informationen für die Kalkulation von Gewinnmargen bereit zustellen. Übertragung von Revenue Assurance in andere Bereiche: Um RA-Prozesse auf einem solch breiten Level zu implementieren, ist zusätzliche Unterstützung in Form von Ressourcen und Know-how für jedes Produkt, System und die vertraglichen Ver pflichtungen mit Partnern und Lieferanten notwendig. Bei ver kürzter Time-to-market und hohem Konkurrenzdruck auf dem Markt wären die Ressourcen in traditionellen RA-Teams leicht überfordert mit dieser erweiterten Aufgabe und könnten das erwünschte Ergebnis nur schwer liefern. Am effektivsten kann diesem Mangel an Ressourcen mit einer Reorganisation des RATeams begegnet werden, indem es in Zukunft wie ein Program Management Office (PMO) aufgebaut wird. Hierbei ist jedes RA-Teammitglied Teil eines funktionsübergreifenden Teams und verantwortet eine Gruppe von Produkten, die einem spe zifischen Kundensegment zugeordnet werden können. So kann jedes Teammitglied sein funktionsübergreifendes Team schulen, die Notwendigkeit zur Implementierung von RA im Rahmen seiner Tätigkeiten erklären und beispielsweise mit Vorlagen für RA-Aktivitäten ausstatten. Revenue Assurance-Kultur: Um den Geltungsbereich von RA zu erweitern und es in andere Bereiche innerhalb einer Organisation zu übertragen, ist es wichtig, dass RA in die Un ternehmenskultur integriert wird. RA-Ziele sollten formuliert und RA KPIs in das allgemeine KPI-System bezüglich Umsatz wachstum, Gewinnmarge und Minimierung von Erlösverlust eingebunden werden. Auf diese Weise wird RA ein wesentlicher Teil des Gesamterfolges eines jeden Produktes. Dies kann bei spielsweise durch die Angleichung von RA-Zielen mit den Zie len der Produktentwicklung erreicht werden. Sobald ein Unter nehmen verstanden hat, dass diese Ziele die persönlichen und abteilungsspezifischen Ziele unterstützen, können breiter ange legte RA-Aktivitäten als Teil der Unternehmenskultur realisiert werden. Schließlich können wir feststellen, dass RA auf keinen Fall die Vielfalt zunichte macht. RA hält Methoden bereit, um Verände rungen durch die steigende Vielfalt zu bewältigen. Traditionelle RA wird von „RA der nächsten Generation“ abgelöst, die sich stärker auf hohe Flexibilität konzentrieren wird. Um die Vielfalt an Produkten und Dienstleistungen von aktuellen und zukünf tigen Telco-Unternehmen erfolgreich zu steuern, ist eine neue RA-Kultur notwendig. Sie erleichtert die Ausdehnung des RAGeltungsbereiches und die Transformation von RA-Aktivitäten in neue Organisationseinheiten. Jawahar Sajjad ist Senior Consultant bei Detecon und durch das TM F orum zertifizierter RA-Experte mit sieben Jahren Erfahrung in der internationalen Telekommunikationsbranche. Er hat bei einer Reihe von IT-Projekten mitgewirkt und leistet einen aktiven Beitrag zur Entwicklung der Themen Revenue Assurance, Forderungs- und Kostenmanagement. Jawahar.Sajjad@detecon.com Kathrin Hahne arbeitet als Business Analyst in der Group Operations. Sie ist seit 2010 für Detecon tätig und kann mehr als drei Jahre Beratungserfahrung in Telekommunikationsunternehmen vorweisen. Neben ihrem Beitrag zur Ent wicklung des Themas Revenue Assurance trägt Kathrin Hahne aktiv zum Auf bau des Themas Workforce Management im Field Service bei. Kathrin.Hahne@detecon.com 25 Detecon Management Report • 2 / 2011 Organization Patrick Eberwein, Andreas Meider, Torsten Oppel, Jörg Recktenwald High Involvement garantiert Erfolgreiche Kundenansprache im Auto via Internet Mit Kunden dort interagieren, wo sie sich befinden – die Vielzahl von Neuigkeiten und Angeboten aus allen Aspekten des modernen Lebens sowie stets aktuelle Informationen rund um das Auto machen das automobile I nternet zu einem neuen, einzigartigen CRM-Kanal der Zukunft. 26 Detecon Management Report • 2 / 2011 High Involvement garantiert it dem Siegeszug der Smartphones begann das Internet M seinen Aufstieg zum mobilen Medium einer vernetzten Gesell schaft. An jedem Ort können die Nutzer nun die Vorteile des Internets genießen, sich informieren, einkaufen, im steten Kon takt mit dem geschäftlichen und privaten Umfeld bleiben. Im nächsten Schritt der Evolution des Internets erfolgt die Eroberung des Autos. Auch hier werden die Nutzer stets mit ihrer Umwelt vernetzt bleiben und sich in den Weiten des Cyberspace bewegen können. Dieser Vision folgt die Wirtschaft mit großen Schritten. Unterschiedlichste Technologien zur Vernetzung des Autos werden entwickelt. BMW hat als einer der ersten Hersteller bereits seine ganze Modellpalette mit einem Internetzugang ausgestattet. Dies ist für den Käufer zunächst kostenlos. So pro fitieren sowohl Navigations- als auch Entertainment-Elemente schon heute von der Vernetzung mit dem Internet. Doch noch bleiben viele Fragen offen: Werden die Automo bilhersteller das Internet im Auto zukünftig auch dazu nutzen, mit den Kunden im Sinne eines kollaborativen CRM zu inter agieren? Welche Anwendungen ermöglichen es darüber hinaus in Zukunft, mit dem Internet im Auto wirklich nachhaltige Geschäftsmodelle zu betreiben?1 Bei dieser Betrachtung schauen wir zum Vergleich auch auf eine der bedeutendsten Wachstumsregionen der Welt – nach Asien. Auch dort wollen wir den Potenzialen des CRM durch das In ternet im Auto nachspüren. Technologien, die das Internet ins Auto bringen Die Werkseinbaugeräte namhafter KFZ-Hersteller basieren zum Großteil auf den Softwareplattformen einiger weniger etablierten Anbieter wie QNX Automotive und Microsoft Win dows Automotive und bieten die höchste Integration mit dem Fahrzeug. Portable Navigation Devices, sogenannte PNDs, nutzen in der Regel sogenannte embedded Betriebssysteme und zeichnen sich durch ihre Portabilität, die vergleichsweise geringen Anschaf fungskosten sowie die Möglichkeit, die Geräte mit Apps und Kartenmaterial zu erweitern, aus. Mit der zunehmenden Verbreitung von GPS-fähigen Smart phones wächst der Druck auf die Hersteller von PNDs. Daher bieten die Hersteller von PNDs mittlerweile Smart phone-Versionen ihrer Navigationssoftware zum Kauf an. Für die handelsüblichen Smartphones gibt es bereits zahlreiche Navigationslösungen in den entsprechenden App-Stores. Die Portierung bestehender PND Software ist insofern interessant, da der Verbreitungsgrad von Smartphones stetig wächst. Die neue Symbiose von Internet und Auto steckt trotz dieser aus gefeilten Technologien noch in den Kinderschuhen. Die großen Hersteller haben es jedoch eilig, in das Geschäft einzusteigen und Marktpositionen zu besetzen. Die Branche befindet sich aller dings noch auf der Suche nach den sogenannten Killer-Apps, die dem Kunden einen echten Mehrwert liefern. Letztlich wird der Kunde mit seiner Bereitschaft zur Nutzung von Apps im Fahr zeug über den Erfolg des Konzeptes entscheiden2. Erfolgreiche Kundenansprache durch internetbasiertes CRM im Auto Für die Vernetzung von Internet und Fahrzeug ist neben einer mobilen Breitband-Datenverbindung ein internetfähiges End gerät erforderlich, welches ein gewisses Mindestmaß an Bedien barkeit im Fahrzeug ermöglicht. Um den Fahrer nicht unnötig vom Verkehrsgeschehen abzulenken, sollten Displaygröße und Bedienkonzept auf die Nutzung im Fahrzeug abgestimmt sein. Betrachtet man die Technologien im Einzelnen, so lassen sich im Kern drei unterschiedliche Bauformen identifizieren, welche das Internet ins Auto bringen: Werkseinbaugeräte, portable Navigationsgeräte und Smartphones. Der Begriff des CRM setzt sich aus drei Kerngebieten zusam men: Marketing, Sales und Service. Zu betrachten ist, ob die Ausprägungen dieser drei Gebiete auf den Begriff des auto mobilen CRM anzuwenden sind und welche Vorteile sie im Alltag des Autofahrers bieten können. 1 Quelle: 4. November 2010, Der Kampf um das Internet im Auto. 2 Zu den technologischen Aspekten des Internets im Auto siehe auch DMR 1/2011, InCar Kommunikation der Zukunft, M. Radmacher et al., S. 26 ff. Marketing Im Bereich des CRM kommt dem Marketing eine besondere Funktion zu. Noch vor dem Vertrieb und dem S ervice werden 27 Detecon Management Report • 2 / 2011 Organization hier erstmals in der CRM-Kette die Kunden direkt vom Unter nehmen kontaktiert. Neben der I dentifikation der Kunden hat das Marketing die Aufgabe, sowohl durch gezielte Kampagnen als auch durch aktive Arbeit in sozialen Netzwerken Kunden und Interessenten an das Unternehmen zu binden. Können die Aufgaben des Marketings noch effektiver erfüllt werden, wenn sie im Rahmen des automobilen Internet zur Anwendung kommen? Noch vor Beantwortung dieser Frage ist zu ergründen, welchen zusätzlichen Nutzen das im Auto in stallierte Internet im Gegensatz zur Internetnutzung via mobile Endgeräte hat. Die Vorteile, die sich durch die Nutzung des im Auto integrierten Internets gegenüber der Verwendung eines Smart phones e rgeben, sind vielfältig: 1. Die Bedienung der fest im Auto integrierten Bedienelemente ist deutlich ergonomischer als die Handhabung eines Smart phones, insbesondere durch das größere Display und die ergo nomischeren Tasten im Auto. 2.Der Internetzugang ist im Auto und wird somit Teil der haptisch erlebbaren automobilen Wirklichkeit – auch und gerade, wenn der Fahrer kein internetfähiges Smartphone sein Eigen nennt. Dies kann einerseits die Akzeptanz des Internets gerade auch durch noch nicht internetaffine Fahrzeugnutzer erhöhen und andererseits jüngere und besonders internetaffine Zielgruppen an das Auto heranführen. 3.Das Internet steht dem Fahrer permanent zur Verfügung, um vor und in Abwandlungen auch während3 der Fahrt genutzt zu werden. So sind Echtzeitservices, Infotainment und Location based Services für den Fahrer immer in hoher visueller Qualität verfügbar. Die Vorteile, die der fest installierte Internetzugang im Auto bietet, spiegeln sich auch in den Marketing-Anwendungen wider, die speziell im Auto einen besonderen Nutzen stiften: 3 Während der Fahrt ist das Internet nicht zu benutzen, sondern nur marken spezifische Internet-Lösungen wie „BMW Online“. 28 Detecon Management Report • 2 / 2011 So lassen sich Zusatzinformationen zu den einzelnen Fahrzielen, zum Beispiel Hotels und Restaurants, bequem auf einem zum Beispiel 8 Zoll großen Touchscreen im Auto nutzen. Neben diesen Anwendungen, die das Leben der Autofahrer deutlich erleichtern und es den Anbietern wie Hotels und Restaurants ermöglichen, ihr eigenes Marketing zu betreiben, gibt es auch die zentralen Marketing-Aktivitäten, welche gera de durch das Internet im Auto einen besonderen Zusatznutzen bieten4. Zu diesen Marketing-Aktivitäten gehört insbesondere die Durchführung von Online-Kampagnen, die nicht nur auf die fahrzeugspezifische Nutzergruppe, sondern gerade auch direkt auf den Fahrer zugeschnitten sein können und so ein One-toOne-Marketing ermöglichen. So können über den Fahrer ge sammelte Fahrzeugnutzungsprofile unter Berücksichtigung von Datenschutzrichtlinien dazu verwendet werden, den Fahrer mit maßgeschneiderten Angeboten, Veranstaltungen oder Services dauerhaft an das Unternehmen zu binden. Im Auto integrierte Internet-Lösungen bieten gerade für solche Aktivitäten ein dankbares Medium, da hierbei alle Adressaten direkt in ihren Fahrzeugen in die Kampagne eingebunden sind und so die Hemmschwelle zur Teilnahme an Kampagnen sinkt. Neben dem Einsatz von Kampagnen gehört auch der verstärkte Einsatz des Social-Network-Gedankens zu den zentralen On line-Angeboten, welche durch das automobile Internet beson dere Bedeutung gewinnen. So wird die Nutzung des Autos und dessen Internet-Verbindung zum haptisch erlebbaren Eintritt in die Gemeinschaft Gleichgesinnter. Auch Fahrzeugnutzer, wel che vor Anschaffung des Fahrzeuges noch nicht mit sozialen Netzwerken in Berührung gekommen sind, können auf diese Weise erstmals die Vorteile solcher Communities erfahren. Ergänzend bietet sich auch die Adaption klassischer MarketingInstrumente für das Internet im Auto an: Mit Zustimmung durch den jeweiligen Fahrzeugnutzer lassen sich Mailings, Newsletter oder Internet Microsites durch den erlebbaren Oneto-One-Marketing-Ansatz im Auto ebenso zielgerichtet ein setzen wie Elemente des Leadmanagements. 4 Dies gilt auch, wenn über ein Smartphone für den technischen Internetzugang des Fahrzeuges Verwendung findet, die Bedienung und die grafische Darstellung jedoch über fest installierte Elemente im Auto erfolgt (Beispiel Navigationseinheiten im Auto). Siehe auch: Navigations- und Infotainmentsystem Comand Online APS. High Involvement garantiert Durch den Verkauf von Internet-Anschlüssen in ihren Autos werden auch die Autohändler wieder ein Stück näher an das Thema Internet herangeführt, was von Bedeutung ist, da sowohl der Handel als auch die Werkstätten noch zuwenig die Poten ziale des Online-Marketing für sich nutzen5. Marketing: ein Blick nach Asien Sales Die Gewährleistung breitbandiger Internet-Konnektivität im Fahrzeug mit durchgängig störungsfreiem Empfang bietet im mense Vertriebspotenziale und neue Zielmärkte, die bislang so noch nicht existierten und ausgeschöpft werden konnten. Einige Marketing-Aktivitäten, welche gerade durch das Internet im Auto zu größerer Bedeutung gelangen, finden bereits heute auf asiatischen Märkten ihre Anwendung. In China sind bereits interaktive Berührungsbildschirme in Taxen im Einsatz, die allein durch Werbung finanziert werden. So sind in Peking beispielsweise viele Taxen mit noch nicht vernetzten, berührungsempfindlichen Terminals ausgerüstet (Touchmedia), welche neben reiner Werbung auch Informationen zu Kon zerten oder anderen kulturellen Veranstaltungen sowie Spiele anbieten6. Diese Informationen sind auf Grund der noch feh lenden Vernetzung heute allerdings oft nicht auf dem n euesten Stand beziehungsweise nicht auf den genauen Ort zugeschnit ten, in denen sich ein Fahrzeug gerade befindet. Mit Hilfe neu er technologischer Möglichkeiten – 3G/4G M obilfunknetze und kleiner Endgeräten im Auto – werden hier zukünftig ziel genauere Kampagnen mit noch höherer Werbewirkung möglich sein. Diese Lösungen versprechen große Erfolge, insbesondere in Ländern mit hoher Bevölkerungsdichte wie Japan, Singapur oder China. In diesen Ländern gehört Taxifahren zum Alltag, weshalb sich Systemkosten leicht mit der Qualität der Kontakte und einer hohen Reichweite (niedrigerer Tausenderkontaktpreis als in Ländern mit geringer Bevölkerungsdichte) rechtfertigen lassen. Der Kunde wird somit zukünftig durch aktuelle, ortsgebun dene Informationen über vernetzte Systeme deutlich besser in formiert und unterhalten werden als bisher üblich. Ergänzend werden in Asien bereits heute Spiele angeboten, die auf Touch screens in Taxen Anwendung finden und so die Fahrt für den Kunden noch kurzweiliger gestalten können – onlinebasierte Versionen dieser Spiele werden dem Internet im Auto auf den fernöstlichen Märkten zudem einen deutlichen Schub verleihen. Foto: Terminals in Taxen Im Vergleich zu allen anderen Empfangsmöglichkeiten – ob mit Bahn, Flugzeug oder zu Fuß unterwegs – bietet das Fahrzeug eine einzigartige Vorteilskombination, die es für Vertriebsmaß nahmen äußerst interessant werden lässt: Es bewegt sich schnell, auch über größere Entfernungen, vom Ausgangspunkt zum Zielort und der Fahrer ist flexibel in seinem Entscheidungsver halten, er selbst kann entscheiden und jederzeit seine Fahrt un terbrechen und wieder fortsetzen. 5 Quelle: Online−Marketing bei Autohäusern sträflich vernachlässigt. 6 Forbes at http://www.forbes.com/2010/05/10/china-touchmedia-taxiadvertising-markets-face-micky-fung_2.html. 29 Detecon Management Report • 2 / 2011 Organization Aus vertrieblicher Sicht bieten sich daher völlig neue und vielfältige Ansätze für Unternehmen, die weit über die bisher erhältlichen, meist kostenfreien App-Angebote wie zum Bei spiel Staumeldungen, Blitzerwarner oder Tankstellensuche hinausgehen. Retailfokussierte Unternehmen, ob Fabrik-Outlets, regionale Fachmärkte, aber auch die Hotellerie – jeder kann durch das Angebot und den Empfang attraktiver Promotionangebote im Fahrzeug durch spontane Impulskaufhandlungen auf signifi kante Mehrumsätze hoffen. Die technische Umsetzbarkeit lässt sich durch Weiterentwick lung und Transfer von Applikationen wie Facebook Places und Facebook Deals erkennen. Jedes Fahrzeug, welches sich zum Beispiel auf der Autobahn von A nach B bewegt, kann über regionale Angebote zukünftig in Echtzeit informiert werden. Neue Käufer werden dadurch fokussiert, da Kaufakte unab hängiger vom Wohnort stattfinden. Nicht nur den skizzierten Unternehmen bieten sich Mehrumsät ze. Auch alle Anbieter, die mit Realisierung und Sicherstellung der technischen Umsetzbarkeit beschäftigt sind, profitieren von Telekommunikationsunternehmen über Netzwerkausrüster, ITDienstleister bis hin zu Internetagenturen und der Werbewirt schaft. Natürlich auch die Automobilhersteller selbst, die zu den großen Profiteuren dieser Entwicklung werden könnten. Nicht nur, dass die Hersteller mit Bindungsmaßnahmen ihre Kunden direkt im Fahrzeug ohne große Streuverluste ansprechen und Cross- und Upselling Mehrumsätze erzielen können. Auch wird das Auto zum Gatekeeper des Internetzugangs, die installierten Bord elektroniksysteme könnten so quasi selbst zu Hersteller-eigenen Smartphones umfunktioniert werden. Welche Potenziale und Entlohnungsmodelle daraus entwachsen können, lässt sich un schwer an der Entwicklung von Apple ablesen. Das Potenzial scheint erkannt. So kündigte beispielsweise AudiChef Rupert Stadtler im Januar auf der Elektronikmesse CES in Las Vegas einen massiven Ausbau der Kapazitäten für die Ver knüpfung von Internet und Auto an mit den Worten: „Audi ver ändert sich immer mehr in Richtung Softwareunternehmen“7. 