Stadtumbau in europäischen Städten mit Strukturkrise
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Stadtumbau in europäischen Städten mit Strukturkrise
Werkstatt: Praxis Heft 37 Herausgegeben vom Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung, Bonn Stadtumbau in europäischen Städten mit Strukturkrise Anregungen aus 10 Städten Projektleitung Evi Goderbauer Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung, Bonn Bearbeitung Martin Karsten (Koordination) FORUM GmbH, Oldenburg Katja Baumann, Antje Rohlfs, Christina Stellfeldt-Koch FORUM GmbH, Oldenburg Karoline Brombach, Prof. Dr. Johann Jessen, Lisa Küchel Universität Stuttgart Städtebau-Institut Monika Sonntag, Thilo Lang Institut für Regionalentwicklung und Strukturplanung (IRS), Erkner Britta Tornow, Wulf Dau-Schmidt Planungsbüro Dau-Schmidt Tornow, Kiel Ute Margarete Meyer, Jochem Schneider büroschneidemeyer, Stuttgart Wolfgang Neumann, Pierre Kukawka Deutsch-Französisches Institut, Ludwigsburg Ein Projekt des Forschungsprogramms Experimenteller Wohnungs- und Städtebau (ExWoSt) des Bundesministeriums für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (BMVBW) und des Bundesamtes für Bauwesen und Raumordnung (BBR). Werkstatt: Praxis In der praxisorientierten Schriftenreihe Werkstatt: Praxis gibt das BBR in unregelmäßiger Folge Berichte der Forschungsprogramme Experimenteller Wohnungs- und Städtebau (ExWoSt) und Modellvorhaben der Raumordnung (MORO) heraus. Der vorliegende Bericht ist ein Forschungsvorhaben im Rahmen des ExWoStForschungsfeldes Stadtumbau West. IMPRESSUM Herausgeber Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung Deichmanns Aue 3137 53179 Bonn Die von den Autoren vertretene Auffassung ist nicht unbedingt mit der des Herausgebers identisch. Gestaltung, Satz und Druck Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung, Bonn Vertrieb und Verlag Selbstverlag und Buchhandel Selbstverlag des Bundesamtes für Bauwesen und Raumordnung Deichmanns Aue 3137, 53179 Bonn Postfach 21 01 50, 53156 Bonn Tel.: (0 18 88) 401-22 09 Fax: (0 18 88) 401-22 92 E-Mail: selbstverlag@bbr.bund.de Nachdruck und Vervielfältigung Alle Rechte vorbehalten ISSN 1436 0063 (Schriftenreihe) ISBN 3 87994 937 9 12,50 E Werkstatt: Praxis Heft 37 Alle Rechte vorbehalten Bonn 2005 Inhalt Einleitung und Lesehilfe 1 Vergleichende Auswertung zehn europäischer Fallstudien 4 Auswahl der europäischen Vergleichsstädte 4 Rahmenbedingungen für Stadtumbau in sechs europäischen Vergleichsländern 6 Vergleich ausgewählter Aspekte mit westdeutschen Städten in Strukturkrise 9 Anregungen aus dem europäischen Ausland für den Stadtumbau in Westdeutschland Europäische Fallstudien im Stadtumbau 13 17 Großbritannien: Nationaler Kontext und Fallstudien Nationaler Kontext Copeland/Whitehaven Middlesbrough Sheffield St. Helens Gesamtfazit zu Stadtumbau-Vorhaben in Großbritannien 19 23 30 36 44 51 Dänemark: Nationaler Kontext und Fallstudie Nationaler Kontext Herning 54 57 Schweden: Nationaler Kontext und Fallstudie Nationaler Kontext Karlskoga 64 68 Italien: Nationaler Kontext und Fallstudie Nationaler Kontext Taranto 75 78 Spanien: Nationaler Kontext und Fallstudie Nationaler Kontext Barakaldo 85 87 Frankreich: Nationaler Kontext und Fallstudien Nationaler Kontext Romans St. Etienne 95 98 103 1 Einleitung und Lesehilfe Übersicht über die Pilotprojekte im ExWoSt-Forschungsfeld Stadtumbau West Die Deindustrialisierung und die flächenhaften Wohnungsüberhänge in Ostdeutschland haben im zurückliegenden Jahrzehnt die städtebauliche Diskussion wieder dafür sensibilisiert, dass Stadtentwicklung auf Dauer nicht nur räumliche Verteilung von Wachstum sein wird. Eine immer wichtiger werdende Aufgabe ist vielmehr die Gestaltung von Rückentwicklungsprozessen. Der Diskurs über die demographische Entwicklung der deutschen Bevölkerung hat diese Städtebau-Debatte noch verstärkt und sie zunehmend auch auf die Entwicklung einzelner Kommunen in Westdeutschland fokussiert. Dauerhafte Wohnungsleerstände, großflächige Industriebrachen und untergenutzte Produktionsstätten sowie leer stehende Einzelhandelsimmobilien in einigen westdeutschen Städten und Gemeinden werden folgerichtig in den Zusammenhang von regionalen Wirtschaftsstrukturkrisen und allgemeingültigen Trends der Bevölkerungsentwicklung gestellt. Die Analyse der unterschiedlichen Problemlagen einzelner Regionen und Siedlungsräume ist bereits relativ fortgeschritten. Die Bestimmung zukunftsfähiger Leitbilder und Erfolg versprechender Umbaustrategien für von rückläufigen Entwicklungen betroffene Städte und Stadtteile ist dagegen noch weitgehend unklar. Um entsprechende Erfahrungen von westdeutschen Kommunen in Schrumpfungsprozessen zu sammeln und auszuwerten, wurde das ExWoSt-Forschungsfeld Stadtumbau West vom Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (BMVBW) initiiert. Experimenteller Wohnungsund Städtebau (ExWoSt): Lernen aus der Praxis für die Praxis Mit dem Forschungsprogramm Experimenteller Wohnungs- und Städtebau (ExWoSt) fördert der Bund seit über 15 Jahren in Form von wissenschaftlich begleiteten Modellvorhaben innovative Planungen und Maßnahmen in wichtigen städtebau- und wohnungspolitischen Forschungsfeldern. Das Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung (BBR) betreut dieses Programm und veröffentlicht regelmäßig die Ergebnisse aus den Forschungsfeldern und Modellvorhaben. FORUM GmbH Martin Karsten Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung Lübeck Wilhelmshaven Hamburg Bremerhaven Bremen Evi Goderbauer Salzgitter Oer-Erkenschwick Gelsenkirchen Essen Schwalm-Eder-West Wildflecken Selb Völklingen Saarbrücken Pirmasens Albstadt © BBR Bonn 2004 Stadtumbau als neue Aufgabe in deutschen Städten 100 km Pilotkommunen, Aufnahme 2002 Pilotkommunen, Aufnahme 2003 Themenschwerpunkt Stadt/Ortsteil im Strukturwandel Themenschwerpunkt Wohngebiet im Wandel Verdichtungsräume Quelle: Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung 2004 Im Forschungsfeld Stadtumbau West sollen die städtebaulichen Instrumente einschließlich der Städtebauförderung des Bundes überprüft und ggf. Erkenntnisse zu deren Weiterentwicklung gewonnen werden. Dies betrifft insbesondere deren Eignung, rückläufige Entwicklungen, soweit sie auch im Westen Deutschlands prägend sind oder sein werden, räumlich zu steuern. Neben Instrumenteneinsatz oder Fragen der Finanzierung werden auch Kooperations- und Akzeptanzaspekte beim Stadtumbau untersucht. Seit Herbst 2002 erproben daher 16 Pilotprojekte bis 2006 bzw. 2007 beispielhaft Stadtumbau-Strategien und helfen dabei auch zu klären, wie der Bund den zu erwartenden Wandel in nicht mehr durch Wachstum geprägten Stadtregionen, Städten und Stadtteilen positiv und als Qualitätsgewinn für den urbanen Lebensraum unterstützen kann.1 Lernen von europäischen Beispielen Wirtschaftsstruktureller und demographischer Wandel als Ursache der in den westdeutschen Pilotstädten zu beobachtenden Rückentwicklungsprozesse ist nicht auf Deutschland begrenzt, sondern betrifft in unterschiedlichen Facetten viele hoch in- (1) Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung (Hrsg.): Stadtumbau West. 16 Pilotstädte bauen um. Ausgabe 2004 2 Stadtumbau in europäischen Städten mit Strukturkrise dustrialisierte Länder. Diese Tatsache hat schon in der Vergangenheit die Neugier auf Erfahrungen ausländischer Stadtregionen und Städte geschürt und zu einer Befruchtung der hiesigen Diskussion beitragen können, z. B. im Kontext der Internationalen Bauausstellung Emscher Park oder im Rahmen von Untersuchungen in den mit dem Ruhrgebiet vergleichbaren Altindustrieregionen in Nordengland oder Nordspanien.2 Die erst jüngst veröffentlichte Studie Schrumpfende Städte3 mit Fallstudien zu Detroit (USA), Liverpool und Manchester (Großbritannien), Ivanow (Russland) und Städten in Japan bestätigt das anhaltende Interesse an Erfahrungen mit Schrumpfungsprozessen im Ausland. (2) z.B. Kommunalverband Ruhrgebiet: Regionalmarketing für das Ruhrgebiet: Internationale Erfahrungen und Bausteine für eine Region mit Zukunft. Essen 1999 (3) Oswalt, Philipp (Hrsg.): Schrumpfende Städte. Band 1. Internationale Untersuchung. Ostfildern 2004 (4) Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung (Hrsg.): ExWoStInformationen zum Forschungsfeld Städte der Zukunft (Europäische Referenzstädte Nr. 22.3). Bonn 1999 (5) Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung (Hrsg.): Planung städtebaulicher Nutzungsmischung in Stadterweiterungs- und Stadtumbauvorhaben in Europa. Werkstatt: Praxis. Bonn 1999 (6) Siehe dazu jeweils auch die Unterkapitel Stadtumbau-Debatte in der Beschreibung der den Fallstudien vorangestellten nationalen Kontexte. Es lag daher nahe, auch im Rahmen des ExWoSt-Forschungsfeldes Stadtumbau West den Blick über die nationalen Grenzen hinaus zu richten, um die in anderen europäischen Ländern bereits vorliegenden Erfahrungen mit städtischen Schrumpfungsprozessen gezielt hinsichtlich möglicher Anregungen für die konkrete StadtumbauPraxis in Deutschland auszuwerten. Erwähnt werden kann, dass es bereits im Rahmen der Forschungsbegleitung von früheren ExWoSt-Modellvorhaben gute Erfahrungen mit ähnlichen themenbezogenen europäischen Vergleichsstudien gegeben hat, z. B. die Untersuchung der nachhaltigen Stadtentwicklung in fünf europäischen Städten (Aalborg, Edinburgh, Göteborg, Graz und Tilburg)4 als Teilprojekt im ExWoSt-Forschungsfeld Städte der Zukunft oder eine Untersuchung im Rahmen des ExWoSt-Forschungsfeldes Nutzungsmischung im Städtebau, in der Stadterweiterungs- und Stadtumbau-Vorhaben aus dem Ausland zur Planung neuer nutzungsgemischter Quartiere vergleichend aufgearbeitet wurden.5 Die Identifikation übertragbarer und guter Ansätze zu einer nicht mehr allein durch Wachstum gekennzeichneten Stadtentwicklung geschieht in der vorliegenden Arbeit durch Analyse konkreter städtebaulicher Projekte. Aufbauend auf den bisherigen Erkenntnissen im ExWoSt-Forschungsfeld Stadtumbau West konzipierte und koordinierte die Forschungsassistenz Forum GmbH im Auftrag des Bundesamtes für Bauwesen und Raumordnung eine Vergleichsstudie zum Stadtumbau anhand von Werkstatt: Praxis Heft 37 Städtebeispielen aus dem europäischen Ausland und beteiligte fünf Bearbeiterteams, die zehn unterschiedliche Städte aus England, Frankreich, Italien, Spanien, Dänemark und Schweden fallstudienartig untersuchten und im Rahmen eines gemeinsamen Arbeitsgespräches vertiefend diskutierten. Die Ergebnisse sind Grundlage dieser Veröffentlichung. Terminologie des Stadtumbaus In den im Rahmen dieser Untersuchung betrachteten Ländern werden unterschiedliche Begrifflichkeiten für die Beschreibung städtischer Entwicklung als Reaktion auf Schrumpfungsprozesse bzw. wirtschaftliche Strukturkrisen verwendet. Die Strategien sind in der Regel nicht auf städtebauliche oder wohnungspolitische Interventionen beschränkt, sondern umfassen auch wirtschaftliche, soziale und beschäftigungspolitische Maßnahmen.6 Die differierenden Begrifflichkeiten lassen sich so nicht nur auf die unterschiedliche Landesprache zurückführen, sondern sie sind auch ein Ergebnis der jeweils spezifischen Problematik vor Ort und des kulturell geprägten Umgangs damit (siehe auch Kapitel: Rahmenbedingungen von Stadtumbau .. ., Seite 6). Während z. B. in England und Frankreich die Begriffe städtische Regenerierung oder Stadterneuerung verwendet werden, wird in Dänemark von Stadtumbildung und in Schweden von Umstellungsarbeit gesprochen. Die einzelnen Bezeichnungen sind nicht immer gleichzusetzen mit dem deutschen Begriff Stadtumbau. Hinzu kommt, dass selbst in der deutschen Debatte der Begriff des Stadtumbaus (noch) unterschiedlich zur Anwendung kommt. Derzeit existiert ein engeres, eher auf wohnungswirtschaftliche Fragestellungen begrenztes Verständnis von Stadtumbau genauso wie eine weiter gefasste, im Sinne umfassender Regenerierung verwendete Formel, die z. B. zur Beschreibung der in den Pilotstädten des ExWoSt-Forschungsfeldes Stadtumbau West ablaufenden Prozesse Verwendung findet. Aus Gründen der Verständlichkeit und Lesbarkeit werden insofern nachfolgend die Begriffe Stadtumbau und städtische Regenerierung synonym verwendet. Einleitung und Lesehilfe Aufbau der Broschüre Die Veröffentlichung beginnt mit einer vergleichenden Darstellung und Auswertung der zehn untersuchten Fallstudien. Dieser Auswertungsbericht der Forum GmbH hat zum Ziel, Anregungen für die deutsche Stadtumbau-Praxis herauszuarbeiten und Möglichkeiten der Übertragbarkeit zu erörtern. Im Hauptteil der Broschüre werden die einzelnen Fallstudien, vier Fallstudien aus Großbritannien, je eine Fallstudie aus Dänemark, Schweden, Italien und Spanien sowie zwei Beispiele aus Frankreich, vorgestellt. Die Fallstudien werden eingeleitet mit einem Text, der die jeweiligen nationalen Rahmenbedingungen formuliert und damit die ausgewählten Städte und ihre Entwicklungsprozesse in den Kontext des jeweiligen Landes einordnet. Zur besseren Orientierung für den Leser sind alle Fallstu- 3 dien nach einer einheitlichen Gliederung abgefasst: Ausgangslage und Rahmenbedingungen, Strategieansatz, Ziele und konkrete Vorhaben, Stadtumbau-Prozess, Öffentlichkeitsarbeit und Bürgerbeteiligung, Finanzierung und städtebauliche Instrumente, Resümee, Literatur- und Quellenangaben, Abstract. Um auch einem ausländischen Interessenkreis einen leichteren Zugang zu den Ergebnissen der Vergleichsstudie zu ermöglichen, ist am Ende jeder Fallstudie eine Kurzfassung in englischer Sprache aufgeführt. Literatur- und Quellenangaben Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung (Hrsg.): Planung städtebaulicher Nutzungsmischung in Stadterweiterungs- und Stadtumbauvorhaben in Europa. Werkstatt: Praxis. Bonn 1999 Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung (Hrsg.): ExWoSt-Informationen zum Forschungsfeld Städte der Zukunft (Europäische Referenzstädte Nr. 22.3). Bonn 1999 Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung (Hrsg.): Stadtumbau West. 16 Pilotstädte bauen um. Berlin, Oldenburg 2004 Kommunalverband Ruhrgebiet: Regionalmarketing für das Ruhrgebiet: Internationale Erfahrungen und Bausteine für eine Region mit Zukunft. Essen 1999 Oswalt, Philipp (Hrsg.): Schrumpfende Städte. Band 1. Internationale Untersuchung. Ostfildern 2004 Stadtumbau in europäischen Städten mit Strukturkrisen 4 Werkstatt: Praxis Heft 37 Vergleichende Auswertung zehn europäischer Fallstudien Forschungsagentur Stadtumbau West FORUM GmbH, Oldenburg Katja Baumann Martin Karsten Antje Rohlfs Christina Stellfeldt-Koch Auswahl der europäischen Vergleichsstädte Der aus einem Vergleich der Ausgangslage, Herausforderungen und Strategien der 16 Pilotstädte im ExWoSt-Forschungsfeld Stadtumbau West gewonnene Erkenntnisstand weist auf eine Unterscheidung von zwei Typen von Stadtumbau-Städten in Westdeutschland hin:1 Typ 1: Stadt in Strukturkrise Verbunden mit einer relativ peripheren Lage zu Wachstumsräumen in Westdeutschland sind Krisen der wirtschaftlichen Leitbranche und mangelnde Kompensationspotenziale die Hauptursachen für die Schrumpfungsproblematik z. B. in den Pilotstädten Albstadt, Bremerhaven, Pirmasens, Salzgitter, Selb, Völklingen, Wildflecken und Wilhelmshaven. Typ 2: Wohnquartiere mit hohem Leerstand Hohe Wohnungsleerstände in einem Stadtteil, teilweise in Einzelgebäuden, einer Stadt ohne ausgeprägte gesamtstädtische Schrumpfungsprozesse sind die Merkmale z. B. der Pilotvorhaben Bremen-OsterholzTenever, Lübeck-Buntekuh und Oer-Erkenschwick-Schillerpark. Hintergrund ist der durch Rückgang und Alterung der Bevölkerung gekennzeichnete demographische Wandel in Deutschland. Die im Rahmen der europäischen Vergleichsstudie des Forschungsfeldes Stadtumbau West ausgewählten zehn Städte sind ausschließlich dem Typ 1 Stadt in Strukturkrise zuzuordnen. Bewältigungsstrategien gesamtstädtischer Schrumpfungsprozesse, die maßgeblich durch den krisenhaften Niedergang einer wirtschaftlichen Monostruktur verursacht wurden, stehen daher im Mittelpunkt der Studie. (1) Vgl. Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung (Hrsg.): Stadtumbau West. 16 Pilotstädte bauen um. Ausgabe 2004, www.stadtumbauwest.de Die Auswahl der zehn Städte erfolgte auf der Basis einer Sichtung von über 50 Städten dieses Typs in Europa. Keine Berücksichtigung fanden Städte in Osteuropa, da die Übertragbarkeit von Konzepten, Strategien und Instrumenten auf westdeutsche Bedingungen aufgrund des Einflusses der postsozialistischen Transformationsprozesse erschwert wird. Aus den potenziellen Vergleichsstädten wurden diejenigen ausgewählt, deren Schrumpfungsindikatoren wie z. B. Bevölkerungs- und Arbeitsplatzverluste, Nutzungsaufgabe, Leerstand usw., relativ ausgeprägt waren bzw. sind und bei denen nachweislich Erfahrungen mit Bewältigungsstrategien vorlagen. Als Sonderfall wurde die Stadt Herning in Dänemark berücksichtigt, die trotz einer Strukturkrise in der Leitbranche Textilindustrie keine Bevölkerungs- und Arbeitsplatzverluste aufweist, aber dennoch geeignet erscheint, beispielgebende Herangehensweisen an eine Stadtumbau-Thematik zu vermitteln. Ein wichtiges Auswahlkriterium darüber hinaus war, dass die europäischen Vergleichsstädte strukturprägende Merkmale der Pilotstädte aus dem ExWoSt-Forschungsfeld aufweisen sollten. Diese Vorgehensweise sollte sicherstellen, dass die Anregungen, die von den ausländischen Beispielen erwartet wurden, nicht nur auf wenige Stadttypen zutreffen. Als Merkmale fanden dabei Berücksichtigung: Monostrukturtyp Die ausgewählten zehn Städte spiegeln Strukturkrisen des Bergbaus, der Stahl und Metall verarbeitenden Industrie, der Werftenindustrie sowie der Textil- und Schuhindustrie wider und berücksichtigen auch militärische Konversion als strukturelle Ursache städtischer Schrumpfungsprozesse. Damit werden mit Ausnahme der Porzellanindustrie alle für die Strukturkrisen in den Städten des Typs 1 im ExWoSt-Forschungsfeld Stadtumbau West verantwortlichen Leitbranchen durch die Auswahl der europäischen Fallstudien berücksichtigt. Stadtgröße Auch hinsichtlich der Größenstruktur weisen die ausgewählten europäischen Vergleichsstädte Ähnlichkeiten mit den 16 Pilotstädten im Forschungsfeld auf. Als Indikator für die Auswahl wurde die Ein- Vergleichende Auswertung zehn europäischer Fallstudien wohnerzahl zugrunde gelegt. Unter den Vergleichsstädten sind Klein- und Mittelstädte ebenso vertreten wie eine ländliche Region und Großstädte von 95 000 EW bis über 500 000 EW. Diese Größenklassen entsprechen den sog. Strukturkrisestädten (Typ 1) im Forschungsfeld, deren Einwohnerzahl sich zwischen knapp 20 000 (Selb) und mehr als 500 000 (Essen) bewegt.2 5 Planungs- und Fördersystems ausgewertet. Insofern bilden die zehn Städte eine Referenzgruppe für die Pilotstädte im ExWoStForschungsfeld Stadtumbau West und können aufgrund der differierenden nationalen Rahmenbedingungen zusätzliche Anregungen für die deutsche Stadtumbau-Praxis liefern. (2) Bei der Auswahl wurde auf eine Vergleichsgemeinde zum Pilotvorhaben Wildflecken im ExWoSt-Forschungsfeld mit ca. 3 500 EW verzichtet. Raumstrukturtyp Methodisch ist die europäische Vergleichsstudie an die Strategie des ExWoStForschungsvorhabens Stadtumbau West angelehnt: so werden auch in den zehn Vergleichsstädten die Ausgangslage und die Erfahrungen mit Konzepten, Strategien und Projekten im Kontext des nationalen Kartographische Übersicht der Städte der europäischen Vergleichsstudie Canarias Reykjavik Madeira Acores Oslo Helsinki Karlskoga Tallinn Stockholm Moskva Copeland/ Whitehaven Riga Middlesbrough København Herning Dublin Vilnius Minsk St. Helens Sheffield Amsterdam London Berlin Warszawa Kyiv Bruxelles/Brussel Luxembourg Praha Paris Bratislava Kishinev Wien Romans-sur-Isere Budapest Bern Ljubljana Zagreb St. Etienne Sarajevo Barakaldo Bucuresti Beograd Sofiya Madrid Roma Lisboa Skopje Taranto Ankara Tirana Athinai Nicosia Algier Rabat Tunis Valletta 500 km Quelle: Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung 2004 Geometrische Grundlagen: Eurostat GISCO Merkmalsübersicht als Auswahlhilfe für die europäischen Vergleichsstädte Copeland/ Whitehaven Monostrukturtyp Kohleförderung, Hafenwirtschaft und Schiffsbauindustrie Bevölkerung 2003 (*2001) Copeland: 69 318* davon Whitehaven ca. 25 000 Raumstrukturtyp Strukturschwache ländliche Region St. Helens Kohleförderung, Glasindustrie Middlesbrough Kohleförderung, Stahlund Chemieindustrie, Schiffsbau © BBR Bonn 2004 Die Erfahrungen der Pilotstädte im ExWoSt-Forschungsfeld weisen darauf hin, dass es hinsichtlich der Problemlagen und Handlungsstrategien einen Unterschied macht, ob sich die Strukturkrise einer Stadt im räumlichen Umfeld einer Stadtregion oder im ländlichen Raum vollzieht. Daher fanden auch Raumstrukturmerkmale bei der Auswahl der europäischen Vergleichsstädte Berücksichtigung. Ähnlichkeiten zeigen sich bspw. zwischen den Pilotstädten im Ruhrgebiet oder Saarland und Städten in den Altindustrierevieren von Nordengland und Nordspanien, zwischen der Stadtumbau West-Pilotregion SchwalmEder-West und dem Gemeindeverbund in Copeland/Whitehaven in England oder zwischen den Städten Bremerhaven und Wilhelmshaven und der süditalienischen Stadt Taranto. Sheffield Herning Stahlindustrie, Metallverarbeitung Textilindustrie 59 150 176 843 134 900 513 200 Großstadt in Industrierevier mit Strukturwandel Großstadt in Industrierevier mit Strukturwandel Großstadt in Industrierevier mit Strukturwandel Mittelstadt in ländlicher Region Karlskoga Rüstungsindustrie, Metallverarbeitung 30 552 Taranto Barakaldo Stahlindustrie, Schiffbauindustrie, Marine Eisen- und Stahlindustrie 209 297 94 727 Mittelstadt in Großstadt in strukturschwa- strukturschwacher Region cher ländlicher Region Großstadt in Industrierevier mit Strukturwandel Quelle: Eigene Zusammenstellung Forschungsagentur Stadtumbau West, FORUM GmbH auf der Basis der einzelnen Fallstudien Romans St. Etienne Schuhindustrie Kohleförderung, Eisen-, Stahl- und Rüstungsindustrie 32 000 Mittelstadt in ländlicher Region 185 000 Großstadt in ländlicher Region Stadtumbau in europäischen Städten mit Strukturkrisen 6 Rahmenbedingungen für Stadtumbau in sechs europäischen Vergleichsländern Die Stadtumbau-Prozesse in den zehn europäischen Vergleichsstädten verlaufen unter jeweils spezifischen nationalen Rahmenbedingungen. Eine grobe Kenntnis dieser Rahmenbedingungen ist notwendig, um die Konzepte, Strategien und Projekte vor Ort einschätzen und hinsichtlich ihrer Anregungen für die deutsche StadtumbauPraxis bewerten zu können. Darüber hinaus können auch in den nationalen Rahmenbedingungen selbst verwertbare Informationen für die erfolgreiche Steuerung von Schrumpfungsprozessen durch bundespolitische Vorgaben und Entscheidungen in Deutschland liegen. Vor diesem Hintergrund werden im Folgenden auf der Basis der von den einzelnen Bearbeitern zur Verfügung gestellten Informationen die wirtschaftliche und demographische Entwicklung, das Stadtumbau-Verständnis und die nationalen Förderphilosophien der ausgewählten Länder mit denen Deutschlands verglichen. (3) Vgl. u.a. Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung (Hrsg.): Herausforderungen des demographischen Wandels für die Raumentwicklung in Deutschland. Manuskript. Veröffentlicht unter www.bbr.bund.de (Stand 02/05) Demographische Entwicklung Im Vergleich mit der Entwicklung in Deutschland weisen fünf der sechs berücksichtigten Länder in dem letzten Jahrzehnt einen höheren Bevölkerungszuwachs auf (vgl. Tabelle, unten). Italien, Spanien und Deutschland haben die niedrigsten Fertilitätsraten. In Deutschland ist diese niedrige Fertilitätsrate mit verantwortlich für die Zukunftsprognose einer weiterhin abneh- (4) Vereinte Nationen, Abteilung Bevölkerungsfragen: Bestandserhaltungsmigration eine Lösung für abnehmende und alternde Bevölkerungen? Zusammenfassung. http:// www.un.org/esa/population/ publications/migration/ execsumGerman.pdf (Stand 02/05). Werkstatt: Praxis Heft 37 menden Bevölkerung, weil der damit zusammenhängende Sterbeüberschuss die Dynamik der zukünftigen Bevölkerungsbewegung bestimmen wird.3 In allen westeuropäischen Ländern wird langfristig die Geburtenrate nicht für die Bestandserhaltung der Bevölkerung des Landes ausreichen und damit werden Zuwanderungsprozesse darüber entscheiden, ob die Bevölkerungszahl zu halten sein wird. In Italien und Deutschland ist schon heute abzusehen, dass Zuwanderungen die Sterbeüberschüsse nicht werden kompensieren können. Diese beiden Länder werden daher im europäischen Vergleich frühzeitig von der Symptomatik einer alternden und dazu noch schrumpfenden Gesamtbevölkerung betroffen sein und könnten dadurch zu Vorreitern werden im Umgang mit Stadtumbau-Fragestellungen, die aus dieser demographischen Rahmenbedingung erwachsen.4 Entwicklung der Arbeitslosigkeit Hinsichtlich der Arbeitsmarktentwicklung als einem Indikator für die wirtschaftliche Entwicklung ist in Deutschland ebenso wie in Frankreich und Italien eine hohe Arbeitslosigkeit festzustellen (vgl. Tabelle, unten). Demgegenüber weisen Großbritannien, Dänemark und Schweden ein erheblich geringeres Arbeitslosigkeitsniveau und eine insgesamt günstigere Entwicklung auf. Auch Spanien verzeichnet ein hohes Niveau der Arbeitslosigkeit, aber bei gleichzeitig überdurchschnittlich hohem Zuwachs an Erwerbstätigen. Ausgewählte Daten der demographischen und wirtschaftlichen Entwicklung auf nationaler Ebene Verein. Königreich Großbritannien Dänemark Schweden Gesamtbevölkerung 1993 (in 1 000) 58 098,9 5 180,6 Gesamtbevölkerung 2003 (in 1 000) Italien Spanien Frankreich Deutschland 8 692,0 56 960,3 39 113,5 57 369,2 80 974,6 59 328,9 5 383,5 8 940,8 57 321,1 41 550,6 59 635,0 82 536,7 Bevölkerungsentwicklung 19932003 (in %) 2,1 3,9 2,9 0,6 6,2 3,9 1,9 Gesamtfruchtbarkeitsrate 2003 1,71 1,76 1,71 1,29 1,29 1,89 1,34 Erwerbstätige 1993 (in 1 000) 26 714,3 2 561,8 4 077,3 22 348,3 13 381,0 22 449,3 37 365,0 Erwerbstätige 2003 (in 1 000) 29 770,5 2 754,8 4 341,3 24 286,0 16 646,3 24 888,3 38 247,8 11,4 7,5 6,5 8,7 24,4 10,9 2,4 4,9 5,6 5,6 8,4 11,3 9,5 9,0 Entwicklung der Erwerbstätigen 19932003 (in %) Arbeitslosenquote 2003 Quelle: Eurostat (bezogen auf Bevölkerungs- und Erwerbstätigenentwicklung abgeleitete Berechnung) Vergleichende Auswertung zehn europäischer Fallstudien Räumliche Disparitäten Die landesweiten demographischen und wirtschaftlichen Entwicklungen verdecken die zunehmenden räumlichen Disparitäten, die in allen sechs Vergleichsländern zu beobachten sind. Zwar nicht einen mit der Teilung und Wiedervereinigung Deutschlands vergleichbaren Prozess kennend, ist deren Situation ähnlich der in Westdeutschland, wo schon in den 1980er Jahren und verstärkt seit Mitte der 1990er Jahre in einzelnen Regionen und Städten wirtschaftliche Einbrüche und in der Folge Bevölkerungsverluste zu beobachten sind. So finden sich räumlich begrenzte Krisenerscheinungen auch in Großbritannien, Dänemark, Schweden, Italien, Spanien und Frankreich. Diese Strukturkrisen stehen ebenso wie in Deutschland meist in einem engen Zusammenhang mit dem Niedergang einzelner Wirtschaftsbranchen, allgemeinen Trends der Deindustrialisierung und Tertiärisierung und der Neubewertung von Lagekriterien für Standorte von Unternehmen. Stadtumbau-Verständnis und Stadtumbau-Debatte Die zunehmenden regionalen Disparitäten spielen in aktuellen Stadtentwicklungsdebatten der sechs Länder eine wichtige Rolle. In Großbritannien, wo diese Diskussion unter dem Begriff der städtischen Regenerierung5 geführt wird, begann die systematische Auseinandersetzung mit Bewältigungsstrategien für industrielle Krisenregionen schon vor mehr als 20 Jahren. Als sog. Wiege der Industrialisierung war Großbritannien auch besonders frühzeitig von Prozessen des Niedergangs einzelner Industriezweige betroffen. In den skandinavischen Ländern ist die Debatte um räumliche Disparitäten dagegen erst jung und legt ihren Fokus stärker auf die Frage, wie in dünn besiedelten Flächenländern Arbeitsplätze und Bewohner in peripheren Lagen gehalten werden können. Eine nationale Debatte über die zunehmenden regionalen Disparitäten mit räumlich begrenzten Verlusten an Arbeitsplätzen und Einwohnern wird in keinem der sechs Länder unter dem Begriff von Schrumpfung geführt, wie er bspw. die jüngere Diskussion um Folgen des wirtschaftlichen und demographischen Wandels in Westdeutschland beherrscht. In Großbritannien könnte dies auf den seit 15 Jahren anhaltenden wirtschaftlichen Aufschwung zurückgeführt werden: Dieser hat in den besonders vom Niedergang betroffenen 7 Stadtregionen wie z. B. Liverpool, Manchester oder Sheffield zu einem Abbau der Arbeitslosenquote von bis zu 16 % in den 1980er Jahren auf heute unter 4 % beigetragen. Darüber hinaus geht der kreditfinanzierte und von starkem Binnenkonsum geprägte Aufschwung in Großbritannien mit einem hohen Investitionsinteresse an Immobilien einher. Unter solchen Bedingungen dürfte es auch in den von Strukturkrisen betroffenen Regionen schwer fallen, von Schrumpfung zu sprechen. Vor dem Hintergrund der deutschen Diskussion wundert aber besonders die Begriffswahl in Schweden. Hier lautet das Instrument der Nationalregierung, mit dem den prognostizierten dauerhaften Rückentwicklungsprozessen in einer Vielzahl schwedischer Kommunen entgegengewirkt werden soll, Regionaler Wachstumspakt bzw. Wachstumsprogramm. Wachstum wird dabei weniger als quantitativer Zuwachs von Arbeitsplätzen und Einwohnern verstanden, sondern vielmehr als Wachstum an Stadtund Lebensqualität. Bei einem Vergleich der zehn europäischen Vergleichsstädte fällt auf, dass den Ansätzen zur Begegnung der städtischen Strukturkrise vornehmlich ein Aufgabenverständnis von städtischer Regenerierung als wirtschaftlichem Belebungsprozess zugrunde liegt. Diversifizierung der Wirtschaftsstrukturen, Reduzierung der Abhängigkeit von industriellen Großstrukturen sowie Aus- und Weiterbildung sind die zentralen Ansatzpunkte der meisten Regenerierungsprozesse. Städtebauliche Maßnahmen sind in diese umfassenden Ansätze integriert, stehen aber selten für sich allein. Dennoch spielen sie in nahezu allen Stadtumbau-Prozessen eine bedeutende Rolle. Wohnungswirtschaftliche und wohnungspolitische Themenstellungen, die in der deutschen Diskussion großen Raum einnehmen, spielen in den Vergleichsländern nur eine ergänzende Rolle. Nationale Förderphilosophien beim Stadtumbau Alle Nationalregierungen der Vergleichsländer haben Förderstrategien entwickelt, um die Umbauprozesse in von Strukturkrisen betroffenen Regionen und Städten zu unterstützen. Die nationalen Programme ergänzen die europäischen Strukturfonds, die in den meisten Vergleichsstädten zur Anwendung kommen. (5) urban regeneration Stadtumbau in europäischen Städten mit Strukturkrisen 8 (6) Politique de la ville (7) Contrat de ville (8) Grands projets de ville (9) omställning (10) Das sog. competitive bidding (Wettbewerbsprinzip) kam 1991 erstmals im Stadterneuerungsprogramm city challenge zum Tragen (11) Der Index basiert auf einer Zusammenschau und Bewertung verschiedener Sozialindikatoren (Bildungsniveau und Gesundheitszustand der Stadtteilbewohner, Ausländeranteil, Anteil von Hilfeempfängern, usw.); siehe dazu auch S. 19 ff (12) Deutscher Bundestag: Städtebaulicher Bericht der Bundesregierung. Nachhaltige Entwicklung ein Gemeinschaftswerk. Bundestagsdrucksache 15/4610. S. 133 ff. 2004 (13) Local Strategic (LSP) Partnerships Die Konstruktion der nationalen Förderprogramme spiegelt die für jedes Land spezifische Form der Zusammenarbeit der Nationalregierung mit der regionalen und lokalen Ebene wider, die sich von der föderalen Struktur der Städtebauförderung in Deutschland häufig stark unterscheidet. So ist bspw. das Fördersystem in Großbritannien, das sich im Kontext der städtischen Regenerierungsprozesse in vielfältige Einzelprogramme differenziert, von starker Steuerung durch die Nationalregierung geprägt. Diese zentralstaatliche Steuerung ist Ergebnis der Politik unter Margaret Thatcher, die eine Entmachtung der Kommunen zum Ziel hatte und von der LabourRegierung bislang im Grundsatz nicht verändert wurde. Auch in Frankreich übt der Nationalstaat einen starken Einfluss auf die Kommunen aus, wenngleich sich in den letzten Jahren ein Bedeutungsgewinn der regionalen und kommunalen Ebene eingestellt hat: Im Rahmen der sog. Stadtpolitik6 schließen die Kommunen mit dem Nationalstaat einen sog. Stadtvertrag7 über bestimmte Projekte und Maßnahmen der Stadtentwicklung und Stadterneuerung; mit den Regionen wiederum werden vertragliche Regelungen über besonders große städtebauliche Maßnahmen8 geschlossen. Das schwedische Modell ergänzt die finanzielle Förderung durch fachliche Beratung und Begleitung bei der Erarbeitung des sog. Umstellungsprozesses9, bei dem Beratungsressourcen eines Instituts des Wirtschaftsministeriums der Region und Kommune zur Verfügung gestellt werden. Die Beispiele verdeutlichen, dass eine nationalstaatliche Steuerung in anderen Ländern in der Regel ausgeprägter ist als im föderalen System deutscher Städtebauförderung, bei dem die Profilierung eines Programms häufig erst durch Abstimmungsprozesse zwischen der Bundesregierung und den 16 Bundesländern erreicht werden kann. Im britischen Fördersystem wurde nach der Ablösung der konservativen ThatcherRegierung eine andere Förderphilosophie in der Städtebauförderung durchgesetzt: während Fördermittel zuvor auf der Basis eines landesweiten Wettbewerbs um die besten Konzepte vergeben wurden, um eine höchstmögliche Qualität der Vorhaben und Effizienz des Mitteleinsatzes zu erreichen10, so wurde dieses Verfahren inzwischen abgelöst durch ein Vergabesystem, das sich an einem landesweit ermittelten Benachteili- Werkstatt: Praxis Heft 37 gungsindex (Index of Multiple Deprivation) orientiert.11 Auch in die deutsche Städtebauförderung haben problemorientierte Verteilungsschlüssel bei der Vergabe von Städtebauförderungsmitteln mit den Programmen Soziale Stadt und Stadtumbau West Einzug gehalten.12 Bedeutung privater Akteure im Stadtumbau Stadtumbau in Deutschland erfordert neue Formen der Zusammenarbeit von öffentlichen und privaten Akteuren. Dies zeigen nicht nur die Pilotvorhaben des ExWoStForschungsfeldes, sondern auch die neue Gesetzgebung: Die Mitte 2004 in Kraft getretene Novellierung des Baugesetzbuches beinhaltet im §171 Möglichkeiten der Ausweisung von Stadtumbau-Gebieten, in denen vertraglichen Lösungen zwischen privaten Akteuren und der Kommune eine wichtige Rolle beigemessen wird. In einigen europäischen Nachbarstaaten scheint diese Zusammenarbeit auch bei städtebaulichen Vorhaben schon länger Tradition zu haben. Insbesondere in Schweden fällt die Selbstverständlichkeit solch öffentlich-privater Partnerschaften auf. In Großbritannien werden Partnerschaften nicht nur bei der Umsetzung, sondern schon bei der Strategiebildung gefördert, indem die Bildung von Partnerschaften13 Voraussetzung für die Inanspruchnahme zahlreicher Förderprogramme ist. In Frankreich wird die Zusammenarbeit von privaten Akteuren und der Kommune mit Hilfe eines besonderen Finanzierungsinstrumentes, der sog. Zonierung, gestärkt. Es beinhaltet in benachteiligten bzw. zur Aufwertung vorgesehenen Stadtquartieren neben Fördermitteln auch Steuererleichterungen für Unternehmen mit bis zu 150 Arbeitsplätzen. Derartige Finanzierungsinstrumente sind auch in Deutschland schon häufig diskutiert worden, aufgrund außerordentlich komplexer Finanzausgleichssysteme zwischen Bund und Ländern sowie Ländern und Kommunen hatten derartige Steuererleichterungszonen aber bisher kaum Realisierungschancen. Vergleichende Auswertung zehn europäischer Fallstudien Vergleich ausgewählter Aspekte mit westdeutschen Städten in Strukturkrise Industriefläche des Stahlwerks in Taranto (Italien) als Beispiel für die Großflächigkeit von Industriebrachen der Schwerindustrie Industrielle Monostrukturkrisen und ihre Folgen für Wirtschaft und Städtebau In den sog. Strukturkrisestädten des ExWoSt-Forschungsfeldes ist auf den Niedergang der wirtschaftlichen Leitbranche zumeist folgende Wirkungskette festzustellen: Eine schlechte Arbeitsmarktperspektive führt zu überregionalen Abwanderungen, gerade von jungen Menschen. Die auch in schrumpfenden Städten zu konstatierenden Suburbanisierungsprozesse haben zusammen mit Fernwanderungen anhaltend hohe Bevölkerungsverluste zur Folge. Die Wanderungsprozesse sind sozial und altersstrukturell selektiv, mit der Konsequenz, dass in diesen Städten vorwiegend ältere Menschen sowie diejenigen verbleiben, die über geringere Qualifikationen und Einkommen verfügen. Diese Entwicklung wiederum begründet weitere Kaufkraftverluste. Die städtebaulich relevanten Folgen sind neben häufig großflächigen Industriebrachen, Leerstände von Einzelhandelsund Wohnimmobilien. Diese in den westdeutschen Pilotstädten zu beobachtende Wirkungskette wird weitgehend auch in den zehn Vergleichsstädten deutlich. Selbst die Entwicklung in der Stadt Herning, die aufgrund ihrer positiven Arbeitsmarkt- und Bevölkerungsentwicklung als Sonderfall unter den Vergleichsstädten eingestuft ist, liefert indirekt eine Bestätigung dieser Wirkungskette: Die besonderen nationalen Rahmenbedingungen eines extrem flexiblen Arbeitsmarktes in Dänemark sowie die Lage Hernings in einer Region mit Arbeitsplatzalternativen scheinen hier eine gesamtstädtische Krise in Folge des Niedergangs der Textilproduktion verhindert zu haben. Darin dürfte auch die Begründung liegen, dass in Herning die städtebaulichen Folgen einer industriellen Strukturkrise weitgehend ausgeblieben sind. Das Beispiel Herning, ergänzt um die Beobachtungen in der ehemaligen französischen Schuhmetropole Romans-sur-Isère, lässt einen weiteren Rückschluss auf städtebauliche Problemlagen in Städten zu, die durch den Niedergang ihrer wirtschaftlichen Leitbranche in eine Krise geraten sind: Für das Ausmaß der städtebaulichen Missstände scheinen die Form der Flächennutzung und die Flächenintensität der zugrunde liegenden Wirtschaftsbranche entscheidend zu sein. Bergbau, Stahlindustrie, Hafen- Quelle: bueroschneidermeyer wirtschaft und Militär hinterlassen in Städten großflächige Brachen, die bei Niedergang der Industrie oder Abzug des Militärs nicht nur die Funktionalität des Stadtgefüges in Frage stellen, sondern auch in den Gebäuden selbst kaum Nachnutzungsmöglichkeiten eröffnen. Demgegenüber beeinträchtigen aufgegebene Standorte der Textil- und Schuhindustrie aufgrund der vergleichsweise geringeren Flächenintensität und räumlichen Verteilung der Produktionsstätten im Stadtgebiet das Stadtbild weniger und ermöglichen vielfältigere Nachnutzungsoptionen, wie auch die westdeutschen Pilotstädte Albstadt (Textil) und Pirmasens (Schuh) belegen. Konzepte und Strategien des Stadtumbaus Wenngleich die Ausgangsbedingungen mit dem Niedergang der wirtschaftlichen Leitbranche für alle europäischen Vergleichsstädte identisch sind, unterscheiden sich die Konzepte und Strategien, die zur Bewältigung der Krisenerscheinungen entwickelt und verfolgt worden sind, teilweise deutlich voneinander. Während die politischen Entscheidungsträger in einigen Städten häufig viele Jahre ihre Aktivitäten auf eine Revitali- 9 10 Stadtumbau in europäischen Städten mit Strukturkrisen sierung oder Diversifizierung der Wirtschaftsstruktur konzentrierten, bis sie eine Entscheidung für einen Neuanfang für neue Strukturen fällten, wie z. B. in St. Etienne, stand für die Verantwortlichen in anderen Städten eine realistische und schonungslose Bestandsaufnahme der Entwicklungsmöglichkeiten der Stadt am Anfang der Bewältigungsstrategie: Die ehemalige Bergbau- und Glasindustriestadt St. Helens ist mit ihrer Strategie, die Chancen der Windschattenlage zu Liverpool und Manchester zur Profilierung als Wohn- und Tourismusstandort zu nutzen, beispielhaft für eine solche realistische Bestandsaufnahme. Ähnliches gilt für die ehemalige Stahl- und Hafenstadt Taranto in Süditalien, die ihre Tourismuspotenziale aufgrund der Lage zwischen zwei Meeren erst erschließen kann, seit sie Stadtentwicklung ohne Stahlindustrie und mit veränderter Hafennutzung zu denken wagt. In städtebaulicher Hinsicht stand für Städte, die mit den Folgen des Niedergangs einer flächenintensiven Monoindustrie konfrontiert waren, zunächst eine Phase des Aufräumens14 an: insbesondere in den britischen Vergleichsstädten wurden zunächst die Industrieanlagen auf den großflächigen Brachen, die die Schwerindustrie hinterlassen hatte, abgeräumt und technische Infrastruktureinrichtungen z. B. Verkehrs-, Ver- und Entsorgungsanlagen an die Bedürfnisse der verbliebenen Stadtstrukturen angepasst. Erst in einer weiteren Phase wurden dann städtebauliche Entwicklungsprojekte definiert und umgesetzt. (14) In Großbritannien als dirty work bezeichnete Phase der städtischen Regenerierung Im Vergleich der zehn Fallstudien fällt auf, dass in allen Städten die Innenstädte und die großflächigen Industriebrachen Schwerpunkträume des Stadtumbaus darstellen. Nur im Stadtumbau von St. Etienne spielt ergänzend dazu der Umbau bestehender Wohnquartiere eine ähnlich bedeutsame Rolle wie bei einer Mehrzahl der westdeutschen Pilotstädte. In den britischen Vergleichsstädten steigt aktuell angeregt durch ein 2003 neu gestartetes nationales Förderprogramm zur Bewältigung nachlassender Wohnraumnachfrage in ausgewählten Regionen die Bedeutung des Stadtumbaus von Wohnquartieren. Im Gesamtüberblick ist aber festzustellen, dass städtebaulichen Maßnahmen in den europäischen Vergleichsstädten ein direkter Einfluss auf die Bewältigung der wirtschaftlichen Strukturkrise unterstellt wird und Werkstatt: Praxis Heft 37 ihnen eine hohe Bedeutung beigemessen wird, während die Bewältigung wohnungspolitischer Problemlagen eher eine untergeordnete Rolle spielt. Möglicherweise ist dies auch darauf zurückzuführen, dass der Wohnungsleerstand in den europäischen Vergleichsstädten als nicht beunruhigend hoch eingeschätzt wird. In allen Städten wird nach der Definition von Schwerpunkträumen eine projektorientierte Umsetzungsstrategie verfolgt. Diese ähnelt der engen Verknüpfung von Gesamtkonzeption und Impulsprojekten wie sie die westdeutschen Pilotvorhaben aufweisen. Die Projektdimension der Vergleichsstädte umfasst mehrheitlich städtebauliche Großprojekte wie z. B. den Neubau von nutzungsgemischten Quartieren in Barakaldo, Middlesbrough, Sheffield und St. Etienne, Einzelhandels- (Romanssur-Isère) und Freizeitgroßinfrastrukturen (Whitehaven, St. Helens) oder Investitionen in Bildungsinfrastruktur (Karlskoga). Allein die italienische Hafenstadt Taranto scheint sich bezogen auf die Revitalisierung seiner Altstadt einer Vielzahl klein dimensionierter und bestandsorientierter Einzelmaßnahmen verschrieben zu haben. Insbesondere in Taranto, aber auch in fast allen anderen Vergleichsstädten, wird der Erhaltung des bauhistorischen Erbes als identitätstiftendem Faktor im Stadtumbau eine hohe Bedeutung beigemessen. Dies gilt insbesondere auch für die Industriebaukultur, die wenn sie wie in der ehemaligen britischen Bergarbeiter- und Glasstadt St. Helens bezüglich der Bergbauepoche erst einmal komplett zerstört ist im Nachhinein als Potenzial für identitätsstiftende Leitprojekte vermisst wird. World of Glass-Museum in St. Helens als identitätsstiftendes industriekulturelles Element Quelle: Universität Stuttgart Städtebau-Institut Vergleichende Auswertung zehn europäischer Fallstudien Städtebauliche Chancen altindustriell geprägter Städte in Strukturkrise Die Stadtentwicklung der sog. Strukturkrisestädte im ExWoSt-Forschungsfeld Stadtumbau West und auch die der europäischen Vergleichsstädte war seit der Industrialisierung der Städte jeweils geprägt von einer dominierenden Wirtschaftsbranche. Die städtebauliche Entwicklung war über Jahrzehnte weitgehend den industriellen Interessen untergeordnet. Die räumliche Trennung von Arbeitsplatz und Wohnung war wegen der Anlagenkonzeption notwendig, Grün- und Freiflächen häufig nur wenige vorhanden. Nicht selten entstanden unmittelbar um die großflächigen Betriebe einfache Wohnquartiere für die Arbeiter, später auch bei höherem Arbeitskräftebedarf neue Wohnquartiere in weiterer Entfernung. In diesen Wohnquartieren bildeten sich kleinere Versorgungszentren aus. Ein gewachsenes Zentrum als Mittelpunkt des öffentlichen Lebens fehlte häufig. Die Städte weisen Verkehrsbauwerke großer Dimensionen auf, die auf die industriellen Bedürfnisse zugeschnitten waren, durch ihre Zerschneidungswirkung aber noch heute die Wohnund Lebensqualität der Bewohner einschränken. Vor dem Hintergrund dieser städtebaulichen Defizite widmet sich die deutsche Stadtumbau-Diskussion auch der Frage, ob der Niedergang der industriellen Basis einer Stadt mit den Folgen nachlassender Flächennachfrage die Chance birgt, neue urbane Qualitäten zu entwickeln. Einige der europäischen Beispiele zeigen, dass es gelingen kann, durch die Überwindung der Stadtentwicklungszwänge der industriellen Epoche neue Stadtqualitäten zu formulieren: 11 Fallbeispiel Barakaldo: Die Industrieanlagen der Stahlindustrie bildeten um die Kernstadt eine moderne Stadtmauer. Sie trennten die Kernstadt von den die Stadt umgebenden Flüssen Galindo und Nervion. Mit dem Abriss von Hochofenanlage und Walzwerk verfügte die Stadt 1997 über 285 ha Flächen zur städtebaulichen Neuordnung und ergriff diese als Chance, der Stadt eine neue städtebauliche Struktur zu geben. Mit der Entwicklungskonzeption soll die Stadt aus der Umklammerung befreit und zerschnittene Siedlungskörper vernetzt werden. Bei der Neuentwicklung von Quartieren spielen Nutzungsmischung und Freiraumentwicklung eine entscheidende Rolle. Fallbeispiel Middlesbrough: Die Siedlungsentwicklung von Middlesbrough begann südlich des Flusses Tees mit den Docks und dem Wohnviertel St. Hildas. Heute versperren die ehemaligen Docks, ein Industriegebiet mit Autowerkstätten und Schrotthändlern sowie das sozial problematische Wohnquartier St. Hildas den Zugang zum Wasser. Das Hauptprojekt des Regenerierungsprozesses der Stadt das Projekt Middlehaven zielt daher auf eine Neuordnung der flussnahen Areale und die Entwicklung eines nutzungsgemischten Quartiers mit 2 750 Wohneinheiten, einem Campus der Universität und Büros mit bis zu 3 000 Arbeitsplätzen. Stadtumbau-Gebiete in Barakaldo Das Projekt Middlehaven in Middlesbrough Quelle: Tees Valley Regeneration Company, 2004 Quelle: Stadt Barakaldo, bearbeitet durch bueroschneidermeyer 12 Stadtumbau in europäischen Städten mit Strukturkrisen Fallbeispiel Karlskoga: Karlskoga ist eine mit der Rüstungsindustrie gewachsene Stadt. Nicht nur die strikte räumliche Trennung von Wohn- und Arbeitsfunktion, sondern zusätzlich die aus Sicherheitsgründen notwendige Absperrung großer Areale beeinflussten in der Vergangenheit die Stadtentwicklung. Die von der Stadt formulierte Vision 2010 sieht die Öffnung eines Teils des Geländes zu einem Campus vor. Dieser Campus soll über eine Uferpromenade entlang eines Sees an das Stadtzentrum angebunden werden, das ebenfalls aufgewertet wird. Am Seeufer werden darüber hinaus neue Wohnangebote geschaffen, wodurch der Stadt insgesamt zu einer neuen städtebaulichen Struktur und ergänzenden Wohnqualitäten verholfen werden soll. Fallbeispiel St. Etienne: Die Stadtstruk- tur St. Etiennes wird von einer historisch gewachsenen Nord-Süd-Achse dominiert. Die Nutzungsaufgabe innerstädtischer Industriestandorte hat das Zentrum St. Etiennes und einige innenstadtnahe Wohnquartiere geschwächt. Die Stadtumbau-Strategie sieht vor, zwei großflächige innerstädtische Industriebrachen mit nutzungsgemischten Quartieren neu zu bebauen und dabei eine Ost-West-Achse aufzuwerten. Diese Aufwertung wird unterstützt durch den Bau einer Straßenbahnlinie und der vollständigen Erneuerung einer Platzfolge, die in der Summe eine Neubesinnung der Stadt auf sein Zentrum und eine zweite räumliche Achse darstellt. Das Quartier Chateaucreux in St. Etienne als ein Beispiel für eine Revitalisierung der Innenstadt Quelle: Stadt St. Etienne Werkstatt: Praxis Heft 37 Fallbeispiel Taranto: Die Attraktivität der Stadt Taranto liegt in ihrer einzigartigen Lage zwischen dem Mar Grande und dem Mar Piccolo. Spürbar wird diese Attraktivität in der Altstadt und dem Stadtteil Borgo, die beide allerdings in den letzten 40 Jahren stark unter den Emissionen des nahe gelegenen Stahlwerks sowie dem zivilen und militärischen Hafen gelitten haben. In diesem Zeitraum haben sich dort die Wohnbedingungen derart verschlechtert, dass nur ein Bruchteil der ehemaligen Einwohnerzahl zwischen den beiden Meeren lebte. Der Rückzug des Stahlwerks und die Verlegung von zivilem Hafen und