NochWünsche?

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NochWünsche?
NOVEMBER 2015
ICON
ICON
November 2015
NochWünsche?
CHRISTIAN TAGLIAVINI/CAMERA WORK
Es war einmal ein Wunsch
J
Ja, liebes Sterntaler-Mädchen, da oben wohnt der liebe Gott. Der Vater vom Christkind. Man kann ihn nicht sehen, man kann ihn
nur spüren. Merkst du es? Und je länger du schaust, desto mehr Sterne werden sich dir zeigen. Lass dich drauf ein, träume!
Ab 12. Dezember ist dieses Foto in der Ausstellung „Voyages Extraordinaires“ von Christian Tagliavini in der Berliner Galerie
Camera Work zu sehen. Für uns ist es das Symbol-Bild für die kommende Zeit. Man ahnt ja schon wieder das Gestöhne über den
ganzen Trubel und überhört dabei leider so leicht den leisen Zauber, der sich in den letzten Wochen des Jahres entfaltet. Weihnachten soll in diesem Jahr besonders großzügig gefeiert werden, ergab eine aktuelle Umfrage der Beratungsgesellschaft Ernst &
Young. Das ist kein Rufen im Wald. Und erst recht keine Ignoranz. Eine Studie über das Verhältnis der Deutschen zum Luxus, die das
Institut Allensbach kürzlich für die „Welt am Sonntag“ zum Thema durchführte, ergab, dass die Toleranz Konsum gegenüber wächst.
Der Neid ist noch da, nimmt aber ab. Wir freuen uns darauf. Noch Wünsche? Haben wir! Sehen Sie die Sternschnuppen?
SALIM LANGATTA
Mit 13 bekam ich meine erste Unterwasserkamera. Das war der Anfang. Ich fotografierte so ziemlich alles, weil es
Spaß machte. Jetzt fotografiere ich, weil ich nicht gut malen kann. Bei mir sieht alles nach Skizze aus. Ich habe als
Kind viel Zeit in New York verbracht. Mein Vater heiratete damals eine Amerikanerin. Mit 17 zog ich allein von Rom nach New York und blieb für 14
Jahre. Dann lebte ich eine Weile in Paris. Und nun bin ich zurück in Rom, einfach weil es sich auch nach so vielen Jahren noch wie mein zu Hause anfühlt. Bis heute inspirieren mich das Kino und die Malerei. Anfangs empfand ich das Woolworth Buildung in New York, wo wir die Modestrecke fotografierten, als abweisend. Aber während der ersten Aufnahmen konnten wir die Seele des Hauses spüren und dann wurde es warm. Seite 44
Auf dem Cover: Pelzjacken, Rock, Pulli von Altazurra; Schmuck: Wempe
HEIKE BLÜMNER
Nicht, dass sie sich beschweren will, aber Stil-Autorin Heike Blümner bereist eigentlich stets dieselben (spannenden)
Städte und Regionen. Bis zu dem Tag, als der kanadische Jackenhersteller Canada Goose ihr vorschlug, in den abgelegensten Winkel der Arktis zu kommen, um dort mehr über die Schneiderkünste der Inuit zu erfahren. Pond Inlet heißt das Fleckchen im vereisten
Nirgendwo, von dem noch nie jemand etwas gehört hatte. Niemand? Nun ja, Heike Blümners Vater, seinerzeit Globetrotter, unternahm in den frühen 60er-Jahren als Student eine Expedition in die Arktis. Und wo verbrachte er einen Teil der Zeit? Ausgerechnet in Pond Inlet! Neben Tagebuchaufzeichnungen stellte er seiner Tochter Fotos von dieser Reise zur Verfügung, die perfekt zum Reportagethema in dieser Ausgabe passen. Dennoch: Heike Blümner hat sich vom schönen Schock dieses unglaublichen Zufalls noch immer nicht vollständig erholt. Ab Seite 88
COVER: SALIM LANGATTA; DIESE SEITE: MARIO TESTINO; HEIKE BLÜMNER
DIRK MERTEN Mit dem Beruf ist es wie dem Reisen, man kommt häufig über Umwege ans Ziel. Unser Mode-Fotograf Dirk Merten begann seine Karriere mit den bewegten Bildern als Kameramann. Man sollte meinen, unbewegte Bilder seien weniger flüchtig, ließen Schöpfer und Betrachter mehr Zeit. Außer man arbeitet auf Island. „Alles ändert sich ständig: das Wetter, die Farben, Licht und Stimmung. Das macht es sehr aufregend.“ Manchmal spielt alles zusammen, aber das ist Glückssache. Schon allein die Fahrt von einer Location zur
nächsten dauert überraschend lange. „Kaum zu glauben, dass man drei Tage braucht, um Island auf der Hauptstraße zu umrunden.“ Die Insel ist in
etwa so groß wie Bayern und Baden-Württemberg zusammen. Lange Wege ist der 42-Jährige aber glücklicherweise aus seiner Wahlheimat Berlin
gewohnt. Dort lebt er seit rund 18 Jahren. Mehr Island gibt es ab Seite 78.
IMPRESSUM ICON
Chefredakteurin: Inga Griese (verantwortlich) Textchef: Dr. Philip Cassier Redaktion: Caroline Börger, Heike Blümner, Nicola Erdmann (icon.de), Julia Hackober (icon.de), Jennifer Hinz, Silvia Ihring, Mira Wiesinger.
Korrespondentin in New York: Huberta von Voss. Style-Editor in NY: Nadia Rath, Korrespondentin in Paris: Silke Bender Autoren: Susanne Opalka, Esther Sterath, Andreas Toelke
Redaktionsassistenz: Ursula Vogt-Duyver, Rebecca Bülow Artdirektorin: Barbara Krämer Gestaltung: Maria Christina Agerkop, Delia Bob, Katja Schroedter Fotoredaktion: Julia Sörgel, Elias Gröb
Bildbearbeitung: Thomas Gröschke, Liane Kühne-Kootz, Kerstin Schmidt
Verlagsgeschäftsführung: Dr. Stephanie Caspar, Dr. Torsten Rossmann General Manager: Johannes Boege Gesamtanzeigenleitung: Stefan Mölling; Anzeigen ICON: Roseline Nizet (roseline.nizet@axelspringer.de)
Objektleitung: Carola Curio (carola.curio@axelspringer.de) Verlag: WeltN24 GmbH Druck: Prinovis Ltd. & Co KG, Nürnberg Herstellung: Olaf Hopf
ICON ist ein Supplement der „Welt am Sonntag“, die nächste Ausgabe erscheint am 6. Dezember 2015. Sie erreichen uns unter ICON@weltn24.de
Unsere Standards der Transparenz und journalistischen Unabhängigkeit finden Sie unter www.axelspringer.de/unabhaengigkeit
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ICON
Extravaganz lautete das Stichwort für unser Shooting im Woolworth Building in
New York. Es hat sich übrigens seit der Postkartenzeichnung (rechts) von 1913
kaum verändert. Von links: Model Zen trägt ein Kleid von Jil Sander, Schuhe
von Christian Louboutin und Ohrringe von Ohr NYC. Carly trägt ein Kleid von
Prada und Stiefel von Giambattista Valli
NOVEMBER 2015
SALIM LANGATTA
AUSGEWÄHLT
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KOMM MAL RUN TER ...
Ein bisschen gemütlich darf’s nun schon
werden, sagen unsere Lifestyle-Weisen.
Und verraten, wie sie dafür sorgen
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GESCHENKE
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... UND LEG DICH HI N
Auch bei Icona und Iken dominiert die
entspannte Horizontale – sie haben Looks
für Couch und Co. geshoppt
SIR PAULS HA NDSCHRIFT
Die einen halten Caran d’Ache für eine
Marke, die hochwertige Stifte herstellt. Paul
Smith hält die Produkte für Designobjekte
– und machte sich ans Werk
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WAS FÜR’ N TRIP
Sollten Sie in wärmeren Gefilden feiern,
haben wir ein paar Ideen, was das Leben in
der Sonne erst so richtig spaßig macht
SCHMUCK
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WIR MACHEN BLAU AM MEER
Diese Farbe ist ein ganzes Universum von
Möglichkeiten: Unsere schönsten Stücke
und Accessoires in Hamburger bunt
GLÜCKSBRI N GER
Coco Chanel liebte Talismane wie ihren
Ring mit Topas. Davon inspiriert hat das
Haus eine Kollektion herausgebracht.
Inga Griese funkeln schon die Augen
E IN E D LER ROM AN OW
Die Cartier-Kollektion Étourdissant feiert
Farben, Licht und Bewegung. Und dann ist
da noch ein ganz berühmter Saphir wieder
aufgetaucht, erfuhr Silke Bender an der
Côte d’Azur
SO T IC KT DER TÜF TLER
Ferdinand Berthoud war mehr als ein Uhrmacher. Deswegen bringt Chopard jetzt
unter seinem Namen eine Marke mit
Sammlerstücken heraus. Pierre-André
Schmitt kennt die Hintergründe
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STA DTEINWÄRTS
Ob für den Abend in der Oper, den
Barbesuch oder das Flanieren auf dem
Boulevard – hier finden Sie Inspirationen
für jede Metropole der Welt
FÜR GA NZ O BEN
Wer sagt eigentlich, dass auf dem Gipfel
die Luft dünn sei? Mit unseren Tipps behalten Sie auf dem Berg nicht nur den Überblick – Sie genießen ihn vollkommen
FELD, WA LD & WIESEN
Auf dem Land ist Weihnachten noch mal
so entspannt. Und mit unseren Geschenkideen reimt sich das erst so richtig
INTERFOTO/MARY EVANS
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STRO H STERNSTU NDEN
Strohintarsien mussten als Handwerkstechnik vor dem Vergessen gerettet
werden. Die Pariserin Lison de Caunes hat
sich darum sehr verdient gemacht – wer
dabei ans Basteln denkt, wird staunen
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FLAUSCH RAU SCH
Die Bühnendekorateurin Heike Schönfeld
verarbeitet Mohair aus Südafrika zu Schals
und Decken. Sie macht das im Sommer
MODE
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A-LIGA
Als es in München noch eine ernst zu nehmende Schickeria gab, stellte Aigner eine
Art Uniform. Dann verstaubten ChiChi und
Label. Nun ist es wieder voller Leben, das
Label, weiß Silvia Ihring
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SCOTCH PU R
Highend-Strick – das ist Barrie aus Schottland. Fast hätten sie aufgeben müssen.
Chanel hat dafür gesorgt, dass nicht
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DER CHANEL MOMENT
www.chanel.com CHANEL-Kundenservice - Tel. 01801-24 26 35
(3,9 Ct/Min. aus dem Festnetz, max. 42 Ct/Min. aus Mobilfunknetzen).
ICON
In Pelz und Wolle gehüllt, hat Model Elena bei unserem Shooting auf Island nicht
gefroren. Links: Cape von Agnona. Mantel: Boss. Strickpulli: Bottega Veneta.
Turtle-Neck-Oberteil: Cédric Charlier. Hose: Wunderkind. Stiefel: Burak Uyan.
Rechts: Kompletter Look von Louis Vuitton
NOVEMBER 2015
MODE
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KAPITALI SM US, ABER RICHTI G
Mit dem Namen Woolworth verbindet man
in der Regel nichts Glamouröses. Doch wer
die alte Firmenzentrale in New betritt,
befindet sich in einer strahlenden Welt. Eine
großartige Kulisse für unser Modeshooting
Z E ITRE ISE
Gut, dass es mit den Hemden für CocaCola dann doch nichts Großes wurde.
Tommy Hilfiger begab sich in New York mit
Inga Griese auf die Spuren seiner Karriere
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100 WUNDER-ROSA-BA R
Es ist rosa und glitzert? Dann sind Frauen
glücklich. Wir fanden passende Kosmetik
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HE BT DIE LAUN E
Molteni & C. hat Designgeschichte geschrieben. Jetzt widmet man sich der Neuauflage der Möbel von Giò Ponti
MUSTE RMÖBEL
Quadrate können sehr uniform wirken –
oder sie machen aus Möbeln unnachahmliche Unikate. Esther Strerath berät
HEILIGE, NÖ, BLAUE NACHT
Die Farbe der Nacht feiert ein Comeback,
auch in der Kosmetikwelt. Die Neuheiten
GO FOR IT
Starfotograf Mario Testino inszeniert
Talente, die von ihrem Durchbruch erzählen.
Nicola Erdmann traf in den Alpen auf das
Männermodel Johannes Huebl
108 GUTES FL EISCH
Ludwig Hatecke aus dem Schweizer Engadin ist der Künstler unter den Metzgern
104 MRS. DENMARK
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DAS LE BEN, EINE PRALINE
Patrick Roger ist der beste Chocolatier
Frankreichs. Was er macht, ist fast zu schade
zum essen. Silke Bender tat’s trotzdem
106 PFLA NZEN, KUNDIG
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GLO BAL DIARY
Unsere Postkarten erreichen uns dieses Mal
aus Venedig, Kopenhagen und New York
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DER B AU PLAN
So einsteht der Kaschmir-Fur-Cardigan
von Brunello Cucinelli
Wie Marianne Tromborg dem Skandinavien-Credo „Less is more“ folgte und so
mit ihrer Kosmetik eine Menge Erfolg hat
Von wegen bei Kosmetik geht es
nur ums Äußerliche: Was von
Dr. Hauschka kommt, beweist das
Gegenteil
IC E ICE, BABY
Isländer gelten als leicht exzentrisch. Sie
leben ja auch auf einem ziemlich einzigartigen Fleck Erde. Aber wer Mode inszenieren möchte, der ist hier richtig
DESIGN
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GESCHICHTEN
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WA RMHALTEPACKUNG
Canada Goose ist ein Label für Leute, die
im Winter draußen ranklotzen müssen. Kein
Wunder, dass man mit Inuit kooperiert:
Heike Blümner sah sich das an
UNSTERBLICHE AUGENBLICKE
Kuba und die Monroe: Elliott Erwitt gehört
zu den letzten wahren Fotoreportern. In
Amsterdam gibt’s nun eine Ausstellung
Pause zwischen den
Geysiren. Mantel
mit Materialmix:
Kenzo. Lederhose
und Oberteil:
Hermès
DIRK MERTEN (5)
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KOSMETIK
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STILISTEN
AUCH UNSERE LIFESTYLE-WEISEN PROBIEREN’S JETZT MAL MIT GEMÜTLICHKEIT
Diors
Begleiter
PHOTOGRAPH BY RICHARD AVEDON © THE RICHARD AVEDON FOUNDATION
Als Fotograf Richard Avedon
1947 die ersten Fotos für Christian
Dior schoss, hatte er sich wohl
nicht träumen lassen, dass ihn
seine Arbeiten für die folgenden
30 Jahre zum Chronisten der
Marke machen würden. Als er
zwei Jahre später das berühmte
„Junon“-Kleid einfing, wird er
allerdings geahnt haben, was es
mit der Zeitlosigkeit des Modehauses auf sich hat. Der Bildband
„Dior by Avedon“ mit klugen Texten von Justine Picardie und Olivier Saillard wirft einen Blick zurück in jene Zeit (Rizzoli-Verlag).
BYE-BYE, HERBST-BLUES
Unser Mittel gegen den Herbst-Blues? Ignorieren. Denn jetzt sind nicht nur die Tage kürzer, sondern
gleich die ganze Saison. Während wir im Sommer sieben Monate Vorlauf für unsere Kollektionen
haben, bleiben jetzt gerade mal fünf. Das bedeutet vor allem eines: Ab ins Bootcamp – formerly
known as Atelier. Sollte man uns dennoch mal draußen antreffen, dann nach dem Motto: „Der Weg ist
da, wo die Angst ist.“ Wir reisen nicht der Sonne hinterher, sondern geradewegs nach Hamburg, eine Stadt, die den Umgang mit feuchtkaltem Wetter zur Kunst erhoben hat: Auf ein
ausgedehntes Lunch mit Lieblingskundinnen im Restaurant „Die Bank“ folgen Spa-Nachmittage im „The George“ und lange Abende am Kamin unserer Freunde. Womit wir auch
schon beim nächsten Herbst-Highlight wären: jegliche Selbstkasteiung über Bord zu werfen. Gedanken an die Bikini- beziehungsweise Badehosenfigur sind obsolet und ein Mehr
an Volumen lässt sich auf die Winterstoffe schieben. Deshalb nutzen wir unsere Stippvisiten
in der Schweiz auch für die Klassiker des schlechten Eigentlich-lebe-ich-gesund-Gewissens:
Johnny Talbot &
Käsefondue – und am nächsten Tag Raclette.
Adrian Runhof
Und Coopers Meinung zum Herbst? Je kürzer, desto besser. Als Winterenthusiast freut sich
Designer-Duo des
unser Hund jetzt schon auf viel, viel Schnee. Er fängt ihn, durchpflügt, isst ihn. Vermutlich
Modelabels „Talbot
ist er ein Schlittenhund, der im falschen (Terrier)Körper geboren wurde.
Runhof“ in München
Wir hingegen wappnen uns gegen die Kälte mit einer herzerwärmenden Idee: Zur Adventszeit verwandeln wir den Innenhof unserer neuen Münchner Boutique in ein Lichtermeer. Abends
lassen wir uns versehentlich einschließen, genießen die Pracht der barocken Räume um uns herum und
schauen hinaus in das Funkeln und Glitzern. Ganz versonnen, mit einem Glas Rotwein in der Hand.
Und froh, unseren Hamburger Kamin-Freunden zukünftig ein adäquates Erlebnis bieten zu können.
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Weihnachtszauber:
Sieht aus wie ein
echter, der Kunstbaum
mit eingebauten
Lichtern
ÜBER BALSAMHILL.DE
BOUTIQUES
BERLIN • FRANKFURT • MUNICH
Big Bang Jeans Diamonds.
Damen-Chronograph aus Edelstahl, Lünette
besetzt mit 36 Diamanten von insgesamt
1,8 Karat. Ziffernblatt aus original Jeansstoff
besetzt mit 8 Diamanten, exklusiv kreiert von
Hublot. Band aus verwaschenem Jeansstoff,
aufgenäht auf schwarzes Kautschuk.
Auf 250 Exemplare limitierte Edition.
AprèsSki
THE STYLISH LIFE; TENEUES; FAIRCHILD PHOTO SERVICE/CONDÉ NAST/CORBIS
Trendsportarten
sind flüchtig. Die
Tradition, sich im
Winter zum Skifahren in Aspen, St.
Moritz und Co. zu
treffen, hat sie alle
überdauert. Gelegentlich muss etwas
Kunstschnee aushelfen, wie hier bei
Moncler – in Paris.
Mehr Stil zeigt
„The Stylish Life
Skiing“ (teNeues).
UND SONST NOCH
KARTELL
WIEDER DA: 1912 eröffnete Madame Vionnet ihren
eigenen Haute-Couture-Salon in der Pariser
Avenue Montaigne. Mehr als 100 Jahre später gehört die Marke Goga Ashkenazi, und sie eröffnete
nun nahe der ersten Adresse einen 250 Quadratkilometer großen Flagshipstore. (Rue FrançoisIer)æ HOCH DIE TASSEN: Butterbrot zum Wodka
gibt’s ab 17. November für vier Tage in der Popup-Boulangerie von Grey Goose (Friedrichstraße
124, Berlin). æ MIT GEBRÜLL: Der französische
Papier Tigre weitet sein Revier aus und ist nun
auch in der Hauptstadt mit einem Shop anzutreffen. Mit dabei: Schreibwaren, Geschenke, Dekoration Spielzeug – natürlich alles aus Papier
(Mulackstraße 32, Berlin) æ PLANET PLASTIK:
Das Kartell Museum in Mailand hat nach einem radikalen Make-over wieder geöffnet. Ein Blickfang ist der weiß getünchte Fiat 500, auf dessen
Dach Skier montiert sind – die Halterung ist das
allererste Plastikteil, das die Firma je hergestellt hat. Das war 1949, gerade hatte Chemiker
Giulio Castelli Kartell gegründet. Zwei Jahre
später kam die erste Kollektion für den Haushalt
auf den Markt, ein Eimer mit Deckel. Heute wird
jede Minute irgendwo auf der Welt ein Teil der
Marke verkauft. 1000 Exponate zeigt das Museum
auf 2500 Quadratmetern und drei Etagen. Ein Ausschnitt nur, und doch wird hier klar, wie omnipräsent die Marke ist, wer hätte nicht schon mal
auf dem Bestseller
„Ghost“ (der erste
transparente Stuhl,
2002) Platz genommen..? Via delle industrie 3, 20082 Noviglio
Du hast da was: PuschelTaschenanhänger mit Initialen
Ü B E R F E N D I I N D E R M A X I M I L I A N S T R S S E 12 –14
IN MÜNCHEN
RAUSCH ODER RAUS
Wir schalten um in den Wintermodus. Die Sonne macht’s vor und zeigt sich
jeden Tag zwei Minuten weniger. Runterfahren. Wer nicht das Glück hat, bis
zum nächsten Frühling in den Winterschlaf zu treten, muss seinen eigenen Weg
finden, entspannt durch die kalte Jahreszeit zu
kommen. Mein Rat: Betrinken Sie sich!