7 Aus Automobilwoche vom 07. Januar 2011 30 Detecon Management Report • 2 / 2011 Sales: ein Blick nach Asien Auch im asiatischen Raum werden die Vertriebspotenziale des Internets bereits aktiv genutzt. In China werden Telematik-Systeme wie OnStar von GM, G-Book von Toyota/Lexus, InkaNet auf Basis von Android von Shanghai Automotive (Roewe) und CarWings von Nissan als Extra in neuen Autos verkauft. Gerade in der Anfangsphase wird versucht, Nutzer für die neuen Systeme zu begeistern. Viele Telematik-Angebote wie beispielsweise G-Book sind in den ersten Jahren kostenfrei und erst später kostenpflichtig, wenn Jahres- beziehungsweise Monatsgebühren erhoben werden. Gute Angebote versprechen dabei ihren Betreibern durchaus ein kräftiges Umsatzplus. Ein solches kann durch regelmäßige Kartenupdates, innovative Nachrichtenformate oder besonders kundenorientierte Service Center erreicht werden, falls diese – wenn auch kostenpflichtig – vom Markt angenommen werden. So wird zum Beispiel von InkaNet ein App Store angeboten, auf dem Zusatzprogramme herunterladbar sind. Zudem können Spiele genutzt werden. Ein weiterer Aspekt sind ortsspezifische Angebote. Es können Coupons auf den Bildschirm des Autos gesendet werden, die zu direktem Umsatz, zum Beispiel bei der Werkstatt oder beim Autohändler, führen können. Die Installation von Systemen selbst wird von Autoherstellern als Verkaufsaspekt für das gesamte Fahrzeug genutzt, indem die Vorteile der Telematik-Systeme des speziellen Herstellers während des Fahrzeugkaufs angepriesen werden. Ein Trend zu mehr Vernetzung wird dazu führen, dass diese Sonderangebote in Zukunft auch vom Kunden erwartet und zu Basisangeboten werden. Service Neben den bereits beschriebenen Marketing- und Vertriebs aspekten eröffnet sich im Automobilsektor durch die Entste hung neuer Internet-Technologien eine Vielzahl von Möglich keiten, Serviceangebote gezielt im Sinne der Verbraucher zu entwickeln. High Involvement garantiert Hierbei geht es sowohl um die Bereitstellung von Service leistungen durch die OEMs als auch um die erfolgreiche Ein bindung von Lieferanten zur Entwicklung von integrierten Ser viceangeboten. Die so entstandenen Serviceleistungen dienen vor allem der langfristigen Bindung von Kunden an das jeweilige Unterneh men, auch und gerade über den Nutzungszyklus eines einzelnen Fahrzeugs hinaus. Starke Kundenbindungspotenziale bestehen dabei besonders durch das Angebot von kundenwertbasierten Serviceangeboten, die die Bedürfnisse der einzelnen Kunden segmente im besonderen Maße erfüllen. Hierbei kann es sich einerseits um die Bereitstellung von status gebundenen Privilegien und andererseits um die zielgruppen spezifische Positionierung von Partnerangeboten handeln. Dies können sowohl werthaltige Leistungsangebote sein als auch sogenannte „In Car Services“, vom Entertainment über StauForecasts bis hin zu Werkstatt-Terminankündigungen. Ergänzt werden solche Services durch den Megatrend der „Location-Based-Services“, im Rahmen dessen standortspezi fische Leistungs- und Informationsangebote dem Fahrer stets zur Verfügung stehen. Ein heranwachsendes Geschäftsmodell in den kommenden Jahren dürfte zudem die tarifgebundene Nutzung von Automo bilen sein. Zwar könnte dieser Trend im „Autoliebhaber-Land“ Deutschland eine geringere Nachfrage erfahren, jedoch sehen wir insbesondere im asiatischen Raum und in den dortigen Metropolen eine stark ansteigende Nachfrage. Da der Kauf eines eigenen Fahrzeugs bei einem Großteil der Bevölkerung häufig außer Frage steht und der Bedarf, weite Strecken mit dem Auto zurückzulegen, sehr groß ist, sind hier interessante neue Geschäftsmodelle zu erwarten. Nutzungsab hängige Tarife oder Flatrates wie in der Telekommunikation sind allerdings eher unwahrscheinlich. Dafür rücken hier schwerpunktmäßig ICT-gestützte pay-peruse-Konzepte in den Vordergrund, die durch Apps gestützt wer den. Die Abrechnung wiederum könnte durch Partneringkon zepte gemeinsam mit Telekommunikationsprovidern erfolgen. Ob im eigenen oder geliehenen Auto – die Nutzung von Te 31 Detecon Management Report • 2 / 2011 Organization lematik und daraus generierten Premiumservices, zum Beispiel ein exklusives Traffic Management und die vernetzte Kommu nikation der Fahrzeuge untereinander, wird die bisher genutzten Navigationssysteme ergänzen oder gar ablösen. Hinzu kommt eine Reihe von Möglichkeiten, zukünftig eine automatische Konfiguration der Fahrzeuge mittels des eigenen Smartphones und der darauf gespeicherten Nutzerdaten vorzu nehmen: Hierbei werden alle persönlichen Einstellungen eines Fahrzeugnutzers, beispielsweise in einer App, gespeichert (Sitz stellung, Radiosender, Klimaanlage, Zielspeicher Navi, Kom munikationseinstellungen oder Add-On Services) und beim Einsteigen in ein anderes Fahrzeug übertragen. Insbesondere dem Flottenmanagement von Unternehmen, großen Autovermietungen und Premiummarken kommt diese Entwicklung zugute, da sie dem Kunden dadurch Services mit hohem Mehrwert bieten können, wofür der Kunde – egal ob Geschäftskunde oder Privatnutzer – eine große Zahlungsbereit schaft zeigen dürfte und zusätzlich an die Nutzung einer Fahr zeugmarke gebunden werden könnte. Serviceleistungen: ein Blick nach Asien In Asien eingeführt sind bereits Systeme, die es ermöglichen, das Service Center über eingebaute Geräte zu erreichen, zum Beispiel über das G-Book. Hierdurch wird vor allem die Markenloyalität durch Services wie Auskünfte, Navigationsunterstützung sowie Zieleinstellungen verbessert. Weitere Services, die den Kunden an das Unternehmen binden, sind Ferndiagnose, Informa tion zur Regelterminen in der Werkstatt, Hilfe im Notfall und Unterstützung im Pannenfall. Zurzeit sind diese Systeme über wiegend in Autos der höheren Klassen zu finden, wobei der Trend wohl zur weiteren Verbreitung in allen Fahrzeugklassen führen wird, denn den Kunden mit Informationen zu versorgen wird als wichtiges CRM Instrument gesehen. In der Testphase sind Systeme, die Echtzeit-Informationen zur Verkehrslage ermöglichen. Dies wird vor allem mit Hilfe der Vernetzung von den Geräten erreicht, so dass Informa tionen aus den auf der Straße befindlichen Fahrzeugen gemel det, analysiert und weitergegeben werden können. Hierdurch wird eine Verbesserung gegenüber den herkömmlichen, auf Tabelle: CRM via Internet im Auto – ein Überblick Technologie Marketing Sales Service Werkseinbaugeräte - QNX Automotive - Microsoft Windows Automotive - Android Angebote von Unternehmen via Location based Services • Identifikation der Kunden • Cross-/Upselling in One-2-One Konstellation im Auto • Entertainment Portable Avigationsgeräte (PNDs) - QNX - Windows CE - Linux-Lösungen • Kampagnen • Soziale Netzwerke • Zielgruppenspezifika - Junge Kunden durch Internet zum Auto - Reife Kunden durch Auto zum Internet • Telematiksysteme • Verkehrsmeldungen in Echtzeit • Ankündigung von Werkstatt-Terminen • Bereitstellung eines Call-Centers, welches alle Fragen des Fahrzuegnutzers beantwortet Smartphones - Android - Apple iOS - Windows Phone - Symbian • Mailings, Newsletter, Internet Microsite • Leadmanagement • Internet-Terminals in Taxen Quelle: Detecon 32 Detecon Management Report • 2 / 2011 • Auskünfte • Navigationsunterstüzung • Ferndiagnose des Fahrzeuges • Hilfe im Notfall • Hilfe im Pannenfall • Online-Update von Navigationskarten • Voreinstellung der Heizung • Abruf von Fahrzeuginformationen durch Werkstätten oder OEMS High Involvement garantiert Verkehrsfunk basierenden Systemen erreicht. Solche Services dienen dabei zielgerichtet der Erfüllung konkreter Kundener wartungen, denn insbesondere chinesische Kunden wünschen sich zu 70 Prozent Navigationslösungen und immerhin zu 57 Prozent8 Verkehrsinformationen in Echtzeit. Zu den Herausforderungen bei der Einführung des Internets im Auto zählt jedoch noch die Konkurrenz durch das Smartphone. Für den Automobilverkäufer bedeutet das, die Vorteile der fest installierten Lösung gegenüber dem Hochleistungshandy des Kunden selbstbewusst herauszustellen. Durch die Vernetzung der Navigationssysteme wird auch ein Online-Update aller Kartendaten ermöglicht, ein Verfahren, welches bereits heute Anwendung findet. Die Kontrolle der Fahrzeuge mittels Mobiltelefonen wird sich auch weiter verbrei ten. Zurzeit sind Services wie die Voreinstellung der Heizung und das Abrufen von Fahrzeuginformationen möglich. Auf dem Vormarsch Das Internet im Auto wird zu einer noch größeren Verbreitung des Online-Mediums führen und dabei für die verschiedenen Nutzergruppen unterschiedliche Funktionen erfüllen. Im Zen trum stehen dabei zum einen jüngere Menschen, für die es im mer wichtiger wird, das sie auch im Auto einen Internetzugang haben, um so ihrem interaktiven Livestyle stets verbunden zu bleiben. Hier wird Internet im Auto zum Hygienefaktor in jedem Verkaufsgespräch mit dieser Zielgruppe. Zum anderen werden ältere und nicht immer Internet-affine Käuferschichten erreicht, welche zum ersten Mal mit dem Medium in Berüh rung kommen und sich so Eintritt in die virtuelle Welt verschaf fen. Auch dieser Zielgruppe kann mit wenigen einfachen Maß nahmen ein enormer Mehrwert während der Fahrzeugnutzung angeboten werden. Die zahlreichen CRM-Elemente, welche gerade mit dem auto mobilen Internet an die unterschiedlichen Zielgruppen herange tragen werden, eröffnen zudem einen völlig neuen Kanal zu den Kunden. Das Autocockpit avanciert so zum realen Customer Touchpoint der nahen Zukunft und somit zum Schlüsselfaktor für eine erfolgreiche Kundenansprache im Auto. Dennoch steckt der Prozess des Zusammenwachsens von In ternet und Auto noch in den Anfängen, wobei die Automo bilhersteller zielstrebig in den neuen Markt einsteigen, um so technologische Spitzenstellungen und erste große Marktanteile einzunehmen. Patrick Eberwein ist Management Consultant im Bereich Automotive-CRM und Ansprechpartner für die Themen „Connected Car“ und „eMobility“. Zudem ist Herr Eberwein Mitautor der Detecon-Studie Customer Experience Management sowie Experte für Lead- und Kundenkontaktmanagement. Patrick.Eberwein@detecon.com Andreas Meider ist Managing Consultant im Bereich Application Management und berät als Experte für SAP Consume-to-Cash-Lösungen Unternehmen aus den Branchen Telekommunikation, Utilities und Media. Andreas.Meider@detecon.com Torsten Oppel arbeitet seit 2005 als Senior Consultant in der Gruppe CRM, Sales & Service und leitet seit 2011 die Gruppe CRM und Sales Management in China. Schwerpunkte seiner Beratungstätigkeit sind CEM/CRM-Strategien, CRM-Prozessdesign, Customer Care, Call C enter Optimierung und Vertrieb. Projekte in der Telekommunikations- und Automobilbranche in Europa, Afrika und Asien runden sein Profil ab. Torsten.Oppel@detecon.com Jörg Recktenwald arbeitet als Consultant im Bereich Customer Relationship Management. Er berät Firmen im In- und Ausland zum Thema Multichannel Management und Customer Service mit Branchenschwerpunkt Automotiveund Telekommunikation. Joerg.Recktenwald@detecon.com 8 Strategy Analytics 2010 33 Detecon Management Report • 2 / 2011 Organization Stephan Berninger, Nicole Vollmer Ein Kessel Buntes Aktives Diversity Management entscheidet den War for Talents Bereits heute gehört der Fach- und Führungskräftemangel in Deutschland zur Realität. Dieser Trend wird sich eher verschärfen. Unternehmen müssen zunehmend gezielt Mitarbeitergruppen ansprechen, die bislang weniger im Fokus ihrer Personalmarketingmaßnahmen standen und auch statistisch in den Unternehmen unterrepräsentiert sind. Durch diese Vergrößerung des Pools an potenziellen Mitarbeitern verschaffen sich Unternehmen mit aktivem Diversity Management einen deutlichen Wettbewerbsvorteil im War for Talents. 34 Detecon Management Report • 2 / 2011 Ein Kessel Buntes er demographische Wandel, aber auch die sich ständig wan D delnden Anforderungen an die Fähigkeiten und Kompetenzen der Mitarbeiter in einer zunehmend technisierten Welt führen zu einem Mangel an qualifizierten Fach- und Führungskräften. So herrscht zum Beispiel in Deutschland mit weniger als 2,5 Prozent Arbeitslosenquote Vollbeschäftigung bei den hochqua lifizierten Akademikern.1 In den meisten entwickelten Ländern ist eine ähnliche Tendenz zu beobachten. Gleichzeitig steigt auch in einigen Schwellenländern, wie beispielsweise Brasilien und China, der Bedarf an qualifizierten Fach- und Führungskräften, woraus eine Verringerung der Migrationsbereitschaft aus diesen Ländern resultiert. Der War for Talents verschärft sich also nicht nur auf nationaler Ebene, sondern wird zunehmend auch global ausgetragen. Zudem hat auch der Wertewandel dazu geführt, dass die persönliche Selbstverwirklichung Werte wie Loyalität und Pflichtbewusstsein abgelöst hat. Auch dieser Trend wird sich zukünftig weiter verstärken. In der Anfangsphase dieser Entwicklungen haben bereits einige Unternehmen auf gezielte Personalentwicklungsmaßnahmen gesetzt, um Mitarbeiter zu gewinnen und langfristig zu bin den. Hierbei ging es in erster Linie darum, Transparenz über Leistung sowie Fähigkeiten der Mitarbeiter zu gewinnen und auf Basis dieser Erkenntnisse ein zielgerichtetes Talent- und Nachfolgemanagement aufzubauen. Den Luxus, Mitarbeiter womöglich unterhalb ihrer Fähigkeiten einzusetzen, kann sich kein Unternehmen mittelfristig mehr leisten. Aber auch für Unternehmen, die die interne Entwicklung von Mitarbeitern bereits beherrschen, gilt es, die natürliche Fluktu ation zu kompensieren, um das Personal für Wachstumsphasen bereitstellen zu können. Wer hierbei ausschließlich auf die be stehenden Zielgruppen und Botschaften setzt, wird zunehmend mit höheren Gehaltsforderungen und längeren Besetzungs zeiten rechnen müssen. Um mittel- bis langfristig erfolgreich den Bedarf an qualifi zierten Fach- und Führungskräften decken zu können, müssen Unternehmen gezielt neue beziehungsweise im Unternehmen unterrepräsentierte Zielgruppen ansprechen. Entscheidend ist dabei jedoch, dass es nicht bei öffentlichkeitswirksamen Aussa gen und Lippenbekenntnissen bleibt. Der Imageschaden hier durch würde den kurzfristigen, schnellen Erfolg übersteigen. Vielmehr gilt es für Unternehmen, die Verpflichtung zu diesen „neuen“ Zielgruppen glaubwürdig darzustellen und ein geeig netes „Ökosystem“ zu etablieren. Frauen in Führungspositionen – eine Seite der Diversity-Diskussion Am 15.03.2010 überraschte die Deutsche Telekom AG mit der Verkündung, bis Ende 2015 mindestens 30 Prozent der obe ren und mittleren Führungspositionen mit Frauen zu besetzen. Bereits die Ankündigung der Einführung einer Frauenquote führte zu einer teils kontrovers geführten Diskussion in der Öf fentlichkeit. Meist waren es Männer, die diese Quote als über flüssig erachten. Aber auch viele erfolgreiche Frauen lehnen die Quote rundweg ab – vielleicht aus Angst am Ende des Tages als „Quotenfrau“ dazustehen? Betrachtet man dies allerdings streng analytisch, ist die Maßnahme jedoch weitaus weniger kritisch zu betrachten. Möglicherweise kommt es in der Startphase zu quotenbedingten Besetzungen. Solche Startschwierigkeiten sind aber bei größeren Paradigmenwechseln normal und leider meistens unvermeidbar. Mittelfristig ist die Quotenregelung je doch als Versprechen gegenüber den weiblichen Mitarbeitern zu verstehen. Geht man davon aus, dass ein Unternehmen zum eigenen Überleben an entscheidenden Managementpositionen eine hohe Qualität von Mitarbeitern sicherstellen muss, bedeu tet die Quote eine Verpflichtung zur fairen Weiterentwicklung von Frauen im Unternehmen, um einen ausreichenden Pool an Nachfolgerinnen für Führungspositionen aufzubauen. Wie der Führungsmonitor 2010 des DIW belegt, ist der Gedan ke an eine Frauenquote auch nicht als unberechtigt zu bewerten. So sind beispielsweise in 2008 nur 27 Prozent aller Führungs kräfte in der deutschen Privatwirtschaft weiblich. 2009 beträgt 1 Frankfurter Allgemeine Zeitung: In Deutschland sind Akademiker vollbeschäftigt, 4. März 2011. 35 Detecon Management Report • 2 / 2011 Organization der Anteil der Frauen in den Vorständen der Top 100 Unterneh men weniger als ein Prozent.2 Berücksichtigt man zudem, dass heute fast 60 Prozent der Universitätsabsolventen weiblich sind, so stellt diese Zielgruppe einen nicht unerheblichen Bewerber markt dar, auf den die Unternehmen immer stärker angewiesen sind.3 Somit bedeutet die Einführung einer Frauenquote nichts weiter als die Garantie einer fairen Chance für Frauen. Keine (Frauen-)Quote ohne geeignetes „Ökosystem“ Diese rein rationale Betrachtung hat jedoch einen entschei denden Haken. In den meisten Menschen wächst im Laufe der Zeit der Wunsch, eine eigene Familie zu gründen. Dies geschieht unabhängig von Karrierezielen oder anderen Ambitionen und hat über Generationen die Existenz der Menschheit sicherge stellt. Aus biologischen, aber auch emotionalen und zumindest zurzeit oft noch gesellschaftlichen Gründen tragen Frauen in der Regel die karrieretechnische Hauptlast des Kinderwunsches. Im ersten Jahr bedeutet dies in der Regel zumindest eine deut lich reduzierte Arbeitszeit oder gar einen vorübergehenden Aus stieg aus der Berufswelt. Die Unterstützung von Familien endet allerdings oft unmittel bar nach der Elternzeit. Die zeitlichen Anforderungen der heu tigen Berufswelt sind nur schwer mit den üblichen Betreuungs zeiten durch Kindertagesstätten zu vereinbaren – insbesondere wenn zur reinen Arbeitszeit noch Fahrtzeiten hinzukommen. Mit ihren elf hauseigenen Kindertagesstätten mit bundes weit rund 600 Betreuungsplätzen sowie einer Notfallbetreu ung unterstützt die Deutsche Telekom AG ihre Mitarbeiter in diesem Kontext. Dies ist ein erster Schritt in Richtung eines Umfeldes, dass Kinder und Karriere ermöglicht. Das Ermögli chen von 15.000 Teilzeitstellen in Deutschland sowie die För derung von Elternzeit sind weitere zentrale Bausteine des worklife@telekom Programms zur Förderung der Vereinbarkeit von Beruf und Familie, auch beziehungsweise insbesondere auf der Managementebene.4 Während bei vielen großen Konzernen in Deutschland das Thema Diversity im Hinblick auf Frauen und Karriere und die Schaffung eines geeigneten Umfeldes im wahrsten Sinne des Wortes noch in den Kinderschuhen steckt, sind einige kleine re und mittelständische Unternehmen bereits eine Stufe weiter. Der Naturkosmetikhersteller Weleda, der unter anderem ein 2 Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung: Führungsmonitor 2010. 