Marinehafen haben die Stadt in die Position versetzt, die Qualitäten der Lage am Wasser neu zu beleben. Im Falle der fünf skizzierten Beispiele beschränkt sich der Stadtumbau nicht auf städtebauliche Reparaturen. Diese Stadtumbau-Vorhaben sind Beispiele für die Entwicklung neuer urbaner Qualitäten, die durch den Niedergang der die Stadt prägenden Industrie und die Nutzungsaufgabe der industriellen Standorte und Anlagen erst möglich geworden sind. Regionale Zusammenarbeit beim Stadtumbau In den Pilotstädten des ExWoSt-Forschungsfeldes bildet die Abstimmung von Stadtumbau-Vorhaben mit den Umlandgemeinden die Ausnahme, auch wenn von den Verantwortlichen vielfach die Einsicht formuliert wird, dass für einen erfolgreichen Stadtumbau regional abgestimmte Konzeptionen erforderlich sind. Demgegenüber liegen den Konzepten in den europäischen Fallstudien mehrheitlich regionale Abstimmungsprozesse zugrunde, wahrscheinlich nicht zuletzt aufgrund des Drucks der nationalstaatlichen Ebene: In Frankreich ist die interkommunale Zusammenarbeit gesetzlich verankert und beinhaltet die Übertragung von Kompetenzen auf eine regionale Gebietskörperschaft. In Großbritannien und Schweden sind die Förderbedingungen zahlreicher Förderprogramme an eine interkommunale Abstimmung geknüpft. Mit diesen Vorgaben für die Vergabe von Fördermitteln wird ein Anreizsystem für die Erarbeitung eines regionalen Vorteils- und Lastenausgleichs im Stadtumbau geschaffen. Besonders weitgehend ist die regionale Kooperation im Fallbeispiel Barakaldo: Hier verfügt die Region Bilbao, die in ihrer Vergleichende Auswertung zehn europäischer Fallstudien Gesamtheit unter den Folgen des Strukturwandels der Bergbau- und Montanindustrie leidet, über die Planungs- und Projektentwicklungsgesellschaft Bilbao Ria 2000. Diese von Land, Region und den Städten Bilbao und Barakaldo getragene Gesellschaft setzt wichtige Stadtentwicklungsvorhaben in den beiden Städten um und konzentriert sich dabei insbesondere auf die Revitalisierung von Uferbereichen des Flusses Nervion. Neue Organisationsformen für die Umsetzung von Stadtumbau-Vorhaben Die Stadtumbau West-Pilotstädte zeigen, dass die Steuerung von Stadtumbau-Vorhaben insbesondere wegen der notwendigen ressort- und akteursübergreifenden Zusammenarbeit komplexe Anforderungen an die für die Umsetzung verantwortlichen Organisationen bzw. Institutionen stellt. Zur effizienten Umsetzung einer politisch beschlossenen Strategie wurde bislang nur in Bremen mit der Osterholz-TeneverGrundstücksgesellschaft mbH15 eine neue Organisation gegründet, die als gemeinsames Unternehmen von der Stadt und einem Wohnungsunternehmen den Stadtumbau-Prozess des Wohnquartiers Osterholz-Tenever steuert und umsetzt. Neu geschaffene Organisationen, die ganze Stadtumbau-Vorhaben als halböffentliche oder auch öffentliche Einrichtungen mit Budgetverantwortung und zeitlich begrenzter Aufgabenübertragung steuern, sind bei den englischen Beispielen selbstverständlich,16 weil sie dort eine Voraussetzung für den Einsatz von Fördermitteln darstellen. Auch Bilbao Ria 2000, die Steuerungsorganisation in Barakaldo, stellt eine solche neue Institution dar, die offensichtlich die Effektivität und Effizienz der Umsetzung des Stadtumbaus befördern kann. Koordination der Fachressorts Im Verständnis der europäischen Vergleichsländer ist Stadtumbau in Städten mit Strukturkrise der Bewältigungsprozess einer Krise der Wirtschaft, der u. a. mit gezielten städtebaulichen Maßnahmen befördert werden soll. In diesem Verständnis liegt ein hoher Anspruch an die Koordination einzelner Fachpolitiken im Prozess. Dieser Anspruch wird in Großbritannien und Skandinavien teilweise durch Vorgaben der Förderprogramme eingelöst. In Frankreich ist diese Integration sogar mit einem eigenen Querschnittministerium in- 13 stitutionalisiert und durch ein koordiniertes Verfahren der Abstimmung auf nationalstaatlicher und kommunaler Ebene hinterlegt. Die Koordination insbesondere der wirtschaftsstrukturpolitischen mit den städtebau- und wohnungswirtschaftlichen Ansätzen ist in vielen ExWoSt-Pilotstädten hingegen noch nicht sonderlich ausgeprägt. Ein Beispiel dafür ist u.a. die Stadt Bremerhaven, wo die Entwicklung des alten Hafenareals zu einem Einkaufs- und Freizeitstandort bislang kaum Bezüge zum wohnungspolitisch orientierten Stadtumbau-Prozess aufweist. Anregungen aus dem europäischen Ausland für den Stadtumbau in Westdeutschland Stadtumbau-Strategien nach betroffenen Industriebranchen differenzieren Die städtebaulichen Folgen des Niedergangs kleinteilig strukturierter Industriebranchen wie der Textil- und Schuhindustrie unterscheiden sich von denen der Montan- und Hafenindustrie sowie der Konversion militärischer Nutzungen. Während leer stehende Produktionsstätten der Textil- und Schuhindustrie vergleichsweise gering dimensioniert sind und sich häufig in integrierten Lagen der Stadt befinden, trennen Industriebrachen flächenintensiver Branchen häufig den städtischen Siedlungskörper. Zudem ist eine Weiternutzung von Industrieanlagen und Gebäuden dort selten möglich. Vor diesem Hintergrund sind im Umbau ehemaliger Textil- und Schuhstädte Strategien der Weiternutzung und Umnutzung aufgelassener Industriegebäude bedeutsamer als in ehemaligen Bergbau-, Stahl- oder Hafenstädten, die ihre Anpassungskonzepte auf Wiedernutzung durch Neubau, Konservierung oder Renaturierung konzentrieren müssen. Visionen postindustrieller Stadtqualitäten entwickeln Einigen der europäischen Vergleichsstädte scheint die Transformation einer Industriestadt zu einer Stadt mit postindustriellen Stadtqualitäten zu gelingen. Eine Vision neuer Stadtqualitäten stellt sich offensichtlich dann ein, wenn die Entscheidungsträger in der Stadt den Bedeutungsverlust der ehemaligen Leitbranche akzeptieren können und ein neues Standortprofil für die (15) vgl. www.otgrund.de (16) Urban Regeneration Companies (URC) 14 Stadtumbau in europäischen Städten mit Strukturkrisen Kommune entwickeln. Dieser Prozess ist langwierig und hat in einzelnen Vergleichsstädten bis zu 20 Jahre gedauert. Im Rückblick auf diese Erfahrungen lässt sich als Empfehlung für Städte in Strukturkrise ein dreiphasiger Stadtumbau-Prozess formulieren: Phase 1: Realistische Positionsbestimmung und Formulierung einer städtebaulichen Vision Der Niedergang der Monoindustrie einer Stadt verläuft meist über einen langen Zeitraum, in dem zunächst Strategien der Revitalisierung oder Diversifizierung der Monostruktur im Mittelpunkt kommunalen Handelns stehen. Sehr viel erfolgreicher erscheint hingegen, den Bewältigungsprozess mit einer realistischen und schonungslosen Bestandsaufnahme der Entwicklungsmöglichkeiten der Stadt zu beginnen und diesen im günstigen Fall in eine Vision postindustrieller Stadtstruktur münden lassen zu können. Phase 2: Aufräumen Der Niedergang von Altindustrien geht häufig einher mit großflächigen Brachen in bzw. am Rande der Stadt sowie überflüssig werdenden technischen Infrastruktureinrichtungen. Da die aufgelassenen Industriestandorte jedoch zugleich auch ein erhebliches Entwicklungspotenzial darstellen, müssen in einer nächsten Phase das Abräumen von Brachen bis auf erhaltenswerte Bestände und die Anpassung von Infrastruktureinrichtungen folgen, um die Potenziale nutzbar zu machen und die Voraussetzungen für die Entwicklung neuer Stadtqualitäten zu schaffen. Phase 3: Teilräumlich städtebauliche Impulse setzen In einer dritten Phase sollten dann auf der Basis einer systematischen Analyse Schwerpunkträume des Stadtumbaus definiert und städtebauliche Impulsprojekte entwickelt werden, die den angestrebten Wandel der Stadt verdeutlichen und einen Aufwertungsprozess einleiten sollen. Werkstatt: Praxis Heft 37 Stadtumbau und Wirtschaftsstrukturpolitik abstimmen Im Stadtumbau der europäischen Vergleichsstädte werden wirtschaftsstrukturpolitische und städtebauliche Maßnahmen meist eng miteinander verzahnt. Städtebaulichen Ansätzen kommt dabei eine maßgebliche Rolle bei der Bewältigung der Krise zu. In den sog. Strukturkrisestädten des ExWoSt-Forschungsfelds Stadtumbau West gelingt die Abstimmung der regionalen Strukturpolitik mit Stadtumbau-Konzepten bislang nur in Ansätzen. Die europäischen Erfahrungen zeigen, dass es sich lohnt, Verfahren zur Integration der Fachpolitiken im Stadtumbau zu entwickeln und für die Kommunen Anreize zu schaffen, Wirtschaftsstrukturpolitik und Städtebaupolitik zu verknüpfen. Beim Stadtumbau regional kooperieren Durch die regionale Abstimmung von Stadtumbau-Konzepten können einerseits Entwicklungspotenziale einer Strukturkriseregion gebündelt, andererseits Maßnahmen von Umlandkommunen, die den Erfolg des Stadtumbaus der Kernstadt gefährden, verhindert werden. Dass diese regionale Abstimmung in der Mehrzahl der europäischen Vergleichsstädte gelingt, ist auf gesetzliche Vorgaben oder Bedingungen der Fördermittelprogramme zurückzuführen. Für die deutsche Stadtumbau-Praxis können diese Erfahrungen als Anregung interpretiert werden, die Förderung von Stadtumbau-Konzepten und -maßnahmen stärker an interkommunale Kooperation zu knüpfen. Umsetzungsorganisationen für den Stadtumbau gründen In mehreren europäischen Vergleichsstädten, wie z. B. in allen britischen Städten und in Barakaldo steuern Organisationen, die eigens zu diesem Zweck gegründet wurden, die Umsetzung der Stadtumbau-Projekte. Mit der Delegation der Prozess- und Budgetsteuerung an diese meist halb-öffentlichen Organisationen durch die Kommune gewinnt der Umsetzungsprozess nachweislich an Effizienz. Vor dem Hintergrund der Erfolge dieser Institutionen erscheint es sinnvoll, auch in der deutschen Stadtumbau-Praxis verstärkt von der Möglichkeit des Einsatzes solcher Organisationsformen Gebrauch zu machen. Vergleichende Auswertung zehn europäischer Fallstudien Förderung im Stadtumbau profilieren Der Bedarf an Förderung des StadtumbauProzesses auch in Westdeutschland ist zunehmend spürbar. Die Diskrepanz zwischen dem vermuteten Förderbedarf 17 und den voraussichtlich zur Verfügung stehenden Fördermittelsummen macht aber in besonderer Weise eine zielgerichtete Auswahl der geförderten Maßnahmen und einen effizienten Mitteleinsatz notwendig. Als im Hinblick auf die Profilbildung anregend können die Vergabeprinzipien gewertet werden, die den britischen Fördermittelprogrammen im Kontext städtischer Regenerierungsprozesse zugrunde liegen bzw. lagen. Ein Vergabeprinzip für einen Teil der Programme ist das der Problemorientierung: Hier wurde ein Indikatorensystem entwickelt, das ein Ranking der am meisten benachteiligten Quartiere in Großbritannien zum Ergebnis hat. Die Trennschärfe des Indikatorensystems bietet Anregungen für eine Weiterentwicklung des schon heute in Ansätzen problemorientierten Verteilungsschlüssels für den Einsatz der Fördermittel im Programm Stadtumbau West. 15 Ein zweites Vergabeprinzip stellten in den 1990er Jahren in Großbritannien Wettbewerbe dar. Mit Wettbewerbsverfahren als Grundlage für die Fördermittelvergabe wurde ein Qualitätsgewinn auf konzeptioneller Ebene angestrebt, der gleichzeitig durch Vorgaben hinsichtlich u.a. der Integration von Fachpolitiken, regionaler Abstimmung oder der Gründung von öffentlich-privaten Partnerschaften inhaltlich gesteuert werden konnte. Aufgrund der Erfahrungen in Großbritannien könnte auch das Prinzip der Fördermittelwettbewerbe auf seine Einsatzfähigkeit im deutschen Städtebauförderungssystem geprüft werden. Zusammenfassend zeigt sich, dass eine unmittelbare Übertragung staatlicher und kommunaler Strategien des Stadtumbaus der zehn europäischen Vergleichsstädte auf die deutsche Stadtumbau-Praxis nicht möglich ist. Die Fallstudien und deren Quervergleich offenbaren aber zahlreiche Anregungen, die es lohnt in der aktuellen Diskussion um den Stadtumbau in Westund Ostdeutschland zu reflektieren. Literatur- und Quellenangaben Bundesamt für Bauswesen und Raumordnung (Hrsg.): Herausforderungen des demographischen Wandels für die Raumentwicklung in Deutschland. Manuskript. Veröffentlicht unter www.bbr.bund.de (Stand 02/2005) Bundesamt für Bauswesen und Raumordnung (Hrsg.): Stadtumbau West. 16 Pilotstädte bauen um. Berlin, Oldenburg 2004, www.stadtumbauwest.de Deutscher Bundestag: Städtebaulicher Bericht der Bundesregierung. Nachhaltige Entwicklung ein Gemeinschaftswerk. Bundestagsdrucksache 15/4610. S. 133 ff. 2004 Eurostat: Länder-Strukturdaten. Veröffentlicht unter http://europa.eu.int/comme/eurostat (Stand 03/2005) TVR (Urban Regeneration Company): www. teesvalleyregeneration.co.uk (Stand 09/2004) Vereinte Nationen, Abteilung Bevölkerungsfragen: Bestandserhaltungsmigration eine Lösung für abnehmende und alternde Bevölkerungen? Zusammenfassung, www.un.org/esa/population/ publications/migration/execsumGerman.pdf (Stand 02/2005) (17) Deutscher Bundestag: Städtebaulicher Bericht der Bundesregierung. Nachhaltige Entwicklung ein Gemeinschaftswerk. Bundestagsdrucksache 15/4610. S. 133 ff. 2004 Europäische Fallstudien im Stadtumbau 19 Großbritannien Nationaler Kontext und Fallstudien Nationaler Kontext Demographie Das Vereinigte Königreich umfasst heute etwa 59 Mio. Einwohner. Insgesamt betrachtet wächst die englische Bevölkerung seit den 1970er Jahren. Dabei gewinnen der Süden Englands und die Region London am meisten international und überregional wandernde Einwohner hinzu; der Norden hingegen verliert Einwohner. Überlagert wird dies von Suburbanisierungsprozessen rund um die größeren Zentren Englands. Derzeit (2001) gibt es national etwa 8 % ethnische Minderheiten, die größtenteils aus den ehemaligen britischen Kolonien stammen und sich in den größeren Städten konzentrieren. Dabei wächst ihr Anteil erheblich schneller als die übrige Bevölkerung. Bevölkerungsprognosen des Office for National Statistics sagen für das Vereinigte Königreich eine weitere Zunahme der Bevölkerung auf 64,8 Mio. Einwohner im Jahr 2031 voraus.1 Der Zuwachs wird dabei im Wesentlichen auf die erwartete Zuwanderung zurückgeführt und regional unterschiedlich ausfallen. Wirtschafts- und Sozialgeographie Das Vereinigte Königreich ist von einer starken Nord-Süd-Asymmetrie in der Wirtschafts- und Sozialstruktur geprägt. Die alten Industrieregionen des Nordens (Schwerindustrie, Bergbau, Textilindustrie) sind seit Jahrzehnten mit dem wirtschaftlichen Niedergang und krisenhaften Entwicklungen in den Städten konfrontiert. Südengland gilt dagegen traditionell als der reiche Süden. Hier sind höherwertigere Arbeitsplätze im Dienstleistungssektor und in neueren Technologiebranchen Hauptfaktoren für den Bevölkerungszuzug. Der Trend zur Abwanderung in den Süden hält, insbesondere unter der jungen Bevölkerung, weiter an. Großbritannien befindet sich seit Ende der 1980er Jahre in einem anhaltenden nationalen Wirtschaftsaufschwung (2,3 % Wirtschaftswachstum in 2003), der durch sinkende Arbeitslosigkeit und den in den letzten Jahren enorm gestiegenen privaten Konsum geprägt ist. Auch internationale Investitionen des Immobilien- und Dienstleistungssektors tragen markant zu diesem Aufschwung bei. Entwicklungen im Bereich Wohnen sind in Großbritannien sehr viel stärker marktgesteuert und von privatem Kapital abhängig. Während die Wachstumszentren des Südens in erster Linie vor der Aufgabe stehen, neuen Wohnraum zu schaffen, um der wachsenden Wohnungsnachfrage zu entsprechen, haben einige Städte im Norden in bestimmten Wohnungsmarktsegmenten mit einer sinkenden Wohnraumnachfrage zu kämpfen.2 Allerdings ist auch der Norden in jüngster Zeit durch zunehmend steigende Immobilienpreise gekennzeichnet. Universität Stuttgart Städtebau-Institut Karoline Brombach Johann Jessen Lisa Küchel Institut für Regionalentwicklung und Strukturplanung (IRS), Erkner Thilo Lang Monika Sonntag Stadtumbau-Debatte Der Zustand britischer Städte, insbesondere das Thema der sozialen Segregation, wird im Vereinigten Königreich nicht nur in der Fachöffentlichkeit, sondern auch in der Tagespresse in einem weit größeren Umfang diskutiert als in Deutschland. Vor allem die von der Labour-Regierung 1998 berufene Urban Task Force3 hat mit ihren nationalen Berichten zur Stadterneuerung und Baukultur zahlreiche Initiativen ausgelöst, wie etwa die Verwendung von Geldern der staatlichen Lotterie (Millennium Fund) für neue öffentliche Gebäude sowie die Neuauflage und Modifizierung staatlicher Förderprogramme.4 Der englische Begriff urban regeneration umfasst nicht nur bauliche, sondern auch ökonomische und soziale Strategien des Stadtumbaus. Der Fokus liegt dabei einerseits auf Großstädten, andererseits auf den landesweit kleinräumig abgegrenzten Einheiten der benachteiligten Nachbarschaften. Dabei spannt sich dieses Verständnis von Stadterneuerung zwischen den beiden Polen people-based5 und area-based6 auf.7 Angesichts des heute nur punktuellen Bevölkerungsrückgangs in wenigen Städten spielt im Übrigen der Terminus des Schrumpfens in der Fachdebatte in England lediglich eine untergeordnete Rolle. (1) New United Kingdom population projections 2003, S. 1 2 (2) Robson 2002, S. 12 (3) Nationale Arbeitsgruppe Stadt (4) Wichtigster Bericht Towards an Urban Renaissance 2000 (5) Revitalisierung im Sinne von Investition in benachteiligte Personen, deren Versorgung und Integrationsfähigkeit in den Arbeitsmarkt verbessert werden müssen. (6) Regenerierung im Sinne von Investitionen in benachteiligte Orte, um die soziale Stigmatisierung einzelner Stadtteile über bauliche und wahrnehmungsbestimmte Verbesserungen und Unternehmensansiedlung zu durchbrechen. (7) Vgl. Lupton/Turok S. 188 f. 2004, Stadtumbau in europäischen Städten mit Strukturkrisen 20 Planungssystem In den Städten Englands und Wales unterliegen die Verteilung der Planungskompetenzen und die Rolle der lokalen Entwicklungspläne seit einigen Jahren einem ständigen Wandel und sind uneinheitlich geregelt.8 Zahlreiche Entscheidungen in den Bereichen Stadtentwicklung, Bildung und Verkehr werden innerhalb des stärker zentralistisch organisierten Regierungssystems Großbritanniens in London gefällt. Dies ermöglicht so z. B. die zentralstaatliche Durchsetzung einer konsequenten Politik zur Eindämmung des Flächenverbrauchs auf lokaler Ebene.9 England ist in acht Regionen (regions)10 unterteilt, die wiederum aus Subregionen (sub-regions) bestehen. Auf beiden Ebenen werden Entwicklungskonzepte und Hand- Struktur des englischen Planungssystems Nationalregierung und deren für Regionalpolitik zuständige Ministerien: ODPM (Office of the Deputy Prime Minister), DTI (Department of Trade and Industry), DTLR (Department for Transport, Local Government and the Regions), RCU (Regional Co-ordination Unit), zuständig für die Koordination der Government Offices for the Regions), Social Exclusion Unit, .. . Regionalrat (Regional Assembly or Chamber) Regionalplanung English Partnerships (Nationale Fördereinrichtung) Government Offices for the Region Regional Development Agencies Koordinierung der Politik der Zentralregierung, Ansprechpartner für LSP bei Teilnahme an nationalen Förderprogrammen (z.B. ONE North East, Yorkshire Forward) Regionale Wirtschaftsentwicklungsstrategien und Handlungspläne; Verteilung der Gelder aus dem SRB Single Pot an die LSPs Sub-regional Partnerships Local Strategic Partnerships (LSP) Andere lokale und regionale Akteure Industrie, Bildung, Kultur, Kirchen, Wohltätigkeitsverbände . . . Urban Regeneration Companies (URC) Local Government (Local Councils) Quelle: Eigene Darstellung IRS in Anlehnung an Medhurst, James / OECD (2002), S. 2 Werkstatt: Praxis Heft 37 lungspläne erarbeitet. Im Jahre 1994 wurden für alle Regionen Government Offices (GO) gegründet, die die Politik der Nationalregierung auf regionaler Ebene vertreten.11 Im Jahre 1999 wurden als Folge des Weißbuchs Building Partnerships for Prosperity durch die neue LabourRegierung in allen englischen Regionen sog. Regional Development Agencies (RDA) eingerichtet. Ihre Aufgaben liegen in erster Linie in der Förderung der übergeordneten wirtschaftlichen Entwicklung der gesamten Region, weniger in einzelnen Projekten.12 In einigen Regionen wird derzeit über die Einführung von Regionalparlamenten als nächster Dezentralisierungsschritt diskutiert. Durch die Privatisierung von umfangreichen kommunalen Zuständigkeitsbereichen (z. B. ÖPNV) wurde seit den 1980er Jahren die Stellung der Kommunen und ihrer Behörden erheblich geschwächt. Die Kompetenzen für die traditionelle Stadtplanung und den Stadtumbau liegen daher schon seit längerem nicht mehr allein bei der Stadtverwaltung bzw. dem Stadtrat. Vielmehr fördert die nationale Politik Großbritanniens zum einen Partnerschaften (partnerships) verschiedener gesellschaftlicher Akteure, zum anderen auch die Übertragung von Planungskompetenzen an halbstaatliche Entwicklungsagenturen (u.a. regeneration companies). Als die wichtigsten stadtentwicklungspolitischen Institutionen auf lokaler Ebene können mittlerweile die Local Strategic Partnerships (LSP) angesehen werden. Ihnen kommt in erster Linie die Aufgabe zu, die verschiedenen Interessen aller lokalen Akteure (Verwaltung, private Wirtschaftsverbände und -vereine sowie regionale und zentralstaatliche Institutionen) zu koordinieren. Auf der Grundlage einer breiten Diskussion erarbeiten die LSPs Leitbilder und Entwicklungsstrategien für die jeweilige Stadt, bereiten die Umsetzung der Maßnahmen vor und begleiten den Prozess. Lokale Entwicklungsgesellschaften, Urban Regeneration Companies (URC), verfügen über ein festgelegtes Budget, eine definierte Aufgabe sowie weit reichende Planungsrechte in ihren Entwicklungsgebieten.13 Die Gesellschaften sowie ihre Projekte werden von den RDAs und von der nationalen Fördereinrichtung English Partnerships finanziert, die wiederum von direkten Zuweisungen aus dem Staatshaushalt abhängig sind. Die URCs werden von den lokalen Großbritannien Nationaler Kontext und regionalen Akteuren selbst gegründet, in erster Linie von dem jeweiligen City Council, der Local Strategic Partnership sowie der Regional Development Agency.14 Ihre Aufgabe ist es, innerhalb eines festgelegten Zeitraums konkrete StadtumbauProjekte mit Impulswirkung, häufig innerstädtische Großprojekte, zu erarbeiten und umzusetzen. Die Bedeutung der von den Planungsämtern erarbeiteten Entwicklungspläne für die Planungspraxis ist relativ gering, zumal sie in allen Städten regelmäßig überarbeitet und an die Planungsvorgaben und Prioritätensetzung der nationalen Planungspolitik angepasst werden müssen. Zukünftig sollen jedoch im Rahmen der Partnerships Local Development Plans (LDPs) sowie Action Plans für einzelne Stadtgebiete erarbeitet werden und als Planungsgrundlage dienen, wobei auch bei diesen Planwerken der strategische Aspekt und die Ausrichtung auf regionale und nationale Entwicklungsprioritäten zentral ist.15 Stadtentwicklungsplanung und Stadtumbau-Projekte beziehen sich hier nicht mehr auf langfristig festgelegte Pläne. Die neuen Pläne werden mit dem Ziel entwickelt, die Entwicklungsstrategien flexibel an veränderte Rahmenbedingungen sowohl gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Art, als auch an die Anforderungen der Förderpolitik des Landes anpassen zu können. Städtebauförderung und nationale Förderprogramme Unter Margret Thatchers konservativer Regierung wurden in der Städtebauförderung der 1980er Jahre hauptsächlich marktorientierte Revitalisierungsansätze verfolgt und gleichzeitig die traditionellen Förderprogramme stark gekürzt. Mit der Einführung des competitive bidding16 (1991) im Rahmen des Stadterneuerungsprogramms City Challenge mussten die Städte zum ersten Mal um staatliche Mittel für den Stadtumbau konkurrieren. 1993 wurde das staatliche Single Regeneration Budget (SRB) auf den Weg gebracht, das bis zum Ende seiner Laufzeit im Jahr 2002 eine der wichtigsten Finanzierungsquellen für den Stadtumbau in England darstellte (Laufzeit 1993 2002, sechs Förderrunden: 8,6 Mrd. E). Seit 1995 standen zudem für spektakuläre städtebauliche Projekte Gelder aus dem Millennium-Fund der Staatlichen Lotterie zur Verfügung. 21 Mit dem Antritt von New Labour im Jahre 1997 wurden in kurzer Folge einige neue Programme zum Stadtumbau aufgelegt. Damit verbunden war eine Abkehr vom competitive bidding. Seitdem werden mit Hilfe eines regelmäßig aufgestellten nationalen Rankings die am meisten benachteiligten Stadtteile ermittelt. Über diesen sog. Index of Multiple Deprivation (IMD)17 wird sicher gestellt, dass der Großteil der Fördergelder in diejenigen Stadtteile fließt, die die größten ökonomischen und sozialen Probleme aufweisen. Der IMD ist auch die Datenbasis für die Evaluation der Fördermaßnahmen und das Stadtteilmonitoring. 1998 legte die Labour-Regierung das staatliche Programm New Deal for Communities (NDC) auf, das für die am meisten benachteiligten Quartiere Gelder zur Verfügung stellt (Laufzeit 1998 2008: ca. 3 Mrd. E ). Sie gehen an lokale pathfinderPartnerschaften, die Strategien entwickeln, um Probleme vor Ort zu identifizieren und ressortübergreifend durch Bündelung quartiersbezogener baulicher, sozialer, beschäftigungs- und bildungsbezogener Maßnahmen angehen zu können. Im Jahre 2001 folgte das Programm New Commitment to Neighbourhood Renewal, das sich mit einem National Strategy Action Plan zum Ziel setzt, die räumlichen Disparitäten weiter einzuebnen (Laufzeit 2001 2005: ca. 2,8 Mrd. E). Es stellt den 88 am meisten benachteiligten Stadtteilen zusätzliche Gelder für die Stadterneuerung aus dem Neighbourhood Renewal Fund zur Verfügung. Der Action Plan wird durch eine neu eingerichtete nationale Neighbourhood Renewal Unit (NRU) betreut. LSPs können die Fördermittel beantragen. Partizipative Ansätze sollen sowohl bei New Deal for Communities als auch bei Neighbourhood Renewal verstärkt verfolgt werden, nachdem Bürgerbeteiligung zuvor in den staatlichen Programmen vernachlässigt wurde. Im Jahre 2004 wurde von zentraler Stelle das Programm Housing Renewal Pathfinder18 ins Leben gerufen, das im Norden Englands auf die Bereinigung des Wohnungsmarktes abzielt. Aus den umfangreichen Mitteln des Programms werden 0,8 Mrd. E in sieben Pilotregionen vor allem Rückbaumaßnahmen finanziert. Daneben gibt es in England weitere nationale gemeinnützige Stiftungen wie z. B. den Coalfields Regeneration Trust oder den Groundwork Trust, über die spezifische finanzielle Unterstützung für den Stadtum- (8) So wurden die ehemaligen kleinteiligen structure plans und local plans (diese Aufteilung entspricht in etwa den deutschen Flächennutzungsund Bebauungsplänen) aufgrund ihrer geringen Flexibilität durch gesamtstädtische Unitary Development Plans (UDP) ersetzt (Rydin 2003, S. 200). (9) Vgl. v. Haaren/Nadin 2003, S. 345 (10) Die englischen regions ähneln zwar vom räumlichen Zuschnitt her den deutschen Bundesländern, sind jedoch weniger autonom. (11) Vgl. Hall 2002, S. 96 (12) Vgl. Cullingworth/Nadin 2003, S. 54 (13) Die politisch forcierte Bildung semi-autonomer Institutionen ließen im Bereich der Stadterneuerung und anderen Bereichen der öffentlichen Verwaltung die Grenzen zwischen staatlichem und privatem Sektor verschwimmen. Im Jahre 1992 arbeitete bereits etwa die Hälfte der Angestellten des Civil Service in solchen halböffentlichen Organisationen (Dabinett 2000, S. 276). (14) Scottish Executive 2003, S. 5 (15) Rydin 2003, S. 205 (16) Wettbewerbsprinzip (17) Er bezeichnet eine Rangfolge problembelasteter Quartiere in englischen Städten und basiert auf einer Zusammenschau und Bewertung verschiedener Sozialindikatoren (Bildungsniveau und Gesundheitszustand der Stadtteilbewohner, Ausländeranteil, Anteil von Hilfeempfängern, usw.). Mit diesem Stadtteilmonitoring lassen sich einzelne Armutsenklaven genau lokalisieren, aber auch die nationale Entwicklung der sozialen Segregation über die Zeit messen. Der Index umfasst national 8 414 Quartiere. (18) 20042008 Audit Commission: Housing Market Renewal. London 2005 22 Stadtumbau in europäischen Städten mit Strukturkrisen bau (z.B. Dekontaminierung und Umnutzung von Brachen, Regenierung von Bergbauregionen) beantragt werden kann. Resümee Dem Stadtumbau wird in der Stadterneuerungspolitik von New Labour ein hoher politischer Stellenwert beigemessen. Er ist durch folgende Merkmale charakterisiert: Vielfalt von Programmen und Akteuren: Stadtumbau als ein Zusammenwirken einer Vielzahl besonderer lokaler, regionaler und staatlicher Organisationen. Integrativer Ansatz des Stadtumbaus als Kombination von ortsbezogener und personenbezogener Förderung: Verknüpfung von baulichen mit sozialen und ökonomischen Maßnahmen. Werkstatt: Praxis Heft 37 Partnerschaften als zentrale Akteure des Stadtumbaus, in die der private Sektor sowie Vertreter lokaler und regionaler Akteure eingebunden sind. Zentrale Aufgaben: Planung, Öffentlichkeitsarbeit, Einwerbung von Fördermitteln, Erstellung von Finanzierungskonzepten. Komplexe Verfahren zur Einwerbung von Fördermitteln: Wettbewerbs- und indikatorengestützte Verfahren. Der gesetzte Rahmen zur städtischen Regenerierung in Großbritannien schreibt zwar Gemeinsamkeiten bzgl. der Organisationsformen und der Prioritätensetzung vor; vor Ort sind allerdings Strategien, räumliche Schwerpunkte, einbezogene Akteure und deren Einfluss von Fall zu Fall höchst unterschiedlich. Literatur- und Quellenangaben Cullingworth, Barry; Nadin, Vincent: Town & Country Planning in the UK. London/New York 1997, 2002 und 2003 Dabinett, Gordon: Informelle versus formelle Kooperation zwischen Städten in Großbritannien und Nordirland. In: Heinz, Werner (Hrsg.): Stadt & Region Kooperation oder Koordination? Ein internationaler Vergleich. Schriften des Deutschen Instituts für Urbanistik, Band 93. Stuttgart/Berlin/Köln 2000 v. Haaren, Christina und Nadin, Vincent: Die Flächeninanspruchnahme in Deutschland im Vergleich mit der Situation in England. In: Raumforschung und Raumordnung (RuR) 5/2003, S. 345 357 Hall, Peter: Urban and Regional Planning. Fourth Edition. London 2002 Lupton, Ruth; Turok, Ivan: Anti-Poverty Policies in Britain. Area- and people-based Approaches. In: Walther, UweJens; Mensch, Kirsten (Hrsg.): Armut und Ausgrenzung in der Stadt. Konzepte und Rezepte auf dem Prüfstand. Darmstadt 2004, S. 188 208 Medhurst, James / OECD: Adapting Government Practice for Sustainable Development: United Kingdom Regional Institutions. For OECD Paris 2002 Office for National Statistics (ONS)/ Government Actuarys Department: New United Kingdom population projections. London, 18 December 2003 Office for National Statistics (ONS): Regional Trends, Nr. 38, 2004. Editors: Peggy Causer, Dev Virdee. London 2004 Roberts, Peter; Sykes, Hugh (Hrsg.): Urban Regeneration. A Handbook. London 2000 und 2002 Robson, Brian: Filling the doughnut. Urban Renewal may be good news for those living in city-centre lofts, but they often live next to terrace-dwellers trapped in negative equity. In: The Guardian, October 30, 2002: Cities reborn. The challenge of an urban renaissance, S. 12 Rydin, Yvonne: Urban and Environmental Planning in the UK. Revised and updated second edition. Hampshire and New York 2003 Scottish Executive: Urban Regeneration Companies: A Consultation Paper. Challenging Practice, Testing Innovation. Edinburgh 2003 Großbritannien Fallstudie Copeland/Whitehaven 23 Copeland/Whitehaven Ausgangslage und Rahmenbedingungen Copeland ist ein Verbund kleiner Gemeinden an der nordwestlichen Küste Englands, der peripher im ländlichen Bezirk Cumbria nahe der schottischen Grenze liegt. Der Verbund umfasst heute etwa 69 000 Einwohner, wobei die Kleinstadt Whitehaven mit ca. 25 000 Einwohnern die größte Ansiedlung bildet. Copeland ist ein historisches Kohleabbaugebiet in einem strukturschwachen Hinterland. Gleichzeitig hat es als westlicher Teil des Lake Districts, einer Seenlandschaft am Fuße der Cumbrian Mountains, touristische Potenziale. Die Stadt Whitehaven wurde im 17. Jahrhundert als Standort für Bergbau und Handelsschifffahrt ausgebaut. Im 18. Jahrhundert war Whitehaven der drittgrößte Hafen Englands, über den Kohle nach Dublin verschifft wurde und von dem Handelsschiffe nach Übersee ausliefen.1 Der tideabhängige Hafen von Whitehaven wurde bis in die 1990er Jahre als Industrie- und Frachthafen genutzt. Whitehaven 1822 Quelle: Postkarte, Maler unbekannt Quelle: Whitehaven Development Company (WDC) Hafen 1960er Jahre Während der Bergbau immer mehr an Bedeutung verlor, siedelte sich in der Nachkriegszeit die Chemieindustrie an. In unmittelbarer Nachbarschaft zu Whitehaven wurde das Kernkraftwerk Sellafield errichtet. Mit der Einstellung des Bergbaus gingen Arbeitsplätze in erheblichem Umfang verloren. Die Schließungen von Bergwerken und Fabriken sowie die Vollendung des Baus der Wiederaufbereitungsanlage Sellafield verursachten in Copeland zwischen 1993 und 2001 einen Arbeitsplatzverlust von über 20 %. Heute ist der Großteil der gesamten Arbeitsplätze in Copeland beim Betreiber des Atomkraftwerks, British Nuclear Fuels, angesiedelt (11 000 Arbeitsplätze, das entspricht etwa 38 %). Insgesamt sind 52 % der Arbeitsplätze in Copeland direkt oder indirekt (als Zuliefererbetriebe o. ä.) von British Nuclear Fuels abhängig. Angesichts der für das Jahr 2013 anstehenden Schließung der Wiederaufbereitungsanlage Sellafield ist nach Schätzungen der Stadtverwaltung mit dem Verlust weiterer 7 000 Arbeitsplätze zu rechnen. Die größte Herausforderung in Copeland/Whitehaven ist daher die Diversifizierung der immer noch industriell geprägten Wirtschaftsstruktur. In Cumbria ist die Arbeitslosigkeit mit 6,6 % im nationalen Vergleich leicht erhöht. Sie ist in den einzelnen Kommunen Copelands aber unterschiedlich ausgeprägt. Langzeitarbeitslosigkeit und versteckte Arbeitslosigkeit sind ein Dauerproblem.2 Universität Stuttgart Städtebau-Institut Karoline Brombach Johann Jessen Lisa Küchel Die Einwohnerschaft Copelands ist älter als im Landesdurchschnitt. Der Anteil der Migranten ist deutlich niedriger. Jüngere Einwohner verlassen Copeland, um andernorts eine Ausbildung anzufangen oder zu arbeiten. Seit 1981 hat die Einwohnerzahl um 4,9 % abgenommen. Für 2016 wird ein Rückgang auf etwa 68 000 Einwohner prognostiziert.3 Die industriell geprägte Entwicklung Copelands lässt sich an der Sozialstruktur der Bewohner ablesen: Der Großteil der Erwerbsfähigen (34,3 %) verfügt über keinerlei Ausbildung; Akademiker sind unterdurchschnittlich vertreten. Der hohe Krankenstand in Copeland 20,4 % der Einwohner sind gesundheitlich beeinträchtigt kann als Folge der langjährigen harten Arbeit in Bergbau und Chemieindustrie gedeutet werden. (1) Fancy 1996, S. 6 (2) Local Plan 2001 2016, S. 5 (3) Local Plan 2001 2016, Table HS2 Stadtumbau in europäischen Städten mit Strukturkrisen 24 Die überwiegende Mehrheit der Haushalte in Copeland lebt in Doppel- oder Reihenhäusern (69,6 %). Die Eigentümerquote entspricht etwa dem Landesdurchschnitt von 68,9 %. Dagegen weist Copeland einen im nationalen Vergleich erhöhten Anteil von Haushalten auf, die im kommunalen Wohnungsbau leben (23,1 %). Derzeit stehen in Copeland etwa 4,7 % der Wohnungen leer. Der Leerstand ist allerdings nicht großflächig anzutreffen. Ein Großteil der Wohnungen ist modernisierungsbedürftig4 und in der Innenstadt Whitehavens fallen einzelne baufällige Gebäude auf. In den Wohngebieten rund um den Hafen von Whitehaven findet man Reihenhäuser mit niedrigem Ausstattungsstandard, aber schöner Aussicht auf das Meer. Der kommunale Wohnungsbestand wird derzeit einer privaten Wohnungsgesellschaft übertragen. Die für Copeland prognostizierte Bevölkerungsabnahme bis 2016 geht mit einer leichten Erhöhung der Haushaltsanzahl einher, weswegen ein Bedarf an 1 500 neuen Wohnungen angenommen wird.5 Seit kurzem steigen die Immobilienpreise in Copeland wieder an. Dies ist auf die erhöhte Attraktivität des Wohnumfelds durch Stadtumbau-Maßnahmen in den letzten Jahren sowie eine steigende Nachfrage nach Zweitwohnsitzen zurück zu führen. Aufgrund von Vorgaben der Regierung dürfen in Copeland jährlich allerdings nur 190 Wohneinheiten neu gebaut werden. (4) Local Plan 20012016, S. 69 (5) Local Plan 20012016, Table HS2 Wohngebiet Whitehaven Quelle: Universität Stuttgart Städtebau-Institut Der Bevölkerungsrückgang in Copeland lässt einen Rückbau von öffentlicher Infrastruktur und Versorgung erwarten. Bisher gibt es jedoch nur einzelne Überlegungen zur Kapazitätsanpassung öffentlicher Infrastruktur wie etwa die Neuplanung eines kleineren Krankenhauses. Die Einstellung des Bahnverkehrs nach Whitehaven war in den letzten Jahren immer wieder in der Diskussion. Die Einzelhandelsversorgung hat Werkstatt: Praxis Heft 37 sich in Whitehaven verbessert, nachdem noch in den 1990er Jahren ein hoher Ladenleerstand herrschte. In den umliegenden Dörfern und Weilern sind die wohnortnahe Versorgung und die ÖPNV-Anbindung schlechter. Strategieansatz, Ziele und konkrete Vorhaben Die dramatische Arbeitsplatzsituation war für Copeland in den 1980er Jahren der Auslöser, ein umfassendes Gutachten zur Stadtentwicklung in Auftrag zu geben. Auf der Grundlage dieser Studie wurde 1990 in einer Arbeitsgruppe der Stadtverwaltung und weiteren öffentlichen Stellen eine Strategie mit folgenden Zielen entwickelt: Umbau des Industriehafens Whitehaven in einen Freizeithafen von Profilierung Copelands als Tourismusziel durch Nutzbarmachung des lokalen maritimen Erbes Diversifizierung der lokalen Wirtschaftsbasis Ansiedlung von Nachfolgeindustrien für den 2013 wegfallenden Hauptarbeitgeber (Sellafield) Aufwertung Whitehaven der Innenstadt von Erhöhung der Lebensqualität und des Wohnwerts In Copeland werden die Mittel des Stadtumbaus auf einige wenige Gebiete, hauptsächlich auf die Stadt Whitehaven, konzentriert. Dort hat die Innenstadt Priorität beim Stadtumbau. Hier konzentrieren sich zentrale Maßnahmen wie z. B. der Hafenumbau oder die Aufwertung des öffentlichen Raums über neue touristische Anziehungspunkte. Die Erneuerung der Wohngebiete steht bislang noch nicht im Mittelpunkt; jedoch wird in den kommenden Jahren das Wohnumfeld der am meisten benachteiligten Quartiere aufgewertet. Wesentliches Impulsprojekt in Copeland ist die Umwandlung des Industriehafens von Whitehaven in einen Freizeithafen: Schleusen zur Abschottung des Hafens von der Tide wurden gebaut, die Kais erneuert, eine Marina angelegt und die Uferpromenade mit großem Aufwand (Beleuchtung, Skulpturen und Möblierung) aufgewertet. Neue Museen (Stadtmuseum im Leuchtturm, Rum- und Bergbaumuseum), aber auch Events (Festivals) sollen Besucher anziehen und die Stadt als Touristenziel bekannt ma- Großbritannien Fallstudie Copeland/Whitehaven Quelle: Universität Stuttgart Städtebau-Institut Gebäudeverfall direkt am Hafen Whitehaven Hafen Whitehaven 1990er Jahre chen. Für den Umbau des Hafenbereichs wurden verschiedene Finanzierungsquellen in Anspruch genommen (insgesamt ca. 12 Mio. E ). Weitere flankierende Maßnahmen im Stadtraum werden nötig sein, um den Erfolg des Hafens als Touristenattraktion abzusichern, z. B. ein leistungsfähiger ÖPNV, ein ausreichendes Parkplatzangebot, Beschilderung, Hotels etc. Stadtumbau-Prozess Ein weiteres Impulsvorhaben ist das 1991 eröffnete Gewerbegebiet Westlakes Science and Technology Park. Es befindet sich südöstlich von Whitehaven auf der grünen Wiese. Das Gewerbegebiet wird als regionaler Beschäftigungsschwerpunkt gefördert und soll zur Diversifizierung der Wirtschaftsstruktur in Copeland beitragen. Schwerpunktmäßig sollen hier neue Technologien und die Wissensindustrie angesiedelt werden. British Nuclear Fuels hat sich an der Finanzierung des Gewerbeparks maßgeblich beteiligt. Derzeit arbeiten in dem Gebiet etwa 700 Personen. Obgleich der Park zum zweiten Mal erweitert wird, hat sich die Wissens- und High-Tech-Branche noch nicht im erwarteten Umfang dort niedergelassen. Quelle: Whitehaven Development Company (WDC) Hafen bei Nacht mit Millenniumsprojekten 25 Quelle: Whitehaven Development Company (WDC), 1993 Der Stadtumbau-Prozess in Copeland lässt sich in mehrere Abschnitte unterteilen: In der ersten Phase (seit den 1980er Jahren mit dem Ende der Bergbauära) wurden durch umfassende Investitionen in den Hafen und die Innenstadt von Whitehaven die Voraussetzungen für den Stadtumbau geschaffen, so z. B. durch Räumung und Dekontaminierung der Brachen sowie Maßnahmen des Küsten- und Hochwasserschutzes. In der zweiten Phase (seit Mitte der 1990er Jahre) standen die eigentlichen, inzwischen weit gehend abgeschlossenen Umbauprojekte im Vordergrund, verbunden mit einer Strategie der Imageaufwertung. Mittelfristig muss sich Copeland auf einen weiteren massiven Arbeitsplatzabbau durch Stilllegung des Atomkraftwerks einrichten. Aktueller strategischer Schwerpunkt dieser neuen Phase liegt auf Maßnahmen zur Unternehmensansiedlung, um so im Vorfeld die Diversifizierung der lokalen Wirtschaftsstruktur einzuleiten. Außerdem richten sich nun die Umbaubemühungen verstärkt auf die Modernisierung des Wohnungsbestandes und die Verbesserung des Wohnumfelds. Zentrale Akteure des Stadtumbau-Prozesses in Copeland (wie in Großbritannien generell) sind die sog. Partnerschaften (partnerships). Die wichtigste Partnerschaft für den Stadtumbau in Copeland und zugleich dessen treibende Kraft ist die Whitehaven Development Corporation Ltd. (WDC), heute W3M Partnership. Die 1992 gegründete Partnerschaft aus British Nuclear Fuels, dem Copeland Borough Council, der Bezirksverwaltung Cumbria, der Hafenbehörde Whitehaven sowie English Partner- 26 Stadtumbau in europäischen Städten mit Strukturkrisen Werkstatt: Praxis Heft 37 Öffentlichkeitsarbeit und Bürgerbeteiligung In Whitehaven sind Stadtmarketing und Öffentlichkeitsarbeit für den Imagewechsel von einer verfallenden Industriestadt zu einem aufblühenden Touristenort von zentraler Bedeutung. Die Partnerschaften werben in der Regel mit erheblichem Aufwand für sich und ihre Projekte, um gegenüber Bürgern, Öffentlichkeit und nicht zuletzt potenziellen Fördermittelgebern den Eindruck von Kompetenz und Engagement zu vermitteln. Direkte Bürgerbeteiligung am Stadtumbau scheint dagegen bisher nachrangig gewesen zu sein; sie soll verstärkt im Programm Neighbourhood Renewal betrieben werden, ebenso im Rahmen der Aktivitäten des West Lakes Renaissance Partnership (s.o.). Quelle: Whitehaven Development Company (WDC) Struktur der Whitehaven Development Company Ltd. ships erarbeitet und koordiniert Entwicklungskonzepte und -strategien, wirbt öffentliche Gelder ein und ist auch an der Umsetzung von Projekten, hauptsächlich dem Hafenumbau und der Innenstadtaufwertung in Whitehaven, beteiligt. Daneben ist eine Vielzahl weiterer Partnerschaften mit unterschiedlichen Gebietszuschnitten, Akteursstrukturen und Aufgabenstellungen mit dem Stadtumbau befasst, wie etwa mit der Entwicklung von Gewerbegebieten und der Abwicklung nationaler Förderprogramme (West Cumbria Partnership), der touristischen Entwicklung (Western Lake District Tourism Partnership) oder dem Umbau der regionalen Ökonomie im ländlichen Raum (West Lakes Renaissance Partnership) usw. (6) Copeland Best Value Plan 03/ 04 Der Beitrag der lokalen Stadtverwaltung zum Stadtumbau liegt schwerpunktmäßig in Bauaufsicht, Plangenehmigung und Umsetzung der nationalen Vorgaben zur Flächeneinsparung. Das 1997 aufgelegte Stadtentwicklungskonzept ist als ein flankierendes und begleitendes Dokument für den Stadtumbau anzusehen. Die entscheidenden strategischen Weichenstellungen werden jedoch von den Partnerschaften vorgenommen. Finanzierung Da die Partnerschaften die Träger von Stadtumbau-Projekten in Copeland sind, reflektiert der städtische Haushalt nur in geringem Ausmaß, wie viele Gelder für den Stadtumbau zur Verfügung stehen. Die Ausgaben beliefen sich im Haushaltsjahr 2002/2003 auf etwa 14 Mio. E, davon wurden nur 8 % auf Planung und Stadtentwicklung verwendet.6 Zur Finanzierung von Stadtumbau-Vorhaben kann auf verschiedene europäische, nationale und regionale Fördermittel zurückgegriffen werden. Die von der Zentralregierung vergebenen Mittel müssen üblicherweise komplementär finanziert werden. Die Vergabe von Fördermitteln für Stadtumbau-Vorhaben ist in der Regel eng an die Bildung von Partnerschaften gekoppelt. Unter der Führung der W3M Partnership konnten öffentliche Gelder in beträchtlichem Umfang für den Stadtumbau/ Hafenumbau eingeworben werden. Erhebliche Summen zur Finanzierung von Umbau- bzw. Umstrukturierungsmaßnahmen stammen aus den in competitive bidding Verfahren eingeworbenen Geldern des Single Regeneration Budgets und des Millennium Funds. Da Copeland seit 1990 Ziel-2-Gebiet der EU-Regionalförderung ist, konnten zudem EU-Gelder in Anspruch genommen werden. Darüber hinaus ist Copeland mit mehreren Quartieren auf dem Index of Multiple Deprivation vertreten, so dass außerdem Gelder aus den Großbritannien Fallstudie Copeland/Whitehaven Programmen Neighbourhood Renewal Fund und New Deal for Communities zur Verfügung stehen. Schließlich wurden in Copeland auch andere Mittel für einzelne Umbauprojekte genutzt (Hochwasserund Küstenschutz, Subventionen für die Fischindustrie, Coalfields Regeneration Trust). Städtebauliche Instrumente In Copeland unterscheiden sich die Werkzeuge der klassischen Stadtplanung unter kommunaler Leitung von denen, die bei den durch die Partnerschaften betriebenen städtischen Stadtumbau-Vorhaben zur Anwendung kommen. Wichtige Planungsinstrumente des Stadtumbaus durch die Partnerschaften sind Masterpläne und Machbarkeitsstudien für ausgewählte Gebiete, die in der Regel von den Partnerschaften an externe Planungsbüros vergeben werden. Dabei sind Kostenkalkulation und Finanzierungsstrategien bereits wichtiger Bestandteil der Gutachten. Dagegen stellt das Stadtentwicklungskonzept7 der Verwaltung nicht den zentralen Plan für Stadtumbau dar. Es beinhaltet Elemente des klassischen Flächennutzungsplans, dessen Aussagen jedoch sehr allgemein gehalten sind, um potenzielle Investoren nicht abzuschrecken. Die Einflussmöglichkeiten des Konzeptes zur Steuerung der Stadtentwicklung sind zum einen in Maßnahmen zur Flächeneinsparung (Neuplanungen sind nur genehmigungsfähig, wenn Brachflächen nicht in Frage kommen) zu sehen. Zudem sind alle Entwicklungsbereiche von einer straffen Entwicklungsgrenze8 umschlossen, innerhalb derer Konversions- und Neuentwicklungen sowie Nachverdichtung und Sanierung stattfinden dürfen.9 Zum anderen sieht das Stadtentwicklungskonzept Gestaltungsrichtlinien10 vor, die einen sensiblen Umgang mit der historischen Substanz sichern sollen, sowie Vorschriften zur bauaufsichtlichen Kontrolle11. legenen Bergbaustadt mit Industriehafen hin zu einem attraktiven Touristenort tatsächlich gelang. Einige Zeichen sprechen dafür, dass der eingeschlagene Weg richtig ist: Der Bevölkerungsrückgang hat sich verlangsamt, die Zahl der Touristen hat sich erhöht, die Immobilienpreise steigen. Der sich abzeichnende Erfolg ist auf folgende besondere Qualitäten des Stadtumbaus zurückzuführen: Klare Stadtumbau-Ziele Man hat sich unter Zurückstellung anderer Aufgaben auf zwei zentrale Ziele verständigt und darauf die verfügbaren Ressourcen konzentriert: Attraktivierung von Innenstadt für Tourismus durch umfassende Umgestaltung des Hafens zu einem beliebten Ferienziel unter Ausnutzung des besonderen bauhistorischen Erbes. Verbreiterung der lokalen Wirtschaftsbasis durch Ansiedlung von modernen Dienstleistungsarbeitsplätzen. Schon heute werden gemeinsam mit British Nuclear Fuels Nachfolgestrategien für die Zeit nach der Schließung von Sellafield entwickelt. (7) Local Plan (8) settlement boundary (9) Dies hängt neben stadtplanerischen Bestrebungen zur Eindämmung des Flächenverbrauchs auch damit zusammen, dass Teile des Gemeindegebiets überschwemmungsgefährdet sind (Küstenschutz). (10) design guides (11) building control Gebiete, in die vorrangig Gelder für den Stadtumbau in Copeland fließen (rot) Resümee Die Revitalisierung der Innenstadt von Whitehaven wurde mit mehreren Preisen ausgezeichnet. Gleichwohl wird erst in einigen Jahren zu beurteilen sein, ob die gewünschte Neuorientierung von einer ent- 27 Quelle: Universität Stuttgart Städtebau-Institut 28 Stadtumbau in europäischen Städten mit Strukturkrisen Realistische Selbsteinschätzung und Augenmaß bei der Zielformulierung Bei den Akteuren besteht ein ausgeprägtes Verständnis von den Potenzialen, aber auch Beschränkungen des Standorts. Einerseits werden die vorhandenen Qualitäten der Stadt als Fremdenverkehrsziel erkannt und verstärkt, gleichzeitig aber zeigen die Zielvorgaben einen realistischen Blick für die besonderen Beschränkungen (periphere Lage, Konkurrenz zu attraktiveren Tourismusstandorten, schlechtes Image und Umweltbelastungen, etc.). Regionale Einbindung Als entlegener und dünn besiedelter Bezirk ordnet sich Copeland bewusst in einen größeren regionalen Kontext ein, um seine Stadtumbau-Strategien zu verfolgen. Dabei ist eine Bereitschaft zur überkommunalen Zusammenarbeit erkennbar, die hinsichtlich ökonomischer Revitalisierung, politischer Durchsetzungskraft und gemeinsamer Marketingbemühungen viel versprechend erscheint. Ausdifferenzierte Strategie und Bausteine für die Umsetzung So eindeutig und überschaubar die Ziele sind, so differenziert ist die Strategie, sie über ein Bündel von Projektbausteinen zu erreichen. Zur Umkodierung einer Stadt von einer rauhen Industriestadt zu einem lieblichen Urlaubsort bedient man sich zum einen baulicher Maßnahmen von In- Werkstatt: Praxis Heft 37 frastrukturinvestitionen über Impulsprojekte (Theming) bis hin zur Aufwertung des öffentlichen Raums mit hohen Qualitätsstandards. Zum anderen werden die Maßnahmen flankiert von Stadtmarketing, Erwachsenenbildung und Wirtschaftsförderung. Erfolgreiche Umsetzung durch professionelle Partnerschaften Die in Copeland tätigen Partnerschaften scheinen im Vergleich zu anderen Städten dieser Größenordnung besonders durchsetzungsfähig zu sein. Sie können auf umfassendes Erfahrungswissen zurückgreifen und weisen einen schlanken Aufbau auf. Hinzu kommt in diesem besonderen Fall, dass mit dem Geschäftsführer von W3M eine charismatische und angesehene Persönlichkeit die Zügel in der Hand hält. Neben diesen positiven Lehren können auch einige kritische Aspekte wichtige Hinweise für die deutsche Umbaupraxis geben. Für Whitehaven ist vor allem die hohe Angewiesenheit des Stadtumbaus auf öffentliche Subventionen anzuführen. Auch an diesem peripheren, strukturschwachen Standort ist das Ziel, durch öffentliche Vorleistungen private Investitionen auszulösen. Allerdings sind die Erwartungen hinsichtlich ihres Umfangs bescheiden. Es wird als Erfolg gewertet, wenn die öffentlichen Investitionen in die Hafenaufwertung private Investitionen im Umfeld in gleicher Größe auslösen. Literatur- und Quellenangaben Copeland Borough Council: Copeland Local Plan 2001 2016. 