Wobei, offen gestanden leiste ich dem selbst
wenig Folge. Sobald meine Bürotür ins Schloss
Herbert Seckler
fällt, findet man mich im Wattenmeer oder am
Strand – nicht trinkend, aber spazierend mit meiKultwirt vom
Sylter „Sansibar“
nen Hunden. Raus, raus, immer nur raus in die
Natur. Das macht den Kopf frei. Wie, zu kalt?
Legen Sie zwei Schichten Kleidung oben drauf oder investieren Sie bei allzu
großer Frostbeuligkeit in eine von diesen Ultra Light Daunenjacken.
Danach fühlt es sich großartig an, nach Hause zu kommen. Die Deutschen sind
Meister im liebevollen Einrichten. Nirgends geben die Leute so viel Geld für
Möbel aus wie hier. Jetzt ist die Zeit zu genießen, was man geschaffen hat. Ich
nehme dafür gern auf dem Sofa Platz, nebst Käse, Brot und Dip. Über den
Fernseher flimmern Serien. Ich schaue alles: „The 100“, „House of Cards“oder
„Game of Thrones“. Mein eiserner Thron ist glücklicherweise bequem gepolstert, es lässt sich lang darauf aushalten. Dazu passt ein königlicher Merlot aus
dem Nappa Valley. Der 2012er Amuse Bouche hat gerade lang genug gelagert,
um ein weiches Pflaumenaroma zu entwickeln. Keine Panik, wenn Sie nicht
passend zum Serienprogramm einen goldenen Kelch zur Hand haben, in einem
bauchigen Weinglas entfalten sich die Aromen ohnehin viel besser.
HOW TO ART – TEIL VI:
Schattenloses Dasein
FLORENTINE JOOP
Vorfreude ist der rote Teppich des
Glücks. Früher! Als das Christkind
noch lebte. Wünsche noch Flügel
hatten. Christbaum. Glänzende
Augen. Verpackte Berge. Schenken
machte glücklicher, als beschert zu
werden. Heute: Ein Klick bei Amazon – mit Lieferadresse des Kindes.
Anruf bei Manufactum – Transport
in die Studenten-Bude. Wie war
noch mal Papas PayPal-Code?
Ach. Zünden Sie sich eine Bienenwachskerze an und öffnen Sie eine
Flasche Dom Pérignon – und schreiben Sie mit Montblanc-Füller (es
gibt jetzt einen fürs Fliegen) eine
Liste, die Ihr Herz diktiert.
1. Zeit. Für sich selbst – und andere
2. Hermès-Apple-Watch – mit
Ladeknopf am Nachttisch
3. Light-Helikopter oder „Tragschrauber“ – Prospekt!
4. Tom-Ford-Parfüm
5. Alle alten 007-Romane
6. Das goldbronzene buchleichte
MacBook
7. Neues Riesen-iPad
mit Stift
8. Die Biografie über
John le Carré (Englisch).
9. Asterix – „Der PapyDavid
rus des Cäsar“
Blieswood
(Deutsch oder FranzöConnaisseur
sisch).
aus Hamburg
10. Schneekanone für
Romantiker. 11. Eine Vespa zum
Träumen (auch gebraucht)
12. Skibrille mit Handy-Kopfhörern
von Oakley
13. „Exclusive Yachtclubs“ (133 Fotos)
von Svante Domizlaff – wenn die
eigene Yacht überwintert
14. ......
15. ......
16. ......
17. ...... 18. ...... 19. ......
Bitte selbst ausfüllen!
Hoffentlich schneit es – wie früher,
als unsere Augen noch leuchteten.
Das Licht schwindet. Der Tag erhellt sich meist im Zwielicht, der
Regen wäscht die Laune hinfort, und die Blätter wirbeln vor den
Scheinwerfern herum, bevor sie sich ablegen, um eine rutschige
Schicht auf Berlins Bürgersteigen zu werden. Lichtabwesenheit ist
der Malerei abträglich. Ohne Licht keine Schatten, keine Kunst
der Farbe und Form. Keine Lust mehr.
Meine ansonsten so geliebte Heimatstadt Hamburg hatte uns
Gestalter nie mit Licht verwöhnt. Das graue Helle, das die Augen
blendete, tat meiner Malerei nicht gut. Der erhebendste Moment
ist es, die Lichthebung zu setzen, geschickte Tüpfelchen auf Mittelgrund, die die Raum- und Bildwirkung vervollkommnen. Dann
zeigt sich, welch malerisches Geschick in einem steckte. Gelernt
ist gelernt, sagt der Norddeutsche, aber dafür braucht es eben das
Licht, um überhaupt sehen zu können und das Sehen zu lernen.
Es ist kein Wunder, dass so unsagbar viele Maler ihr Licht sehnendes Heil in den Mittelmeerregionen suchten. Sogar in den Wintermonaten scheint dort die Sonne und streichelt das kreative Auge
mit leuchtenden Farben und langen Schatten. Es ist ein schattenloses Dasein in den nördlichen Regionen unseres Landes.
Zeichnen ist eine Lösung, denn für eine gute Zeichnung braucht
es anderes Licht. Da reicht auch grelles Kunstlicht, um den sensiblen Strich und die lebendige Schraffur zu schaffen. Es gab und
gibt viele grandiose Zeichner, Grafiker und Bildhauer in meiner
Mal was Eigenes:
Kaschmirpullover oder
Twin-Sets selbst gestalten
ÜBER PRINGLEDECONSTRUCTED.COM
Heimatstadt. Allen voran natürlich Horst
Janssen, aber auch Loriot studierte in
Hamburg und Fritz Fleer mit seinen Bronzefiguren. Maler sind Mangelware geblieben.
Berlin gab mir das Licht zurück, der Himmel so weit, die Sommer so heiß, der Winter so kalt, und die Sonne hat Platz zum
wandern. Einer meiner liebsten Maler, Walter Rudolf Leistikow, und auch Max Liebermann waren Lichtbringer, schufen flirrende
und irisierende Landschaften. Berlin ist eine Stadt mit internationalem Licht, könnte
man sagen.
Hamburg machte mich zum Zeichner, Berlin zum Maler. Und genau wie deutscher
Wein lange Zeit chronisch unterbewertet
wurde, so wird auch das Licht hierzulande
nicht genug gewürdigt. Malerische Landschaften, fand schon Casper David Friedrich, dafür braucht man gar nicht an die
Côte d’Azur, da reicht Hiddensee. Bleibt da
immer noch der Herbst mit seinen kurzen
nebligen Tagen, den bleiernen Regenwolken über bleiernen Gemütern. Nun ist wieder Zeit für ein Gefühl, welches uns Kreativen sehr vertraut ist: die Melancholie, nicht
zu verwechseln mit Depression oder
Schwermut. Melancholie ist dem Kreativen
sein Salz in der Suppe, deshalb mag der
Sommer das Licht bringen, der Herbst
bringt die Idee. Und wenn das Licht sich zurückzieht und der Mond wieder Hof hält,
kann der Künstler entspannen und träumen,
innerlich auf Reisen gehen. Denn wo viel
Licht ist, kann man den Mond nicht sehen.
GETTY IMAGES
PICTURE ALLIANCE
SANTA
BLIESWOOD
Florentine
Joop
Illustratorin
und Autorin
in Berlin
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Einfach mal raus jetzt. Es war schon immer ein Kommen und Gehen. Die Menschen kamen wegen des
guten Wetters, um eine Traumkarriere in Hollywood zu
machen oder um an einer der vielen Universitäten und
Hochschulen zu studieren. Danach zogen sie weiter.
Über die Frage, ob es ein neues Los Angeles gebe,
lächeln die Angelenos. Bewegung und Veränderung
sind der Normalzustand.
Die nach New York zweitgrößte Stadt der Vereinigten
Staaten zählt als Metropolregion mit knapp 18 Millionen Einwohnern zu den größten der Welt. Mit allen
Vor- und Nachteilen: Wenn Sie durchschnittlich 64
Stunden pro Jahr im Stau stehen, muss Mobilität neu
erfunden werden. Abschrecken lässt sich davon allerdings niemand. Insbesondere aus Paris und New
York ziehen jetzt immer mehr Künstler nach L.A.,
mieten in maroden Stadtteilen alte Lagerhallen, eröffnen Cafés, Galerien und Ateliers und prägen damit
das kulturelle Leben.
Downtown werden alte Gebäude aufwendig saniert,
und mit den neuen Hotels, Restaurants und Läden
entsteht da, wo sich eben noch nachts keiner auf die
Straße traute, ein neues Zentrum. Im September ist
dort gerade das Broad Museum eröffnet worden, in
unmittelbarer Nachbarschaft zum Museum of Contemporary Art und der Disney Concert Hall. Spätestens seit der Eröffnung des Getty Centers 1997, hoch
oben in den Santa Monica Mountains, kommen Touristen allein für den Besuch von einem der 300 Museen.
Was sie sehen, stammt wesentlich aus privaten Sammlungen und reicht von spektakulärer zeitgenössischer
Kunst über Dinosaurier bis zu interaktiven, biologischen und physikalischen Wundern, Letzteres im
California Science Center.
Galerien namhafter Künstler und immer wieder Stars
und Sternchen und Hollywood-Feeling am Sunset
Boulevard sowie in Nachtklubs und Bars im Trendviertel Silver Lake. Dazu traumhafte Parks und
die Avantgardearchitektur der 1920er- und 30erJahre von Frank Lloyd Wright, R. M. Schindler,
John Lautner und Richard Neutra. Viele der
Gebäude schrieben Filmgeschichte. Das kunstvolle Innere aus Marmor, Eisen, Holz und Glas
des Bradbury Building beispielsweise kennen Sie
aus den Blockbustern „Chinatown“ und „Blade
Dr. Maria
Runner“. Was kaum einer weiß: Es wurde von
Schneider
dem arbeitslosen Designer George H. Wyman
Kreativdirektorin
entworfen, der nie zuvor ein Haus gebaut hatte
der Autostadt
und der den Bauauftrag annahm, nachdem sein
in Wolfsburg
verstorbener Bruder es ihm in einer Séance befohlen hatte. Leider starb Wyman, bevor das Haus
1893 fertig wurde. Irgendwie alles filmreif! Sehenswert
ist zweifellos auch die Cathedral of Our Lady of the
Angels von José Rafael Moneo, die drittgrößte Kathedrale der Welt mit Platz für 3000 Menschen im
Innenraum und 6000 im Kirchhof oder die Union
Station aus der Zeit als Hollywoodstars wie Marlene
Dietrich noch mit dem Zug reisten. In L.A. muss alles,
so scheint es, etwas größer oder schöner sein als insbesondere in New York: Der größte Stadtpark der
USA, der Griffith Park, fünfmal so groß wie der Central Park in New York, ist ein Geschenk des Millionärs
Griffith mit 90 Kilometer Wanderwegen, Pferderanch,
Karussells, einem Zoo, Planetarium und Museum.
Auf den langen Wegen durch die Stadtteile lohnt ein
Stop im „Zinc Café Market & Bar“ im Arts District
oder im Biorestaurant „Gracias Madre“ im angesagten
Mission District, ein Hotspot für vegane VIPs. Natürlich hat L.A. auch eine elegante Seite: Der Blick von
der Terrasse des „Nobu Malibu“ auf den Pazifik ist
mindestens so spektakulär wie das Essen.
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CHRISTOPHER BAILEY
WAS NEUES
IM WESTEN?
Londoner Schirmherr
Ob Burberrys CEO und Kreativchef Christopher Bailey im engen Kontakt
zu Harry Potter steht, ist nicht bekannt. Fest steht, dass er sich dieses Jahr
der Gestaltung des traditionellen „Claridge’s“-Weihnachtsbaums in der Lobby des Londoner Hotels annimmt. Da denkt man schon an Zauberei, wenn
aus über 100 metallisch reflektierenden Regenschirmen ein Festbaum wird.
Bau-Art:
Adventskalender
zum Selbstfüllen
für Designbewusste
Ü B E R H I E R O N Y M U S - C P. C O M
FOTOGRAFIE VON KILLIAN SCHÖNBERGER,AUS THE GREAT WIDE OPEN,COPYRIGHT GESTALTEN 2015
Himmelsgewölbe
Wenn es zu Hause
dunkel und trist ist,
schweifen die Gedanken
in die Ferne. Heben ab
in höhere Gefilde wie
die Sextner Dolomiten.
Der Bildband „The
Great Wide Open“ von
Jeffrey Bowman,
Sven Ehmann und Robert Klanten führt in
42 Panoramen um
die ganze Welt
(Gestalten Verlag).
GEMÜT UND
GEMÜTLICHKEIT
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BERG-SEHNSUCHT
Ich bin im tiefsten Chiemgau aufgewachsen und habe jeden Tag die Berge gesehen. Das prägt. Als kleines Mädchen war eines meiner spannendsten Abenteuer,
in unserem Kinderbadezimmer auf den Toilettenrand zu klettern und von dort, auf
Zehenspitzen stehend, aus dem Dachfenster zu gucken. Denn von dort offenbarte sich mir die Frontalansicht der Kampenwand, mein 35 Kilometer Luftlinie entfernter „Hausberg“ und je nach Wetter quasi zum Greifen nah. Manchmal war die
Sicht so klar, dass ich sogar glaubte, das Gipfelkreuz, übrigens das größte in den
bayerischen Alpen, berühren zu können. Am aufregendsten war es jedoch
abends: Die glitzernde Lichterkette der Kampenwand-Gondelbahn faszinierte
mich unendlich und meine romantische Berg-Sehnsucht wuchs ins Unermessliche.
Die Kampenwand war quasi mein zweites Zuhause: Im Winter verbrachte ich jede
freie Sekunde mit Skiern und ohne Stöcke als „Pistensau“ (O-Ton meines Vaters),
und im Sommer wanderten wir als bajuwarisch gekleidete Bilderbuchfamilie zum
Gipfel hinauf. Zwischen den 1669 Metern meines bayerischen Lieblingsbergs und
dem Mount Everest als höchstem Berg der Welt gab’s für mich damals keinen Unterschied: Von oben auf die Welt, das hügelige Grün des Chiemgau und das unendliche Blau des Chiemsees zu blicken und dabei die steinerne Alpen-Kulisse im
Rücken förmlich zu spüren, das raubt mir auch heute noch den Atem.
Neuer Praktikant?
Unser Uhrenmagazin
fand Helfer im
Deutschen Luft- und
Raumfahrtzentrum
RAGNAR SCHMUCK
In meinem Freundeskreis beobachte ich, dass viele
ständig und das ganze Jahr auf Reisen sind. Und
das nicht nur geschäftlich. Auch Skype, Facetime
und WhatsApp haben nichts an der Mobilität
geändert. Ein Wochenende hier, zwei Tage dort.
Man benutzt den Flieger wie ein Taxi, trotz des
Stresses beim Einchecken, der langen Schlangen
und all der Unannehmlichkeiten, die inzwischen
mit Flugreisen verbunden sind. Ist das „The fast
lane“-Lebensgefühl aus der „Financial Times“Kolumne von Tyler Brûlé überhaupt noch so erstrebenswert? Ich reise, deshalb bin ich? Vielleicht
sollten wir versuchen, mit der Ankunft des Herbstes einen Gang zurückzuschalten. Es ist die ideale
Zeit, um einen besinnlicheren Lebensstil,
die lokalen Vorzüge wiederzuentdecken.
Hier also ein paar Tipps für den Genuss
der kühleren Tage mit allen Sinnen: Genießen Sie die eigenen vier Wände bewusster.
Kaschmirdecke, ein spannendes Buch und
all die großen und kleinen Privilegien, die
wir eigentlich für so selbstverständlich
Emmanuel
halten. Profitieren wir wieder mehr von
de Bayser
unseren wunderbaren kulturellen EinrichMitbesitzer von
„The Corner
tungen. Ein Museumsbesuch, ein Konzert
Berlin“
oder abends ins Theater: Genießen wir
mehr die großartigen Dinge vor Ort, ohne
immer in die Ferne zu schweifen. Der Herbst ist die
Zeit der Geselligkeit: Vielleicht mal wieder alte
Freunde einladen, um zusammen ein neues Rezept
mit saisonalen Zutaten auszuprobieren? Gemütlichkeit ist etwas fürs Gemüt. Die Batterien aufladen für eine Welt, die durch zu viel Information,
Meinung und Social Media aus den Fugen zu
geraten scheint. Zünden wir eine Kerze an: ein Bad
im Kerzenschein, ein Dinner bei Kerzenlicht, ein
aufgeschlagenes Bett im schwachen Schein einer
Kerze. Romantik, Wohlbehagen, Sinnlichkeit, wer
will da noch ans andere Ende der Welt skypen?
L I E G T A M 19 . N O V E M B E R I N D I E W E LT
Ala Zander
Inhaberin der
PR-Agentur
Stilart in
München
Es ist
angerichtet
Ich sitze Anfang der 70er-Jahre in München auf einem angegrauten Flokatiteppich und stricke einen Regenbogenpullover. Dabei rauche ich einen
Joint und höre „Dark Side of the Moon“ von Pink Floyd. Ich trage Hotpants, Willy Brandt hat den Friedensnobelpreis bekommen und meine
Nachbarn suchen ihren Frieden in den Armen von Bhagwan. Von diesem
Wahn halte ich allerdings nichts, sondern denke darüber nach, wie es mit
meinem Leben weitergeht und in welchem Beruf ich mich als Nächstes
versuche. Ich hatte es schon als „Bild“-Reporterin, Werbetexterin, Fotografin und in einem Reisebüro probiert, aber alles erfolglos wieder abgebrochen. Jetzt bin ich 27 Jahre alt und müsste doch endlich
meine Berufung finden. Aber in meinem berauschten Zustand
denke ich lieber darüber nach, wie ich die nächste Party mit
meinen Mitbewohnern in unserer abgerockten Villa in Pasing
organisiere. Darin bin ich richtig gut, und unsere dekorativen,
exzessiven Feste mit Disco-Sound und -Feeling machen Furore.
Flower Power und Hippie-Kultur sind angesagt: Schlaghosen,
Peace-Zeichen und Blumen über Blumen. Dem Schrecken des
Iris von Arnim
Vietnamkrieges setzen wir bunte, schrill gemusterte FolkloreDesignerin
in Hamburg
und Nostalgie-Looks entgegen, und Pazifismus und sexuelle
Freiheit stehen im Mittelpunkt des Interesses. Aber auch meine
bunten Pullover kommen gut an. Viele Freundinnen möchten unbedingt
einen haben. Stricken ist damals das Credo. Von der Kleidung bis zur
Dekoration der Wohnung wird alles gestrickt und gehäkelt, und auch Männer greifen ungeniert zur Stricknadel. Ich brauche eine Idee. Die habe ich,
als mir klar wird, dass ich meine Pullover vervielfältigen lassen muss, und
24
Fest-Schuhwerk:
Die „Dandy Mirror“-Derbys
gibt’s auch in Christbaumkugelblau und -rot
E T WA I M K A D E W E B E R L I N ,
T A U E N T Z I E H N S T R . 21– 2 4
zwar von Heimarbeiterinnen. Ich verlasse München, das mir kein Glück
gebracht hat, und ziehe nach Hamburg in eine kleine Wohnung in die Brüderstraße. Dort eröffne ich 1976 eine Boutique. Die Regenbogenpullis werden abgelöst. Ich entwerfe Geschichten in Strick, bunt, wild, gemustert, mit
Motiven aus der Kunst, ein typisches Produkt des übermütigen und freien
Lebensgefühls der 70er-Jahre. Was damals der Vietnamkrieg war, sind heute
leider viele Kriegsschauplätze in aller Welt. Angst, Flucht, Tod und Entsetzen
sind allgegenwärtig. Deshalb kann ich gut verstehen, dass die Mode ihre
Inspiration derzeit wieder aus den 70er-Jahren bezieht. Es ist die Sehnsucht
nach Freiheit und Lebendigkeit. Alles schien möglich, es gab kein ModeDiktat. Ich kann dieses Revival gut verstehen – Hauptsache, die Schulterpolster bleiben uns erspart.
FRATELLI ROSETTI
MEINE WELT SIND
DIE SIEBZIGER
CATHLEEN NAUNDORF
Einmal in die Töpfe der
gehobenen Küche im Hotel „Plaza Athénée“ in Paris schauen, das wäre doch
was. Fotografin Cathleen
Naundorf hat sich getraut
und serviert eine DiorRobe, angerichtet auf einem Polaroid. Verwaschene Kontraste geben die für
die Fotografin typische
nostalgische Note. Jener
Stil brachte der Deutschen
schon Fotoaufträge bei
sechs Couture-Häusern
ein. Die Ergebnisse zeigt
ab 7. Januar die Ausstellung „Haute Couture“ in
der Edwynn Houk
Gallery in New York.