3 Bundesministerium für Bildung und Forschung: Bildung in Deutschland 2010. 4 Deutsche Telekom AG: Personalbereicht 2009/2010. 36 Detecon Management Report • 2 / 2011 breites Produktsortiment für Schwangerschaft, stillende Müt ter und Babys produziert, hat beispielsweise eine umfassende Infrastruktur für berufstätige Eltern geschaffen. Dies umfasst neben einer betriebsinternen Kindertagesstätte mit täglich anpassbaren, flexiblen Betreuungszeiten, auch ein Unterstüt zungsnetzwerk durch im Ruhestand befindliche Mitarbeiter. Dieses Generationen Netzwerk entlastet und unterstützt die aktiven Mitarbeiter durch individuell abstimmbare Leistungen wie einem Einkaufsservice oder Notfall-Kinderbetreuung. Die Leistungen werden individuell vereinbart und auch abgerech net. Dennoch erlaubt es den Eltern, sich auf ihre berufliche Tätigkeit zu konzentrieren, die Kinder in guten Händen zu wissen und die verfügbare Freizeit bestmöglich zu nutzen.5 Keine sozialen Kosten – sondern Investition in die Zukunft Die Kosten zur Umsetzung dieser Maßnahmen sind gering, der Gewinn für das Unternehmen dagegen groß. Die Eltern, die in einer für sie optimierten Infrastruktur arbeiten dürfen, wer den diese sicherlich nicht für „ein paar Euro“ mehr an Einkom men verlassen. Selbst wenn die Kinder älter geworden sind und weniger Betreuung benötigen, sollte in den meisten Fällen die Bindung an das Unternehmen zu diesem Zeitpunkt groß genug sein, um den finanziellen Verlockungen des Arbeitsmarktes zu widerstehen. Das Diversity-Ökosystem wirkt sich positiv auf die Loyalität der Mitarbeiter zum Unternehmen aus und wirkt somit als nachhaltiger Bindungsfaktor. Neben den offensichtlichen volkswirtschaftlichen Vorteilen zahlt sich die Investition in ein familienfreundliches Um feld auch betriebswirtschaftlich aus. Den Investitions- und Betriebskosten der Maßnahmen stehen geringere Fluktuations-, Rekrutierungs-, Einarbeitungs- und auch Lohnkosten bei einer insgesamt motivierteren Belegschaft gegenüber. So zeigte das Forschungszentrum für familienbewusste Personalpolitik, dass familienfreundliche Unternehmen bessere betriebswirtschaft liche Kennzahlen aufweisen als Unternehmen ohne familien freundliche Maßnahmen. Diese Unternehmen seien zu 17 Pro zent produktiver, weisen 13 Prozent weniger Fehlzeiten auf und verfügen über eine 17 Prozent höhere Mitarbeiterbindungsrate.6 Zusätzlich ist die Familienfreundlichkeit ein wesentlicher Teil der Arbeitgebermarke. Im Beispiel Weleda harmonieren Arbeit gebermarke, Produktphilosophie und Produktmarke zudem op timal miteinander. 5 Weleda AG: Bericht zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie 2009. 6 Forschungszentrum für familienbewusste Personalpolitik 2010. Ein Kessel Buntes Für die Unternehmen, die den Wert von Müttern am Arbeits markt erkannt haben und ein geeignetes Umfeld entwickeln, bleibt zu hoffen, dass der Einsatz nicht durch eine gesetzlich verordnete Frauenquote verwässert wird. Sollte diese jedoch kommen, wird ihr „Familienökosystem“ diesen Unternehmen die Chance bieten, auch nachhaltig von den getätigten Investi tionen zu profitieren. Diversity jenseits der Frauenquote Auch wenn die Diskussion in Deutschland sowie in großen Tei len von Europa vorrangig unter der Dimension „Geschlecht“ betrachtet wird, bietet das Diversity-Konzept eine Vielzahl an derer Facetten. Der Ursprung des Diversity Managements liegt in den USA, wo durch strikte Regelungen und Kontrollen einer Diskriminierung nach ethnischer Herkunft entgegengewirkt werden sollte. Es dauerte lange, bis Unternehmen das Potenzial, das in einer heterogenen Mitarbeiterschaft liegt, erkannt haben. Erst Ende der 90er Jahre kam das Konzept aus den USA nach Europa. In Deutschland wurde mit dem Allgemeinen Gleich stellungsgesetz (AGG) im Jahr 2006 die berufliche Gleichstel lung aller Gruppen rechtlich manifestiert. In der Anfangsphase lag der Fokus in der Umsetzung sowohl der Unternehmen als auch der Gesetzgeber auf der Gleichbehandlung von Frauen. Mit einem Modellversuch zur anonymen Bewerbung ver sucht der Gesetzgeber nun, die Gleichbehandlung von Frauen, Menschen mit Migrationshintergrund, älteren Menschen und anderen, in den Bewerbungsunterlagen erkennbaren Charakte ristika, durchzusetzen. Bei allen Fairnessgedanken stellt sich jedoch die Frage, ob eine gesetzliche Regelung überhaupt mittelfristig noch notwendig ist. Denn auch ohne Anstoß vom Gesetzgeber haben die er sten Untenehmen das aktive Diversity Management bereits für sich entdeckt. Bei Diversity Management geht es grundsätzlich darum, die Vielfalt der Mitarbeiter zu nutzen und bewusst in die Personalstrategie zu integrieren. Vielfalt wird hierbei jedoch nicht nur im Sinne von offensichtlich wahrnehmbaren Un terschieden, wie beispielsweise der ethnischen Herkunft, Ge schlecht, Alter und körperliche Behinderung, verstanden. Auch auf den ersten Blick nicht sichtbare Unterschiede zwischen Menschen, wie etwa die sexuelle, religiöse Orientierung und der persönliche Lebensstil, werden betrachtet. Diese ganzheitliche Verschiedenheit der Mitarbeiter können Unternehmen für sich nutzen, um langfristig wirtschaftlich erfolgreich zu sein. Diver sity darf also nicht nur auf die Frauenquote reduziert werden. Es ist ein Grundprinzip, das auf Toleranz und Begrüßung der Andersartigkeit unterschiedlichster Facetten beruht. Internationale Belegschaft als Wettbewerbsfaktor Für internationale Konzerne spielt auch die internationale Be legschaft eine zentrale Rolle bei der Sicherung des Zugangs zum notwendigen Humankapital. In Zeiten von knappen qua lifizierten Mitarbeitern kann man es sich nicht mehr leisten, Mitarbeiter ausländischer Tochtergesellschaften und Nieder lassungen an den Arbeitsmarkt zu verlieren, weil sie in ihrer – meist verhältnismäßig kleinen – lokalen Organisation keine Aufstiegsperspektiven mehr sehen. Internationale Talent- und Nachfolgeplanung sowie ein internationaler Mindset im Un ternehmen unterstützen die internationale Durchlässigkeit von Karrierepfaden – abseits der Einbahnstraße von Expatriatspezi alisten, die von der Konzernmutter entsandt den Tochtergesell schaften mit ihrem Wissen zur Verfügung stehen. Das Gebot der Stunde ist ein globaler interner Arbeitsmarkt, der die besten Mitarbeiter zur richtigen Zeit an der richtigen Stelle einsetzt. Auch dieses Potenzial hat beispielsweise die Deutsche Telekom AG entdeckt. So äußerte Thomas Sattelberger, Personalvorstand der Deutschen Telekom AG, Anfang dieses Jahres in der Mit arbeiterzeitschrift HR One Voice den Wunsch nach einer stär keren Internationalisierung der Belegschaft. Bislang bestehe die Zentrale der Deutschen Telekom überwiegend aus deutschen Mitarbeitern. Bereits heute wird im Konzern durch ein interna tionales Job-Rotationprogramm versucht, international ein Ver ständnis für die Abläufe im Unternehmen zu schaffen und ein Feingefühl für andere Kulturen im Allgemeinen zu entwickeln. Für jeden eines, aber nicht eines für alle Ein oft praktizierter Ansatz ist das Verfolgen so genannter „Best Practices“. Während dies in einigen Themenfeldern sicherlich bis zu einem gewissen Grad die Wettbewerbsfähigkeit des Un ternehmens sicherstellen kann, so ist es im Bezug auf Diversity eher fehl am Platz. Denn nur wenige Dinge sind so vielseitig wie Diversity. Erfolgreiche Diversity-Programme müssen zur Kultur und dem Handeln des jeweiligen Unternehmens passen, die Zielgruppe muss ein entsprechendes Potenzial in Bezug auf den Anforderungskatalog bieten und das Unternehmen muss bereit sein, seine Versprechen auch mit konkreten Maßnahmen zu unterstreichen. Entscheidend wird es sein, einen kulturellen Fit zwischen der Zielgruppe und dem eigenen Unternehmen herzustellen. Auch das Produkt des Unternehmens muss letzt endlich zur Zielgruppe passen. Alleine schon diese Kriterien zeigen, wie komplex und letztendlich auch individuell Diver sity-Programme sein müssen, um nachhaltig den gewünschten Erfolg zu bringen. Ebenso ist anzumerken, dass natürlich der Grenznutzen einer Zielgruppe mit jedem zusätzlichen Unter 37 Detecon Management Report • 2 / 2011 Organization nehmen, das sich auf diese Zielgruppe fokussiert, abnimmt – der Kuchen wächst nicht mit jedem Unternehmen, dagegen werden die Stücke für jeden ein wenig kleiner. Kann man mehrere Zielgruppen ansprechen? Hier ist die Ant wort ein deutliches JA. Das Beispiel der Telekom zeigt, dass sich zum Beispiel die Zielgruppen Frauen und internationale Beleg schaft nicht ausschließen. Letztendlich hängt dies aber nicht zu letzt von der Größe des Unternehmens ab. Weiterhin stellt sich natürlich auch die Frage, wie viel Diversity das jeweilige Un ternehmen verträgt. Dies ist eine wichtige Frage, die sich nur schwer verallgemeinern und messen lässt. Die Beantwortung dieser Frage kann nur nach eingehender Analyse der Offenheit der Belegschaft zur Vielfalt, der kulturellen Stärke des Unter nehmens und dem Willen, Diversity als Chance beziehungs weise Bereicherung zu sehen, mit hinreichender Sicherheit be antwortet werden. Ein zu hohes Maß an Diversity kann einem Unternehmen massiv schaden, da produktive Kräfte für die Ab wehr des „Fremden oder Andersartigen“ – welches jeder diversi tymanagementrelevanten Zielgruppe per Definition innewohnt – eingesetzt werden. Die Angst vor dem, was man nicht kennt, ist eine grundlegende menschliche Angewohnheit, die über ei nen sehr langen Zeitraum dem Überleben der Menschheit för derlich war und tief im menschlichen Gehirn eingebettet ist. Die Gewinner des War for Talents sind bunt Auf Grundlage des zunehmenden Fach- und Führungskräf temangels dürfte es für die meisten Unternehmen wirtschaftlich schwierig sein, auf den Einsatz entsprechender Diversity-Pro 38 Detecon Management Report • 2 / 2011 gramme zu verzichten. Aufgrund steigender Löhne und Ge hälter sowie der Knappheit an qualifizierten Mitarbeitern wird der monetäre Lohn als Entscheidungskriterium immer stärker an Bedeutung verlieren. Aspekte wie die Unternehmenskultur, Work-Life-Balance Angebote, natürlich die faire Behandlung und nicht zuletzt das Diversity-Angebot werden hingegen zu nehmend an Bedeutung gewinnen. Dementsprechend werden Unternehmen, die ein aktives Diversitymanagement betreiben, also eine geeignete Infrastruktur für ihre Zielgruppe(n) bereit stellen und darauf achten, dass Diversity mehr ist, als nur ein Lippenbekenntnis oder in Zukunft eine rechtliche Auflage, einen nachhaltigen Wettbewerbsvorteil haben. Wem es gelingt, die für ihn richtigen Zielgruppen zu gewinnen und zu binden, wird zu den Gewinnern des War for Talents gehören. Stephan Berninger ist als Managing Consultant im Competence Team People Management Solutions tätig. Seine Beratungsschwerpunkte liegen im Bereich Performance Management, Human Resources Development und eHR. Vor seiner Tätigkeit bei Detecon war er mehrere Jahre als SAP-Berater, Prozessbera ter und Internal Auditor in verschiedenen Branchen tätig. Herr Berninger hat einen MBA der WHU und Kellogg Business School. Stephan.Berninger@detecon.com Nicole Vollmer ist als Business Analyst im Competence Team People Manage ment Solutions tätig. Ihre Beratungsschwerpunkte liegen im Bereich Recruiting und eHR. Vor ihrer Tätigkeit bei Detecon arbeitete Frau Vollmer zwei Jahre bei der arvato services solutions GmbH im Bereich Human Resources und absol vierte ihr Studium der Soziologie an der Universität Bielefeld. Nicole.Vollmer@detecon.com Knowledge@Detecon Mission Zukunft: ICT 2032 45 Thesen für den Weg ins Morgen In 22 Jahren wird es die IT in klassischer Form nicht mehr geben. Doch welche Konsequenzen leiten sich daraus ab? Wie wirken sich die ICT-Entwicklungen auf die Gesellschaft, Individuen und Unternehmen aus? Wie beeinflussen nichttechnologische F aktoren die ICT-Landschaft 2032? Welche Nutzen bieten diese technologischen und nichttechnologischen Veränderungen? Und wo liegen die Chancen und Risiken? 45 Thesen umreißen – mal provokant, mal überraschend – wie die Informations- und Kommunikationstechnologie Leben, Gesellschaft und Wirtschaft im Jahre 2032 beeinflussen wird. Anwendungsbereiche wie Automotive, Energiewirtschaft, Finanzdienstleistungen, Leben und Wohnen sowie Gesundheit werden sich unter dem Einfluss von ICT radikal verändern und weiterentwickeln. ICT für jeden und überall, in nahezu jedem Gegenstand, das ist das charakteris tische Merkmal der Welt von Morgen. Online-Bestellung: Sie können ein Buch-Exemplar kostenfrei unter folgender Adresse bestellen: Info@detecon.com Organization Die Quote ist Türöffner für eine umfangreiche Kulturarbeit Interview mit Telekom-Vorstand Thomas Sattelberger über die Einführung der Frauenquote Thomas Sattelberger ist seit dem 3. Mai 2007 Personal vorstand und Arbeitsdirektor der Deutschen Telekom AG. Der im Juni 1949 in Munderkingen/Donau g eborene Diplom-Betriebswirt war von Juli 2003 bis zu seiner Bestellung zum Telekom-Personalvorstand in derselben Funktion Mitglied des Vorstandes der Continental AG in Hannover. Dort verantwortete und gestaltete er insbesondere die zukunftsfähige und strategische Ausrichtung der Personalarbeit, die konzernweite Personalentwicklung, das weltweite Talent Management sowie das Arbeitskostenund Effizienzmanagement. Zuvor arbeitete Sattelberger bei Daimler Benz und der Lufthansa. 40 Detecon Management Report • 2 / 2011 Interview mit Thomas Sattelberger, Deutsche Telekom AG Derzeit wird die Einführung einer gesetzlichen Frauenquote in Deutschland in den Medien kontrovers diskutiert. Als eines der ersten DAX-Unternehmen hat die Deutsche Telekom be reits lange vor dieser politischen Diskussion begonnen, Frauen stärker zu Führungspositionen zu motivieren. DMR sprach mit Thomas Sattelberger, Vorstand Personal der Deutschen Telekom AG, über die aktuelle Diskussion sowie die Erfolge des ersten Jahres nach Einführung einer Frauenquote. DMR: Vor rund einem Jahr haben Sie die Einführung einer Quote für weibliche Führungskräfte in der Deutschen Telekom Gruppe verkündet. Dies hat neue Impulse in die öffentliche Debatte im Hinblick auf die Chancengleichheit für Frauen gebracht. Hat Sie die Intensität der Diskussion überrascht? T. Sattelberger: Persönlich erfüllt es mich mit Genugtuung, dass der gesellschaftliche Diskurs zu diesem „eingeschlafenen“ Thema wieder voll entfacht ist. Die Diskussion war überfällig, denn es bringt nun einmal überhaupt nichts, sich schönzureden, man habe alles Menschenmögliche – von Frauen-Mentoring bis Kinderkrippe – getan, um das Problem der Unterrepräsen tiertheit von Frauen in Führungspositionen zu lösen. Denn es war doch offensichtlich, dass wir uns hier wie Hamster im Rad bewegten: immer mehr des gleichen ohne wirklichen Verände rungserfolg. DMR: Wie waren die Reaktionen der Mitarbeiter zu der Maßnahme? T. Sattelberger: Der gesamte Vorstand der Deutschen Telekom mit René Obermann an der Spitze hat sich dazu entschlossen, Nägel mit Köpfen zu machen und einen neuen, wirksameren Hebel anzusetzen. Dies war ein deutliches Signal. Ähnlich ve hement wie draußen wurde und wird die Diskussion um die Quote in unserem Konzern geführt. Denn die Quote ist kein Selbstzweck, sie ist Türöffner für eine umfangreiche Kulturar beit, sie ist die Keimzelle für die Entfaltung umfassender Vielfalt bei der Telekom, und das geht jeden etwas an. DMR: Haben sich Ihre Erwartungen hinsichtlich der bisherigen Ergebnisse erfüllt? T. Sattelberger: Nach einem Jahr Frauenquote haben wir unsere ersten Meilensteine erreicht – was die quantitativen wie die qua litativen Ergebnisse anbelangt. Wir haben sehr viel Herzblut, aber auch finanzielle Investitionen in diese bindende Selbstver pflichtung gesteckt. Damit sind vor allem eine umfangreiche Kulturarbeit, Betreuungsinfrastruktur und ein großer logis tischer Aufwand verbunden, und das erste Jahr Frauenquote stand vor allem im Zeichen der „Graswurzelarbeit“. Wir haben das Fundament für den Wandel gelegt – und alle DAX 30 Un ternehmen gehen jetzt den Weg, den die Telekom eingeschlagen hat. DMR: Können Sie uns etwas über die Kennzahlen verraten, mit denen Sie den Erfolg dieser Maßnahme messen? T. Sattelberger: Systematik, nicht Symbolik ist der Schlüs sel für eine nachhaltig erfolgreiche Umsetzung der Frauen quote in unserem Unternehmen. Wie jedes wichtige Thema in unserem Unternehmen steuern wir Frauenförderung nun konzernweit über Kennzahlen, die weltweit gelten. Die Ein stellungen von Bewerberinnen dualer Studiengänge und von Hochschulabsolventinnen müssen etwa doppelt so hoch sein wie der durchschnittliche Frauenanteil an den Abschlüssen der jeweiligen Studiengänge. Das gilt in erster Linie für technische und naturwissenschaftliche Fächer. Zur Verbreiterung der un ternehmensinternen Talentbasis soll der Frauenanteil in der Talentförderung 30 Prozent betragen. In Führungskräfteent wicklungsprogrammen muss der Frauenanteil mindestens 30 Prozent (ab 2012 40 Prozent) betragen, damit diese Programme stattfinden. Der Frauenanteil in Assessment Centern und Ma nagement Audits muss mindestens 30 Prozent betragen. Bei der Besetzung von Topmanagement-Funktionen muss die engere Auswahl („Short list“) einen Frauenanteil von mindestens 30 Prozent aufweisen. 41 Detecon Management Report • 2 / 2011 Organization DMR: Immer wieder wird über gesetzliche Regelungen zur Frauenquote gesprochen. Bundesfamilienministerin Kristina Schröder fordert beispielsweise Selbstverpflichtungen für Großunternehmen. Machen aus Ihrer Sicht solche gesetzlichen Regelungen überhaupt Sinn oder werden die oft beschwore nen „Selbstheilungskräfte“ des Marktes zu Zeiten des Fach- und Führungskräftemangels den offensichtlich bestehenden Schiefstand beheben? T. Sattelberger: Ich kann die Unternehmen nicht verstehen, die erst anfangen zu handeln, wenn ihnen das Wasser bis zum Hals steht. Seit Jahren laufen wir sehenden Auges in den Fachkräf temangel – und laufen immer weiter… Genauso wenig kann ich verstehen, dass erst das Damoklesschwert einer gesetzlichen Quote über einem hängen muss, um aufzuwachen. Ich bin der festen Überzeugung, dass sich die Unternehmen verbindliche und öffentlich transparente Ziele setzen und da mit deutlich machen müssen, dass sie beabsichtigen, in den Führungsetagen wirklich etwas zu verändern. Wenn nicht, darf sich niemand beklagen, wenn uns gesetzliche Vorgaben gemacht werden. Ich freue mich, dass wir uns am 30. März bei einem Zusammentreffen von Politik und Wirtschaft endlich zu dreißig individuellen öffentlichen und damit auch verbindlichen Selbst verpflichtungen durchringen konnten. 