1st Deposit Version. Copeland 02/2004 Copeland Borough Council: Copeland Best Value Plan Copeland 03/2004. Unter: www.copelandbc.gov.uk/ms/ www/best-value/plan-03/copeland-finance.htm (Stand 09/2004) Fancy, Harry: An outline history of Whitehaven. Copeland Borough Council 1996 Official Labour Market Statistics (nomis) Office for National Statistics (ONS), Census 2001 Whitehaven Development Company (WDC) Limited: Business Plan 1993 Großbritannien Fallstudie Copeland/Whitehaven Abstract The Borough of Copeland is located in the Northwest of England, on the West Coast of Cumbria, close to the Scottish border. Several rural communities form part of the borough; Whitehaven (25,000 residents) is the largest among them. Altogether, the borough has a resident population of about 69,000. Copeland used to be a coal mining area. Large parts of the borough cover the Lake District National Park, a popular tourism destination beneath the Cumbrian Mountains. The close-down of the collieries in the borough resulted in an enormous loss of workplaces. Today, the nuclear industry (British Nuclear Fuels in Sellafield) remains the regions largest employer, which brings about a comparatively high wage level, but also environmental burdens and stigmatisation. In 2013, the local nuclear reprocessing plant will be dismantled, which means that another 7,000 jobs will be lost. According to the Census 2001, Copelands resident population is slightly overaged and there is only a small proportion of ethnic minorities. Especially young people leave the borough for work or professional education. Large parts of the population have no qualifications. Most of the households are in terraced or semi-detached houses (69.6 %); many dwellings are in need of improvement. The dramatic loss of jobs in the 1980s was the starting point for the process of urban regeneration in Copeland. It was spearheaded by the Whitehaven Development Corporation Ltd. (WDC), a partnership established in 1992 (today it operates under the name W3M). The partners are British Nuclear Fuels, Copeland Borough Council, Cumbria County Council, Whitehaven Harbour Commissioners and English Partnerships. The partnership was set up in order to obtain funding, mainly from the Single Regeneration Budget and the Millennium Fund. Today, WDC develops and coordinates regeneration schemes and strategies, bids for public funding, and implements projects. In addition, there are other local partnerships that focus on related regeneration activities and programmes. In the first phase of urban regeneration (starting in the 1980s), strategic public investment was concentrated on the basic redevelopment of the harbour and the inner city of Whitehaven. The site was cleared and decontaminated and flood and coastal protection measures were initiated. The second phase (starting in the 1990s) focused on several catalyst regeneration projects that are almost finished today. Urban regeneration in Copeland prioritizes the inner-city of Whitehaven. Here, the measures and means of W3M are drawn together to enhance public space and create new tourism attractions, of which the transformation of the harbour into a marina is the most important task. Funding was attracted from several different sources and programmes, all in all around 12 million Euros. The West Lakes Science and Technology Park is a crucial project in regard to economic regeneration of the borough. The ambitious intention of the project is to attract the knowledge industry and also the National Nuclear Decommissioning Agency to this site. In order to transform Whitehavens image of a former mining town into a tourism destination, regeneration efforts are backed up through city marketing and public relations. Nevertheless, citizen participation has not been a major concern in urban regeneration so far. Master plans and feasibility studies prove to be important instruments for planning regeneration projects and are usually commissioned to planning consultants by the partnerships. The revitalisation of Whitehavens town centre has won several awards. The reasons for success may be, on the one hand, the strong prioritization of regeneration goals and sites coupled with a realistic self-perception and, on the other hand, a pragmatic assessment of the local urban regeneration potential and the integration of local strategies into a subregional context. Finally, urban regeneration in Copeland is organized by a highly professional local partnership that is exceptional for a town of this size. 29 Stadtumbau in europäischen Städten mit Strukturkrisen 30 Werkstatt: Praxis Heft 37 Middlesbrough Ausgangslage und Rahmenbedingungen Institut für Regional entwicklung und Strukturplanung (IRS), Erkner Monika Sonntag Thilo Lang (1) Das Tees Valley ist eine der sub-regions der Region North East. Zu ihr gehören die Gemeinden Middlesbrough, Darlington, Hartlepool, Redcar & Cleveland sowie Stocktonon-Tees. (2) Beyson/Hudson/Sadler S. 24 1994, (3) Greene/Mole/Storey 2004, TVJSU 2003 (4) Dieser Armutsindex bzw. Index der sozialen Benachteiligung wird aus mehreren Indikatoren errechnet, wobei neben demographischen, arbeits- und wohnungsmarktbezogenen Daten u.a. auch Aspekte der Zusammensetzung und Kaufkraft der Haushalte und des Gesundheitszustandes der Bevölkerung Beachtung finden. Diese werden folgendermaßen gewichtet: Einkommen (22,5 %), Beschäftigung (22,5 %), Gesundheit (13,5 %), Bildung (13,5 %), Zugang zu lokalen Dienstleistungen und sozialer Infrastruktur (9,3 %), Kriminalität und Gewalt (9,3 %), Wohnumfeld (9,3 %). (ODPM 2004, S. 46), s.a. S. 21 Die Stadt Middlesbrough liegt im Nordosten Englands im sog. Tees Valley1, einem der ehemaligen Zentren der industriellen Entwicklung des Landes. Die Einwohnerzahl von Middlesbrough liegt bei 135 000 Einwohnern (2001), wobei die Stadt seit den 1980er Jahren den stärksten Bevölkerungsverlust im Tees Valley zu verzeichnen hatte. Von den insgesamt 640 000 Bewohnern des Tees Valley leben fast 400 000 in dem durchgängig bebauten und urbanen Streifen, der sich entlang des Tees von Stockton und Middlesbrough bis Redcar zieht. Der erweiterte Einzugsbereich dieser urbanen Zentren (bezogen auf Arbeitsmarkt, Bildungs-, Einkaufs- sowie Freizeiteinrichtungen) erstreckt sich jedoch weit über das Gebiet der fünf Gemeinden hinaus und reicht bis nach North Yorkshire im Süden sowie in den Bezirk Durham im Norden hinein. Dies gilt insbesondere auch für die Stadt Middlesbrough, die aufgrund der dort ansässigen Unternehmen, Bildungsund Dienstleistungseinrichtungen eine regionale Zentrenfunktion für die umliegenden Ortschaften ausübt. Blick auf den nordöstlichen Teil der Innenstadt sowie die daran anschließenden Fabriken der Chemieindustrie am Ufer des Flusses Tees Middlesbrough ist eine exemplarische Wachstumsstadt der Industrialisierung des 19. Jahrhunderts, als Industriestandorte und Arbeitersiedlungen in der zuvor ländlichen Region mit geringer Einwohnerdichte entstanden und die Region zu einem der bedeutendsten Industriezentren Englands wurde. Grundlage für diese Entwicklung waren der Kohlebergbau sowie die Stahl und Metall verarbeitende Industrie, die Chemieindustrie und nicht zuletzt der Schiffbau, für den Middlesbrough einen der weltweit größten Standorte darstellte.2 Ab den späten 1950er Jahren setzte der industrielle Niedergang der Region verstärkt ein: Middlesbrough verlor endgültig seine weltweite Bedeutung als Schiffbaustandort, und auch die Kohle-, Stahl-, Maschinenbauund Chemieindustrie erfuhren erhebliche Verluste. Die negative Arbeitsplatzentwicklung in den 1980er Jahren zeugt von der Krise, in der sich die Stadt Middlesbrough, die damals zum Bezirk Cleveland gehörte, befand. Die Fabrikschornsteine insbesondere der Chemieindustrie prägen allerdings bis heute das Landschaftsbild. Als Folge des industriellen Niedergangs und hoher Arbeitslosenraten können auf der Basis des multiple deprivation index4 in Middlesbrough, ebenso wie in anderen Städten des Nordostens, circa 50 % der Bevölkerung zu den national benachteiligsten 10 % gezählt werden. Zu beobachten sind eine räumliche Konzentration dieser Bevölkerungsgruppen einerseits sowie wachsende Disparitäten auf dem Wohnungsmarkt andererseits: Während in einigen Stadtteilen Häuser leer stehen und ganze Straßenzüge nach und nach verwahrlosen, entstehen gleichzeitig an anderen Orten im Tees Valley Neubausiedlungen mit Eigentumshäusern für wohlhabendere Bevölkerungsgruppen. Der Rückgang der Arbeitsplätze im Industriesektor konnte durch den wachsenden privaten und öffentlichen Dienstleistungs- Quelle: Thilo Lang/IRS, Juli 2004 sektor bisher nicht ausgeglichen werden. Der allgegenwärtige Leerstand von Büroflächen in der Innenstadt belegt die Entwicklungsprobleme im Dienstleistungsbereich. Für die zukünftige Gesamtentwicklung der Region wird auf kleine und mittlere Unternehmen der neuen Wachstumsbranchen wie der Design- und Medienbranche, dem e-business und e-commerce große Hoffnung gesetzt. Die Anzahl der Firmenneugründungen ist im Vergleich zu anderen Regionen Englands jedoch auf einem niedrigen Niveau, und auch die Löhne liegen unterhalb des nationalen Durchschnitts.3 Die wirtschaftlichen und sozialen Transformationsprozesse haben einen Rückgang der Nachfrage sowohl nach sozial gefördertem Mietwohnungsbau (Council Houses) als auch nach den vor 1919 errichteten Reihenhäusern (Terraced Houses) mit sich gebracht, was in beiden Kategorien zu einem Überangebot sowie zu Leerstand Großbritannien Fallstudie Middlesbrough 31 führte. Dieser wird in Middlesbrough auf insgesamt etwa 2 500 bis 3 000 Häuser geschätzt, wobei Zahlen über Leerstand und Abriss kaum öffentlich verfügbar sind und größtenteils auf inoffiziellen Schätzungen beruhen. Strategieansatz, Ziele und konkrete Vorhaben Grundlage der Stadtumbau-Strategie ist die Tees Valley Vision. Sie benennt die zentralen Aussagen für die zukünftige Entwicklung der Region. Die wirtschaftliche Entwicklung, die Schaffung von Arbeitsplätzen und die Förderung von Firmenneugründungen stehen dabei im Zentrum. Außerdem wird die Innenstadt von Middlesbrough durch die Aufwertung des öffentlichen Raums, den Bau attraktiver Büro- und Geschäftsgebäude sowie eines Kunstmuseums gefördert, um die regionale Zentrenfunktion der Stadt auszubauen und sie für kleinere Unternehmen der Dienstleistungsindustrie attraktiver zu machen.5 Übergeordnetes Ziel ist es, die Attraktivität der gesamten Stadt und Region durch herausragende Projekte zu steigern und den langfristigen wirtschaftlichen Erfolg des Tees Valley sicherzustellen. Das größte der fünf Leuchtturmprojekte im Tees Valley ist Middlehaven in Middlesbrough, wo insgesamt 2 400 Wohneinheiten, großflächige Geschäftsräume, Freizeit- und Bildungseinrichtungen sowie nicht zuletzt die Schaffung von bis zu 3 000 Arbeitsplätzen geplant sind.6 Für ein derzeit in der Innenstadt ansässiges College wird ein neuer Campus entstehen; außerdem sollen ein Theater oder eine Konzertstätte sowie Bars und Restaurants, drei Hotels und ein Kasino gebaut werden. Ein Museum für digitale Medien und Computerspiele ist in Kooperation mit der Universität Teesside geplant. Auf eine attraktive Landschaftsgestaltung wird großen Wert gelegt. So soll ein Park als zentrale Grünfläche (100 ha) mit Sportund Freizeitaktivitäten sowohl zum Wochenendausflug als auch zur Mittagspause für Angestellte aus den umliegenden Bürogebäuden einladen. Das Middlehaven-Gebiet kann in drei Teilbereiche unterteilt werden: Der erste Bauabschnitt erstreckt sich entlang der ehemaligen Docks. Die Bauarbeiten haben bereits begonnen und werden voraussichtlich bis 2009 andauern. Das zweite, westlich daran anschließende Gelände, für das die Bebauung in den Jahren 2007 bis 2012 entstehen Quelle: Middlesbrough City Council, 2004 Leerstand im Viertel St. Hildas Quelle: Thilo Lang/IRS, Juli 2004 Aufgewertete Parkanlage im Zentrum der Stadt; im Hintergrund: Town Hall sowie ein teilweise leer stehendes Bürohochhaus Quelle: Tees Valley Regeneration Company, 2004 Entwurf für Wohn- und Geschäftshäuser in Middlehaven soll, ist ein Industriegebiet, in dem vornehmlich Autowerkstätten, Schrotthändler u.ä. zu finden sind. Die für das Vorhaben federführende Tees Valley Regeneration (TVR) kauft die Grundstücke nach und nach auf, wobei sie notfalls auf ihre rechtliche Verfügungsgewalt zurückgreifen kann. Bisher (2004) sind ca. ein Drittel der Grundstücke in ihren Besitz übergegangen (in erster Linie Brachflächen sowie Grundstücke, die ohnehin bereits im öffentlichen Besitz waren). Der dritte Teilbereich des (5) TV-JSU 2002, S. 8 f.; TV-JSU 2004, S. 11 f. (6) www.teesvalleyregeneration. co.uk, Oktober 2004 32 Stadtumbau in europäischen Städten mit Strukturkrisen Middlehaven-Gebiets ist das Wohngebiet St. Hildas, in dem ca. zwei Drittel der Häuser Sozialwohnungen sind. Um eine erfolgreiche Vermarktung von Middlehaven zu gewährleisten, wird es von TVR als unabdingbar angesehen, das störende Industriegebiet sowie das daran anschließende Viertel St. Hildas abzureißen und das gesamte Gelände neu zu gestalten. Eine Neubebauung des Geländes wird für die Jahre 2010 bis 2020 angestrebt. (7) In der TVP sind alle zentralen Akteure aus öffentlichen und privaten Bereichen vertreten: Die fünf Gemeinden (local authorities) Middlesbrough, Darlington, Stockton, Redcar & Cleveland und Hartlepool, die Industrie- und Handelskammer North East (und deren Tees Valley Committee), Tees Valley Tomorrow (eine Wirtschaftsentwicklungsgesellschaft), der Tees Valley Learning and Skills Council, die Gesundheitsbehörde (Tees Health Authority), Vertreter der fünf Local Strategic Partnerships, Gewerkschaften, Universitäten (Teesside University und Durham University) und andere Bildungseinrichtungen, Wohltätigkeitsorganisationen sowie die Polizeibehörden. Beobachtenden Status haben die Vertreter von One NorthEast, der North East Assembly (Regionalrat), des Government Office North East sowie der Countryside Agency. (8) Zu beachten ist an dieser Stelle, dass die subregionale Partnerschaft im Falle vom Tees Valley die Aufgaben übernimmt, welche in größeren Städten der Local Strategic Partnership (LSP) zukommen (z.B. Verteilung von Fördergeldern, Koordination mit der Urban Regeneration Company, die im Tees Valley ebenfalls auf subregionaler Ebene besteht). In Middlesbrough erfolgt Wohnungsabriss aufgrund der politischen Brisanz des Themas nur schrittweise und bisher ohne gesamtstädtische Strategie. Betroffen sind Wohnviertel wie St. Hildas, in deren soziale Infrastruktur seit den 1980er Jahren zahlreiche Fördermittel der community regeneration geflossen sind, ohne dass eine nennenswerte Verbesserung der sozialen Lage erreicht werden konnte. Hinzu kommt der Zusammenbruch des Wohnungsmarktes in diesen Gebieten, für deren Häuser kaum Käufer mehr gefunden werden können. Im Falle von St. Hildas spielten außerdem die immobilienwirtschaftlichen Interessen des Middlehaven-Projekts eine entscheidende Rolle bei der Entscheidung für den Abriss. Stadtumbau-Prozess Vor dem Hintergrund der zusammenhängenden Siedlungsstruktur und gemeinsamen Problemlagen, entschieden sich die fünf Gemeinden der Sub-Region Tees Valley Mitte der 1990er Jahre dazu, sich zur Tees Valley Partnership (TVP)7 zusammenzuschließen. Im Rahmen dieser Kooperation werden wichtige Entscheidungen über Regenerierungsstrategien und Stadtumbau-Projekte gefällt, Mittel gebündelt und die verschiedenen Fachressorts zusammengebracht. Charakteristisch für die Arbeit der TVP ist außerdem die ständige Abstimmung mit den Programmen und Prioritäten der übergeordneten regionalen Ebene (insbesondere der Regional Development Agency One NorthEast) einerseits sowie mit den lokalen Interessen und Initiativen, die durch die städtischen Vertreter in die TVP hineingetragen werden, andererseits.8 Während die TVP eine wirtschaftliche Gesamtstrategie für die Region entwirft, kommt der Urban Regeneration Company (URC), Tees Valley Regeneration (TVR), die Aufgabe zu, diese im Rahmen konkreter städtebaulicher Projekte umzusetzen. Werkstatt: Praxis Heft 37 Für die Gestaltung des Planungsprozesses bei den impulsgebenden Projekten ist der starke Einfluss der halb-öffentlichen URCs einerseits sowie der privaten Investoren andererseits charakteristisch. Im Fall von Middlehaven wird die Erarbeitung des Masterplans für die einzelnen Projekte von TVR koordiniert, wobei externe Planungs- und Architekturbüros mit der Ausarbeitung beauftragt werden und potenzielle Investoren bereits zu einem frühen Zeitpunkt in den Planungsprozess einbezogen werden. Interessant ist dabei die Flexibilität, mit der die TVR den Investoren entgegenkommen kann. So war der erste architektonische Entwurf eines Bürogebäudes als zu wenig attraktiv bewertet worden. Der daraufhin eingereichte Entwurf war hingegen kostenintensiver, woraufhin TVR den Grundstückspreis für den Investor eigenmächtig senkte. Die TVR selbst arbeitet nicht mit dem Ziel der Gewinnmaximierung. Ihre Aufgabe besteht in erster Linie darin, im Auftrag der Gemeinden für die brach liegenden und z.T. kontaminierten Gebiete eine neue Nutzung zu finden, das negative Image umzukehren, die Koordinierung der Projektentwicklung zu übernehmen und einen langfristigen Erfolg sicherzustellen. Obwohl die URC in der Ausgestaltung der Projekte relativ eigenständig handeln kann, ist sie nicht mit festgelegten Planungskompetenzen ausgestattet und muss für ihre Projekte sowohl bei den Investoren werben als auch bei den öffentlichen Akteuren der Partnerschaft Überzeugungsarbeit leisten. Da die URC ihrem Vorstand (board of directors) regelmäßig Bericht über den Fortgang des Projekts erstatten muss, sind die Projekte trotz ihrer z.T. relativ einseitigen Ausrichtung auf die Immobilienwirtschaft als Ergebnis der Arbeit einer Partnerschaft und damit der Einbeziehung zahlreicher Akteure zu werten. Auffällig ist bei Großprojekten wie Middlehaven, dass zwar Rücksprachen und Abstimmungen zwischen der URC und der lokalen Verwaltung erfolgen, der Planungsprozess jedoch insgesamt vom Planungsamt eher begleitet als gesteuert wird. Die Planungskompetenz bezüglich wohnungsmarktpolitischer Themen, dem Umgang mit Leerstand und der Arbeit in sozial benachteiligten Stadtvierteln liegt hingegen weiterhin bei der Stadtverwaltung. Großbritannien Fallstudie Middlesbrough Öffentlichkeitsarbeit und Bürgerbeteiligung Am Beispiel Middlehaven fällt die mangelnde Beteiligung der Bewohner in dem von Abriss betroffenen und als störend empfundenen Stadtviertel St. Hildas auf. Diese ist zum einen vor dem Hintergrund zu sehen, dass es sich in St. Hildas um eine sozial schwache Wohnbevölkerung handelt, in der regelmäßiges politisches oder zivilgesellschaftliches Engagement die Ausnahme ist. Die Teilnahme nur einiger weniger engagierter und betroffener Bürger an Workshops zeugt von einer weit verbreiteten Apathie und geringen Partizipation eines Großteils der Bewohner. Zum anderen jedoch ist die mangelnde Bürgerbeteiligung Ausdruck des starken Einflusses der Investoren im Planungsprozess. So konnte die Bevölkerung im Falle des Projekts Middlehaven zu Beginn des Prozesses an Workshops und Zukunftswerkstätten teilnehmen. In diesem Stadium ging es darum, die Ideen und Wünsche der Bewohner aufzugreifen. Im Anschluss daran wurden potenzielle Investoren (developer) zu Workshops eingeladen, deren Ergebnisse die Ausgestaltung des Masterplans maßgeblich beeinflussten. Es wurde Wert darauf gelegt, Interessenten aus der Immobilienwirtschaft zu einem möglichst frühen Zeitpunkt in den Planungsprozess einzubinden. Eine Beteiligung der Wohnbevölkerung in den von Abriss betroffenen Gebieten erfolgte jedoch erst wieder, nachdem der Masterplan ausgearbeitet war und dieser der Öffentlichkeit im Rahmen einer Ausstellung im Sommer 2004 zur Diskussion und Bewertung vorgelegt wurde. Während die Öffentlichkeitsarbeit gegenüber den Investoren zum Großteil von der URC geleistet wird, übernimmt die Stadtverwaltung die Rolle des Ansprechpartners für die Bewohner und informiert über Gründe, Folgen und Perspektiven des Abrisses. Nach Bekanntgabe der Abriss- und Neubebauungspläne gab es zwar Proteste der betroffenen Bewohner; da der Entscheidung jedoch ein langer Abstimmungsprozess zwischen TVR und anderen lokalen Akteuren vorausgegangen war, wird als Legitimation für das Vorgehen zunächst das Prinzip der Partnerschaft heran gezogen, das eine breite Bürgerbeteiligung durch die frühe Einbeziehung einer Vielzahl lokaler Akteure kaum mehr notwendig erscheinen lässt. 33 Finanzierung Die Grundfinanzierung der Aktivitäten von TVP und TVR wird zu einem Teil durch Beiträge der fünf Gemeinden des Tees Valley gewährleistet und durch Gelder von English Partnerships sowie der regionalen Entwicklungsgesellschaft One NorthEast ergänzt. Die Finanzierung von Stadtumbau-Projekten wie Middlehaven erfolgt durch eine Mischfinanzierung aus öffentlichen und privaten Geldern. Im Falle von Middlehaven werden Gesamtinvestitionen von ca. 722 Mio. E erwartet, von denen ca. ein Fünftel öffentliche Mittel sein werden. TVR kommt dabei die Aufgabe zu, mit der öffentlichen Grundfinanzierung den Masterplan für die Stadtumbau-Projekte zu erarbeiten, die noch in Privatbesitz befindlichen Grundstücke aufzukaufen und grundlegende Infrastruktureinrichtungen wie Straßen oder Ver- und Entsorgungssysteme bereitzustellen. Die Tragfähigkeit dieser Projekte hängt folglich insbesondere davon ab, inwieweit es im Anschluss daran gelingen wird, private Investoren für das Projekt zu gewinnen. Resümee Aus deutscher Sicht bemerkenswert ist zum einen die eingespielte interkommunale Kooperation auf der Ebene des Tees Valley, in der nicht nur Vertreter der öffentlichen Verwaltungen sondern auch anderer einflussreicher lokaler und regionaler Institutionen zusammenarbeiten. Zum anderen ist die große Bedeutung auffallend, die baulichen Großprojekten wie Middlehaven im Rahmen der Regenerierungsstrategien beigemessen wird. Damit einher geht die Überzeugung, die Schaffung eines attraktiven Grundstücks- und Immobilienangebots ziehe eine ausreichende Nachfrage und langfristige Investitionen nach sich. Dies geschieht vor dem Hintergrund des derzeitigen wirtschaftlichen Booms in Großbritannien, von dem auch die strukturschwachen Regionen im Nordosten Englands profitieren. Insgesamt lässt sich der Stadtumbau-Prozess in Middlesbrough wie folgt resümieren: Breit angelegte Kooperation Durch die breit angelegte strategische Arbeit der TVP umfasst der StadtumbauProzess zahlreiche thematische Bereiche, Stadtumbau in europäischen Städten mit Strukturkrisen 34 beispielsweise in der Wirtschafts-, Bildungs- und Gesundheitspolitik. Ein wesentlicher Erfolg der Regenerierungspolitik in Middlesbrough und im Tees Valley kann darin gesehen werden, dass es gelungen ist, alle relevanten lokalen Akteure an einen Tisch zu bekommen und eine gemeinsame Entwicklungsstrategie zu verabschieden. Bei der Ausarbeitung städtischer Regenerierungsstrategien ist die TVP daher die zentrale und koordinierende Institution. Entscheidungen über die ökonomische Entwicklung und über große bauliche Investitionen sowie über die Verteilung von nationalen Fördergeldern werden auf der Ebene des Tees Valley gefällt, während die Aufrechterhaltung einer sozialen Infrastruktur in den benachteiligten Stadtvierteln als lokale Aufgabe für die Verwaltung übrig zu bleiben scheint. Diese Tendenz ist insofern als problematisch zu bewerten, als die Integration von städtebaulichen und wohnungsmarktpolitischen Zielen kaum Beachtung findet. Differenziert zu betrachtende Resultate der URC Der Erfolg der Regenerierungsstrategien der Urban Regeneration Company TVR gründet sich in erster Linie auf wirtschaftliche und physische Regenerierung sowie die Umwandlung von Brachflächen in Büro-, Geschäfts- und Wohnviertel. Für diese Projekte konnten in der bisherigen kurzen Laufzeit des Projekts Middlehaven und im Anschluss an die Aufbereitung der Grundstücke durch öffentliche Fördermittel bereits einige externe private Investoren angeworben werden. Dies zeugt von der effizienten Handlungsfähigkeit einer URC. Die fünf Großprojekte der TVR ordnen sich zwar in das räumliche Leitbild eines Tees Werkstatt: Praxis Heft 37 Valley Corridor ein, bilden jedoch mit ihren jeweils eigenen Schwerpunkten abgeschlossene Projektgebiete. Teilweise ist die Anbindung der Projektgebiete an ihre Umgebung unzureichend: So stellt sich im Fall von Middlehaven die Frage nach einer Anbindung an die Innenstadt. Diese hat zwar in vergangenen Phasen der Regenerierung durch die Ansiedlung extensiver Einzelhandelsflächen, der Gestaltung zentraler öffentlicher Räume und der Einrichtung der Teesside-Universität eine Aufwertung erfahren, ist jedoch weiterhin mit erheblichem Büroflächenleerstand konfrontiert. Inwieweit die Innenstadt von dem angrenzenden Middlehaven-Projekt und der dort stattfindenden gewerblichen sowie immobilienwirtschaftlichen Entwicklung profitieren wird, bleibt abzuwarten. Unklar ist außerdem, was mit den z.T. seit Jahrzehnten dort lebenden Bewohnern des Viertels St. Hildas geschehen wird, die in den Planungsprozess kaum einbezogen worden sind und nun mit dem bevorstehenden Abriss konfrontiert sind. Kaum Verbesserung der sozialen Lage Kaum Erfolge können die bisherigen Regenerierungsprojekte bezogen auf die Armutsbekämpfung und die soziale Lage in den ohnehin benachteiligten Stadtvierteln vorweisen, was aus den Daten zum Index of Multiple Deprivation hervorgeht. Trotz der tendenziell positiven gesamtwirtschaftlichen Entwicklung zeigt dieser weiterhin eine hohe Konzentration sozial benachteiligter Bevölkerungsgruppen in einzelnen Stadtvierteln. Auch landesweit bestehen nach wie vor große Disparitäten, und der Nordosten sowie das Tees Valley gehören nach wie vor zu den wirtschaftlich schwächsten Regionen Großbritanniens. Literatur- und Quellenangaben Beynon, Huw; Hudson, Ray; Sadler, David: A Place Called Teesside. A Locality in a Global Economy. Edinburgh 1994 Census 1991. In: TV Joint Strategy Unit Report 19912001, Seite 33 Census 2001. neighbourhood.statistics.gov.uk (Stand 08/2004) Censuses of Employment/Annual Employment Survey. In: NOMIS: www.nomisweb.co.uk (Stand 08/2004) Greene F.; Mole K.; Storey D.: Does more mean worse? Three decades of enterprise policy in the Tees Valley. In: Urban Studies, June 2004, vol. 41, no. 7, S. 1207 1228. NOMIS: www.nomisweb.co.uk (Stand 08/2004) ODPM (Office of the Deputy Prime Minister): The English Indices of Deprivation 2004 (Revised). London 2004 Office for National Statistics (ONS), www.statistics.gov.uk TV-JSU [Tees Valley Joint Strategy Unit]: Tees Valley Partnership Action Plan 2003 2006. Middlesbrough 2002 TV-JSU [Tees Valley Joint Strategy Unit]: 2001 Census Changes in the 90s-Boroughs. JSU 03/02. Middlesbrough 2003 TV-JSU [Tees Valley Joint Strategy Unit]: Tees Valley Structure Plan. Adopted February 2004. Middlesbrough 2004 TVR (Urban Regeneration Company): www.teesvalleyregeneration.co.uk (Stand 09/2004) Großbritannien Fallstudie Middlesbrough 35 Abstract The city of Middlesbrough, which is located in the Northeast of England, has undergone extensive structural changes since the 1960s. These changes are due in large part to changes in the economic structure: once an important location for the steel, metal and shipbuilding industries, Middlesbrough is now largely dependent on the service sector. However, growth in the service sector has not been able to compensate for losses in the industrial sector. High office vacancy rates in the city centre are just one symptom of problems in the service sector. As a result of the industrial decline, around 50 % of the citizens in Middlesborough are counted among the 10 % most underprivileged stratum of the national population. The economic and social transformation processes have yielded a decline in demand for council houses as well as for the terraced houses erected before 1919, which has in turn led to an oversupply and empty housing. Present regeneration strategies set their focus on strengthening the economic basis as well as finding new and sustainable long-term alternative uses for brownfield sites. Close proximity, shared industrial and settlement development as well as common problems and interests in relation to the national government have brought together local players from Middlesbrough and four other municipalities in the sub-region Tees Valley. They believe that most challenges can only be successfully met through cooperation. As a result, the Tees-Valley Partnership (TVP) was formed in the 1990s as a forum for representatives of civic, business and social action groups. Their main task is the formulation of the Tees Valley Vision. This vision expresses goals for urban, economic and labour market development. It promotes basic and continuing education programmes, as well as the establishment of businesses in conjunction to the development of new office space within the framework of large urban development projects. The urban development strategy is characterized by five flagship projects, which are to be realised by the Urban Regeneration Company (URC) Tees Valley Regeneration (TVR). One such project is the site of the Middlehaven in Middlesbrough. A new mixeduse quarter is planned on the site of the former docklands, on a quarter characterized as a residential area for the socially disadvantaged population and on an industrial area. Directly adjacent to the central business district, this new quarter will feature premium living space, offices, commercial space, leisure and educational facilities. It is expected that a project of this size will attract the interest of financially strong private investors and consumers and thus make a positive contribution to the overall development of the city and Tees Valley as a whole. The success of similar projects in other cities such as Newcastle makes planers here confident that the strategy followed by Middlesbrough will be successful. The demolition of existing residential and industrial areas is seen as a necessary measure for ensuring the creation of a positive image and the long-term success of the overall project. The vision for Tees Valley formulated by the TVR is extensive and strives to achieve the regeneration of urban form as well as economic and social structures. However, the funds for urban regeneration are concentrated on five large TVR projects in which improvements to city image and the realestate market are emphasised. The social consequences of such projects, in particular the demolition of housing stock, are ignored in the project development phase and left for the city government to deal with. The city government is responsible for housing, although there is no strategy for dealing with housing vacancies, either at the local administrative level or at the Tees Valley level. This course of action is especially problematic when considering the distinct social disparities and housing vacancies, especially in neighbourhoods dominated by council estate and terraced housing. Only time will tell if the further development of large-scale projects such as Middlehaven and the results of the regeneration strategies can compensate for the disparities of the urban areas. Stadtumbau in europäischen Städten mit Strukturkrisen 36 Werkstatt: Praxis Heft 37 Sheffield Ausgangslage und Rahmenbedingungen Institut für Regionalentwicklung und Strukturplanung (IRS), Erkner Thilo Lang Monika Sonntag (1) Dabinett 2004, S. 18 (2) Objective 1 Programme Directorate, mündliche Mitteilung (3) CRESR 2002, S. 52 Sheffield liegt in der Region Yorkshire and Humberside am südöstlichen Rand der Penninen. Mit etwa 513 000 Einwohnern (2001) ist Sheffield die zweitgrößte Stadt in der Region und die achtgrößte in Großbritannien. Durch die unmittelbare Nähe zu den Kohlegebieten von South Yorkshire und North Nottinghamshire-Derbyshire entwickelte sich Sheffield seit dem späten 18. und insbesondere im 19. Jahrhundert zu einem Zentrum der Stahl und Metall verarbeitenden Industrie und war u. a. für die Produktion von Werkzeugen und Bestecken bekannt. Vor Beginn der Industrialisierung befand sich auf dem Gebiet des heutigen Sheffield noch keine bedeutende Siedlung. Aufgrund der ausgeprägten Monostruktur traf der durch die internationale Konkurrenz landesweit einsetzende Rückgang der industriellen Produktion ab den späten 1970er Jahren Sheffield im Vergleich zu anderen Industriestädten Englands besonders hart. Innerhalb von 15 Jahren (zwischen 1980 und 1995) verlor die Stadt etwa ein Viertel ihrer Arbeitsplätze und wurde von einer wirtschaftlich prosperierenden Stadt mit überdurchschnittlichen Löhnen zu einer Stadt mit einem unterdurchschnittlichen Lohnniveau und hoher Arbeitslosigkeit.1 Umstrukturierungen auf dem Arbeitsmarkt und die Entwicklung einer neuen tragfähigen Wirtschaftsbasis stellen bis heute eine wesentliche Herausforderung städtischer Regenerierungsstrategien dar. Trends der Entwicklung in Sheffield 1999 2000 2001 2002 516 300 514 600 513 100 512 800 5,3 % 5,0 % 4,2 % 3,8 % real level of unemployment3 17,8 %2 k.A. k.A. 10,4 % soz.vers.pfl. Beschäftigte4 196 000 199 000 202 000 211 000 Einwohner Anspruchsberechtigte für JSA1 1 2 3 4 Job Seekers Allowance = Arbeitslosenunterstützung, jeweils Januar 1997 Quelle: CRESR 1997, 2002: The real level of unemployment Durchschnittswerte März des Jahres bis Februar des Folgejahres Quelle: NOMIS: www.nomisweb.co uk (Stand 08/2004) Aufgrund der regen Bautätigkeit im Stadtzentrum in den letzten Jahren und zahlreicher vergangener Regenerierungsprojekte, die im wesentlichen den Aufbau neuer Wirtschaftsstrukturen zum Ziel hatten, erweckt Sheffield derzeit nicht den Eindruck einer schrumpfenden Stadt. Auch aktuelle Daten zur Entwicklung der Bevölkerung in Sheffield und zur Situation der lokalen Wirtschaft deuten auf eine tatsächliche Regenerierung hin. Sheffield entwickelte sich dabei im Vergleich zum nationalen Wirtschaftsaufschwung in den letzten Jahren überdurchschnittlich positiv. Die genauere Betrachtung städtebaulicher, sozialer und ökonomischer Strukturen zeigt jedoch, dass Sheffield von seiner Vergangenheit als Stahlstadt bis heute tief geprägt ist. Auch wenn niedrige Arbeitslosenzahlen nahezu Vollbeschäftigung signalisieren, sind die sozio-ökonomischen Regenerierungstendenzen eindeutig von einem Trend von qualifizierter Vollzeitbeschäftigung hin zu niedrig qualifizierter Teilzeitbeschäftigung sowie von männlicher zu weiblicher Erwerbsarbeit und von registrierter zu versteckter Arbeitslosigkeit begleitet. Die Region South Yorkshire hat von 1971 bis 1997 106 000 Arbeitsplätze in den Bereichen Kohle und Stahl verloren (Rückgang auf 15 000 im Jahr 1997). Insgesamt sind in diesem Zeitraum netto 147 000 Vollzeitarbeitsplätze verloren gegangen, während 52 000 Teilzeitarbeitsplätze zusätzlich entstanden sind.2 Für 2002 wird die offizielle Arbeitslosenquote Sheffields mit 3,8 % angegeben; Berechnungen der tatsächlichen Arbeitslosenquote (inkl. versteckter Arbeitslosigkeit) belaufen sich auf 10,4 %.3 Aus städtebaulicher Sicht weist Sheffield noch immer typische Strukturen einer altindustrialisierten Stadt auf, auch wenn die klassischen Arbeitersiedlungen aufgrund sinkender Nachfrage nach und nach aus dem Stadtbild verschwinden. Auch an die großen Arbeitgeber in der Stahlproduktion und -verarbeitung erinnert immer weniger. Flächenhaft wurden ausgediente Produktionsstätten und sogar Abraumhalden entfernt und die entstandenen Brachflächen neuen Nutzungen zugeführt. Diese neuen Nutzungen finden sich vor allem in den Bereichen Einzelhandel, Freizeit sowie Marketing und Service (Call-Center). Die traditionellen Wirtschaftsbereiche Sheffields spielen mittlerweile eine eher untergeordnete Rolle. Großbritannien Fallstudie Sheffield Strategieansatz, Ziele und konkrete Vorhaben Ziel der gesamtstädtischen Regenerierung ist es, Sheffield als wirtschaftliches Zentrum wieder weltweit für seine Innovationen bekannt zu machen und an diesem Erfolg alle Bevölkerungsgruppen teilhaben zu lassen. Ziele und Zuständigkeiten für die zukünftige Entwicklung und Regenerierung der Stadt wurden in der Sheffield City Strategy klar geregelt, deren zehn Ziele ein breites Themenspektrum abdecken und sich gegenseitig ergänzen (vgl. Abb. unten). Wesentlich ist dabei die organisatorische Trennung der strategischen Arbeit (durch die lo- 37 cal strategic partnership Sheffield First, s.u.) von der Umsetzung durch thematisch orientierte Unterorganisationen. Diese klare Aufgabenteilung ist gekoppelt an konkrete inhaltliche und zeitliche Zielvorgaben, an denen die Erfolge der Umsetzung gemessen werden können. Die Entwicklung des Stadtzentrums von Sheffield wurde über Jahrzehnte komplett vernachlässigt. Frühere Bemühungen zur Regenerierung konzentrierten sich auf das industriell geprägte Lower Don Valley und einzelne problematische Wohnviertel insbesondere an dessen Rändern. Heute stehen Stadtumbau-Projekte zur Neudefi- Ziele und Entwicklungsprioritäten der Sheffield First Partnerschaft Ziele und Prioritäten, Strategie Strategiepapiere/ Dokumente Für die Erarbeitung des Strategiepapiers verantwortliche Organisation Für die Umsetzung verantwortliche Organisation/Akteure 1 Entwicklung einer starken wirtschaftlichen Basis und Ansiedlung marktführender Unternehmen Sheffield First Partnerships Economic Strategy, Sheffield First for Investment Business Plan Sheffield First Partnership, unterstützt von Sheffield First for Investment und dem Sheffield First Economic Forum Yorkshire Forward, Sheffield First for Investment, Sheffield One 2 Erhöhung des Bildungsniveaus und der beruflichen Qualifikationen von Jugendlichen und Erwachsenen Sheffields Learning Plan Sheffield First for Learning, Sheffield First for Work Sheffield City Council, Schools, Sheffield College, Sheffield First for Learning, Sheffield First for Work 3 Eine dynamische/boomende Innenstadt The Sheffield One Master Plan Sheffield One Sheffield One, Sheffield City Council 4 Entwicklung und Attraktivitätssteigerung der ärmsten Stadtviertel Sheffields Social Inclusion/ Neighbourhood Renewal Strategy Sheffield First for Inclusion und die zwölf Local Area Action Panels Sheffield First for Inclusion und die zwölf Area Action Panels 5 Gesundheitsförderung Sheffield Health Improvement and Modernisation Programme Sheffield First for Health Alle Partner von Sheffield First for Health 6 Niedrige Kriminalitätsraten Sheffield Crime Reduction Strategy 20025 Sheffield First for Safety Alle Partner von Sheffield First for Safety 7 Gute Verkehrssysteme Sheffield First Partnerships Priority List Sheffield First Partnership, unterstützt durch den Sheffield Economic Executive SYPTE, Sheffield City Council 8 Kulturelles und Freizeitangebot, Förderung von Kulturund Sporteinrichtungen Sheffield First Partnerships Draft Cultural Strategy Sheffield First Partnership, unterstützt durch den Sheffield Cultural Executive Sheffield City Council und die wichtigsten kulturellen Institutionen 9 Integration und Kohäsion der verschiedenen Bevölkerungsgruppen und Stadtviertel Sheffield First Partnership Alle Partner der Sheffield First Partnership 10 Nachhaltige Entwicklung und effiziente Steuerung der städtischen Verwaltung, Orientierung an internationalen Standards Sheffield First Partnership, Sheffield First for Environment Sheffield First for Environment, Sheffield First family of partnerships, Sheffield First Partnership Quelle: Sheffield City Strategy 2002 2005, S. 23 ff.; bearbeitet durch IRS, Erkner 38 Stadtumbau in europäischen Städten mit Strukturkrisen nition der Innenstadt im Zentrum der Regenerierungsansätze. Hierbei wurde bisher eine enorme Bündelung von v.a. öffentlichen aber auch privaten Investitionen erreicht mit dem erklärten Ziel, weitere private Vorhaben anzuregen. stadt hat sich seit Eröffnung des Einkaufsparks Meadowhall 1990 kontinuierlich verschlechtert. Der in der Innenstadt verbliebene Einzelhandel soll konzentriert und durch verloren gegangene hochwertigere Segmente ergänzt werden. Bei der Regenerierung des Stadtzentrums stehen im Masterplan für die Innenstadt sieben Stadtumbau-Projekte (vgl. Abb. Impulsprojekte in der Innenstadt von Sheffield) im Mittelpunkt, die zu einer Diversifizierung des Immobilienangebots in Sheffield und der grundsätzlichen Aufwertung der Innenstadt beitragen sollen. Dabei sind die ersten drei der im Folgenden genannten Projekte in erster Linie durch öffentliche Gelder, die anderen überwiegend privat finanziert: Das Projekt Heart of the City umfasst die bereits errichteten Peace Gardens, Millennium Galleries und den Wintergarten, zum anderen ein 4-Sterne-Hotel (Fertigstellung Sommer 2005) sowie hochwertige Büroflächen, Cafés, Restaurants, Bars und Einzelhandelsgeschäfte des gehobenen Bedarfs. Der E-Campus im Sheaf Valley, ein Gewerbe- und Hochtechnologiepark, soll aufgrund der zentralen Lage, der Nähe zu den Universitäten sowie einer perfekten IuKAusstattung ideale Standortbedingungen für Unternehmen im Bereich der digitalen und wissensbasierten Industrien und des e-commerce bieten. Das Gelände des ehemaligen Stadtschlosses und historischen Marktviertels (Sheaf Market) soll durch eine Mischung aus Handel, Gewerbe und Freizeiteinrichtungen aufgewertet werden (Castlegate). Im New Retail Quarter ist eine komplette Neugestaltung einzelner Gebäude sowie des Straßenbildes mit Fußgängerzonen und öffentlichen Plätzen geplant. Die Situation des Einzelhandels in der Innen- Impulsprojekte in der Innenstadt von Sheffield Quelle: Sheffield One, 2004 Werkstatt: Praxis Heft 37 Im Zentrum des Projekts City Hall/ Barkers Pool steht eines der bedeutendsten historischen Gebäude der Stadt. Die City Hall soll zu einem regional bedeutenden Konzerthaus und Veranstaltungsgebäude für Konferenzen ausgebaut werden. Daran angebunden ist die Aufwertung des Umfeldes und neue Nutzungen in den Bereichen Einzelhandel, Freizeit und Dienstleistungen. Die Neuordnung des Bahnhofbereiches geschieht in Verbindung mit dem Abriss von Bürohäusern der 1960er Jahre gegenüber des Bahnhofs und der Umgestaltung dieser Fläche zu einem öffentlichen Bahnhofsvorplatz. Hinzu kommen verbesserte intermodale Umsteigemöglichkeiten und ein fußgängerfreundlicherer Zugang in die Innenstadt. Die integrierte Verkehrsstrategie für das gesamte Innenstadtgebiet ist wesentlicher Bestandteil des Masterplans. Das Straßenbahnnetz als wichtigster Baustein der neuen Verkehrsstrategie wurde bereits realisiert. Die bis 2004/2005 umgesetzten Projekte haben Sheffields Stadtmitte deutlich aufgewertet und im öffentlichen Raum neue Qualitäten geschaffen. Das Zentrum wurde als Wohn- und Arbeitsort, als Ort der Kultur und Freizeitgestaltung sowie zum Einkaufen in wenigen Jahren deutlich attraktiver. Die Konzentration der Fördermittel und Stadtumbau-Bemühungen auf die Innenstadt in jüngerer Zeit haben zu einer Steigerung der Attraktivität und des Images von Sheffield insgesamt wesentlich beigetragen. Kritischer muss eine Wertung einzelner Projekte in der Innenstadt ausfallen. Während den Bemühungen zur Modernisierung und Konzentration des Einzelhandels aufgrund des landesweit steigenden privaten Konsums größere Realisierungschancen Großbritannien Fallstudie Sheffield zugeschrieben werden, ist die Konzeption des E-Campus-Projektes umstritten. Nachdem frühere Versuche gescheitert waren, stellt sich die Frage, ob im Bereich digital and creative industries tatsächlich ein Expansionsbedarf besteht, der zur vollständigen Realisierung und Auslastung des Projektes führen wird. Stadtumbau-Prozess Stadtumbau und Regenerierung in Sheffield ist als langfristig angelegter Prozess untrennbar mit einem institutionellen Wandel und der Schaffung neuer Kooperationsstrukturen verbunden. Die Zusammenarbeit zwischen öffentlichen, privaten, gemeinnützigen und nachbarschaftlichen Akteuren auf gesamtstädtischer Ebene mit dem Ziel der städtischen Regenerierung wurde in Sheffield bereits in den 1980er Jahren mit der Gründung der City Liaison Group institutionalisiert. Sie wurde 1998 als Sheffield First zur offiziellen Local Strategic Partnership (LSP). Sheffield First vereint heute alle wichtigen Akteure aus Sheffield in einer strategischen Planungsinstitution. Sie ist die anerkannte Ebene zur Entwicklung von Strategien und Maßnahmen der gesamtstädtischen Regenerierung sowie des Stadtumbaus und nimmt damit Funktionen wahr, die in Deutschland Teil der kommunalen Planungshoheit und dadurch klassische Aufgabe der Stadtverwaltung sind. Sheffield First arbeitet integrativ, kooperativ, innovativ und flexibel. Wesentliche Entscheidungen über Leitbilder, Masterpläne, Budgetfragen oder strategische Ziele werden von Sheffield First getroffen. Sie ist gleichzeitig das Dach für Kooperationen auf Stadtteilebene und für thematisch enger gefasste Unterorganisationen wie z. B. Sheffield One (s. Abb. S. 37). Eine besondere Bedeutung für den Stadtumbau wird der Entwicklungsgesellschaft Sheffield One zugeschrieben, die als Urban Regeneration Company (URC) mit der Regenerierung der Innenstadt Sheffields beauftragt ist. Sie wurde im Februar 2000 vom Sheffield City Council, Yorkshire Forward (der Regional Development Agency für die Region Yorkshire und Humber) und English Partnerships für eine festgesetzte Dauer von sieben Jahren gegründet. Bei der Formulierung der Aufgaben von Sheffield One kamen die Interessen der Stadtverwaltung, die Politik der Nationalregierung sowie die Strategien von Yorkshire For- 39 ward zusammen. Letztere fördert Projekte, die den Zielen ihrer Regional Economic Strategy entgegen kommen und für die gesamte Region von Bedeutung sind. Hierzu gehören auch die von Sheffield One bearbeiteten Kernprojekte in der Innenstadt. Grundsätzlich wird die wichtigste Rolle von Sheffield One darin gesehen, zur Realisierung dieser Projekte Public Private Partnerships (PPP) zu formieren. In den vergangenen Jahren war die Stadt mit großen Schwierigkeiten konfrontiert, wenn es darum ging, Großinvestoren dazu zu motivieren, in Sheffield tätig zu werden; generell konzentrieren sich Immobilienentwickler auf den boomenden Südosten Englands obwohl nach Auskunft von Experten im Norden teilweise mit höheren Gewinnen gearbeitet werden könnte. Die Strategie in Sheffield konzentrierte sich daher von Beginn an auf öffentlich finanzierte Projekte, um damit Anreize für private Investitionen zu schaffen. Mit jedem Masterplan-Projekt in der Innenstadt verbinden sich Teilprojekte, die privat finanziert werden sollen. Teilweise sind dabei bereits Erfolge vorzuweisen, insbesondere im Barker´s Pool Quarter und mit dem Bau eines First-Class Hotels am Wintergarten. Weitere private Aktivitäten halten sich bisher in Grenzen bzw. werden noch verhandelt. Teilweise bauen Investoren spekulativ (z. B. Büroturm im Zentrum) und warten dann ab, wie der Markt reagiert. Ob also mit ca. 144 Mio. E öffentlicher Gelder die erwünschten 1,3 Mrd. E privater Investitionen stimuliert werden können, bleibt abzuwarten. Öffentlichkeitsarbeit und Bürgerbeteiligung Das Stadtentwicklungskonzept Sheffield City Strategy ist das Ergebnis eines langen Diskussionsprozesses aller Partner der LSP und wurde während der Erarbeitung regelmäßig mit der Öffentlichkeit diskutiert und laufend aktualisiert. Ziel des Konzeptes ist es, ein möglichst breites Spektrum an Interessen und Sichtweisen in die Gesamtstrategie der Stadt einzubinden.4 Bürgerbeteiligung ist fester Bestandteil der städtischen Planungsstrategien. Das Prinzip der Partnerschaft umfasst die Teilnahme zivilgesellschaftlicher Akteure und der Bewohnerschaft (Communities) am Planungsprozess. Allerdings bringt dies mit sich, dass über diese Form der Beteiligung hinaus kaum eine weitere Einbeziehung der (4) Sheffield First Partnership: Sheffield City Strategy 2002 5, S. 8 f. Stadtumbau in europäischen Städten mit Strukturkrisen 40 Aufwertung und Belebung der Innenstadt Sheffields Bewohner bei der Planung und Umsetzung von Projekten der URC erfolgt. Da die Gesamtstrategie durch die Partnerschaft(en) bereits legitimiert ist, werden die Bürger in vielen Fällen lediglich über den Fortgang der Projekte informiert. Finanzierung Die Stadtumbau-Projekte in der Innenstadt werden durch öffentliche und private Gelder finanziert. Von ca. 1,5 Mrd. E Gesamtinvestitionen im Stadtzentrum sind lediglich 10 % als öffentliche Investitionen geplant, die restlichen Mittel sollen von privaten Investoren aufgebracht werden. Sheffield One stehen etwa 144 Mio. E als öffentliche Gelder für die Regenerierung der Innenstadt zur Verfügung. Diese Summe setzt sich aus EUZiel-1-Geldern für South Yorkshire (ca. 50 Mio. E), dem Single Regeneration Budget (ca. 20 Mio. E) sowie aus Mitteln von Yorkshire Forward, English Partnerships und dem Local Transport Plan zusammen.5 Hinzu kommen Gelder aus der nationalen Lotteriegesellschaft (Millennium Fund), mit denen die Millennium Galleries, der Peace Garden sowie der Wintergarten finanziert wurden. Resümee (5) www.sheffield1.com (Stand 10/ 2004) Zum gegenwärtigen Zeitpunkt kann der Stadtumbau-Prozess in Sheffield mit folgenden zentralen Aussagen resümiert werden: Werkstatt: Praxis Heft 37 Quelle: Thilo Lang/IRS, Juli 2004 Vorreiter in lokalen Kooperationen Sheffield ist seit Jahren ein Vorreiter bei der Bildung von Kooperationen lokaler Akteure. Die Entstehungsgeschichte der Local Strategic Partnership Sheffield First beruht auf dem Bedürfnis zentraler Akteure, Sheffield zu gestalten und eingefahrene Blockaden zu überwinden. Die LSP ist die zentrale Institution in Sheffield, wenn es um die stadtweite Gestaltung und Planung der Zukunft geht. Wesentliche Entscheidungen über Leitbilder, Masterpläne, Budgetfragen, strategische Ziele usw. werden von Sheffield First getroffen. Die Struktur ist dabei sehr integrativ, was allerdings nicht bedeutet, dass alle einzelnen Projekte ebenfalls einen integrativen Anspruch verfolgen. Starker Fokus auf die Revitalisierung der Innenstadt Nachdem die Urban Development Corporation in den 1980er und 1990er Jahren vor allem die Revitalisierung aufgegebener Wirtschaftsstandorte und Industrieareale Sheffields zum Ziel hatte, liegt der Fokus der aktuellen Regenerierungsansätze von Sheffield One auf der wirtschaftlichen und baulichen Regenerierung der Innenstadt (s. Abb. oben). Ziel der Regenerierungsprojekte ist es, die Innenstadt als treibende Kraft für die wirtschaftliche Entwicklung, als kulturelles Zentrum sowie als Zentrum für den Einzelhandel und Bildungseinrichtungen zu stärken. Aufgrund der bisherigen Ver- Großbritannien Fallstudie Sheffield 41 Victoria Quays Hafen, Sheffield nachlässigung des Innenstadtbereiches sind diese Bemühungen eindeutig positiv zu werten und tragen erheblich zu einem neuen Erscheinungsbild Sheffields bei. Tatsächlich ist bereits eine massive bauliche und funktionale Aufwertung bzw. komplette Umgestaltung einzelner Innenstadtgebiete in Gang gekommen. Einige innerstädtische Industriegebäude wurden bereits neuen Nutzungen zugeführt. Neue Appartmentblocks bieten hochsegmentiges Wohnen in der Innenstadt. Die Fördermittel sind auch in die bauliche Aufwertung der beiden innenstadtnahen Universitäten geflossen, und mit den Millennium Galleries, dem Wintergarten und den Peace Gardens sind Großprojekte zur Aufwertung des öffentlichen Raums im Stadtzentrum umgesetzt worden. Differenziert zu betrachtende Resultate der URC Grundsätzlich hat der klare Auftrag für Sheffield One zu einer überdurchschnittlich schnellen Realisierung der angestrebten Projekte beigetragen. Insofern hat sich die Konstruktion einer eigenständig agierenden Organisation zur Ausführung festgelegter Ziele als erfolgreich erwiesen. Allerdings mangelt es bei den Projekten von Sheffield One an der Einbettung in gesamtstädtische Entwicklungsziele und -zusammenhänge. Vor allem die Maßnahmen der Vorgänger-Organisation von Sheffield Quelle: Thilo Lang/IRS, September 2004 One, der Urban Development Corporation finden sich heute teilweise als Inseln wieder, die nicht in ein gesamtstädtisches Gefüge eingebunden sind (z.B. der ehemalige Hafen, s. Abb. oben). Sheffield One kann bei den bisher durchgeführten Maßnahmen zwar städtebauliche Erneuerung, aber weder räumliche noch direkte soziale Integrationswirkungen vorweisen. Städtebauliche Erfolge aber keine umfassende Regenerierung Im wirtschaftlichen Bereich konnten die neu gegründeten Unternehmen in wachsenden Wirtschaftszweigen die Einbußen nicht ausgleichen, die durch den Verlust der traditionell ansässigen Großbetriebe entstanden sind, auch wenn in den letzten Jahren ein positiver Trend der Einwohner- und Arbeitsplatzzahlen zu beobachten ist. Festzustellen ist ebenso eine weiterhin angespannte soziale Lage in einzelnen Wohnvierteln, ein immer noch unterdurchschnittliches Bildungsniveau, eine besonders hohe versteckte Arbeitslosigkeit und ein deutlicher Trend von Voll- zu Teilzeitarbeitsplätzen. Dennoch findet eine städtebauliche Regenerierung derzeit zweifelsohne statt; ob die ökonomischen Aufwärtstrends, für die es seit den letzten Jahren Anzeichen gibt (s. Tab. Trends der Entwicklung in Sheffield, S. 36), nachhaltig wirken, bleibt abzuwarten. 