MERT ALAS AND MARCUS PIGGOTT/TASCHEN VERLAG
RotBündchen
Nein, Gisele Bündchen hat sich nicht
im Nikolaus-Fundus
bedient. Der rote
Rauschemantel gehörte 2008 zu einer
Modestrecke der
Fotografen Mert Alas
und Marcus Piggott.
Ein limitiertes, signiertes, gleichnamiges Buch zeigt die
schönsten Bilder ihrer
Karriere (Taschen
Verlag).
UND SONST NOCH
LANGSTRUMPF: Dorothee Schumacher hat gemeinsam mit Item m6 eine
Strumpfkollektion entworfen, die gesehen werden will. Ja, am besten in
Riemchensandalen und Pumps. Denn die „High Heel Socks“ etwa sind mit einem kleinen Kristall verziert. Gibt’s über item-m6.com æ KLEINE SCHÄTZE: Schon zehn Jahre klimpern Thomas Sabos Kleeblatt, Herzchen und Co. an
zahlreichen Armbändern. Zum Jubiläum des „Charm Clubs“ gibt es eine Sonderkollektion mit je fünf weißen Diamanten pro Anhänger, eingefasst in
Sterling-Silber, über thomassabo.com æ GANZ DER PAPA:Mit der „Father &
Son“-Kollektion vom Wäschehersteller Mey gibt’s Papas weißes T-Shirt
nun auch für Junior. Auf Wunsch auch mit eingestickten Initialen (gibt’s
etwa bei Lodenfrey in München oder Schnitzler in Münster) æ NEUERÖFFNUNG: Salvatore Ferragamo hat es sich mit Schuhen und Accessoires im neuen Ladengeschäft in Berlin schön gemacht – auf 290 Quadratmetern (Kurfürstendamm 193) æ NICHT VON DIESER WELT: Die Geschenke-Sets mit Kosmetikprodukten von Aesop sind nach Sternenformationen wie Kassiopeia oder
Perseus benannt. Wir wünschen uns „Auriga“, das Zeichen für Winterhimmel. Über aesop.com æ TÜRCHEN AUF, GUTES TUN: Es gibt ihn wieder, den
Charity-Adventskalender vom Concept-Store Apropos, der mit Gewinnen
unter anderem von Etro, Woolrich
und Schmuck von Coleen B. Rosenblat bestückt ist. Der Verkaufserlös unterstützt krebskranke
Kinder, über apropos-store.com
oder in den Geschäften in Köln,
Hamburg oder München
Für Nostalgiker:
So wird es festlich
mit Dolce & Gabbana
26
TRENDBAROMETER VON
WOLFGANG JOOP
Herr Haka
Kürzlich kam die Frage auf: Was heißt Mode
überhaupt? Man guckt dann schnell im Internet
und ich fühlte mich sehr bestätigt von der Erklärung, sie sei ein „zeitlich begrenzter Abschnitt“. Moden gehen vorbei und weil der Abschnitt begrenzt ist, können wir viel Blödsinn
mitmachen. Inzwischen kommen diese
Abschnitte aber derart schnell, dass
bald allen die Luft ausgeht. Wir leben
in einer Phase, in der Designer
gehen oder sich umbringen, weil sie
den Druck nicht mehr aushalten
und in der wiederum die Stylisten
den Ton angeben und absahnen. Ich
selbst hab mir kürzlich auf Ibiza bei
„Throw it out“ großkarierte Hemden aus Acryl mit schrägen Patches
gekauft. Quasi lustiges Grunge.
Wenn es ernst ist, ist die Lust am Verkleiden groß.
Frau Dob
Aber ganz ohne Marken haben wir keine Selbstverteidigung am Leib.
Die Peergroup schützt. Was sagt es aus, wenn eine Marke mit dem
Namen „Les Enfants Riches Déprimés“ erfolgreich ist? Das ist ein
Streetwear-Label aus Los Angeles, 2012 von dem amerikanischen
Künstler Henri Alexander gegründet. Die Idee zu dem Namen kam ihm
morgens um 3 auf dem Montmartre in Paris. Eine Art französischer
Punk mit ein bisschen 70er Subkultur und 80er Japan Avantgarde.
Déconstruction trifft auf handgemachte Prints. Als Haltung gegen die
Luxusmode – aber zu verrückt hohen Preisen, eine Lederjacke mal eben
3000 Dollar, T-Shirts für 500 Dollar. Nach dem Motto: „Wir sind reich,
wir sind kindisch, aber so depressiv? Was ist das?
OH, LOOK! UNSERE
ICONA ZEIGT IHRE AKTUELLEN LIEBLINGSTRENDS
ILLUSTRATIONEN: JAMES DIGNAN (JAMESDIGNAN.COM)
CLOUDICONA
Heiter bis wolkig: Sieht
aus wie ein Armband,
ist aber ein Ring –
„Clouds“ von Vieri
+
Woll-Lust:
Pullover „Keel“ von
Iris von Arnim
+
Icona in the sky with diamonds:
Die „Cerfs-Volants“-Ohrringe
sind von van Cleef & Arpels
+
= 11.797 €
Entspannte
Gesichtszüge:
„Creme Iridoradiante Rich“
von Apot.care
+
+
Leo macht lustig:
Die Loafer sind
von Unützer
+
Kandidat zum Kuscheln:
Kaschmirdecke „Trinity
Classic“ von Lala Berlin
Ihren Earl Grey
trinkt Icona gern
aus der VeraWang-Tasse von
artedona.com
Weit und breit keine
Sonne in Sicht: Hose
von & Other Stories
Comfort Zone: Die Chaiselongue ist von Minotti
NERDIKEN
+
Grau und schlau:
„Esel“ aus dem
Matthes & Seitz
Berlin Verlag
+
+
Alles im grauen
Bereich: Pullover von
Tiger of Sweden
Klarer Fall: Karaffe
und Whiskygläser von
Nachtmann
Pures
Vergnügen:
„Strictly“
von Jil
Sander
+
Ziemlich „layed back“: Der „Grand
Repos“ von Vitra ist im Farbton
„Razzle Dazzle“ auf 350 Stück limitiert
28
Grey Day: Hose aus
der COS Essentials
Seasonal Collection
Durchsichtige Absichten: Brille
von Tod’s über misterspex.de
+
Pantoffelheld: Samtslipper
von Etro über mrporter.com
= 6.655 €
ES FUNKELT
Pass gut auf
Coco Chanel liebte Talismane. Einer war ein Ring mit
einem Topas. Das Thema inspirierte Schmuck-Direktor
30
lich einen Geist ein. Aber ich
mag und erzähle gern eine Geschichte, weil es vielen auch
wichtig ist, zu verstehen, worum es geht. Trotzdem können sie den
Schmuck so sehen, wie sie wollen. Früher
ging es um große Steine, um Macht. Die Könige, die Bischöfe ... aber das ändert sich. Daher
brauchen wir Geschichten. Die Idee der Kollektion ist also ziemlich neu, auch wenn
Mademoiselle Chanel bereits 1932 eine entwarf, weil sie daran gewöhnt war, Kollektionen zu machen. Aber die meisten Leute fertigten Einzelstücke. Kollektionen waren sehr
selten, auch vor 20 Jahren noch.
Früher gab es am Pariser Place Vendôme, wo
auch Ihr Atelier ist, all die berühmten Juweliergeschäfte. Heute drängen die großen, sagen wir
mal „Lifestyle-Marken“ in Ihr Terrain. Wie sehen Sie das?
Wir waren 1993 ja selbst die Ersten. Darüber
darf ich mich also nicht beschweren.
Es kaufte auch niemand echten Schmuck zu
enormen Preisen bei einer Modemarke.
Ganz genau. Deshalb war es ein smarter Zug
von Chanel, zur damaligen Zeit darauf zu setzen und vorauszusehen, dass es möglich ist.
Auch Chanel weist nachhaltige Produktionen
und zertifizierte Lieferwege nach. Ist das Testat
vom „Responsible Jewellery Council“ heute
wichtiger als das Design?
Es geht um verantwortungsvolle Herstellung
– nicht um verantwortungsvolles Träumen!
CHANEL FINE JEWELRY
I
st Chanel der Traum eines Benjamin Comar zu einer bezaubernden HauteSchmuckdesigners? Es stehen
Joaillerie-Kollektion. Inga Griese ist beglückt
jede Menge Geld und Möglichkeiten zur Verfügung.
Glücklicherweise werden wir von unserem Wie arbeiten Sie? Sprechen Sie zuerst mit Karl
Management sehr dabei unterstützt, dieses Lagerfeld über seine modischen Ideen?
Geschäft zu entwickeln. Die Grenzen sind Nein – wir arbeiten getrennt von Herrn Laweit gesteckt. Im Schmuckdesign geht es aber gerfeld. In der Mode machen sie neun Kolleknicht darum, zu machen, was man will, son- tionen pro Jahr – das ist unheimlich viel! Wir
dern zu versuchen, Dinge zu kreieren, die an- hingegen arbeiten in Zyklen von zwei Jahren.
deren gefallen. Ich mache das gern, weil mir
die wertvollen Materialien gefallen und weil Aber Sie nutzen das Archiv?
man seiner Arbeit eine Seele geben muss. Es gibt nur sehr wenig Material, denn MadeDenn Schmuck hat keine Funktion, er hat nur, moiselle hat nur eine einzige Schmuckkollekwas man in ihn hineinlegt. Deswegen liebe tion 1932 gemacht. Wir lassen uns von ihrem
ich es auch, die ältesten Stücke der Welt für Erbe inspirieren – ich meine die Löwen, die
heutige Frauen zu verwandeln.
Perlen, das Weiß, das Schwarz, die Kamelie
und so weiter. Aber die Idee besteht nicht daHat sich deren Einstellung gewandelt?
rin, nostalgisch zu sein und zu wiederholen.
Ja. Lange war Schmuck ein Symbol für Macht,
eine Trophäe. Heute geht es mehr um Eleganz Es ist schon erstaunlich, dass aus ein paar
und Gefühl, Frauen haben ein größeres Ge- Schlüsselcodes so viele neue Produkte entstespür für die Feinheiten. Das freut mich.
hen, bei denen man als Betrachter aber sofort
die Verbindung Chanel herstellt.
Kaufen sie immer häufiger selbst?
Wir haben das Glück, für das Unternehmen
Es hängt von der Kultur und dem Land ab, in einer Dame zu arbeiten, die eine Visionärin
jedem Fall suchen sie ihn immer häufiger war und vieles lange vor allen anderen geselbst aus. Sie haben eine Beziehung zu dem macht hat. Also denke ich, ja, es entsteht alles
Schmuck und deswegen haben wir nun die aus der Marke heraus. Die Magie von Chanel
„Talisman“-Kollektion entworfen. Wir hatten hat eine enorme Tiefe, eine Tiefe im Sinne
das Gefühl, dass es der richtige Moment ist. von kreativer Offenheit.
Talismane braucht man immer, aber jetzt vielleicht besonders. Wenn man ihn trägt, ist man Reicht es nicht, dass Schmuck einfach schön
entspannt und fühlt sich stark. Gabrielle Cha- ist? Braucht er eine Geschichte? Ein Thema?
nel war ja umgeben von solchen Dingen und Die Leute müssen selbst etwas aus einer Koldaher gehören sie zur Kultur des Hauses.
lektion herauslesen. Wir hauchen ihr ledig-
FLANIEREN MIT HERMÈS
Informationen unter:
Tel. 089/55 21 53-0
Hermes.com
Krokodil von rechts
Auf Beutezug: Das KrokodilCollier aus üppigen Smaragden und Diamanten ist eines
der Prachtstücke der 50teiligen Kollektion, die
Cartier im Sommer in Südfrankreich präsentierte
Luxusschmuck erlebt eine neue Hochkonjunktur.
Cartier lud zur Präsentation standesgemäß an die
Côte d’Azur und wartete mit einem Knüller auf: Dem
legendären Romanow-Saphir mit 197.8 Karat.
Silke Bender durfte ihn zumindest anschauen
D
32
ie Côte d’Azur ist auch
nicht mehr das, was sie
mal war. Zumindest,
wenn man heute die
Strandpromenaden entlangspaziert. Die Eleganz,
der Glamour und die Prise Nonkonformität, die
die Orte Antibes oder Juan-Les-Pins einst umwehten, sind aufgesaugt worden von Hüpfund Bettenburgen, China-Restaurants und
kreischenden Wohlstandskindern. Die Riviera, wie sie ab den 20er-Jahren zunächst die
amerikanische Intellektuellen- und Künstlerszene faszinierte, ist ein Mythos, tief verschüttet unter den Sedimenten einer ziemlich profanen Gegenwart. Man muss die Orte, in der
die Vergangenheit noch funkelt, mit der Lupe
suchen, sie freilegen – und genau damit kennt
sich Cartier aus. Für die Präsentation seiner
neuen Haute-Joaillerie-Kollektion Étourdi-
ssant hat Cartier sie wieder ausgegraben und
reanimiert.
Erste Station: Das Art-déco-Hotel „Belles Rives“, in dem einst F. Scott Fitzgerald und seine
Frau Zelda die Roaring Twenties ans Mittelmeer brachten. Verblichene Schwarz-WeißFotos in der Hotelbar erzählen davon: Josephine Baker mit Gepard auf dem hoteleigenen
Bootssteg, Ernest Hemingway oder Rudolph
Valentino – Familienfotos eines intellektuellen Jetsets. Im Hotel, das damals noch „Villa
Saint Louis“ hieß, soll Fitzgerald „Zärtlich ist
die Nacht“ geschrieben haben. Heute umarmt
man hier eher die Vergangenheit, als dass man
sich von der Muse küssen lässt.
Weiter geht es ins Château de la Garoupe in
Antibes. Hier wurde für zwei Wochen fast der
gesamte Cartier-Schatz versammelt. Wer in
dieser Zeit eine der weltweiten Cartier-Boutiquen in der Hoffnung auf ein exklusives Einzelstück besuchte, dem wurde ein Besuch an
der Côte d’Azur nahegelegt. Nicht nur die 50
neuen Kreationen der Étourdissant-Kollektion, sondern auch die historischen Kronjuwelen des Hauses waren dort ausgestellt.
Im ersten Stock des Châteaus sitzt die Kreativdirektorin von Cartier, Jacqueline Karachi, in
einem klimatisierten Empfangssalon und hält
die Zeichnungen der neuen Kollektion mit
dem bezeichnenden französischen Namen für
„atemberaubend“ hoch. Sie erzählt von Bewegung, Farben, Leichtigkeit und dem Licht, das
diese Kollektion inspirierte. Von farbigen
Steinen, die sie aneinanderreihte wie die Pinseltupfer der Impressionisten: „Ohne die ausgesucht schönen Steine könnten wir nicht
diesen Zauber entfalten“, sagt sie. Und die
Steine werden immer seltener, die Nachfrage
steigt. Lange war das Pariser Juwelierhaus die
erste Adresse, wenn es darum ging, die üppigsten Preziosen für gekrönte Häupter von
3
Kaiserin Eugénie bis zu indischen
MONTAGE: ICON; CARTIER
JUWELEN
„Schmuckverrückte
Frauen wie Liz Taylor gibt
es heute noch genug“
P I E R R E R A I N E R O, I m a g e - D i r e k t o r b e i C a r t i e r
Der Romanow-Saphir ist wieder aufgetaucht. Nun als
Armspange in der Étourdissant-Kollektion, zu der auch
die Schmuckuhr und der Pantherreif gehören
34
3 Maharadschas zu fertigen. Heute tummeln
sich einige Wettbewerber auf dem Markt. Luxusschmuck erlebt in den letzten zehn Jahren
eine neue Hochkonjunktur. Wir leben in Zeiten, wo viele Superreiche nach Wertanlagen
suchen, die sicherer und bleibender erscheinen als Wertpapiere und Firmenbeteiligungen.
Seit 1982 arbeitet Jacqueline Karachi bereits
bei Cartier, heute leitet sie ein Team aus 12 Designern. Anders als die extravagante Jeanne
Toussaint, die legendäre Cartier-Designerin,
Coco Chanel-Freundin und Erfinderin des
Haustieres von Cartier, dem Panther, ist die
kurzhaarige Mittfünfzigerin diskret fast bis
zur Schüchternheit. Wenn sie von den kostbaren Steinen spricht, die sie zu einer CartierPreziose verarbeiten soll, spricht sie von Demut gegenüber deren Geschichte und Seele.
Als ihr kürzlich der berühmte blaue Romanow-Saphir auf dem Samttablett gereicht
wurde, um ihm zu neuem Leben zu verhelfen,
musste auch sie schlucken: „So ein Stein ist
etwas ganz Besonderes, er trägt so viele Geheimnisse in sich“, sagt sie andächtig. Sie ersann ihn neu als Manschettenarmreif, mit
einem bewegten Strukturmuster aus Diamanten, die wie Raureif schimmern. Der kostbare
Saphir lässt sich bei Bedarf auch gegen einen
dezenteren, gravierten Bergkristall austauschen. Das Romanow-Armband ist das Highlight der neuen Étourdissant-Kollektion und
mit einem Preis von fast acht Millionen Euro
auch das wertvollste Stück.
Der kissenförmige, meerblaue 197.8 KaratStein mit dem leicht pinkfarbenen Schimmer
gehörte der letzten russischen Zarin Maria
Fjodorowna, die ihn als Brosche trug. Durch
die Revolutionswirren verschwand er lange
von der Bildfläche, bis er 1928 plötzlich bei
Cartier in New York wieder auftauchte und
fortan als Halskette der Operndiva Ganna
Walska Furore machte. 1971 veräußerte sie den
wertvollen Stein bei einer Auktion an einen
unbekannten Bieter, 1992 kam er bei einer
Sotheby’s Auktion in Genf erneut unter den
Hammer – und landete im vergangenen Jahr
schließlich erneut bei Cartier. Wie, von wem
– das bleibt Hausgeheimnis.
Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie der
Geschichte, dass der Romanow-Saphir nun
ausgerechnet im Château de la Garoupe seinen neuen Besitzer finden soll. Das Anfang
des 20. Jahrhunderts vom britischen Baron
Aberconway erbaute Anwesen mit der spekta-
kulären, kaskadenartigen Treppe
zum Meer gehörte zuletzt dem russischen Oligarchen Boris Beresowski, der unter mysteriösen Umständen 2013 in England starb. Im
März dieses Jahres hat die französische Justiz das Anwesen konfisziert, es geht um Strafzahlungen
und Geldwäsche in Millionenhöhe.
So wurde für Cartier ein weiteres
prächtiges Anwesen an der Côte
frei, ein temporärer Showroom der Extraklasse. Aber über die nicht minder schillernde Geschichte der außergewöhnlichen Eventlocation wollte dann doch lieber keiner der Gastgeber gern reden.
Der Mann, der das könnte und der auch weiß,
wie der Romanow-Saphir den Weg zu Cartier
fand, hütet sein Geheimnis genauso strikt wie
das Haus seine wertvollen Juwelen: Pierre
Rainero, seit 31 Jahren Direktor für Image, Stil
und das kulturelle Erbe der Firma. Er kennt
die fast 170-jährige Geschichte des Hauses wie
kein anderer. Sein Blick schweift von der Beletage des Hauses die Treppen hinunter zum
Meer, das mit den Juwelen im Innern um die
Wette zu glitzern scheint. Cartier und die Côte
d’Azur, das sei eine lange Romanze: „Wenn ich
das so sehe, muss ich spontan an einen privat
gedrehten Film in unserem Archiv denken“,
erzählt er. „1956 schenkte Filmproduzent Mike
Todd in der Villa La Favorite am Cap Ferrat Liz
Taylor ein wunderschönes Rubin-Collier,
eines unserer emblematischsten Stücke der
50er-Jahre. Ihr strahlendes Gesicht sprach
Bände. Die Perspektive mit dem Garten und
den Treppen zum Meer ist die gleiche wie
hier. Das Collier haben wir nach ihrem Tod zurückgekauft, es ist heute Teil unserer unverkäuflichen, privaten Kollektion.“
Als noch zu Lebzeiten der Schauspielerin jemand einen Dokumentarfilm über Cartier
drehen wollte, fragte er nach diesem Film:
„Ich selbst habe Liz Taylor daraufhin einen
Brief geschrieben, um um ihre Erlaubnis zu
bitten.“ Ihre freundliche Antwort: Gar kein
Problem, aber man sähe in dieser Szene im
Publikum auch ihren späteren Mann Eddie
Fisher, und den möchte man doch bitte aus
dem Film tilgen. Ohne Kommentar. Rainero
lacht. Die weibliche Psychologie sei eben
manchmal ein Buch mit sieben Siegeln.