42 Detecon Management Report • 2 / 2011 DMR: Die Erhöhung der Frauenquote auf Führungsebene ist eine Art des Diversity Managements. Planen Sie auch Maßnahmen für andere Zielgruppen und wenn ja, wie werden diese aussehen? T. Sattelberger: Vielfalt ist unsere Zukunft. Als Gesellschaft und Unternehmen erahnen wir erst jetzt, welche Chancen da rin liegen. Die Mitarbeiterschaft wird internationaler, ethnisch vielfältiger, weiblicher und – ich sehe das an mir – älter. Mit diesen tiefgreifenden Veränderungen müssen wir uns intensiv befassen, das ist alternativlos. Dort, wo Vielfalt gefördert wird, wächst die Wirtschaft, steigt die Zahl der Innovationen, werden Unternehmen und Regionen attraktiver am Talentmarkt und macht die Arbeit mehr Freude. Auch Aktionäre und Anleger achten zunehmend auf dieses Thema: Auf der letzten Haupt versammlung der Deutschen Telekom etwa war Diversity eines der zentralen Themen, das von Anteilseignern aufgebracht und auch eingefordert wurde. Das heißt aber nicht, dass wir nun in jedem dieser Bereiche „ordnungspolitisch“ eingreifen müssen. Bei den meisten Viel falt-Themen funktionieren wir bereits jetzt sehr gut mit kon sequenter Maßnahmen- und Projektarbeit. Als Beispiel sei hier auf unser „Reverse Mentoring Programm“ verwiesen. Tandems Interview mit Thomas Sattelberger, Deutsche Telekom AG aus jeweils einer „gestandenen“ Führungskraft und einem jun gen Kollegen, der der Generation der „Digital Natives“ ange hört, arbeiten zusammen. Ziel ist es, die Führungskraft mit den Möglichkeiten und Chancen des Web 2.0 in ihrem jeweiligen Arbeitsumfeld vertraut zu machen, um diese als zunehmende Selbstverständlichkeit in den Arbeitsalltag integrieren zu kön nen. Ein zweites Beispiel sind die zahlreichen Maßnahmen im Rah men unseres betrieblichen Gesundheitsmanagements, die da rauf zielen, seelisches und körperliches Wohlbefinden lebens phasenbedingt zu fördern. können, nicht nachlassen, um das Ziel der Reduzierung auch der nur geringen Ausgleichsabgaben auf Null zu erreichen. DMR: Wir danken Ihnen für dieses Interview! Das Interview führte Stephan Berninger, Managing Consultant im Bereich Organization, Detecon International GmbH. Und ein drittes Beispiel ist unser Engagement bei der Integra tion schwerbehinderter Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Im Inlandskonzern beschäftigen wir auf 6,4 Prozent unserer Ar beitsplätze Menschen mit Schwerbehinderungen. Dies ist eine beispielhaft gute Quote im bundesdeutschen Arbeitsmarkt. Nur wenige unserer konzernangehörigen Gesellschaften im Inland erfüllen die gesetzliche Beschäftigungsquote von 5 Prozent nicht und sind deshalb zur Zahlung einer Ausgleichsabgabe ver pflichtet. Hier werden unsere Anstrengungen, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit einem Handicap so zu beschäftigen, dass sie ihre Fähigkeiten und Kenntnisse möglichst voll verwerten 43 Detecon Management Report • 2 / 2011 Organization Claudia Skrobol Was bin ich? Und wenn ja, wie viele? Corporate Project Identity als Balance von Einheit und Vielfalt im Projekt Die Vielzahl von verschiedensten Persönlichkeiten, Erfahrungen und Interessen in Projekten ist Segen und Fluch gleichermaßen. Jeder Projektleiter und -mitarbeiter kann ein Lied d avon singen. Das Management dieser Vielfalt hin zur Corporate Project Identity ist ein Schlüssel zum Projekterfolg. 44 Detecon Management Report • 2 / 2011 Was bin ich? Und wenn ja, wie viele? ls er den Gang hinunter läuft, nicken ihm einige freundlich A zu. Andere klopfen ihm im Vorübergehen anerkennend auf die Der Mensch im Projekt – mehr als eine Projektressource. Nur geträumt? Wie gelingt es, aus einem von vielen Projekten eines mit einer klaren und überzeugenden Identität zu ma chen? Einer Projektidentität, die in das Unternehmen hinein Zeichen setzt – Zeichen, die die Vision, das Projektziel und den Wandel verkörpern? Ein klar strukturiertes, einheitliches Selbstverständnis, das die Vielfalt von Erfahrungen und Per sönlichkeiten erfolgreich einsetzt? Eine Projektidentität, die zur Mitarbeit animiert? Ein frommer Wunsch, gar von einer Projektidentität zu reden, mag da so mancher einwenden. Wo man sich als Projektleiter in der Unternehmensrealität bereits dann glücklich schätzen könne, ein Projektteam zeitnah mit adäquaten personellen Ressourcen zu besetzen. Und man in der Konkurrenz von „Linie“ zu „Projekt“ beinahe gezwungen sei, das zu nehmen, was man an personellen Ressourcen überhaupt bekommen könne. Schauen wir uns die Realität an: In Unternehmen nimmt der Anteil von Arbeit in Projekten gegenüber der in der Linie stetig zu. Oftmals existieren mehrere komplexe Veränderungsprojekte parallel. Jedes Transformationsprojekt benötigt ein Projekt team, das innerhalb kurzer Zeit das Projekt strukturieren, pla nen und zielgerichtet steuern wird. Das Aufstellen eines fachlich adäquaten Projektteams ist für sich allein bereits eine Herkules aufgabe, wenn es um die strategische Neuausrichtung eines Un ternehmens, großformatige IT-Konsolidierungs-, Outsourcingoder Reorganisationsprojekte geht. Gleichzeitig besteht jedes Projekt für sich aus einer Vielzahl an Projektmitarbeitern. Und einer Vielfalt an fachlichem Erfahrungshintergrund, Erfahrung mit Veränderungsprozessen, Projektmanagement-Kompetenz, (inter-) kultureller Background, Persönlichkeit und indivi duellen Interessen. Projektleiter erleben in der ersten Phase komplexer Transformationsprojekte eine Herausforderung: aus einer Vielfalt von Projektmitarbeitern – einem gefühlten Sack Flöhe – in kürzester Zeit eine Projektmannschaft zu bilden. Ein Team, das nicht nur Ziele, Aufgabenstellung und Vorgehen des Projektes versteht und intern abbildet, sondern ein Team, das zudem den „Geist“ der angestrebten Veränderung in sich trägt. Es gilt, die Vielfalt des Projektteams und eine gewünschte Einheitlichkeit sorgfältig auszubalancieren. Ist es also Luxus, eine Corporate Project Identity anzustreben? Unsere eindeutige Antwort: nein. Solange die Mehrzahl von Projekten eher an den „weichen“ Faktoren als an den Faktoren Budget, Qualität und Zeit scheitern, gilt das Augenmerk auch den Erfolgsfaktoren, die über das klassische 1 x 1 des Projektma nagements hinausgehen. An dieser Stelle gleichzeitig eine Klar stellung: Soft Skills und Corporate Project Identity kitten keine handwerklichen Mängel im Projekt. Sind Ziele und Ergebnisse des Projekt nicht eindeutig definiert, liegen Mängel im Aufbau der Projektorganisation vor, und fehlt der Projektplanung ein eindeutiges Vorgehen, dann werden es alle noch so intensiv be triebenen Maßnahmen zur Herstellung einer einheitlichen Pro jektidentität nicht richten können. Welchen Veränderungsprozess ein gerade erst zusammengestell tes Projektteam zu leisten hat, um einerseits intern im Projekt geschlossen für die Veränderungsziele zu stehen und anderer seits eine eindeutige Außenwirkung zu erzielen, wird oftmals unterschätzt. Das übliche Projekt-Kickoff-Meeting sorgt gleich zu Beginn dafür, dass die Projektmitglieder Ziele, Struktur und Kernelemente des Projektes – auch die einer Zusammenarbeits kultur – erfassen. Über Teambildungsmaßnahmen lernen sich die Projektmitglieder näher kennen. Es entsteht bei aller Un terschiedlichkeit tatsächlich so etwas wie ein Wir-Gefühl. Ein Wir-Gefühl, dessen Haltbarkeitsdatum – so die Hoffnung des Projektleiters – mit dem Datum des Projektendes identisch sein möge. Und dann? Schulter. Ein junger Mitarbeiter fragt ihn im Aufzug, ob er in der nächsten Projektphase mit an Bord kommen könne. Seine Kollegin, die seit Beginn in diesem spannenden Projekt sei, schwärme ja direkt von diesem Restrukturierungsprojekt. Im neunten Obergeschoss angekommen, tönt das Aufzugssignal. Jedoch ganz anders als sonst. Der Wecker zeigt 06:15 Uhr. Alles nur geträumt! 45 Detecon Management Report • 2 / 2011 Organization Es beginnt der Projektalltag und damit verbunden nicht selten der ein oder andere Grabenkampf. Schließlich lässt sich die Gemengelage von mit in das Projekt gebrachten Interessen aus der Linie oder externen Dienstleistern, heterogenen Kulturen und unterschiedlichem Erfahrungsgrad im Projektmanagement nicht einfach durch Briefing-Meetings und ein paar Teamspie len zu Projektbeginn herbeizaubern. Lässt man zehn Projekt mitglieder aus unterschiedlichen Teilprojekten nach einigen Wochen schildern, für was das Projekt steht, was die gemein same Stoßrichtung ist und wie nach ihrer Sicht das Projekt im Unternehmen wahrgenommen wird, so wird es nicht weniger als zehn unterschiedliche Antworten geben. Ein unbeteiligter Dritter hätte zudem das dumpfe Gefühl, dass es sich keineswegs um das gleiche Projekt handelt, von dem berichtet wird. Dem Projekt Persönlichkeit geben: Corporate Project Identity. Hier sind die Grenzen der sogenannten Diversity erreicht. Eine Vielfalt, die zu Lasten eines tragfähigen, ganzheitlichen Selbst verständnisses und überzeugenden Images geht, schadet dem Projekterfolg. Vielfalt im Projekt muss durchgängig und dauer haft gemanaged werden. Corporate Project Identity ist dabei keinesfalls mit Gleichmacherei zu verwechseln. Ziel ist vielmehr der erfolgreiche Umgang mit den vielfältigen Interessen, Erfah rungen und Persönlichkeiten bei gleichzeitiger Sicherstellung einer profilierten Projektidentität. Was also tun, um diese Identität für das Projekt zu schaffen? Wir unterscheiden in Maßnahmen, die auf die Herstellung einer projektinternen Identität zielen, und solche, die eine eindeu tige Außenwirkung verfolgen. Ziel projektinterner Identität ist ein klar strukturiertes und einheitliches Selbstverständnis aller Beteiligten als Voraussetzung für effektive und reibungsarme Projektarbeit. Dies erreichen Maßnahmen, die die Vielfältigkeit im Projekt gezielt steuern: Maßnahmen, die Orientierung im Projekt schaffen, die auf die Integration von Persönlichkeiten mit ihren Stärken fokussieren und eine von den Projektzielen abgeleitete Projektkultur gestaltet. Die so geschaffene identitäts fördernde Innenwirkung bildet den Nukleus für die Corporate Project Identity. Sie wird ergänzt um die aus dem Corporate Identity- und Markenmanagement entlehnten Maßnahmen zur Bildung von Projektdesign, -kommunikation und -verhalten. Sie ver folgen ein über die Projektgrenzen hinweg, also im gesamten Unternehmen sowie außerhalb der Unternehmensgrenzen, einheitliches und glaubhaftes Projektimage. Unter dem Aspekt der Bedeutung von Veränderungsprojekten als Treiber für die Unternehmenszukunft kommt dieser in der Außenwirkung an gestrebten Wirkung eine besondere Rolle zu. Die Herstellung von Glaubwürdigkeit und Vertrauen in die mit dem Projekt ver folgten Unternehmensziele in der Öffentlichkeit ist gleichsam der Lackmustest für die über Pressemeldungen herausgegebenen Informationen zur künftigen Ausrichtung des Unternehmens. Wo laufen sie denn? Orientierung schaffen. Vielfach sind Projektziele in der Programmpräsentation be schrieben. Und auch an Hintergrundinformationen zur Aus gangslage – dem eigentlichen Grund für das Programm – fehlt Abbildung: Elemente der Corporate Project Identity porate Cor Project Iden tity Verhalten m mu nik ation er u Orient i Detecon Management Report • 2 / 2011 Projektkultur 46 i gn Des Quelle: Detecon Steuerung von Vielfalt im Projekt ation egr nt I ng Ko Was bin ich? Und wenn ja, wie viele? es nicht. Dennoch verwenden wir oftmals in Programmpräsen tationen deutlich weniger Energie auf die eindeutige und ver ständliche Beschreibung des „Warum“ und „Wozu“ als vielmehr auf das „Wie“ und „Wann“. Dabei ist es für eine durchgängig an den Programmzielen orientierte Projektarbeit notwendig, dass alle Projektmitglieder – interne wie Mitarbeiter externer Dienst leister – Anlass und Ziele des Projektes im Unternehmens- und Marktkontext verinnerlicht haben. Versteht man Projektmitar beiter als Verkäufer des Projektes nach innen und außen, wird schnell klar, dass sie hierzu ein homogenes Verständnis der Ziele des Vorhabens benötigen. So genannte „Onboarding-Packages“ sorgen hier für einen schnellen Überblick. Diese Informations-Pakete mit allen Informationen rund um das Projekt bestehen aus den wesentliche Unterlagen aus dem Projekt Setup: P räsentation zur Projekt- Story und den Zielen, Projektorganigramm, Workstream Charter, Projektplan, Informationsflusskonzept, Meetingstrukturplan und der Kontaktliste. In OnboardingMeetings geben Vertreter der Projektleitung, des Programm Management Office und der Workstreams neuen Mitarbeitern nicht nur einen Überblick, sondern gehen insbesondere auf die „weichen“ Themen ein, deren Verständnis ein Schlüssel zum Projekterfolg ist: Wer sind die wichtigsten Stakeholder? Wie ist der (unternehmens-) kulturelle Kontext, in dem sich das Pro jekt bewegt? Wie ist die Projektkultur? Was sind „ungeschrie bene“ Projektgesetze? Es bietet sich an, Onboarding-Meetings nach zeitlichen und herkunftsspezifischen Gesichtspunkten durchzuführen. Letzteres trifft insbesondere dann zu, wenn die Gruppe der externen Dienstleister wie Lieferanten, Berater und Freelancer und damit die Heterogenität der mitarbeitenden Projektmitarbeiter hoch ist. Die Investition in diese „interkulturellen Projekttrainings“ zu Beginn der Projektarbeit ist sinnvoll, um die Mitarbeiter für die Besonderheiten des Projektes zu sensibilisieren und nicht nur fachlich vorzubereiten. So erhalten die Durchführenden einen ersten Eindruck über das Ausmaß der Vielfalt und He terogenität der mit in das Projekt gebrachten Erfahrungen und Interessen. Und haben so einen ersten Indikator über den not wendigen Integrationsaufwand, der über die nächsten Wochen hinweg und verbunden mit jeder neuen Gruppe, die zum Pro jekt hinzu stößt, zu leisten ist. Ich bin ich und Du bist Du. Integration forcieren. „Zusammenkunft ist ein Anfang. Zusammenhalt ist ein Fort schritt. Zusammenarbeit ist ein Erfolg.“ Henry Ford, von dem diese Erkenntnis stammt, scheint sich schon damals der Heraus forderung einer gelungenen Zusammenarbeit und Integration bewusst gewesen zu sein. In Projektteams lässt sich nicht nur in der ersten Projektphase ein oftmals erhöhtes Maß an Abstim mungsproblemen und Missverständnissen, ein zeitweilig unab gestimmtes Vorgehen zwischen den Teammitgliedern und ein unterschiedlich verstandenes – obwohl gemeinsam vereinbartes – Arbeitsziel und Ergebnisverständnis aller Projektbeteiligten feststellen. Dagegen steht die Erwartung des Projektleiters, mit der Definition der Ziele, Aufgaben, Aufgabenpakete und Zutei lung auf die Projektmitglieder und einem intensiven Kickoff Workshop verbunden mit Teambildung stünde der produktiven Teamarbeit nichts mehr im Wege. Immerhin verbringe ein Mit arbeiter heutzutage phasenweise oder dauerhaft einen hohen Anteil ihrer Arbeitszeit in Projekten. Und sei damit den Wechsel zwischen der Arbeit im Stammteam und in wechselnden Pro jektteams ja wohl gewohnt, so seine Einschätzung Selbst in Zeiten virtueller und häufig wechselnder Teams und vermeintlich etablierter Virtualität haben die Theorien zur Gruppenbildung nicht ausgedient. Ganz im Gegenteil: Dort, wo Menschen in kurzen Intervallen und unter zeitlicher und persönlicher Anspannung immer wieder neu ihren Platz in im mer anderen (Projekt-) Gruppen finden müssen, bedarf es der Fokussierung auf die Methoden einer gelingenden Integration. Mängel in der Teamintegration sind bei virtuellen im Gegensatz zu örtlich konzentrierten Teams entweder kaum oder sehr spät spürbar. Entscheidend für den Projektleiter ist, sich mit Pro jektstart den Erfolgsfaktoren für eine gelingende Integration be wusst zu sein. Dies trifft um ein mehrfaches zu, erstreckt sich die virtuelle Zusammenarbeit über kulturelle und Unternehmens grenzen hinweg und handelt es sich um Teammitglieder, die erst in späteren Projektphasen in das Projekt treten. Ebenso wie eine Person in der Regelorganisation mit seiner Kompetenz, Persönlichkeit, Stärken und Schwächen sowie Rol le und Aufgabe seinen individuellen Platz im Team findet, ist dies für das Projektteam notwendig. Teil einer arbeitsfähigen und nachhaltig erfolgreich arbeitenden Projektgruppe zu wer den, seine Position im Team zu finden und auszugestalten ist je doch oftmals weit anspruchsvoller. Zeitdruck, ein Konglomerat von Interessenlagen der anderen Projektmitglieder, der Fokus auf fachliche Kompetenz und Erfahrungswissen fordern nicht nur von den Projektbeteiligten ein gehöriges Maß an Integra tionsfähigkeit, sondern bedürfen einer effektiven Teambildung und -führung. Das trifft besonders dann zu, wenn die Stellung eines Mitarbeiters in der Hierarchie im „Stamm-Team“ deutlich von der Rolle im Projekt abweicht. 