42 Stadtumbau in europäischen Städten mit Strukturkrisen Werkstatt: Praxis Heft 37 Literatur- und Quellenangaben Census 2001. www.neighbourhood.statistics.gov.uk (Stand 08/2004) CRESR (Centre for Regional Economic and Social Research): The real level of unemployment. Sheffield Hallam University 2002 und 1997 Dabinett, Gordon: Informelle versus formelle Kooperation zwischen Städten in Großbritannien und Nordirland. In: Heinz, Werner (Hrsg.): Stadt & Region Kooperation oder Koordination? Ein internationaler Vergleich. Schriften des Deutschen Instituts für Urbanistik, Band 93. Stuttgart/Berlin/Köln 2000 Dabinett, Gordon: Uneven Spatial Development and Regeneration Outcomes in the UK: reversing decline in the northern city of Sheffield? In: Städte im Umbruch Online-Magazin für Stadtentwicklung, Stadtschrumpfung, Stadtumbau und Regenerierung 2/2004, S. 1822. www.schrumpfende-stadt.de Hetherington, Peter: Steely resolve. After decades of neglect, Sheffield is reinventing its centre. In: The Guardian, October 30, 2002: Cities reborn. The challenge of an urban renaissance, S. 5 Hetherington, Peter: The new urbanism. Britains future housing needs can only be met with higher density, better designed homes. John Prescott outlines his vision. In: The Guardian, October 30, 2002: Cities reborn. The challenge of an urban renaissance, S. 2 3 NOMIS. www.nomisweb.co.uk (Stand 08/2004) Office for National Statistics. www.statistics.gov.uk Sheffield City Council: 2001 Census Sheffield Profile. A Summary of the 2001 Census Key Statistics for Sheffield. Corporate Policy Unit. Sheffield July 2003 Sheffield City Council/ Sheffield First: Sheffield Trends. Sheffield 1999 Sheffield City Liaison Group: Sheffield Shines. The way ahead. Plans for the economic regeneration of Sheffield. Sheffield 1994 Sheffield First Partnership: Sheffield City Strategy 20025, final, February 2003 Sheffield One: Annual Review 2003/4 Großbritannien Fallstudie Sheffield 43 Abstract With slightly over 500,000 inhabitants, Sheffield is the eighth largest city in Great Britain. As a result of its location close-by the coal mining regions of South Yorkshire and North Nottinghamshire-Derbyshire, Sheffield has developed as an important centre for the steel and metal processing industry. A decrease in national steel production, caused by international competition, has hit Sheffield and South Yorkshire particularly hard. In the last 15 years the city has lost a quarter of its total jobs (and over 50 % of jobs in the metal processing sector). Develop-ments in new branches of the economy (the service sector in particular), have not been able to totally compensate for the loss of jobs in the traditional sectors of the economy, even though positive population growth and employment rates have been observed over the past few years. At the same time, a critical social situation continues to exist in some neighbourhoods, where low levels of education, high levels of hidden unemployment, and a distinct trend away from full-time towards part-time jobs can be observed. As part of the development of strategies for economic, physical, cultural and social regeneration in Sheffield, increasing emphasis has been placed on the construction of partnerships between local protagonists. As early as the 1980s, the City Liaison Group was founded, later renamed Sheffield First, as the official Local Strategic Partnership. Sheffield First is a central institution when it comes to planning and creating a strategy for the future of the city. Sheffield First is responsible for making important decisions regarding vision, master planning, budgeting, strategizing etc. At the same time, Sheffield First serves as an umbrella organisation for thematic sub-organisations and for cooperation on the neighbourhood level as well as for thematically specialised suborganisations, such as the Urban Regeneration Company Sheffield One, which focuses on inner-city regeneration. After urban development in the 1980s and 1990s had focused on the revitalisation of abandoned commercial locations and industrial sites within Sheffield, the current regeneration projects focus on renewing the function and built-form of the inner city area. This focus composes only one part of the regeneration strategy of the city as a whole, yet these projects play a central role in city regeneration and manage to attract much attention from regional and national funding agencies. Due to neglect of the city centre over the past few years, these efforts signalise a positive step in the right direction, and are certain to significantly improve Sheffields image. Considerable structural and functional improvements as well as a complete redesign of selected inner-city areas has already taken place. Specifically, several former industrial sites in the inner-city have undergone rezoning, new apartment blocks in the inner city now cater to the upper segments of the market, a considerable amount has been invested in the renovation of the two universities, and the creation of the Millennium Galleries, Winter Garden, and Peace Gardens three large projects contributing to the improvement of public space in the centre has already been realised. However, comprehensive spatial and socially inclusive planning strategies are not the primary focus of Sheffield One. It is hoped that the regeneration of the inner city area will develop the city centre as a motor for economic growth and as a centre for cultural and educational facilities as well as strengthen its position as a centre for retail activity. In any case, a regeneration of the built environment is taking place in Sheffield. The organizational structures and development projects play a central role in the process, and are remarkable from a German perspective. Whether or not the trend towards economic growth observed over the past few years is sustainable, remains to be seen. Stadtumbau in europäischen Städten mit Strukturkrisen 44 Werkstatt: Praxis Heft 37 St. Helens Ausgangslage und Rahmenbedingungen Universität Stuttgart Städtebau-Institut Karoline Brombach Johann Jessen Lisa Küchel (1) St. Helens Council: Tourism and Visitor Strategy. 3.1 Profile of the Borough (2) www.pilkington.com/ corporate/english default.htm (Stand 08/2004) (3) St. Helens Borough Economic Development Plan 2001 2006, S. 21 (4) Vgl. St. Helens City Council: Unitary Development Plan (5) Ebd. The Planning Framework, Punkt 2.8 (6) St. Helens Council: Corporate Assessment 2004, S. 5 Bergwerk Ravenhead Colliery in St. Helens Quelle: Fletcher 2002, S. 12 St. Helens ist eine Stadt im Nordwesten Englands mit insgesamt rund 177 000 Einwohnern. Sie gehört zum Ballungsraum Merseyside (1,3 Mio. EW) und liegt zwischen den Zentren Manchester und Liverpool. St. Helens war eine der ersten englischen Industriestädte überhaupt und verdankte ihren Aufstieg dem Kohleabbau. Auf dem Höhepunkt der Industrialisierung zu Beginn des 20. Jahrhunderts waren in St. Helens 20 000 Menschen im Kohleabbau und 30 000 Menschen in der Glasindustrie beschäftigt.1 Die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts brachte mit der Erschöpfung der Kohlevorkommen das Ende des Bergbaus und auch einen erheblichen Bedeutungsverlust der Glasindustrie mit sich. Die Schließung des bedeutendsten Bergwerks der Stadt 1968 leitete den Niedergang der Kohlebranche ein. Inzwischen ist keines der vormals 90 Bergwerke in St. Helens mehr in Betrieb; auch innerhalb des Glassektors hat nur der 1826 gegründete Pilkington Glass Konzern überdauert.2 Insgesamt sind in St. Helens von 1978 bis 2000 ca. 23 000 Arbeitsplätze verloren gegangen.3 Gleichwohl ist die Stadt nach wie vor industriell geprägt. Heute ist der größte Teil der Arbeitnehmer im Handel und in der Autoreparatur beschäftigt. Trotz eines er- heblichen Rückgangs an Arbeitsplätzen ist die Glasindustrie immer noch der zweitgrößte Arbeitgeber.4 1993 lag die Arbeitslosenquote in St. Helens bei rund 13 %.5 Heute sind nur 4,8 % der Einwohner arbeitslos gemeldet, davon über ein Drittel langzeitarbeitslos. Allerdings gibt es trotz der allgemein sinkenden Zahlen immer noch Stadtteile mit besonders hoher Arbeitslosigkeit.6 Zudem handelt es sich bei vielen neuen Arbeitsplätzen um schlecht bezahlte Jobs mit geringen Qualifikationsanforderungen. Die Bevölkerung St. Helens zeichnet sich durch ein geringes Qualifizierungsniveau, einen hohen Anteil von Industriearbeitern und einen niedrigen Anteil an Selbstständigen aus. Nur 14,1 % der Bevölkerung haben einen Hochschulabschluss; hingegen 35,4 % der Einwohner keinerlei berufliche Ausbildung. Zudem gibt es einen hohen Anteil an Menschen, die dauerhaft von staatlicher Unterstützung leben, einen schlechten Gesundheitszustand aufweisen, und nur schwer wieder in den offiziellen Arbeitsmarkt integrierbar sind. Dazu kommt, dass vor allem junge und ambitionierte Menschen St. Helens verlassen, weil ihnen auf dem lokalen Ausbildungs- und Arbeitsmarkt Perspektiven fehlen. Großbritannien Fallstudie St. Helens St. Helens hat seit 1982 6,6 % seiner Einwohner verloren. Prognosen zufolge wird St. Helens einen Bevölkerungsrückgang auf 156 000 Einwohner im Jahr 2021 erfahren.7 Nach Aussage der Stadtverwaltung ist die Einwohnerentwicklung in St. Helens derzeit nicht rückläufig. Diese Trendwende wird gleichermaßen auf Zuwanderung aus Merseyside wie auf überregionale Zuwanderung zurückgeführt. Die Mehrheit der Einwohner von St. Helens ist weiß und christlich. Auffallend ist der niedrige Ausländeranteil. Der Anteil der Einwohner über 60 Jahren ist in St. Helens gegenüber dem Landesdurchschnitt leicht erhöht. St. Helens weist die typische Siedlungsstruktur einer Industriestadt auf: geringe Dichte, niedrige Bebauung, ein in Relation zur Größe der Stadt schwach ausgeprägtes Zentrum und zahlreiche Gemengelagen. Vorindustrielle städtische Wurzeln gibt es kaum; prägend für die Stadtbildung waren die Zechenstandorte, später auch die Standorte der Chemie- und Glasfabriken, an die sich Arbeiterwohnsiedlungen anlagerten. Die überwiegende Mehrheit der Haushalte in St. Helens lebt in Doppelhäusern; nur 13,3 % der Haushalte wohnen im Einfamilienhaus. Ausstattung und bautechnischer Standard sind bescheiden, der Instandsetzungs- und Modernisierungsbedarf groß. Größere zusammenhängende Mietwohnungsleerstände, wie man sie insbesondere aus Ostdeutschland kennt, gibt es dagegen in St. Helens nicht. Derzeit stehen in St. Helens etwa 3,6 % des Wohnungsbestands leer. Die Eigentumsquote liegt leicht über dem nationalen Durchschnitt; hoch ist auch der Anteil der Mieter im kommunalen Wohnungsbau (18,9 %). Wohnsituation heute Quelle: Universität Stuttgart Städtebau-Institut 45 Strategieansatz, Ziele und konkrete Vorhaben Der Stadtumbau in St. Helens wurde vor zwei Jahrzehnten in Angriff genommen und ist noch keineswegs abgeschlossen. Im Verlauf des Prozesses haben sich Ziele verändert und Schwerpunkte verlagert. So war zunächst die Aufwertung der Innenstadt als Einkaufsstandort und für den Tourismus vorrangig. Heute befasst man sich mit der Aufwertung des Wohnens sowie der Verbesserung von Freizeit- und Erholungsangeboten. Die inhaltliche Ausrichtung des Stadtumbaus scheint dabei stark von den Schwerpunkten und Laufzeiten der staatlichen Förderprogramme abhängig zu sein. Aus der Fülle der verfolgten Umbaukonzepte und -programme lassen sich aktuell folgende Ziele des Stadtumbaus in St. Helens herausfiltern: Verbesserte Anbindung der Stadt an das übergeordnete Straßen- und Bahnnetz; Stabilisierung und Stärkung des verbliebenen industriellen Sektors (Glasindustrie); Erweiterung der wirtschaftlichen Basis durch gezielte Förderung der Ansiedlung von Unternehmen des Dienstleistungssektors; Aufwertung der Innenstadt für Einzelhandel und Tourismus; Erhöhung der Lebensqualität in den Wohnquartieren durch Modernisierung des Bestands und Verbesserung des Umfelds. Räumlich konzentriert sich der Stadtumbau in St. Helens auf die Innenstadt und auf Gebiete im Süden der Stadt. Da die Stadt von zahlreichen Brachflächen durchzogen wird, ist deren Belegung mit neuen Nutzungen (Wohnen, öffentliches Grün und Gewerbe) von vorrangigem Interesse. Die hohe Anzahl der Brachflächen ermöglicht zudem eine leichtere Um- und Durchsetzung des übergeordneten Stadtentwicklungszieles Innenentwicklung vor Außenentwicklung. Von zentraler Bedeutung für den Stadtumbau in St. Helens sind Stadtentwicklungsprojekte. Es lassen sich zwei Typen dieser Projekte unterscheiden infrastrukturelle Vorleistungen des Stadtumbaus einerseits und andererseits die so genannten Leuchtturmprojekte, die den Stadtumbau erfolgreich nach innen und außen repräsentieren. Ein früher Impuls für die Revitalisie- (7) www.sthelens.gov.uk department/stratplan.nsf (Stand 07/2004) Stadtumbau in europäischen Städten mit Strukturkrisen 46 Werkstatt: Praxis Heft 37 Pilkington Glass-Fabrikgebäudes umgenutzt. Es bildet zusammen mit dem Bau des gegenüber liegenden Hilton Hotels einen Schwerpunkt der Tourismusstrategie der Stadt. Quelle: Universität Stuttgart Städtebau-Institut The World of Glass Museum (Teilansicht von hinten) Quelle: Universität Stuttgart Städtebau-Institut George Street Quarter Daneben gibt es weitere Impulsvorhaben in innenstadtnahen Lagen: Durch Verkehrsberuhigung, Modernisierung von Wohngebäuden und Neugestaltung des öffentlichen Raums, aber auch durch den gezielten Einsatz von Wirtschaftsförderund Existenzgründerprogrammen ist mit dem George Street Quarter ein attraktives, funktionsgemischtes Innenstadtquartier entstanden. Als Impulsvorhaben der besonderen Art ist gegenüber dem World of Glass-Museum der St. Mary´s Market realisiert worden. Der moderne Stahl- und Glasbau birgt ein dichtes Nebeneinander von Kleinhändlern, die auf engstem Raum jede Art von Waren des täglichen Bedarfs, Textilien, Haushaltswaren, Kurzwaren, Lebensmittel und vieles mehr auf unterstem Preisniveau anbieten. Ein weiteres Vorhaben, die Umgestaltung des St. Helens Canal nahe der südlichen Innenstadt, hat ihre Wirkung noch nicht voll entfaltet: Im westlichen Abschnitt ist der Kanal in die Außenanlagen der World of Glass integriert worden, an anderen Stellen ist er zu einem öffentlichen Grünzug mit Uferweg umgestaltet, jedoch nicht an die Innenstadt und die benachbarten Wohngebiete angebunden worden. Stadtumbau-Prozess Quelle: Universität Stuttgart Städtebau-Institut St. Helens Canal (8) road to riches, 2002, S. 208 Fletcher (9) www.worldofglass.com (Stand 08/2004) rung der Stadt war der Bau des M62 Linkway, auch Straße zum Reichtum8 genannt, der die überregionale Verkehrsanbindung deutlich verbessert hat. Auch der 1995 gebaute Busbahnhof als Drehscheibe für den regionalen Busverkehr gab einen wichtigen Anstoß für die Aufwertung der City. Das wichtigste Impulsprojekt mit überregionaler Ausstrahlung ist das World of Glass-Museum. Das 14 Mio. E teure Prestigeprojekt wurde aus staatlichen, europäischen und privaten Quellen finanziert.9 Im Museum wird die Geschichte der Glasherstellung mit besonderem Bezug zu St. Helens vorgestellt. Für das Museum wurden Teile des historischen Der Stadtumbau-Prozess in St. Helens kann in zwei Phasen unterteilt werden. Die erste Phase ist geprägt durch bodenordnerische Maßnahmen (Abriss alter Industrieanlagen, Altlastenbeseitigung) und strategische öffentliche Investitionen in die Infrastruktur. Die zweite Phase hat in St. Helens vor rund zehn Jahren begonnen. Der Bau des Linkway in der ersten Phase unterstützte die Ansiedelung von Gewerbeparks. St. Helens wurde sowohl für gewerbliche Investoren als auch für Pendler als Standort interessant. Gezielte Impulsprojekte wie das World of Glass geben heute zusätzliche Anreize für private Investitionen. Zudem werden parallel weiche Standortfaktoren, wie Freizeit- und Aufenthaltsqualität sowie Wohn- und Wohnumfeldverbesserungen, gestärkt. Die Formulierung der Strategien und ihre Umsetzung sind in St. Helens das Ergebnis eines komplexen Zusammenspiels der be- Großbritannien Fallstudie St. Helens teiligten Akteure: der Zentralregierung, der Kommune und schließlich der sog. Partnerschaften. Im Zuge des Stadtumbaus sind in St. Helens eine Fülle von Partnerschaften gebildet worden, die sich in Zielen, Aufgabenbereichen, Struktur und Finanzierung unterscheiden. Sie sind die zentralen Akteure des Stadtumbaus. Gewöhnlich werden sie für einzelne Vorhaben gebildet und haben nur für die Dauer des Projektes bzw. die Laufzeit des jeweiligen Programms Bestand. Im Zusammenhang mit dem Stadtumbau spielt die Ravenhead Renaissance Partnership (RR)10 eine wichtige Rolle. Sie ist die älteste und wichtigste Partnerschaft in St. Helens und hat seit 2001 die Schirmherrschaft über dortige Stadtumbau-Projekte als Local Strategic Partnership (LSP) inne. Sie ist zuständig für die Festlegung der Ziele und Strategien des Stadtumbaus, für die Sicherung der Finanzierung, die Umsetzung der Stadtumbau-Projekte sowie die Öffentlichkeitsarbeit. Als sog. umbrellaorganisation11 unterstützt sie die Bildung von Sub-Partnerschaften in St. Helens, koordiniert deren Aktivitäten und hilft ihnen bei der Einwerbung von Fördermitteln. Wegen der engen personellen Verbindung zur Verwaltung kann RR auch als communityled Partnership bezeichnet werden. Wichtige Sub-Partnerschaften für den Stadtumbau sind darüber hinaus die Pathway Chair Groups. Sie stehen in unmittelbarem Zusammenhang mit der EUZiel-1-Förderung. Zwischen 2000 und 2006 werden 1,3 Mrd. E in Merseyside zur Verfügung stehen, davon 12 Mio. E für St. Helens.12 Die Stadt hat acht besonders benachteiligte Wohnstandorte als pathway communities für den Einsatz der Mittel ausgewählt. Für jedes der acht Gebiete war die Bildung von Partnerschaften zwischen der Stadt, Bürgervertretern und privaten Investoren verlangt. Gemeinsam arbeiten diese Akteure an einem action plan für den jeweiligen Stadtteil. Schließlich ist im Zusammenhang mit dem Stadtumbau die Neighbourhood Renewal Fund Steering Group anzuführen: Die Partnerschaft wurde in Verbindung mit der Förderung aus dem Neighbourhood Renewal Fund gebildet, auf die St. Helens gemäß dem Index of Multiple Deprivation Anspruch hat. In ausgewählten Gebieten soll in die Verbesserung der Bildungsangebote, der Gesundheitsversorgung und in die Aufwertung der Wohnverhältnisse investiert werden. 47 Die hoheitliche Planung der englischen Kommunen hat mit der Übernahme wesentlicher Aufgaben des Stadtumbaus durch Partnerschaften im Allgemeinen an gestalterischer und steuernder Kraft eingebüßt. In St. Helens trat die Stadtverwaltung jedoch als Initiator des Stadtumbaus in Erscheinung und trägt auch heute noch in maßgeblicher Weise zur Steuerung bei. Darüber hinaus formuliert sie Planwerke und Strategiekonzepte wie z. B. den Unitary Development Plan oder Tourismusund Wirtschaftskonzepte. Öffentlichkeitsarbeit und Bürgerbeteiligung Die Öffentlichkeitsarbeit der Partnerschaften und der öffentlichen Verwaltung richtet sich an drei Zielgruppen: Investoren, Bürger und Touristen. Zugleich trägt eine überzeugende Außendarstellung wesentlich dazu bei, sich im Wettbewerb mit anderen Kommunen um Fördermittel zu profilieren. Direkte Bürgerbeteiligung findet in St. Helens erst seit kurzem verstärkt Eingang in den Stadtumbau. Dies steht in engem Zusammenhang mit den neueren staatlichen Programmen wie z. B. dem Neighbourhood Renewal Program, in denen die Beteiligung der Anwohner verpflichtend vorgesehen ist. Finanzierung Zur Finanzierung von Umbauvorhaben kann auf verschiedene Fördermittel zurückgegriffen werden. Die von der Zentralregierung vergebenen Mittel müssen komplementär finanziert werden und stehen eng mit der Bildung von Partnerschaften in Verbindung. Das bedeutendste und größte Förderprogramm, auf das die Ravenhead Renaissance Partnership bei der Finanzierung der meisten ihrer Projekte zurückgreifen konnte, war das Single Regeneration Budget-Programm (SRB) der nationalen Regierung. Aus diesem SRB konnte St. Helens 1995 eine größere Summe einwerben, die in die Aufwertung des sog. Southern Corridors des Bezirkes floss. 1999 wurde St. Helens erneut im Rahmen eines Wettbewerbsverfahrens als einem von nur sieben Kandidaten des Nordwestens 37,5 Mio. E zur Schaffung neuer Arbeitsplätze und Verbesserung der Lebens- und Wohnverhältnisse zugesprochen. Das heute wichtigste Instrument zur Vergabe der Förder- (10) www.ravenheadrenaissance. co.uk.content.ravenintro.html (Stand 08/2004) (11) Dachorganisation (12) St. Helens Council: St. Helens Borough Economic Development Plan 2001 2006, S. 46 48 Stadtumbau in europäischen Städten mit Strukturkrisen hilfen, der Index of Multiple Deprivation (IMD) weist St. Helens als eine der 50 englischen Städte aus, in die insgesamt 80 % der Fördermittel fließen. Der städtische Haushalt wies in den letzten zehn Jahren kein Defizit auf, da er durch interne Umstrukturierungen und Überarbeitung des Haushaltsplans konsolidiert wurde. Der Stadtumbau wird allerdings nur zu einem sehr geringen Anteil direkt aus dem kommunalen Haushalt finanziert, sondern speist sich wie oben beschrieben vorwiegend aus staatlichen, privaten oder EUQuellen. Städtebauliche Instrumente Strategien des Stadtumbaus werden in den Partnerschaften entwickelt und verfolgt. Masterpläne und Machbarkeitsstudien werden in der Regel an private Berater vergeben, die diese binnen weniger Monate erarbeiten. Sie sind häufig die Voraussetzung für die Beantragung von Fördermitteln und so als zentrale planerische Instrumente des Stadtumbaus anzusehen. Demgegenüber ist die hoheitliche Planung (Stadtentwicklungskonzept, Flächennutzungsplan) marginalisiert worden, da sie als vergleichsweise unflexibel eingeschätzt und an zeitaufwendige Verfahren gebunden sei. Stadtumbau stellt sich in St. Helens als ein Zusammenspiel von einzelnen Projekten dar. Dies bringt auf der einen Seite eine hohe Flexibilität mit sich, auf der anderen Seite besteht allerdings die Gefahr, dass übergeordnete Stadtentwicklungsziele, zum Beispiel ein gesamtstädtisches Freiflächenkonzept, aus dem Blickfeld geraten. Resümee (13) Wasteland to Woodland: www.sthelens.gov.uk/ departments/stratplan.nsf. (Stand 07/2004) Der Stadtumbau in St. Helens gilt bereits jetzt als erfolgreich, wenngleich er eine zentrale Aufgabe der kommenden Jahrzehnte bleiben wird. Dabei ist die Ausgangslage denkbar schwierig: Als mittelgroße Stadt in einem Ballungsraum liegt St. Helens im Schatten zweier Metropolen. Sie weist eine zentrale Lage auf, ohne verkehrlich gut angebunden zu sein. Das Bild von St. Helens ist blass und eher mit negativen Attributen (schmutzig, ungesund, gesichtslos) belegt. Vor diesem Hintergrund sind die verfolgten Stadtumbau-Strategien zu interpretieren. Werkstatt: Praxis Heft 37 Kommune als gestaltende Kraft Der Stadtverwaltung ist es in besonderer Weise gelungen, sich den Einfluss auf die Planungen der Partnerschaften zu sichern und die kommunalpolitischen Vorstellungen bis in die Projekte hinein zu verankern. Die seit den 1980er Jahren bestehende Zusammenarbeit und personelle Verflechtung zwischen öffentlicher Verwaltung und den Partnerschaften war trotz Spannungen produktiv. Lokal angepasste Umbaustrategien Der Stadtumbau nimmt bewusst Bezug auf die Stärken und Schwächen der Stadt. Zum einen wird nicht versucht, in Konkurrenz zu Manchester oder Liverpool zu treten, sondern gerade von deren Nähe im Sinne einer Windschattenstrategie zu profitieren: als Wohnstandort für Berufspendler, als Ausflugsziel für Tagestouristen, als gewerblicher Ausweichstandort und als preisgünstiger Einzelhandelsstandort. Zum anderen profiliert sich St. Helens geschickt als die englische Glas-Stadt. Einbeziehung der Hauptarbeitgeber und zentrale Bedeutung von Impulsprojekten Charakteristisch für den Stadtumbau ist die Beteiligung des wichtigsten lokalen Industrieunternehmens. Mithilfe des Impulsprojektes World of Glass wurde eine WinWin-Situation zwischen Stadt und dem Unternehmen Pilkington Glass erzeugt. Der Stadtumbau in St. Helens zeigt insgesamt, dass Impulsprojekte große Bedeutung haben sowohl als infrastrukturelle Vorleistung als auch als Leuchtturmprojekt. Allerdings müssen diese in ihrem inhaltlichen Schwerpunkt, ihrer Dimensionierung und Ausgestaltung dem Standort gerecht werden. Akzeptanz von Brachen und Leerständen In St. Helens sind Brachen und leer stehende Bauten zu einem akzeptierten Bestandteil des postindustriellen Stadtbildes geworden, dem die kommunale Politik mit Gelassenheit und einer differenzierten Strategie begegnet: Abriss von Wohnungen, aber auch Leerstände, temporäre Belegung, und Liegenlassen von Brachen auf unbestimmte Zeit sind Alltag. Unter dem Namen Großbritannien Fallstudie St. Helens 49 mehr zur Verfügung stehen. Positiv ist, dass die Vielzahl von Brachen in St. Helens es erlaubt, Nutzungen anzusiedeln, die an anderen Standorten keine Chance hätten. Ein großer Fehler war es allerdings, nach der Schließung der Zechen nahezu alle bauliche Anlagen des Bergbaus abzureißen. Hier ist das Potenzial verschenkt worden, Zeugen der industriellen Vergangenheit beim Stadtumbau zum Vorteil der Stadt zu nutzen. Quelle: Universität Stuttgart Städtebau-Institut Reparatur von Oldtimer-Doppeldeckerbussen Umnutzung einer Fabrikhalle in St. Helens Wasteland to Woodland13 wurden Industriebrachen mit Bäumen bepflanzt. Dies zeigt, wie nötig kostengünstige Nachnutzungsstrategien sind. An den zahlreichen neu geplanten Gewerbegebieten in St. Helens wird jedoch deutlich, dass der Überfluss an Brachen auch zu einem leichtfertigen Umgang führen kann: wenn beispielsweise zentral gelegene Areale mit Nutzungen geringer Wertschöpfung belegt werden und für übergreifende Entwicklungsziele wie öffentliche Grünzüge nicht Abhängigkeit von Fördergeldern Ambivalent ist der Zusammenhang von Stadtumbau und öffentlichen Fördergeldern. Einerseits ist das Einwerben von Geldern durch die Partnerschaften als ein Erfolg anzuerkennen. Andererseits wird für die Organisation von Mischfinanzierungen aus öffentlichen und privaten Geldern viel Zeit und Personal benötigt. Noch schwerer wiegt jedoch, dass Stadtumbau in St. Helens in hohem Maße von Fördermitteln von außen abhängig ist. Ob sich die bisher verfolgte Strategie in einer Zeit ohne hoch subventionierten Stadtumbau bewähren kann, bleibt fraglich. Literatur- und Quellenangaben Fletcher, Mike: Black Gold and hot sand a history of St. Helens. Lancaster 2002 www.pilkington.com/corporate/english/default.htm (Stand 08/2004) www.sthelens.gov.uk/departments/stratplan.nsf (Stand 07/2004) www.ravenheadrenaissance.co.uk.content.ravenintro.html (Stand 08/2004) www.worldofglass.com (Stand 08/2004) Official Labour Market Statistics (nomis), www.nomisweb.co.uk/ Office for National Statistics (ONS): Census 2001. St. Helens 2003 Ravenhead Renaissance: Annual Report 2001/2002. St. Helens 2001 St. Helens Council: Unitary Development Plan. St. Helens 1998 St. Helens Council: St. Helens Borough Economic Development Plan 20012006. St. Helens 2001 St. Helens Council: Corporate Plan 2002 2005. St. Helens 2002 St. Helens Council: St. Helens Tourism and Visitor Strategy 2002 2006. St. Helens 2002 St. Helens City Council: Unitary Development Plan. The Planning Framework, Punkt 2.8 URBED: St. Helens Renaissance. (www.urbed.com) (Stand 06/2003) 50 Stadtumbau in europäischen Städten mit Strukturkrisen Werkstatt: Praxis Heft 37 Abstract St. Helens is a borough in the Northwest of England with a resident population of about 177,000. It is located between Manchester and Liverpool and thus part of the Merseyside conurbation. St. Helens was one of the earliest industrial cities ever; it prospered due to coal mining and the local glass industry. But those industries started to decline during the second half of the 20th century. Between 1978 and 2000, St. Helens lost about 23,000 jobs. Since 1982, there has been a 6.6 % decrease in population. In 1993, the local unemployment rate peaked with about 13 %. At present, only 4.8 % are unemployed, and the number of inhabitants no longer decreases. The majority of the local residents are white Christians and only a very small proportion is of ethnic minority. Among the workforce, there is a low level of qualification and a high proportion of industrial workers. The urban structure is characterised by low density, a weak town centre and spatial fragmentation. Most of the households live in semi-detached houses of low standard. Nevertheless, there are no large contiguous areas of vacant housing. In St. Helens, urban regeneration strategies and projects are a result of close collaboration between various stakeholders: central government, the city council, and, most importantly, local partnerships. The latter are primarily responsible for commissioning studies, securing funding, implementing projects, marketing, and organising participation. The process of urban regeneration in St. Helens can be subdivided into two periods. The first period is characterised by decontamination, land regulation, and strategic public investment in infrastructure. This phase served to create the preconditions for subsequent private investment. The second period began around ten years ago. At that time, the construction of the linkway facilitated the development of new business sites. Regene- ration objectives and strategies in St. Helens have changed in course of the process. During the early years, inner city redevelopment was the largest challenge such as the construction of a shopping centre with bazaar atmosphere or the valorisation of the old quarter whereas today improving the quality of housing and open spaces has become more important. Moreover, the local strategy greatly depends on the targets and time schedules of national regeneration programmes. Even though urban regeneration in St. Helens proved to be a tedious process that has by far not been completed yet, it is already considered a success today. One reason may be that the strategy is precisely geared towards local strengths and weaknesses. There are no attempts to compete against Manchester or Liverpool. Instead, St. Helens tries to benefit from its adjacency to these thriving cities. Furthermore, the local strategy succeeded in creating a win-win situation for both St. Helens and the main local employer (Pilkington Glass) by establishing the World of Glass, an inner city flagship museum. The World of Glass illustrates that catalyst projects are crucial for urban regeneration whether as strategic investment to public infrastructure or as cultural flagships. Brownfields and vacant buildings have become everyday perceptions in postindustrial cities such as St. Helens and are widely accepted. Having embraced the first major challenges of urban regeneration, the political response to brownfields now consists of relaxed, multifaceted strategies including demolition, vacancies, temporary uses, or simply letting a site rest for an indefinite time. However, one of the biggest strategic shortfalls in St. Helens has been to demolish any evidence of the towns coal mining history a missed opportunity to tap the full potential of industrial heritage for urban revitalisation. Großbritannien Gesamtfazit 51 Gesamtfazit zu Stadtumbau-Vorhaben in Großbritannien Stadtumbau als Routine Anders als in Deutschland gibt es in Großbritannien inzwischen eine über 20-jährige Erfahrung mit dem Stadtumbau. Er ist in den Gemeinden ebenso wie bei der Zentralregierung eine Routine, die immer wieder durch die Überprüfung und die Neuauflegung von Förderprogrammen an veränderte Anforderungen angepasst wird. Dabei reifte auch in Großbritannien erst allmählich die Einsicht in die Langwierigkeit des Stadtumbaus, der den beteiligten Akteuren einen langen Atem abverlangt. Es lassen sich zwei Phasen des Stadtumbaus unterscheiden. Die erste Phase umfasst strategische öffentliche Investitionen, mit denen die Voraussetzungen für private Investitionen überhaupt erst geschaffen werden: Abriss alter Industrieanlagen und überschüssiger Wohnungen, Beseitigung der Altlasten auf den Brachflächen, bodenordnerische Maßnahmen sowie Schlüsselinvestitionen in die öffentliche Infrastruktur (Verkehr, Ver- und Entsorgung etc.). In der zweiten Phase erfolgt die Umsetzung der öffentlichen Maßnahmen, die sich unmittelbar aus den Umbauzielen ableiten und die direkten Anstoß für private Investitionen im Sinne des Stadtumbaus geben sollen. Im Gegensatz zur Bundesrepublik befindet sich der Stadtumbau in Großbritannien derzeit bereits überwiegend in der zweiten Phase. Die großen Schübe des Bevölkerungs- und Arbeitsplatzverlustes liegen in den vom Niedergang (urban decline) betroffenen Regionen mindestens schon 15 bis 20 Jahre zurück. Dies erklärt u. a., dass das für Deutschland prägende Attribut des Schrumpfens in der britischen Stadtumbau-Debatte keine Rolle spielt. Grundsätzlich können die relevanten Akteure und auch die Betroffenen in England so scheint es gelassener mit Niedergangs- und Zerfallsprozessen umgehen als dies in Deutschland bisher der Fall ist. Neben dem Risiko eines zu saloppen Umgangs mit dem baukulturellen Erbe birgt diese Einstellung auch Chancen für Neues. Die zu beobachtende Offenheit gegenüber einer vollständigen Neudefinition von Stadtquartieren und Stadtvorstellungen ermöglicht manchmal radikale Lösungen, die in Deutschland nur schwer vorstellbar wären, aber Optionen für zukünftige Entwicklungen bieten, die sonst verborgen blieben. Dies gilt auch für die Bereitschaft, sich auf die Suche nach neuen gesamtstädtischen Identitäten zu begeben. Partnerschaften und URCs zur Überwindung lokaler Blockaden? Den organisatorischen Kern des Stadtumbaus in Großbritannien bilden im Gegensatz zu Deutschland strategische Partnerschaften (partnerships): Zusammenschlüsse verschiedener öffentlicher und privater Partner, die für räumlich, sachlich und zeitlich klar definierte Stadtumbau-Aufgaben gebildet werden. Sie sind die eigentlichen Träger der Maßnahmen. Sie legen die Ziele fest, sichern die Finanzierung und organisieren die Umsetzung. Weiterhin sind sie verantwortlich für die Öffentlichkeitsarbeit und die Bürgerbeteiligung. Die Konstruktion und die Bedeutung der neuen Organisationen spiegeln die Notwendigkeit sektorübergreifender Handlungsansätze wider. Universität Stuttgart Städtebau-Institut Karoline Brombach Johann Jessen Lisa Küchel Institut für Regionalentwicklung und Strukturplanung (IRS), Erkner Thilo Lang Monika Sonntag Für einen erfolgreichen Stadtumbau sind Konzepte besonders wichtig, die es ermöglichen, aus dem gewohnten Trott eingespielter Lösungswege und Routinen auszubrechen. Die englischen lokalen Partnerschaften als Träger des Stadtumbaus scheinen so der vorherrschende Eindruck aus den Fallstudien ein solcher Weg zu sein. Dass Partnerschaften nicht nur ein organisatorisches Arrangement, sondern selbst kontext- und konzeptbildend sind, bestätigen auch die Ergebnisse einer aktuellen englischen Studie, die Partnerschaften vergleichend untersucht hat.1 Local Strategic Partnerships als potenzielles Forum integrierter Stadtpolitik Das Konzept der Partnerschaften wird stetig weiter entwickelt. Um die Kohärenz der verschiedenen Stadtumbau-Vorhaben unterschiedlicher Partnerschaften zu erhöhen, sind kürzlich die Local Strategic Partnerships (LSP) verbindlich eingeführt worden. Die LSPs sollen der Garant für integrierte Stadtpolitik und eine enge Kooperation der mit Stadtumbau befassten Organisationen sein. Allerdings führt in der Praxis nicht jede LSP automatisch zu einer integrierten, kreativen Stadtentwicklungspolitik. Ihr Erfolg in den untersuchten Städten (1) Partnerships do not represent a path-dependent institutional settlement. Instead, they are path-shaping arenas in which different values and governing mechanisms compete. Davies 2004, S. 582 (2) In Barnsley, Rotherham, Hull und North East Lincolnshire (3) Partnerships do not represent a path-dependent institutional settlement. Instead, they are path-shaping arenas in which different values and governing mechanisms compete. Davies 2004, S. 582 52 Stadtumbau in europäischen Städten mit Strukturkrisen Werkstatt: Praxis Heft 37 hängt offensichtlich auch damit zusammen, dass hier bereits gute Kooperationsstrukturen vorhanden waren, bevor die Regierung LSPs offiziell zur Pflicht gemacht hatte. ten werden; Gewerbeentwicklung kann auf der grünen Wiese nur dann stattfinden, wenn der Investor nachweisen kann, dass keine geeignete Brachfläche zur Verfügung steht. Urban Regeneration Companies als Motor baulicher Erneuerung Rollenwandel der Kommunen und Machtverschiebung durch neue Kooperationsstrukturen Zum Spektrum der neuen Akteure im Stadtumbau gehören die seit 1999 gebildeten Urban Regeneration Companies (URC), Entwicklungsgesellschaften, die sich vor allem als Motor zur Revitalisierung der lange vernachlässigten Großstadtzentren etabliert haben. Ihr Schwerpunkt liegt auf der zügigen Umsetzung klar abgegrenzter baulicher Maßnahmen. Mit dem übergeordneten Ziel der Stimulierung privater Investitionen ist zugleich die optimistische Erwartung verknüpft, darüber auch die sozialen Probleme und Konflikte in den Zentren zu bewältigen. Es liegt in der klar begrenzten Funktion der URCs, dass sich deren Projekte nicht immer in gesamtstädtische Konzeptionen einfügen und keine umfassenden Instrumente der Regenerierung darstellen können. Wichtige gesamtplanerische Ansprüche sowie projekt- und gebietsübergreifende Aspekte werden dabei leicht vernachlässigt. Orte des Stadtumbaus Schwerpunkte des Stadtumbaus waren in der Vergangenheit vor allem die Großstädte. Inzwischen werden auch die kleinen und mittleren Städte, deren Entwicklungsprobleme lange Zeit unterschätzt wurden, stärker bei der Vergabe öffentlicher Mittel zum Stadtumbau berücksichtigt. Mit der Einrichtung der URCs ging eine deutliche Fokussierung von Fördermitteln und Entwicklungsimpulsen auf die lange vernachlässigten Innenstädte einher. Spektakuläre Großprojekte werden dabei häufig als entscheidende Maßnahmen gesehen, das Image der Städte positiv zu beeinflussen und neue Entwicklungen zu ermöglichen. Im Rahmen des derzeitigen Wirtschaftswachstums geht es dabei darum, die Städte an nationalen Wachstumsprozessen teilhaben zu lassen. Flankiert und gestützt wird der Stadtumbau in England durch eine restriktive nationale Flächeneinsparpolitik, die in Großbritannien sehr viel besser greift als in Deutschland. Im Wohnungsbau muss eine Quote zur Wiedernutzung von Brachflächen eingehal- Charakteristisch für den britischen Stadtumbau ist die große Bedeutung der Zentralregierung und die Auslagerung wichtiger stadtplanerischer und stadtentwicklungspolitischer Aufgaben vom City Council zu Partnerschaften, vor allem zu den LSPs, und zu Entwicklungsgesellschaften (URCs). Dadurch hat hoheitliche kommunale Planung deutlich an Bedeutung verloren. Die neue Rolle der Kommunen liegt darin, zu managen, zu koordinieren und zu ermutigen. Eine wichtige Funktion der Kommunen ist es, innerhalb der privatisierten Trägerstrukturen das öffentliche Interesse zu verankern und zu wahren. Als Vorteile des Konzepts der Partnerschaften und der Verlagerung zentraler Aufgaben in eigenständige Entwicklungsgesellschaften werden die hohe Flexibilität, Effizienz und Fähigkeit zur Innovation gesehen: Sie können sehr viel dynamischer und schneller agieren als die planende Verwaltung. Aber auch in England werden die Probleme thematisiert: zum einen, dass aufgrund der räumlich und zeitlich befristeten institutionellen Strukturen die Kontinuität nicht gesichert ist und wesentliche gesamtstädtische Aspekte nicht ausreichend berücksichtigt werden können; zum anderen die Gefahr von Demokratiedefiziten, was sowohl den Bedeutungsverlust des kommunalen Parlaments wie auch die häufig nachrangige Bedeutung der Bürgerbeteiligung betrifft. Programmvielfalt im Stadtumbau, Bündelung von Ressourcen Die Förderung des Stadtumbaus durch die Zentralregierung hat inzwischen eine lange Geschichte, in deren Verlauf sich Schwerpunkte, Vergabekriterien, Auswahlverfahren und Laufzeiten verändert haben. In Großbritannien hat sich auf politischer Ebene eine kaum zu überblickende Vielfalt an Förderprogrammen zum Stadtumbau entwickelt. Die Vielfalt der Fördermöglichkeiten wird selbst von erfahrenen Praktikern als extrem komplex eingeschätzt. So bleibt es letztendlich den lokalen Akteuren überlassen, was sie aus den vielfältigen An- Großbritannien Gesamtfazit geboten machen und wie sie die genutzten Programme vor Ort vernetzen. Indem investive Maßnahmen in die bauliche Struktur (Umfeldaufwertung) mit Wirtschaftsförderung und sozialen Maßnahmen kombiniert werden, können wie zum Beispiel in East Manchester synergetische Wirkungen erzielt werden. Dabei scheint der Wandel im Vergabeverfahren der nationalen Förderprogramme Rückwirkungen auf die Praxis des Stadtumbaus gehabt zu haben. So hatte das Konzept des Competitive Bidding (Vergabe-Verfahren auf Wettbewerbsbasis), das inzwischen durch die evidenzbasierte Vergabe von Mitteln weitgehend abgelöst worden ist, zu einer effektiveren Vorbereitung von Stadtumbau-Maßnahmen geführt. Offene Fragen Die eingehende Beschäftigung mit den englischen Fallbeispielen wirft einige grundsätzliche Fragen zur Übertragbarkeit der Erfahrungen auf die deutschen Verhältnisse auf, die sich allein aus den Fallstudien nicht abschließend beantworten lassen und weiterer Untersuchungen bedürfen: Die Einbeziehung zusätzlicher privater und öffentlicher Akteure in die Stadtentwicklung in Form von Partnerschaften wird häufig als Erfolg und als der spezifische Beitrag der britischen Praxis betrachtet. Inwieweit ist die überragende Bedeutung der Partnerschaften im Stadtumbau gebunden an die besondere britische Konstellation eines starken Zentralstaats und einer im Vergleich zu Deutschland nicht verankerten kommunalen Planungshoheit? Inwiefern fördern lokale Kooperationsstrukturen Innovation bei der Erarbeitung und Umsetzung von Entwicklungsalternativen und inwieweit kann das dabei entstehende kreative Potenzial für die Praxis nutzbar gemacht werden? Inwieweit lassen sich die offensichtlichen Stärken des Partnerschafts-Konzepts in den deutschen Kontext übertragen? 