Schmuckverrückte Frauen wie Liz Taylor gäbe es heute noch genug. Frauen, die auch im
Alltag sündhaft teuren Schmuck tragen – und
das gerade hier an der Côte d’Azur. Vielleicht
nicht gerade auf der Croisette, aber in den privaten Villen oder auf den Festen. Eine von ihnen ist das Jetset-Girl Bianca Brandolini d’Adda, das Gesicht der „Paris Nouvelle Vague“Kollektion von Cartier. Später, beim Empfang
im Strand-Restaurant „La Guérite“ auf einer
Insel vor Cannes, erscheint sie mit einem üppigen Krokodil aus Smaragden und Diamanten, das sich von rechts um ihren zarten Hals
wickelt – ein weiteres Paradestück aus der
Étourdissant-Kollektion. Designerin Jacqueline Karachi verschluckte sich fast an ihrem
Hummer. Ein hektischer Blick umher: Ist
denn genug Security da, um Model und
Schmuck ausreichend zu schützen? Ihr Kollege Pierre Rainero findet jedoch: CartierSchmuck sei zum Tragen da. Nichts sei doch
trauriger, als wenn die schönen Stücke statt
im Sonnenlicht an einer schönen Frau zu
strahlen in irgendwelchen dunklen Tresoren
lagern.
Der alte Glanz der Côte d’Azur, er kann noch
immer magisch funkeln. In der Villa L’Antre
de Minotaure, in der Picasso von 1961 an lebte
und arbeitete, in der er 1973 starb und in der
sich seine Witwe Jacqueline 1986 erschoss,
durften ausgesuchte Cartier-Kunden und die
Presse später am Abend für ein paar Stunden
einen Blick auf die Bucht von Cannes werfen.
Das mit drei Toren gesicherte Immobilien-Juwel gehört heute einem anonymen, belgischen Kunsthändler. Nur weil dieser die Villa
heute wieder verkaufen will, war es überhaupt möglich, das Atelier des Meisters und
das Gefühl zu genießen, zu den Auserwählten
zu gehören, die sich – versteckt hinter hohen
Mauern und langen, knirschenden Kieseinfahrten – offenbar noch immer zu exklusiven
Festen unter sich treffen.
EGS 2079 - EGS 2080 - EGS 2082
ARMANI.COM/ATRIBUTE
COMEBACK
Beim Namen des Tüftlers
Der Uhrmacher Ferdinand Berthoud war seiner Zeit voraus. Unter seinem
Comeback: 2006
kaufte Karl-Friedrich Scheufele
die Namensrechte
des Uhrmachers
Ferdinand
Berthoud. Nun
gibt es den ersten
Chronographen
36
N
atürlich kannte ChopardCo-Chef Karl-Friedrich
Scheufele den Namen dieses Mannes: Wusste, dass
Ferdinand Berthoud (1727
-1807) ein bedeutender
Uhrmacher gewesen war,
dass der Mann Könige,
Kaiser aber auch Revolutionäre beliefert hatte, dass er wichtige Abhandlungen über die
Uhrmacherei geschrieben und hochpräzise
Chronometer für die französische Marine gebaut hatte. Karl-Friedrich Scheufele ist
schließlich leidenschaftlicher Uhrensammler.
Und er hat in seiner Sammlung auch Stücke
von Ferdinand Berthoud. Viele davon sind
heute leider nicht mehr erhalten.
Als sich im Jahre 2006 dann die Gelegenheit
ergab, die Rechte am Namen Ferdinand Berthoud zu kaufen, griff Scheufele zu. „Es bedeutet mir viel, dass er nur wenige Kilometer von
Fleurier entfernt geboren wurde“, erzählt der
Unternehmer bei einem Treffen im Pariser
„Hotel Vendôme“. In Fleurier, so muss man
wissen, werden bei Chopard Manufacture die
hochwertigen L.U.C.-Kaliber der Marke gebaut. Die etwas einfacheren, industriell gefertigten Rohwerke produziert die Marke im
hauseigenen Unternehmen Fleurier-Ebauches. Und bald werden in einem eigenen Gebäude nun auch Ferdinand-Berthoud-Uhren
gefertigt – zum Auftakt werden es Haute-Horlogerie-Uhren für mehr als 220.000 Euro sein.
Blick zurück: Ferdinand Berthoud wird am 18.
März 1727 in Plancemont sur Couvet im Neuenburgischen Val-de-Travers als Spross einer
angesehen Uhrmacherfamilie geboren. Offensichtlich ist es dem ehrgeizigen jungen Mann
jedoch zu eng im Tal, als 18-Jähriger wandert
er nach Paris aus.
Der Start dort ist eher unerfreulich. Weil er
seine Ausbildung nicht bei den Meistern der
Pariser Gemeinschaft absolviert hat, muss er
als einfacher Geselle arbeiten. Damit findet
sich der Mann nicht ab, er schreibt seine
Überlegungen zur Uhrmacherei in einem Aufsatz mit dem Titel „Anwendung zur Weiterentwicklung der
Uhrmacherkunst“ auf. Dazu
steckt er die Beschreibung einer
neuartigen Uhrenkonstruktion
in einen Briefumschlag – und
reicht die Papiere bei der königlichen Akademie der Wissenschaften ein. Der Erfolg
lässt nicht lange auf sich war-
ten: Louis XV., König von Frankreich, verleiht
Ferdinand Berthoud 1753 den Titel eines Uhrmachermeisters. Er kann jetzt endlich in der
Rue de Harlay sein eigenes Atelier eröffnen.
Dem Publizieren bleibt der Uhrmacher treu.
Er schreibt Artikel für die von Denis Diderot
und Jean-Baptiste le Rond d’Alembert herausgegebene neue Enzyklopädie. Und es folgen
viele Bücher, die zu Standardwerken werden.
Wirklich berühmt wird Ferdinand Berthoud
aber für seine Marine-Chronometer. 1768 werden zwei Exemplare auf einer 18 Monate dauernden Seereise der Corvette „Isis“ von
Rochefort nach Santo Domingo und zurück
getestet. Mit Erfolg. Mit dem Marinechronometer Nr. 8 konnte die Position des Schiffes
akkurat ermittelt werden – dank der für die
damalige Zeit hochpräzisen Uhr auf einen
halben Grad genau.
Karl-Friedrich Scheufele liebt diese Art von
Geschichten. Der Mann, der neben Uhren
auch ein Faible für Klassiker des Automobilbaus hat, wollte deshalb den Namen Berthoud
zum Programm seiner neuen Uhrenmarke
machen: „Wir haben uns überlegt“, sagt
Scheufele, „wie Ferdinand Berthoud eine Uhr
wohl entwickeln würde, wenn er heute lebte.“
Und so sei der neue Chronograph entstanden.
Liebhabern schöner Uhrenmechanik wird sofort die spezielle Säulenkonstruktion des Werkes auffallen. Die Uhr hat ein Tourbillon und
vor allem einen aufwendigen Antrieb über
Kette und Schnecke. „Ein Kunstwerk“, kommentiert der Initiator. Und streng limitiert.
100 Stück wird Chopard bauen, 50 in Roséund 50 in Weißgold. Die Uhr wird nur an zehn
exklusiven Verkaufspunkten zu haben sein,
einer davon ist die Boutique Dubail am Place
Vendôme. Geplant sind weitere Modelle, auch
eines für rund 50.000 Euro.
Über die Frage, ob das neue Stück dem Namensgeber gefallen würde, kann man nur spekulieren. Überliefert ist, dass er Neuerungen
offen gegenüber stand. Als der französische
Nationalkonvent 1793 den neuen Revolutionskalender erließ, baute Berthoud auch entsprechende Uhren. Sie teilen den Tag in zehn
Stunden auf, die Stunde in 100 Minuten und
die Minuten in 100 Sekunden. Man hat ihm
dies später nicht übel genommen. Im Gegenteil: Drei Jahre vor dessen Tod schlug Kaiser
Napoleon 1804 den Uhrmacher aus der
Schweiz für seine Verdienste zum Ritter der
Ehrenlegion. Solides Handwerk hat eben über
alle politischen Strömungen hinaus Bestand.
Pierre-André Schmitt
MONTAGE: ICON
Namen bringt Chopard nun eine neue Marke mit Sammlerstücken heraus
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AIGNER (5)
MADE IN GERMANY
Erinnerungen an Etienne
In den 70ern traf sich die Münchner Society
beim „Aigner Renntag“ in Riem. Das Label
heute: CEO Sibylle Schön und Designer Christian Beck, ein Look aus der Frühjahr/ SommerKollektion 2016 und die dem Emirat Katar
gewidmete „Cybill“-Tasche aus der
„Metropolitan“-Jubiläumskollektion
Der Münchner Jetset und der Logo-Gürtel: Aigner ist ein Stück deutsche
Modegeschichte. Und mit 50 Jahren wieder erfolgreich
C
38
hristian Beck muss ein wenig frische Luft schnappen. Kurz nach dem Interview trifft man den Chefdesigner von Aigner noch
einmal beim Hinausgehen
im Hof vor der Unternehmenszentrale in München. An seiner Seite:
drei kleine, schmale Hunde mit glänzend
grauem Fell, die aufgeregt neben ihm hertrippeln. Für eine so knabenhaft schlanke Person
wie Beck – hochgekämmte Justin-BieberHaartolle, schwarze Skinny Pants – könnte
man sich keine passendere Rasse vorstellen
als diese drei „italienischen Windspiele“. Sie
alle tragen Lederhalsbänder, auf die ein hufeisenförmiges „A“-Logo appliziert ist, Maßanfertigungen aus Aigners Münchner Lederatelier. Und als ob das nicht schon vielsagend wäre, heißt eines der Tiere auch noch Etienne.
Ohne Etienne Aigner, den Gründer und Namensgeber des Labels, wäre Christian Beck
gar nicht hier. Aigner gilt heute als eines der
wenigen erfolgreichen und international
anerkannten deutschen Luxusmodeunternehmen – und im Jahr des 50. Firmenjubiläums möchte man umso mehr betonen, wie
wichtig die eigene Geschichte ist. In Deutschland lebt sie bis heute in den Erinnerungen
und den Kleiderschränken vieler Menschen
weiter. Der eine besitzt womöglich noch einen Gürtel mit der plakativen „A“-Schnalle,
die andere erinnert sich an die kleine AignerUmhängetasche im charakteristischen Burgunderrot. Solche Stücke erzählen von einer
Zeit, als Uschi Glas und Pierre Brice den „Aigner Renntag“ auf der Galopprennbahn in
Riem feierten und München so viel Jetset-Glamour besaß wie Saint-Tropez. „Man muss sich
Gunter Sachs vorstellen, mit aufgeknöpftem
Hemd und barfuß in Lederschuhen. So war
das Lebensgefühl damals. Die haben den Luxus genossen und wollten einfach leben“, erzählt Sibylle Schön, CEO der Marke. „Für
München war es eine großartige Zeit!“ Es war
cool, und die Coolen trugen Aigner.
Tempi passati, könnte man sagen. Doch einer
guten Zeit nachzuweinen hilft niemandem
weiter. Sibylle Schön und Christian Beck stehen für das moderne Aigner, bei dem es nach
50 Jahren so gut läuft wie lange nicht mehr.
Vertretungen in 47 Ländern, 97 eigene Shops,
eine Kampagne mit dem deutschen Topmodel
Toni Garrn, Modenschauen auf der Mailänder
Modewoche und eine limitierte Jubiläums-Taschenkollektion, die ruck, zuck ausverkauft
war. „Was wir tun, kann nicht ganz falsch
sein“, sagt die Chefin. Die 47-Jährige, die Erfahrungen unter anderem bei Escada, Wolford
und Goldpfeil gesammelt hat, ist eine große,
schlanke Frau, der blonde Bob ist zum kleinen
Zopf frisiert, das schwarz-weiß gemusterte
Etuikleid sitzt perfekt. Höflich-nüchterne
CEO-Referate bekommt man von ihr aber
nicht zu hören. Das Event zum 50. Jubiläum
von Aigner in München war der „Wahnsinn“,
die Taschen sind „der Hit“, und Deutschland
überhaupt sei ein „cooles Land“. Dabei strahlt
sie so gut gelaunt, dass man ihre Begeisterung
durchaus als aufrichtig wahrnimmt.
Und die Managerin hat Grund zur guten Laune. In den vergangenen Jahren haben deutsche Mode- und Accessoires-Unternehmen
vor allem mit Insolvenzen und Unternehmensverkäufen für Schlagzeilen gesorgt.
Auch Aigner strauchelte. Als Schön 2008 auf
Wunsch der Firmenbesitzerin Evi Brandl bei
Aigner einstieg, musste sie erst einmal mit roten Zahlen in den Büchern kämpfen. „Das
Produkt hat einfach nicht gestimmt“, sagt sie.
Sie sanierte das Unternehmen, verlegte die
Design-Abteilung von Italien nach München
und holte den damals erst 25-jährigen Christian Beck ins Team. Sie kannte ihn noch von ihrer Zeit bei Goldpfeil.
Heute verantwortet Beck als Head of Design
alles Kreative. Er entwirft die Taschenlinien,
die Laufstegkollektionen und überwacht und
koordiniert das Design der verschiedenen Lizenzprodukte, darunter Mode, Schuhe,
Schmuck und Kinderbekleidung. Sowohl bei
den Kleidern als auch bei den Accessoires
bleibt er dem zeitlosen Credo der Marke treu,
wagt sich aber an verspieltere Designs wie einen Rucksack aus einem irisierend grünen
Stoff. Die Taschen haben schnörkellose Formen, starke Farben, Troddeln, Prägungen und
Nieten. Aigner soll auch jüngere Generationen begeistern. Dafür müsse das Traditionsunternehmen aber nicht komplett umgekrempelt werden, sagt Christian Beck gelassen. „Man sollte nicht krampfhaft versuchen,
etwas zu verändern, was in seinem Kern schon
gut ist. Und Aigner hat ein tolles Erbe.“
Silvia Ihring
bogner.com
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In der kontemplativen Umgebung Schottlands entstand
dieses Kleid von Barrie mit dem Namen „Candy Tree“.
Die Schauspielerin Lily Collins wirbt für die Marke
HIGHLAND-COUTURE
KARL LAGERFELD; BARRIE (2)
Fenster
auf
in der
Wollwerkstatt
So geht der perfekte Coup: Chanel rettete die schottische
B
40
raucht die Modewelt im Zeitalter eines Strickbooms noch ein
weiteres Kaschmir-Label? Ein
Blick in die meisten Kleiderschränke verrät, wo bisher die
Grenzen des wolligen Hypes lagen: Vor allem ging es um Materialfetischismus. Vom Wollsiegel bis zur Vikunja-Qualität, meistens steht im Stricksegment die Verfeinerung des Materials und weniger die des Designs im Vordergrund. Oder
anders gesagt: Die meisten Leute besitzen zig
graue oder dunkelblaue Pullover, die mehr
oder weniger gleich aussehen, sich aber alle
unterschiedlich anfühlen.
Doch jetzt endlich, bei Barrie, reißt mal jemand die Fenster der Wollwerkstatt auf. Über
das verarbeitete Kaschmir braucht man sich
nicht weiter auszulassen – es ist von der Qualität, die man in diesem Segment der Mode erwarten darf. Es sind die Designs, die bei Barrie
weit über das Übliche hinausweisen: Ein
Kaschmirkleid mit dem Namen „Candy Tree“
mit aufwendigen Stickereien und Blumenapplikationen, Mäntel mit chanelesken Bordüren, Cardigans mit knalligen, aufgezogenen
Blätter-Intarsien, die an der interessanten
Grenze zwischen spießig und supercool balancieren. Außerdem ist das Haus verantwortlich für das Revival des Motivstrickpullovers.
Ein Genre, von dem man bisher augenzwinkernd dachte, dass nur Katzenliebhaberinnen
daran Gefallen finden könnten. Ja, es gibt in
der aktuellen Kollektion auch graue Kasch-
Strickfirma Barrie vor dem Aus, die Designerin
Odile Massuger entwirft wegweisende Designs, und
Karl Lagerfeld setzt das Ganze in Szene
mir-Sweatpants und dunkelblaue KaschmirCulottes, aber wer die Kür so gut interpretiert,
darf auch auf dem Pflichtprogramm senden.
Karl Lagerfeld hat bei diesem Coup nicht nur
im Hintergrund gewirkt, sondern auch vordergründig bei der Präsentation der Marke
mitgemischt. Schon seit 25 Jahren arbeitet
Chanel mit der schottischen Strickmanufaktur zusammen. Besonders öffentlichkeitswirksam wurde diese Kooperation 2012 in
Szene gesetzt. Unter dem Motto „Paris–Edinburgh“ zeigte Lagerfeld damals die jährlich
stattfindende „Métiers d’Art“-Kollektion in
den dicken Gemäuern von Linlithgow Palace
in Schottland, Geburtsort von Maria Stuart
und über Hunderte von Jahren Sitz der schottischen Könige. Métiers d’Art verbindet die
elegante DNA des Hauses mit wechselnden
traditionell folkloristischen Elementen aus
Regionen der Welt, die in einer Beziehung zu
Coco Chanel stehen. Die Veranstaltung ist
stets eine Feier des handwerklichen Savoirfaire der mit Chanel assoziierten Ateliers. In
Linlithgow Palace gab es spektakuläre Highland-Couture zu sehen, in der Wolle und
Strick die zentrale Rolle spielten.
Barrie hatte damals die Entwürfe für die anspruchsvollen Pariser gefertigt. Andere Häuser wie Hermès setzten ebenfalls auf die Ex-
pertise der Schotten, und auch das Label
selbst brachte zu dieser Zeit seine eigene Linie mit klassischer Knitwear heraus. Doch
trotz treuer Kunden hatte man sich unternehmerisch verheddert. Das über hundert Jahre
alte Unternehmen stand kurz vor der Pleite.
Wie schon einige Male in vergleichbaren Situationen zuvor entpuppte sich Chanel nicht
nur als ideeller, sondern auch als tatsächlicher
Schutzpatron des hoch spezialisierten Modeund Kunsthandwerks. Die Franzosen kauften
die Schotten auf, investierten eine Millionen
Pfund in neue Maschinen und installierten
die Kreativdirektorin Odile Massuger.
Sie ist diejenige, die sich die frischen Entwürfe auf die Fahnen schreiben darf. Lagerfeld
verpasste der Marke in seiner Kampagne mit
der Schauspielerin Lily Collins den passenden
Look. Barrie kann diese Inszenierung gut gebrauchen. Bei aller Begeisterung könnte es
sein, dass es noch etwas Zeit braucht, bis die
grauen und dunkelblauen Pullis im Schrank
Platz machen für die wegweisenden Schotten.
Heike Blümner
Das Revival des Motivstrickpullovers steht
unmittelbar bevor
BUCHERER.COM
EINZIGARTIG WIE IHRE EMOTIONEN SEIT 1888
UHREN SCHMUCK JUWELEN
ANGESTIFTET
Wirklich
bezeichnend
England trifft die Schweiz:
Paul Smith hat zum hundertsten
Firmenjubiläum Kugelschreiber
für die Manufaktur Caran d’Ache
designt. Schließlich steht der sonst
so bescheidene Designer auf die
Goliath-Miene
42
B
ei allem, was Briten und
Schweizer trennt, einen sie
doch zwei Dinge: Ihr Hang
dazu, Dinge nicht unnötig
aufzublasen und ihre Liebe
zu bestem Handwerk. Insofern ist es naheliegend,
dass Großbritanniens berühmtester Designer beim Schreiben auf eine
Schweizer Marke schwört, die für allerbeste
Manufakturarbeit steht: Seit Langem schon
benutzt Paul Smith den Kugelschreiber 849
von Caran d’Ache. Und zum 100. Geburtstag
der Marke hat er nun zehn neue Farben für das
Unternehmen erdacht. Die Schäfte der zehn
Stifte sind jeweils in kräftigen Farbtönen lackiert. Einige Varianten erinnern an Farbspiele, die vor kurzem auch auf dem Laufsteg in
der neuen Kollektion von Paul Smith zu sehen
waren.
Ein Blick in die Werkstätten der Firma lässt
erahnen, was den Engländer an dem Stiftehersteller fasziniert: Die Firma liegt in GenfThônex, man fährt dorthin durch die gesamte
Stadt am Lac Léman und wenn man nicht aufpasst, landet man in Frankreich, die Manufaktur wurde direkt an der Grenze gebaut. Als die
Firma 1915 als „Fabrique Genevoise de Crayons“ (Genfer Bleistiftfabrik) gegründet wurde,
befand sie sich noch mitten in der Stadt, die
neuen Besitzer, die sie 1924 übernahmen, zogen aus Platzgründen auf das heutige Areal.
Bis heute gelingt es, den Eindruck zu erwecken, jedwede moderne Entwicklung sei zwar
komplett an der Firma vorüber gegangen –
man sei aber auf der Höhe der Zeit geblieben.