47 Detecon Management Report • 2 / 2011 Organization Persönliches und funktionales Vertrauen in die Teammitglieder benötigt Zeit und Raum für Orientierung. Die wichtigsten Pro jektaufgaben sollten nicht direkt an den Anfang gelegt werden, wenn sich das Projektteam noch in der Findungsphase befindet. Die Projektmitglieder benötigen ausreichend Zeit, Projektziele, Aufgaben, Arbeitsweise sowie das Projektumfeld zu verstehen. Rekrutieren sich die Teammitglieder aus verschiedenen Un ternehmensbereichen und externen Beratungsgesellschaften, empfiehlt sich für den Projektleiter eine ausschließlich die Teammitglieder beinhaltende Stakeholderanalyse. Diese macht beobachtete oder erwartete Einstellungen der Projektmitglieder zum Projekt und Einfluss auf das Projekt transparent. Sie zeigt auf, welche Teammitglieder als Integrationstreiber fungieren und in dieser Rolle zu stärken sind. Sie macht ebenso deutlich, welche Personen die Teamperformance durch ihre Einstellung und ihr Verhalten möglicherweise behindern. Wird man sich der Kräfteverhältnisse im Team auf diese Weise bereits zu Pro jektbeginn bewusst, fällt die Konzentration auf die wirklich re levanten Teambildungsmaßnahmen und Fokussierung auf die für den Projekterfolg wesentlichen Stakeholder leichter. sich nicht herstellen, sondern entwickelt sich gesteuert. Rechnet man für die Entwicklung einer Unternehmenskultur in Jahren, wäre für Projekte mit einer Dauer von mehreren Monaten ein Zeitraffer erforderlich. Umso wichtiger, sich als Projektleiter dieser Herausforderung mit einer guten Portion Realismus zu stellen: Abhängig von der Zielstellung des Projektes gilt es, auf die kulturtreibenden Faktoren zu fokussieren, die die Qualität der Zusammenarbeit und das Projektergebnis direkt beeinflus sen. Und so die Vielzahl der bisherigen Verhaltensweisen und Sub-Kulturen, die die Projektmitglieder mit in das Projekt brin gen, zu einer homogenen Projektkultur zu gestalten. Versteht man kulturgestaltende Elemente als Teil des Projektmanage ments lassen sich diese Elemente in Kickoff-Workshops und Projektmeetings integrieren. Da Kultur gelebte Verhaltenswei sen sind, bedarf es der Reflektion und Überprüfung. Wo wir uns – Projektkulturell gesehen – im Zeitraffer befinden, bieten sich „Kultur-Boxen-Stopps“ alle paar Wochen an, in denen bis dahin bewährte und weniger hilfreiche Vereinbarungen zu Verhaltens weisen kritisch beleuchtet und gegebenenfalls neu vereinbart oder fallengelassen werden. Wie ticken wir denn? Eine Projektkultur gestalten. Image-Fit in der Außenwahrnehmung Projektkultur sei ja wohl eher etwas für Schönwetter-Zeiten, so kürzlich der Kommentar eines gestandenen und mit allen Was sern gewaschenen Projektleiters am Rande einer Tagung zum Multiprojektmanagement. Aber gibt es das überhaupt - die Ab wesenheit von Kultur? Wohl kaum, denn Menschen prägen eine Kultur, und jedem Projekt eilt ein Ruf voraus. Auf den Punkt gebracht: So wie Unternehmen eine spezifische Kultur haben, hat auch ein „Unternehmen im Unternehmen“ – das Projekt – eine eigene Projektkultur. Diese ist bei internen Projekten und einer überwiegend bis kompletten Besetzung durch Unterneh mensmitarbeiter der Kultur des Unternehmens ähnlich. Anders verhält es sich bei Projekten mit externem Bezug und/oder einer hohen Anzahl an nicht aus dem Unternehmen stammenden Projektmitarbeitern. Hier weichen die sichtbaren Symptome der spezifischen Projektkultur wie beispielsweise Art und Weise der Kommunikation und Zusammenarbeit, Leistungsbereit schaft, Umgang mit Fehlern und Konfliktverhalten in der Regel deutlich wahrnehmbar ab von Symptomen der Kultur des Un ternehmens, in der das Projekt abgewickelt wird. Im Marketing spricht man von erfolgreichen Marken als gehal tenen Versprechen. Übertragen auf ein Projekt bedeutet dies: der Erfolg bemisst sich aus den erreichten Projektzielen, ein gehaltenen Budget-, Zeit- und Qualitätsmaßgaben. Aber ist es das, was einem Betrachter von außen als erstes einfällt, wenn er von einem bestimmten Projekt hört? Ist es nicht in gleichem Maße das Image, das sich bei einem Außenstehenden durch die Kommunikation, die Berichte von Projektmitarbeitern und Stakeholdern bildet? Durch den Auftritt eines Projektes im Fir menintranet, in Projekt-Newslettern und auf Kongressen? Die Glaubwürdigkeit, die ein Projekt ausstrahlt, muss sich daran messen lassen, dass Außenstehende die Frage „Glaube ich, dass das Projekt das ist, was es verfolgt und darstellt?“ mit einem eindeutigen „Ja“ beantworten. Es geht um die Verankerung der Projektidentität außerhalb der eigenen Grenzen - im gesamten Unternehmen. Eine eigenständige Projektkultur erzeugt Identität nach innen und Image nach außen. Eine als positiv erlebte Projektkultur vereinfacht im „War for Talents“ die Besetzung neuer Projekt stellen oder Nachbesetzung im Unternehmen durch motivierte und klassifizierte Mitarbeiter. Im Bewusstsein dieser Wirkung ist es Aufgabe des Projektleiters, eine die Projektziele tragende Projektkultur zu gestalten. Eine, die innen und außen wahr nehmbar werden lässt, wofür dieses Projekt steht. Kultur lässt In einer teilweise unüberschaubaren Anzahl von Projekten und Programmen in Unternehmen gehen die unter, die über keinen ausreichend großen visuellen Wiedererkennungswert verfügen. Unter dem Motto „Das Auge isst mit“ gewährleisten ein ein gängiger Projektname, grafisch einprägsames Projektlogo und visuelle Leitlinien für Präsentationen und Projektveröffentli chungen den einheitlichen optischen Projektauftritt. Dass die Gestaltung von überschneidungsfreien und im internationalen 48 Detecon Management Report • 2 / 2011 Ab in die Maske. Dem Projekt über Corporate Project Design ein Gesicht geben. Was bin ich? Und wenn ja, wie viele? Kontext problemfreien Projektkommunikationsmitteln in die Hände von Profis gehört, versteht sich von selbst. Gleichzeitig muss man der Projektrealität ins Auge sehen: Powerpoint Tem plates, CD-Manual und stringente grafische Vorgaben halten kreativ engagierte Projektmitgliedern von der Entwicklung von Template-Mutationen und Eigengewächsen nicht ab. So ent wickelt jedes Projekt über die Zeit hinweg ein von Kommu nikationsverantwortlichen als reine Anarchie wahrgenommenes Design-Eigenleben. Anstatt den Kampf mit den Windmüh len aufzunehmen, hilft hier nur, sich auf den professionellen Außenauftritt zu fokussieren. Am Anfang stand das Wort. Die gelungene Project Communication. Unzählige Studien belegen, dass Projekte wenn, dann meist an den „weichen“ Faktoren, angeführt von mangelhafter Kom munikation, scheitern. Kommunikation und ein transparenter Informationsfluss sind als Schlüssel zum Projekterfolg zu verste hen. Wer „Projektkommunikation“ in seiner Projektrollenbe schreibung stehen hat, mag sich ob dieser Aufwertung der nicht selten nachsichtig belächelten Projektaufgabe als Schaltstelle im Projekt wähnen. Endlich wird den Kommunikationsbedürfnis sen, die im Zeitalter des Web 2.0 eine völlig neue partizipative Dimension gewinnen, ausreichend Rechnung getragen, möchte man meinen. Corporate Project Communication zeichnet sich dadurch aus, dass sie im Projekt Orientierung bietet und Maßstäbe für Ko operation und Zusammenarbeit setzt. Die Projektrealität zeigt, dass in der Wahrnehmung von Projektauftraggeber, Sponsoren und Mitgliedern der Projektleitung ihr Anteil an der Pro jektkommunikation Kommunikation deutlich höher zu sein scheint, als er von Projektmitgliedern als notwendig eingestuft wird. Erleben sich Mitglieder der Projektführung das scheinbar immer Gleiche mantrahaft kommunizierend, bemängeln Pro jektmitglieder die nicht ausreichende Informationsdichte und -frequenz. Dieses gefühlte Missverhältnis hat oftmals ihren Ur sprung in den unterschiedlichen Phase, in der sich die beiden Parteien befinden: ist die Projektleitung, bereits seit Wochen und Monaten ununterbrochen mit der Projektplanung beschäf tigt befinden sich Projektmitglieder gerade mal am Projektstart in der Orientierungsphase. Missverständnisse sind – potenziert im Falle von Parteien aus verschiedenen Unternehmen, Dienst leistern, Beratern und Kulturen – vorprogrammiert. Die intelligente Nutzung von Social Media im Projektmanage ment trägt dazu bei, Kommunikationsprozesse im Projekt zu unterstützen und zu intensivieren. Tragfähige und verbindliche Zusammenarbeit erfordert heute jedoch immer noch einen ho hen Anteil an persönlicher Projektkommunikation im Dialog. Man kann nicht „überkommunizieren“. Diese Projektweisheit hat an Wert nicht verloren und gewinnt in Projekten mit einer Vielfalt an Kulturen, Erfahrungshintergründen und Herkünf ten ihrer Projektmitarbeiter umso mehr an Bedeutung. Benimm Dich! Corporate Project Behaviour als Visitenkarte des Projektes. Jede Person im Projekt repräsentiert das Projekt nach außen – sei es positiv oder negativ. Eine positive Wahrnehmung entsteht durch eine Projektkultur, deren Werte den Zielen des Projektes entsprechen. Diese Werte werden im Team zum Beispiel über die Definition von Spielregeln entwickelt. Das Projektverhal ten muss schlüssig und stimmig sein, damit es seine Glaub würdigkeit nicht verliert. In der Praxis oft eine Gratwande rung: Wie ehrlich meint es der Vorstand als Auftraggeber eines globalen Kostenoptimierungsprojektes, wenn es für sein über 100-köpfiges Projektteam zu Projektbeginn ein zweitägiges Teambildungsevent mit Outdoorelementen sponsert, fragt sich manch Außenstehender. Was mag man von einem Projekt zur Steigerung der Serviceorientierung halten, bei dem Mails in nicht selten barschem Umgangston und einer Reaktionszeit von Tagen in der Kommunikation zwischen den Projektmitglie dern die Regel sind? Corporate Project Behaviour als klassische Projektführungsaufgabe stellt eine der großen Herausforderung im Projekt dar. Als Teil des Systems „Projekt“ neigt auch der erfahrenste Projektmanager zu einem gewissen Grad zur Be triebsblindheit und erkennt projektkulturelle Abweichungen nicht mehr auf Anhieb. Sich dessen bewusst zu sein, immer wieder ganz bewusst das Thema Projektkultur und -verhalten an den vereinbarten Werten zu spiegeln, sollte regelmäßig auf der Agenda stehen. Das beste Korrektiv sind jedoch Vertraute, die die Außenwirkung in den „inner circle“ des Projektes tragen. Und so dazu beitragen, dass Fremd- und Selbstbild des Projektes immer wieder kritisch hinterfragt wird. Erst wenn alle Elemente der Corporate Project Identity wirklich ineinander greifen, entsteht eine schlüssige und tragfähige Ein heit. Eine, die die Individualität der Projektmitarbeiter und ihre Erfahrungen geschickt einsetzt. Eine, die dem Projekt im besten Fall Einzigartigkeit verleiht. Claudia Skrobol arbeitet seit 2007 als Senior Consultant im Bereich Trans formation Management mit den Schwerpunkten Business Transformation, Change Management und Programm- und Projektmanagement. Sie verfügt über langjährige Erfahrung als Führungskraft und Projektleiterin für Reorga nisations-, Post Merger Integration- und Kulturentwicklungs-Projekte im Tele kommunikationssektor. In der Beratung verbindet sie ihre Praxis-Expertise mit dem Ansatz der systemischen Beratung. Claudia.Skrobol@detecon.com 49 Detecon Management Report • 2 / 2011 Technology Dr. Nico Albrecht, Dr. Susanne Sonntag Vielfalt hat Zukunft Kooperationen von IT-Dienstleistern erfolgreich steuern Die kooperative Erstellung von IT-Dienst leistungen erlaubt eine Optimierung der IT- Kosten unter Berücksichtigung der Gegenläufigkeit von Economies of S cale und Koordinationskosten. Sie stellt die Beteiligten jedoch vor große organisatorische Herausforderungen. Wir beleuchten die Möglichkeiten für Kunden, diese Risiken zu minimieren. 50 Detecon Management Report • 2 / 2011 Vielfalt hat Zukunft T-Dienstleistungen nehmen einen bedeutenden Anteil des IUmsatzes ein, der mit Dienstleistungen allgemein erwirtschaftet wird. In jüngerer Zeit erfreut sich der Fremdbezug solcher ITServices steigender Beliebtheit, etwa durch IT-Outsourcing oder als zusätzliche Leistungen, die durch andere Organisationen bereitgestellt werden. Aus Sicht eines Kunden, der IT-Dienst leistungen nachfragt, ist ein unkoordiniertes Sourcing von Ser vices von spezialisierten Anbietern wenig sinnvoll, da vielfach Interdependenzen zwischen einzelnen Services vorhanden sind. Zudem ist eine Modularisierung von IT-Dienstleistungen nicht ohne Weiteres durchführbar. Aus Kundensicht sind demnach ganzheitliche Lösungen gefragt. Diese lassen sich entweder durch Leistungsbezug von einem einzelnen Anbieter oder aber durch ein koordiniertes Sourcing durch unterschiedliche Dienstleister umsetzen. Erstgenannte Variante birgt für den Kunden das Risiko, teilweise suboptimale oder vergleichsweise teure Leistungen zu erhalten, da eine je weils kostenoptimale Lösung zu gewünschten Servicequalitäten nicht unbedingt von einem Einzelanbieter gewährleistet werden kann. Ein Multi-Provider Management andererseits, ob geführt durch einen Generalunternehmer oder direkt durch den Kun den, birgt das Risiko von Leistungs- und Kommunikationsfrik tionen zwischen den Anbietern. Technische und organisationale Standardisierungsoptionen ermöglichen Kostenvorteile Grundsätzlich kann ein Fremdbezug von IT-Dienstleistungen aus der Perspektive des Kunden nur dann sinnvoll sein, wenn sich hierdurch Kostenvorteile erzielen lassen. Diese Vorteile beruhen in der Regel darauf, dass mit der externen Leistungs erstellung Größeneffekte und Standardisierungspotenziale des Dienstleisters im Vergleich mit einer Eigenfertigung des Kun den verbunden sind. Mit Blick auf ihre Standardisierbarkeit und damit auf Vor handensein und Höhe von Kostensenkungsmöglichkeiten ist zwischen technischen und organisationalen Standardisierungs potenzialen zu unterscheiden. Technische Standardisierungs optionen sind wesentlich mit Art und Beschaffenheit der zu erbringenden Leistung verbunden; organisatorische Standardi sierungsmöglichkeiten hängen jedoch stark von den Kunden anforderungen und den Freiheitsgraden des Providers ab. So verspricht aus Sicht eines Providers der Betrieb eines großen Rechenzentrums, in dem Systeme von unterschiedlichen Kun den gehostet werden, große Economies of Scale. Stark organi sationsspezifische Anforderungen jedes einzelnen Kunden, bei spielsweise in Form unterschiedlicher Service Level Agreements, vermindern jedoch die Realisierung dieser Optimierungspoten ziale. Mit Blick auf ihre technischen Standardisierungspotenziale un terscheidet man Infrastrukturdienstleistungen, Softwaredienst leistungen und Wissensdienstleistungen. Infrastrukturdienst leistungen sind operative Services, die tendenziell einfach zu standardisieren sind. Hierzu zählen etwa das Management von LAN/WAN/VoIP/Mobile Netzwerken, von Druckleistungen oder von Housing-Systemen. Zu Softwaredienstleistungen zählen Application Management beziehungsweise Application Operation von Backendsystemen, Middlewarekomponenten und Clientapplikationen. Diese Leistungen sind in der Regel kundenspezifischer und erfordern häufig ein höheres Maß an fachlichem und organisationsindivi duellem Wissen. Für Wissensdienstleistungen lassen sich die geringsten Stan dardisierungspotenziale identifizieren, da diese häufig als in dividuelle Projekte umgesetzt werden. Deshalb sind zwar standardisierte Vorgehensweisen in Form von Projektmanage 51 Detecon Management Report • 2 / 2011 Technology mentmethoden wie Prince2 oder PMI empfehlenswert, die Methoden müssen jedoch auf die individuellen Rahmenbedin gungen und Kundeninteressen angepasst werden. Als Beispiele für typische Wissensdienstleistungen seien Beratungs-, Quali tätssicherungs- oder Due Diligence-Projekte genannt. Für einzelne IT-Service Provider ist es schwierig, die gesamte Palette an Dienstleistungen flexibel, kosteneffizient und damit zu vertretbaren Preisen anzubieten. Aus Anbietersicht verspricht daher eine Spezialisierung auf einzelne Leistungen die größt mögliche Realisierung von Optimierungspotenzialen. Dies kann beispielsweise daraus resultieren, dass die Organisationen, die sich auf Nischenprodukte oder -systeme konzentrieren, ein hohes Maß an spezifischem Wissen generieren. Ebenso sind neben Dienstleistern, die sich in fachlicher Hinsicht spezialisiert haben, Anbieter gefragt, die ein hohes Maß an Erfahrung in be stimmten Branchen oder einzelnen Organisationen aufweisen. Für das Management und den Betrieb von organisationsfremd erstellten IT-Dienstleistungen empfiehlt sich demnach ein Team von Fach- und Organisationsspezialisten, deren Leistungserstel lung aus ganzheitlicher Sicht koordiniert wird. Bestimmung der optimalen Anzahl an Providern Dabei ist zu beachten, dass mit einer großen Anzahl an Pro vidern der Koordinationsaufwand in der Regel exponentiell steigt. Je besser sich jedoch unterschiedliche Anbieter auf jeweils eine Aufgabe oder eine Branche spezialisiert haben, desto ge ringer sind die Projekteinzelkosten dieser Anbieter im Vergleich zu einem Generalisten. Unter der Prämisse, dass mit einer stei genden Anzahl an Providern der Spezialisierungsgrad propor tional steigt, ergeben sich also gegenläufige Kostenkurven der Koordination und der Projekteinzelkosten. Aus der Summe der einzelnen Verläufe lässt sich ein Minimum der Gesamtkosten ermitteln, bei dem aus finanzieller Sicht die optimale Anzahl der Provider vorliegt. Eine vollumfängliche und detailreiche Planung umfassender IT-Projekte ist jedoch durch die zahlreichen Leistungs- und Wirkungsbeziehungen aus Komplexitätsgründen schwierig. Vielfach werden deshalb im Sinne eines hierarchischen Pla nungsansatzes eher große Projektentwürfe erarbeitet und die Detaillierung durch Teilprojektverantwortliche ausgearbeitet. Abbildung 1: Auswirkung der Provideranzahl auf Projekteinzel- und Koordinationskosten € Gesamtkosten Koordinationskosten Projekteinzelkosten Anzahl Provider Spezialisierungsgrad Optimale Anzahl Provider und optimaler Spezialisierungdgrad Quelle: Detecon 52 Detecon Management Report • 2 / 2011 Vielfalt hat Zukunft Daher ist ein flexibles Zusammenspiel unterschiedlicher Spezia listen im Rahmen eines hinreichend genau umrissenen Zielkor ridors erforderlich. Kooperationen erscheinen hierfür als guter Kompromiss aus Flexibilität und ganzheitlicher Lösungskom petenz. Durch die häufig mittelfristige Orientierung von IT-Projekten beziehungsweise Outsourcingverträgen ermöglicht eine weder zu lockere noch zu feste Bindung an Leistungserbringer kurz fristige Anpassungen in der Besetzung der Beteiligten. Initial ist zunächst der grundsätzliche organisatorische Aufbau im Zu sammenspiel mit den Eigenschaften der einzelnen Partner zu planen und später bei Bedarf zu überprüfen. Folgende Fragen sollten bei der Ermittlung der relevanten Eigenschaften der Be teiligten berücksichtigt werden: • Welche Services können von welchem Partner kostenoptimal bereitgestellt werden? • Welches Machtverhältnis besteht zwischen den einzelnen Partnern? • Der Einbezug welcher Anbieter ist unverzichtbar – etwa auf grund von Kompetenzen, die