53 Die öffentlichen Förderprogramme zum Stadtumbau sind in Großbritannien umfänglicher als in Deutschland. Welche Kriterien sind in England für die Dimensionierung der Förderprogramme und der jeweiligen projektbezogenen Mittelzuteilung maßgebend? Eine genauere Untersuchung der Fördervolumen, ihrer spezifischen Verwendung sowie der Begründung für ihre Bemessung wäre für die grundsätzliche Debatte zum politischen Gewicht des Stadtumbaus in Deutschland aufschlussreich. Das neueste Programm der britischen Regierung Housing Renewal Pathfinder ist aufgrund seiner Orientierung auf den Wohnungsmarkt am ehesten mit den Stadtumbau-Programmen in Deutschland vergleichbar. Ein Vergleich von Zielsetzung, Finanzierung und strategischer Umsetzung sowie Praxis von Abriss, Aufwertung und Bewohnerbeteiligung wäre für beide Seiten Gewinn bringend. In Großbritannien liegen langjährige Erfahrungen mit unterschiedlichen Modi der Fördermittelvergabe vor, die zwischen Wettbewerbsprinzip und Bedürftigkeitsprinzip schwanken. Wie lassen sich diese Erfahrungen für die notwendige Vereinfachung der Fördermittelvergabe in Deutschland nutzbar machen? In den vergangenen Jahren hat sich in Großbritannien eine Kultur der Evaluation staatlicher Förderprogramme herausgebildet. Schon bei der Ausgestaltung eines neuen Programms wird auch schon dessen Evaluation mitangelegt. Was lässt sich aus der britischen Evaluationspraxis für die entsprechenden Bemühungen in Deutschland lernen? Literatur- und Quellenangaben Davies, Jonathan: Conjuncture or Disjuncture? An Institutionalist Analysis of Local Regeneration Partnerships in the UK. In: International Journal of Urban and Regional Research, 28.3, September 2004, S. 570 585 54 Stadtumbau in europäischen Städten mit Strukturkrisen Werkstatt: Praxis Heft 37 Dänemark: Nationaler Kontext und Fallstudie Nationaler Kontext Demographie Büro Dau-Schmidt/ Tornow, Kiel Wulf Dau-Schmidt Britta Tornow Im Unterschied zur demographischen Entwicklung in Deutschland wuchs Dänemarks Bevölkerung von 1990 bis 2002 um 4,5 % an. Die Geburtenrate gehört mit 1,7 zu den höchsten Europas. Angesichts einer rigiden Einwanderungspolitik und eines leichten Sterbeüberschusses ist zukünftig nur noch mit einem geringen Wachstum der Gesamtbevölkerung zu rechnen. Eine Abnahme der Gesamtbevölkerung wird jedoch bis zum Jahr 2025 nicht prognostiziert. Wirtschafts- und Sozialgeographie (1) Vgl. Miljøministeriet 2003 und Erhvervs- og Boligstyrelsen 2004 Dänemarks Wirtschaftsstruktur ist traditionell geprägt von kleineren bis mittleren Unternehmen, wenigen Großkonzernen und einer ausgeprägten Nischenproduktion. Wie in allen anderen europäischen Ländern befindet sich die dänische Wirtschaft angesichts von Globalisierung, EU-Erweiterung und der rasanten Bedeutungszunahme der neuen Informationstechnologien in einem Umstrukturierungsprozess. Die Wirtschaft hat bereits einen großen Teil der Produk- Entwicklung der Arbeitsplätze in Dänemark 1996 2002 in % Quelle: Miljøministeriet 2003 tion ins Ausland verlagert und sich zu den Bereichen Entwicklung, Vermarktung und Know-how umorientiert. Die wirtschaftlichen Eckdaten Dänemarks gehören zurzeit zu den positivsten in Europa. Mit 6 % gehört die Arbeitslosenrate zu den niedrigsten in der EU, die Beschäftigung ist mit 78 % hoch und die Anzahl der Arbeitsplätze hat von 1996 bis 2002 um 5,2 % zugenommen. Dänemarks wirtschaftlicher Erfolg wird einer geglückten Kombination aus einem flexiblen Arbeitsmarkt, einer rigiden Beschäftigungspolitik und einem guten sozialen Sicherungssystem zugeschrieben. Die räumlichen Disparitäten nehmen auch in Dänemark in den letzten Jahren zu. Diese Entwicklung löst eine lange Phase der Dezentralisierung ab, in der die ländlichen Regionen einen kontinuierlichen Zuwachs an Arbeitsplätzen und Einwohnern aufwiesen und die staatliche Politik durch den Ausbau des Sozial- und Gesundheitswesen die Gleichheit der Lebensbedingungen in allen Landesteilen förderte. Seit Anfang der 1990er Jahre hat sich diese Entwicklung umgekehrt: Es ist seitdem eine Wanderungsbewegung von den kleineren in die größeren Städte zu verzeichnen und von den peripheren Regionen in die Wachstumsregionen. Die Großstädte sind die klaren Gewinner der regionalen Entwicklung der letzten Jahre.1 Zwei deutliche Wachstumsregionen haben sich dabei herausgebildet: Kopenhagen mit der Öresundregion und Ostjütland mit dem Trekantsområde (Fredericia, Kolding, Vejle). Die Metropolbildung im Großraum Kopenhagen wurde durch öffentliche Investitionen wie der Öresundbrücke, dem Bau der Metro und zahlreichen kulturellen und infrastrukturellen Großprojekten stark gefördert. Dagegen haben die peripheren Regionen mit Einwohnerverlusten, Rückgang des durchschnittlichen Einkommens der Einwohner und ökonomischen Schwierigkeiten der Kommunen zu kämpfen. Dazu gehören vor allem Lolland/Falster, Südwestjütland und Nordjütland sowie die Insel Bornholm. Besondere Schwierigkeiten haben die Landkommunen, die außerhalb der Einzugsbereiche der Großstädte liegen. Dänemark Nationaler Kontext Das Pendeln zwischen Wohnort und Arbeitsstätte wird von der Bevölkerung zunehmend in Kauf genommen, so dass Arbeitsmarktregionen immer größer gefasst werden. Positiv wirkt sich dies auf die Städte aus, die am Rande der Wachstumsregionen bis zu 100 km vom Zentrum entfernt liegen. Diese können meist mit ihren hohen Wohnqualitäten, ihren gut erhaltenen Altstadtkernen, ihrer landschaftlich schönen Umgebung sowie den niedrigeren Immobilienpreisen werben und ihre Wohnfunktionen weiter ausbauen. Dies bedeutet, dass viele Städte auf Fünen und Sjælland auch wenn sie ihre wichtige wirtschaftliche Basis wie Werften und Hafenumschlag verloren haben wirtschaftlich positive Entwicklungen aufweisen können. Stadtumbau-Debatte Die Diskussion über stagnierende und wachsende Städte in der dänischen Fachwelt ist insgesamt relativ neu. Der Titel des neuen Landesplanungsberichtes Dänemark in Balance was ist zu tun2 symbolisiert die zunehmende Problematisierung der räumlichen Disparitäten im Land. Um hier gegensteuern zu können leitete die Landesplanung die Erarbeitung regionaler Wachstumsstrategien in die Wege und unterstütze die Initiierung örtlicher Kooperationsprojekte. Mit dem Begriff Stadtumbau ist in Dänemark am ehesten der Begriff byomdannelse (Stadtumbildung) vergleichbar. Byomdannelse wird in Dänemark vor allem im Zusammenhang mit der Umstrukturierung von Stadtquartieren und der Umnutzung von Brachflächen eingesetzt. Dies betrifft oft ältere, nicht mehr funktionsfähige Gewerbegebiete, die in Wohn- oder Büronutzung überführt werden. Einen großen Anteil an diesen Projekten haben die nicht mehr benötigten Hafenflächen, die in fast jeder etwas größeren Hafenstadt das zentrale städtische Entwicklungspotenzial darstellen. Der Begriff Rückbau taucht im dänischen Sprachgebrauch nicht auf dies ist ein Hinweis darauf, dass es in Dänemark lange Zeit kaum leer stehenden Wohnraum gab. Seit kurzem erst ist der Wohnungsleerstand ein Thema der Wohnungswirtschaft in Jütland. Noch sind die Einwohnerverluste der wirtschaftlich schwachen Städte so gering, dass sie bisher keine gravierenden Auswirkungen auf den Fortbestand der Infrastruktur 55 oder den Wohnungsleerstand hatten. Ein deutliches Beispiel für eine schrumpfende Stadt ist jedoch die Kommune Nakskov, die seit mehreren Jahren mit den negativen Folgen der Schrumpfung zu kämpfen und diesbezüglich Gegenstrategien entwickelt hat. Planungssystem Dänemark hat ein dreistufiges Planungssystem mit einer dezentralisierten Entscheidungsstruktur, das im Planungsgesetz (planlov) seine rechtliche Grundlage hat. Die Landesplanungsbehörde ist beim Umweltministerium angesiedelt; ihr Landesplanungsbericht beschreibt in jeder Wahlperiode die übergeordneten Ziele und Strategien für eine ausgewogene Entwicklung in allen Landesteilen. Die Regionalplanung liegt mit der Erstellung der Regionalpläne im Verantwortungsbereich der zwölf Amtskommunen. Mit der Zuständigkeit für den ländlichen Raum liegen die inhaltlichen Schwerpunkte im Natur- und Umweltschutz und der übergeordneten Infrastruktur. Die Kommunen haben die Planungshoheit für die kommunale Planung. Sie erstellen den kommuneplan, der die Stadtentwicklungs- und Flächennutzungsplanung sowie die sektoralen Planungen umfasst und alle vier Jahre überarbeitet wird. Die Grundlage des kommuneplan bildet die strategische Planung, die vor einigen Jahren ergänzend eingeführt wurde und die Visionen, Strategien und Handlungskonzepte für die kommunale Entwicklung miteinander verknüpft. Die verbindliche Bauleitplanung wird wie in Deutschland durch Bebauungspläne (lokalplaner) geregelt, die Art und Maß der baulichen Nutzung festsetzen sowie Gestaltungsvorschriften erlassen. Bemerkenswert ist in Dänemark die kontinuierliche Einbeziehung der Bürger in die Planung. Regionalplanung, strategische Planung und kommuneplan sind eingebettet in verschiedene Phasen der Bürgerbeteiligung und Öffentlichkeitsarbeit. Derzeit befindet sich eine umfassende Kommunalreform in der politischen Abstimmung. Sie sieht die Einteilung des Landes in fünf Regionen, die Abschaffung der Amtskommunen und die Zusammenlegung der Kommunen vor und bringt für die Kommunen eine Kompetenzerweiterung mit sich. (2) landsplanredegørelse 2003. Et Danmark i balance hvad skal vi gøre. Quelle: Miljøministeriet 2003 56 Stadtumbau in europäischen Städten mit Strukturkrisen Städtebauförderung Mit der Auflösung des Wohnungsbauministeriums durch die neue Regierung im Jahr 2002 wurde die Städtebauförderung dem Wirtschaftsministerium und dem Einwanderungsministerium zugeordnet. In 2004 folgten ein neues Städtebaurecht und eine Neustrukturierung der Förderung. Das neue Stadterneuerungsgesetz (lov om byfornyelse) umfasst die Förderprogramme für die Gebäudesanierung und die Quartierserneuerung. Mit der Neuordnung der Städtebauförderung werden die Initiative und die Finanzierungslast von Modernisierungsmaßnahmen mehr auf die privaten Eigentümer bzw. Mieter verlagert und der Umfang kommunaler Sanierungspläne mit Bindung für die Eigentümer eingeschränkt. Eine Besonderheit und eine lange dänische Tradition sind die themenbezogenen Fördertöpfe (puljer) verschiedener Ministerien, die bisher vor allem bei Kooperationsprojekten lokaler Akteure in sozial belasteten Quartieren eingesetzt wurden und sich in Zukunft vor allem auf Integra- Werkstatt: Praxis Heft 37 tions- und Beschäftigungsprojekte konzentrieren sollen. Ebenfalls in benachteiligten Stadtteilen kommt das kvarterløftprogram zur Anwendung, das mit seinem integrierten Handlungsansatz dem Förderprogramm der Sozialen Stadt in Deutschland ähnlich ist. Das kvarterløftprogram ist gekennzeichnet durch seine vielfältigen Methoden der Akteurs- und Bürgerbeteiligung, eine Verknüpfung verschiedenster Fördermittel und das Prinzip der Partnerschaften (partnerskab), das aus England übernommen wurde. Für den Einsatz von Stadterneuerungsmitteln in schrumpfenden Städten ist von Bedeutung, dass die Förderprogramme sich sehr unterschiedlich auf die Städte verteilen. Während das Förderprogramm der Stadterneuerung auch in den kleineren Provinzstädten eingesetzt wird, zum Beispiel auch in den älteren Gewerbe- und Hafengebieten, konzentrieren sich puljer und kvarterløftprogram auf die größeren Städte und deren Stadtteile mit sozialen Problemlagen. Literatur- und Quellenangaben Erhvervs- og Boligstyrelsen: Kortlægning og analyse af byernes udfordringer synteserapport. Kopenhagen 2004 Miljøministeriet: Landsplanredegørelse 2003 (Landesplanungsbericht). Et Danmark i balance hvad skal vi gøre. Kopenhagen 2003 Dänemark Fallstudie Herning 57 Herning Ausgangslage und Rahmenbedingungen Die Stadt Herning liegt in der Region MitteWestjütland außerhalb von Dänemarks Wachstumsregionen, dem Großraum Kopenhagen und dem Städteband Ostjütlands. Die wirtschaftliche Grundlage in der unfruchtbaren Heidelandschaft war in erster Linie die Schafhaltung, aus der als Nebenerwerb der Bevölkerung die Produktion von Wolle und Strickwaren hervorging. Im Zuge der Industrialisierung entwickelte sich die Region zu einem der bedeutendsten Zentren der Textilindustrie Skandinaviens. nuierlich gewachsen, und in jüngster Zeit hat aufgrund der neuen Ausbildungsgänge auch der Anteil der jungen Leute zugenommen. Herning hat sich von einer Textilstadt zu einem international anerkannten Ausbildungs- und Kompetenzzentrum für Modedesign, Logistik und Vermarktung entwickelt. Mit dem größten Messezentrum und dem bedeutendsten Ausbildungszentrum in der Textilbranche hat Herning seine internationalen Beziehungen ausgeweitet. Nach einer Blütezeit in den 1950er und 60er Jahren wurde die dänische Textilbranche Mitte der 1980er Jahre von der europaweiten Strukturkrise in der Textilindustrie erfasst, die mit einer Verlagerung der Produktion in die Billiglohnländer und einem massiven Rückgang der Beschäftigten in den dänischen Textilstandorten verbunden war. Herning als Textilstadt war besonders von der Umstrukturierung betroffen und verlor mehr als 6 000 Arbeitsplätze, wovon vor allem Frauen ohne berufliche Ausbildung betroffen waren. Städtebaulich betrachtet drückt sich die Textilproduktion in Herning nur in wenigen großen Industriekomplexen aus, die frühzeitig zu einem Textilmuseum und einem Kunstmuseum umgenutzt wurden. Stattdessen war die Produktion von kleineren Hinterhof-Werkstätten geprägt, die später umgenutzt oder abgerissen wurden und heute im Stadtbild nicht mehr auffallen. Eine Reihe von älteren ehemaligen Textilindustriegebäuden, die in Wohngebieten oder gemischt genutzten Quartieren liegen und bis heute erhalten sind, wurden umgenutzt und zu Eigentums- oder Jugendwohnungen umgebaut. Aufgrund ihrer Lage und Gebäudestruktur eignen sie sich am besten für junge Leute und Bauherren mit dem Wunsch nach unkonventionellen Wohnungen. Trotz zahlreicher Betriebsschließungen und einem Verlust von mehr als 80 % aller Arbeitsplätze wird die Umstrukturierung der Textilindustrie in Dänemark heute als Erfolg betrachtet. Auch in Herning konnte der Arbeitsplatzverlust weit gehend kompensiert werden. Andere zu dieser Zeit expandierende Branchen wie die Möbelindustrie, die Herstellung von Windkraftanlagen und die Metallindustrie sowie das öffentliche Sozial- und Gesundheitswesen nahmen einen großen Teil der entlassenen Arbeitskräfte auf. Viele ältere Näherinnen gingen in Rente, die Jüngeren nahmen die Entlassung zum Anlass, eine Ausbildung zu beginnen. Dass der Abbau der Arbeitsplätze sich über einen längeren Zeitraum hinzog, begünstigte diese Entwicklung. Die wirtschaftlichen und sozialen Folgen für die Stadt Herning blieben damit gering und drückten sich nicht in einer steigenden Arbeitslosenquote aus.1 Heute stellt sich Herning als eine Stadt mit einer differenzierten Wirtschaftsstruktur, einer unterdurchschnittlichen Arbeitslosenquote, einer gut ausgebauten Infrastruktur, einem differenzierten Wohnungsangebot und einem vielfältigen Sport- und Kulturleben dar. Die Bevölkerung ist konti- Innerhalb der Region ist Herning in vielfältige Kooperationen eingebunden. Mit der Nachbarstadt Ikast verbindet sie eine gemeinsame Wirtschaftspolitik, die in einem Herning, Beschäftigte nach Branche Quelle: Herning Kommune Büro Dau-Schmidt/ Tornow, Kiel Wulf Dau-Schmidt Britta Tornow (1) Eine Untersuchung der Handelshochschule Aarhus analysiert die Auswirkungen von Outsourcing auf die Beschäftigung am Beispiel der dänischen Textilindustrie, vgl. Westergaard-Nielsen, 2003 58 Stadtumbau in europäischen Städten mit Strukturkrisen Werkstatt: Praxis Heft 37 gemeinsamen Gewerbepark ihren konkreten Ausdruck gefunden hat. Vor einigen Jahren hat Herning die kommunale Wirtschaftsförderung ausgelagert und zusammen mit zwei weiteren Kommunen aus der Region eine Wirtschaftsförderungsgesellschaft (erhvervsrådet) aufgebaut, die weit über die konventionelle Unternehmensberatung hinausgeht. Herning gehört zu den vier Städten, die in den 2002 etablierten Kommunalverbund Landsdelscenter MidtVest eingebunden sind. Der Verbund hat die Zielsetzung, die Attraktivität der Region als Wohn- und Wirtschaftsstandort und ihre Konkurrenzfähigkeit gegenüber den Großstädten des Landes zu fördern. Die verschiedenen Phasen in der Stadtentwicklung Hernings spiegeln den Paradigmenwechsel der städtebaulichen Leitbilder wider, die das Bild vieler dänischer Provinzstädte heute prägen. Städtebauliche Entwicklung vollzog sich in Herning lange Zeit als Stadterweiterung: Neue Einkaufszentren, Wohn- und Gewerbegebiete wurden am Stadtrand lokalisiert und das Zentrum auf Einkaufs- und Servicefunktionen reduziert. Die wirtschaftliche Dynamik der Stadt scheint sich auf die Stadtentwicklung Hernings übertragen zu haben: das Klima für neue visionäre Großprojekte war in Herning immer günstig, der Blick für die Qualitäten der historischen Strukturen dafür aber lange verstellt. Strategieansatz, Ziele und konkrete Vorhaben Erst in den 1990er Jahren erfolgte eine Umorientierung, indem die innerstädtische Lebensqualität als wichtiger Faktor für die Attraktivität der Stadt als Wohnort und für den Zuzug qualifizierter Arbeitkräfte gesehen wurde. Seitdem hat die kommunale Planung das Gewicht mehr auf die Innenstadt verlagert. Das Leitbild von Herning ist das einer modernen, kreativen und dynamischen Stadt. Dieses Leitbild hat seine Wurzeln in der historischen Entwicklung einer Stadt, die unter ungünstigen geographischen Bedingungen ein kontinuierliches Bevölkerungs- und Wirtschaftswachstum aufweisen kann. Mut zu Visionen, Offenheit, Kooperationswillen und das Vertrauen auf die eigenen Kräfte kennzeichnen das Image, das Herning in Dänemark hat. Ein wichtiger Baustein der kommunalen Stadtentwicklungsstrategie ist es, dieses Image in der kommunalen Verwaltung und bei den Bürgern der Stadt zu verankern. Die Stadtentwicklungsstrategie wird im kommuneplan und in den strategier for kommuneplanen formuliert. Ein wichtiger Baustein sind die Visionen für die zukünftige Stadt, die die Bedeutung bestimmter Zielgruppen für Herning widerspiegeln: die Stadt der Wirtschaft, die Stadt der Jugend, die Stadt der Individualisten, die multikulturelle Stadt. Die zentralen Ziele der Stadtentwicklung sind eine hohe Wohn- und Lebensqualität und eine differenzierte zukunftsorientierte Wirtschaftsstruktur, um gut ausgebildete Arbeitskräfte in Herning zu halten und neu zu gewinnen. Die vorrangigen Handlungsfelder sieht die Stadt in der Aufwertung und Neugestaltung der Innenstadt, in der Planung neuer attraktiver Wohngebiete, in der Etablierung neuer wirtschaftsorientierter Ausbildungsstätten, in der Kultur- und Sportförderung und einer starken Wirtschaftsförderung. Die Strategie für die Aufwertung der Innenstadt ist die gezielte Umgestaltung des öffentlichen Raumes mit kommunalen Mitteln in der Erwartung, dass die privaten Akteure mit Investitionen nachziehen. Ein wichtiger Baustein in diesem Konzept ist das neue Gestaltungskonzept (Bymidteplan 2004) für den gesamten Innenstadtbereich, das durch eine intensive Bürgerbeteiligung breit in der Bevölkerung und unter den Gewerbetreibenden verankert werden soll. Der erste Schritt in der Revitalisierung des Stadtkernes war die Umgestaltung des Marktplatzes 1996, die Signal- und Außenwirkung hatte. Quelle: Büro Dau-Schmidt/Tornow, Kiel Neugestaltung des Marktplatzes Dänemark Fallstudie Herning In der Umstrukturierung nicht mehr funktionsfähiger Gewerbegebiete sieht die Kommune eine Chance, neue attraktive, innenstadtnahe Wohnstandorte zu schaffen. Bisher wurden zwei Umnutzungsprojekte initiiert, das Projekt Thrigesvej-Quartier ein älteres, in unmittelbarer Nähe des Zentrums gelegenes Gewerbegebiet, das durch Verlagerung konfliktträchtiger Gewerbebetriebe zu einem attraktiven Wohnquartier entwickelt werden soll ist bereits weitgehend realisiert. Das herausragende Stadtentwicklungsprojekt Hernings ist Birk Centerpark, eine Kombination aus Campus, Gewerbepark, Forschungsmilieu und Kunstausstellung. Die Keimzelle von Birk Centerpark war die Angli-Hemdenfabrik aus den 1960er Jahren, in der ein Textilunternehmer die Vision einer engen Symbiose zwischen Kunst und Wirtschaft realisierte, die bis heute die tragende Idee von Birk Centerpark darstellt. In diesem Stadtentwicklungsprojekt manifestiert sich die Umstrukturierung der Textilindustrie räumlich und visuell, als eine Art Ausstellungsfenster moderner Textilindustrie. Ausbildungsstätten, Forschung und Technologieentwicklung, Branchenorganisationen, Gründerzentrum, Wirtschaftsberatung und Studentenwohnungen existieren in enger Nachbarschaft zueinander und sind durch zahlreiche Projekt- und Arbeitspartnerschaften miteinander verwoben. Das architektonische und das städtebauliche Konzept verstärken die Verknüpfung und Integration der verschiedenen Bausteine. Gebäude und Landschaft in Birk sind in einem strengen geometrischen Schema geplant und einer einheitlichen Architektursprache gehalten: In 40 Jahren Planungsgeschichte haben Dänemarks bekannteste Landschaftsplaner und Architekten ein künstlerisches Gesamtwerk geschaffen. Das neue Stadtentwicklungsprojekt Fuglsang sø ist ein wichtiger Baustein in der Attraktivitätssteigerung Hernings als Wohnstandort. 700 bis 800 Wohnungen sollen in einem neuen Landschaftspark entstehen, der mit einem künstlichen See, Dünen und Promenaden Wohnen am Wasser ermöglicht und Hernings Einwohnern ein attraktives neues Erholungsgebiet bietet. Der Bau der neuen Autobahn nach Herning ermöglichte dieses visionäre Projekt, indem der Erdaushub für die Anlage der neuen Seelandschaft genutzt wurde. 59 Quelle: Büro Dau-Schmidt/Tornow, Kiel Die ehemalige Angli Hemdenfabrik ist heute Kunstmuseum Quelle: Büro Dau-Schmidt/Tornow, Kiel Arbeitsplätze der TEKO-Studenten in der Einrichtung der Angli Hemdenfabrik aus den 1960er Jahren Quelle: Büro Dau-Schmidt/Tornow, Kiel ... und Arbeitsplätze der TEKO-Studenten in der modernen Architektur von Architekt C.F. Møller Stadtumbau-Prozess In den Planungsverfahren liegt die zentrale Rolle bei der Kommune. Das Stadtplanungsamt ist für die Erstellung der Masterund Bebauungspläne verantwortlich. Die Kommune führt die Erschließungsmaßnahmen durch und verkauft die Grundstücke. In vielen Planungsprojekten bedient sie sich externer Fachleute, mit denen eine enge Zusammenarbeit gepflegt wird. Wie in vielen anderen Städten werden die Stadterneuerungsgebiete von halböffentlichen Sanierungsträgern betreut. 60 Stadtumbau in europäischen Städten mit Strukturkrisen Das Paradebeispiel für Kooperation zwischen Ausbildungsstätten, Wirtschaft und Kommune, Birk Centerpark, drückt sich auch in einem kooperativen Planungsprozess aus. Der Lenkungs- und Arbeitsgruppe für den Campus gehören Mitarbeiter der Bauverwaltung, Vertreter der Kommunalpolitik, der Ausbildungseinrichtungen, der Branchenorganisation Textil- und Bekleidung, der Studenten, der Wohnungsbaugesellschaften und die an das Projekt angeschlossenen Künstler an. Ihre Aufgabe ist die Abstimmung aller Bauvorhaben und Grundstückskäufe mit dem Ziel der Konsensbildung. Das Ergebnis ist eine hohe Identifikation aller Akteure mit dem städtebaulichen und funktionalen Konzept dieses Projektes. Einen großen Anteil an der Entwicklung von Birk Centerpark haben jedoch weniger die formalisierten Kooperationsformen als die informellen Kontakte unter den Akteuren der Wirtschaft und Ausbildung vor Ort, die auf dem positiven Klima der Kommunikation beruhen. Öffentlichkeitsarbeit und Bürgerbeteiligung Hernings Identität ist ausgesprochen eng mit dem Engagement der Bürger verknüpft; entsprechend spielen Bürgerbeteiligung und Öffentlichkeitsarbeit eine starke Rolle in der kommunalen Planung. Bürgerbeteiligung findet in Herning auf den Ebenen der Stadtentwicklungsplanung und der Quartiersplanung statt. Die rechtlichen Vorgaben für die Bürgerbeteiligung (Auslagefristen und Eingaben der Bürger) unterscheiden sich nicht wesentlich vom deutschen Planungsrecht, der kommuneplan wird allerdings sehr intensiv in der Öffentlichkeit vorgestellt und diskutiert. Bemerkenswert ist die frühzeitige Einbeziehung der Bürger in die Zielfindung der Kommune: Bereits in der Erarbeitungsphase gibt es Bürgerdiskussionen und die im kommuneplan formulierten Visionen für die zukünftige Stadt wurden von externen Akteuren im Rahmen eines Workshops formuliert. Andere Planwerke wie der Gestaltungsplan für die Innenstadt sind explizit für die öffentliche Debatte und die Verhandlungen mit den Investoren produziert worden. Neue Kooperationsformen erprobt die Kommune in den älteren innerstädtisch gelegenen Gewerbegebieten, die sich in Werkstatt: Praxis Heft 37 einem Umstrukturierungsprozess befinden und schrittweise zu Wohngebieten umgenutzt werden sollen. Im Thrigesvej-Quartier wurde ein vom staatlichen Institut für Stadtplanung initiiertes Pilotprojekt umgesetzt, um Partnerschaftsmodelle zwischen privaten und öffentlichen Akteuren zu entwickeln. Die Organisationsform eines Ideenforums, in dem frühzeitig Mieter, Eigentümer, Betriebe und Investoren gemeinsam die Planungsvorgaben erarbeiten, wird aufgrund der guten Erfahrungen auch in zukünftigen Umstrukturierungsgebieten eingesetzt. Auch Projekte in sozial belasteten Stadtteilen, die einen integrierten Handlungsansatz verfolgen, arbeiten mit kooperativen quartiersbezogenen Organisationsformen unter Einbeziehung der lokalen Akteure. Finanzierung Öffentliche Fördermittel spielen bei der Stadtentwicklung Hernings nur eine untergeordnete Rolle. Sie beschränken sich auf den Einsatz der staatlichen Förderprogramme innerhalb der Stadterneuerung, die in die Sanierung von Wohngebäuden, Wohnumfeldverbesserungen und soziale Projekte fließen. Ihrem Image einer innovativen Stadt entsprechend beteiligt sich Herning jedoch an zahlreichen Modellprojekten. Die Spezialität von Herning ist Sponsoring. Es ist eine langjährige Tradition, dass Hernings Unternehmen in das Kulturleben und die Sporteinrichtungen investieren. Die Finanzierung der Kunst in Herning durch die lokalen Unternehmen allen voran die Textilindustrie ist schon legendär. Die zahlreichen Projekte der Kunst im öffentlichen Raum bilden einen wichtigen Zugang der Wirtschaft zum Städtebau. Public-Private-Partnership-Projekte für zeitlich begrenzte Stadtumbau- oder Städtebauprojekte gibt es in Herning nicht. Das Stadtentwicklungsprojekt Birk Centerpark enthält jedoch viele Elemente öffentlichprivater Finanzierungen in den Ausbildungsstätten, in der Wirtschaftsförderung, bei der Etablierung von Kunst im öffentlichen Raum sowie beim Bau der Studentenwohnungen, die u. a. von der Branchenorgansation Textil und Bekleidung finanziert wurden. Die starke Vernetzung Hernings mit den Nachbarstädten drückt sich auch in Dänemark Fallstudie Herning zahlreichen Beispielen interkommunaler Finanzierung aus. Gemeinsame Finanzierungsprojekte wie der Gewerbepark, das Gründerzentrum und das geplante Forschungszentrum für die Textilindustrie sind die Konsequenz einer gemeinsamen Wirtschaftsförderung, aber auch Projekte wie Socle du monde, ein gemeinsamer Kunstworkshop von Künstlern und Unternehmern in Birk Centerpark, wurden von der Nachbarkommune Ikast mit finanziert. Städtebauliche Instrumente Wie alle anderen dänischen Kommunen arbeitet Herning mit der im dänischen Planungsrecht vorgegebenen dreistufigen Systematik: Strategische Planung, Stadtentwicklungs- und Flächennutzungsplan (kommuneplan) und Bebauungspläne (lokalplaner). Die kommunale Planung wird kontinuierlich fortgeschrieben: Alle vier Jahre wird der kommuneplan fortgeschrieben und jedes Jahr wird der Öffentlichkeit ein aktuelles Handlungsprogramm für die Stadtentwicklung und die sektoralen Planungen vorgelegt. In allen größeren Stadtentwicklungsprojekten erstellt die Kommune Masterpläne, die die funktionale und räumliche Struktur des Projektgebietes beschreiben und sich als geeignete Instrumente für den Dialog mit den Bürgern herausgestellt haben. Der Masterplan für Birk Centerpark erfüllt die Funktion, die städtebauliche Idee und damit das übergeordnete Landschaftskonzept fest zu schreiben, in das sich alle neuen Bauvorhaben einordnen müssen. Damit hat der Masterplan wesentliche Bedeutung für die gelungene städtebauliche Gesamtwirkung von Birk Centerpark. Ein Gestaltungsplan für den Campus ergänzt den Masterplan. Die Bebauungspläne für Birk Centerpark werden aus Anlass neuer Bauvorhaben ausgearbeitet und tragen aufgrund ihrer Gestaltungsvorschriften zu dem harmonischen architektonischen Ausdruck des Gebietes bei. 61 Nach wie vor ist die Textilbranche in der Stadt präsent und zwar gerade mit dem hoch qualifizierten Segment der Ausbildung, Forschung und Logistik. Die Erklärungen für die Bewältigung der Strukturkrise sind auf mehreren Ebenen zu suchen: Bedeutung von Image und Identität Image und Identität wird in den Stadtentwicklungsstrategien der Stadt Herning große Bedeutung zugemessen. Die Identifikation vieler Akteure mit der Stadt ist hoch und ist eine wichtige Voraussetzung für die Umsetzung gemeinsamer Projekte. Dabei ist zu berücksichtigen, dass sich die spezifische Identität Hernings über lange Jahre entwickelt hat und nicht reproduzierbar ist. Die Rolle des Städtebaus Der Städtebau hat in der Vergangenheit keine zentrale Rolle in der Entwicklung Hernings gespielt. Herausragende städtebauliche Projekte tragen aber in Herning genauso wie der Sport und die Kunst zur Imagebildung der Stadt bei. Eine zentrale Bedeutung hat der Städtebau im Birk Centerpark; hier ist das städtebauliche Konzept integrierter Teil der Gesamtkonzeption und ein wesentlicher Faktor für die Ansiedelung hoch qualifizierter Unternehmen und wirtschaftsorientierter Forschungsinstitute. Bedeutung von städtebaulichen Großprojekten Städtebauliche Großprojekte gewinnen an Bedeutung in den kommunalen Strategien innerhalb der Region, auch vor dem Hintergrund, sich als Wirtschafts- und Wohnstandort gegenüber den Großstädten positionieren zu müssen. Birk Centerpark ist ein städtebauliches Großprojekt, das Herning weit über die Grenzen Dänemarks bekannt gemacht hat. Die hochwertige Architektur und das städtebauliche Gesamtkonzept verstärken diese Wirkung. Resümee Herning hat wie viele europäische Textilstädte einen wirtschaftsstrukturellen Wandel erlebt, der mit einem massiven Verlust von Arbeitsplätzen in der Leitbranche verbunden war. Trotzdem hat Herning den Strukturwandel bewältigt, ohne dass es zu einem Rückgang in der Beschäftigung oder bei den Einwohnern gekommen ist. Jugendliche als Zielgruppe der Kommunalpolitik In Herning hat die Kommunalpolitik der Zielgruppe der Jugendlichen und Auszubildenden besondere Priorität eingeräumt. Ausdruck findet dies im Bau von öffentlich geförderten Jugendwohnungen und der Förderung neuer Ausbildungsgänge in Her- 62 Stadtumbau in europäischen Städten mit Strukturkrisen ning. Diese zielgerichtete Politik zeigt seit zwei Jahren eine Wirkung, indem ein verstärkter Zuzug in der Gruppe der 17- bis 28Jährigen verzeichnet wird. Interkommunale Kooperationen Herning ist in vielfältige Kooperationen mit den Nachbarstädten eingebunden. Auffällig ist, dass Initiativen zur Kooperation bisher in der Regel von den Kommunen selbst ohne staatliche Direktiven ergriffen wurden. Besonders bemerkenswert ist die Zusammenlegung der Wirtschaftsförderung mit zwei weiteren Kommunen, eine Konsequenz eines gemeinsamen regionalen Arbeitsmarktes. Die gemeinsame Wirtschaftsförderung erweist sich als eine sinnvolle Strategie gerade für Regionen mit Konzentrationen/Clusterbildungen bestimmter Branchen. Werkstatt: Praxis Heft 37 Vielfältige Kooperationen zwischen Wirtschaft und Kommune Die gute Kooperation zwischen der Kommune und der Wirtschaft in Herning bezieht sich nicht nur auf Wirtschaftsthemen. Unternehmen und kommunale Wirtschaftsförderung stehen gemeinsam hinter hochrangigen Kunstprojekten. Für die gemeinsame Projektentwicklung sind nicht nur die formalisierten Kooperationsformen entscheidend sondern die informellen Kontakte, die sich in dem für Herning typischen Kommunikationsklima über Jahre entwickeln konnten. Ein zentrales Ziel der Kooperationen ist die breite Verankerung der Eigentümerschaft eines Projektes. Mut zu visionären Projekten Das Stadtentwicklungsprojekt Fuglsang Sø (s.o.) zeigt, dass es möglich ist, auch ohne landschaftliche Potenziale attraktive Wohn- und Freizeitangebote zu schaffen und dadurch ganz neue Zielgruppen im Wohnungsbau anzusprechen. Fuglsang Sø ist auch ein Beispiel für die erfolgreiche Kooperation zwischen Staat und Kommune, indem eine staatliche Baumaßnahme die Aufwertung einer kommunalen Fläche mitfinanziert. Literatur- und Quellenangaben: Bjerring Olsen, Karsten; Ibsen, Rikke; Westergaard-Nielsen, Niels: Does Outsourcing create unemployment The Case of the Danish Textile and Clothing Industry. Handelshøjskolen i Aarhus 2003 Landsdelscenter Midt-Vest: Fælles planstrategi for Landsdelscenter Midt-Vest (Entwurf 2004) Herning Kommune: Kommuneplan 2001 2012. Herning 2000 Herning Kommune: Plan- og budgetstrategi 2003. Herning 2003 Herning Kommune: Plan- og budgetredegørelse 2004. Herning 2004 Herning Kommune: Kommuneplan 2005 2006 (Entwurf). Herning 2004 Herning Kommune: Bymidteplan 2004. Herning 2004 Miljøministeriet: Landsplanredegørelse 2003 (Landesplanungsbericht). Et Danmark i balance hvad skal vi gøre. Kopenhagen 2003 Stadt Herning, Amt für Stadtentwicklung und Wirtschaft (Plan og Erhverv) Statistisches Landesamt Dänemark (Danmarks Statestik) Dänemark Fallstudie Herning 63 Abstract Historically, Herning, a town in Mid-Jutland, Denmark, with a total population of 59,000 residents is closely connected to the textile industry. Based on the production of wool and knitted wares the region became one of the most important centres of the textile industry in Scandinavia. In the mid-eighties, the Europewide structural crisis of the textile industry struck the area, with more than 10,000 jobs being moved to cheap labour countries. In spite of a decline of 80 % in employment and a substantial number of shutdowns, the restructuring of the textile industry is regarded as successful from todays standpoint. By moving into the areas of design, logistics, technology development, and the international marketing of textiles, it has been possible to keep qualified jobs in Herning. In the years of economic restructuring, which have been continuing into the present, Herning has seen an increase in employment and population. The loss of jobs has been compensated by other expanding branches and the enlargement of the public sector in Herning and has not led to urban problems such as industrial blight and unoccupied dwellings. Ongoing economic restructuring and the towns geographical situation outside of the regions of growth, however, continue to be a challenge for the town when it comes to consolidating its position as an attractive, economically successful place to live. The primary fields of action defined by the town are the improvement of housing standards, the promotion of new marketoriented colleges and courses, qualified promotion of economic development and inter-municipal cooperation. An important element of the strategies for urban development is the constitution of a common identity for politicians, the administration and the citizens. This aim is pursued by broadbased citizen-participation in all municipal planning processes. The concept for urban development concentrates on a number of different areas: Reconstruction of the market place (completed), reconstruction of places in the town centre and a design plan as a means to enhance planned). the town centre (being Several industrial zones near the town centre are being transformed into residential areas. To this end, the town has developed a cooperative process in which residents and representatives of commerce and industry formulate the aims of urban planning together. In order to attract qualified new citizens, the town is building an ambitious new residential suburb. After the construction of a nearby motorway created the possibility to build an artificial lake, there are now attractive lakeshore plots to be obtained as well as recreational facilities for the general public. Birk Centerpark is the central beacon in Hernings vision, realising the marriage of art and industry. In 40 years of development, it has been transformed from a textile factory into a unique combination of vocational training, research, and consulting institutes, enterprises, student campus and cultural venues, with TEKO, the leading training centre of Scandinavias textile industry playing a central part. The planning concept and a homogenous architectural language are in keeping with the various types of usage and the many project cooperations. The municipality has a qualified role in planning and moderating the planning process. The example of Herning shows that a town can take a turn towards positive development even in times when its leading industry is suffering a structural crisis. This can occur if municipal strategies can be implemented in the context of favourable general conditions. These include flexible entrepreneurs with a traditional commitment towards the town, an economic climate open to restructuring, and a national politics that builds on labour market flexibility while striving to provide for social security. Such a climate has succeeded in nurturing ambitious projects developed co-operatively in the fields of urban planning, culture, sports, and the joint promotion of trade and industry. Stadtumbau in europäischen Städten mit Strukturkrisen 64 Werkstatt: Praxis Heft 37 Schweden: Nationaler Kontext und Fallstudie Nationaler Kontext Demographie Büro Dau-Schmidt/ Tornow, Kiel Wulf Dau-Schmidt Britta Tornow Schweden hat knapp 9 Mio. Einwohner. Die Einwohnerzahl wuchs im Zeitraum von 1993 2002 um 2,2 %. Die Geburtenrate liegt bei 1,54 Kindern pro Frau. Aufgrund der Zuwanderung aus dem Ausland hat Schweden dennoch ein jährliches Bevölkerungswachstum von 0,5 % zu verzeichnen. Eine Schrumpfung der Gesamtbevölkerung wird für die nächsten Jahre nicht prognostiziert. Wirtschafts- und Sozialgeographie Schwedens Wirtschaft ist vielfältig mit dem internationalen Markt verflochten. Eine Reihe international bekannter Unternehmen sind jedoch in den letzten 15 Jahren von ausländischen Konzernen übernommen worden: VOLVO, SAAB, Wasa, Bofors, ASTRA, Boliden Erz, Kostaboda Glas, ARLA Meierei, ERICSSON, Kockum. Nach einer Wirtschaftskrise in den 1990er Jahren hat sich Schweden zu einer der erfolgreichsten und stabilsten Wachstumsregionen in der EU entwickelt. Die positive Entwicklung wird auf die Flexibilität der Wirtschaft und des Arbeitsmarktes sowie die Bereitschaft zur erforderlichen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Umstellung bei privaten und öffentlichen Akteuren zurückgeführt. Bevölkerungsentwicklung in Skandinavien Quelle: Nordregio, Nordic Centre for Research and Spatial Development Schweden ist ein Land der monostrukturell geprägten Regionen: Metallverhüttung und -verarbeitung in Mittelschweden, Erzabbau in Lappland, Glasverarbeitung in Småland und Schiffbau an der Westküste. Überall an der Schnittstelle zwischen Wald und Wasser entstand Papier und Holz verarbeitende Industrie. Eine Reihe von Stadtgründungen beruht auf militärstrategischen Entscheidungen. Viele schwedische Städte sind neueren Ursprungs und basieren auf Manufakturen, denen Stadtgründungen und Industrieentwicklungen folgten. Oft hat danach keine nennenswerte Diversifizierung stattgefunden, so dass diese Städte heute mit großen strukturellen Schwierigkeiten zu kämpfen haben. Globalisierung, wirtschaftliche Umstrukturierung und Rüstungsabbau haben in den letzten Jahren in vielen schwedischen Industriestandorten zu einem Einbruch der Leitbranche geführt und in den betroffenen Städten eine Strukturkrise ausgelöst. Es gibt heute in Schweden keine Neubauwerften mehr. Die Nachfrage nach Glasprodukten des gehobenen Bedarfs ist rückläufig. Die schwedische Werkzeugproduktion ist durch Aufkauf und Produktionsverlagerung gefährdet. Automatisierungsprozesse redu- Schweden Nationaler Kontext 65 Wirtschaftsentwicklung in Skandinavien Quelle: Nordregio, Nordic Centre for Research and Spatial Development zieren den Arbeitskräftebedarf im Erzabbau und der Holz- und Papierindustrie. Die Rüstungsproduktion und Truppenstärke wurden kontinuierlich zurückgefahren. Die Landwirtschaft wird auf Grund von EURegelungen in vielen Gegenden aufgegeben, was die Landflucht zusätzlich fördert. Die aufgrund der wirtschaftlichen Entwicklung in Schweden sehr deutlich ausgeprägten räumlichen Disparitäten nahmen in den letzten Jahren zu. Die Bevölkerungsentwicklung der Kommunen von 1993 bis 2003 schwankte zwischen einer Abnahme von 15 % und einer Zunahme von 37 %. 200 von insgesamt 289 Kommunen weisen konstant sinkende Einwohnerzahlen auf. Die betroffenen Kommunen liegen nicht nur in den nördlichen Regionen des Landes, sondern auch in den Gebieten industrieller Umstrukturierung und forstwirtschaftli- 66 Stadtumbau in europäischen Städten mit Strukturkrisen cher Nutzung im südlichen und mittleren Schweden. Das Defizit an Arbeitsplätzen und Infrastruktureinrichtungen führte zu einer zunehmenden Abwanderung der Bevölkerung in die Wachstumsregionen Stockholm, Göteborg und Malmö. Stadtumbau-Debatte Die Zunahme an schrumpfenden Kommunen in allen Landesteilen Schwedens hat zusammen mit dem Strukturwandel in der Wirtschaft eine breite Debatte über die Folgen für die regionale und kommunale Entwicklung ausgelöst. Für die Schweden stellt sich die Frage, ob der Grundsatz, den Bürgern in allen Landesteilen einen gleichwertigen Zugang zu Arbeitsplätzen, Bildung und Service zu bieten, noch aufrecht erhalten werden kann. Diese Debatte hat die schwedische Regierung veranlasst, ein neues Instrument der regionalen Wirtschaftspolitik einzuführen, die regionalen Wachstumspakte und Wachstumsprogramme. Damit wurde die Zuständigkeit für dieses Thema beim Wirtschaftsministerium angesiedelt, mit der Zielsetzung das lokale Wirtschaftswachstum und damit die Beschäftigung zu stärken. Der Begriff Wachstum (tillväxt) wird jedoch nicht ausschließlich wirtschaftlich gesehen, sondern zielt auch auf einen Zuwachs an Kompetenz und Bildung in der Bevölkerung und an Lebensqualität in den Kommunen ab. Der Begriff Stadtumbau wird in diesem Zusammenhang nicht verwendet. Die öffentliche Aufgabe wird in der Umstellung (omställning) gesehen, die sich nicht auf die Umstellung der Wirtschaft beschränkt, sondern alle gesellschaftlichen Bereiche einbezieht. Eine große Anzahl von Behörden, öffentlichen Einrichtungen, Verbänden und Interessenorganisationen der Wirtschaft ist in die Umstellungsarbeit eingebunden. Zum Beispiel definiert der schwedische Kommunalverbund omställning als eines seiner wichtigsten Arbeitsgebiete. Zentrale Themen sind dabei die Bürgerbeteiligung in Regionen und Kommunen und die Bildung von Kooperationen mit privaten Partnern. Auch der Abbau der Streitkräfte und militärischer Standorte in Schweden hat in den letzten Jahren immer wieder öffentliche Diskussionen über die lokalen Folgen in den betroffenen Kommunen ausgelöst. Im Dezember 2004 hat das Verteidigungsministerium das größte Reduktionskonzept seit 60 Jahren durch das Parlament verab- Werkstatt: Praxis Heft 37 schieden lassen, verbunden mit einem Förderprogramm für die Schaffung neuer Arbeitsplätze in den betroffenen Regionen und Kommunen. Das Verteidigungsministerium ist mit Vasallen, der Verwertungsgesellschaft für militärische Liegenschaften, ein wichtiger Partner in den regionalen Wachstumsprogrammen. Planungssystem Schweden hat ein dezentralisiertes Planungssystem. Die Gemeinden besitzen eine vergleichsweise starke Stellung gegenüber den regionalen und staatlichen Behörden und verfügen über die uneingeschränkte Planungshoheit. Die zwei wichtigsten Planungsinstrumente der Kommune sind der Flächennutzungsplan (översiktplan) und der Bebauungsplan (detaljplan). Alle Kommunen sind zur Aufstellung und regelmäßigen Aktualisierung von Flächennutzungsplänen verpflichtet, nutzen diese aber bisher nur ansatzweise als Instrumente der Stadtentwicklung. Die rechtsverbindlichen Bebauungspläne steuern das Baurecht und sind das wichtigste Instrument zur Umsetzung kommunaler Planung. Schweden ist in 21 Provinzen (län) aufgeteilt. Die Provinzialregierungen (länstyrelser) sind für die Regionalentwicklung verantwortlich, die die Infrastruktur- und Wirtschaftsentwicklung, aber zunehmend auch Bereiche wie Umwelt, Kultur und Soziales umfasst. Auch in Schweden ist ein Bedeutungszuwachs des regionalen Engagements zu beobachten. In der Koordinierung interkommunaler Aktivitäten und der regionalen Wachstumspakte kommt den Provinzialregierungen eine wichtige Funktion zu. Sie nehmen teilweise auch Aufgaben staatlicher Fachbehörden wahr, und fungieren so als Schnittstelle zwischen Staat und Kommune. Der physischen Planung wird jedoch auf der regionalen Ebene nur eine untergeordnete Bedeutung zugewiesen. Bisher verfügt nur die Region Stockholm über einen Regionalplan. Die staatliche Ebene zeichnet sich durch eine Kombination relativ kleiner Ministerien und zentraler, politisch unabhängiger Fachbehörden aus, die ihre Arbeit mit großer Transparenz darstellen. Die Landes- und Regionalplanung fällt in den Zuständigkeitsbereich des Wirtschaftsministeriums mit dem Amt für Wirtschaftsentwicklung (NUTEK). NUTEK koordiniert die Wachstumsprogramme und analysiert dazu die Themenfelder Transport, Ausbil- Schweden Nationaler Kontext dung, Wirtschaft, regionale Entwicklung und sektorübergreifende Fragen, wie Umwelt, Integration und Gleichstellung. Sie tritt wie ein beratendes und forschendes Institut auf und delegiert ihre Mitarbeiter in die Kommunen und Regionen. Der lokale und regionale Einfluss auf die nationale Wirtschaftspolitik soll dadurch gestärkt werden. Ein eigenes Wohnungsbauministerium gibt es in Schweden nicht; für Fragen des Wohnungsbaus und der Stadtplanung ist die staatliche Fachbehörde Boverket (Zentralamt für Wohnungswesen, Bauwesen und Raumordnung) zuständig. Städtebauförderung Ein mit dem deutschen vergleichbares Städtebauförderungsrecht gibt es in Schweden nicht. Stadterneuerungsmaßnahmen werden auf der Basis des Planungsrechts in Kombination mit verschiedenen Rechtsvorschriften durchgeführt und öffentlich 67 gefördert. Während früher der Schwerpunkt auf der gebäudebezogenen Erneuerung lag, ist in den letzten Jahren die Quartierserneuerung zu einem wichtigen Handlungsfeld der Stadterneuerung geworden. 1998 initiierte der schwedische Staat ein Förderprogramm für Stadtteile mit sozialen Problemlagen in den drei Metropolregionen Stockholm, Malmö, Göteborg mit der übergeordneten Zielsetzung, gleichwertige Lebensbedingungen herzustellen und lokales Wachstum zu fördern. Eine zentrale Strategie ist die Aktivierung und Beteiligung der Bürger. Da das Programm lediglich in den Großstädten zum Einsatz kam, hat es für die schrumpfenden Städte und Städte in Strukturkrise bisher keine Bedeutung erlangt. Literatur- und Quellenangaben Nordregio, Nordic Centre for Research and Spatial Development, www.nordregio.se (Stand 10/2004) 68 Stadtumbau in europäischen Städten mit Strukturkrisen Werkstatt: Praxis Heft 37 Karlskoga Ausgangslage und Rahmenbedingungen Büro Dau-Schmidt/ Tornow, Kiel Wulf Dau-Schmidt Britta Tornow Karlskoga ist eine Industriestadt mit 30 000 Einwohnern und liegt auf halber Strecke zwischen Stockholm (250 km) und Oslo (300 km) in Örebro Län an der Verwaltungsgrenze zu Värmland Län in der gemeinsamen Region Bergslagen. als 65 Jahre gegenüber 18,3 % in der Region und 17,3 % im Landesdurchschnitt. Das Ausbildungsniveau der Bevölkerung ist unterdurchschnittlich, die Konzentration von Ingenieuren jedoch die größte außerhalb von Stockholm. Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts beschränkte sich die bauliche Entwicklung Karlskogas lediglich auf ein Kirchdorf. 