Das Unternehmen ist nach eigenen Angaben
die einzige Manufaktur, die ihr gesamtes Angebot an Bleistiften, Buntstiften, Kugelschreibern und Farbstiften an einem Standort fertigt. Seinen Namen verdankt es der Begeisterung der Ehefrau des damaligen Besitzers Arnold Schweizer für den französischen
Karikaturisten Emmanuel Poiré: Der signierte
seine Zeichnungen mit „Caran d’Ache“, einer
ins Französische transferierten Version des
russischen Wortes „karandasch“. Was soviel
MONTAGE: ICON
Farben-Magier: Designer Paul Smith hat zum 100-jährigen Firmenjubiläum von Caran
d’Ache nun den Kugelschreiber-Klassiker 849 in zehn neue Farbvarianten gekleidet
wie Bleistift heißt. Heute arbeiten 300 Menschen für das Unternehmen – in 90 Berufen.
Für die Mine werden Grafit und Blei nach einem geheimen Rezept zu einer Pampe verarbeitet, die unter hohem Druck zu Platten gepresst wird. Die Platten werden dann zerbröselt, die Substanz zu einer Art Endlos-Spaghetti gezogen und in gleich lange Teile
geschnitten. Diese Teile müssen biegsam sein
und werden per Hand zu Bündeln in Boxen
gesammelt und in einer Trockenschleuder
acht Stunden lang bei 110 Grad getrocknet;
zum Schluss werden sie noch bei 1000 Grad
gebacken. Jetzt sind sie hart, aber noch nicht
malfähig, sie müssen erst noch in einem
Wachsbad (auch ein geheimes Rezept) imprägniert werden, sonst krümelt es.
Die fertigen Minen kommen auf ein Transportband, wo sie in eine Hälfte einer Zedernholzplatte geklebt werden, parallel auf einem
zweiten Band läuft die andere Hälfte der Holzplatte, dann wird zusammengeleimt. Ein
Sandwich-Prinzip also. Genauso wird mit den
Farbstiften verfahren, die über 300 Couleurs
werden als Pigmente während der Mischung
zur Primärpampe beigefügt. Buntstifte aus allen Kästen des Unternehmens kann man traditionell einzeln nachkaufen. Genaue Zahlen
nennt man nicht: „Mehrere zehn Millionen
pro Jahr“, sagt Carole Hubscher, seit gut zwei
Jahren als Präsidentin verantwortlich. Besonders zelebriert wird im Jubiläumsjahr selbstverständlich das erste Model, ein Zangenmienenstift, der sogenannte „Fixpencil“.
Das Faible von Paul Smith wiederum für die
Kugelschreiber ist leicht erklärbar, die hauseigene „Goliath“-Miene schreibt und schreibt
und schreibt, für vier bis sechs Kilometer soll
die Tinte reichen. Das entspricht dem Arbeitsethos des produktiven Briten. Seine Entwürfe
sind übrigens durchaus bezahlbar: 45 Euro
pro Stück kostet ein Modell in einem extra
entworfenen Kasten. Als besonderen Clou hat
Sir Paul außerdem 100 Farben aus allen Nuancen der Manufaktur für einen Jubiläums-Koffer ausgewählt. Die 849 Kugelschreiber darin
bilden das für Smith repräsentative Streifenmuster. Der Koffer allerdings ist nicht im freien Handel zu haben, das Unternehmen nutzt
ihn zu Repräsentationszwecken.
Zum Jubiläum lud die Firma auch zu einem
feierlichen Essen ein. Man sass in einem Bereich, in dem normalerweise die beweglichen
Dekorationsfiguren wie Clowns oder Tiere
gebaut werden. Schaufenster und Geschäfte
werden damit dekoriert. Es sind komplizierte
Unikate, sogar ihre Kleidung wird selbst genäht. Wie groß die Liebe zum Details ist, illustriert diese Geschichte: Als der langjährige
Konstrukteur der Figuren die Firma verließ,
dauerte es ein Jahr, bis zufällig jemand vor der
Tür in Thônex stand, der nicht diesen Job
suchte, aber, wie sich herausstellte, genau die
benötigten Fähigkeiten dafür mitbrachte.
Die Jubiläums-Produkte werden in neuen
Schachteln, ergänzt durch die historischen Figur „Bonne-Mine“, verkauft. Und das Logo ist
jetzt moderner, ein Zugeständnis an die Zeit.
Das war’s aber schon, alles total unaufgeregt.
Etwas darstellen zu wollen, was man nicht ist,
das funktioniert nicht gut, das weiß man bei
Caran d’Ache. Und auch Paul Smith spielt seine Kollektion britisch herunter: „Ich verwende die Stifte von Caran d’Ache schon seit vielen Jahren, und um den Geburtstag zu feiern,
habe ich zehn einzigartige Farben ausgewählt.
Ich hoffe, sie gefallen Ihnen.“ Ein Mann von
Sir Pauls Kaliber hofft selten vergeblich. IC
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44
VIELEN DANK AN
ROY SUSKIN UND DAS
WOOLWORTH BUILDING
Kleid: Max Mara.
Body: Hermès. Mantel:
Paul Smith. Ohrring:
Christian Dior
46
Zen trägt links ein
Kleid von Chanel.
Ring von Pomellato.
Schuhe: Prada. Carly
trägt rechts Kleid und
Ohrringe von Dolce &
Gabbana. Schuhe:
Jason Wu. Alle
Strumpfhosen von
Falke
Diese Seite: Fake-FurMantel von Stella McCartney.
Seidenchiffon-Kleid von
Brunello Cucinelli. Perlenbesticktes Kleid: Jason Wu.
Linke Seite: Mantel von Alice
& Olivia. Kleid Tommy
Hilfiger. Stiefel Tory Burch.
Clutch von Burberry
49
50
Zweimal Total-Look: Zen (links) trägt
ein komplettes Outfit von Saint Laurent und Carly
eines von Louis Vuitton
Carly lehnt an
einem Vintage-Dreirad in
einer Bluse von Antonio
Marras. Rock von Emanuel
Ungaro. Lacklederstiefel
Christian Dior
Rechte Seite: Hemd und
Weste Ralph Lauren.
Mantel: von The Row.
Hose Michael
Kors Collection.
Ring von Pomellato
53
Beide Kleider sind
von Bottega Veneta.
Das Collier links
von Pomellato
55
56
Diese Seite: Weißes
Spitzenkleid: Valentino.
Lederjacke mit Pelzärmeln: Marni. Loafer:
Maison Margiela.
Linke Seite: Hose: Odeeh.
Spitzentop: Gucci. Blazer:
Derek Lam. Schuhe:
Christian Louboutin.
Korsage aus Samt:
Giorgio Armani
SCHAUPLATZ NEW YORK
Kathedrale
für Kunst und
Kapitalismus
Frank Winfield Woolworth
widmete sein Leben dem
Geld. Daran ist nichts
schlecht: Sein Gebäude
war lange das höchste der
Welt – und ist heute unter
anderem eine fantastische
Kulisse für Modefotografie
Wenn Frank Winfield Woolworth in Ruhe arbeiten wollte, zog er sich in sein privates Büro
zurück, 40 Stockwerke über dem New Yorker
Asphalt. Arbeiten, das hieß für den SelfmadeMann, der als Verkäufer angefangen und mit
300 Dollar ein Handelsimperium aufgebaut
hatte, vor allem eines: über Geld nachdenken.
Eine Beschäftigung, für die sein Büro mit der
kunstvollen Kassettendecke wie geschaffen
war. Nicht umsonst wird das Gebäude, in dem
es lag, bis heute „Cathedral of Commerce“ genannt – Kathedrale des Kommerzes.
Wolkenkratzer-Liebhaber kennen den Spitznamen. Das aus Backsteinen geschichtete Vermächtnis des Kaufmanns
trägt ihn: das Woolworth
Building in Manhattan, 233
Broadway. Bis 1930, lange
über den Tod des Erbauers
1919 hinaus, war es das
höchste Gebäude der Welt. Mit 241 Metern
überragte es die ersten Hochhäuser New
Yorks. Der Bau war mehr als ein Betonkoloss.
Er war Gesprächsthema.
Bei Roy Suskin klingt die Geschichte etwas
anders. Suskin kümmert sich seit mehr als 15
Jahren für die aktuellen Eigentümer, eine Investorengruppe, um den Erhalt des Woolworth Building. „Woolworth hatte ein großes
Ego. Er mag den Bau als Werbemaßnahme gerechtfertigt haben. Aus wirtschaftlicher Sicht
hatte er aber nicht viel davon, außer zwei Etagen für seine Firma.“ Die Büros der F. W.
Woolworth Company befanden sich auf dem
23. und 24. Stock, dabei umfasste die Kette
schon damals rund 700 Geschäfte. Die restlichen 55 Stockwerke vermietete der Unternehmer – mit Ausnahme seines Privatbüros.
Was genau er da tat? Darüber könne man bloß
spekulieren, es trage zum Mythos Woolworth
bei, sagt Suskin. Genau wie das Gerücht, er habe nur deshalb ein Schwimmbecken in den
Keller einbauen lassen, um sich nackt mit
Showgirls zu vergnügen. Suskin zufolge ist
das „großer Unsinn“. Der Pool war eine An-
nehmlichkeit für die Angestellten: „Wenn es
etwas gab, für das Woolworth Leidenschaft
empfand, dann war es Geld. Er wollte für einen Dollar das bekommen, wofür andere 1,50
Dollar zahlten.“ Da brauchte er seine Leute.
Vielleicht verschleierte Woolworth aus diesem Grund, welchen Preis sein Bürokomplex
wirklich hatte. In den USA weiß jedes Schulkind, dass er die 13,5 Millionen Dollar für den
Bau in bar beglich. Nur den wenigsten ist bekannt, dass allein 5,5 Millionen in den Kauf
von Grundstücken flossen, die weitaus weniger wert waren. Die Eigentümer wussten um
Woolworths unumstößlichen Plan,
das höchste Gebäude der Welt zu
errichten. Und er zahlte.
So sehr der Multimillionär es hasste, Geld auszugeben, so wenig wollte er an schönen Dingen sparen. „Es
gab den Witz, dass Rockefeller seine Hosen trug, bis die Unterhosen
hindurchschienen. Woolworth war das Gegenteil, er zog sich gern gut an“, erzählt Suskin mit jovialem Ton. Was für seine Anzüge
galt, galt für seinen Wolkenkratzer. Woolworth wollte Gold, Marmor, Terrakotta. Sein
Architekt Cass Gilbert entwarf ihm ein Gebäude, das sich mit gotischen Fassaden-Elementen und der byzantinischen Kuppel in der
Lobby bei unterschiedlichsten Stilen bediente und doch wirkt, als entstamme es einer eleganten Geschmackswelt.
Im Foyer mit der Marmortreppe und den Kuppel-Mosaiken kommt zu dieser Welt eine weitere Komponente hinzu: Witz. Davon zeugen
zwei Fresken namens „Labor“ (Arbeit) und
„Commerce“ (Handel) und mehrere Büsten.
Eine von ihnen karikiert Woolworth als Münzen zählenden Knauserer.
Man kann sich vorstellen, dass ihm der Spitzname „Cathedral of Commerce“ durchaus gefiel. Der Name geht auf einen Geistlichen zurück, der der Eröffnung 1913 beiwohnte und
sah, wie 80.000 Glühbirnen das neue Bauwerk erleuchteten – auf Knopfdruck von Präsident Woodrow Wilson. Ab diesem Zeit-
W
58
punkt kamen die Besucher zu Hunderttausenden – ein Ansturm, auf den das Gebäude laut
Suskin nie ausgelegt war. „Das Foyer ist nur
sechs Meter breit, wenn sechs Touristen nebeneinanderstanden, war der Weg für die Angestellten der Büros verstopft.“
1941 sperrte man die Besucher aus, für mehr
als 70 Jahre. Trotz regelmäßigem Protest. Seit
2013 bietet die Urenkelin von Cass Gilbert wieder Touren an, buchen kann man sie auf der
Website woolworthtours.com. Die Preise haben sich seit dem letzten Jahrhundert kaum
verändert. Früher bezahlte man 50 Cent – so
viel wie heute 50 Dollar. Und gerade einmal
fünf Dollar weniger kostet eine 45-minütige
Führung heute.
Wer will, kann den Betrag als Reminiszenz an
den verstorbenen Hausherrn interpretieren.
„Wir haben Briefe von Woolworth, in denen
er sich darüber aufregt, dass man 50 Cent für
einen Botenjungen ausgab. Er führte einen
Multi-Millionen-Konzern und wühlte sich so
lange durch Papiere, bis er 50 Cent fand, die
man einsparen konnte“, erzählt Suskin.
Es war nicht sein einziger Tick. Er, dessen
Vermögen auf dem Verkauf von Produkten
für fünf oder zehn Cent („Five-Cent-Store“)
fußte, legte Wert auf Qualität und Sicherheit.
Und darauf, beides zu demonstrieren. Fahrstühle, die durch Luftkissen am Boden gesichert waren, ließ er, beispielsweise mit Eiern
und Champagnerflaschen beladen, in die Tiefe rauschen. Suskin amüsieren solche Anekdoten: „Es gab ‚Times‘-Schlagzeilen dazu!“
In der Presse taucht das Woolworth Building
jüngst wieder häufiger auf. In den oberen Etagen entstehen Luxuswohnungen und ein 110Millionen-Dollar-Penthouse. Ein vertretbarer
Betrag, findet Suskin: „Kunst kostet bis zu 70
Millionen, und dieses Haus ist ein Kunstwerk.“
Der Geist des Erbauers wird in die neue, separate Lobby einziehen: Dort soll die Kassettendecke aus Woolworths Büro verbaut werden.
Manch einen der zukünftigen superreichen
Mieter könnte sie zum Nachdenken anregen.
Und sei es über 50-Cent-Beträge. Anna Eube
WWW.BRIDGEMANIMAGES.COM, ACTION PRESS
Mit 241 Metern einst das höchste Haus der Welt: Das Woolworth Building am Broadway
60
Tadellos und geradeaus:
Tommy Hilfiger auf der
Terrasse seines New
Yorker Apartments
ANFANGEN
„Ich
will nur
ich sein“
Er war jung, ein Landei,
hatte kein Geld, keine
Ausbildung – aber er war
voller Zuversicht. Er wollte
Mode machen in New York.
Dreißig Jahre ist das her
und Tommy Hilfiger längst
einer der berühmtesten
Designer der Welt.
Inga Griese fuhr mit ihm
noch einmal zum Anfang
seiner Karriere zurück.
Fotos: Jürgen Frank
Karte: Claudia Bernhardt
T
adellos. Hätte man nur ein Wort, mit dem man
Tommy Hilfiger beschreiben sollte, das wär’s.
Alles an ihm ist picobello. Der dunkelblaue
Anzug sitzt haarscharf, das offene Hemd ist
blütenweiß und auch nach zweieinhalb Stunden Fahrt sind die Manschetten ohne jeden
Makel, die Brogues (barfuß) sind poliert, das
Glas von seinem Smartphone bleibt klar wie
gerade ausgepackt, selbst wenn er es mehrmals ans Ohr gehalten hat. Er spricht akkurat,
schaut einen aufmerksam mit blaugrauen Augen an und hält dem Blick stand. Wir treffen
uns am Plaza Hotel in New York, er besitzt
dort eine der spektakulären Residenzen direkt am Central Park, ein Haus im Haus mit
Blick über ganz New York. Es ist seine Familien-Stadtwohnung, sein Zuhause ist in Conneticut, bei günstigen Verkehrsbedingungen 45
Minuten Fahrtzeit: Er ist ein Wassermensch,
die Stadtluft macht ihm zu schaffen.
Er verspätet sich etwas, wie alle im New Yorker Wahnsinnsverkehr, in der Lobby mit
kunstvollen Mosaiken, elegantem Blumenarrangement und Polstersesseln lässt es sich gut
warten und kultivierten Reichtum beobachten. Später, nach unserer Fahrt durch das New
York seiner Anfänge, bittet Hilfiger noch in
sein Appartement, man sieht das Geld, aber
spürt die Wärme, mit der es eingerichtet ist.
Allein das Kinderzimmer mit Kutterbett und
zwei Meter hoher Flauschgiraffe für den
jüngsten, achtjährigen Sohn aus der glücklichen Ehe mit Dee! Er führt durch jeden Raum,
erzählt die Geschichten der Warhol-Bilder
und der Fotografien, ohne auch nur eine Spur
von Aufschneiderei. Und er ist immer einen
Schritt voraus, um zu sehen, ob alles akkurat
ist. Streicht im Kaminzimmer ein Kissen glatt,
richtet im Wohnzimmer, verschiebt die Stühle auf der Terrasse mit Park-Weitblick um einige Millimeter.
Das runde Turmzimmer ist Eloise gewidmet.
Sie ist ein kleines Mädchen aus einem Kinderbuch, das einst heimlich im Plaza-Turm gewohnt hat. Nun versteckt sie sich hinter den
Vorhängen der Trompe l’oeil-Tapete und sitzt
als Stoffpuppe in der gemütlichen Sitzecke.
Und das Buch steht im Wohnzimmerregal.
In der schwarz-weißen Küche hängt an der
Wand ein Telefon, wie man es aus alten Filmen kennt. Es funktioniert noch. Am viereckigen Tresen in der Mitte der Küche stehen
kleine Gurkensandwiches bereit. Und Stoffservietten. Wir essen im Stehen und sprechen
über Flüchtlinge in Deutschland. Hilfiger hat
großen Respekt vor der Großzügigkeit. Er
sagt, er selbst hätte Angst. Doch erst einmal
geht es auf Tour. Ein sonniger September-Tag.
Tommy hält die Tür zum schwarzen SUV auf,
heraus fährt eine Stufe zum bequemen Einsteigen, im hellgrauen Inneren ist die laute
Welt ausgeschlossen. Hilfiger sagt: „Wir fahren jetzt zur Adresse meines ersten Designbüros. Später habe ich dann eine Designfirma
ganz in der Nähe eröffnet.“ Auf geht’s.
Können Sie sich noch an den Tag erinnern, an
dem Sie das Büro gemietet haben?
Eigentlich gehörte es jemandem, der eine Firma für Damenmode hatte. Furchtbare Sachen.
Aber ich musste einen Fuß in die Tür bekommen, ich wusste nämlich, dass er Produktionsstätten in Queens besitzt. Ich kannte den Neffen – und dem bot ich an: „Lass mich eine Modelinie entwerfen. Du musst mich erst bezahlen, wenn sie sich verkauft.“ Also kam ich hin
und sah mir den Showroom an und die Kleidung: Blusen aus Polyester und diese Röcke,
schreckliche Mode für ältere Frauen ohne Geschmack. Und ich sagte: „Ich weiß nicht, ob
ich meine Kleider in einer Fabrik machen lassen kann, in der so etwas genäht wird. Aber
ich habe einen Freund in Indien …“ - Sehen
Sie, hier ist der Laden in der 5th Avenue! ...mit Produktionsstätten, dort könnten wir
die Sachen produzieren lassen.“ Also ließen
wir dort eine ganze Modelinie anfertigen.
Welcher Art?
Bowling-Hemden mit Stickereien und Hawaii-Hemden – sehr bunt und lässig und jugendlich. Wir nannten sie „Tommy Hill“.
Hill?
Ich dachte, dass niemand meinen Nachnamen
richtig aussprechen könne. Es war sehr erfolgreich. Aber als ich dann Geld haben wollte, bekam ich keines.
Viele Karrieren haben so angefangen. Denn
die Wut, die so etwas wachruft, setzt die Kraft
frei, den nächsten Schritt zu tun.
Genau. Ich fand dann heraus, dass er sich den
Namen „Tommy Hill“ hatte schützen lassen.
Also stellte ich ihn zur
Rede und sagte: „Hey,
das ist mein Name!“ Und
er antwortete: „Ist es
nicht. Du heißt Tommy
Hilfiger.“ Ich lernte
dann die Leute kennen,
die gleich nebenan einen Showroom hatten
und beschloss, eine
komplett andere ModeGediegen: Hilfigers
linie in einer anderen
Arbeitszimmer
Fabrik in Indien produzieren zu lassen. Das
wurde die „Twentieth Century Survival.“ Ich
fühlte mich großartig.
In welcher Zeit war das?
1980. Ich dachte dabei an Militärstil, Camouflage, Olivgrün, Khaki, Pilotenanzüge, authentische Militärkleidung, aber mit romantischen, weißen Blusen.
Sie waren politisch?
Ein wenig. Und gleichzeitig war es eine tolle
Zeit in Indien. Ich habe nach Stoffen gesucht,
mir Fabriken angesehen, war dort vor Ort und
habe wirklich alles selber entworfen und gefertigt. Nach etwa einem Monat war alles fertig. Ich packte die ganze Kollektion in einen
Koffer und ging damit zu Saks, zu Bloomingdale’s und Barneys und verkaufte sie. Sie wurde sehr erfolgreich.
In Indien zu produzieren war damals noch ein
Abenteuer, oder?