kein anderer Dienstleister zu vertretbaren Konditionen anbietet? • Gab es in der Vergangenheit Kooperationen zwischen diesen Anbietern? Auf der Basis dieser Überlegungen sind durch ein Programm management die Verantwortlichkeiten für den Aufbau und die Gestaltung der Kooperationsbeziehungen klar zu definieren. Dieses Gremium besteht optimalerweise aus Kundenvertre tern und unabhängigen Spezialisten für das Management von Kooperationen. Es verantwortet die Benennung der konkreten Aufgabengebiete sowie der dafür zu beauftragenden Dienst leister. Insbesondere ist auf dieser Ebene sicherzustellen, dass sämtliche angeforderten Aufgabengebiete abgedeckt sind und keine Fehl- oder Doppelleistungen entstehen. Programmanagement übernimmt Gestaltungsaufgabe Gestaltungsalternativen des Programmmanagements bestehen zunächst in der eigenverantwortlichen Steuerung des Zusam menspiels sämtlicher Dienstleister durch den Kunden (MultiProvider-Management) oder in der Beauftragung eines Gene ralunternehmers, der weitere Subkontraktoren steuert. Das Programmmanagement sollte sich jedoch auch bei der Wahl eines Generalunternehmers ein Mitspracherecht bezüglich der Beauftragung von Subunternehmen vorbehalten, um eine über greifende Sichtweise auf die gegebenen Herausforderungen zu gewährleisten. Des Weiteren besteht die Möglichkeit, Verantwortungen detail lierter zu definieren. In einem Fall möchte der Kunde bei Wis sensdienstleistungen die Verantwortung für alle Dienstleister selber übernehmen, während er Infrastrukturdienstleistungen an einen Generalunternehmer outsourct. In einem anderen Fall entscheidet sich der Kunde dafür, das Providermanagement wäh rend der Architekturplanung selbst zu verantworten, der Betrieb soll jedoch unter Verantwortung einer einzelnen Organisation im Sinne eines Single Point of Contact für den Kunden stehen. Darüber hinaus können Mischformen definiert werden, indem der Kunde beispielsweise fachliche Details des Solution Designs mit jedem einzelnen Lieferanten direkt erarbeiten möchte, ob wohl aus kommerzieller Sicht eine Generalunternehmerschaft vereinbart wurde. Das Ergebnis dieser Überlegung besteht in der fachlich und zeitlich abgestimmten Zuordnung von Aufga ben zu Providern. Zur weiteren Detaillierung empfiehlt sich die Erarbeitung einer RACI-Matrix, in der auf einer generischen Ebene für planende und operative Prozesse festgehalten wird, welche Organisation für die fachliche Ausführung (Responsible) und welche für die Kostenträgerschaft (Accountable) verantwortlich ist und wel che Organisationen konsultiert (Consulted) beziehungsweise informiert (Informed) werden soll. Insbesondere die Quellen des fachlichen und organisationalen Wissens sind hierdurch für jeden Beteiligten klar erkenntlich. Kooperationsbeziehungen lassen sich in Lebenszyklusphasen betrachten Im Gegensatz zum Programmmanagement, dessen Zusammen setzung über eine längere Laufzeit konstant sein sollte, kann es sinnvoll sein, die Beauftragung der für die detaillierte Planung beziehungsweise den Betrieb der IT-Services verantwortlichen Organisationen zeitlich zu befristen. Aus diesem Grund sollten 53 Detecon Management Report • 2 / 2011 Technology die Aufgaben im Sinne eines Lebenszyklus verstanden werden, dessen Phasen jeweils unterschiedliche Vorgehensweisen bedingen. Für Kooperationsbeziehungen sind die Lebenszyklusphasen Initiierung, Betrieb, Reorganisation und Auflösung zu betrachten. ment gefragt, das weitere Vorgehen beziehungsweise die künftige Zusammensetzung und Aufgabenverteilung der Provider aus Gesamtsicht zu definieren. Diese sind wiederum mit der detaillierten Ausgestaltung der Vorgaben betreut. Ist absehbar, dass die Ziele der Kooperation erreicht werden, auch in einer anderen Zusammensetzung nicht mehr erreichbar sind oder sollten sonstige Gründe für eine Auflösung der Beziehungen sprechen, ist die Auflösungsphase einzuleiten. Dabei sind durch das Programmmanagement, je nach künftigen Aufgabenstellungen, Prozesse und Vertrags- beziehungsweise Betriebsdokumente für Externe verständlich aufzubereiten und die kommerzielle Entflechtung durchzuführen. Während der Initiierungsphase stehen zunächst Aspekte der Erarbeitung einer auf die Vorgaben des Programmmanagements aufbauenden Organisations- und Prozessgestaltung im Vordergrund. Daraus ist eine detaillierte Festlegung von Verantwortlichkeiten und Kommunikationsaspekten abzuleiten. Die Betriebsphase konzentriert sich auf die Durchführung der vorher festgelegten Aufgaben und auf deren Controlling sowie auf die stetige Durchführung von Prozessoptimierungen. Hierbei ist laufend zu prüfen, ob entweder gravierende Abweichungen von der ursprünglichen Planung oder das Eintreten zentraler, bei der Planung bereits berücksichtigter Aspekte eine Neuplanung oder einen Wechsel im organisationalen Verantwortlichkeitsgefüge erfordern. Ganzheitliche Betrachtung der kooperativen Leistungserstellung schafft Transparenz Für eine möglichst ganzheitliche Betrachtung der kooperativen Leistungserstellung sind zudem – ähnlich einer Balanced Scorecard – in jeder Phase die finanzielle und die hierarchisch- organisationale Ebene sowie die Daten- und Leistungsebene zu berücksichtigen. Für jede Ebene sind Messkriterien für die dafür jeweils vereinbarten Aspekte festzulegen. Analog zur Initiierungsphase ist in diesen Fällen im Rahmen einer Reorganisationsphase zunächst das Programmmanage Abbildung 2: Gestaltungsrahmen des Programm- und Projektmanagements Generalunternehmer Gestaltungsrahmen des Projektmanagements Auflösung Reorganisation Betrieb Initiierung n io Detecon Management Report • 2 / 2011 t sa 54 n ze an Quelle: Detecon i an n Fi Gestaltungsrahmen des Programmmanagements n rg O Mischformen/ Sonstige ge en at D un ist Le Multi-ProviderManagement Vielfalt hat Zukunft Auf finanzieller Ebene sind monetäre Leistungsbeziehungen zu bestimmen und Prozesse des Commercial Managements festzu legen. Organisationale Aspekte beziehen sich hingegen auf die detailliertere Festlegung von Weisungsbefugnissen und Verant wortlichkeiten, die sich aus der übergreifend definierten RACIMatrix ableiten. Die Datenebene befasst sich mit der Vereinba rung von Datenflüssen, die die Qualität der Leistungserbringung dokumentieren. Darunter fallen etwa SLAs, OLAs oder Repor ting-KPIs. Die inhaltliche Definition der Leistungserbringung und der Leistungsverpflichtungen, etwa Beistellungsleistungen des Kunden, wird auf der Leistungsebene vereinbart. Die ganzheitliche Betrachtung sämtlicher Ebenen ermöglicht eine größere Transparenz der Aufbau- und Ablauforganisation für die beteiligten Stakeholder. Aus den Beziehungen zwischen diesen Ebenen und der Interobjektkommunikation lassen sich Grundlagen für die Übernahme oder Neuerstellung von fremd bezogenen Dienstleistungen sowie für deren Betrieb entwickeln. Aus den genannten Aspekten lässt sich die folgende Vorgehens weise ableiten: Zunächst ist durch das Programmmanagement festzulegen, in welcher Phase welche organisationale Konfigura tion mit welchen Providern gewählt wird. In der Abbildung 2 ist dies beispielhaft dargestellt. So wird etwa in der Initiierungs phase ein Multi-Provider-Management und in der Betriebs phase eine Generalunternehmerschaft als sinnvoll erachtet. Das Projektmanagement der Provider konkretisiert im Anschluss daran für jede Aufgabe die Vorgaben des Programmmanage ments für die einzelnen Ebenen. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die kooperative Erstellung von IT-Dienstleistungen eine Optimierung der ITKosten unter Berücksichtigung der Gegenläufigkeit von Eco nomies of Scale und Koordinationskosten erlaubt. Sie stellt die Beteiligten jedoch vor große organisatorische Herausforde rungen. Es wurden unterschiedliche Aspekte der Organisation des Fremdbezugs von IT-Services vorgestellt und diskutiert. Die gewonnenen Erkenntnisse helfen, die Komplexität solcher Pro jekte steuerbar zu machen und damit das Heben der Kosten senkungspotenziale zu ermöglichen. Dr. Nico Albrecht studierte Betriebswirtschaft und promovierte anschließend an der Universität Münster. Seit Oktober 2010 arbeitet er für Detecon in Trans formationsprojekten. Nico.Albrecht@detecon.com Dr. Susanne Sonntag ist seit August 2007 für Detecon tätig. Ihre Beratungs schwerpunkte liegen im IT-Interimsmanagement und Coaching im Bereich Anforderungsmanagement, ICT Controlling und Program Management. Susanne.Sonntag@detecon.com 55 Detecon Management Report • 2 / 2011 Technology Dr. Andreas Schieder, Dr. Arne Chrestin, Burin Itsarachai Viele Wege führen nach Rom Die Migration zur nächsten Generation der Mobilfunknetze Als das Rom der Mobilfunkwelt stellt sich derzeit für viele Mobilfunk netzbetreiber die sogenannte 4. Generation (4G) der Mobilfunknetze dar. Mit den Leistungsversprechen dieser neuen Generation lassen sich Kunden anlocken. Ein Ausweg für den stetig steigenden Hunger nach Übertragungskapazität wird damit ebenfalls in Aussicht gestellt. Kein Wunder also, dass viele Betreiber sich beeilen, den Weg in Richtung 4G zu beschreiten. 56 Detecon Management Report • 2 / 2011 Viele Wege führen nach Rom egibt man sich auf eine Reise, so muss man sich über zwei B Dinge im Klaren sein. Die erste Frage gilt dem Ziel der R eise. Rom ist groß und man verliert sich leicht, wenn man keine genauere Zielvorstellung hat. Überträgt man dies in den tech nischen Kontext der Mobilfunknetze, so heißt das, die am b esten geeignete 4G-Technologie zu identifizieren. Die zweite Frage betrifft den zu wählenden Weg, der für verschiedene R eisende unterschiedlich sein kann. Während einige der Bequemlichkeit oder Sicherheit den Vorzug geben, kommt es für andere nur auf die Schnelligkeit an. Auch für Netzbetreiber gibt es keinen einheitlichen Reiseplan. Abhängig von ihrem Startpunkt und verschiedenen, vom Marktumfeld abhängigen Faktoren sind unterschiedliche Wege möglich, die mehr oder weniger direkt in Rom enden. Wenn wir das Ziel „Rom“ nun als das nonplusultra an Lebens qualität betrachten, so behauptet natürlich jeder gerne von sich, dort bereits angekommen zu sein. Ähnlich verhalten sich im Moment einige Mobilnetzbetreiber bezüglich 4G und es gibt teilweise hitzige Diskussionen, ob es sich tatsächlich um Rom oder doch eher um einen nicht ganz so glamourösen Vorort handelt. Seit 2008 vermarktet der Netzbetreiber Sprint N extel beispielsweise sein drahtloses Breitband-Datenangebot in den USA unter dem Slogan „das erste und einzige drahtlose 4G eines nationalen Betreibers“. Im letzten Jahr zog Sprint Nextels Konkurrent Verizon nach und kündigte für den Dezember „das größte und fortschrittlichste 4G-Netz der Welt“ an. Der Netz betreiber T-Mobile wirbt in den USA seit kurzem ebenfalls mit 4G und betreibt nach eigener Aussage bereits jetzt „Amerikas größtes 4G-Netz“. Das interessante ist, dass sich bei den drei Netzbetreibern jeweils andere Technologien im Einsatz fin den. Die von T-Mobile eingesetzte Technologie etwa wird von vielen als der 3G-Welt zugehörig angesehen. Der vierte der großen Mobilnetzbetreiber in Amerika, AT&T, beeilte sich zu versichern, dass sie eine zu T-Mobile identische Technologie einsetzen, auch wenn sie sie nicht – fälschlicherweise – als 4G deklarieren. Andere wiesen darauf hin, dass nach dem Verständ nis der International Telecommunication Union ITU, einem international anerkannten Gremium, auch Sprint Nextel und Verizon Wireless die Bezeichnung 4G nicht zu Recht verwen den. Das verwirrende Spiel mit dem Begriff 4G ist also zu einem wichtigen Instrument der Marketing-Abteilungen geworden. Zwar bezieht sich unser Beispiel auf den nordamerikanischen Markt, die drei von den genannten Netzbetreibern eingesetz tenTechnologien werden aber gemeinhin als Kandidaten für die nächste Mobilfunkgeneration angesehen. WiMAX steht für „Worldwide Interoperability for Microwave Access“. Long Term Evolution (LTE) ist die Bezeichnung für die als Nachfolger der 3G UMTS Tech nologie entwickelte Zugangstechnik. Beide Systeme, LTE und WiMAX, weisen große Ähnlichkeiten auf, unterscheiden sich aber deutlich von UMTS. High Speed Packet Access (HSPA) ist aus UMTS hervorgegangen und kann mit diesem parallel im gleichen Frequenzbereich eingesetzt werden. Es wird von der 3GPP kontinuierlich weiterentwickelt und erreicht in der als HSPA+ bekannten Ausbaustufe ähnliche Leistungswerte wie die gegen wärtigen Varianten von WiMAX und LTE. Was sind echte 4G-Mobilfunknetze? Um festzustellen, ob sich ein Ziel schon in Rom befindet, müssen wir uns auf die Stadtgrenzen einigen. Bezüglich der Beurteilung, ob eine Technologie tatsächlich den Anspruch er füllt, einen echten Generationswechsel darzustellen, entspricht dies den für die Generation anzulegenden Kriterien. Welcher Maßstab dabei sinnvoll ist, wurde bereits in einem früheren Artikel diskutiert*. Eine ganze Reihe von Netzbetreibern und Technologieherstellern hat sich bereits vor einigen Jahren in der „Next Generation Mobile Networks Alliance“ zusammen getan, um sich gemeinsam Gedanken über die Anforderungen an die M obilfunknetze der Zukunft zu machen – etwa für die effiziente Unterstützung von Anwendungen wie Online-Spie len, Videos oder Multimedia Kommunikation. Die ITU, die bereits den Maßstab für die dritte Mobilfunkgeneration lieferte, definierte einen detaillierten Katalog von Kriterien, die eine 4GTechnologie erfüllen müsse. Diese Vorgaben werden weder von der aktuellen WiMAX-Variante erfüllt noch von LTE. In diesem Sinne haben die Kritiker recht, die behaupten, dass bisher kein Netzbetreiber echtes 4G anbiete. Die von der ITU definierten Kriterien können erst die Nachfolgeversionen Wireless MAN Advanced sowie LTE Advanced einhalten, deren Standardisie rung derzeit noch abgeschlossen wird. Allerdings wird die Errei chung der von der ITU geforderten Datenraten bis zu ein Gbps auf absehbare Zeit höchstens in Feldversuchen möglich sein, da kein Netzbetreiber über ein hinreichend großes Frequenzspek trum verfügt. Letztlich ist die nächste Generation dadurch cha rakterisiert, dass sie für die möglichst effiziente Übermittlung von Daten optimiert ist und eine Vielzahl datenbasierter Dien ste und Anwendungen unterstützt, die vorwiegend von den immer zahlreicheren Smartphones, Tablet PCs, Laptops und * Siehe DMR 4/2007, Mobile Breitbandnetzte – was kommt da noch?, Dr. H.-P. Petry/Dr. W. Knospe. 57 Detecon Management Report • 2 / 2011 Technology Netbooks mit Mobilfunkzugang unterstützt werden. Tatsäch lich entsprechen also alle drei genannten Technologien diesem Verständnis der nächsten Mobilfunkgeneration, 4G. Long Term Evolution gehört die Zukunft Da nun die Stadtgrenzen von Rom hinreichend festgelegt sind, können sich die Reisenden Gedanken zu ihrem Zielort innerhalb der Stadt machen. Mittlerweile hat sich LTE als das b evorzugte Ziel für die Mehrheit der Mobilnetzbetreiber etabliert. Dies war aber durchaus nicht immer so eindeutig absehbar. Als das erste kommerzielle LTE Netz Ende 2009 an den Start ging, war WiMAX bereits seit einigen Jahren verfügbar. Zu Beginn seiner Standardisierung durch die IEEE wurde es als Bedrohung für die Telekommunikations- (TK) Industrie angesehen, da ein eher mit der IT-Industrie verbundenes Standardisierungs gremium in den Gefilden der TK-Industrie zu wildern begann. Die Entwicklung eines breitbandigen Systems für die Übertra gung von Daten war bis zu dem Zeitpunkt von der TK Industrie und ihrem Standardisierungsgremium 3GPP nicht mit voller Kraft vorangetrieben worden. So begann die Standardisierung von LTE als direkte Antwort auf WiMAX. Wodurch gelang es nun LTE trotz des späteren Starts seine inzwischen weitgehend anerkannte Dominanz zu erreichen? Der Wettkampf um die Positionierung als 4G-Technologie der Wahl ist nur vordergründig von einzelnen Kenngrößen wie ma ximalen Datenraten beeinflusst. Viel wichtiger für Netzbetreiber ist der Rückhalt der Technologie in der Industrie und das jewei lige Gesamt-Systemkonzept, das heißt der Umfang der archi tektonischen Ausarbeitung des Standards. Hier unterscheiden sich die beiden Technologien in maßgeblicher Weise. Parallel zu LTE wurde eine vollständige Netzarchitektur inklusive Mobili tätsmanagement, Authentifizierungs-, Autorisierungs- und Ab rechnungsverfahren sowie Dienstgütesteuerung spezifiziert. Der ursprüngliche von der IEEE veröffentlichte WiMAX-Standard war auf die Spezifikation der Luftschnittstelle beschränkt und beinhaltete diese Funktionen nicht. Sie wurden erst in späteren Versionen nachgereicht oder von verbundenen Initiativen wie dem WiMAX-Forum zugeliefert. Auch wurde WiMAX ohne Vorkehrungen für die Kooperationen mit bereits existierenden Funkstandards und Systemen spezifiziert, wie sie bei LTE vorge sehen sind. Da so eine schrittweise Migration möglich wird und Investitionen lokal begrenzt vorgenommen werden können, ist LTE zur ersten Wahl für die Betreiber existierender GSM- und UMTS-, aber auch von cdma Netzen geworden. Damit ist Wi MAX mittlerweile nur noch eine Alternative für Netzbetreiber, die eine komplett neue Netzinfrastruktur quasi auf der grünen Wiese ausrollen wollen. Für einen solchen kompletten Netzauf 58 Detecon Management Report • 2 / 2011 bau muss sich natürlich auch ein positives Geschäftsmodell er geben. Dies funktioniert aber in der Regel nur lokal begrenzt, so dass großflächige WiMAX-Netze aller Voraussicht nach selten bleiben werden. Allgemein wird WiMAX nur noch eine Rolle als räumlich begrenzter Ersatz für leitungsgebundene Anbin dungen an das Internet zugesprochen, mit begrenzter Mobilität innerhalb des Abdeckungsbereiches. In der bisherigen Betrachtung haben wir die dritte der ange sprochenen Technologien, HSPA+, noch nicht weiter betrach tet. HSPA+ ist eine direkte Weiterentwicklung von UMTS und bietet daher auch ein vollständiges Systemkonzept. Es fehlen allerdings einige Möglichkeiten der Integration mit anderen Zugangstechnologien, die LTE bietet, so dass HSPA+ nur von Betreibern der GSM / GPRS / UMTS Technologiefamilie der 3GPP eingesetzt wird. Für diese Betreiber kann HSPA+ noch für längere Zeit eine gangbare Zwischenlösung darstellen. Da HSPA+ im selben Frequenzspektrum wie die 3G-Technologien eingesetzt wird, ist das für Datenübertragung verfügbare Spek trum allerdings limitiert. Für LTE dagegen werden derzeit in vielen Ländern neue und teilweise großzügig dimensionierte Spektralbereiche verfügbar gemacht, wie etwa das ehemals für analoges terrestrisches Fernsehen genutzte Spektrum („Digitale Dividende“). Schließlich werden die Vorteile durch die konzep tionelle Neugestaltung von LTE überwiegen, so dass langfristig auch für diese Betreiber kein Weg an LTE vorbeiführt. Die Wahl des Weges Nachdem das Ziel des Weges also für die Netzbetreiber weit gehend feststeht, bleibt die Frage nach dem Weg dorthin zu klären. Einen Überblick der möglichen Wege stellt Abbildung 1 dar. Wir unterscheiden hierbei vier Startpunkte für unseren Weg nach Rom: 1. Netzbetreiber ohne existierende Infrastruktur, die ein reines Datennetz anbieten wollen, werden den kürzesten Weg nach Rom wählen und LTE- oder WiMAX-Netze aufbauen. Für diesen eher seltenen Startpunkt sprechen wir WiMAX noch immer Chancen zu, aber aufgrund des erwarteten stärkere Marktwachstums von LTE wird auch für diese Netzbetreiber LTE durch Skalenvorteile immer attraktiver werden. Einige existierende WiMAX-Netzbetreiber denken inzwischen über einen mittelfristigen Übergang zu LTE nach. Ist zusätzlich Sprachunterstützung und eine umfangreiches Portfolio von Endgeräten erforderlich, so kommt derzeit als erster Schritt auf unserem Weg am ehesten eine UMTS/HSPA+ Kombination in Frage. Viele Wege führen nach Rom 4. Ähnlich sieht es für Netzbetreiber mit einem bereits existie renden UMTS-Netz aus. Für sie ist allerdings der Zwischen schritt über HSPA+ oft einfacher zu bewerkstelligen, da ledig lich eine Umrüstung existierender Netzelemente erforderlich ist. Die Entscheidung für oder gegen die direkte Einführung von LTE unter Auslassung des HSPA+ Zwischenschritts oder wann der Übergang erfolgt wird innerhalb eines Netzes regional unterschiedlich ausfallen. 