1894 kaufte Alfred Nobel das Unternehmen Bofors und ließ sich in Karlskoga nieder. Mit Nobels Wirken wurde die Entwicklung zur Industriestadt eingeleitet. In den 1950er und 60er Jahren entwickelte sich Bofors zu einem der führenden Weltkonzerne in der Rüstungsproduktion (Qualitätsstahl, Kanonen, Sprengstoffe). Der große Arbeitsplatz Bofors war in seiner Wahrnehmung fast identisch mit der Stadt Karlskoga. Die Gebietsfläche der Kommune umfasst 470 km². Karlskoga hat keinen historischen Stadtkern und das Zentrum ist klein. Die Bebauungsstruktur ist typisch für eine Stadt, die erst im 20. Jahrhundert durch eine stark expandierende Industrieproduktion gewachsen ist. Auffallend ist die deutliche Trennung zwischen durchgrünten Wohngebieten und abgeschotteten Industriegebieten. Die Wirtschaft in Karlskoga basiert auf den Branchen Maschinenbau, Metall verarbeitende und chemische Industrie. Die Industrieproduktion der Region Bergslagen wurde in den 1990er Jahren durch das drastische Zurückfahren der staatlichen Rüstungsausgaben und durch internationale Aufkäufe stark geschwächt. Von 1993 bis 2002 sind 50 000 Industriearbeitsplätze in der Region Bergslagen abgebaut worden. Durch einen politischen Skandal um Waffengeschäfte im Jahr 1983 wurde der Niedergang des Konzerns Bofors eingeleitet. Bofors wurde 1985 aufgelöst und 8 000 Mitarbeiter verloren ihre Arbeit. Karlskoga weist auch heute noch einen relativ hohen Anteil an Industriearbeitsplätzen auf. Die Anzahl der Arbeitsplätze im produzierenden Sektor lag 2002 bei 5 000. Die Bofors-Nachfolgerunternehmen SAAB Bofors Dynamics und Bofors Defence mit US-amerikanischen Eigentümern beschäftigen heute ca. 1 500 Mitarbeiter. Parallel mit dem immensen Arbeitsplatzabbau verlor die Region im Zeitraum von 1993 bis 2002 7,1 % ihrer 480 000 Einwohner. Schweden als Ganzes wuchs gleichzeitig um 2,2 %. Karlskoga hat seit 1985 rund 10 000 Einwohner verloren. Die Ursachen liegen in einem negativen Wanderungssaldo und einem Sterbeüberschuss. Für die Zukunft wird ein Rückgang der Bevölkerung von 0,5 % pro Jahr prognostiziert. Die Kommune weist eine zunehmende Alterung auf: 21,3 % der Bevölkerung sind älter Bofors Hauptgebäude Typischer Wohnungsbau Einfamilienhausgebiet Quelle: Dau-Schmidt/Tornow Quelle: Dau-Schmidt/Tornow Quelle: Dau-Schmidt/Tornow Schweden Fallstudie Karlskoga 69 Universität Campus Karlskoga Der große Bestand an Miet- und Genossenschaftswohnungen aus den Jahren 1940 bis 1970 ist überwiegend außerhalb des Stadtkerns errichtet worden. Der Einfamilienhausbau (38 % des gesamten Wohnungsbestandes) entwickelte sich in Karlskoga erst spät, wurde aber bis in die späten 1980er Jahre die am stärksten nachgefragte Wohnform. Die kommunale Wohnungsbaugesellschaft verfügt über insgesamt 3 000 Mietwohnungen (19 % des gesamten Wohnungsbestandes). Quelle: Vasallen 2004 Strategieansatz, Ziele und konkrete Vorhaben Zielsetzungen, Strategien und Handlungsfelder für den Umstellungsprozess hat die Kommune in ihrer Vision 2010 formuliert. Die Vision 2010 stellt die gemeinsame Basis aller Akteure dar und ist auf eine langfristige Umsetzung angelegt. Das Handlungskonzept der Stadt spiegelt den wirtschaftsorientierten Ansatz der schwedischen Strategie zur Bewältigung der Strukturkrise in schrumpfenden Regionen und Kommunen wider. Die Lebensqualitäten für die Bürger und die Ausbildungs-, Infrastruktur- und Kulturangebote werden jedoch zunehmend als wichtiger Standortfaktor für die wirtschaftliche Entwicklung gesehen. Damit geht die Kommune über die frühere Strategie hinaus, durch Wirtschaftsförderung die Gründung neuer Unternehmen und Schaffung neuer Arbeitsplätze zu forcieren und verfolgt heute einen integrierten Handlungsansatz. In der Vision 2010 sind vier Handlungsfelder benannt aus denen Entwicklungsprojekte für Karlskoga abgeleitet werden sollen: Forschung und Entwicklung, Wirtschaft, Orte der Kommunikation und Lebensqualität. Die Einzelprojekte sollen zu einem Gesamtkonzept verknüpft werden. Einen besonderen Stellenwert haben kommunikative Projekte; die größte Bedeutung wird dem Planungsprozess selbst zugemessen. Als zentrales Projekt wird der Campus Karlskoga definiert (vgl. Abbildung). Der Campus Karlskoga auf dem ehemaligen Boforsgelände wird als Leitprojekt der Umstrukturierung aufgefasst, weil es alle Handlungsfelder der Vision 2010 berührt. Die Zielsetzung des Projektes ist, ein wirtschaftsorientiertes Forschungs- und Entwicklungsmilieu zu etablieren, um die Wettbewerbschancen innovativer Unternehmen in der Region zu erhöhen. Kern- stück des neuen Campus ist die neue Filiale der Universität Örebro, von der eine nachhaltige Entwicklung für Karlskoga erwartet wird. Ein neues Gymnasium, ein gemeinsames Bildungszentrum für die Erwachsenenbildung und Wirtschaft sowie die Wirtschaftsförderung der Kommune ergänzen die Universität. In enger Kooperation zwischen Hochschule und Wirtschaft legt der Campus den Schwerpunkt auf technische Ausbildungsgänge, eine praxisnahe Ausbildung sowie wirtschaftsorientierte Forschung. Die neuen Entwicklungsprojekte auf dem Campus bauen teilweise auf der Kompetenz der Rüstungsindustrie auf. Das Materialamt des Verteidigungsministeriums ist Partner des militär-zivilen Forschungsbereiches. Das staatliche Rettungswesen wird rüstungstechnisches Know-how für den Katastrophenschutz nutzen. Der Campus wird Ausbildungsstätte für 300 Studenten und 870 Schüler werden. Die Realisierung ist für 2006 bis 2007 vorgesehen. Das Projekt Campus Karlskoga löst mehrere städtebauliche Maßnahmen aus, die mit einer Qualitätssteigerung und einer Verbesserung der Stadtstruktur verbunden sind. Eine dieser städtebaulichen Maßnahmen ist der Umbau der Europastraße 18 (StockholmOslo) (vgl. Foto Europastraße 18, S. 70). Sie wirkt als städtebauliche Zäsur und blockiert das Zusammenwachsen der Innenstadt und des Campusbereichs. Das Planungskonzept sieht einen umfassenden Umbau vor und hebt damit die Barriere auf, 70 Stadtumbau in europäischen Städten mit Strukturkrisen Europastraße 18 Quelle: Dau-Schmidt/Tornow Quelle: Dau-Schmidt/Tornow Callcenter als Umnutzung von Mietwohnungen Quelle: Dau-Schmidt/Tornow Erlebniszentrum als Umnutzung von Mietwohnungen die Karlskogas Stadtzentrum jahrelang vom Seeufer abgeschnitten hat. Die Umbaumaßnahmen werden von 2006 bis 2010 umgesetzt. Weitere städtebauliche Maßnahmen, die im Zusammenhang mit dem Campus stehen, sind die Verlagerung des Busbahnhofes an das Campusgelände und der Ausbau des Seeufers zur Uferpromenade. Eine besondere Bedeutung im Umstellungsprozess Karlskogas nehmen Maßnahmen zur Schaffung neuer Wohnqualitäten ein. Zurzeit werden bis auf kleinere Baugebiete in attraktiven Lagen keine neuen Wohngebiete ausgewiesen und die Innenentwicklung hat Vorrang vor der Werkstatt: Praxis Heft 37 Außenentwicklung. Ziel ist die Attraktivitätssteigerung Karlskogas als Wohnstandort, um qualifizierte Arbeitskräfte in der Stadt zu halten bzw. als Neubürger zu gewinnen. Neue Wohnqualitäten sollen durch die Revitalisierung des Stadtzentrums, durch Korrekturen in der Stadtstruktur und die Umstrukturierung des Bestandes erreicht werden. Die heutige Wohnungsnachfrage konzentriert sich auf drei ganz unterschiedliche Segmente: attraktive Einfamilienhäuser und Stadtvillen in Seenähe, preiswerte kleine Wohnungen für Studenten und seniorengerechte Wohnungen. Die stadteigene Wohnungsbaugesellschaft ist dabei, einen Teil ihres Bestandes in Seniorenwohnungen und Studentenappartements umzubauen. Rückläufige Einwohnerzahlen und zunehmender Wohnungsleerstand lösten bereits von 1997 bis 1999 mehrere Umnutzungsprojekte aus, noch bevor der kommunale Stadtumbau-Prozess eingeleitet war. Es wurden Ideen für neue Nutzungen von leer stehenden Wohnungen gesucht und gefunden. So wurde beispielsweise ein Wohnkomplex des kommunalen Unternehmens umgebaut, erweitert und mit 800 Angestellten zum größten Callcenter Nordeuropas (Transcom) umgenutzt. Ein anderes erfolgreiches Umnutzungsprojekt ist BodaBorg: hier wurden drei Wohnblöcke mit 60 kommunalen Mietwohnungen zu einem viel beachteten Tagungs- und Erlebniszentrum umgenutzt, das jährlich 60 000 Besucher zählt. Im Zeitraum von 2001 bis 2003 wurden außerdem als Reaktion auf den weiterhin vorhandenen Wohnungsleerstand 545 Wohneinheiten abgerissen, 140 Wohnungen umgenutzt und 48 Wohnungen entmietet. Das Wachstumsprogramm wird unterstützt durch eine Reihe von Kooperationsprojekten der Wirtschaft, wie etwa dem 2003 etablierten Haus der Wirtschaft, einem Zentrum der Wirtschaftsförderung, oder dem Unternehmensverbund MöckelnFöretagen, in dem 250 Unternehmen sich zu einer Interessengemeinschaft zusammengeschlossen haben. Als gemeinsames Kooperationsprojekt der Kommune und der Rüstungsindustrie ist die Grundstücksgesellschaft Booforsen entstanden. Sie ermöglicht ein Flächenmanagement für Neuansiedlungen und Umstrukturierungen. Schweden Fallstudie Karlskoga Stadtumbau-Prozess In Karlskoga gibt es keinen abgrenzbaren Stadtumbau-Prozess als Teil eines Verfahrens mit eigener Organisationsstruktur. Vielmehr erklärt die Kommune Karlskoga den Weg der Strategieentwicklung zum wichtigsten Ziel des Stadtumbau-Prozesses. Der Verlauf der Strategieentwicklung, wie sie sich heute in Karlskoga darstellt, lässt sich in mehrere Phasen unterteilen: In der ersten Phase nach der Auflösung des Bofors-Konzerns 1989 versuchte die Stadt, den Verlust der Arbeitsplätze durch Anwerbung neuer Unternehmen und die Entwicklung neuer ziviler Produkte zu kompensieren. Das kommunale Engagement konzentrierte sich auf die Wirtschaftsförderung, die Gründung einer Auffanggesellschaft für brach gefallene Industriebereiche und die Beseitigung der Industrieanlagen. In einer zweiten Phase von 1998 bis 2000 erarbeitete die Stadt ihre wirtschaftliche Position innerhalb des interkommunalen Wachstumspaktes der Region Ost Värmland. Diese Phase war stark geprägt von der Kooperation auf der regionalen Ebene. In einer weiteren Phase von 2001 bis 2004 konzentrierte sich die Kommune auf die mit den Entwicklungsprojekten verbundenen städtebaulichen und infrastrukturellen Planungserfordernisse und vergab mehrere Fachgutachten zu den Themen Einzelhandel, ÖPNV, Verkehr und Wohnzufriedenheit. Im gleichen Zeitraum konkretisierte sich das Campusprojekt. Die vierte Phase ab 2004 leitet den Prozess der Verankerung des Zukunftskonzeptes und der geplanten Projekte in der Bevölkerung ein. Die Grundlage bildet ein Gutachten, das Methoden und Inhalte der Vermittlung der Vision 2010 darstellt und sich als Werkzeug an alle Akteure der Stadt richtet. Die Umsetzungsphase der geplanten Projekte ist für den Zeitraum 2005 bis 2010 geplant. Die Organisationsstruktur des Wachstumspaktes spiegelt die zentrale Zielsetzung der staatlichen Wachstumsstrategie wider, die Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Verwaltungsebenen und zwischen öffentlichen und privaten Akteuren zu verbessern. Die Kommune bildete aus Anlass des Wachstumspaktes eine Arbeitsgruppe mit in Karlskoga ansässigen Vertretern aus Wirtschaft, Verwaltung und Politik, Bildung und Kultur. Diese lokale Partnerschaft ar- 71 beitet eng mit der interkommunalen Steuerungsgruppe des regionalen Wachstumspaktes Ost Värmlands zusammen, der regionalen Partnerschaft. Die regionale Partnerschaft wird ergänzt durch einen Arbeitsausschuss und fünf Programmgruppen, die jeweils einem Handlungsfeld zugeordnet sind und in denen auch Vertreter der privaten Wirtschaft und der öffentlichen Organisationen mit arbeiten. Ziele und Maßnahmen basieren auf Vorschlägen der lokalen Partnerschaften, werden aber auf der regionalen Ebene weiter entwickelt. Für jede Maßnahme wird eine Partnerschaft von regionalen und kommunalen Gebietskörperschaften, Wirtschaftsunternehmen und öffentlichen Einrichtungen gebildet, die für die Umsetzung des Projektes verantwortlich ist. Öffentlichkeitsarbeit und Bürgerbeteiligung Die Bürgerbeteiligung begann am Anfang des Prozesses, als Entscheidungsträger und Repräsentanten aller relevanten Bereiche in die Planung einbezogen wurden. Die Ideen für die Vision 2010 sind von Politikern, Vertretern der Wirtschaft, interessierten Bürgern und kommunalen Akteuren erarbeitet worden. Der größte Teil der Bevölkerung war mit den Rüstungsunternehmen sehr eng verflochten, ohne sich nach der Schließung von Bofors richtig von der Firmengeschichte und der damit gekoppelten Identität lösen zu können. In einer Zeit kommunaler Depression war die Bürgerbeteiligung für die Verantwortlichen des Umstrukturierungsprozesses dadurch sehr schwer umzusetzen. Die Bürger erwiesen sich als konservativer als die Politiker und die Verwaltung, wodurch es schwer war, bei der Bürgerbeteiligung eine Aufbruchstimmung herzustellen. Die beiden Umnutzungsprojekte Callcenter Transcom und BodaBorg wurden noch vor dem Beginn des Umstrukturierungsprozesses ohne umfassendes Planungsverfahren und Bürgerbeteiligung realisiert. Mit einer breiten Bürgerbeteiligung wären sie nach Meinung der Akteure angesichts der zu diesem Zeitpunkt herrschenden Skepsis nicht realisiert worden. Heute erweist sich die frühzeitige Realisierung dieser beiden Projekte als vorteilhaft, weil sie als erfolgreiche Beispiele die Bereitschaft zu neuen Projekten fördern. 72 Stadtumbau in europäischen Städten mit Strukturkrisen Im Sommer 2004 stellte die Stadt ihr Konzept für ein breit angelegtes Kommunikationsprojekt Karlskoga auf dem Weg zur Vision 2010 vor. Das Kommunikationsprojekt geht weit über eine reine Imagekampagne hinaus: Es soll zum einen Karlskogas Veränderungsprozess nach außen transportieren und im Land bekannt machen, zum anderen das Zukunftskonzept mit seinem Leitbild, den Zielen und Projekten bei Akteuren und Bewohnern der Stadt verankern. Als wichtigste Zielgruppe werden die Bürger der Stadt angesehen, die als Botschafter in ihren eigenen Kommunikationsnetzen wirken sollen. Finanzierung Die mehrjährigen Planungsprozesse für den Wachstumspakt und für die Vision 2010 bildeten die erste Phase des Stadtumbaus in Karlskoga und wurden mit ca. 550 000 E aus kommunalen Mitteln finanziert. Karlskoga stellte einen Projektleiter und eine Projektsekretärin für das Projekt ein. Die NUTEK als staatliche Behörde stellte der Kommune umsonst eine Mitarbeiterin für den Planungsprozess zur Verfügung. Für den Stadtumbau gibt es in Schweden kein eigenes Förderprogramm. Es finanziert sich aus verschiedenen öffentlichen Haushalten wie Städtebau, Kultur, Bildung, Wirtschaftsförderung und Infrastruktur. Aus den verschiedenen Haushalten werden bestimmte Kontingente herausgezogen, zielgerichtet für Maßnahmen gebündelt und in den Kommunen eingesetzt. Im Jahr 2003 hat Schweden auf diese Weise ca. 1,3 Mrd. E für die Umstrukturierung in Kommunen ausgegeben. Daraus werden auch Einzelmaßnahmen wie der Campus Karlskoga finanziert. Gemeinnützige Wohnungsunternehmen können wohnungsbezogene staatliche Zuschüsse erhalten, um den Wertverlust auszugleichen, der für sie durch Abriss eines Gebäudes entsteht (Wertberichtigung). Das kommunale Wohnungsunternehmen in Karlskoga hat dafür ca. 12,3 Mio. E erhalten. Maßnahmen wie Modernisierungen und Wohnumfeldverbesserungen, die das Wohnungsunternehmen mit dem Ziel der Erhöhung der Wohnqualitäten vorgenommen hat, sind nicht öffentlich gefördert worden. Werkstatt: Praxis Heft 37 Städtebauliche Instrumente Die städtebaulichen Instrumente spielen im Umstellungsprozess nur eine untergeordnete Rolle. Der Flächennutzungsplan wird routinemäßig fortgeschrieben, von der Kommune jedoch nicht als geeignetes Instrument für den Umstellungsprozess angesehen. Angesichts der geringen finanziellen Spielräume für Stadtentwicklungsmaßnahmen und des auch zukünftig anhaltenden Einwohnerrückgangs konzentriert die Stadt ihre Planungsvorhaben auf wenige räumliche Entwicklungsschwerpunkte und weist weder Stadterweiterungs- noch Stadterneuerungsgebiete aus. Die Kommune hat jedoch mehrere Gestaltungskonzepte für die räumlichen Bereiche erstellt, die im Rahmen der Umstellung städtebaulich aufgewertet werden sollen. Die Gestaltungskonzepte erfüllen eine wichtige Funktion im Diskussionsprozess mit den Politikern, den Bürgern und dem Einzelhandel. Resümee Schweden gehört zu den europäischen Ländern, in denen aufgrund von Wanderungsbewegungen die räumlichen Disparitäten stark zunehmen, obwohl das Land insgesamt eine wirtschaftlich positive Entwicklung und eine wachsende Gesamtbevölkerung aufweist. Der Bevölkerungsrückgang stellt viele schwedische Kommunen vor eine große Herausforderung und führt zu ähnlichen Problemstellungen wie in Deutschland. Als fruchtbar für die Stadtumbau-Debatte in westdeutschen Städten könnten sich folgende Erfahrungen aus dem Beispiel Karlskoga erweisen: Wachstumsprogramm an Stelle von Stadtumbau-Programm Schwedens Reaktion auf den Wirtschaftswandel und die Schrumpfung von gut 200 Kommunen im Land ist im Kern keine stadtentwicklungs- sondern eine wirtschaftsorientierte Strategie. Sie besteht in einem neuen Instrument regionaler Wirtschaftspolitik, das darauf abzielt, lokales Wirtschaftswachstum und damit die Beschäftigung zu fördern. Die Ansiedlung dieser Thematik im Wirtschaftsministerium birgt die Gefahr in sich, dass die Folgen der Schrumpfung für die Stadtentwicklung und Wohnungswirtschaft in den staatlichen Programmen nicht ausreichend berücksichtigt werden und damit die Handlungsspielräume der Kommunen in diesen Bereichen beschränkt sind. Schweden Fallstudie Karlskoga 73 Verankerung in allen gesellschaftlichen Bereichen Kooperation zwischen Wirtschaft und Kommune Schon jetzt wird deutlich, dass die staatlich initiierte Kampagne für Umstellung und Wachstum es geschafft hat, in alle relevanten gesellschaftlichen Bereiche und viele öffentliche wie private Organisationen vorzudringen. Dazu hat sicherlich die Forderung des Staates beigetragen, dass alle nicht nur die schrumpfenden Regionen und Kommunen verpflichtet sind, Wachstumsprogramme aufzustellen. Die Kooperation zwischen Wirtschaft und Kommune ist in Karlskoga eine der tragenden Säulen im Umstellungsprozess. Die Vertreter der Wirtschaftsunternehmen und Wirtschaftsverbände der Stadt sind kontinuierlich an der Umstellungsdiskussion beteiligt worden und auf diese Weise zu verantwortlichen Akteuren der Stadtentwicklung und Fürsprechern des Zukunftskonzeptes geworden. Bündelung von Fördermitteln Verankerung und Bürgerbeteiligung als eigenständiges Ziel Auffällig ist die Flexibilität und Offenheit, die in den staatlichen Förderprogrammen liegt. Im Bereich der Stadterneuerung und Stadtund Regionalentwicklung setzt der Staat keine langfristig angelegten Förderprogramme ein, sondern kombiniert die Haushaltstitel verschiedener Ministerien miteinander. Kooperation zwischen staatlicher, regionaler und kommunaler Ebene verbessert die Chancen für lokal angepasste Förderprojekte Die Bündelung der Haushaltstitel setzt eine intensive Koordination der sektoralen Fachpolitiken voraus. Die staatlichen Behörden scheinen zudem in Schweden stärker in die kommunale Projektarbeit integriert zu sein als in Deutschland. Die Realisierung des neuen Campus Karlskoga ist nicht denkbar ohne die enge Zusammenarbeit zwischen Kommune, Ministerien und Wirtschaftsunternehmen sowie die interkommunale Zusammenarbeit in der Region. Auch die neuen Kooperationsformen auf der regionalen Ebene haben zu zahlreichen konkreten Projektpartnerschaften mit neuartigen Finanzierungsmodellen geführt und scheinen insbesondere angesichts der schwierigen Finanzlage der Kommunen in strukturschwachen Regionen ein Erfolg versprechender Ansatz zu sein. Bürgerbeteiligung und Verankerung der Konzepte und Projekte werden in Karlskoga nicht als Methode aufgefasst sondern als eigenständige Ziele des Stadtumbaus. Dies drückt sich darin aus, dass die Kommune ein anspruchsvolles Kommunikationsprojekt für die Vermittlung des Verankerungsprozesses konzipierte. Die Strategie setzte im ersten Schritt auf die Beteiligung der Akteure und Akteursgruppen der Stadt und erst im zweiten auf die breite Bürgerbeteiligung. Vertreter der kommunalen Verwaltung und die kommunalen Politiker werden laufend in die Zielfindung einbezogen. Literatur- und Quellenangaben Karlskoga Kommun: Vision 2010. Karlskoga 2004 Nordisk Kommunikation: Kalskoga lyfter mot vision 2010. Karlskoga 2004: Regeringskansliet: Rapport om tilväxtavtal. Stockholm 2004 Vasallen: Campus Karlskoga. Stockholm 2004 74 Stadtumbau in europäischen Städten mit Strukturkrisen Werkstatt: Praxis Heft 37 Abstract Karlskoga, a town of 30,000 inhabitants and located between Oslo and Stockholm has been connected to iron smelting and the production of arms for more than 350 years. For a long time, Karlskoga as a town was little more than a village around a church and the Bofors smelting works. In 1894, Bofors was bought by Alfred Nobel, who turned into Swedens largest arms factory, producing everything from explosive chemicals, ammunition, and canons to vehicles and rockets. From 1935 to 1975 a spacious industrial town with a population of 40,000 developed next to the gigantic industrial site. In 1983, a political scandal involving arms sales to India shook Karlskoga and all of Sweden. As a consequence, Bofors was liquidated in 1985, and 8,000 of its 10,000 employees lost their jobs. The entire metal industry of the region was in crisis and could not take on any employees. Since 1985, Karlskoga has lost 10,000 inhabitants, primarily to the conurbations of Stockholm, Malmö and Göteborg. Kindergartens and schools were closed and almost 1,000 unoccupied dwellings were torn down or put to different use. In Karlskoga, it has been recognised that only reorientation can enable the town to hold its current population and preserve the desired infrastructure. In 1998, a strategy for restructuring the town was initiated in cooperation with institutes, universities and NUTEK, a department of the ministry of economics. A two-year discussion process between committed citizens and representatives from the fields of politics, economy, administration, education, social welfare and culture resulted in a concept for a town in transformation called Vision 2010. The Vision names four fields of action: research and development, education and training for people and enterprises, communication between people and markets, and improvement of the quality of life. These have led to the initialisation of projects. A stimulus project made up of all fields of action is the Campus Karlskoga, a centre for research and development centred on economics. A branch university, a high school and an industrial communication centre will be united in a campus on the old Bofors site in 2007. The towns traffic infrastructure will be designed around the campus, with the relocation of the central bus station, the construction of a lakeside promenade, and partial overbuilding of the highway E 18. As a result, the former industrial area will be integrated into the town. More than 250 enterprises have joined to form a network, which aims to support the firms involved as well as the municipality. A real estate company created jointly by the municipality and the business and industrial community allows for the spatial management of new settlements and restructuring. New unconventional offers motivate enterprises and citizens alike. Among these are the Conference and Activity Centre BodaBorg and a call centre with 800 employees in former residential buildings. Working towards new aims together is the most important stimulus for Karlskoga, a project on which all other projects depend for success. The next challenge is to spread the new image of the former arms town all across the country. 75 Italien: Nationaler Kontext und Fallstudie Nationaler Kontext Demographie Nach Erhebungen der letzten Volkszählung (2001) ist die Bevölkerung Italiens zwischen 1991 und 2001 durch natürliche und wanderungsbedingte Veränderungen um 0,4 % auf insgesamt 56 995 744 Einwohner angewachsen.1 Im gleichen Zeitraum liegt die Fertilitätsrate bei 1,36 im Landesdurchschnitt. Es gibt wachsende und schrumpfende Regionen und Städte, Wanderungsbewegungen innerhalb der einzelnen Provinzen und Regionen sowie auch Wanderungen zwischen den Großstädten und ihrem Umland. den. Vor allem in den 1950er und 1960er Jahren war die Stadtentwicklung durch das rasche Wachstum im sog. industriellen Dreieck (Piemonte Lombardia Liguria) namentlich Torino (Fiat), Milano (lEni, Pirelli, Rizzoli, Mondadori, etc.), Genova (Italsider, Ansaldo) gekennzeichnet. Bereits seit 1890 hatte sich dort die Industrie in Italien konzentriert, während sich die Mitte und der Süden des Landes als Markt für die im Norden hergestellten industriellen Produkte und als Zone manueller Produktion mit niedrigen Lohnkosten herausbildete. Das Gefälle zwischen dem industrialisierten, wohlhabenderen Norden und dem ländlicheren, ärmeren Süden ist ein traditionelles Strukturmerkmal Italiens. Zwischen den dichten Siedlungsstreifen an den Küsten und den dünner besiedelten, dörflichen, oft bergigen Regionen im Landesinnern besteht eine ähnliche Polarität. Diese Zonierungen werden von neuen Entwicklungen zwar überlagert, prägen das Gesamtbild (und die demographischen Entwicklungen) jedoch nach wie vor mit. Im Süden haben sich Siedlungsflächen zwischen den Städten und an der Küste unkontrolliert ausgedehnt und sind, wenn nicht das Ergebnis mangelnder Planungsgrundlagen, so doch fehlender Durchsetzung derselben. Sowohl im Hinblick auf stadträum- bueroschneidermeyer Ute Margarete Meyer Jochem Schneider (1) ISTAT Istituto Statistica 2001 Nazionale di (2) Diese und die folgenden Angaben beziehen sich auf die Bevölkerungsentwicklung zwischen 1991 und 2001; Quelle ISTAT Istituto Nazionale di Statistica 2001 Bevölkerungsentwicklung der Regionen 1991 2001 Durch die Krise der alten Industrien seit Anfang der 1980er Jahre haben die Regionen Liguria (-6,2 %)2 und Piemonte (-2,0 %) hohe Bevölkerungsverluste erlitten. Anhaltend strukturschwache Gebiete im Süden sind Calabria (-2,8 %), Basilicata (-2,1 %) und Molise (-3,1 %), die durch Wettbewerbsnachteile in den letzten 15 Jahren (z. B. im Rahmen der Öffnung nach Osteuropa) und die zusätzliche Schließung von Produktionsstandorten der alten Industrien viele ihrer ohnehin begrenzten Erwerbsgrundlagen verloren haben, sowie die Region Friuli-Veneto-Giulia an der Grenze zu Slowenien (-1,2 %) (vgl. Abbildung). Wirtschafts- und Sozialgeographie Das Phänomen eines zergliederten Siedlungsgefüges ist in Italien allgegenwärtig, erfährt jedoch regional höchst unterschiedliche Ausprägungen. Im Norden Italiens kann die Ausbildung verstädterter Gebiete mit niedriger Dichte als direkte Folgeerscheinung sozial-ökonomischer Prozesse der letzten 50 bis 60 Jahre gesehen und in Teilen mit den Entwicklungen in den zentraleuropäischen Ländern verglichen wer- Quelle: ISTAT Istituto Nazionale di Statistica 1991 2001, bearbeitet durch bueroschneidermeyer 76 Stadtumbau in europäischen Städten mit Strukturkrisen liche Qualität als auch im Bereich Umweltund Naturschutz wird hier landesweit erheblicher Handlungsbedarf gesehen. In ganz Italien versuchen die Kommunen heute, die Stadtentwicklung deutlicher als bisher zu steuern. Monostrukturen, einzelne Industriestandorte mit lokal/regional direkt abhängiger Zulieferindustrie sind in Italien eher die Regel. Wie in anderen europäischen Ländern haben auch hier im Verlauf der letzten 20 bis 30 Jahre die alten Industrien eine krisenhafte Entwicklung genommen. Hinzu kommt zeitgleich an vielen Standorten der Rückgang in der Tourismusindustrie, die (insbesondere ausländische) Gäste verliert, weil die Strukturen veraltet sind und nicht mehr der Nachfrage entsprechen. Familienmitglieder Stand 2001 Werkstatt: Praxis Heft 37 Der gesamte Süden Italiens (Mezzogiorno) ist als förderfähiges Gebiet gemäß Ziel 1 der Europäischen Union klassifiziert (Campania, Puglia, Basilicata, Calabria, Sicilia, Sardegna und bis Ende 2006 Molise). Als förderfähige Gebiete gemäß Ziel 2 sind Abruzzo, Marche, Umbria, Liguria, Teile der Toscana und Alpenrandgebiete benannt. Stadtumbau-Debatte Schrumpfung stellt in Italien nur eines von mehreren möglichen Szenarien für ein Krisengebiet dar. Viele Städte unterschiedlichster Größe erleben zwar gegenwärtig eine Krisensituation, da die Trägerbranche Arbeitsplätze reduziert oder den Standort aufgibt. Solche Strukturkrisen führen jedoch nicht immer zu Wanderungsbewegungen der arbeitenden Bevölkerung. Faktoren wie ein nach wie vor enger Familienverband und die hohe Wohneigentumsbildung (besonders im Süden) sprechen oft stärker als in vergleichbaren deutschen Städten gegen einen Ortswechsel. Die andauernde Wanderung vom Landesinneren an die Küste oder aus dem ländlichen Raum in die Stadt, später von dort in die Peripherie, überlagern zudem die durch akute Strukturkrisen ausgelösten Bewegungen. Schrumpfung, Aufgabe von Grund- und Gebäudebesitz, Leerstand und Verfall historischer Substanz (auch oft in den alten Stadt- und Dorfkernen) sind eine zusätzliche Herausforderung an einzelne Standorte, und als Thema in der Bürgerschaft wichtig geworden. In der breiten Fachdiskussion um Siedlungsentwicklung in Städten und Entwertungsprozesse der Umwelt stellen sie aber eher den Sonderfall dar. Folgende Typologien sind in Italien prägend in der Diskussion um Schrumpfungsprozesse: Die Stahlstadt, oft mit Hafen und Schwerindustrie: z.B. Taranto Das Stadtquartier in der Krise in einer wachsenden Großstadtregion: z.B. Garegnano und andere Quartiere im Nordwesten von Milano Die (Industrie-)Region in der Krise, in der zahlreiche Städte vom Strukturwandel betroffen sind: z. B. Liguria, Städte mittlerer Größe wie Savona, La Spezia, Imperia und die Großstadt Genova Quelle: ISTAT Istituto Nazionale di Statistica 1991 2001 Die (Groß-)Mittelstadt in der Krise durch Einbruch bisher bestehender Italien: Nationaler Kontext und Fallstudie Nationaler Kontext Monoindustrien und der davon geprägten Gesamtstruktur, periphere Lage: z. B. Crotone, Cosenza, Pescara. Planungssystem Das städtebauliche Hauptinstrument ist in Italien der Piano Regolatore Generale (PRG), ein Planwerk für die Stadtentwicklung. Üblicherweise umfasst dieses Planwerk den Flächennutzungsplan, Ziele für die Stadtentwicklung, kommunale Richtlinien und Technische Normen. Seit Anfang der 1990er Jahre sind auch in Italien integrierte Stadtentwicklungskonzepte zur Wiederaufwertung der Umwelt oder belasteter Stadtquartiere wichtig geworden. Städtebauförderung Städtebauförderung findet in Italien durch regionale, nationale und europäische Programme statt. Die Finanzierung dieser Programme wird über nationale und europäische Fonds bestritten. Frühe national integrierte Programme zur städtebaulichen und sozialen Requalifizierung einzelner Stadtquartiere sind die Programmi di Riqualificazione Urbana (PRU), die seit 1993 vornehmlich die Sanierung und Aufwertung der Anlagen des sozialen Wohnungsbaus gefördert haben. Seit 1998 ist das Nachfolgeprogramm Programma di Riqualificazione Urbana e Sviluppo Sostenibile del Territorio (PRUSST) in Kraft, das darüber hinaus eine Requalifizierung und den Ausbau von Infrastruktur, die Förderung bei Revitalisierung und Ausweitung von Wirtschaft/Produktion/Arbeitsplätzen sowie die Aufwertung städtischer Problemgebiete und der Umwelt vorsieht. Seit 1998 gibt es das Programm Contratti di Quartiere (Quartiersvertrag), mit dem in erster Linie periphere Stadtgebiete der 1960er und 1970er Jahre gefördert werden. Die Finanzierung wird zu 65 % national und 35 % regional getragen. Ziel sind hier die Aufwertung der Bausubstanz, des Wohnumfelds und des öffentlichen Raums sowie die Verbesserung der infrastrukturellen Anbindung an die Kernstädte. Ausgewählt werden soziale Brennpunkte. Umfangreiche Bürgerbeteiligungsmaßnahmen und der Aufbau sozialer Netze für betagte oder sozial schwache Bürger sind vorgeschriebene Projektbausteine. Auf regionaler Ebene stehen zwei Programme im Vordergrund, die beide aus europäischen Strukturfonds finanziert werden: Programma Operativo Regionale (POR) ist ein Regionalprogramm, das EU-Ziel-1-Fördermittel (FESR, FEOAG, FSE und SFOP) auf der Grundlage von Stärken-SchwächenAnalysen regional verteilt. Das Programm Documento Unico Di Programmazione (DOCUP) fördert regionalen Wirtschaftsaufbau durch anteilige regionale, staatliche und europäische (FESR) Mittel. Es gibt DOCUP Programme für 14 Regionen in Italien. Insgesamt 26 Städte waren und sind an den Urban Programmen der EU beteiligt. Zwischen 1994 und 1999 wurden 16 Städte mit Urban-I-Mitteln gefördert, zwölf davon lagen in Ziel 1 Regionen in Süditalien. Bei den geförderten Maßnahmen handelte es sich meist um städtebauliche Aufwertung der Zentren der großen Städte. Mit dem Urban-II-Programm stehen derzeit ca. 114,8 Mio. E als Fördermittel zur Verfügung. 86 Bewerbungen wurden vom Ministero delle Infrastrutture e dei Trasporti Pubblici zur Vergabe der Förderprojekte zugelassen, 60 Antragsteller kamen wiederum aus Süditalien, 55 davon aus Ziel-1-Regionen; die übrigen 26 Projekte verteilten sich über den Rest des Landes. Ausgewählt wurden diesmal zehn Städte, von denen die Hälfte in einer Ziel-1-Region liegt. Ergänzend dazu wurde in Italien das Programm urbanitalia ins Leben gerufen, um zusätzlich zu den ausgewählten Urban-Städten 20 weitere Kommunen oder Stadtteile aus der Bewerberliste zu fördern. Literatur und Quellenangaben ISTAT Istituto Nazionale di Statistica 1991 2001 77 78 Stadtumbau in europäischen Städten mit Strukturkrisen Werkstatt: Praxis Heft 37 Taranto Ausgangslage und Rahmenbedingungen bueroschneidermeyer Ute Margarete Meyer Jochem Schneider (1) Beide Angaben: ISTAT Istituto Nazionale di Statistica 1991 2001 Die Region Puglia ist der Stiefelabsatz Italiens. Zwischen 1991 und 2001 ging die Bevölkerung in der Region um 0,3 % zurück, in der Stadt Taranto um 7,2 %.1 Taranto ist dabei mit 209 000 EW eine von fünf größeren Städten in einer nach wie vor ländlich geprägten Region. Die Einwohnerdichte Tarantos liegt mit 960 EW/km² um ein vierfaches höher als der regionale Mittelwert; das Stadtgebiet umfasst 21 750 ha. Taranto geht auf eine Stadtgründung der Antike zurück. Schon damals prädestinierten die geographische Position und die Lage an einer geschützten Bucht, dem Mar Piccolo, die Stadt als Militärhafen. Fischerei, später Schiffsbau kamen als Erwerbsquellen hinzu. Als Antwort auf die schwere Strukturkrise des Marinestützpunkts nach dem Zweiten Weltkrieg wurde 1959 das größte zusammenhängende Stahlwerk Italiens in der Stadt angesiedelt und schaffte bis in die 1970er Jahre 21 000 neue Arbeitsplätze. Weitere Schwerindustriebetriebe folgten und machten Taranto zum Symbol für die Loslösung des Südens aus traditioneller Rückständigkeit. Dabei blieb die Anbindung ins Hinterland schwach, die Eisenbahnstrecke eingleisig und ein Autobahnanschluss wurde nicht gebaut. Militärund Industriehafen blockierten nachhaltig den Zugang der Siedlungsgebiete ans Meer. Zusätzlich zu der auf einer Insel gelegenen antiken Altstadt und dem gründerzeitlichen Borgo wurden mit der Industrieansiedlung weitere Wohngebiete gebaut. Wohngebiete die in dieser Zeit entstanden sind z.B. das Arbeiterquartier Tamburi in unmittelbarer Werksnähe mit dichtem Geschosswohnungsbau und mehreren ursprünglich nur als Übergangslösung gedachten Baracken oder die Trabantenstadt Paolo VI, eine Großwohnsiedlung außerhalb des Stadtgebiets. Später entstanden dichte Wohnbauquartiere am Stadtrand und illegale Siedlungsflächen am Meer. Dabei ist die Sozialstruktur umso schwächer, je weiter man von der Stadtmitte entfernt liegt. Siedlungsfläche Taranto heute Quelle: bueroschneidermeyer Stahlwerk und alter Hafen Quelle: Stadtverwaltung Taranto; verändert durch bueroschneidermeyer Arbeiterquartier Tamburi Quelle: bueroschneidermeyer Italien Fallstudie Taranto Mit dem Bau des Stahlwerks setzte in der Altstadt ein derartiger Entwertungsprozess ein, dass die Insel innerhalb von zwanzig Jahren als Wohnstandort fast vollständig aufgegeben wurde. Die Emissionsbelastungen aus dem nur 3 km entfernten Werk, der Verfall der Bausubstanz und prekäre Sanitärzustände vertrieben die Bewohner. Von ursprünglich 30 000 Einwohnern waren Ende der 1990er Jahre nur noch 2 000 übrig. Im Verlauf dieses Prozesses überschrieben zahlreiche Eigentümer die Gebäude samt Grund und Boden der Stadt um die unsinnig erscheinenden Unterhaltskosten zu vermeiden. Als mit dem Einbruch der Stahlindustrie in den 1980er Jahren die Stadt in eine Krise geriet, war die Altstadt im Stadtzentrum bereits stark verfallen. Mit wachsender Arbeitslosigkeit allein in der Stahlbranche gingen über die Hälfte der Arbeitsplätze verloren setzten auch in Tamburi Abwanderungsprozesse ein. In der ganzen Stadt verschlechterten sich die sozialen Milieus. Gebiete mit schwieriger Ausgangslage erlebten ein Jahrzehnt sozialer Spannungen und Gewalt. Der Begriff des cittadino degradato2 beschreibt, in welchem Maße die Krise als eine alle Lebensbereiche erfassende Grundstimmung empfunden wurde. Im Jahr 2002 leben in den drei innerstädtischen Quartieren, die stark von diesen Degradierungserscheinungen betroffen sind, 47 400 Einwohner. Es herrscht hohe Dauerarbeitslosigkeit, die Emissionsbelastung ist nach wie vor stark, obgleich nur noch einer von ursprünglich fünf Hochöfen in Betrieb ist. Die infrastrukturellen und sanitären Verhältnisse sind schlecht. Allein die Gewaltbereitschaft ist im Vergleich zu den frühen 1990er Jahren etwas gesunken. Seit 1994 kommen europäische Förderprogramme zum Einsatz. Die 1998 von der taiwanesischen Firma Evergreen getroffene Entscheidung, ihren Hauptumschlagplatz von Gioia Tauro (Calabria) nach Taranto zu verlegen, rettet der Stadt vorläufig den Hafen und weckt Hoffnungen auf einen Aufwärtstrend. Strategieansatz, Ziele und konkrete Vorhaben Mit der Bewerbung für das Urban-II-Programm hat die Kommune ein Gesamtstrategiekonzept erarbeitet, das sie faktisch wie 79 Altstadtinsel Quelle: bueroschneidermeyer einen Stadtentwicklungsplan einsetzt. Hier werden sowohl grundsätzliche Leitthemen formuliert, als auch die entsprechenden Eingriffsbereiche in der Stadt benannt. Das übergeordnete Leitziel dabei lautet: Es muss gelingen, der Stadt wieder eine klare, positive Identität zu geben. Erstens, damit sich die Bürger mit der Stadt identifizieren und sich möglichst zahlreich für ihre Zukunft engagieren. Auch Bürger, die in den Siedlungsgebieten weit außerhalb der Stadt leben, sollen sich wieder als Tarantiner fühlen und im Sinne eines städtischen Gemeinwohls handeln. Zweitens soll damit auch ein ablesbares, starkes Profil im nationalen und internationalen Konkurrenzkampf der Städte herausgearbeitet werden. Im Rahmen des Konzeptes wurde ein Katalog verschiedener Maßnahmen zusammengestellt, der über Infrastruktur- und Baumaßnahmen hinaus auch Arbeitsbeschaffungsprojekte oder den Schutz der Umwelt als natürliche Ressource vorsieht. Mit dem Stadtumbau werden drei strategische Ziele verfolgt: 1. Die Flächennutzungen in der Stadt werden so umverteilt, dass sie optimale Bedingungen für eine diversifizierte Wirtschaft bilden und gleichzeitig neue Qualitäten in der Gesamtstadtentwicklung ermöglichen. 2. Investitionen in Infrastruktur werden bevorzugt dort getätigt, wo mit einer Maßnahme mehrere Verbesserungen erreicht werden. 3. Stadtumbau soll auch sichtbar werden: Aufwertungen finden im öffentlichen Raum und durch Innenstadtprojekte statt, die impulsgebend sein können. (2) entwürdigter Bürger 80 Stadtumbau in europäischen Städten mit Strukturkrisen Die Umverteilung der Flächennutzungen betrifft hauptsächlich die Häfen. Dabei werden gleich drei Standorte verändert: Der neue Containerhafen liegt weiter außerhalb der Stadt als der alte Schwerindustriehafen. An Stelle der ursprünglichen Position entsteht ein Yachthafen. Der NatoStützpunkt wird aus der Bucht an die Küste verlegt, so dass innerstädtische Bauflächen am Ufer frei werden. Auch der Fischereihafen zieht an einen neuen Standort, wodurch auf der Altstadtinsel eine Promenade gebaut werden kann. Für alle drei Häfen entfallen in Zukunft eine Reihe von Zwängen und Behinderungen, die sie durch die Nähe zur Innenstadt bisher in Kauf nehmen mussten. Die Stadt erhält im Gegenzug drei neue Zugänge ans Ufer. Hier können andere, mit dem Meer verbundene Wirtschaftszweige (meeresbiologische Forschung, Tourismus) angesiedelt und attraktive Wohn- und Geschäftslagen erschlossen werden. (3) Insel der Delfine Infrastrukturell bedeutsam ist, dass seit Anfang der 1990er Jahre mehrere Fakultäten der Università di Bari ihren Erweiterungsbedarf durch Zweigstellen in Taranto abgedeckt haben. Für die demnächst geplanten Umzüge der Architekturfakultät und des Instituts für Meeresbiologie kann Taranto deutliche Standortvorteile aufzeigen: Die Architekten können zwei bauhistorisch bedeutsame Palazzi auf der Altstadtinsel nutzten, die im Rahmen der Urban-II-Maßnahmen saniert werden. Für die Meeresbiologen schafft das Projekt Isola dei Delphini3 einen neuen Forschungsschwerpunkt: Bei diesem Projekt wird verletzten Delfinen, die an den Küsten vor der Stadt häufig angespült werden, in einer Klinik geholfen; während der Genesungsphase dienen sie der Forschung, u.a. im Rahmen einer Therapieform für autistische Kinder. Mit dem Bau der Klinik wird nicht nur ein neuer Programmbaustein für die Altstadtinsel be- Containerhafen Quelle: Autorità Portuale di Taranto Werkstatt: Praxis Heft 37 stimmt, die außergewöhnliche Nutzung findet weltweit Aufmerksamkeit, ist bisher konkurrenzlos und bietet gleichzeitig eine touristische Attraktion und einen griffigen Mosaikstein für das Zukunftsimage der Stadt. Weitere infrastrukturelle Maßnahmen sind die Sanierung des Abwassernetzes und der Straßenräume. Auch hier werden mehrere Ziele gleichzeitig erreicht: der schlechte Zustand des Abwassersystems belastet die Wasserqualität im Mar Piccolo. Die Verbesserung der Wasserqualität dient der Gesundheit und Selbstachtung der Bürger wie der Tourismusentwicklung. Mit entscheidend ist auch, dass Muschel- und Austernzucht, traditionelle Erwerbszweige der Stadt, als ein wichtiges Standbein in einer diversifizierten Wirtschaftsstruktur wieder ausgebaut werden sollen. Die Altstadt wird als Identifikationskern für Bürger und Touristen grundsätzlich aufgewertet. Auf der Insel zwischen Mar Piccolo und Mar Grande gelegen soll sie zur Hauptattraktion der Stadt werden. Das Erscheinungsbild an dem die Stadt derzeit mit viel Energie arbeitet beinhaltet z. B. historische Palazzi, in denen sich Studenten, Bürger und Gäste begegnen und von deren Dächern sie den Ausblick auf das Meer genießen, sowie Bars und Restaurants im historischen Zentrum, eine neue Promenade und Segelboote in der Marina. Dabei ist praktisch die gesamte Gebäudesubstanz sanierungsbedürftig. Im Rahmen von Urban II wurde begonnen, die zahlreichen Gebäude, die in kommunalem Besitz sind, sowie den öffentlichen Raum herzurichten. Im Mittelpunkt steht die Restaurierung mehrerer besonders wertvoller Palazzi. Zusätzlich werden Gebäude an Knotenpunkten und in der Hauptgasse (Statik, Sanitär, Elektronik) sowie der öffentlichen Raum grundsaniert (Kanalisation, Neuverlegen der alten Pflaster, Beleuchtung, Möblierung). Die Maß- Die neue Promenade Quelle: bueroschneidermeyer Italien Fallstudie Taranto nahmen sollen zusammen die Voraussetzung für private Initiativen schaffen. Eine der Urban-II-Maßnahmen bietet finanzielle Hilfestellung für Kleinstunternehmer, die Dienstleistungen in der Altstadt initiieren (Bar, Hotel). Typisch für den Umgang mit dem öffentlichen Raum ist die Promenade am Ufer zum Mar Piccolo. Einfache Mittel und Materialien finden Verwendung, wodurch es möglich wird, große Flächen zu gestalten. Die neuen Flächen wirken selbstverständlich und fügen sich unprätentiös ins Bild. Auch die Holzstege im Wasser sind keine Fremdkörper und können unterschiedliche Funktionen übernehmen: Sie dienen Fischern und Touristen gleichzeitig, können abwechselnd Angelsteg, Restaurantterrasse oder Liegefläche werden. Im Borgo, dem Gründerzeitviertel, werden ebenfalls die öffentlichen Räume saniert. In vielen Straßen und entlang der Promenade am Mar Grande werden Gehwege verbreitert, Bäume gepflanzt, Parkplätze optimiert und die Beleuchtung installiert. Ein alter Musikpavillon wurde restauriert; Samstagabends geben Studenten der Musikhochschule hier umsonst Konzerte in verschiedenen Stilrichtungen. Abends wird die Uferstraße an der Brücke zur Altstadt für den Verkehr gesperrt und aus den angrenzenden Restaurants bewirtschaftet. Konzessionen für die Außenraumbewirtung werden problemloser erteilt als in der Vergangenheit. Zusätzlich entstehen in diesem Stadtteil drei Theater als Umnutzungsmaßnahmen. Im Borgo konnte ein Negativtrend gestoppt, teilweise bereits umgekehrt werden: während Degradierungserscheinungen zuvor immer weitere Teile der Innenstadt erfassten, verbessern sich jetzt der Zustand der Gebäude, der öffentlichen Räume und die sozioökonomische Gesamtlage sukzessive von innen nach außen. Quelle: bueroschneidermeyer Aufwertung des öffentlichen Raums 81 Stadtumbau-Prozess In Taranto ist die Strategie für den Stadtumbau untrennbar mit der Vorstellung eines wirtschaftlichen Aufschwungs und einer neuen Identität verbunden. Die Stadt an zwei Meeren entdeckt die Potenziale des Meeres neu und setzt auf Wachstum, nicht auf gesteuerte Reduktion. Mit dem Stadtumbau-Prozess soll die Stadt so neu geordnet werden, dass die bestehenden Potenziale ausgeschöpft und mehrfach zur Geltung gebracht werden können. In dem Prozess ist die Verwaltungsspitze die treibende Kraft. Die Bewerbung für Urban II, die die Hauptziele zusammenfasst und Maßnahmen benennt, wurde über einen Zeitraum von zwei Jahren in einer Stabsstelle erarbeitet, die direkt dem Bürgermeisteramt untersteht. Heute identifiziert sich die Verwaltungsspitze daher zu 100 % mit dem Stadtumbau-Projekt. Die Bewerbung für das Urban-II-Programm im Jahr 2002 hat die Erarbeitung dieser Strategie nicht nur gefördert, sondern vorausgesetzt. Die Stadt war gezwungen, einen schlüssigen Zusammenhang für alle Planungen aufzubauen und darzustellen. Es gibt kaum die Notwendigkeit zu politischer Überzeugungsarbeit, da der Umbau direkt als Stadtpolitik aus einem Mehrheitsverhältnis heraus umgesetzt wird. Entschieden wird entlang klassischer Hierarchiestrukturen (top down). Bürgerbeteiligung als strukturierter Prozess findet nicht statt. Auf die Einbindung bereits bestehender Initiativen oder Arbeitsgruppen wurde zugunsten schlanker Entscheidungsstrukturen vollständig verzichtet. Da sowohl Urban II als auch POR, das regionale Förderprogramm, die Ausgabe der bereitgestellten Finanzen in scharf begrenzten Zeiträumen verlangen, liegt hier für die Kommune auch ein realer Zwang. Bei dem umfassenden Sanierungsbedarf, den die Stadt besonders auf der Altstadtinsel hat, musste nach Zuteilung der Mittel so bald als möglich mit Umsetzungen begonnen werden. Dennoch ist der Stadtumbau auch ein gestalteter Kommunikationsprozess. Neue Identität ist nicht nur Ziel, sondern Schlüsselbegriff für den Weg dorthin. Die Potenziale der Stadt (das Meer, die Kulturgeschichte, Häfen, Austernzucht usw.) werden schon heute als Identifikationsfaktoren aufgezeigt. So soll der Blick für das Positive und damit der Glaube an eine bes- 82 Stadtumbau in europäischen Städten mit Strukturkrisen sere Zukunft bei allen Bürgern gestärkt werden. Zusätzlich wird die sofortige Nutzung nach Abschluss einer Sanierungsmaßnahme unbürokratisch gefördert. Im öffentlichen Raum werden Bewirtschaftung und Kleingewerbe zugelassen. Mieter oder Investoren für die grundsanierten Gebäude in der Altstadt erhalten günstige Konditionen. Öffentlichkeitsarbeit und Bürgerbeteiligung Da es direkte Bürgerbeteiligung im Prozess nicht gibt, die Identifikation der Bürger mit der Umstrukturierung aber notwendig ist, ist die Öffentlichkeitsarbeit wichtiger Bestandteil der Gesamtstrategie. Für die Öffentlichkeitsarbeit werden alle lokalen Medien, Zeitungen und Fernsehen genutzt. Bei regelmäßigen Presseterminen werden Inhalte und Fortschritt einzelner Maßnahmen gezielt vorgestellt. Dadurch soll individuelle Begeisterung geweckt und der Einzelne animiert werden, Initiative zu zeigen und den Veränderungsprozess der Stadt eigenverantwortlich mit voranzubringen. Eine besondere Einrichtung ist der Urban Shop in der Innenstadt, in dem Bürger und Touristen über die Stadt informiert werden. Im Zentrum stehen hier weniger die Stadtumbau-Projekte, als Wechselausstellungen zum kulturhistorischen Erbe der Stadt und zu lokalen Produkten. Eine jährlich erscheinende Zeitschrift hingegen beschäftigt sich konkret und vollständig mit den UrbanProjekten. Maßnahmen in den Außenbezirken, infrastrukturelle Verbesserungen wie ein neues Busterminal oder Beschäftigungsprojekte werden in dem Journal, das alle Bevölkerungsgruppen erreichen soll, gleichwertig mit den Projekten der Innenstadt besprochen. Auf den Internetseiten der Kommune ist das Programm für den Stadtumbau übersichtlich und vollständig einsehbar. Laufend werden hier die Ausschreibungen für die Ausführung sämtlicher Baumaßnahmen erneuert. Werkstatt: Praxis Heft 37 bensqualität