Es war alles sehr einfach dort. Manche der Fabriken hatten keinen Strom. Manche hatten
blanken Erdfußboden. Manchmal bekam ich
meine Lieferungen, manchmal nicht. Manchmal hatten die weißen Blusen Flecken vom
Curry, das die Näherinnen an ihren Arbeitsplätzen aßen. Und manchmal war das Weiß
eher ein Grau. Es war also nicht leicht, Qualität produzieren zu lassen. Die Sachen waren
nie wirklich perfekt. Eines Tages lernte ich
dann jemanden kennen, der Fabriken in
Hongkong hatte. Wir gründeten ein Unternehmen und nannten es Click Point. Eigentlich wollte ich, dass es Check Point heißt,
denn ich wollte, dass alles perfekt durchgecheckt ist. Den Namen konnten wir allerdings
nicht schützen lassen, also nahmen wir „Click!
Point“, weil es „Klick“ machte. Wir ließen die
Sachen in Hongkong produzieren, und die
Qualität war super und dort – dies hier ist 3
61
New York mit Hilfiger
Start:The Plaza Residences,
Central Park South/ Fifth Ave.
Richtung Downtown
Erstes Büro: 25 West/39th Street.
Erste Wohnung: 225 East/12th
Trash &Vaudeville called Limbo
Shop, 4 St. Marks Place, Funky
Town, 14. Marks Place.
Nächste Wohnung: 427 East 9th.
„Needle Park", aka: Tompkins
Square Park , 10th Street
Dann wieder aufwärts
Richtung Uptown.
Türkisches Bad, 268 East 10th.
Sapporo East Restaurant, 245 East
10th Street und weiter zur
25 West, 68 Street. Das erste
Kind wird hier geboren
Das erste Geschäft:
282 Columbus Avenue.
Von dort zurück zu
Plaza Residences
62
3 übrigens das alte Tommy-Hilfiger-Büro, 25
West 39th – lernte ich Herrn Murjani kennen,
dem damals Gloria Vanderbilt Jeans gehörte.
Vanderbilt Jeans?
Ja. Das war eine große Firma, Anfang der
Achtzieger. Ich hatte damals eine Stelle bei
Calvin Klein und war sehr froh darüber, denn
ich bewunderte ihn sehr, aber dann sagte Mr.
Murjani zu mir: „Machen wir unsere eigene
Firma auf!“ Und wir taten es und nannten sie
dieses Mal Tommy Hilfiger! Es war Männermode, die wie für mich entworfen war: Ein
bisschen popperhaft, cool, klassisch mit einer
besonderen Note. Sie wurde sehr beliebt.
Sie haben sich nie verändert, oder?
Ich will mich gar nicht verändern.
Ist das schwer?
Nein. Ich will nur ich sein. Ich habe noch
Freunde, die ich in der
Schulzeit kennen gelernt habe. Sehen Sie,
dieses grüne Gebäude …
Können wir das Dachfenster bitte aufmachen? In diesem grünen
Gebäude habe ich Tommy Hill und Twentieth
Century Survival gegründet. Und in diesem
schwarz-weißen GebäuBlick aus Hilfigers
de dann Tommy HilfiApartment zur 5th
ger. 1984, im 18. Stock.
Haben Sie den Typen, der sie schlecht behandelt
hat, je wiedergesehen?
Ja, wir haben ihm die Namensrechte für Tommy Hill abgekauft. – Da ist Nadal, Rafael Nadal.
FOTOS: JÜRGEN FRANK; INGA GRIESE
Wir fahren an einem großen Billboard vorbei,
der Tennisstar ist das aktuelle Marken-Testimonial...
Also. Als wir Tommy Hilfiger gründeten, sagte
Mr. Murjani, er habe gerade einen Vertrag
über eine Modelinie für Coca-Cola abgeschlossen. Er fragte mich, ob ich das auch
übernehmen würde. Also tat ich es.
Cola-Mode?
Das waren Rugby-Shirts, sportliche Kleidung
in Rot und Weiß. Die Linie war sehr erfolgreich, doch dann gab es Ärger. In vielen amerikanischen Fabriken wurden die dort aufgestellten Coca-Cola-Maschinen abgeschafft,
weil es hieß, Coca-Cola lasse Kleidung in
Asien produzieren. Darum wollen sie nichts
mehr mit denen zu tun haben. Das war ein
ziemlicher politischer Aufruhr. Und ich beschloss, mich lieber voll
auf Tommy Hilfiger zu
konzentrieren.
Fünf
Jahre später ging meinem Partner, der mich
finanziell deckte, das
Geld aus. Also musste
ich einen neuen Investor suchen. Ich ging zu
den Banken an der Wall
Street. Ich fragte Leute,
die ich kannte – Freun- Der Vintage Store in
de, Familienmitglieder. St. Marks Place
Aber ich fand niemanden, der mir Geld geben wollte, denn keiner
wollte in ein Modeunternehmen investieren.
Sie fanden das Konzept von Mode an sich zu
unsicher: heute so, morgen so.
Vor seinem ersten Geschäft
Klingt, als wär’s heute.
Aber ich musste die Bestellungen bedienen,
musste also versuchen, in den asiatischen Fabriken die Ware zu bekommen. Ich hatte gerade mal genug Geld für ein Ticket und ein
wirklich mieses Hotel und fuhr zu der Fabrik,
die für mich Pullis produzierte, und sagte:
„Können Sie mir bitte die Ware ausliefern, ich
zahle, sobald ich das Geld vom Kunden habe.“
Ich sprach dort mit einem gewissen Silas
Chou, dem die Fabrik gehörte und erzählte
ihm die ganze Geschichte. Er schlug vor, dass
wir Partner werden. Das war die beste Entscheidung meines Lebens. Wir wurden Partner, und er half mir, das Unternehmen aufzubauen, es zu professionalisieren und zu dem
zu machen, was es heute ist.
Womit haben Sie ihn überzeugt?
Er erkannte meine Leidenschaft. Aber ihm
gefielen auch die Sachen. Eines Tages nahm er
mich zur Seite und sagte: „Du musst deinen
Namen in das Unternehmen einbringen.“ Ich
zögerte, der Name war ja alles, was ich hatte.
Und er sagte: „Ich stecke Geld in die Firma,
mache sie groß. Willst du lieber ein kleiner
Teil eines Elefanten sein oder ein großer Teil
einer Erbse?“ Ich nahm den Elefanten.
Mitte der 80er-Jahre sorgten Sie mit einer
Kampagne für einen ziemlichen Skandal.
Wir lernten diesen genialen Werbetypen kennen, George Lois. Ich stellte mir Fotos von einem gut aussehenden Model in unseren Sachen am Strand in den Hamptons vor. Aber er
meinte: „Nein, nein, nein. Wenn ihr das macht,
wird es 20 Jahre dauern und viele Millionen
Dollar kosten, bis man euch kennt. Ich mache
euch über Nacht bekannt.“ Und er präsentierte die Kampagne, in der er mich mit Ralph
Lauren, Calvin Klein und Perry Ellis verglich.
Ich wehrte ab, mir war das peinlich. Aber er
blieb hartnäckig. Als die Anzeige dann am Times Square lief, brach die Hölle los. Die ganze
Modeszene stürzte sich auf mich: „Was glaubt
dieser Typ, wer er ist?“ – „Der hat doch noch
nicht einmal Modedesign studiert.“ – „Er ist
überhaupt kein Designer.“
Wie haben Sie reagiert?
Ich überlegte, einfach etwas ganz anderes zu
machen. Aber dann dachte ich: „Ich muss
mich richtig anstrengen und gute Kleidung
produzieren, denn die Menschen sind neugierig – sie werden kommen und gucken, was es
mit meiner Mode auf sich hat.
Sie taten es offenbar
wirklich?
Gucci gab es bereits,
aber Prada, Vuitton, Bottega machten damals
nur Lederwaren. Heute
ist alles viel härter. Aber
es gab schon auch damals Konkurrenz, und
die Einzelhändler hatHier wird gegessen:
ten ihre Lieblinge. Aber
Hilfigers Küche
wir haben immer weitergemacht. Später kam ein weiterer Partner
dazu, Lawrence Stroll, der einer der Mitbesitzer von Polo in Europa war. Sein Ansatz war:
nicht kleckern, sondern klotzen. Er sagte:
„Lasst uns überall Läden eröffnen, mit Männermode, Frauenmode und Kindermode.“ Ende der Achtziger waren wir dann ein Team aus
vier Leuten: Silas Chou für die Produktion
und Strategie, Joel Horowitz fürs Tagesgeschäft, Lawrence Stroll für die großen Ideen
und ich fürs Kreative.
Wollten Sie nicht eigentlich Musiker werden?
Aber ich war nicht wirklich gut. Doch ich
wollte als Teenager aussehen wie die Rockstars, mit langen Haaren und Schlaghosen und
allem. Das brachte mich dazu, meinen ersten
Jeansladen zu eröffnen. Und als ich dann Ende der Achtziger, Anfang der Neunziger wieder über Werbung nachdachte – so eine Kampagne, nach der mich alle hassen, wollte ich
nie wieder – sagte ich zu meinem Bruder Andy, der damals für mich arbeitete: „Kleiden wir
die Musiker ein.“ Und so fingen wir an, alle anzuziehen, von Britney Spears bis Usher.
Da haben Sie dann einfach angerufen und gesagt: „Hi, hier ist Tommy. Ich würde Ihnen gern
mal was anziehen?“
Andy arbeitete im Musikgeschäft und kannte
viele persönlich. Wir schenkten ihnen Klamotten, und sie trugen sie auf der Bühne. Und
die Fans taten es dann auch. Dann fingen wir
an, Werbung mit den Stars zu machen und
sponsorten zum Beispiel eine Tour für Pete
Townshend von The Who, für Lenny Kravitz,
für die Rolling Stones, warben mit David 3
63
sen sehr coolen Laden, Max’s Kansas City, da
gingen David Bowie, Lou Reed und all die
Rockstars hin. Später dann gab es das Studio
54, das war sehr, sehr durchgedreht. Ich würde
sagen, die Zeit hier war die beste meines Lebens, weil einfach immer etwas los war.
Es ging mehr um den Spaß als um den Status?
Ja, ich brauchte nicht viel, und man nahm alles nicht so wichtig. Es gab keine Regeln –
man tat einfach, wozu man Lust hatte. Aber
ich hatte den Traum, das Unternehmen noch
weiter voranzubringen, denn es hatte mich
gepackt und faszinierte mich.
3 Bowie und Iman und blieben eng mit der
Musikszene verbunden.
Andererseits verkörpert Ihre Mode den typisch
amerikanischen Ostküsten-Stil.
Es ist das, was ich „Fame“ nenne: F-A-M-E –
Fashion, Art, Music, Entertainment. Alles zusammen ergibt Popkultur. Es ist nicht nur die
Musik. Da gehört Hollywood dazu, Aspen,
Miami, dieser ganze Popkultur-Lifestyle. Damit haben wir uns abgehoben.
In welcher Hinsicht?
Wir waren eine junge, coole Marke, die junge,
coole Leute attraktiv fanden. Dadurch unterschieden wir uns damals von der Konkurrenz,
denn die nahm Mode sehr ernst. Wir machten
sportliche Mode: Jeans, große Logos, RotWeiß-Blau, Zahlenaufdrucke, alles von der
Sportwelt inspiriert. Die Hip-Hopper fingen
an, diese Sachen zu tragen, dann die Skater,
die Popper, die Sportstars und dann die Schüler und College-Studenten. Und dann waren
wir überall bekannt.
Auch überpräsent, oder?
Eine Zeit lang wurde es in Amerika zu viel.
Aber das europäische Geschäft entwickelte
sich basierend auf meiner ursprünglichen
DNA mit den amerikanischen Klassikern, ein
bisschen eleganter, weniger logolastig, weniger Streetwear.
Wie war das, als Sie als junger Mann aus ihrem
dem Heimatort Elmira in New York ankamen?
Wir, also meine Frau Susie und ich und mein
Bruder, hatten ein paar Freunde in New York.
Wir mieteten erst eine Wohnung in der 31st
Street und zogen wenige Monate später zur
East 9th Street. Als wir in der Gegend wohnten war es noch eine der schlimmsten Gegenden New Yorks, aber eben auch billig. Man
nannte den Tompkins Square damals Needle
Park. Nadel wie Fixen, nicht wie Nähen. Man
konnte nachts Schüsse hören …
64
Hatten Sie eine Waffe?
Nein. Vielleicht hätte ich eine haben sollen
(lacht). Aber ich habe gerne dort gewohnt,
denn die coolen Bars und Clubs waren zu Fuß
erreichbar. Wir gingen damals ins CBGB’s und
haben dort die Ramones gesehen, auch die
Sex Pistols. In den Siebzigern gab es auch die-
Ihre Show am Montag hatte etwas von diesem
Siebziger-Jahre-Feeling. Die Stimmung in der
Halle mit dem Kunststrand, die Musik, die witzigen Häkelbikinis.
Die Idee war, dass man als trendige Frau aus
New York oder L.A. oder anderswo nicht Prada, Gucci oder Missoni am Urlaubsort kaufen
möchte, sondern etwas von dort, bei einem
Händler oder einem kleinen Laden. Das hat
diesen lässigen Boho-Hippie-Chic. – Verzeihung – Mark, könntest du hier rechts in die
12th Street abbiegen?
Ich möchte Ihnen meine allererste Wohnung
hier zeigen. Bevor ich
ganz nach New York
zog, kam ich etwa zweimal pro Monat hierher
und mietete damals eine Wohnung von einem
Typen, die Adresse war
225 East 12th. Da lag nur
eine Matratze auf dem War unmöbliert:
Boden. Und überall hier Wohnung in der 9th
in der Gegend hingen die Junkies herum. Also
fuhr ich mit meinem kleinen VW hierher …
Oh, Sie hatten einen VW?
... den parkte ich hier, und am nächsten Morgen war die Scheibe eingeschlagen und das
Radio war weg. Mal sehen, es ist die Nummer
225 hier links. Das ist das Gebäude. Oh, wow,
das steht noch da. .. Und es gab da eine Reinigung. Da brachte ich immer meine Jeans hin
zum Bleichen, damit sie gebraucht aussehen.
R&S Cleaners hieß die Reinigung.
Und die Jeans verkauften Sie dann?
Ich brachte immer zehn oder zwölf Stück auf
einmal hin und verkaufte sie in meinem Laden in Elmira.
Sie haben viele Geschwister, aber mit dem einen Bruder haben Sie diese enge Beziehung. Ist
das Zufall?
Das liegt daran, dass er sich am meisten für
Mode und Musik interessiert. Einer meiner
Brüder starb an einem Hirntumor. Er war ein
richtiger Musiker. Dann habe ich noch einen
Bruder, der gerne Dinge baut, der hat also
nichts mit Mode zu tun. Und ich habe eine
Schwester, die auch gerne Mode macht. Sie ist
Designerin und hilft bei Tommy Hilfiger, das
ist sehr schön. Dann habe ich noch eine
Schwester, die als Krankenschwester arbeitet,
eine, die Lehrerin ist … Wir sind sehr viele.
Gibt Ihnen das Kraft?
Ja, es ist toll. Vor allem habe ich durch meine
große Familie aber gelernt, dass die Menschen
alle verschieden sind. – Ich zeige Ihnen jetzt,
wo der kleine Hippie-Laden war, in dem ich
zum ersten Mal Jeans gekauft habe, die ich
dann in meine eigenen Läden gebracht und
an meine Bekannten verkauft habe, im Jahr
1969 war das.
Wie viel haben Sie draufgeschlagen?
Sie kosteten fünf Dollar, und ich habe sie für
elf Dollar weiterverkauft. – Hier am St. Marks
Place hingen früher die Rockstars und Hippies ab. Und da ist ein Laden, hier auf der
rechten Seite, der heißt Trash and Vaudeville.
Und da im Marks Hotel hab ich mal übernachtet. Gruselig.
Wir steigen aus, die Sicherheitsmänner aus
dem Wagen hinter uns auch. Sie bleiben auf
Abstand, Hilfiger sprintet die Treppe zu dem
Laden im Hochpaterre hinauf.
Früher hieß er Limbo Shop. Die Klamotten
sind alle sehr hippiemäßig. Hier habe ich viele
Sachen gekauft und zu Hause verkauft.
Der Laden ist geschlossen, eine Frau öffnet
vorsichtig, guckt ungläubig, als Hilfiger sich
höflich vorstellt und schließt die Tür wieder.
Wir drehen um, ein junger Mann eilt heran,
juchzt „Tommy Hilfiger! Sir!“
Sind Sie gern prominent?
Wenn ich gerade mit meiner Familie in einem
Restaurant zu Abend esse, kann es schon ein
bisschen nervig sein. Und ich mag es nicht,,
wenn die Leute zu aufdringlich sind. Man sagt
einfach: „Hallo, ich bin ein Fan von Ihnen“,
und das ist okay. – Mark, wir biegen hier die
Nächste rechts ab und fahren dann einmal um
den Block. – Das hier ist nämlich East 9th
Street, das ist mittlerweile eine sehr schöne
Gegend, sie hat sich sehr verändert. Hier habe
ich damals oft zu Abend gegessen, bei Sapporo East, einem japanischen Restaurant.
Ist es jetzt teuer hier?
Es wird jetzt teurer. Ach, ich glaube, wir sind
schon vorbei – das Russische Bad. Hier ist
man damals hingegangen, wenn man am Wochenende etwas Besonderes machen wollte.
Es gab diese große Sauna und Dampfbäder.
Was trugen Sie damals?
Jeans, Jeans, Jeans, Jeans, Jeans (lacht). Und
immer Lederjacke. Wir waren vielleicht die
erste Generation, die Casual-Mode trugen.
Man sah damals nicht viele Leute in T-Shirts
in der Stadt. Vielleicht in den Clubs in
Downtown, aber es gab auch kaum jemanden,
der sein Hemd nicht in die Hose steckte. Es
war der Anfang einer Casual-Mode-Revolution, die dann in den Achtzigern an Fahrt gewann und bis heute andauert, weltweit. – Wir
fahren zur 73rd Street; ich zeige Ihnen, wo ich
1987 meinen ersten Tommy Hilfiger-Laden
hatte, rechts Frauen, links Männer.
Werden Sie manchmal nostalgisch?
Manchmal. Aber es passiert so viel in meinem
Leben, da drehen sich die Gedanken um Morgen und den Tag darauf und die nächste Woche. Viel an die Zukunft zu denken lenkt oft ab
und lässt keine Zeit für Reflexion.
Wobei ich jetzt, da ich in der Arbeit zu meiner Biografie stecke,
auch sehr viel an früher denke. Es
ist fast wie eine Therapie. Einerseits kommen mir die 30 Jahre
mit der Firma Tommy Hilfiger
wie eine Woche vor. Aber andererseits denke ich: Wow, was ist
dir alles passiert.
Eckwohnung mit Blick
auf den Central Park
G_fkfA\ejDXli`kq
Uschi Glas
für
=@E<A<N<CC<IPÆ?8E;D8;<@E><ID8EP
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Traumreise
MONTAGE: ICON
Von oben nach unten:
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Dior, Handtuch:
Hermès, Sonnenbrille:
Dolce & Gabbana,
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der Ring ist von
Pomellato
ANDERE FAMILIEN, ANDERE SITTEN: WEIL WIR NICHT WISSEN,
WO SIE AM LIEBSTEN DEN HEILIGEN ABEND VERBRINGEN, HABEN WIR
FÜR (FAST) JEDES REISEZIEL ODER ZUHAUSE PASSENDE GESCHENKE
AUSGEWÄHLT. EGAL, OB SIE NUN AUF DEM BERG, AUF DEM LAND, IN
DER STADT, AM RAUEN MEER ODER GAR IN DER SÜDSEE FEIERN.
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FOTOS: ATTILA HARTWIG. STYLING: THORSTEN OSTERBERGER
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ZUSAMMENGESTELLT VON MIRA WIESINGER UND CAROLINE BÖRGER
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1. The Look of Love: Sonnenbrille von Julian Zigerli für „Lunettes Kollektion“. 2. Regenbogenfarben: Kaftan „Electrolight“ von
Mara Hoffman (über net-a-porter.com). 3. Handschmeichler: „Lotus“-Ringe von Ole Lynggaard. 4. Portemonnaies dürfen gern auch gefüllt
verschenkt werden. Dieses ist von Tomas Maier. 5. Es gibt was auf die Ohren: lederbezogene Kopfhörer „Plica White“ von Molami. 6. Nimm mich
mit! Den Flamingo von Hansa Toys findet man bei modaoperandi.com. 7. Sweet like Candy: Ohrhänger von Tamara Comolli. 8. Die FernwehJacke ist von Achtland. 9. Smarter Reisebegleiter: Der Shopper von Horizn Studios kommt mit einem zwölfmonatigen „Travel Assistent“, der
vielerlei für Sie erledigen kann. Infos unter horizn-studios.com. 10. Rosige Aussichten: Sonnenbrille von Dior. 11. Für Strand-Männer: Badehose
von Vilebrequin (über mr-porter.com). 12. Leichtfüßig im Sand: Sandale „Milli“ von Salvatore Ferragamo (stylebop.com)
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MONTAGE: ICON
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Blaue Stunden
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Großes Bild (von oben nach unten): Tasche „Boy“ von Chanel, Parfum: „Sauvage“ von Dior, das Schmuckkästchen ist von Smythson of Bond
Street (net-a-porter.com), Kalender von Graphic Image (dsq206.com), Kamera: Leica. 1. Da wird ihr warm ums Herz: Strickpullover von Equipment.