4G-Netzbetreiber bieten ihren Kunden bisher nur Modem-artige Geräte, die zum Beispiel angeschlossenen Laptops eine Inter netverbindung ermöglichen. Die heute populären Smartphones wie iPhone, Blackberry oder die verschiedenen Android-Model le unterstützen keines der angesprochenen 4G-Verfahren. Eben so sieht es bisher bei den sich schnell verbreitenden Tablet PCs aus. Seit kurzem hat Sprint Nextel ein Android Smartphone mit WiMAX-Unterstützung im Programm und es gibt eine kleine Zahl von LTE-fähigen Mobiltelefonen der oberen Preiskate gorie. Um das Interesse seiner Kunden befriedigen zu können, muss das Spektrum der Endgeräte auch für Netzbetreiber ein ausschlaggebender Indikator sowohl für die Wahl des Weges als auch für den geeigneten Zeitpunkt der Einführung von 4GTechnologie sein. Zwar wird sich das 4G-Produktspektrum lau fend erweitern, die Modell-Auswahl wird aber an die bei 3G bei weitem nicht heranreichen und für längere Zeit vorwiegend den High-End Markt bedienen. Dies kann gegen die Über springung von 3G in weniger entwickelten Märkten sprechen. Umgekehrt können sich große Netzbetreiber, die mit den End geräteherstellern exklusive M odelle vereinbaren, dadurch einen Wettbewerbsvorteil verschaffen. Damit die Kunden des Netzbetreibers die Reise nach Rom mit machen, ist die Verfügbarkeit von attraktiven Endgeräten ent scheidend, die zu dem gewählten Weg passen. Während es eine unübersehbare Vielfalt von 3G und HSPA fähigen Endgeräten in allen Preislagen und mit verschiedenster Ausstattung gibt, ist die Auswahl bei HSPA+, LTE und WiMAX bisher gering. Viele Die Zeitdauer bis zur Zielerreichung ist aber nicht nur von der Endgeräte-Verfügbarkeit bestimmt. Die Netzbetreiber werden 4G zunächst in geografisch eng begrenzten Gebieten einführen, während weite Bereiche weiterhin über 2G- oder 3G-Netze ver sorgt werden. Wie schnell die Ausbreitung erfolgt, hängt neben dem jeweiligen Marktpotenzial für mobile Breitbanddienste 2. Existiert bereits ein Netz, das nicht zur 3GPP-Familie gehört und sollen an Abdeckungsgrenzen Übergänge zwischen dem 4G und dem existierenden Zugangsnetz ermöglicht werden, so wird dies am ehesten durch LTE ermöglicht. 3. Für einen bisher reinen GSM/GPRS Anbieter besteht die Möglichkeit, 3G zu überspringen und direkt LTE für mobile Datendienste einzuführen oder den Zwischenschritt über 3G und HSPA+ zu wählen. Der Zwischenschritt bringt die Kosten einer weiteren Technologieeinführung mit sich, hat aber den Vorteil der Verfügbarkeit eines umfangreichen Portfolios von Endgeräten zum gegenwärtigen Zeitpunkt. Abbildung 1: Welche Wege führen zum Ziel? Ausgangsnetz Zwischenstufe Endzustand UMTS/HSPA HSPA+ GSM/GPRS Nicht 3GPP (z.B. CDMA) Kein Netz LTE UMTS (Sprache)/HSPA+ WiMAX 4G Migration Quelle: Detecon 59 Detecon Management Report • 2 / 2011 Technology auch von regulatorischen Anforderungen, Frequenzverfügbarkeit oder der Wettbewerbssituation ab. Dies bedeutet, dass viele Betreiber Netze verschiedener Generationen für die absehbare Zukunft parallel betreiben werden und hierfür eine möglichst wirtschaftliche Lösung finden müssen. Reiseplanung Auf einer Reise treten immer wieder unvorhergesehene oder unterschätzte Herausforderungen auf. Umso wichtiger ist es daher, vorhersehbare Herausforderungen frühzeitig durch angemessene Planung zu berücksichtigen. Bei der Einführung der 4G-Technologie entspricht die Wegplanung der Migrationsstrategie des Netzbetreibers. Diese muss alle Ebenen der Netzarchitektur berücksichtigen, von den Endgeräten der Kunden über das Radio-Zugangsnetz bis zur Anwendungsebene (siehe Abbildung 2). Die aufkommenden Fragestellungen betreffen beispielsweise die Erweiterung der Transportkapazität, Überleitung von Diensten und Anwendungen oder Konsolidierung der Teilnehmerdaten und Netzelemente. Im Folgenden nennen wir einige besonders kritische Aspekte, zu denen sich Netzbetreiber im Vorfeld einer 4G-Migration Gedanken machen sollten. Die Tatsache, dass mit LTE ein durchgehend IP-basiertes Konzept mit flacher Netzhierarchie Einzug in Mobilfunknetze hält, hat neben der erwünschten Effizienzsteigerung weitere wesentliche Auswirkungen. Netzbetreiber müssen sich völlig neue Gedanken über die Sicherheitsanforderungen an ihr Netz machen. Sie befinden sich nun in einer Situation, die sie anfällig für die gleichen Attacken macht, die bereits seit langem im Internet immer wieder für Schlagzeilen sorgen. Der Einsatz von Firewalls, Verschlüsselung, Authentifizierung und die strikte Trennung von Nutzer-, Kontroll- und Managementverkehr muss über das ganze Netz hinweg sorgfältig geplant werden. Dabei werden Angriffe nicht unbedingt nur von Endgeräten aus geführt. Die Vielzahl der LTE-Basisstationen kann der Netzbetreiber kaum vollständig physikalisch sichern. Ein Angreifer könnte sich Zugang zu einer unzureichend gesicherten Basis- Internet; Zusatzdienste Internet: Integrierte IP-Datenplattform Leistungsgebunden und paketotientiert Rein paketotientiert TDM, ATM IP 2G/3G 2G/3G/4G Endgerät Radio Transport Steuerung Anwendung Abbildung 2: Wegplanung: Migrationsstrategie eines Netzbetreibers Quelle: Detecon 60 Detecon Management Report • 2 / 2011 Viele Wege führen nach Rom station verschaffen und von dort aus versuchen, ins Netz einzu dringen. Eine Beschränkung und Absicherung des Netzzugriffs über die Basisstation ist daher unabdingbar. Ebenfalls mit der Einführung des IP basierten Konzepts verknüpft ist das Thema IPv6. Die Vergabe der letzten verfügbaren IPv4 Adressblöcke Anfang Februar 2011 erhielt weite Aufmerksamkeit. In einem LTE-Netz benötigt jedes erreichbare Endgerät mindestens eine IP-Adresse – auch wenn es momentan nicht selbst kommuni ziert. Zwar gibt es Zwischenlösungen, auf mittlere Sicht wird aber der Übergang zu IPv6 unvermeidbar sein. Eine weitere Herausforderung für Betreiber mobiler Breitbandnetze besteht in der Gefahr, zum reinen Datentransporteur herabgestuft zu werden, der lediglich den Zugang zu höherwertigen Diensten über das Internet herstellt. Als mögliches Gegenmittel bietet sich eine „Policy and Charging Control“ (PCC) Lösung an. Damit können Netzbetreiber Anwendungen und Nutzern nach detaillierten Anforderungen unterschiedliche Transportgüten zugestehen und darüber unterschiedliche Nutzerverhalten dif ferenzierter berücksichtigen. Ein weiterer zu klärender Aspekt ist die Abwicklung von Sprach telefonie nach der Einführung von 4G. Für HSPA+ sind durch den Zusammenhang mit 3G keine besonderen Maßnahmen er forderlich. Sowohl LTE als auch WiMAX arbeiten aber rein pa ketorientiert. Sprache wurde von Anfang an als einer von vielen IP Diensten betrachtet, dessen spezielle Anforderungen ledig lich über die Steuerung der zur Verfügung gestellten Dienstgüte berücksichtigt werden. Die WiMAX-Standardisierung befasst sich darüber hinaus nicht mit Sprache. Für LTE ist in der Stan dardisierung die Realisierung des Sprachdienstes basierend auf Voice over IP (VoIP) und gesteuert vom „IP Multimedia Subsy stem“ (IMS) vorgesehen. Obwohl das IMS-Konzept bereits vor etwa zehn Jahren entwickelt wurde, hat es sich bisher in Mobil funknetzen nicht durchsetzen können und eine Sprachlösung für LTE über IMS ist kommerziell noch nicht verfügbar. Als Übergangslösung ist der Rückfall auf den Sprachdienst eines 2G oder 3G Netzes vorgesehen (Circuit Switched Fall Back; CSFB). Dies geht natürlich nur, wenn dem Betreiber ein solches Netz zur Verfügung steht. Für CSFB sind sowohl Änderungen an Netzelementen des 2G- oder 3G-Netzes notwendig, als auch ein dafür vorbereitetes Endgerät. In ersten Analysen zeigte sich, dass der Gesprächsaufbau erheblich länger dauert als in 2Goder 3G-Netzen. Erschwerend kommt hinzu, dass datenbasierte Sprachzusatzdienste, beispielsweise Präsenzinformationen oder Bildaustausch, in Verbindung mit CSFB nicht möglich sind. Solange LTE als reiner Datendienst vermarktet wird, mag die fehlende Sprachunterstützung verschmerzbar sein. Netzbetrei ber müssen sich jedoch darüber klar sein, dass sie nach wie vor den größten Teil ihrer Umsätze über Sprachtelefonie generie ren und dass die Verfügbarkeit von LTE die Abwanderung von Sprachverkehr zu Internet basierten VoIP-Anbietern begünstigt. Eine rein abwartende Haltung ist daher nicht angebracht. Beste Reiseroute nach Rom mit individueller Ausgestaltung: LTE Die Diskussion um die technologische Vorherrschaft im Um feld der 4. Generation der Mobilfunknetze hat in letzter Zeit eine gewisse Klarheit gewonnen. Das Rom der Mobilfunknetze, das heißt das anvisierte Entwicklungsziel ist für die meisten eta blierten Netzbetreiber LTE. Die Verbreitung von WiMAX wird zwar ebenfalls zunehmen, es wird aber mittelfristig durch LTE überholt werden und eher ein Nischendasein führen. HSPA+ wird in vielen Fällen noch für längere Zeit eine gangbare Zwi schenlösung darstellen, die eine allzu rasche Ausbreitung von LTE begrenzen wird, insbesondere so lange LTE nur von we nigen populären Endgeräten unterstützt wird. Der beste Weg zur Einführung von LTE muss von den Netzbetreibern jeweils individuell identifiziert werden. Längerfristig führt kein Weg an LTE vorbei, um das steigende Datenvolumen in Mobilfunk netzen effizient bewältigen zu können. Dr. Andreas Schieder ist Managing Consultant im Bereich Mobilfunkarchitek tur und Dienste innerhalb der Competence Practice Communication Techno logy. Er ist seit mehr als 15 Jahren in der Weiterentwicklung moderner Kom munikationsnetze zur Verbesserung der Effizienz und Nutzerfreundlichkeit involviert. Bevor er 2008 als Technologieberater zur Detecon kam, war er in der Entwicklung, Standardisierung und Forschung tätig. Sein Schwerpunkt als Be rater liegt in der Architekturentwicklung für Next Generation Mobile Networks und der Entwicklung von Migrationsstrategien für Mobilfunknetze. Andreas.Schieder@detecon.com Dr. Arne Chrestin ist Managing Consultant für Mobilfunkarchitektur und Dienste. Seine Beratungsschwerpunkte sind Technologiestrategien für Mobil netzbetreiber sowie Architekturentwicklung und Implementierung von Next Generation Mobile Networks. Seine Beratungserfahrung umfasst Mobilnetzbe treiber in Europa, dem Mittleren Osten, Afrika und Asien in unterschiedlichen Marktsituationen. Bevor er 2003 zu Detecon kam, war er für einen Hersteller von Telekommunikationsinfrastruktur im Bereich Architekturplanung und -entwicklung tätig. Arne.Chrestin@detecon.com Burin Itsarachai ist Corenetzwerkexperte für Mobile Packet Core. Er ist im Be reich Corenetzplanung der Deutsche Telekom Netzproduktion GbmH tätig. Seine Schwerpunkte sind Designs- und Planungsaufgaben im Bereich Evolved Packet Core (EPC) und Einführung neuer Technologien im Umfeld von Next Generation Mobile Networks. Ausserdem kümmert er sich um die strategische Ausrichtung der Corenetzelemente und Ausbaustrategie für das Packet Switched Corenetz. Früher war er als Senior Consultant im Bereich Mobilfunkarchitektur und Dienste bei Detecon Asia Pacific tätig. 61 Detecon Management Report • 2 / 2011 Technology Yasmin Narielvala, Christoph Caspritz Die Kraft der kleinen Teile Technologische Fragmentierung als Treiber eines vielschichtigen und innovativen Marktes Entgegen Aristoteles Postulat „Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile“ gibt es Szenarien, in denen einzelne Teile von Unternehmen oder Märkten in fragmentierter Form einen größeren Wert darstellen als das Ganze. Dies ist in der Welt der technologischen Innovationen der Fall, wo die Fragmentierung eine Vielfalt fördert, die Innovationen vorantreibt und dadurch homogene und ins Stocken geratene M ärkte wiederbelebt und am Ende tatsächlich mehr Wert generiert als zuvor. 62 Detecon Management Report • 2 / 2011 Die Kraft der kleinen Teile F ragmentierung bezieht sich auf eine spezielle Markt umgebung. Ein fragmentierter Markt entwickelt sich, wenn sich aus einem zuvor homogenen Markt ein neues Segment mit unabhängigen und einzigartigen Bedürfnissen, Anforderungen und Präferenzen herausbildet. In der Regel wird dies durch eine neue Nachfragepräferenzen oder durch eine Änderung des An gebots gesteuert. Ein neues Fragment könnte sich zum Beispiel aufgrund der Entwicklung neuer Technologien oder Dienste oder durch geänderte Kundenpräferenzen herausbilden. Frag mente sind wie Puzzle-Teile, keines gleicht dem anderen, jedes für sich ist einzigartig. Jedes Fragment hat seinen eigenen, auf sich zugeschnittenen Platz und unverwechselbare Präferenzen. Vielfalt ist das natürliche Resultat – und gleichzeitig ebenfalls ein Treiber – eines fragmentierten Marktes. Die Vielfalt der unterschiedlichen Nutzer, die in jedem neuen Fragment eines Marktes entstehen, erzeugen Möglichkeiten zur Entwicklung neuer Geschäftsmodelle und neuer innovativer Technologien. Ein fragmentierter Markt, der vielschichtige Bedürfnisse schafft, wirkt den sogenannten Economies of Scale entgegen und kann für etablierte und traditionelle Anbieter durchaus Nachteile haben. Doch auch wenn der Preis der Fragmentierung für die bestehenden Marktteilnehmer hoch sein mag, kann die damit verbundene Vielfalt letztendlich einzigartige Vorteile für Inno vationen bieten. Es schafft ein Umfeld, in dem ganze Lösungen überdacht und neu erfunden werden können und das den Tech nologen und Entwicklern ein völlig freies Experimentierfeld und das Ausprobieren neuer Methoden – frei von bestehenden Zwängen – ermöglicht. Wie der Open Source-Autor Ryan Paul anmerkt, „bringt Vielfalt den Endnutzern Wahlfreiheit und er möglicht es ihnen, Lösungen zu finden, die optimaler auf ihre Bedürfnisse und Anforderungen zugeschnitten sind“. Forschungsergebnisse aus Biologie und Soziologie Das Konzept der Fragmentierung und die damit verbundenen Auswirkungen sind im Bereich der Biologie und Soziologie ein viel diskutiertes Thema. In diesen beiden Fachbereichen ist man zu der Feststellung gelangt, dass sich Fragmentierung größten teils negativ auswirkt. In der Biologie hat die Fragmentierung des Ökosystems eine negative Auswirkung auf die Vielfalt und Fortdauer der Popula tion, und zwar unmittelbar wie auch langfristig.1 Das heißt, die Fragmentierung des Lebensraums verursacht Bedingungen wie Isolation, die die Vielfalt der Arten mindert und im Endeffekt die Gesamtheit der Arten reduziert. Aus soziologischer Sicht definiert sich eine fragmentierte Gesellschaft durch die Vielfalt von Kultur, Nationalität, Rasse, Sprache, Beruf, Religion und Einkommen, aber auch von feh lenden oder unterwickelten Verbindungen zwischen Gesell schaft und den Mitgliedern der verschiedenen gesellschaftlichen Gruppierungen. Es wird argumentiert, dass eine hohe soziale Fragmentierung aufgrund unzureichender Entwicklungspolitik und mangelnder Versorgung mit öffentlichen Gütern negative Auswirkungen auf das wirtschaftliche Wachstum haben kann.2 Ein Grund dafür ist, dass in heterogenen Gesellschaften die Ge fahr des Wettbewerbs innerhalb der Interessengruppen in Bezug auf die Versorgung mit öffentlichen Gütern zu nachteiligen öf fentlichen Entscheidungen führt.3 In beiden Bereichen kann die Fragmentierung und die damit einhergehende Vielfalt verheerende Auswirkungen haben. Inte ressant in diesem Zusammenhang ist, dass die Vielfalt im Tier reich wie auch in der menschlichen Population durch Fragmen tierung unterdrückt wird. Und im Gegenzug führt ein Mangel an Vielfalt zu ungünstigeren Ergebnissen. Die Starken über leben, aber ihre Macht ist begrenzt und reduziert. Übertrag auf die Marktsituation Im Folgenden beleuchten wir diese Argumentation im Hinblick auf die Wirtschaftstheorie. Im Bereich der Wirtschaftswissen schaften könnte Fragmentierung ebenfalls als Komponente betrachtet werden, die sich nachteilig auf etablierte Marktteil nehmer auswirkt. Da Fragmentierung allerdings auch gesät tigte Märkte aufbrechen kann, hat sie umgekehrt gleichzeitig einen positiven Effekt. In einem gesättigten Markt tritt häufig ein dominantes Unternehmen auf, das Produkte und Dienst leistungen anbietet, die für eine große Käufergruppe zufrie 1 