in größeren Städten dienen oder ansässige Institutionen und die Verbesserung des Gemeinwesens stärken. Ferner wird die Bekämpfung von Leerstand in historischen Zentren, von Verfallserscheinungen der Gebäudesubstanz oder sozialer wie ökologischer Degradierungserscheinungen bezuschusst, sowie die Sanierung mangelhafter oder schadhafter Infrastruktur. Die Stadt Taranto kann mit zahlreichen Maßnahmen genau auf diese Programmpunkte zugreifen. Urban II ist das Förderprogramm, das in der öffentlichen Wahrnehmung im Vordergrund steht, da hiermit die Impulsprojekte im Borgo und auf der Altstadtinsel finanziert werden. Aus einer Summe von 114,8 Mio. E für Italien, erhält Taranto 15,1 Mio. E. Für die Projekte, die im Rahmen von Urban II durchgeführt werden, kommen weitere 16,6 Mio. E aus öffentlichen Geldern und 7 Mio. E aus privater Hand dazu. Ausgegeben werden die Mittel zu 54 % für die Erneuerung von Gebäuden und Freiflächen, zu 27 % für wirtschaftsfördernde Maßnahmen, zu 7 % für umweltfreundliche, integrierte Verkehrsmittel (ÖPNV, Fahrrad- und Bootsverkehr, Ausbau des Hafengebiets) und jeweils zu 6 % für die Verbesserung der Umwelt und technische Hilfsmaßnahmen. Kooperationen mit privaten Partnern oder öffentlichen Einrichtungen zur Finanzierung von Maßnahmen spielen im Einzelfall eine wichtige Rolle. Sie werden weniger strategisch gesucht als ergriffen, wo sich die Möglichkeit bietet. Auf Maßnahmenebene hat sich das pragmatische Prinzip bewährt, ein Gebäude seitens der Stadt minimal Grund zu sanieren und danach einem privaten Betreiber das Objekt (manchmal finanziell gefördert) zu überlassen. Die Konditionen werden im Einzelfall verhandelt. In der Altstadt haben mehrere Kleinunternehmer von dieser Regelung profitiert, im Borgo hat ein Investor eines der größten Umbauprojekte (Palazzo dAquino) mitfinanziert. Städtebauliche Instrumente Finanzierung Zur Finanzierung des Stadtumbaus werden unterschiedliche Fördermittel eingesetzt. Die Hauptförderprogramme derzeit sind das Urban-II-Programm und POR, ein regionaler Strukturfonds mit europäischen Strukturmitteln für Ziel-1-Regionen. POR fördert Maßnahmen, die der Verbesserung der Le- Durch die direkte Bindung an die Tagespolitik spielen städtebauliche Instrumente im Sinne eines Planwerks, städtebaulicher Verträge oder einer Neufestschreibung städtebaulicher Parameter beim aktuellen Stadtumbau in Taranto keine erkennbare Rolle. Die Umverteilung diverser Nutzungsbausteine wird ohne Fortschreibung des Flä- Italien Fallstudie Taranto chennutzungsplans realisiert und die sichtbare Aufwertung großer Teile des öffentlichen Raums in den Innenstadtgebieten sowie infrastrukturelle Maßnahmen werden mit kurzem Planungsvorlauf umgesetzt. Resümee Der Stadtumbau in Taranto ist kein Prozess, der unter hoher Beteiligung möglichst vieler Akteure Ziele absteckt und sich rückversichert, sondern der Versuch eines kraftvoll und mit Engagement betriebenen Stadtumbaus in relativ kurzer Zeit und unter umfassenden Einsatz an Fördermitteln. Direkter Initiator ist die Verwaltungsspitze. Der Vorteil dieses Prozesses ist: politische Entscheidungsträger können direkt handeln; nachteilig ist, dass der Erfolg abhängig ist von kommunalpolitischer Stabilität. In der radikalen Form wie in Taranto top down verwaltet wird, kann die Herangehensweise sicherlich nur im Einzelfall für deutsche Städte Beispiel geben. Klare und effiziente Entscheidungsstrukturen sind jedoch erkennbare Voraussetzung für einen Umbauprozess mit einem hohen Anteil an Baumaßnahmen vergleichbarer Größenordnung, sofern diese im Rahmen europäischer Förderrichtlinien umgesetzt werden sollen. Empfehlenswert für den Stadtumbau in (west)deutschen Städten ist das Vorgehen der Stadt, die verschiedenen Potenziale, die sie hat, klar zu beschreiben und zu einem stimmigen Gesamtimage zu verbinden. Die Stadt an zwei Meeren ist eben nicht nur 83 ein Werbeslogan der Tourismusbranche, sondern realer Ausgangspunkt. Eine Reihe geographisch, meeresbiologisch oder kulturhistorisch einzigartiger Qualitäten des Standorts fügen sich zu einem kongruenten und positiven neuen Image, das gleichzeitig den Traditionen der Stadt so verhaftet ist, dass es den meisten Menschen kommunizierbar bleibt. Auch auf der Ebene konkreter Maßnahmen können zahlreiche Anregungen gefunden werden. Die Eingriffe im öffentlichen Raum, auch die Restaurierung der Altstadt, selbst der Segelhafen sind mit einfachen Mitteln gemacht und fügen sich selbstverständlich in ihre Umgebung ein. Dadurch sind sie prinzipiell aneigenbar für alle sozialen Schichten. Sie sind sofort benutzbar und werden in den Alltag der Einheimischen integriert. Stadtumbau in Taranto ist unter diesem Gesichtspunkt auch ein gesellschaftlicher Entwicklungs- und Wachstumsprozess. Quelle: bueroschneidermeyer Öffentlicher Raum ist für alle nutzbar Die Bearbeiter danken Antonio Liscio, Rosa Anna Tucci und Valeria Monno für ihre Unterstützung bei der Recherche vor Ort. Literatur- und Quellenangaben Autorità Portuale di Taranto. www.iicgenova.it/documents/ricerca/SSS/taranto_comm.htm (Stand 10/2004) EUROSTAT. www.eds-destatis.de (Stand 10/2004) ISTAT Istituto Nazionale di Statistica 1991 2001 LUfficio Territioriale del Governo di Taranto 2004 Stadtverwaltung Taranto (Comune di Taranto) 2004 84 Stadtumbau in europäischen Städten mit Strukturkrisen Werkstatt: Praxis Heft 37 Abstract Taranto, a town in the South Italian region of Apulia situated at the bottleneck entrance to a protected bay area, has been a town of fishermen and oyster keepers since antiquity as well as a desired location for a naval base. The town, which is today home to 209,000 people, had grown into one of the largest locations for the Italian steel industry since the late 1950s. By the end of the 1960s, the industrial site had covered half of the urban area and thoroughly polluted the nearby historic centre. As a result, this centre was in urgent need of redevelopment by the beginning of the 1980s and almost completely abandoned by the inhabitants. In the wake of the steel crisis, the city built on this industrial mono-structure suffered for fifteen years from a high degree of unemployment, strong social tensions, devaluating processes, and violence. European structural funding has been taken advantage of since 1994. In 2002, Taranto was selected for the Urban II programme of the EU and initiated an energetic process of urban requalification using a variety of financial aid sources. There are three strategic goals: Land use is to be redistributed in a way that provides optimal conditions for a diversified economy, allowing new qualities in urban development at the same time. Investments regarding infrastructure are to be favoured where one measure can achieve several improvements. The reorganisation of the city is to become visible: redevelopment is to focus on public spaces and those inner-city projects that can provide an important impulse. The application for the Urban II programme occasioned the municipal government to present all measures in a general and coherent perspective. This embraces infrastructure and building projects, job-creation measures, and schemes for the protection of the environment and natural resources. The overall strategy was commissioned by the administration and elaborated over a period of two years. This explains why leading local politicians today identify themselves one hundred percent with the urban requalification approach. There is hardly any necessity to persuade decision-makers, since the present government directly executes the redevelopment step by step based on majority decisions. The results are implemented in a clear-cut top-down hierarchical structure. Public relations are an important element of the work. The substance and progress of all measures are regularly communicated in the local media, news-papers and television. The intention is to kindle personal enthusiasm and to encourage the citizens to take initiative and help get the recovery process going. In Taranto, the multifarious potential of the city has been recognised and combined in a consistent overall picture. City of the two seas is not just an advertising slogan but a concrete starting point. A series of geographical, marine-biological or cultural-historical singularities result from the special position of the town and can be economically valorised. At the same time, these peculiarities also lead to a congruent and positive new image that remains deeply rooted in local traditions and can therefore be communicated to the majority of the people. Several lessons can be learned from Taranto, particularly in the realm of concrete restructuring. The interventions in public space and in the historic centre, even the measures necessary for the new marina, are simple and straightforward. They all fit into their surroundings in a very natural way. As a result, they are easily accessible for all social classes, can be taken advantage of immediately, and become quickly integrated in the everyday life of the locals. 85 Spanien: Nationaler Kontext und Fallstudie Nationaler Kontext Demographie1 Die Entwicklung Spaniens im gesamten 20. Jahrhundert ist gekennzeichnet durch einen kontinuierlichen Anstieg der Gesamtbevölkerung des Landes. Gegenüber anderen europäischen Ländern erfolgte die Entwicklung zwar etwas zeitverzögert, dann aber mit größerer Geschwindigkeit. In der jüngeren Vergangenheit gab es lediglich um die Jahre 1991 und 1996 kurze, punktuelle Rückgänge, die dann unmittelbar wieder ausgeglichen wurden. Der europäische Vergleich macht deutlich, dass Spanien vor 1984 und nach 1999 überproportionale Zuwächse verzeichnet. Die jährliche Zuwachsrate bewegt sich zwischen 3 und 10,5 %. Bis 1980 ist die Zuwachsrate an eine hohe natürliche Bevölkerungsentwicklung gekoppelt. Seither hat sich die natürliche Bevölkerungsentwicklung stark rückläufig entwickelt. Ende der 1990er Jahre nähert sie sich einem Wert von Null und geht damit innerhalb von 20 Jahren um 97 % zurück (1976: 378 500 EW/Jahr auf 1996: 11 100 EW/Jahr). Der Bevölkerungszuwachs seit 1996 ist daher weitgehend auf die hohe Zunahme der Immigration aus dem Ausland zurückzuführen Spanien hat sich in den letzten 20 Jahren vom Auswandererland zum Einwandererland gewandelt. Es weist im Jahr 2000 eine Migrationsquote von ca. 9 % aus; diese liegt damit mehr als doppelt so hoch wie der EU-Durchschnitt. Die Zunahme ist in erster Linie auf Einwanderer aus nichteuropäischen Staaten zurückzuführen: Im Vergleich der Jahre 1995 und 2000 hat sich deren Zahl von 19 500 EW auf 330 000 EW und damit um mehr als das 17-fache erhöht. Von den in Spanien lebenden ausländischen Bürgern kommen heute ca. 39 % aus Lateinamerika und 21,5 % aus Afrika (vgl. Abbildung). In der Bevölkerungsentwicklung lassen sich deutliche regionale Unterschiede feststellen, sowohl im Hinblick auf die Geburtenrate, als auch die inländische Migration und die Einwanderungsquote. Das Spektrum regionaler Bevölkerungsentwicklung reicht für den Zeitraum 1991/2001 von -2,6 % (Castilla y Leon) bis hin zu +23,9 % (Balearen). Dabei ist diese Entwicklung über die Jahre hinweg stabil, es gibt offensichtlich klare Gewinner- und Verlierer-Regionen; zu den Wachstumsregionen zählen dabei vor allem die Küsten- und Inselgebiete. Der Blick auf die Städte mit Bevölkerungsverlusten macht allerdings deutlich, dass regionale und kommunale Entwicklungen nicht immer parallel gehen. So zeigen sich am Beispiel Cadiz (Einwohnerverlust) und Andalusien (Einwohnerzuwachs) klar gegenläufige Tendenzen, was auf einen Suburbanisierungsprozess hindeutet. Barcelona schrumpft in einer schrumpfenden Provinz, aber in einer wachsenden Region Catalunya, während die Bevölkerungszahl in der Provinz Biskaya genauso zurückgeht wie in Bilbao oder Barakaldo. In Spanien lässt sich bis heute immer noch ein Nord-Süd-Gefälle konstatieren, wobei die Diskrepanzen nicht mehr so deutlich hervortreten wie noch vor 10 bis 15 Jahren. Regionale Disparitäten nehmen allerdings weiterhin zu die Tendenz zur Konzentration der Bevölkerung in den großen Städten hält grundsätzlich unvermindert an. Ein Bevölkerungsrückgang geht nicht immer mit einem wirtschaftlichen Rückgang einher, auch hier liegen die Prosperitätszentren in den Küstengebieten. bueroschneidermeyer Ute Margarete Meyer Jochem Schneider (1) Quelle: Auswertung Daten INE Instituto Nacional de Estadística (INE). www.ine.es Bevölkerungsentwicklung Spaniens 1981 2003 Einwohner in 1000 44 000 43 000 42 000 41 000 40 000 39 000 38 000 37 000 36 000 35 000 1981 1986 1987 1988 1989 1990 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1998 1999 2000 2001 2002 2003 Quelle: INE, bearbeitet durch bueroschneidermeyer 86 Stadtumbau in europäischen Städten mit Strukturkrisen Mittlere jährliche Wachstumsrate in Prozent, nach Provinzen 19812001 Barakaldo <-0,2 -0,2 bis 0,2 >0,2 Quelle: INE bearbeitet durch bueroschneidermeyer Wirtschafts- und Sozialgeographie2 Spanien ist ein attraktiver Investitionsstandort. Hauptinvestoren sind die EUPartner. Umgekehrt hat sich auch die spanische Wirtschaft stark internationalisiert und engagiert sich zunehmend im Ausland, vorzugsweise ebenfalls innerhalb der EU. Mit rund 50 % bleibt das spanische Auslands-Investitionskapital also weitgehend auf dem Kontinent; flossen früher ca. zwei Drittel nach Lateinamerika so sind es heute nur noch rund 20 %. (2) Quelle: Länderinformationen des Auswärtigen Amtes der Bundesrepublik Deutschland Die spanische Wirtschaft verzeichnet auch in kritischem weltwirtschaftlichen Umfeld relativ hohe Wachstumsraten (2003: 2,4 %). Die Inflationsrate ging 2003 auf 2,7 % zurück (Dez. 2002: 4 %). Trotz beachtlicher Beschäftigungserfolge hat Spanien mit ca. 11% eine der höchsten Arbeitslosenquoten der EU (1996: 22,9 %). Mit einem Gesamtvolumen von 57,3 Mrd. E an Strukturbeihilfen im Förderzeitraum 2000 bis 2006 ist das Land größter Nettoempfänger der EU. Das Durchschnittseinkommen erreicht mittlerweile 86 % des Mittelwerts der 15 EU-Staaten (1994: 75 %). Rechnet man die zehn neuen EU-Mitglieder dazu, so bewegt sich das Durchschnittseinkommen in Spanien im Vergleich zu den anderen Ländern der erweiterten EU auf einem Niveau von etwa 93 %. Werkstatt: Praxis Heft 37 Der spanische Arbeitsmarkt ist gekennzeichnet durch die faktische Halbierung der Arbeitslosigkeit seit 1994 bei gleichzeitigem Anstieg der Beschäftigtenzahlen um über 30 % auf fast 17 Mio. Die Zahl der Arbeitslosen steigt mittlerweile allerdings wieder: 2003 waren bei 11,3 % Arbeitslosigkeit 16,7 % der Frauen (Vorjahreszeitraum 16,5 %) und 32,9 % (Vorjahreszeitraum 28 %) der Jugendlichen ohne Beschäftigung. Der Anteil der befristeten Beschäftigungsverhältnisse liegt gleich bleibend bei rund 30 %. Über 90 % der neu abgeschlossenen Arbeitsverträge sind befristet. Die Arbeitseinkommen stiegen 2003 um 3,4 %. Die Tarifverhandlungen orientieren sich an den Leitlinien eines jährlich neu vereinbarten Rahmenabkommens (eine Art Manteltarifvertrag) über Lohnerhöhungskorridore, Flexibilisierung der Arbeit, Gleichstellung, Telearbeit sowie Sicherheit und Gesundheit am Arbeitsplatz. Die Streikneigung nimmt seit über zehn Jahren ebenso kontinuierlich ab wie die Zahl der beteiligten Arbeitnehmer, der betroffenen Betriebe und der streikbedingt ausgefallenen Arbeitsstunden; sie bleibt aber im EU-Vergleich weit überdurchschnittlich. Spanien hat seit drei Jahren einen ausgeglichenen Haushalt. Unter Einbeziehung der staatlichen Sozialversicherung wurde 2003 sogar ein leichter Überschuss ausgewiesen ( +0,5 %). Durch ein umfassendes Privatisierungsprogramm hat sich die spanische Regierung im Verlauf der letzten Jahre von rund 40 staatlichen Unternehmen getrennt und damit Einnahmen von ca. 27 Mrd. E erzielt. Das Privatisierungsprogramm ist damit weitgehend abgeschlossen. Nach einem Überschuss in den Jahren 1995 bis 1997 weist die spanische Leistungsbilanz seit 1998 ein Defizit auf (2003: -22 Mrd. E ); die Einnahmen aus dem Tourismus (2003: 36,9 Mrd. E) reichen dabei nicht mehr aus, die Verluste aus der Handelsbilanz zu kompensieren. Literatur- und Quellenangaben www.ine.es; INE Instituto Nacional de Estadística (INE) (Stand 12/2004) Länderinformationen des Auswärtigen Amtes der Bundesrepublik Deutschland Spanien Fallstudie Barakaldo 87 Barakaldo Ausgangslage und Rahmenbedingungen Barakaldo ist heute eine Stadt mit 95 000 Einwohnern und liegt zehn Kilometer nördlich von Bilbao am Zusammenfluss der beiden Flüsse Galindo und Nervion im geographischen Zentrum der Metropolregion Bilbao. Barakaldo beleuchtet ganz Bilbao! Dieser selbstbewusste Leitsatz ist begründet in der industriellen Entwicklung und dem dynamischen Wachstum der Stadt im Laufe des 20. Jahrhunderts. Schon Ende des 19. Jahrhunderts wurde Barakaldo zur Keimzelle der Eisen- und Stahlindustrie in der Region Biskaya. Die Anlagen von Altos Hornos de Vizkaya (AHV)1 prägen das Bild und die Geschichte von Stadt und Region; sie sind Symbol für wirtschaftliches Wachstum und industrielle Großproduktion. Die sprunghafte Produktionssteigerung spiegelt sich in Städtebau und Bevölkerungsentwicklung wider: Im Jahre 1900 verzeichnete die Stadt 15 000 Einwohner und 80 Jahre später achtmal so viele. Ein explosionsartiger Arbeitskräftebedarf führte zu unkontrollierten Siedlungsentwicklungen und massiven räumlichen Verdichtungsschüben. Die urbane Struktur und das soziale Netz erfuhren extreme Beanspruchungen. Die fundamentale Krise der Eisen- und Stahlindustrie in den ausgehenden 1970er Jahren brachte die Stadt trotz vehementer staatlicher Interventionen in eine existentielle Krise. Von 19 000 Arbeitsplätzen im industriellen Bereich im Jahr 1981 blieben 1993 noch 4 700 übrig. Mit dem Totalverlust der Stahlproduktion verlor die Stadt ihre wirtschaftliche Basis. Die Arbeitslosenrate lag zwischenzeitlich bei 27 %, bei Jugendlichen zeitweise sogar über 50 %. Die Bevölkerung reduzierte sich zwischen 1981 und 1993 von 117 000 auf 104 000 (-13,3%) und bis zum Jahr 2003 nochmals um weitere 10 000 (durchschnittlicher Rückgang ca. 1 % pro Jahr). Barakaldo lässt sich räumlich in einen nördlichen und einen südlichen Teil unterteilen; während sich im nördlichen Bereich Siedlungsflächen und (vormalige) Produktionsstätten befinden, ist der südliche Bereich eher landschaftlich geprägt. Beide Teile werden durch die Autobahn A8 getrennt, die in west-östlicher Richtung San Sebastian und Santander verbindet. Der nördliche Teil besteht aus der Altstadt (Subcentro Norte) und Cruces (Subcentro Urbano Sur). Während sich in der Altstadt die bueroschneidermeyer Ute Margarete Meyer Jochem Schneider (1) Hochöfen Biskaya Regionalplan Metropolregion Bilbao (Plan General) Quelle: Diputación Foral de Bizkaia 2003 88 Stadtumbau in europäischen Städten mit Strukturkrisen typischen Kernfunktionen befinden, ist Cruces vorwiegend Wohnstandort und Sitz des städtischen Klinikums. Betrachtet man die Entwicklung bis in die 1990er Jahre, zeigt sich eine räumlich fatale Konsequenz der wirtschaftlichen Dynamik: Um die Kernstadt hat sich eine Art moderne Stadtmauer aus Industrieanlagen gebildet, die über ein eigenes Infrastrukturnetz verknüpft sind. Für das Gefüge der Stadt scheint so das Bild eines Stadtarchipels zutreffend, dessen verschiedene Teile äußerst mangelhaft verbunden sind. Eine weitere Folge sind fehlende städtische Freiund Grünflächen (vgl. Foto StadtumbauGebiete in Barakaldo, S. 11). Mit dem Niedergang der Bergbau- und Montanindustrie geriet nicht nur Barakaldo sondern die gesamte Region, Baskenland und Asturien, in eine weit reichende Identitätskrise. Im Wandel zeigten sich überraschende Allianzen, so wurde die Krise (auch) als Chance begriffen und einte offensichtlich Politik und Bürgerschaft zu einem gemeinsamen Handeln. Die Provinzverwaltung wurde mit weit reichenden Kompetenzen versehen, regionalplanerische Steuerungsinstrumente erfuhren ungeahnten Rückenwind und die Idee der Metropolregion Bilbao gewann auf breiter Ebene politisch gestützt an Konturen. Der Imagewandel weg von der ETA hin zum Neuen Bilbao, das mit dem Guggenheim Museum seither über ein omnipräsentes Aushängeschild verfügt, steht für einen Strukturwandel, der weit über die Grenzen der Stadt hinausgeht. Der Übergang von der Industrie- zur Dienstleistungs- und Ereignisgesellschaft wird exemplarisch an der Umwertung eines der Kernelemente der Region deutlich beim Fluss und seinen Ufern: Früher Transportweg und Produktionsort wird er jetzt zum Freizeitweg und Kulturort. Dabei geht es in erster Linie um eine Neubewertung der vorhandenen räumlichen Strukturen. An Flächenpotenzialen mangelte es dabei auch in Barakaldo nicht: Mit dem Abriss der Hochofenanlagen und dem Walzwerk verfügte die Stadt 1997 über 106 ha Industriebrachen, 118 ha in absehbarer Zukunft brach fallende Flächen, sowie über Areale in der Größe von 27 ha, die bereits mitten im Umstrukturierungsprozess stecken und ein 33 ha großes Sanierungsgebiet. Das ist insgesamt eine Grundfläche von 285 ha, was mehr als einem Viertel der gesamten bebaubaren Fläche der Stadt entspricht. Werkstatt: Praxis Heft 37 An der Hauptschlagader des Nervion gelegen, bildet dabei das alte Fabrikareal der AHV am Galindo in Barakaldo ein räumliches und ideelles Pendant zum Uferbereich Abandoibarra in Bilbao und dem dortigen Guggenheim-Museum. Strategieansatz, Ziele und konkrete Vorhaben In Barakaldo wurde ab Mitte der 1990er Jahre ein Stadtentwicklungskonzept, der Plan General de Barakaldo, erarbeitet. Der Stadtentwicklungsplan verfolgt große Ziele Barakaldo soll von einer monostrukturellen, sektoral gegliederten Industriestadt zu einer nutzungsgemischten, postindustriellen Dienstleistungsstadt transformiert werden. Als primäres Ziel wird angestrebt, einen zergliederten, diskontinuierlichen Siedlungskörper mit isoliert voneinander liegenden Stadtteilen in einen kontinuierlichen und vernetzten Stadtkörper umzubauen. Entsprechend spielen infrastrukturelle Fragen für den Transformationsprozess eine wichtige Rolle. Im Plan General werden folgende Entwicklungsziele aufgestellt: Infrastruktur: Aufbau einer neuen Erschließungsstruktur, Verlegung des Schienennetzes und neue Metro-Anbindung (Linea 2) Freiräume: Einrichtung neuer und Aufwertung bestehender Freiräume; Umnutzung industrieller Infrastrukturtrassen Gewerbe: Aufbau eines Gewerbeparks im Bereich Ibarreta-Zuloko an der Autobahn Dienstleistung: Umnutzung des Bereichs Ansio (ehem. Walzwerk AHV) Wohnen und Freizeit: Rückgewinnung der Flussuferbereiche und Umnutzung des Bereichs Galindo. Plaza Herriko Quelle: bueroschneidermeyer Spanien Fallstudie Barakaldo 89 Diese räumlich klar identifizierbaren Entwicklungsziele werden begleitet von umfassenden Sanierungsbestrebungen im Bestand. Für das neue Bild der Stadt ist die Idee der Nutzungsmischung grundlegend. Freiraum spielt eine entscheidende Rolle, daher wird bei der Ausweisung von Mischgebieten ein gleichwertiges Verhältnis (1 : 1 : 1) zwischen Wohn-, Arbeits- und Freiraumbereichen angestrebt. Zu den Stadtumbau-Schwerpunkten zählen Maßnahmen im Bestand (Neugestaltung des zentralen Plaza Herriko und angrenzender Straßen verbunden mit der Einrichtung eines neuen Sozialzentrums und dem Bau einer Weiterbildungsstätte) genauso wie größere Stadtentwicklungsvorhaben, z. B. in den Bereichen Galindo, Ansio, Ibarreta-Zuloko und San Vincente. Im Bereich Galindo, wo vormals unmittelbar an der Mündung des Flusses die Hochöfen von AHV standen, wurde ein seit Mitte der 1990er Jahre verwaistes 50 ha großes Areal umgenutzt (vgl. Luftbild). Noch vor Abbruch der Hochöfen wurde das Projekt mit einem entsprechenden Zielkatalog für die Umnutzung in das europäische Förderprogramm URBAN 1 aufgenommen. Mit der Projektentwicklung wurde Bilbao Ria 2000 beauftragt, eine gemeinnützige Planungsgesellschaft, die auch die Revitalisierung der Flussufer in Bilbao steuert. Durch den zwischenzeitlichen Konkurs von AHV bestand eine Verfügbarkeit über die Grundstücke. Auf diese Weise konnten Handlungsspielräume geschaffen werden, da unternehmerische Gewinne aus der Vermarktung reinvestiert werden konnten. Flächen für Wohnungsbau, Freizeit- und Sporteinrichtungen, sowie Gewerbe- und Dienstleistungseinheiten sind erschlossen worden. Der geplante Anteil der Grün- und Freiflächen betrug annähernd 50 % und der Stadtumfahrungsring im Norden der Stadt wurde komplettiert. Das neue Sportstadion, eine Sporthalle, der Parque de Ribera am Flussufer, aber auch die Wohngebäude am Plaza del Desierto wie auch der Bulevar Murrieta legen heute Zeugnis über einen weit fortgeschrittenen Transformationsprozess ab. Das am deutlichsten wahrnehmbare Zeichen des Strukturwandels in Barakaldo geht zweifellos mit der Umnutzung des alten Walzwerk-Areals in Ansio einher. Hier entstand an einem verkehrlich bestens erschlossenen Standort im Zentrum der Metropolregion die neue Messe, das Bilbao Luftbild Areal Galindo Quelle: Bilbao Ria 2000 Quelle: bueroschneidermeyer Wohnquartier Plaza del Desierto Bulevar Murrieta Quelle: bueroschneidermeyer Quelle: bueroschneidermeyer Bilbao Exhibition Center in Ansio Stadtumbau in europäischen Städten mit Strukturkrisen 90 Exhibition Center (BEC) mit einer Nutzfläche von über 250 000 m². Für das Projekt wurde der alte Standort in Bilbao aufgelöst. Die neue Messegesellschaft hat sich im März 2001 gegründet und das neue Ausstellungsgelände wurde bereits im April 2004 eröffnet. Strukturell wird so der industrielle Großbaustein Walzwerk AHV ersetzt durch den postindustriellen Großbaustein BEC. In ähnlicher Kategorie wie die Messe und ebenso in eine übergeordnete Entwicklungspolitik eingebunden, ist die Errichtung des Megaparks Barakaldo zu sehen (vgl. Luftbild). Mit einer Fläche von 32,5 ha ist er der größte in Realisierung befindliche Gewerbepark im Baskenland. Unmittelbar neben der Autobahn entstehen dort Einzelhandelsflächen (125 000 m²), Parkplätze (8 000 m²), Grünflächen (104 000 m²), neue Straßen (96 000 m²) und 334 Wohnungen (davon 65 % Sozialwohnungen). Der private Projektentwickler und die verschiede- Werkstatt: Praxis Heft 37 nen Einzelhandelsfirmen investieren etwa 400 Mio. E; 4 800 neue Arbeitsplätze sollen entstehen. Schließlich entstand vom Parque de San Vincente bis zum Jardin de las Esculturas ein neuer städtischer Grünzug: Hinter der Bezeichnung Torres de San Vicente verbergen sich acht Wohntürme im Westen Barakaldos, die einen räumlichen Abschluss der Stadt im Übergang zum Umland, zu Gewerbepark, Stadtumfahrungsring und Autobahn bilden. Die sich halbkreisförmig deutlich als Stadtgrenze artikulierende Raumfigur ist über öffentliche Grün- und Freiflächen an die Altstadt angebunden. Im Zuge der Entwicklungen der letzten Jahre ist auf einem zentral gelegenen Höhenzug ein städtischer Park auf 190 000 m² entstanden. An den Rändern des Parks ist eine rege Bautätigkeit festzustellen. So ist eine Altenresidenz entstanden, einige größere Wohnblocks befinden sich 2004 gerade in der Fertigstellung (vgl. Foto). Stadtumbau-Prozess Der Planungsprozess der letzten 15 Jahre in Barakaldo folgt einem klassischen Prinzip: von oben nach unten, vom großen in den kleinen Maßstab. Nach der Ausarbeitung eines regionalen Strategie- und Entwicklungsplanes (1993/94) wurde ein Stadtentwicklungsplan erstellt (1994 1998), der nachfolgend in projektbezogenen Bebauungsplänen konkretisiert wurde. Wichtige Teilbereiche, wie etwa das Areal Galindo, konnten im Rahmen europäischer Förderprogramme profiliert werden. Im gesamten Prozess wird bewusst auf externes Fachwissen zurückgegriffen (vgl. Abb. Überblick Planungshistorie Barakaldo). Luftbild Megapark (Stand 01/2004) Quelle: Grupo Acona Quelle: bueroschneidermeyer Zentrale Grünanlagen mit neuem Kulturzentrum Grundlage für das erfolgreiche Vorgehen ist eine funktionierende Zusammenarbeit unterschiedlicher Institutionen auf staatlicher und auf regionaler Ebene genauso wie in Provinz und Stadt. Die Bewilligung von Urban-Mitteln aus EU-Programmen ist ein wichtiger Grundstein für den Fortgang des Stadtumbau-Prozesses. So konnten parallel zu ersten Maßnahmen im Bestand sukzessive weitere Planziele konkretisiert werden. 1999 wurde dann das Stadtentwicklungskonzept verabschiedet und in einzelnen Bebauungsplänen vertieft. Im Bereich Galindo konnten so erste Umnutzungsbausteine bereits zwei Jahre später eröffnet werden (Centro CEDEMI, Parc Ribera). Parallel wurde mit neuen Hochbauvorhaben begonnen Spanien Fallstudie Barakaldo 91 Überblick Planungshistorie Barakaldo Übersicht Planungsabläufe Barakaldo 1990 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 Raumordnungsplanung D.O.T. Regionalplanung P.T.P. Plan General de Barakaldo / Stadtentwicklungskonzept Urban 1 Programm Umsetzungsmaßnahmen im Stadtzentrum Galindo Ansio | Messe Planung Umsetzung Planung Planung Ibarreta | Megapark San Vincente | Park + Wohnen Umsetzung Planung Umsetzung Umsetzung Quelle: bueroschneidermeyer (Stadion, Plaza del Desierto, Südumfahrung). Im März 2001 fiel die Entscheidung zur Ansiedlung der Messe und im Juni wurde bereits die Baugrube ausgehoben. Etwa zum selben Zeitpunkt verständigte sich die Stadt mit einem privaten Projektträger über die Entwicklung des Megaparks, der wie die Messe nach drei Jahren Bauzeit 2004 öffnete. Währenddessen forcierte die Kommune den Ausbau im Bestand, die Renovierung und Sanierung bestehender Wohngebiete und den Ausbau der städtischen Freiflächen und Grünanlagen. Dem Prozess des Stadtumbaus liegt eine Organisationsstruktur zugrunde, in der das Stadtplanungsamt in erster Linie Koordinierungsaufgaben übernimmt und viele Aufgaben delegiert: Bilbao Ria 2000 entwickelt das Projekt Galindo mit weit reichenden Planungsund Entscheidungskompetenzen, die Messe wird über eine eigene Betreibergesellschaft gesteuert, der Bereich Ibarreta-Zuloko/Megapark wird als Public-Private-Partnership entwickelt. Die Stadt agiert vorwiegend im Bestand, nicht selten auch in eher kleinteiligen, aber bedeutsamen Kontexten. Öffentlichkeitsarbeit und Bürgerbeteiligung Über die gesetzlich vorgeschriebenen Beteiligungsverfahren (Anhörung, Möglichkeit zur Stellungnahme) sind keine weiteren partizipatorischen Elemente im Planungsprozess anzutreffen. Punktuelle Aktivitäten von Initiativgruppen und Streitigkeiten im Zusammenhang mit dem Megapark, die bis hin zu juristischen Auseinandersetzungen reichen, untermauern diesen Eindruck. Im Gegensatz hierzu überrascht die Breite und Intensität der planungsbezogenen Öffentlichkeitsarbeit. Es existiert eine weit gefächerte, allgemein ausgerichtete Informationspolitik für Bürger: Stadtführungen, eine aufwändig gestaltete Stadtzeitung, Ausstellungen zu städtebaulichen Entwicklungen, ein breites Informationsangebot auf der städtischen Homepage, Einweihungsfeste und gezielte Events, Infostellen und Infotafeln, Radiobeiträge und Pressemitteilungen. Diese Aktivitäten werden ergänzt durch gezielte Fachinformationen, wie z. B. detaillierte Dokumentation aller wesentlicher Planungsüberlegungen, Fachtagungen, Teilnahme an Fachmessen (z.B. MIPIM/Cannes). Hinzu kommen Aktivitäten von Bilbao Ria 2000: eine quartalsweise erscheinende Fachbroschüre, ein jährlicher Rechenschaftsbericht, Teilnahme an Wettbewerben (z.B. Auszeichnung mit dem Spezialpreis Citta dAcqua bei der Bienale di Venezia 2004), u.a.m. Welche Bedeutung Bilbao Ria 2000 dieser Aufgabe beimisst, zeigt die Tatsache, dass in einem Mitarbeiterstamm von 20 Personen drei Journalisten beschäftigt werden. Öffentlichkeitsarbeit: Zeitschriften von der Stadt Barakaldo und Bilbao Ria 2000 Quelle: Bilbao Ria 2000 92 Stadtumbau in europäischen Städten mit Strukturkrisen Werkstatt: Praxis Heft 37 Finanzierung Städtebauliche Instrumente Bei den verschiedenen Entwicklungsbereichen sind ganz unterschiedliche Finanzierungs- und Fördermodelle anzutreffen. Das Projekt Galindo basiert auf einer Mischfinanzierung aus kommunalen und regionalen Investitionen sowie europäischen Fördermitteln wesentlich ergänzt durch die Reinvestition von Erschließungsgewinnen aus den Grundstücksverkäufen. Bei der Messe wird die Finanzierung durch eine Messegesellschaft sichergestellt, in der die Landes- und Provinzregierung über 80 % der Anteile hält. Nochmal anders sieht es beim privat finanzierten Gewerbepark aus, wo der Investor das Grundstück auf 100 Jahre gratis pachten kann, dafür aber im Gegenzug Infrastruktur- und Verkehrseinrichtungen zur Verfügung stellt. Auffällig bei der Finanzierung ist die Rolle der europäischen Förderprogramme. Die Stadt erhält etwa im Bereich Galindo aus dem Urban-Programm Mittel in Höhe von 45 % der Gesamtinvestitionen (ca. 25 Mio. E). Weitere 30 % der Investitionsmittel kommen von Land und Stadt, 25 % werden über Erschließungsgewinne abgedeckt. Im Stadtentwicklungsplan werden als Instrumente der Bodenordnung bei Stadtentwicklungsmaßnahmen drei Möglichkeiten genannt: Kompensation, Kooperation und Enteignung. Die Bereiche Galindo und Ansio befanden sich bereits vor der Konversion im öffentlichen Besitz, hier bestanden klare Ausgangsbedingungen. Da mit den Eigentümern im Bereich Ibarreta-Zuloko keine Einigung erzielt werden kann, griff die Stadtverwaltung in diesem Bereich auf das Instrument der Enteignung zurück. Fast alle Stadtumbau-Projekte in Barakaldo werden auch über die Regionalen Strukturfonds der EU gefördert. Die Verteilung erfolgt über die Regionalregierung. Der Förderbetrag für das gesamte Baskenland beträgt im Zeitraum 2000 bis 2006 587,6 Mio. E (ausgehend von Gesamtinvestitionen in Höhe von 1.316,2 Mio. E). Im Plan General de Barakaldo wird auf weitere Finanzierungsmöglichkeiten hingewiesen: Infrastrukturprogramm Programa de Infrastructuras Industriales y Tecnológicas Umweltschutzprogramm Programa de Protección y Recuperación Medio ambiental Wohnungsbauprogramm Programa de Protección y Recuperación de Viviendas Wirtschaftsförderprogramm Promoción de la Actividad Económica Resümee Die Entwicklungen in Barakaldo sind in eine regionale Perspektive eingebunden, was in der fast lehrbuchartigen Planungsabfolge vom Regionalplan (1993/1994) über den Stadtentwicklungsplan (1995 1999) zum einzelnen Bebauungsplan ablesbar wird. Entsprechend bedurfte es für die Neuausrichtung der Stadt einer konzertierten Aktion aller beteiligten Gremien und Institutionen von Staat, Land, Provinz, Region und Kommune. Sogar die europäische Ebene wurde über die Fördermaßnahmen der EU eingebunden. Diese Zusammenarbeit konnte erfolgreich koordiniert werden und bildete die wesentliche Grundlage für eine weit reichende wirtschaftliche Kurskorrektur und Umorientierung in der Stadt. Dabei bleibt aber festzuhalten, dass die neue Entwicklung in weiten Teilen dem tradierten Wachstums- und Prosperitätsmodell folgt etwa wenn mit der Ansiedlung der Messe ein neuer Großbaustein den alten ablöst. Die räumliche Entwicklung widerspricht hier in gewissen Punkten den im Plan General formulierten Ziel einer nachhaltigen, diversifizierenden und vernetzenden Entwicklung, da Megapark und Messe sich allein schon aufgrund ihrer Ausdehnung als Barriere zwischen den einzelnen Stadtteilen erweisen und die angestrebte Einbindung erschweren. Bei der Entwicklung wurde darauf geachtet, dass die neuen Bausteine mit unterschiedlichen Trägermodellen umgesetzt werden, bei denen sowohl öffentliche wie auch private Mittel eingesetzt werden. Durch die Spanien Fallstudie Barakaldo Einbindung von Bilbao Ria 2000 wurde im Bereich Galindo eine unabhängige, externe Institution mit der Projektentwicklung beauftragt, die aber durch ihren gemeinnützigen Auftrag gebunden ist. Nicht zuletzt durch Maßnahmen in diesem Bereich konnte Barakaldo seinen Freiraumund Grünflächenanteil in wenigen Jahren von 8 % auf 24 % steigern (bezogen auf die gesamte Siedlungsfläche). Neue öffentliche Räume fördern eine veränderte Selbstwahrnehmung und stärken die Identität (z. B. Flussufer, botanischer Garten). Mit markanten Hochbauprojekten wurden neue Zeichen gesetzt, die für einen Imagewandel von Bedeutung sind (wie etwa das Stadion, die Sporthalle oder auch die Messe). Dass dabei auch ganz kleine Objekte eine Bedeutung gewinnen können, unterstreicht das Beispiel des alten Lastkrans am Ufer des Nervion. Durch die gezielte Akzentuierung historischer Fragmente konnte trotz grundlegender Umgestaltung eine geschichtliche Tradition gepflegt und weitergetragen werden. In Barakaldo wird so eine Verschränkung und wechselseitige Abhängigkeit zwischen infrastrukturellen, städtebaulichen, freiraumplanerischen und architektonischen Strategien ablesbar mit unterschiedlichen Gewichtungen und Qualitäten. Dabei werden kurzfristige Maßnahmen, die eine unmittelbare Veränderung im Bestand bewirken, von Anbeginn gezielt mit langfristigen Planungsansätzen gekoppelt. 93 Die Projekte entwickeln sich dabei vor dem Hintergrund einer breiten europäischen, staatlichen und regionalen Förderkulisse. Dies schafft Möglichkeiten, aber auch Abhängigkeiten und Disparitäten. Wie unterschiedlich Zukunftsperspektiven sein können, zeigt der Blick auf die Nachbarkommune Sestaõ: Während in Barakaldo der neue Megapark eröffnet wird, demonstrieren hier 1 500 Arbeiter mit ihren Familien erbittert um den Erhalt ihrer Arbeitsplätze in der staatlichen Stahlindustrie. Die Bearbeiter danken Manuel Sanchez L. Collado, Pedro J. Jáuregui Fernández und Ramón Mardones Ibarra für ihre Unterstützung bei der Recherche. Literatur- und Quellenangaben Barakaldo. Avance del Plan General de Ordenación Urbana. Barakaldo 1997 Barakaldo. Revista de Información Municipal N° 1-37. Barakaldo 20002004 Diputación Foral de Bizkaia (Regionalregierung Vizkaya) (Hrsg.): Plan Territorial Parcial del Bilbao Metropolitano. 02/2003 EUROSTAT. www.eds-destatis.de (Stand 10/2004) Grupo Acona. www.megapark.es (Stand 10/2004) Instituto Nacional Estatistica INE. www.ine.es (Stand 10/2004) Rechenschaftsberichte Bilbao Ria 2000. Bilbao 20012004 Bilbao Ria 2000, Revista de divulgación editada por la sociedad Bilbao Ria 2000, N° 1-9. Bilbao 2000 2004 Cenicacelaya, Javier et al: Bilbao. Una Vision Urbana 1300 2000. Bilbao 2001 94 Stadtumbau in europäischen Städten mit Strukturkrisen Werkstatt: Praxis Heft 37 Abstract Barakaldo, a town in northern Spain, has 95,000 inhabitants and is located 10 km north of Bilbao, the capital of the province Vizkaya. After a century of explosive growth in terms of production as well as the number of inhabitants the city suffered a total collapse of the local steel industry in the 1980s. Three quarters of the industrial workplaces were irretrievably lost. In the subsequent 20 years, 20% of the population left the town and the unemployment statistics occasionally reached 27%, even higher for young people. Urban development in accordance with production demands has resulted in a separation of different boroughs and has constricted the inner-city. After the industrial site had been shut down, 285 hectares needed to be restructured, which approximately amounted to one quarter of the entire urban area. However, Barakaldo was not alone in this task. With the decline of the mining, iron and steel industry, the whole region, Pais Vascos (the Basque region) and Asturia, endured a farreaching identity crisis. Yet this was (also) perceived as a chance: regional planning became important as a discipline because of its reliable control tools to structure the transformation process. In the 1990s, the idea of the metropolitan region Bilbao began to take shape. Since 1994, Barakaldo has been working on a new urban development plan designed to structure the change. The core issues are infrastructure, open space, business, services, housing, and leisure. All these aspects are allocated to different sites. The urban transformation is especially apparent at four locations in the city: (1) Blast Furnace Vizkaye was the largest national metal and steel producing business in Spain in the 20th century. A large area (50 ha) of mixed uses with a high percentage of sports fields and open spaces is being created at Galindo, a site along the river where once Altos Hornos Vizkaya1 had their headquarters. The project is financed by the Urban programme of the European Union and planned and marketed by Bilbao Ria 2000", a non-profit planning organisation that has also driven the process of development along the river in Bilbao. The Bilbao Exhibition Centre is built on the site of the former rolling mill. This is the new trade fair for the region. The decision for this location was taken because of the excellent traffic connections and the availability of the land. The largest business park of the region (32.5 ha) is being built directly next to the motorway. A private developer (Grupo Arcona) has agreed with the city to construct part of the infrastructure (open spaces and the city bypass). In return, the developer will receive the business park plot rent-free for a period of 100 years. A park is being developed in the city centre that links different parts of the town and creates housing space around it. The requalification process in Barakaldo follows a classical model of planning theory from the large scale on the regional level to the small scale of a local building development plan. Of central importance for the process has been the availability of land, the concentration of funding, and the existence of superior transport links. The various projects pursue different objectives: while the project at Galindo clearly answers local problems, elements such as the trade fair or the business park operate in the regional context. This is also evident in the corresponding financial and organisational models. An identity and structural transformation is well underway in Barakaldo, evidently supported by a large majority of the inhabitants. This is certainly also a result of very successful public relations although direct participation of the citizens does not play an important role. Today the process of urban requalification is visible in a variety of concrete examples the reconstruction of the old crane at the river on one hand or the exhibition centre and the sports stadium as almost symbolic icons of change on the other. Only time will tell if all the diverse elements can interlock and create synergies in the long run and if the old risk of becoming dependent on large dominant structures can be effectively avoided. 