2. Es wird Zeit: Die „Happy Fish“ von Chopard. 3. Kleiner Tipp: Sie will bestimmt die Clutch von Olympia Le-Tan (theoutnet.com).
4. Ge-Fellt ihr bestimmt: sportliche Pelzjacke von Steinbrück Pelze 5. Wasserdicht und schlicht: Gummierter Rucksack von Hunter.
6. Meeresglitzern: Brosche von Chanel Fine Jewelry. 7. Fest verankern Sie sich im Herz der Beschenkten mit einer Kette von Cada. 8. Wärmespender: Whiskeybecher „Arctic“ von Artel (artedona.com). 9. See-Fest: Kaschmirpullover von Chinti & Parker. 10. Unendliche Tiefen bietet die Tasche
„Fluke“ von Tsatsas. 11. Wirkt entspannend: Poncho von Wunderkind. 12. Zum Vor-Freude-an-die-Decke-Springen: Plaid von Lexington
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MONTAGE: ICON
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Stadtlust
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Großes Bild (von oben nach unten): Tasche von Charlotte Olympia (net-a-porter.com), Parfüm „Donna“ von Valentino, Fliege von „The Bow Tie“, Aktentasche von Prada,
Füllfederhalter „M“ von Montblanc, Kette von Michael Kors. 1. So cool! Darth-Vader-Kette aus der Star-Wars-Kollektion von Malaikaraiss. 2. Foxy Lady: Mütze von Markus Lupfer.
3. Die elegante Alternative zur Jogginghose auf dem Sofa: Pyjama von F.R.S. For Restless Sleepers (net-a-porter.com). 4. Für Stadtläufer: Sneaker Free 3.0 Flyknit aus der
The NikeLab Gyakusou-Kollektion 5. Glanzstück: Die Tasche ist von Mulberry. 6. Lass sie weich werden mit Samt-Heels von Casadei. 7. Go for Gold: Armreif aus der
„Tiffany T“-Kollektion. 8. Küsse ernten mit dem Kettenanhänger von Marie-Hélène de Taillac. 9. Musik to go: Der Reiselautsprecher „Stockwell Black“ ist von Marshall Headphones.
10. Schicker Laufbursche: Laufband „Myrun“ von Technogym. 11. Guter Taschendieb: Die „Trapeze“ von Céline wird ihr Herz stehlen. 12. Heiße Sohlen: Paillettenschuhe von
Floris van Bommel. 13. Sanfter Engel: Samtjackett von Joseph. 14. Bringt Augen zum Leuchten: Rucksack von Fendi (stylebop.com)
MONTAGE: ICON
Alp-Träume
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Von oben nach unten:
Der Gürtel ist von Versace,
Fell-Boots:
Brunello Cucinelli,
Uhr: Speedmaster „Dark
Side of the Moon“ in
„black black“ von Omega,
Tasche: „Twist“-Bag von
Louis Vuitton, die Brille
ist von Jimmy Choo
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1. Bärenstark! Der Schlüsselanhänger ist von Prada.
2. Sportsfreund: Kapuzenjacke aus Seide von Ermenegildo
Zegna. 3. Eleganter Begleiter: Die Sonnenbrille „Cellor“ von
Persol mit flexiblem Steg lässt sich in der Mitte zusammenfalten. 4. Après Ski? Mais, oui! Von Moët & Chandon gibt es
jetzt einen neuen Champagner: den „MCIII“. 5. Strahlend
schön mit den schillernden Puderperlen „Météorites Flocons
Enchantés“ von Guerlain. 6. Schneetreiben: Die Clutch mit
Kristallflocken ist von Jimmy Choo.
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7. Für die super Sause: Ski „Nira Montana Ti – Allterrain
Rocker“ von Indigo. 8. Richtungsweisend: Die Bucket-Bag ist
aus der „Destination“-Kollektion von Loup Noir. 9. Lang lebe
der Rollkragen: schlichtes Kaschmirkleid von Raey über
matchesfashion.com 10. Zeigen Sie Profil mit Boots von
Porsche Design. 11. Um vor dem Kamin zu sitzen: den Norwegerpullover „Suffolk“ von Claudia Schiffer für TSE gibt es
über Stylebop.com. 12. Runter vom Sofa! Und rauf auf den
Berg! Die Jacke von Perfect Moment finden Sie bei matchesfashion.com, mehr Infos auch unter perfectmoment.com
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Landpartie
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Großes Bild (von oben nach unten): Rucksack von The Bridge, Kartenspiel: Burberry, Stifte und Stiftehalter aus der Graf-von-Faber-Castell-Kollektion,
Karten und Umschläge von Pineider (Quartier 206), Uhr: „Portofino Automatic von IWC, Decke: Falke. 1. Duftes Präsent: Parfüm „Ombre Mercure Extrême“
von Terry de Gunzburg (niche-beauty.com). 2. Für Waldspaziergänge: Jacke von COS. 3. Für flotte Bienen: Tasche von Gucci. 4. Weil jede Frau Kaschmir liebt, ist die
Decke von FTC Cashmere eine gute Idee. 5. Tannenduft in jedem Raum: Die Kerze „Sapin“ ist von Diptyque. 6. Heiße Liebe: Thermoskanne „Bernadotte“ von Georg Jensen. 7. Eiszeit: Der „Huntley Ice Bucket“ ist von Ralph Lauren. 8. Selbststricken ist angesagt: Wolle von Lala Berlin & Lana Grossa. 9. Dürfen wir Ihnen auf die Sprünge
helfen? Anhänger „Paddock Botte“ von Hermès. 10. Für Trendmänner: „Beard Wash“ von Percy Nobleman (hagel-shop.de). 11. Holz in der Hütte: Beistelltisch von Uccellino.
12. Auf den Hund gekommen? Klar! Krawatte von Hackett. 13. Für Gutsbesitzer: „Signature Chair FH 429“ von Frits Henningsen (1954) für Carl Hansen & Søn
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DIE RUHIGE HAND
Stroh zu Gold
Als Lison de Caunes vor 30 Jahren anfing, die alte
Handwerkstechnik der Strohintarsien vor dem
Vergessen zu retten, interessierte das niemanden.
Heute versetzt sie mit ihrem Handwerk die Luxusbranche in
Aufregung und Silke Bender gleich mit
74
Handarbeit: Jeder Halm muss einzeln auf die Holzplatten aufgeklebt
werden. Die Technik aus dem 18. Jahrhundert erlebt bei Lison de Caunes
(links) eine Renaissance. Oben: Eine ihrer Arbeiten für den
Pariser Flagshipstore von Guerlain
SOPHIE BASSOULS (1); GILLES TRILLARD (1); GUY GALLICE; HERMÈS; LISON DE CAUNES
I
Im Restaurant „Goumard“ in Paris
darf man noch rauchen, zumindest in
der Zigarrenlounge, wo die großen
Tabakfreunde von Winston Churchill
bis Zino Davidoff als Posterboys verewigt sind. Im 19. Jahrhundert, als das
Restaurant noch „Prunier“ hieß, gingen hier Oscar Wilde und Sarah Bernhardt ein
und aus. Heute ist es einer der seltenen Orte,
wo man sich als Raucher noch verwöhnt fühlt
und im warmen, gediegenen Ambiente auf
komfortablen Chesterfield-Sofas seinem Laster frönen kann. Von prachtvollem LaliqueKristall beschienen, zeigt Davidoff Cigars hier
den ersten, fertigen Humidor vom Wert eines
Kleinwagens. Wie Perlmutt schimmert seine
Oberfläche, und die Grüntöne verändern sich
mit jedem Perspektivwechsel. Und obwohl
das Muster aussieht wie eine dreidimensionale Struktur aus Tabakblättern, fühlt der Humidor sich so glatt an wie Lack. Anfassen erwünscht! „Nur zu“, ermutigt seine Schöpferin
Lison de Caunes. „Genau dieses sinnliche Vergnügen macht das Handwerk so interessant.“
Strohintarsien hatten ihren großen Moment
im Frankreich des 18. Jahrhunderts und zu
Zeiten des Art-déco und wurden dann vergessen. Die gelernte Buchbinderin Lison de Caunes war die Erste, die in den 80er-Jahren begann, sich das verloren gegangene Handwerk
in Eigenregie wieder anzueignen. „Sagen wir,
ich war familiär vorbelastet“, erzählt sie lächelnd und zündet sich am Tag nach dem Restaurantbesuch in ihrem pittoresken Hinterhofatelier im 6. Pariser Arrondissement eine
Zigarette an.
Sie bemerkt den besorgten Blick der anwesenden Journalisten angesichts der überall lagernden Sträuße aus getrocknetem Stroh:
„Keine Sorge, das Material ist nicht entflammbar – deshalb ist es ja so gut für Innendekorationen geeignet.“ Eine in Goldtönen glänzende Wandpaneele mit kunstvollen, abstrakten
Mustern wartet auf seine Verschiffung nach
New York, für eine private Bibliothek. Daneben werkelt ein Mitarbeiter an der nächsten
Paneele. Mit dem Finger öffnet er vorsichtig
jeden einzelnen der getrockneten Halme und
plättet sie mit einem Messer auf einem langen
Tisch. Anschließend klebt er sie vorsichtig auf
die MDF-Platte.
Madame de Caunes fährt mit der Hand über
die schimmernde Fläche der Wandpaneele:
„Strohintarsien brauchen keinen Lack, Silizium sorgt für den ganz natürlichen Glanz und
imprägniert gleichzeitig“, erklärt sie. „Und das
bei guter Lagerung über Jahrhunderte.“ Sie
holt ein Lieblingsstück ihrer Sammlung hervor, ein mit Blumen und Salonszenen kunstvoll dekoriertes Nähkästchen aus dem 18.
Jahrhundert, das noch heute in intensiven
Gold- und Brauntönen glänzt. An solchen Objekten, die sie günstig zum Beispiel auf Auktionen und bei Antiquitätenhändlern erstand,
schulte sie ihre Kunst.
Auf einem anderen Tisch steht, halb fertig,
der nächste Humidor. Eine Woche Handarbeit
steckt in jedem. Vier Mitarbeiter braucht das
Atelier heute, um den zahlreichen Aufträgen
gerecht zu werden. „Als ich damit anfing, verdiente ich nicht mal genug, um mich selbst
über Wasser zu halten“, erzählt die Künstlerin,
die jetzt auch Unternehmerin ist. Ihre Mutter,
die Feministin und Schriftstellerin Benoîte
Groult, hielt sie sogar für eine „desperate Housewife“ mit lamentablem Hang zum Basteln,
als sie sich plötzlich mit so viel Herzblut auf
das Stroh stürzte.
Es war ihr Großvater André Groult, ein bekannter Dekorateur und Möbeldesigner des
französischen Art-déco, der sie inspirierte. „Er
war berühmt für seine Galuchat-Technik, getrocknete Hai- und Rochenhaut, mit der er
seine Möbel beschichtete“, sagt sie. Und eben
Strohintarsien. Für einen der angesagtesten
Juweliere des Art-déco, René Boivin, verkleidete er in seiner Zeit die Wände des Geschäftes am Place Vendôme. „Als die aufgrund eines Wasserschadens im Hause in den 80erJahren beschädigt wurden, wusste niemand,
wie sie zu restaurieren sind“, erinnert sich de
Caunes. „Damit sie nicht einfach abgerissen
wurden, habe ich mir diese Aufgabe gestellt.
Ich fand es fantastisch, was für eine luxuriöse
Ästhetik man mit diesem so bescheidenen
Material Stroh schaffen kann.“
Das seltene Können der Pariserin sprach sich
herum, immer mehr Museen und Sammler
brachten ihre Stücke zum Restaurieren vorbei. Irgendwann stand Peter Marino in ihrem
Atelier. Der New Yorker Innenarchitekt gilt als
der Palastmeister der Luxusmarken, von Armani bis Valentino wird er weltweit gerufen,
wenn das Raumerlebnis besonders erhebend
sein soll. So auch vom „Four Seasons“-Hotel in
New York, für das er in den 90er-Jahren das
Penthouse gestalten sollte – und bei Lison de
Caunes die Wandverkleidungen bestellte.
„Von da an waren Strohintarsien wieder im
zeitgenössischen Design angekommen“, erinnert sie sich. „Und heute sind sie wieder richtig in.“ Sie arbeitete schon für Hermès-Möbel,
gestaltete die Wände des Guerlain-Flagshipstores an den Champs-Élysées, die Schaufenster für Louis Vuitton Joaillerie am Place
Vendôme, oder die Displays, in denen Cartier
seine Preziosen auf der letzten Biennale des
Antiquaires im Grand Palais zeigte.
Der Aufwind im Luxusmarkt lässt es in den
Burgunder Roggenfeldern rauschen, aus denen de Caunes ihr Rohmaterial bezieht. Die
raffinierte, natürliche und ungewohnte Ästhetik, verbunden mit französischer Tradition
und Handwerk – kein Wunder, dass die großen Luxusfirmen, stets auf der Suche nach
neuen Kitzeln, um ihre verwöhnte Klientel zu
verführen, die Intarsien lieben.
Inzwischen hat Lison de Caunes vielen Schülern in Workshops das Handwerk beigebracht,
sogar an der Pariser Innenarchitektenschmiede École Boulle wird es wieder gelehrt. Mittlerweile böten auch zwei, drei andere Ateliers
in der Stadt die Technik an. Ihre Pionierleistung jedoch brachten ihr den Titel „Maître
D’Art“ ein, an der Wand im Atelier hängt die
Urkunde zur Ernennung als Ritterin der französischen Ehrenlegion. Auch ihre Mitarbeiter
sind Quereinsteiger, die wie sie aus ganz anderen Jobs zu ihrer neuen Berufung kamen.
„Handarbeit ist befriedigender, als nur an irgendwelchen Bildschirmen zu hängen“, sagt
die Meisterin. „Und schauen Sie uns an: Stroh
konserviert gut. Keiner von uns sieht so alt
aus, wie er ist.“
Den Humidor fertigte sie in limitierter
Auflage für Davidoff. Unten: Paravent aus
dem Atelier Lison de Caunes
Das Lafayette beauftragte Lison de
Caunes für die Dekoration – sie trägt den
Titel eines „Mâitre d’Art“
Madame de Caunes fertigt Kleinmöbel bis zu ganzen Wandgestaltungen – hier ein faltbarer
Beistelltisch von Hermès
75
HANDARBEIT
JULIA BAIER (4)
Die Fransen der
Mohairschals (links)
werden per Hand
gedreht. Der Webstuhl (unten) stammt
noch aus dem elterlichen Familienbetrieb
Nur
Flausch,
kein Fussel
In der ehemaligen
Weberei ihrer Eltern in
Sachsen verarbeitet die
Bühnendekorateurin
D
76
en freudlosen Ausdruck
Wolldecke kann man getrost vergessen. Beim Anblick der flauschigen Plaids
und Schals aus der Weberei
von Heike Schönfeld wird
einem gleich – man darf das
hier mal sagen – warm ums
Herz. Einfach hineinschmiegen und den Winter kommen lassen. Kein Mohair ist so kostbar
und fein wie das der langlockigen Angora-Ziegen aus der Karoo-Wüste auf der südafrikanischen Hochebene. Diamantfaser wird die Mohairwolle wegen ihrer Exklusivität auch genannt.
Die Frau, die mit diesem kostbarem Rohmaterial zaubert, ist vor allem in Theaterkreisen
über deutsche Grenzen hinweg bekannt. Sie
webt Bühnenrequisiten für die großen Häuser und Opernbühnen per Hand. Ihr erster
selbst entworfener Teppich wurde bereits
1993 mit dem Sächsischen Staatspreis für Design ausgezeichnet. Innenausstatter kommen
aber vor allem wegen ihrer Mohairdecken zu
ihr. „Das ist meine Sommerarbeit“, verrät
Schönfeld. „Die Theater machen Ferien, und
wir füllen derweil unsere Lager für den Winter.“ Flieder, Schäfchenweiß, Pink, Türkis, Korallenrot oder Bübchenblau quillt der Flaum
aus den Regalen. Reise- und Kniedecken in 60
Farben und seit Neuestem auch Schals.
1966 in Zwickau geboren, hat die Weberin
Textil- und Modedesign auf Burg Giebichenstein in Halle und außerdem noch Innenarchitektur studiert. 1997 übernahm sie die
Handweberei ihrer Eltern im sächsischen
Crimmitschau, die diese 1952 gegründet hat-
Heike Schönfeld Mohair
aus Südafrika zu Schals
und Decken
ten. Zu DDR-Zeiten machten sie Tischdecken
und Läufer aus Leinen, aber auch schon karierte Mohairdecken. Crimmitschau hatte
sich seit Mitte des 18. Jahrhunderts zum Textilschwerpunkt entwickelt, nach der Wende
brach zunächst alles zusammen. Die Tochter
baute die elterliche Firma um und konzentrierte sich auf Bühne, Innenausstattung und
das Weben von Mohair, ihrer besonderen Leidenschaft. Es ist etwas rustikaler und nicht so
teuer wie Kaschmir, dem sehr feinen, seltenen
und weniger rauen Bauchhaar der entsprechenden Ziegenart.
Die Spinnerei „Diese Wolle“ in Aachen verarbeitet den Rohstoff aus Südafrika zu sogenannten Loups. Diese Fäden mit den typischen boucléartigen Schlaufen landen in
Crimmitschau auf Docken oder Spulen. Dann
erst wählt die Weberin die Farben aus, von denen sie glaubt, dass sie Potenzial für die
nächste Saison haben. In diesem Jahr kommen Schwarz, Orange, mildes Zitronengelb
und Marone dazu. Und ab geht das Rohmaterial in die oberfränkische Färberei Fatex nach
Wunsiedel. Zurück im Betrieb werden die
Garne auf konische Rollen umgespult. Die
Webkette wird am Webstuhl vorbereitet, das
sogenannte Schären. Es klackt jedes Mal trocken im Raum, wenn Heike Schönfeld wie eine Organistin an der Orgel die Pedale tritt und
der Schuss den Faden mit der Kette zum Gewebe verbindet.
Je nach Breite werden mehrere Schals nebeneinander gewebt und später getrennt. Die
Fransen dreht sie bereits am Webstuhl per
Hand. Wenn alles fertig ist, werden Plaid oder
Schal zur Veredelung außer Haus gegeben.
Dort wäscht und walkt man die Teile vorsichtig. Das gibt Stabilität und erleichtert später
die Pflege. Nach dem Trocknen wird die gesamte Fläche mit Karden angeraut – das sind
Blütenstände von Disteln, die seit jeher und
noch heute von den Webern zur Behandlung
von Wolle, Kaschmir oder Mohair benutzt
werden. Die trockenen Disteln zupfen die Faserenden zart heraus. Das ergibt schließlich
den Flausch, der nicht fusselt, wenn sorgsam
gearbeitet wird.
Dann werden die Webstücke nur noch maschinell gebürstet und gedämpft. Und schließlich kommt jeder Stoff auf den Leuchttisch,
um letzte Unreinheiten zu entfernen. Dort
werden auch die Stücke einfach mit der Schere getrennt. Fertig sind die Decken und
Schals, die auch nach längerer Benutzung in
Form bleiben. Der Begriff Mohair kommt übrigens aus dem Arabischen und meint „Stoff
mit Haaren“. Bei Heike Schönfeld sind es eher
Härchen, die sowohl in der Großstadtwüste
als auch in der norddeutschen Tiefebene dem
Träger ähnlich gute Dienste leisten wie der
Wüstenziege aus Südafrikas Hochebene.
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78
Diese Seite: Mantel: Chloé. Kleid: Masha Ma. Linke Seite: Pelzoberteil: Brunello Cucinelli. Wollkleid: Trussardi
80
Links: Pelzschal: Brunello Cucinelli.
Mantel: Prada. Rollkragenpulli: Boss.
Hose: Loewe. Handschuhe: Ann
Demeulemeester.
Mitte: Mantel von Etro. Strickpulli:
Paul Smith. Turtle-Neck-Oberteil:
Jil Sander. Lederrock: Gucci. Ring:
René Talmon L'Armée. Schuhe: Ralph
Lauren. Socken: Wolford.
Rechts: Pelz-Cape von
A.F. Vandevorst. Kleid: Valentino.