Soulé, (1986); Noss und Copperrider, (1994); Tilman et al., (1994) 2 Easterly und Levine (1997) 3 Okediji (2011) 63 Detecon Management Report • 2 / 2011 Technology denstellend sind. Und damit dies so bleibt, wird sich dieses dominante Unternehmen nicht entscheidend ändern. E inflüsse wie kumulatives Lernen und „scale-intensive“ Produktions methoden generieren Profitabilität, führen aber ebenfalls zu einer Marktkonzentration.4 Eine solche Konstellation macht es neuen Marktteilnehmern häufig unmöglich, in einen direkten Wettbewerb mit den etablierten Marktteilnehmern zu treten. Neue Teilnehmer verfügen weder über die Bekanntheit und Reputation noch über die Ressourcen, um es direkt mit dem etablierten Marktführer in seinem angestammten Gebiet auf zunehmen. Im Fall eines neu fragmentierten Marktes erfolgt der Marktein tritt etablierter Firmen typischerweise zögerlich, weil sie manch mal das Potenzial einer neuen Chance nicht erkennen und beim Eindringen in ein neues Fragment häufig das Risiko der Kan nibalisierung fürchten. Der Spielraum, den dieses neue Frag ment daher ermöglicht, bietet Unternehmen die Chance, neue Technologien, Produkte oder Dienstleistungen in einer Weise anzubieten, die von den starken Teilnehmer höchstwahrschein lich zum großen Teil unbehelligt bleibt. Laut Definition über schneiden sich die Präferenzen der Kunden in diesem neuen Fragment nicht mit den Präferenzen des bestehenden Marktes. Diese nachfrage- und marktgesteuerte Fragmentierung ermög licht neuen Wettbewerb und lässt Unternehmen den Spielraum, zu wachsen und mehr Kunden für dieses neue Fragment zu ge winnen. Beispiel „Facebook-Gegenbewegung“als neues Marktfragment Der dominante soziale Netzwerk-Player Facebook hat den Aus tausch eines Übermaßes an persönlichen Informationen mit Scharen von Freunden zur Norm gemacht.5 Durch seinen of fenen Plattform-Ansatz hat sich Facebook in Windeseile an die Spitze der Sozialhierarchie katapultiert und sämtliche Wettbe werber hinweggefegt. Zahlreiche soziale „Me-too“-Plattformen sind bei ihrem fehlgeschlagenen Versuch, Facebooks massen haften Social Connector-Ansatz zu kopieren, auf der Stre cke geblieben – oder erinnern Sie sich noch an Orkut? Doch in den vergangenen Monaten haben Nutzer, die ein soziales, aber mehr persönliches Erlebnis haben wollten, so etwas wie eine Facebook-Gegenbewegung initiiert. Eine kleine Zahl von Nutzern hat auf Facebook Zweitkonten eingerichtet, die bis zu einem gewissen Grad anonymisiert und „kontrollierbar“ sind, das heißt nur einer kleinen Anzahl an „Freunden“ zugänglich 4 Malerba, Nelson, Orsenigo and Winter (2007) 5 Cain Miller (2010) 6 Dunbar (1992) 64 Detecon Management Report • 2 / 2011 sind. Andere Nutzer hingegen haben die Plattform vollständig verlassen und kritisieren den mangelhaften Durchblick in Bezug auf den echten Social Graph. Die Entwicklung eines neuen Marktfragments – die „Ich-willsozialen-Kontakt-aber-nur-mit-echten Freunden-Bewegung“ – wird ganz eindeutig von einer Vielfalt von Personen und sozialen Verhaltensmustern gesteuert. Und die Einführung dieses Frag ments führt zwangsläufig zu einer Vielfalt von Chancen für Ent wickler wie zum Beispiel den ehemaligen Facebook-Mitarbeiter Dave Morin, der aus dem Unternehmen ausgeschieden ist, um sein eigenes Unternehmen namens Path zu gründen. Die Inten tion von Path ist, den Nutzern den Aufbau eines engen sozialen Netzwerks mit Personen zu ermöglichen, mit denen sie ebenfalls in der realen Welt befreundet sind. In den Sozialwissenschaften geht man davon aus, dass die maximale Anzahl an Personen, mit denen man stabile Beziehungen aufrechterhalten kann, bei zirka 150 liegt.6 Ausgehend davon, wie viele Leute man zu einer Ge burtstagsparty einladen würde – laut Dave Morin 40 bis 60 –, hat Path beschlossen, diese Zahl auf 50 zu begrenzen. Der von Path verfolgte Ansatz ermöglicht es Nutzern, sich mit wenigen statt mit vielen Personen sozial zu vernetzen und zu kommuni zieren und dabei gleichzeitig den Vorteil einer größeren Kon trolle über ihre Kommunikation zu haben. Die anfänglichen Adoptionsraten haben bereits gezeigt, dass Path dank des von ihm unterstützten neuen vielschichtigen Marktfragments über das Potenzial verfügt, sich im Wettbewerb des sozialen Netzwerkmarktes zu behaupten. Es besteht durch aus die Chance, dass das Unternehmen lange genug überlebt, um Wachstum und Profitabilität zu generieren, was ihm jedoch im direkten Wettbewerb mit Facebook, LinkedIn, Foursquare und anderen sozialen Netzwerken eher nicht gelingen würde. Somit kann ein fragmentierter Markt als Inkubator für neue Ideen, Produkte und Services dienen. Während sich dies in gewisser Weise negativ auf den etablierten Marktteilnehmer auswirkt, ist die Auswirkung für den gesamten Markt positiv. Neue Technologien haben die Möglichkeit, sich in kleinen Fragmenten, in denen sie vor dem direkten Wettbewerb mit dominanten Playern geschützt sind, herauszubilden und zu verbreiten. Natürlich ist der Erfolg nicht garantiert und nicht jede Idee setzt sich durch, bevor Ressourcen und Gelder versiegt sind. Doch ohne markt- oder technologiegesteuerte Fragmen tierung wäre die Chance wesentlich geringer. Die Kraft der kleinen Teile Fragmentierung muss jedoch nicht ausschließlich marktgesteuert sein. Eine angebotsorientierte oder technologiegesteuerte Frag mentierung tritt ein, wenn eine neue revolutionäre Technologie auf den Markt kommt. Dies kann auch dann eintreten, wenn die neue Technologie nicht so leistungsstark wie die existierende Technologie ist. Solange die neuen Fähigkeiten oder Eigenschaf ten die Technologie eigenständig machen, hat sie die Chance, erfolgreich zu sein. Smartphone-Markt als Beispiel für fragmentierte Technologien Ein gutes Beispiel für eine technologische Fragmentierung ist der Smartphone-Markt. Bis 2007 haben etablierte Mobiltele fonhersteller wie Nokia, Motorola, RIM oder Palm den Markt mit Smartphones beliefert. Als Apple im zweiten Quartal 2007 sein iPhone einführte und damit neue Standards für Nutzung und mobilen Internetzugang setzte, war das die Geburtsstunde eines neuen Marktfragments. Interessanterweise fehlten dem iPhone bestimmte Mainstream-Funktionen wie 3G-Support, aber dafür konnte es bahnbrechende Technologien wie Touch screens und Vertriebsmethoden wie den AppStore aufweisen. Erst 2008 mit der Einführung des iPhone 3G wurde der 3GSupport nachgebessert. Das hielt die Kunden jedoch nicht davon ab, innerhalb des dritten und vierten Quartals 2007 mehr als eine Million iPhones zu erwerben. Das iPhone war eine disruptive Technologie, die ein neues technologiegesteu ertes Fragment entstehen ließ. Dieses Fragment löste auf dem Smartphone-Markt in Windeseile einen Mitläufereffekt aus, der dazu führte, dass Leute sich in Richtung iPhone orientierten Abbildung: Smartphone-Lieferungen aufgeschlüsselt nach Betriebssystemen (2009 bis 2015) Mio. 1.200 1.200 = Android 1.100 1.100 = BlackBerry = iOS 1.000 = Symbian 900 900 = Windows Phone 800 = Andere 700 660 600 500 450 400 295 300 200 170 100 0 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 Jahr Quelle: Berg Insight 2011 65 Detecon Management Report • 2 / 2011 Technology und Apple auf diesem Markt eine Führungsrolle ermöglichten. Etablierte Mobiltelefonanbieter wie Nokia taten sich schwer mit einer angemessenen Antwort. Sie sträubten sich, ihre be stehende Technologie aufzugeben und erkannten nicht schnell genug die Stärke des Fragments, das Apple entwickelt hatte. Im Fall von Nokia dauerte es bis 2011, bis das Unternehmen das Eingehen einer Partnerschaft mit Microsoft zur Nutzung deren Windows 7 Phone OS verkündete und damit eine Allianz schmiedete, die von Analysten und Experten nicht unbedingt als erfolgversprechend eingestuft wird. Abgesehen von der anfänglichen Spaltung der existierenden Teilnehmer war das neue Fragment auch für andere attraktiv, darin zu investierten. 2008 brachte Google Android OS auf den Markt, das in Zusammenarbeit mit anderen BranchenOEMs und Mobilfunkbetreibern entwickelt worden war. Der Entwicklungsansatz des Android-Betriebssystems unterscheidet sich erheblich von Apples iOS-Lösung – das Design zeichnet sich durch Vielfältigkeit und durch die Vielfalt der unterschied lichen Geräte und Anwendungen aus, die von der Plattform unterstützt werden. Ein derart „offener“ Ansatz führte anfäng lich zu Eintrittsbarrieren und einer größeren Marktkomplexität. Das Android-Umfeld mit seinen vielfältigen und fragmentierten Angeboten für unterschiedliche Handsets, unterschiedlichen Software-Versionen und unterschiedlichen Marktplätzen für Anwendungen war für viele Kunden und Entwickler zu Beginn sicherlich verwirrend. Doch wie die Ergebnisse zeigen, vollzog sich im Laufe der Zeit ein bemerkenswerter Wandel. Der Um satz der mit dem Android-OS ausgestatteten Geräte ist stän dig gestiegen und steigt in der Tat schneller als der des Apple iPhones. Die Zahl der auf dem Android-Markt angebotenen Anwendungen steigt ebenfalls rasant und der Android-Markt platz verzeichnet für die 100 Top-Anwendungen die geringsten Preisnachlässe.7 Der „offene Ansatz“ zur Adressierung eines frag mentierten und vielfältigen Marktplatzes dient als Inkubator für weiteres Wachstum. Die offene Plattform bietet Integrationspotenzial Die Entwicklung der Märkte von sogenannten „Walled Gardens“ zu offenen Plattformen zur Handhabung der Kom plexität unterschiedlicher und vielfältiger Kundenbedürfnisse ist kein N ovum auf dem Mobilfunkmarkt. Und der Mobil funkmarkt ist gewiss nicht der letzte innerhalb der Technologie 7 Distimo (2011) 66 Detecon Management Report • 2 / 2011 branche, bei dem sich diese Entwicklung vollziehen wird. Auch auf dem TV-Markt vollzieht sich zurzeit ein bahnbrechender Wandel hin zu einem offeneren Ansatz. Das Phänomen der offenen Plattform ist deshalb so erfolgreich, weil es fragmen tübergreifend auf die Bedürfnisse einer großen Anzahl an Nut zern mit vielen unterschiedlichen Präferenzen eingeht. Und dies erfolgt für die Teilnehmer, die das als Strategie nutzen, auf eine sehr intelligente Art und Weise. Android, Facebook und Salesforce sind dafür klassische Bei spiele. All diese Unternehmen operieren in sich schnell wan delnden Branchen, in denen sich permanent neue Fragmente herausbilden, die Chancen für Start-ups und alternative Teil nehmer erzeugen und es damit ermöglichen, dass diese mit wettbewerbsfähigen Lösungen in den Markt eindringen, den Angriff auf etablierte Teilnehmer starten und an Stärke gewin nen. Um diese Fragmentierung und die diversen Bedürfnisse der unterschiedlichen Verbraucher sowie das vielfältige Potenzial der Technologielösungen handhaben zu können, positionieren sich diese Teilnehmer als offene Plattformen. Sie unterstützen die Vielfalt und sind bestrebt, den unterschiedlichen Typen von Nutzern, Anwendungen und Geräten gerecht zu werden. Nicht nur Mobiltelefone und Tablets sind mit dem Android-OS aus gerüstet, sondern jetzt auch Kameras und Skibrillen (manche Leute wollen einfach wissen, wo ihre Freunde gerade Ski fahren; es handelt sich in der Tat um einen sehr vielfältigen Markt!). Im Gegensatz zur herkömmlichen Methode, aufkommende Frag mente und Technologien abzuwehren oder zu ignorieren, ver suchen diese Player, innovative Lösungen, die unterschiedliche Marktfragmente unterstützen, durch Integration in ihre eigenen Plattformen zu festigen. Sie nutzen einen Plattform-Ansatz, um Innovationen voranzutreiben, „steuern“ den Innovationsfluss aber gleichzeitig über eine Wertschöpfungskette, um Teil des Ganzen zu bleiben. Mögliche Entwicklungen eines fragmentierten Marktes Die künftige Entwicklung eines fragmentierten Marktes kann in unterschiedliche Richtungen führen und hängt davon ab, welche Auswirkung die neue Technologie oder der neue Ser vice auf den bestehenden Markt hat. Im Fall der disruptiven Technologie wird die neue Technologie die alte ersetzen und je der Lieferant, der den Übergang nicht schafft, wird in kürzester Zeit vom Markt gefegt werden. Aus dem Fragment entsteht Die Kraft der kleinen Teile ein neuer Markt, allerdings nur solange, bis die nächste Frag mentierung eintritt. Diesen Konsolidierungs- und Fragmentie rungszyklus kann man in vielen Branchen immer wieder beo bachten – insbesondere in der Hightech-Branche, die durch die rasche Entwicklung neuer Produkte und Technologien ständig in Bewegung ist. Bei einem alternativen nicht-disruptiven Szenario könnte das Fragment als eigenständiges Segment oder Nische koexistieren. Derartige Lösungen tendieren dazu, Mainstream-Dienste zu kopieren und sie für Nischenmärkte maßzuschneiden, wobei speziell auf die Bedürfnisse oder Anforderungen einer Minder heitengruppe abgestellt wird. Obgleich viele Start-ups und neue Marktteilnehmersicht gezielt auf diesen Bereich konzentrieren, ist der Innovationsgrad insgesamt im Allgemeinen wesentlich niedriger als im vorstehenden Fall. Adner, Ron, (2002) Strat. Mgmt. J., 23: 667–688, When are Technologies disruptive? A demand-based view of the Emergence of Competition Cain Miller, Claire (2010) New York Times, Start-Up Plans a More Personal Social Network 15.11.2010 Distimo Report (2011), Full Year 2010 Dunbar, R.I.M. (1992). „Neocortex size as a constraint on group size in primates“. Journal of Human Evolution 22 (6): 469–493 Easterly, William and Ross Levine, (1997) Quarterly Journal of Economics 12(4): 1203-50. „Africa’s Growth Tragedy: Policies and Ethnic Divisions,“ Noss, R.F. and Copperrider, A.Y. (1994) Saving Nature’s Legacy. Washington, DC: Island Press Malbera, Franco; Nelson, Richard; Orsenigo, Luigi; Winter, Sidney (2007) J Evol Econ 17:371–399; Demand, innovation, and the dynamics of market structure: The role of experimental users and diverse preferences Okediji, Tade O., (2011).“Social fragmentation and economic growth: evidence from developing countries,“ Journal of Institutional Economics, Cambridge University Press, vol. 7(01), pages 77-104, March. Soulé, M.E., ed. (1986) Conservation Biology: The Science of Scarcity and Diversity. Sunderland, MA: Sinauer Associates Tilman, D., May, R.M., Lehman, C.L. and Nowak, M.A. (1994): Habitat destruction and the extinction debt. Nature, 371: 65–66. Blühende Landschaften in Aussicht Während fragmentierte Ökosysteme die Vielfalt im Tierreich unterdrücken, führt Fragmentierung in der Hightech-Branche zu einer Vielfalt, die Vorteile und Chancen mit sich bringt. Für etablierte Marktteilnehmer können sich zwar negative Auswir kungen ergeben – das gilt insbesondere im Zusammenhang mit der Entstehung von disruptiven Technologien –, aber der Markt insgesamt kann von einer solchen Entwicklung rasch profitie ren. Für innovative Technologien und Dienste bestehen ausrei chende Entfaltungsmöglichkeiten, die Wachstum ermöglichen und den Markt neu beleben. Aber auch für Incumbents gibt es Mittel und Wege, die sicherstellen, dass „der Stärkere überlebt“. Ein offener Plattform-Ansatz ermöglicht starken Anbietern beides: Dominanz aufgrund der Größenordnung (Economies of Scale) und Integration der aus der Vielfalt resultierenden Innovation. Sie können blühende Landschaften entwickeln, in denen unterschiedlichste Bedürfnisse Hand in Hand mit einem Massenmarkt-Ansatz gehen. Und auf diese Weise können sie die Kraft der kleinen Teile zur Entwicklung eines sehr wertvollen Ganzen nutzen. Yasmin Narielvala ist als Director bei Detecon, Inc. tätig und verantwortlich für die Bewertung führender strategischer Technologien für Telco-Unternehmen, Scouting und Bewertung neuer Technologien, Services und Produkte und un terstützt die Entwicklung von Technologie-, Geschäfts- und Produktstrategien. Sie hat einen Master-Abschluss in Wirtschaftswissenschaften und einen Bache lor-Abschluss in Ingenieurwissenschaften. Yasmin.Narielvala@detecon.com Christoph Caspritz arbeitet als Consultant im Bereich Strategic Technologies bei Detecon. Schwerpunkte seiner Beratungstätigkeit sind New Media und IPTV-Projekte sowie Innovationsmanagement. Christoph.Caspritz@detecon.com 67 Detecon Management Report • 2 / 2011 Detecon publiziert ! Detecon publiziert ! Cultural Agility Accessing the Dynamics of Crowd Computing Das vorliegende Detecon Opinion Paper diskutiert die technischen und kulturellen Aspekte einer unternehmensweiten Einführung von Enterprise 2.0. eBooks Die (R)evolution des Buchmarktes!? Basierend auf den Erfahrungen bei der Entwicklung, Launch und Betrieb eines Internet eBook Shops stellt dieses Opinion Paper wesentliche Entwicklungen auf dem Buchmarkt dar und zeigt auf, wie Unternehmen das Konzept der „Networked Reading Experience“ nutzen können, um sich erfolgreich auf diesem lukrativen (e)Buchmarkt zu positionieren. The Last Train for the Telco Operator Community Telcos Get Together NOW! Interoperabilität wird ein kritischer Erfolgsfaktor für die nächste Generation von Telekommuni kationsdienstleistungen bleiben und sollte wieder in den Fokus der Telekommunikationsunter nehmen rücken. Das vorliegende Papier stellt die erforderlichen Schritte für Telcos dar, um an den Erfolg der Vergangenheit anzuknüpfen. IT-Organisation 2015 – Fit für die Zukunft. Facelift oder Modellwechsel? Detecon skizziert in diesem Executive Briefing die wesentlichen Strukturelemente für die zukünf tige IT-Organisation in Form eines ‚Blueprints IT-Organisation 2015‘. Über weitere wichtige Themen aus dem ICT-Umfeld können Sie sich in unseren aktuellen Veröffentlichungen informieren. Alle Detecon-Publi kationen finden Sie unter www.detecon.com und www.detecon-dmr.com 68 Detecon Management Report • 2 / 2011 www.detecon-dmr.com DMR Das Magazin für Management und Technologie ESSAY: Menschen sind Mosaike Detecon Management Report - 2 / 2011 Detecon Management Report - 2 / 2011 Kulturelle Vielfalt als Chance Sascha Hellmann High Involvement garantiert Erfolgreiche Kundenansprache im Auto via Internet Ein Kessel Buntes Aktives Diversity Management entscheidet den War for Talents Viele Wege führen nach Rom Die Migration zur nächsten Generation der Mobilfunknetze Detecon Management Report 2 / 2011