95 Frankreich: Nationaler Kontext und Fallstudien Nationaler Kontext Demographie Frankreich ist bevölkerungspolitisch mittelfristig ein wachsendes, kein schrumpfendes Land. Eine Gegenüberstellung der mittel- und langfristigen Wachstumsszenarien in Deutschland und Frankreich zeigt, dass Frankreich bis zum Jahr 2040 eine nahezu 10 %-ige Bevölkerungszunahme verzeichnet, während die Bundesrepublik in diesem Zeitraum rund 15 % ihrer Bevölkerung verlieren wird. Erst ab Mitte dieses Jahrhunderts wird auch in Frankreich die Gesamtbevölkerung schrumpfen (vgl. Tabelle). Entwicklungsprognose der Gesamtbevölkerung Frankreich/Deutschland (in 1 000) Jahr 2000 2010 2020 2030 2040 2050 Deutschland Frankreich 81 985 81 986 78 792 75 187 70 457 64 973 58 744 61 061 62 734 63 734 64 468 64 032 Quelle: Statistisches Bundesamt, Wiesbaden/ INSEE, Paris Allerdings verläuft dieser (moderate) Wachstumsprozess in Frankreich in regionaler und subregionaler Hinsicht keineswegs einheitlich. Insgesamt wird die Bevölkerung im Süden Frankreichs stärker wachsen, während sich in den nord-östlichen Regionen (mit Ausnahme des Elsass) das Wachstum abschwächen und der Wendepunkt bereits früher erreicht werden wird. Vergleichbar mit der Entwicklung in Deutschland befindet sich auch in Frankreich die Bevölkerung in einem säkularen Alterungsprozess: der Anteil der 65-Jährigen und älter wird von heute 16 % auf knapp 30 % ansteigen.1 Wirtschafts- und Sozialgeographie Frankreich hat in den vergangenen Jahren ein insgesamt etwas stärkeres Wirtschaftswachstum als die Bundesrepublik Deutschland zu verzeichnen, weist aber dennoch ein vergleichbares, dauerhaftes hohes Niveau der Arbeitslosigkeit (von ca. 10 %) auf allerdings auch mit regionalen und lokalen Gefällestrukturen. In den Jahren zwischen 1950 bis 1990 war Frankreich noch durch eine starke wirtschaftsgeographische Gefällestruktur geprägt und die Unterschiede zwischen dem dominierenden Zentrum Paris, den wachstumsstarken nördlichen und östlichen Regionen und dem Rest Frankreichs beherrschten über lange Zeit die Politik und die Öffentlichkeit Frankreichs. Heute sind diese regionalen Unterschiede weitaus weniger ausgeprägt, nicht zuletzt auch aufgrund einer umsetzungsorientierten und stark ökonomisch ausgelegten Raumordnungspolitik in diesem genannten Zeitraum. Deutsch-Französisches Institut Wolfgang Neumann Pierre Kukawka Stadtumbau-Debatte Eine breite Stadtumbau-Debatte im Sinne einer Diskussion über schrumpfende Städte und eine damit unmittelbar verknüpfte Rückbaudebatte gibt es in Frankreich nicht. Im Mittelpunkt stehen vielmehr Ansätze und Debatten der Stadterneuerung (Renouvellement urbain bzw. in aktuellster Ausprägung als Renovation urbaine), die in ihrer allgemeinsten Form als Planungsstrategien und Umsetzungspolitiken zur ökonomischen Revitalisierung, baulichen Erneuerung und sozialer/ territorialer Integration von spezifischen städtischen Problemgebieten bezeichnet werden können. Dies erklärt sich zum einen aus den Folgen der Wohnungsbaupolitik und vor allem der dominanten Großwohnsiedlungspolitik in den vergangenen Jahrzehnten in Frankreich, die den Urbanisierungsprozess in erheblichem Umfang geprägt haben. Das in Frankreich deutlich höhere Gewicht der Großwohnsiedlungen als Bezugspunkt einer Stadtumbau-Debatte lässt sich mit den z. T. dramatischen baulichen und sozialen Problemen und Konflikten in diesen städtischen Quartieren erklären. Zum anderen ist die französische Stadterneuerungsdebatte vor allem in den Kontext eines wirtschaftsstrukturell problematischen Wandels und seiner Folgen für Stadtentwicklung und Städtebau einzuordnen. Aus diesem Grunde spielen in der französischen Debatte die ökonomische Revitalisierung von Städten bzw. Quartieren durch unterschiedlichste Formen der staatlichen (1) Deutschland zum Vergleich: Anstieg von heute 16,2 % auf 30,2 % in 2050 96 Stadtumbau in europäischen Städten mit Strukturkrisen Wirtschafts- und Beschäftigungsförderung eine zentrale Rolle. Planungssystem Mittlerweile ist in Frankreich ein selbst für Beteiligte kaum noch durchschaubares Städtebauplanungsrecht und Städtebausystem entstanden. Dies trifft auch in einem mittlerweile z. T. dezentralisierten Frankreich zu. Die Dezentralisierungsgesetze (in mehreren Schüben seit 1982 verabschiedet) haben den Kommunen bzw. den interkommunalen Zusammenschlüssen zwar eine starke Position in Hinblick auf Flächennutzungsplan, Bebauungsplan bzw. Stadtentwicklung insgesamt verliehen, dennoch bleibt das Verflechtungsschema Zentralstaat-Gebietskörperschaften in vielen Teilbreichen der Stadtentwicklung und der Stadtpolitik vom Zentralstaat dominiert. Das Städtebaugesetz aus dem Jahr 2000 veränderte die Planungsgrundlagen dadurch, dass es die bisherigen Flächennutzungspläne (schéma directeur) und die Bebauungspläne (plans doccupation du sol) in wichtigen Punkten modifizierte: Kern ist eine Abkehr von einer Politik der Zersiedelung hin zu einer stärkeren Verdichtung und Nachverdichtung. Zugleich wurden die bisherigen gesetzlichen Vorgaben für die Bebauungsintensität abgeschafft es herrscht mit anderen Worten eine weitestgehende kommunale Planungsfreiheit. Allerdings wird diese von den begrenzten finanziellen Ressourcen der Kommunen eingeschränkt. Bei größeren Projekten ist deshalb das Verfahren so, dass die Gemeinde die grundsätzliche Konzeption erarbeitet und dann versucht den Zentralstaat oder die übergeordneten Gebietskörperschaften als (Mit-) Träger des Vorhabens zu gewinnen. Die ökonomische und soziale Fokussierung der Stadterneuerungsdebatte und Politik steht in einem ebenfalls sehr spezifisch französischen Kontext, was das Planungssystem und die stadtpolitischen und städtebaulichen Leitbilder und Instrumente betrifft. Damit ist in erster Linie die französische Stadtpolitik Politique de la Ville angesprochen. Diese hat sich von einer politischen Strategie der Reintegration benachteiligter Stadtviertel in den französischen Großstädten zu Beginn der 1980er Jahre über eine soziale Stadtentwicklungspolitik mit erweiterter räumlicher und organisatorischer Perspektive zu einer heute Werkstatt: Praxis Heft 37 hoch ausdifferenzierten ressortbezogenen und sektoral übergreifenden Politik auf zentralstaatlicher und gebietskörperschaftlicher Ebene weiter entwickelt. Mit Blick auf Organisations- und Akteursstrukturen der Politique de la Ville ist der so genannte Contrat de Ville von herausragender Bedeutung. In diesem Stadtvertrag werden alle zwischen Staat und Kommune vertraglich geregelten Projekte und Maßnahmen der Stadtentwicklung und Stadterneuerung zusammengefasst. Diese Stadtverträge sind ihrerseits wieder Teil der Planverträge zwischen den Regionen und dem Zentralstaat. Die Planverträge mit einer Laufzeit von sieben Jahren sind verbindliche vertragliche Festlegungen der planerischen und finanziellen Grundlagen von Einzelprojekten. Von erheblicher Bedeutung für die Stadtentwicklung und Stadterneuerung sind die so genannten grands projets urbains heute grands projets de villes (GPV). Sie umfassen alle besonders großen städtebaulichen Maßnahmen und Projekte und werden parallel zu dem Contrat de Ville mit einem eigenen Organisationsmodus und unter Leitung des Zentralstaats durchgeführt. Die GPV sind der konkreten Planungs- und Handlungsrahmen innerhalb dessen Kommune/Region/Staat und weitere Partner (z. B. die großen Gesellschaften des sozialen Wohnungsbaus oder auch private Akteure) stadterneuerungspolitische Maßnahmen ab einer bestimmten Größe durchführen. Insgesamt gibt es 55 solcher Großen Stadtprojekte, die einen vom Stadtministerium geleiteten Verbund bilden. Städtebauförderung Der gesamte französische Kontext der Stadterneuerungsdebatte wird von der weiterhin hohen Priorität, die der Verknüpfung von Wirtschaftsförderungs- und städtebaulicher Aufwertungsstrategie eingeräumt wird, bestimmt. Angesprochen ist damit zum einen der Einsatz zahlreicher Instrumente der Wirtschafts- und Beschäftigungsförderung, die unabhängig vom räumlichen Bezug im französischen Förderarsenal enthalten sind. Es findet mit anderen Worten eine Integration von unterschiedlichen Fachpolitiken statt, die nicht Teil des institutionellen Dispositifs der Stadtpolitik sind, aber von dieser faktisch eingebunden und koordiniert werden. Zum anderen angesprochen ist der forcierte Frankreich: Nationaler Kontext kleinräumige Einsatz steuer- und abgabenpolitischer Instrumente zur Revitalisierung bzw. Stabilisierung von wirtschaftlichen Problemgebieten durch das Instrument der Zonage, dem wohl interessantesten Ansatz innerhalb des Instrumentariums französischer Stadtpolitik: Die jeweilige Ausweisung als Förderungszone in eine der drei Kategorien zones urbaines sensibles (ZUS), zones de redynamisation urbaine (ZRU) oder zones franches urbaines (ZFU), deren gemeinsamer Bezugspunkt das Vorhandensein problembelasteter Grands Ensemble in einem Quartier ist, erfolgt entlang einer Hierarchie von Kategorien, die den wirtschaftlichen und sozialen Problemdruck und damit den finanziellen Aufwand der Wirtschaftsfördermaßnahmen bestimmen. Auf der untersten Problemebene gibt es heute 700 ausgewiesene zones urbaines sensibles, Quartiere, die durch ein ausgeprägtes Ungleichgewicht zwischen Wohnund Beschäftigungsmöglichkeit geprägt sind. Unternehmen, die sich in diesen Zonen neu ansiedeln, werden von allen Gewinnsteuern befreit. Bei den 350 ausgewiesenen zones de redynamisation handelt es sich um Quartiere, in denen das oben genannte Ungleichgewicht in verschärfter Form auftritt. Unternehmen, die sich in diesen Quartieren niederlassen erhalten über die Befreiung von Gewinnsteuern hinaus zusätzliche Förderungen durch eine vollständige Befreiung von der Gewerbesteuer und einer teilweisen Befreiung von der Körperschaftssteuer. Hinzu kommen beschleunigte Abschreibungsmöglichkeiten und die teilweise Befreiung 97 von Sozialabgaben der Beschäftigten in der ZRU. In den sog. städtischen Freizonen (ZFU) müssen die ökonomischen und auch die sozialen Probleme in besonders gravierender Weise ausgeprägt sein. Der umfangreiche Förderkatalog umfasst deutlich mehr Maßnahmen als bei den beiden vorher genannten ZUS und ZRU und zielt nicht nur auf die wirtschaftliche Dynamisierung, sondern auch auf die soziale und wohnungspolitische Vitalisierung sowie auf eine Verbesserung öffentlicher Infrastrukturleistungen. So werden in diesen Zonen auch private Investitionen in den Mietwohnungsbau gefördert bzw. der Erwerb von Wohnungseigentum. Zudem zählen zum Förderkatalog eine Reihe von Einzelmaßnahmen bei der Gewerbeansiedelung, die sich als Steuer- und Abgabenbefreiung bei allen anfallenden Steuerarten bis zu bestimmten Obergrenzen zusammenfassen lassen. Das Prinzip der städtischen Freizonen wurde von der Europäischen Kommission mit der Auflage genehmigt, dass die Förderung nur Unternehmen mit bis zu 150 Beschäftigten gewährt wird. Literatur- und Quellenangaben Gamblin (Hrsg.): La France dans ses Regions, Paris 2000 Statistisches Bundesamt, Wiesbaden/INSEE. Paris 98 Stadtumbau in europäischen Städten mit Strukturkrisen Werkstatt: Praxis Heft 37 Romans Ausgangslage und Rahmenbedingungen Deutsch-Französisches Institut, Ludwigsburg Wolfgang Neumann Pierre Kukawka Romans-sur-Isère ist eine Stadt mit ca. 30 000 Einwohnern und liegt in dem Departement Drôme im Südosten Frankreichs. Zusammen mit der unmittelbaren Nachbarstadt Bourg-de-Péage bildet Romans eine Agglomeration von etwas mehr als 50 000 Einwohnern. Vom Mittelalter bis zur industriellen Revolution war Romans eine sehr große Handels- und Handwerksstadt, dessen Brücke man gezwungenermaßen überqueren musste, um von Lyon nach Marseille zu gelangen. Die Wirtschaft beruhte zunächst auf der Leinen-, später auf der Seidenverarbeitung, der Gerberei und der Lederverarbeitung. Zur Zeit der Revolution gingen die wirtschaftlichen Tätigkeiten zurück. Zwischen 1870 und 1914 erfuhr die Schuhindustrie einen enormen Aufschwung und ging von einer noch handwerklichen Produktion in eine Ära der industriellen Fertigung über. In einer weiteren Phase zwischen 1914 und 1939 wurde Romans eine sehr renommierte Schuhstadt. Dieser vorherrschende Wirtschaftszweig prägte nicht nur die Bevölkerung tief greifend in ihren Lebensbedingungen sondern auch die Stadt in ihrer Architektur und Siedlungsstruktur. Zwischen 1880 und 1950 entstanden die Fabriken und die Wohnhäuser des Bürgertums im Zentrum der Stadt. Romans entwickelte sich weiter in Form konzentrischer Kreise, und ab 1930 verstärkte sich die Zersiedelung durch das Entstehen zahlreicher Einfamilienhäuser. Zwischen 1950 und 1975 entstanden neue Wohnquartiere an der Peripherie der Stadt. Die sozial-räumliche Teilung der Stadt wurde durch die Entstehung hochwertigen Wohnraums entlang der Isère noch weiter verstärkt. 1962 wurden mehr als 2 000 Bewohner von Romans, vor allem Arbeiter, in Romans Bourg Quelle: Joel Garnier neuen Siedlungen untergebracht, die oft von den großen Leder- und Schuhunternehmen finanziert wurden. In ganz besonderer Weise wurde die räumlich-soziale Segregation innerhalb der Stadt durch die entstehende Großwohnsiedlung La Monnaie gekennzeichnet. Die Erstellung dieses Wohnquartiers ausschließlich sozialer Wohnungsbau führte zu einer massiven Abwanderung des größten Anteils der Arbeiterbevölkerung Romans aus dem damaligen Stadtzentrum. In dem Quartier wohnten zeitweise bis zu 10 000 Einwohner, d. h. ein Drittel der Stadtbevölkerung. In den 1970er Jahren erlebte die ehemals blühende französische Hauptstadt der Schuh- und Lederindustrie Romans einen dramatischen Niedergang dieser Monoindustrie. Die Wirtschaftskrise mit hoher Arbeitslosigkeit beschleunigte die Wirkungskette Krise Verlust an Arbeitsplätzen Abwanderung innerstädtisch zentral gelegene Industriebrachen Wohnungsleerstand. Eine bereits vorher begonnene Abwanderung aus den zentralen Stadtquartieren vor allem in die peripher gelegene Großwohnsiedlung La Monnaie verstärkte sich zunächst noch. Das Ende der 1970er und in den Folgejahren immer stärker ins Zentrum der Auseinandersetzungen rückende Quartier ist mit nahezu allen baulichen und sozialen Problemen belastet, die viele Großwohnsiedlungen in Frankreich haben. In den letzten zehn Jahren hat das Quartier knapp 10 % seiner Bewohner verloren, während in der Stadt Romans insgesamt in dieser Periode keine Abwanderungsverluste zu verzeichnen sind. Nahezu ein Drittel aller registrierten Arbeitslosen in Romans wohnen in diesem Quartier; insgesamt beziehen ca. ein Drittel der Bewohner von La La Monnaie Quelle: Joel Garnier Frankreich Fallstudie Romans Monnaie das so genannte RMI, eine der deutschen Sozialhilfe entsprechenden staatlichen Unterstützung; und schließlich sind es nahezu 80 % aller neu zugezogenen Haushalte in den letzten Jahren, die unterhalb der Armutsschwelle1 leben. Der außerordentlich hohe Problemdruck wird auch dadurch deutlich, dass die Großwohnsiedlung die höchste Kriminalitätsrate aller so genannter sensiblen Wohnviertel in der gesamten Region Rhône-Alpes hat. Vor allem die Delinquenz Jugendlicher hat in den vergangenen Jahren überproportional zugenommen. Zusammenfassend lässt sich die Ausgangssituation in Romans beschreiben als Problemdruck einer wirtschaftsgeographisch eher zentral gelegenen Mittelstadt mit hohem Arbeitsplatzverlust, innerstädtischen Industriebrachen und einer Großwohnsiedlung mit erheblichen räumlichen und sozialen Segregationsproblemen. Strategie, Ziele und konkrete Vorhaben Die Stadtentwicklungsstrategie in Romans ist im Kern ökonomisch. Ausgehend vom Zusammenbruch der monoindustriellen Struktur wird versucht durch eine neue Wirtschaftsstrategie den Niedergang der Stadt und die städtebaulichen Folgen dieser spezifischen Krise zu bewältigen. Infolgedessen gibt es eine eindeutige Prioritätensetzung bei den Wirtschaftsstrukturmaßnahmen: Stadterneuerungsund Stadtentwicklungsmaßnahmen werden nicht als eigenständige Standortfaktoren betrachtet. Die wesentlichen Elemente, Ziele und konkreten Vorhaben dieser nachgeordneten Stadtumbau-Strategie lassen sich so zusammenfassen: Es wurde eine umfassende, wenn auch nicht kohärente (d. h. ohne expliziten gesamtstädtischen Bezug) Aufwertung des Stadtzentrums durch eine neue Bebauung der Industriebrachen und der Entwicklung neuer Nutzungsstrukturen, v. a. nach dem Prinzip der Nutzungsmischung gestaltet. 99 elle Verbesserungen in dem äußerst problematischen Quartier La Monnaie, die sowohl die Binnenstrukturen des Quartiers nachhaltig verändern, als auch die Einbindung in die gesamte Stadtentwicklung verbessern sollen. Prioritär bleibt für Romans jedoch der Rekurs auf die Krise der Monoindustrie und der Versuch eine neue industrielle Diversifizierungsstrategie zu entwickeln und umzusetzen. Dies ist in weiten Bereichen gelungen, auch wenn der ökonomische Problemdruck und insbesondere die Arbeitslosigkeit in Romans mit mehr als 20 % überproportional hoch geblieben ist. Die ökonomische Spezialisierungs- und Diversifizierungsstrategie ist mit einem weit reichenden Umbau der Stadt eng verflochten. Mit Blick auf die innerstädtische Aufwertungsstrategie ist vor allem das Ende der 1990er Jahre realisierte Projekt Marques Avenue von herausragender Bedeutung. Es handelt sich dabei um ein Zentrum für Fabrikverkauf von hochwertigen Produkten aus der Textil- und Bekleidungsindustrie. Es befindet sich auf einem ehemaligen Militärgelände, dessen Besonderheit die zentrale innerstädtische Lage ist. Mit einer Million Besucher/ Käufer pro Jahr ist dieses Projekt zu einem großen Erfolg für die Stadt Romans geworden, nicht nur aus ökonomisch-kommerziellen Gründen und aus Gründen einer generellen Re-Dynamisierung der Innenstadt, sondern mehr noch, weil es zu einer deutlichen überregionalen Imageaufwertung der Stadt geführt hat. Zum Erfolg hat auch die Tatsache beigetragen, dass sich Befürchtungen über die negativen Auswirkungen auf den innerstädtischen Einzelhandel in den Jahren nach der Realisierung nicht bestätigt haben allerdings konnte das Vorhaben erst nach sehr heftigen Protesten und Blockaden von Seiten des ortansässigen Einzelhandels durchgesetzt werden. Von strukturierender Bedeutung und Wirkung war in diesem Kontext die Realisierung des zentral gelegenen Einkaufszentrums Marques Avenue. Ein dritter Pfeiler dieser Stadtentwicklungspolitik waren und sind städtebauliche und wohnungspolitisch substanzi- Marques Avenue Romans Quelle: Joel Garnier (1) Weniger als 50 % des Durchschnittseinkommens 100 Stadtumbau in europäischen Städten mit Strukturkrisen Das eigentliche Stadtumbau-Problem in Romans liegt jedoch in der Neugestaltung des Großwohnviertels La Monnaie, das in Spitzenzeiten bis zu 10 000 Bewohner hatte, und das heute eine Wohnbevölkerung von 5 010 Personen aufweist. Aufgrund der weiter oben beschriebenen Abwanderungstendenzen und der schwierigen sozialen Lage eines Großteils der Bewohner ist die Sanierung des Quartiers zu einer Daueraufgabe geworden. So wurden im Verlauf der letzten 20 Jahre unterschiedliche Maßnahmen ergriffen wie etwa eine Abrisssanierung bei einem der Großgebäude im Quartier und eine umfängliche Wohnungssanierung bei einem Großteil der anderen Gebäude in 1993/1994. Aktuell wird über die Aufnahme des Quartiers in das zentralstaatliche Erneuerungsprogramm ORU (operation de renouvellement urbain) ein erneuter Anlauf zur Sanierung genommen. Das Vorhaben besteht in einer großflächigen Abrisssanierung, die bis 2008 abgeschlossen sein soll und von der in einer ersten Phase 300 der vorhanden 3 000 Wohnungen betroffen sind. In der vertraglichen Grundlage dieses Erneuerungsprogramms wird der Abriss als strategische und strukturierende Achse des gesamten Vorhabens bezeichnet, das auch Maßnahmen der Verkehrsanbindung, der Wirtschafts- und Arbeitsförderung und der sozialen Begleitung vorsieht. Stadtumbau-Prozess Der Stadtentwicklungsprozess in Romans wird vor allem mit zwei Herausforderungen konfrontiert: zum einen mit der baulichen Neugestaltung der zahlreichen innerstädtischen Industriebrachen und zum anderen mit der Erneuerung des peripheren Stadtviertels La Monnaie. Die Stadt hat für den Stadtentwicklungsprozess bisher kein Gesamtkonzept entwickelt; die letzte Aktualisierung des Flächennutzungs- und des Bebauungsplans erfolgte im Jahr 2001. Allerdings ist ein neuer Vertrag zur Stadtentwicklung (contrat de ville) mit der eben im Aufbau befindlichen Nationalen Agentur zur Stadterneuerung vorgesehen, der ebenso wie alle anderen derzeit laufenden Erneuerungsprojekte vor allem die Schaffung von neuen innerstädtischen und höherwertigen Wohnungen vorsieht. Der Umsetzungsprozess des innerstädtischen Einkaufszentrums Marque Avenue gestaltete sich schwierig. Zunächst gelang es zwischen der Stadt, die eine Ansiedlung im Zentrum präferierte, und den ur- Werkstatt: Praxis Heft 37 sprünglich eine periphere Stadtlage vorziehenden Investoren eine win-win-Situation herzustellen, indem die Stadt das Gelände aufkaufte und zu einem weit unterhalb des Markpreises liegenden Wert an die Investoren weiterveräußerte. Allerdings war der Umsetzungsprozess vor allem auch deswegen so schwierig, weil das Projekt zum einen auf den sehr großen Widerstand des ortsansässigen Handels stieß, zum anderen überregionale Dimension bekam durch eine landesweite Protestaktion der Industrie- und Handelskammer des Departments Drôme gegen das grundsätzliche Konzept von Marques Avenues. Das Projekt wurde 1996 zunächst gestoppt, bereits ein Jahr später gelang es jedoch eine Wiedervorlage durchzubringen. Grund war ein Wechsel des Bürgermeisters in Romans, der seinen Einfluss auf nationaler Ebene gelten machen konnte und so das Verfahren durchsetzte. Damit handelt es sich um ein Paradebeispiel von Entscheidungsprozessen à la francaise, die häufig davon mitbestimmt werden, inwieweit es gelingt auf regionaler/ lokaler Ebene zentralstaatliche Ressourcen (personell, finanziell, Entscheidungskompetenzen usw.) zu nutzen oder in das Projekt direkt einzubinden. Auch in finanzieller Hinsicht ist die Rolle des Zentralstaates beim Erneuerungsprozess in Romans entscheidend. Nach Aussagen des Bürgermeisters und der Leiterin der Stadtplanung wäre die Sanierung und Erneuerung des Quartiers La Monnaie ohne zentralstaatliche Mittel nicht denkbar gewesen. Für den Erneuerungsprozess in Romans lässt sich zusammenfassend feststellen, dass der Erfolg weitaus mehr als von der städtischen Wohnungsbaupolitik davon abhängig ist, inwieweit der Zentralstaat bereit ist, im Rahmen seiner Stadtpolitik die staatlichen Instrumente (Zonage, Wirtschafts- und Arbeitsförderung, Mittel aus dem Programm sozialer Zusammenhalt usw.) zur Lösung dieses Problems einzusetzen und inwieweit diese Instrumente tatsächlich auch greifen. Öffentlichkeitsarbeit und Bürgerbeteiligung Der allgemeine Stadtentwicklungs- und Stadtumbau-Prozess wird kaum von einer nennenswerten Bürgerbeteiligung begleitet. Es gibt keine institutionalisierten Formen auch keine so genannten Stadtteil- Frankreich Fallstudie Romans räte (conseils de quartier), wie sie im Stadtgesetz möglich sind. Demgegenüber wird der Kommunikation und den Absprachen mit ausgewählten Schlüsselpersonen in dem problemorientierten Quartier La Monnaie erhebliche Bedeutung beigemessen. Zwischen der Stadt und den durch diese Personen repräsentierten Bewohnern des Quartiers findet ein permanenter und intensiver Kommunikationsaustausch statt. Finanzierung Die Förderkulisse insgesamt wird von einer engen Verflechtung zwischen Zentralstaat und Kommune bzw. Gebietskörperschaften geprägt. Sie wird in relativ detaillierter Form in dem laufenden Stadtvertrag 2000 2006 fixiert bzw. in Sonderprogrammen geregelt. Die Gesamtkosten der Sanierungsmaßnahmen im Rahmen des Erneuerungsprogramms ORU belaufen sich für den Zeitraum 2004 bis 2008 auf 58 Mio. E. Davon werden durch den Zentralstaat und durch entsprechende staatliche Zuweisungen an die Kommune ca. 50 % finanziert. Hinzu kommen explizit für die Abrissmaßnahmen weitere staatliche Mittel in Höhe von mehr als 15 Mio. E, die nicht zum Budget des Programms ORU gehören. Die Dimensionen und die entscheidende Rolle des Zentralstaats wird auch deutlich, wenn man die Zuwendungen der anderen Akteure in diesem Finanzierungsverbund betrachtet: so hat die Stadt Romans selbst ca. 3 Mio. E eingestellt, der Gemeindeverbund communauté des communes ca. 0,5 Mio. E, die Region Rhône-Alpes 3,1 Mio. E und schließlich das Departement Drôme 0,7 Mio. E. Bei dem Stadtentwicklungsvorhaben Marque Avenue handelte es sich weitgehend um eine private Finanzierung, wobei die Stadt durch den Erwerb der innerstädtischen Militärfläche und den für die Investoren äußerst günstigen Kaufpreis eine erhebliche öffentliche Leistung in diesem Privat-Public-Partnership erbracht hat. 101 gie der Ausdifferenzierung der bestehenden Wirtschaftsstruktur wird von einem Stadtumbau-Prozess flankiert, in dessen Mittelpunkt die Aufwertung der Innenstadt und die Bewältigung der Herausforderungen einer peripher gelegenen Großwohnsiedlung stehen. Die Umstrukturierung ist in Romans sowohl in ökonomischer Hinsicht als auch mit Blick auf realisierte Projekte des Stadtumbaus bisher nur teilweise erfolgreich verlaufen. Zwar ist es gelungen mehrere Industriebrachen im Stadtzentrum neu zu gestalten, höherwertigen Wohnraum im Zentrum zu schaffen und dieses insgesamt durch eine neue Grünflächengestaltung aufzuwerten; allerdings entwickelt sich dieser Umbauprozess weitgehend ad hoc es liegt ihm kein fundiertes Gesamtkonzept zugrunde. Anhand der Tatsache, dass die Stadt bei der Aufwertung ihres überaus problematischen Großwohnquartiers La Monnaie auf große Schwierigkeiten stößt, zeigen sich deutlich die Grenzen des Stadterneuerungsprozesses in Romans. Auch muss weiterhin offen bleiben, ob es in dem vorhandenen ökonomischen Umfeld überhaupt gelingen kann, dieses Wohnquartier befriedigend zu gestalten die aktuell wieder ansteigende Arbeitslosenquote macht die Beantwortung dieser Frage dringlicher denn je. Ungeachtet der kontrastreichen aktuellen Situation ist es jedoch gelungen angesichts eines enormen Problemdrucks die wirtschaftlichen, sozialen und städtebaulichen Herausforderungen zumindest teilweise befriedigend zu beantworten. Allerdings muss dabei berücksichtigt werden, dass dieser Prozess sich über einen sehr langen Zeitraum erstreckte und krisenhafte Zuspitzungen so vermieden werden konnten. Auch wenn es sich also insgesamt um ein erfolgreiches Fallbeispiel handelt, bleibt dies eine Momentaufnahme bei einer weiterhin ungewissen Zukunftsperspektive für die Stadt. Literatur- und Quellenangaben Andersson, A. / H. Vieillard-Baron: La politique de la ville. Paris 2003 Resümee Die Strategie in Romans beruht auf einer langsamen, schrittweisen, ökonomischen Diversifizierung, um sich von der immer noch bestehenden Leitbranche der Schuhproduktion unabhängiger zu machen. Diese partiell umgesetzte ökonomische Strate- Chaline, C.: La regeneration urbaine. Paris 1999 Contrat de Plan entre lEtat et la Region Rhône-Alpes 2000 2006. Lyon 2000, mimeo Contrat de Ville 2000 2006 Romans-sur-Isère / Bourg-de-Péage. Romans 2000, mimeo Gamblin (Hrsg.): La France dans ses Regions. Paris 2000 INSEE Regionaldaten Ingallina, P.: Le Projet urbain. Paris 2001 Opération de renouvellement urbain du Quartier de la Monnaie. Romans 2002, mimeo 102 Stadtumbau in europäischen Städten mit Strukturkrisen Werkstatt: Praxis Heft 37 Abstract Romans, a city in the southeast of France with a relatively central economic location and a population of 30,000, was once the booming French capital of the shoe and leather industry before this sector suffered a dramatic decline in the 1970s. The creeping exodus from the town centre increased, in particular to a large housing scheme on the outskirts that was completed in 1973. The economic crisis with high unemployment, which is still over 20 % today, accelerated the process of decline. This led to a loss of jobs, which in turn accelerated the exodus from or closure of inner-city production centres. The problems of the town are exemplified by abandoned industrial sites in the centre, coupled with a relatively high level of empty housing. The high level of job loss, the abandoned industrial sites in the town centre and a large housing estate with spatial and social segregation problems mark the starting-point for the citys urban renewal endeavours. The strategy in Romans is first and foremost structural. Through the promotion of specialist niches in the dwindling leather industry and simultaneous economic diversification, the objectives are to prevent further setbacks in the job market and to encourage the partial or even complete severance from the declining shoe industry. New industrial areas are growing up on the periphery and the loss of jobs has been stopped, albeit with unemployment remaining high. The town centre has been revitalised by the construction of an attractive and highly successful factory outlet (landmark project) on a former military site. This has marked the start of a gradual process of urban renewal through construction projects on abandoned industrial sites. On the other hand, the dimensions of the problems in the peripheral housing scheme have proved too great for the town and region to master alone: with the help of government funds, large-scale demolition and redevelopment has begun there. Romans has an economically-oriented development policy. For this reason, traditional urban renewal policies are implemented gradually and are subordinate to the process of local economic promotion. This modus operandi, together with the successful town centre projects, has led to an upturn (from Romans-sur-Misère to Romans-sur-Isère). Nevertheless, the prospects for Romans remain uncertain. Frankreich St. Etienne 103 St. Etienne Ausgangslage und Rahmenbedingungen Die Stadt St. Etienne ist ca. 50 km südwestlich von Lyon gelegen und Hauptstadt des Departements Loire. In der Kernstadt leben knapp 190 000 Einwohner und etwas über 300 000 in der sog. städtischen Zone (aire urbaine) von St. Etienne (sie umfasst die Kernstadt und mehr als 15 angrenzende Kommunen in einem Radius von ca. 7 km). St. Etienne war Mitte des 19. Jahrhunderts das wichtigste Zentrum der französischen Kohleförderung. Parallel dazu entwickelte sich die Eisen- und Stahlindustrie und in Folge davon auch eine stark ausgeprägte verarbeitende Industrie, insbesondere die Waffenindustrie. In dieser sehr dynamischen Wachstumsphase Ende des 19. Jahrhunderts entwickelte sich St. Etienne zur siebtgrößten Stadt Frankreichs. Diese herausragende wirtschaftliche Stellung behielt die Stadt bis in die 1960/70er Jahre hinein. Der z. T. sehr stürmische Wachstumsprozess spiegelte sich in einem hohen Bevölkerungswachstum wider: von 16 259 Einwohnern im Jahre 1801 stieg diese Zahl auf 190 241 in 1936 und erreichte einen Spitzenwert von 221 775 im Jahre 1975. Auch die Siedlungs- und Architekturentwicklung spiegelte den eher ungeplant verlaufenden Aufstieg zu einer Industriemetropole im 19. Jahrhundert wider. Die ursprüngliche Siedlungsstruktur war gekennzeichnet von kleingeschossigen Wohngebäuden, die sich um die zahlreichen Industrie- und Produktionsstätten herum gruppierten und ihrerseits entlang einer 8 km langen Nord-Süd-Achse, der heutigen GrandRue, angesiedelt waren. Ein Stadtzentrum im heutigen Sinne gab es nicht; St. Etienne war vielmehr gekennzeichnet durch eine Ansammlung von unverbundenen Wohnquartieren und Arbeitsstätten ohne Mittelpunkt bei gleichzeitig außerordentlich hoher Verflechtung von Produktion und Wohnquartieren. Mit dem ökonomischen Strukturwandel, dem Niedergang und dem Verschwinden des Kohlebergbaus, der Eisen- und Stahlindustrie und schließlich auch der damit verflochtenen weiterverarbeitenden mittelständischen Industrie war ein drastischer Verlust von Arbeitsplätzen und Bevölkerung verbunden. In dem ca. 20 Jahre dauernden Krisenverlauf, der sich in den 1970er Jahren nochmals verschärfte, verlor St. Etienne 100 000 Industriearbeitsplätze und die Bevölkerung sank auf den Stand von 1925 ab. Der Anteil der Beschäftigten (112 000, davon etwas über 11 000 Selbständige) an der Erwerbsbevölkerung insgesamt ist im Zeitraum 1990 2000 um 6,1 % zurückgegangen, der Anteil abhängig Beschäftigter um 5,3 % und der Anteil der Selbständigen um 9,8 %. Die herausragenden Wirtschaftszweige sind Maschinenbau und Automobilzulieferung, die Ernährungsmittelindustrie und der Wirtschaftszweig Chemie/ Glas / Materialien. Zukunftsorientierte Wirtschaftsbranchen sind vor allem die Optoelektronik und der Wirtschaftszweig Industriedesign. Die Arbeitslosenquote betrug im Jahr 2003 9,8 % und lag damit nur sehr geringfügig über dem nationalen Durchschnitt von 9,7 %. Die Anzahl der Sozialhilfeempfänger im gesamten Departement beträgt 8 596. Im Zeitraum 1990 2000 ist die Bevölkerung in der städtischen Zone St. Etienne von mehr als 330 000 Einwohnern auf knapp 300 000 zurückgegangen. St. Etienne ist weiterhin die Stadt in Frankreich mit den stärksten Bevölkerungsverlusten. Allerdings verschiebt sich der negative Migrationssaldo mehr und mehr zu ungunsten der Kernstadt. Mit anderen Worten bedeutet das einen Anstieg des innerstädtischen Problemdrucks. Die Gefällestruktur Kernstadt städtische Zone verstärkt sich ebenso wie die räumlich-sozialen Segregationen innerhalb der Kernstadt. Die Altersstruktur wird in erster Linie durch eine Abwanderung jüngerer Menschen charakterisiert: So ist der Anteil der 15- bis 24-jährigen Beschäftigten um 34,3 % im Zeitraum von 1990 2000 zurückgegangen, der Anteil der 25- bis 49-Jährigen um 4,1 % im gleichen Zeitraum. Dennoch beträgt der Anteil der unter 20-Jährigen an der gesamten Wohnbevölkerung immer noch 23 % und liegt damit im französischen Durchschnitt. Siedlungsstrukturell schlug sich die Krise in einem starken Anstieg innerstädtischer Industriebrachen nieder; hinzu kam der Verfall der städtischen Wohnquartiere, ein massiver Wegzug vor allem der Mittelschichten aus den Innenstadtbereichen Deutsch-Französisches Institut, Ludwigsburg Wolfgang Neumann Pierre Kukawka 104 Stadtumbau in europäischen Städten mit Strukturkrisen und eine städtebaulich nur wenig befriedigende Entstehung einzelner Großwohnsiedlungen an den städtischen Rändern, vor allem im Südosten von St. Etienne. Der gesamte Wohnungsbestand in dieser städtischen Region ist im Zeitraum 1990 2000 von 131 450 Wohnungen um 2,2 % auf 150 469 Wohnungen angestiegen. Der Wohnungsleerstand beträgt knapp 11 % und ist im gleichen Zeitraum um 24,1 % gestiegen. In dieser Dimension bestehen jedoch erhebliche Unterschiede zwischen Kernstadt und Kommunen, die zur städtischen Zone gehören und ein starkes Gefälle zwischen den Quartieren in St. Etienne selbst. Der Leerstand erreicht in einzelnen Wohnquartieren bis zu 30 %. Besonders hoch ist der Leerstand (und dessen Entwicklung) bei Wohnungen, die vor 1949 erstellt wurden. Wenngleich St. Etienne heute zwar in einem durchaus beeindruckenden Wandel begriffen ist, so lässt sich der weiterhin bestehende Problemdruck zusammenfassend als der einer peripher gelegenen Großstadt charakterisieren, die von einem tief greifenden Strukturwandel geprägt bleibt, mit einem kontinuierlichen und dauerhaften Bevölkerungsverlust, mit flächenhafter Industriebrachenproblematik und einem hohen Wohnungsleerstand vor allem in den zentral gelegenen Quartieren. Strategieansatz, Ziele und konkrete Vorhaben Hinsichtlich der Strategien, die in St. Etienne angesichts der krisenhaften Entwicklungen verfolgt wurden lassen sich zeitlich zwei Phasen unterscheiden. Eine erste Strategie, die bis in die 1990er Jahre andauerte, zielte vor allem auf den Erhalt von Arbeitsplätzen. Eine seit Mitte der 1990er Jahre andauernde, weitgehend veränderte zweite Strategie ist auf Maßnahmen der Stadterneuerung mit z. T. sehr anspruchsvollen Projekten fokussiert: 1. Phase 1970 bis 1995 Mit Hilfe massiver zentralstaatlicher, regionaler und kommunaler Beschäftigungsfördermaßnahmen wurde vor allem versucht den Abbau von Arbeitsplätzen zu stoppen; parallel dazu wurde eine ebenso massive öffentliche Wirtschaftsförderung betrieben und zwar vorwiegend durch eine Mittelstandsförderung und durch Ansiedlung von Dienstleistungsunternehmen bzw. den Aus- Werkstatt: Praxis Heft 37 bau von öffentlichen oder anteilig öffentlich geförderten Wissenschafts- und Forschungseinrichtungen. Ein weiteres Element dieser ersten Krisenstrategie, die eher ein Bündel reaktiver Ad-hoc-Maßnahmen darstellte, war der massive Aufkauf von innerstädtischem Industriegelände durch die Stadt, die sich dadurch zwar einerseits stark verschuldet hat, andererseits aber später und bis heute durch den städtischen Besitz von teilweise mehr als der Hälfte der gesamten wirtschaftlichen Nutzfläche der Stadt über einen wirksamen bodenpolitischen Aktionshebel verfügte und verfügt. Die Bilanz dieser ersten Strategiephase seit ca. 1970 bis weit in die 1990er Jahre ist kontrastreich. So entwickelte St. Etienne in diesem Zeitraum im innerfranzösischen Vergleich eines der dichtesten Netze an Kleinund Mittelunternehmen (KMU). Auch wenn der Verlust von 100 000 Arbeitsplätzen nicht kompensiert werden konnte, gelang es doch 60 000 neue Arbeitsplätze in Unternehmen dieser Größenklassen zu schaffen. Auch der Wandel von einer nahezu ausschließlich (schwer)industriell geprägten Stadtwirtschaft zu einer überwiegend dienstleistungsorientierten Ökonomie war erfolgreich. Zum einen konnte der Anstieg der Arbeitslosigkeit verlangsamt werden. Zum anderen wurden eine Reihe von innerstädtischen Sanierungsmassnahmen durchgeführt, um die Bevölkerungsabwanderung zu stoppen. Zugleich wurden innerstädtische Aufwertungsprojekte insbesondere zur Stimulierung des Handels im Stadtzentrum umgesetzt. Dennoch blieb St. Etienne die Stadt in Frankreich mit den stärksten Bevölkerungsverlusten. 2. Phase ab 1995 bis heute Mitte der 1990er Jahre erfolgte eine deutliche Wende in der Stadtumbau-Strategie. Die neue Strategie zielt im Kern auf eine Aufwertung spezifischer Stadtquartiere, eine städtebaupolitisch sehr anspruchsvolle Bebauung innerstädtischer Wirtschaftsund Industriebrachen und ist damit eine insgesamt auf Verdichtung und Valorisierung des städtischen Terrains ausgerichtete Handlungsstrategie. Stadterneuerung und Stadtaufwertung werden als zentrale ökonomische Standortfaktoren gesehen. Betrachtet man die Strategie insgesamt, so fällt zuerst ihr gesamtstädtischer Bezug auf, der sich nicht zuletzt in der flächendeckenden und umfassenden Planung bzw. Umsetzung manifestiert. Frankreich St. Etienne Die Strategie setzt sich aus etwa 35 innerund außerstädtischen Projekten und mehreren Großprojekten zusammen. Es handelt sich dabei um eine Reihe kleinräumiger Stadtaufwertungsprojekte, aber auch um große infrastrukturelle Vorhaben wie die geplante und mittlerweile beschlossene Autobahn A45, sowie mehrere anspruchsvolle Einzelvorhaben. Versucht man die Komplexität der Gesamtstrategie so zu reduzieren, dass die Entwicklungsschwerpunkte der Strategie deutlich werden so ergibt sich folgendes Bild: Ein erster Entwicklungsschwerpunkt ist die Erweiterung des Stadtzentrums, das derzeit im Wesentlichen um einen Teil der wichtigsten Verkehrsachse, der GrandRue gruppiert ist. Ziel ist eine Erweiterung in Richtung des Geländes der ehemaligen Waffenmanufaktur des Quartiers Carnot GIAT, das vollständig neu gestaltet werden soll und das eindeutig das herausragende Leuchtturmprojekt von St. Etienne ist. Eine Erweiterungsachse wird in Richtung des Quartiers Chateaucreux gelegt, das 105 ebenfalls ein erhebliches Entwicklungspotenzial hat. Von erheblicher Bedeutung für diese Erweiterungsstrategie, die die Einbeziehung z. T. großer Industriebrachen im Zentrum der Stadt zum Inhalt hat, ist die Fertigstellung der zweiten Straßenbahnlinie, die vor allem das Quartier um den zukünftigen TGV Bahnhof Chateaucreux in die innerstädtische Entwicklung einbinden wird. Ein zweiter Schwerpunkt der Gesamtstrategie ist die Aufwertung und vollständige Sanierung von insgesamt sieben Wohnquartieren, wobei in einer ersten Phase die beiden zentralen Innenstadtquartiere Tarentaize Beaubrun und Crêt du Roc sowie zwei periphere Quartiere im Rahmen des Grand Projet de Ville erneuert werden sollen. Die Maßnahme beinhaltet den Abriss bestehender Wohneinheiten und einen weniger verdichteten, qualitativ deutlich verbesserten Wiederaufbau im Quartier sowie ein neues Nutzungskonzept öffentlicher und privater Freiflächen. Ausschnitt der Stadterneuerungsprojekte in St. Etienne A: B: C: D: E: F: Montreynaud GIAT Historisches Herz von Saint Etienne: Centre ville, Crêt de Roc, Tarentaize-Beaubrun Zweite Straßenbahnlinie Gestaltung der Innenstadt Tréfilerie Denis Papin 11: 12: 13: 14: 17: 18: 19: 22: 23: 24: 25: 26: 27: 28: Carnot Le Soleil Le Clapier Saint François Colline de la Dame Blanche Saint-Roch Tardy Montferré Boulevard urbain La Cotonne Centre Deux Fauriel Bellevue Réseau d´assainissement et Furan Quelle: Stadt St. Etienne 106 Stadtumbau in europäischen Städten mit Strukturkrisen Der dritte Entwicklungsschwerpunkt schließlich ist die Schaffung so genannter Übergangsräume (centres dechanges), deren Gestaltung und Bebauung der immer wichtiger werdenden Funktion des Austausches zwischen St. Etienne und den umliegenden Gemeinden in der Agglomeration urbaine1 entsprechen. Im Rahmen dieser gesamtstädtischen Strategie der Erweiterung und Vitalisierung ist die Neugestaltung des ehemaligen Geländes der Waffenmanufaktur das Quartier GIAT-Carnot das herausragende Projekt (vgl. Foto). (1) Bezeichnung für eine interkommunale Kooperationsform (Gemeindeverband), in die St. Etienne eingebunden ist, siehe auch Abschnitt Stadtumbau-Prozess GIAT-Carnot Stand 2003 Auf einem innenstadtnahen Gelände der ehemaligen staatlichen Waffenmanufaktur Manu plant die Stadt ein vollständig neues Quartier mit einer Mischung aus wirtschaftlicher Nutzung (vor allem im High-Tech und im Dienstleistungsbereich) und hochwertigen Wohnquartieren. Im einzelnen ist die Erstellung eines internationalen Zentrums für Design (Industriedesign soll die zukünftige Leitbranche der Stadt werden), eines Zentrums für Optoelektronik, das Ausbildungs- und Entwicklungsfunktion wahrnehmen soll, und ca. 300 Wohnungen (der größte Teil als Eigentum) auf einer Fläche von 28 000 m2 geplant; hinzu kommt eine Grünflächenplanung, die ca. 8 000 m2 umfasst, und eine Verbindungstrasse, die das Wohnquartier mit den anderen Nutzungseinheiten vernetzen soll (ca. 15 000 m2 ). Quelle: Stadt St. Etienne Werkstatt: Praxis Heft 37 Stadtumbau-Prozess Mit Blick auf die Akteure des Umbauprozesses ist zuerst auf die Verflechtungen zwischen Zentralstaat-Region-Kommune zu verweisen. Sie sind besonders prägend im Rahmen des so genannten Stadtvertrags bzw. im Rahmen des Grand Projet de Ville (GPV) in St. Etienne. St. Etienne hat darüber hinaus verschiedene Kooperationsstrukturen aufgebaut, bzw. ist in mehrere interkommunale Kooperationsstrukturen integriert. Die wichtigste und für die Stadtentwicklung entscheidende ist die so genannte Agglomeration urbaine, die in St. Etienne als Saint Etienne Metropole seit 2001 besteht. Das Territorium dieses Gemeindeverbandes umfasst eine Gesamtfläche von 56 000 ha mit einer Einwohnerzahl von 390 000 in 43 selbständigen Kommunen. Der Gemeindeverband ist einer der zentralen Akteure bei der Entwicklung und Umsetzung der Stadterneuerungsstrategien bzw. im Rahmen der Projekte der Stadtpolitik. Dies zum einen, weil das Gesetz zur interkommunalen Zusammenarbeit der Agglomeration Urbaine hierzu die Kernkompetenzen übertragen hat. Zum anderen aber auch deswegen, weil der Bürgermeister von St. Etienne es in der Praxis verstanden hat, die möglichen Vetorechte und Blockierungsmöglichkeiten der zugehörigen Gemeinden auszuschalten und zwar durch weiche Steuerungsinstrumente wie Koordination, Überzeugung, Vertrauensbildung usw. Dadurch ist es ihm gelungen das städtische Projekt St. Etienne als ein positiv strukturierendes Gesamtvorhaben für den Gemeindeverband durchzusetzen. Die Erneuerungsprojekte in den Wohnquartieren sind sowohl Teil der zentralstaatlichen Stadtpolitik der Grands Projets als auch in den Stadtvertrag (Contrat de Ville) 2000 2006 von St. Etienne eingebunden, d.h. weitgehend in verbindliche und vertraglich festgelegte Umsetzungsprozesse integriert. Demgegenüber ist z. B. das Großprojekt der Neugestaltung von Chateaucreux bislang ausschließlich im Stadium der Modellentwicklung und Vorplanung, während die Neugestaltung des Quartiers GIAT-Carnot sowohl in der Planungs- als z. T. auch bereits in der Umsetzungsphase ist. Frankreich St. Etienne Öffentlichkeitsarbeit und Bürgerbeteiligung In St. Etienne wird eine intensive Kommunikations- und Informationsarbeit betrieben. Dies betrifft zum einen die oben genannten Vorhaben, die sich noch weitgehend in der Planungsphase befinden wie beispielsweise die Neugestaltung von Chateaucreux oder einzelne Vorhaben auf dem Gelände GIAT-Carnot. Über sie wird beispielsweise regelmäßig und ausführlich in dem monatlich erscheinenden und weit verbreiteten Stadtmagazin saintetienne aujourdhui berichtet. Darüber hinaus veranstaltet die Stadt regelmäßige Informationsrunden für die Bevölkerung; deren Echo allerdings ist eher schwach. Ansonsten wurden die Projekte in Einzelausstellungen und bei Messen bekannt gemacht. Die Verbindung zu landesweit verbreiteten Printmedien ist gut die Tageszeitung Liberation beispielsweise hat ein 16-seitiges Dossier über St. Etienne publiziert. Auch der Internetauftritt der Stadt ebenso wie des Stadtverbundes liefert ständig aktualisierte Informationen zur Entwicklung der einzelnen Projekte. Finanzierung Im laufenden Planvertrag 2000 2006 zwischen dem Staat und der Region RhôneAlpes und hier wiederum im Stadtvertrag St. Etiennes (Contrat de Ville de St. Etienne) wurden sieben prioritäre Wohnquartiere identifiziert, bei denen ein besonderer Entwicklungsbedarf in drei Handlungsbereichen besteht. Umgesetzt werden die einzelnen Maßnahmen des Stadtvertrags, auf die hier nicht weiter eingegangen werden kann, im Rahmen eines Planungsverbundes von Staat und Gebietskörperschaften, Industrie- und Handelskammer, Einzelunternehmen, Trägern der Wohlfahrtspflege und weiteren Einzelakteuren. Sie bilden auch eine Art Finanzierungsverbund, wobei in beiden Dimensionen Planung und Finanzierung die öffentliche Hand federführend bleibt. Für die gesamte Laufzeit betragen die geplanten Finanzvolumina: Zentralstaat 4 Mio. E, Region 8 Mio. E, St. Etienne 2 Mio. E. Hinzu kommen jährlich ausgehandelte Subventionen oder Finanzierungen durch weitere öffentliche oder private Partner. 107 Parallel dazu und außerhalb des Stadtvertrages wurden im Rahmen der Festlegung der Grand Projets de Ville (GPV) vier dieser sieben Quartiere in den Planungs-, Finanzierungs- und Umsetzungsprozess der GPV integriert. Dafür wird der gesamte Finanzierungsaufwand für den Zeitraum 2001 2006 mit ca. 130 Mio. E beziffert. Die meisten Einzelmaßnahmen im Rahmen eines Grand Projet wie in St. Etienne haben eine eigene Finanzierungsstruktur: Je nach Aktionsfeld kann es sich um eine ausschließlich öffentliche Finanzierung, meist im Verbund, handeln oder um privat-öffentlich mischfinanzierte Projekte. Grundsätzlich können unterschiedliche Fachressorts wie z. B. Verkehr, Arbeit und Soziales, Bau usw. eingebunden sein. Städtebauliche Instrumente Wichtigstes Planungsinstrument in der Stadterneuerung ist die Ausweisung als so genannte Zone dAménagment Concertée (ZAC). Die Durchführung der ZAC kann von verschiedenen öffentlichen, paraöffentlichen oder privaten Trägern übernommen werden. Das Instrument hat den Vorteil einer konzeptionell umfassenden Planung, einer gewissen Rigidität (bei Bau- und Erschließungsmaßnahmen) und vor allem ermöglicht und initiiert es die Zusammenarbeit von privaten und öffentlichen Akteuren. Die Ordnungsmaßnahmen als vorbereitende städtebauliche Maßnahmen sehen Bodenkauf (Enteignung), Umsetzung der Nutzer, Abriss und Aufbau der Infrastruktur mit Hilfe öffentlicher oder halböffentlicher Organisationen vor. Über die ZAC werden den Bauträgern durch erhöhte Nutzung, Nutzungsumwandlung und durch Steuervorteile besondere Verwertungsmöglichkeiten zugestanden. Die Wirtschaftlichkeit der Sanierungsmaßnahme soll insgesamt für private Investoren gesichert werden. Da die Erschließung an private Gesellschaften weitergegeben werden kann, die auf eigene Verantwortung handeln, hat der Staat mit den ZAC auch dem Privatsektor die Funktion des Erschließers eröffnet. 108 Stadtumbau in europäischen Städten mit Strukturkrisen Resümee Bei der Bewältigung der wirtschaftstrukturellen und städtebaulichen Probleme in St. Etienne ist mit Blick auf den Strategieansatz der in den 1990er Jahren erfolgte Wandel von einer ökonomischen Ad-hocStrategie hin zu einer umfänglichen, anspruchsvollen und sehr deutlich als neue Standortpolitik verstandenen Strategie des Stadtumbaus besonders hervorhebenswert. Die Dimension dieses explizit mit gesamtstädtischem Bezug geplanten Stadtentwicklungsprojektes mit allein 35 Einzelvorhaben und mehreren Großprojekten ist ebenso ambitiös wie riskant. Auf der einen Seite scheint es durchaus überzeugend, dass im Fall von St. Etienne mit der großflächigen Problematik und der sehr engen Verflechtung von Produktions- und Stadtstrukturen nur eine ebenso groß dimensionierte Gesamtstrategie adäquat scheint. Zugleich allerdings garantiert nichts den Erfolg dieser Strategie, die ganz wesentlich auch davon abhängen wird, ob es gelingt den ökonomischen Restrukturierungsprozess so zu bewältigen, dass nicht nur die Talfahrt gestoppt, sondern eine Trendwende erreicht werden kann. Werkstatt: Praxis Heft 37 Aus der Analyse der Strategie in St. Etienne scheint ein bemerkenswerter Mut zum Risiko ableitbar. Allerdings ist er ganz eng verknüpft mit den spezifischen französischen Organisationsstrukturen im Umbauprozess. Diese sind wesentlich geprägt durch die engen Verflechtungen zwischen Zentralstaat, Regionen und Kommunen bzw. interkommunalen Zusammenschlüssen im Kontext der die einzelnen Stadtentwicklungsmaßnahmen strukturierenden französischen Stadtpolitik. Trotz eines beachtlichen Kompetenzzuwachses der Gebietskörperschaften im Rahmen der Dezentralisierung bleibt der Zentralstaat der entscheidende Akteur bei allen Stadtumbau-Maßnahmen ab einer bestimmten Größendimension: Projekte mit gesamtstädtischem Bezug sind nur im Verbund und unter dem Dach zentralstaatlicher Vorgaben realisierbar. Das Beispiel St. Etienne zeigt, dass es die Stadt deshalb als Akteur in größeren Umbauprozessen vor allem verstehen muss, die außerhalb ihrer institutionellen Reichweite befindlichen Ressourcen zu mobilisieren und sich in Kooperationsstrukturen einzubinden, die den örtlichen und überörtlichen Anforderungen (an Analysefähigkeit, an Planungskapazität, an Finanzmitteln) gerecht werden. Literatur- und Quellenangaben Andersson, A. / H. Vieillard-Baron: La politique de la ville. Paris 2003 Chaline, C.: La regeneration urbaine. Paris 1999 Contrat de Plan entre lEtat et la Region Rhône-Alpes 2000 2006. Lyon 2000, mimeo Contrat de ville de St. Etienne / Grand Projet de Ville, St. Etienne 2001, mimeo Gamblin (Hrsg.): La France dans ses Regions. Paris 2000 INSEE Regionaldaten Ingallina, P.: Le Projet urbain. Paris 2001 Stadt St. Etienne (Hrsg.): Saint-Etienne, Metropole Design: Nouveau Dessin, Nouveau Destin Un Projet Urbain pour une nouvelle Idee de la Ville. St. Etienne 2002 Frankreich St. Etienne 109 Abstract St. Etienne, a peripherally situated city in the southeast of France with a current population of 190 000, provides the best example in France of the rise, fall and (still unfinished) reconstruction of an old industrial city. At the end of the 19th century and the beginning of the 20th century, the city was one of the most rapidly growing in France thanks to its primary and processing industries. However, since the 1960s, it has been experiencing an initially gradual and then increasingly rapid decline, which is accompanied by a permanent population decline and widespread urban decay. A special characteristic of the city consists in the clusters of industrial and residential areas, whose decay is inextricably linked to their disadvantageous locations. The citys problems are evident in the continuing decline of its inner-city population, the abandoned industrial sites, the spatial and social segregation, and the high level of empty housing, especially in the inner-city. There have been two strategic phases to counter these problems. The first phase lasted from the beginning of the economic crisis until the middle of the 1990s. The aim was to prevent further loss of jobs through direct intervention in failing businesses. Simultaneously, there were efforts towards industrial reconversion with regard to both structure (encouragement of small and medium-sized enterprises) and sectors (promotion of service sector enterprises). Although the attempt to rescue flagging businesses largely failed, the city purchased a large proportion of the industrial sites during this phase. As a result, although in debt, it now possessed an effective policy instrument. The reconversion process has been relatively successful. The second strategy phase, which is still ongoing, is in complete contrast. The emphasis here is on renewal with a wideranging approach. This embraces the construction and integration of industrial areas in the city centre, the renovation and renewal of inner-city residential areas, the development of a second inner-city axis, improved connections to the national transport system in particular to the Lyon conurbation with its strong economic growth a mere 50 km away , and architecturally ambitious landmark projects. In St. Etienne, the organisation and participants in the renewal process reflect the situation in France as a whole. Even for those involved, the labyrinth of planning and building regulations is notoriously lacking in transparency. Also typical is the highly intertwined mix of programmes, grants and participating organisations. The exploitation of these links, in particular by the mayor, was and is an important feature of the reconstruction process. Inter-communal cooperation is seen as decisive here. St. Etienne has succeeded in using national programmes and resources extensively for a wide range of urban renewal projects. With its wide-ranging concept and its numerous innercity projects and landmarks, the city has created a persuasive setting to attract both state and private investment. As a remedy to the enormous problems facing St. Etienne, the ambitious and extensive projet urbain is adequate, but it is also not completely without risks. This is because its success depends on the success of the economic reconversion process rather than on the coherence of the project as a whole. However, in completely repositioning itself, the city has ventured to take a gamble for the future.