Stiefel: Burberry Prorsum
81
82
Mantel in Taupe mit weißem Streifen von Fendi und Schuhe von Etro
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Grobstrick-Pulli und passender Schal von Chanel. Hose von Paul Smith
Mantel: Michael Kors Collection. Kleid
und Lackstiefel: Dior. Shirt: Prada
84
Jacke: Akris. Kleid: Pascal Millet. Stiefel: Trussardi. Leggings: Wolford
Pelzoberteil: Salvatore Ferragamo. Rollkragenpulli: Agnona. Hose und
Gürtel: Ann Demeulemeester. Kette: René Talmon L’Armée
Wer reist schon von Deutschland ins arktische Pond Inlet? Die Autorin der Reportage stellte fest, dass ihr Vater, Dieter Blümner, bereits 1962 auf
einer Expedition dort war. Daher stammen auch die historischen Aufnahmen der Inuit-Bevölkerung, unter anderem die beiden auf dieser Seite.
Zusammen mit aktuellen Fotos zeigt sich: Einiges hat sich seitdem getan – die traditionelle Bekleidung wurde jedoch nur in Details verändert
88
AM ENDE DER WELT
Arktisch, praktisch, gut
Wenn die Inuit-Näherinnen mit ihrer Arbeit loslegen, können sich alle
anderen warm anziehen. Der kanadische Outdoorspezialist Canada Goose
schenkt ihnen dafür Tonnen von Stoff. Heike Blümner war bei der Übergabe dabei
CANADA GOOSE (1); DIETER BLÜMNER (2)
G
egen sieben Uhr morgens
schrillt die Sirene im Feuerwehrhaus von Pond Inlet.
Ein paar Jugendliche haben am Müllwagen gezündelt – Schwelbrand. Später
am Tag muss das Rettungsteam raus auf das gefrorene Meer. Der Teilnehmer einer Expedition hat sich beim Überqueren einer Eisspalte verletzt. Er wird mit
dem Hubschrauber geborgen und später von
einem Rettungsflugzeug ausgeflogen.
Wer nun immer noch findet, dass in einer der
nördlichsten zivilen Siedlungen der Welt
nichts los sei, wird auch vom arktischen Reiseleiter Steve Ruskay eines Besseren belehrt:
„Man muss sich nur auf einen Stein setzen
und auf das vereiste Meer hinausschauen.
Über die Stunden hinweg merkt man, das immer etwas in Bewegung ist. Ich nenne das Polar-Fernsehen schauen.“
Doch an diesem Tag lassen die Einwohner sowohl das reguläre TV- als auch das Natur-Programm links liegen. Aufregender als ein
Schwelbrand oder ein Helikoptereinsatz ist,
dass das Bekleidungsunternehmen Canada
Goose hier zwei Tonnen Stoff gratis verteilt.
Daraus fertigen die Näherinnen vor Ort Jacken. Schon Stunden vorher versammeln sich
Dutzende von Einheimischen vor dem Eingang der Sporthalle, in der das Event stattfinden soll. Die meisten von ihnen haben die traditionellen selbst gemachten Inuit-Parkas an.
Seit Tausenden von Jahren wissen die Einheimischen, wie man sich mit Kleidung vor
schier unvorstellbarer Kälte schützt. Für die
Ureinwohner der Arktis war es Teil einer
Überlebensstrategie, die bis heute von Generation zu Generation weitergegeben wird. Die
handgemachten Jacken und Parkas werden
heute allerdings eher nicht mehr aus Leder
und Fell gefertigt, sondern aus Stoff.
Fell kommt, wenn überhaupt, nur sparsam
zum Einsatz. Die Flora und Fauna der Arktis
steht unter Naturschutz, nur die Inuit dürfen
dort heute noch jagen: Aber der Rückgang der
Karibu-, Robben- und Eisbärpopulationen
macht auch für sie das Fell seltener und kostbarer. Zudem sind Stoffjacken pflegeleichter.
Nach wie vor verbringen die Babys und Kinder der Inuit die ersten vier Jahre größtenteils
in der Kapuze des Amauti-Parkas ihrer Mutter.
Neugeborene liegen darin nur in einen Baumwollstrampler gehüllt und werden von der
Wärme der Mutter auch bei Eiseskälte auf
Körpertemperatur gehalten. Kleinkinder stehen in der Kapuze, halten sich an den Schultern der Mutter fest und schauen von dort in
die Welt.
Wenn sich jemand mit den Feinheiten nördlichster Schneiderkunst auskennt, ist es Apphia Killiktee. Sie trinkt im Speiseraum der
örtlichen Herberge gerade Tee. Die dunkelhaarige Frau mit dem freundlichen Gesicht,
die auf die Frage nach ihrem Alter lächelnd
mit „alt genug“ antwortet, ist eine der angesehensten Näherinnen der Gemeinschaft und
somit eine wichtige Autoritätsperson. Ihre Fähigkeiten klingen für europäische Standards
fast nach Zauberei: Apphia Killiktee kann
einen perfekt sitzenden Parka fertigen, ohne
den zukünftigen Träger auch nur einmal zu
berühren. Sie nimmt nur per Auge Maß.
Hochstapelei kann sie sich wie niemand hier
leisten: „Wenn etwas nicht sitzt, kann der Träger der Jacke seine Aufgaben für die Gemeinschaft nicht mehr erledigen“, erklärt sie.
Gerade arbeitet sie an 32 Jacken für das örtliche Rettungsteam. Für sie müssen die Parkas
hinten länger sein als vorn, damit die Fahrer
der Snowmobile auf den Rockschößen sitzen
können und sie nicht nach hinten wegwehen.
Bei den Amountis der Mütter wiederum müsse die Hals- und Schulterpartei besonders
sorgfältig gefertigt werden, damit es in diesem Bereich nicht
zu Verspannungen kommt.
Funktionalität, so die arktische
Chefdesignerin stehe über
allem, aber „jeder hat seinen eigenen Style“. Der Funktionswert leuchtet sofort ein – Fehler
und verpasste Chancen haben
in der Arktis weitreichendere
Konsequenzen als in den meisten anderen
Teilen der Welt. Ob etwas planbar, lieferbar
oder erreichbar ist, hängt auch von unbeeinflussbaren Faktoren ab – meistens vom Wetter, und das ist hier meistens nicht nur ungemütlich, sondern menschenfeindlich.
Pond Inlet liegt am nördlichen Zipfel von Baffin Island in Kanada und gehört zum teilunabhängigen Nunavut-Territorium der Inuit. Auf
Google Earth findet man den winzigen Fle-
cken umgeben von Eisflächen kontinentalen
Ausmaßes, Tundra oder auch arktische Wüste
genannt. Das Klima hier ist nicht nur kalt, sondern auch extrem trocken. Die einzige hier
gedeihende Vegetation sind Schwämme und
Mose, aus denen im Sommer kleine Blümchen für ein paar Wochen ihre Köpfe trotzig
der Sonne entgegenstrecken.
Kein Weg und keine Straße führen in den Ort.
Wer hierhin reist, steigt in Iqualuit, der Hauptstadt des Nunavut-Territoriums, in eine Propellermaschine, die einmal am Tag – wenn das
Wetter es erlaubt – startet und nach fünfstündigem Flug über Gletscherlandschaften auf
einer Schotterpiste in Pond Inlet landet. Hier
drängeln sich auf einem Hügel kleine, graue
Holzhäuser und Container-Architektur. Davor
liegt eine Meeresbucht, in der das Wasser die
meiste Zeit des Jahres über gefroren ist. Um
die 1500 Menschen leben in dem Örtchen, die
meisten von ihnen sind Inuit. Aber auch einige „Southener“, also Südländer, hat es dauerhaft hierher verschlagen, und als Südländer
gilt bereits jemand, der aus dem Norden Kanadas stammt, wo noch vereinzelt Bäume
wachsen.
Pick-up-Trucks und Allterrain-Fahrzeuge tuckern über die staubigen
Straßen des Dorfes. Kinder, so
scheint es, sind auf BMX-Rädern unterwegs, sobald sie über den Lenker
gucken können. Das Zentrum des
„Wenn etwas nicht sitzt, kann
der Träger der Jacke seine
Aufgaben für die Gemeinschaft
nicht mehr erledigen“
APPHIA KILLIKTEE, Näherin
Ortes ist die Lebensmittel-Kooperative und
die Schule. Davor liegt ein kleiner, eingezäunter Basketballplatz. Jetzt im Sommer, die Ferien haben gerade begonnen, gibt es keinerlei
wahrnehmbare Helligkeitsabstufungen zwischen Tag und Nacht und die Temperatur liegt
konstant um den Gefrierpunkt. Bei gleichbleibender Helligkeit löst sich das Zeitgefühl in
Wohlgefallen auf: Gespielt oder geschlafen
wird, wann einem danach ist. Nachts um 3
89
Kinderparka gestern
(links) und
heute (rechts).
Es sind kaum
Unterschiede
zu erkennen.
Nur SpidermanApplikationen waren
damals noch
nicht en vogue
90
DIETER BLÜMNER (2); HEIKE BLÜMNER (1); GUILLAUME SIMONEAU (1)
Damals wie heute: Wenn es rausgeht aufs Meer zur Jagd, muss die Kleidung
perfekt sitzen. Felle und Häute kommen jedoch weniger zum Einsatz
3 zwei ist auf dem Basketballplatz genauso
viel los wie mittags um zwei.
Nicht nur das Zeit-, sondern auch das Temperaturgefühl scheint außer Kraft gesetzt. Kaum
schieben sich für kurze Zeit die Wolken auseinander, tragen die Menschen T-Shirts oder
Trainingsjacken, was ungefähr in eine ähnliche Kategorie von erstaunlich fällt wie Italiener, die sich bei 20 Grad in Daunenjacken kuscheln und letztendlich der Beweis dafür ist,
das gefühlte Temperaturen sich in unendlich
viele subjektive Einheiten aufspalten lassen.
Nur im arktischen Winter gibt es nichts zu
diskutieren. Dann herrscht hier tiefste Dunkelheit, und es wird bis zu minus 50 Grad kalt
– ohne Windchill gerechnet, die die Kälte
noch extremer macht. Und selbst die abgehärteten Einheimischen brauchen eine Jacke mit
geradezu übernatürlichen Fähigkeiten, auch
wenn die Annehmlichkeiten der Zivilisation
hier längst Einzug gehalten haben: Niemand
in Pond Inlet wohnt mehr im Iglu. Natürlich
sind die Häuser geheizt, nur das Handy macht
hier schlapp. Dafür hat es das Internet bis
hierher geschafft, wenn auch in wackeliger
Qualität. Im Supermarkt ist die Auswahl an
Waren ähnlich wie in anderen kanadischen
Kleinstädten, wenn auch exorbitant teurer.
Bei einer Tour durchs Dorf finden sich aber
überall noch Spuren aus „den alten Zeiten“
wie die Inuit die Epoche vor dem Beginn der
systematischen Erforschung der Arktis im 18.
und 19. Jahrhundert durch europäische Wissenschaftler und Eroberer nennen. Hier und
da sind noch Robbenfelle und seltener noch
ein Eisbärfell an den Seiten der Häuser zum
Trocknen aufgespannt. Wer es noch archaischer mag, findet am Rand des Dorfs Walknochen und die Überreste von Seehunden, die
die Jäger dort liegen gelassen haben. In einer
angrenzenden Bucht, in der ein Gletscherwasserfluss ins Meer hinab donnert, haben einige
Dorfbewohner auf dem jetzt nicht mehr mit
Eis überzogenem Tundraboden ihre Sommerzelte aufgeschlagen. Sichtbarste Zeichen dieser überlieferten Traditionen im Alltag sind
aber nach wie vor die selbst genähten Jacken
der Inuit.
Vor der Sporthalle von Pond Inlet lässt sich
gut beobachten, was die Näherin Apphia Killiktee mit „eigenem Style“ meinte. Hier geht
es ähnlich bunt und individualistisch zu wie
bei einem Fashion-Event in südlicheren Gefilden: Jetzt, im Sommer, sieht man viele leicht
gesteppte Baumwoll-Amountis in bunten Millefleur-Mustern. Andere tragen ihre besten
Winterparkas zur Schau: Manche sind
schlicht und einfarbig mit der übergroßen
bauschigen Fellumrandung der Kapuze als
einzigem Akzent. Andere Parkas sind aufwendig mit winzigen Perlen bestickt. Apphia Killiktee zeigt einen ihrer aktuellen Lieblingsentwürfe – ein apfelgrüner Parka mit aufgenähten Ornamenten. Eine andere Frau hat ein
Erbstück mitgebracht, die Felljacke ihrer
Großmutter. Und es bestätigt sich: Lediglich
das Material, aber nicht der Schnitt der Jacken
hat sich geändert.
Für Canada Goose ist das natürlich hochinteressant: Der Daunenjackenhersteller aus Toronto hat in seiner Heimat schon immer als
der Ausstatter für diejenigen gegolten, die im
Winter aus beruflichen Gründen vor die Tür
müssen: Mountis, Trapper, Forscher und
Abenteurer. Auch wenn die Jacken inzwischen genauso gern von Eppendorferinnen
getragen werden, die bei Regen im SUV 3
Lay your trust in the world´s finest white T-shirt. Blue Yard/Berlin-Mitte, Stiesing/Bremen, Schlösser/Hannover,
Schnitzler/Münster, Wirschke/Düsseldorf, Engelhorn/Mannheim, Lodenfrey/München, Fischer/Konstanz,
Helmut Eder/Kitzbühel, Grüner/Klagenfurt, AP&Co/Zürich.
www.meystory.com
HEIKE BLÜMNER (2); DIETER BLÜMNER (1)
Eine Gruppe Mädchen aus Pond Inlet in den 60er-Jahren und eine junge Mutter mit Kind bei
der Stoffausgabe von Canada Goose in der Sporthalle des Ortes heute (unten)
Ob per Quad
oder BMXRad: Schon vor
dem Event
herrscht vor
der Sporthalle
von Pond Inlet
Andrang
92
3 unterwegs sind, wie von kanadischen Farmern, die im Schneesturm auf dem Traktor
nach dem Rechten schauen; bei Canada Goose
besinnt man sich gern auf die frühe Kernzielgruppe und die immerhin sechzigjährige Firmengeschichte.
Kevin Spreekmeester, Marketingchef des Labels, hatte Pond Inlet, das im Sommer auch
ein Anziehungspunkt für Naturliebhaber und
Wildnisabenteurer ist, bereits mehrmals besucht, als ein dort lebender Freund zu ihm
sagte: „Warum fragt eigentlich niemand die
Inuit, was sie über warme Jacken wissen? Immerhin stellen sie seit Tausenden von Jahren
selbst welche her.“ Der Gedanke ließ Spreekmeester nicht mehr los. Zurück in Toronto,
schlug er vor, einige Näherinnen aus Pond Inlet in die Fabrik von Canada Goose einzuladen, um mit ihnen gemeinsam eine Jacke zu
entwerfen, die alle Anforderungen der Menschen in der Arktis vereint. Das Ziel: „Die Verbindung von nördlicher Intelligenz mit unserer Technologie.“ Das Ergebnis war ein Parka,
dessen Hülle vom Daunenteil zum Waschen
abgetrennt werden konnte, an dem Ringe für
Werkzeuge angebracht waren und auch einige Reflektoren.
Doch die Näherinnen aus Pond Inlet bemerkten noch etwas anderes. Bei einer Tour durch
die Fabrik waren sie erstaunt, als sie die Stoffmengen sahen, die dort als Ausschuss galten.
Tonnen bleiben pro Jahr übrig, und so entstand die Idee, diese hochqualitativen Reste in
den nördlichsten und abgelegensten Kommunen in Kanada an die nähende Bevölkerung zu
verschenken: „Anfangs waren die Leute misstrauisch, denn immer, wenn jemand aus dem
Süden kommt, möchte er auch etwas von ihnen haben. Niemand möchte sie einfach so dafür ehren, dass sie schlau und nachhaltig agieren“, sagt der Marketingexperte. Das anfängliche Misstrauen sei inzwischen überwunden,
das Engagement wird als aufrichtig empfunden. Und Canada Goose verschweigt nicht,
dass das Unternehmen trotzdem etwas davon
hat: „eine fantastische Geschichte“ nämlich.
So groß der Andrang vor der Sporthalle kurz
vor Öffnung der Türen ist, so sehr fügt sich im
Innern alles zu einer gelernten sozialen Ordnung: Niemand drängelt, alte Menschen werden grundsätzlich vorgelassen. Die Dorfpolizei hat nichts zu tun, außer hier und da ein
Schwätzchen zu halten. Meter und Meter von
Stoff reißen die freiwilligen Helfer von den
unzähligen Rollen. Bergeweise wird das kostbare Material in den taghellen Abend hinausgetragen – und trotzdem hat man nicht das
Gefühl, dass am Ende jemand zu kurz kommt.
Irgendwann ist auch das letzte Fitzelchen verteilt, es kehrt wieder Ruhe ein. Nur die Kinder
spielen weiter Nacht-Basketball bei Sonnenschein. Das Polar-TV bietet für ungeübte Augen eher testbildartige Spannung, da kommt
ein Absacker mit der Society des Ortes, dem
Polizisten und seiner Frau, der Leiterin des
Supermarktes und dem Mechaniker des Flughafens, gerade recht.
Der Mechaniker winkt am nächsten Tag der
rumpeligen Propellermaschine zum Abschied hinterher. Nach einer Tagesreise landet
man in der kanadischen Hauptstadt Ottawa. In
einer Nachbarsitzreihe ruft ein kleines InuitMädchen beim Anflug auf den Flughafen aufgeregt: „Mama, schau! Sind das Bäume? Bäume, überall Bäume.“ Noch benommen von
den arktischen Eindrücken, wird klar: Auch
Exotik ist relativ.
www.jockey.de
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MYTHEN
Den
Moment
fixieren
Seinen Beruf gibt es kaum mehr:
Elliott Erwitt ist ein Fotoreporter.
Seine Bilder haben uns aber noch
viel zu sagen, meint Thomas Delekat
94
Viele Gesichter: Speziell Kuba hat den
Fotografen Elliott Erwitt immer beschäftigt
(C) ELLIOTT ERWITT / MAGNUM PHOTOS / AGENTUR FOCUS (3)
E
Er heißt Elliott Erwitt. Das sagt
den wenigsten etwas. Aber jeder, wirklich jeder hat einmal
die Welt mit seinen Augen gesehen. Nur einmal? Ach was,
unzählige Male. Da ist zum
Beispiel dieser berühmte Augenblick, in dem der Fotograf Marilyn Monroe
erwischte. Sie stand da mit ihrem weißen
Kleid auf dem Lüftungsgitter der New Yorker
U-Bahn, eine Subway kommt gerade vorbei,
ein Luftzug fährt ihr zwischen die Beine. Marilyn strahlt, sie kichert, und Elliott Erwitt löst
sein berühmtes Foto aus. Oder die Hunde-Aufnahmen, alle voll tiefem Humor.
87 Jahre ist er nun alt, er lebt in New York. Gerade ist er in Amsterdam, für eine Vernissage
mit Fotos aus Kuba. Der Erlös geht an junge
Fotografen, Preisträger des „Elliott Erwitt Havana Club 7 Fellowship“ (havanna-fellowship.com). Erwitt spricht über Fidel Castro,
mit schwacher, heiserer Stimme. Er ist ihm
1964, fünf Jahre nach der kubanischen Revolution, sehr nahe gekommen mit der Kamera,
so nah wie niemand sonst. Castro traute ihm.
So war es auch mit der Monroe, aber was soll
er dazu sagen? Dass er nicht besonders stolz
ist auf das Foto, meint Erwitt. Weil es gestellt
war, arrangiert, weil es Posing war in einer
Drehpause: „Sie war hübsch. Aber ich habe
nie begriffen, was so Besonderes an ihr gewesen sein soll.“ Er machte andere Bilder von ihr,
ohne Getue. Nur Marilyn Monroe als Marilyn,
als der Mensch, der sie war. „Normal halt“, sagt
Erwitt. „Das war etwas völlig anderes.“ Ganz
normal hat er auch Marlene Dietrich fotografiert, Jacqueline und John F. Kennedy oder Richard Nixon, wie er gerade in Moskau über eine Küchenmesse geht und, Schrecken des
Protokolls, völlig ungeplant auf Nikita
Chruschtschow stößt.
„Das Foto ist außergewöhnlich“, sagt Erwitt,
„weil die Situation es war.“ Der Russe und der
Amerikaner hatten eine Auseinandersetzung,
und Nixon setzte Chruschtschow den gestreckten Zeigefinger auf die Brust. „Ich bin
nicht gerade ein Freund von Nixon gewesen,
genauso wenig von Chruschtschow“, sagt Erwitt, „aber das hat hier keine Rolle gespielt.
Das Foto ist einfach nur die Szene. 36 Bilder,
die komplette Filmrolle ging drauf nur für
(C) ELLIOTT ERWITT / MAGNUM PHOTOS / AGENTUR FOCUS (2)
diesen einen Moment. Ich hatte Nixon im
Bild, erst mit dem Finger oben, dann auf
Chruschtschows Brust. Das Brustbild hab’ ich
genommen. Es ist das Foto, das eine Story
zeigt – und ich wusste, diese Story stimmt.
Weil Chruschtschow, mit Nixons piksendem
Finger auf der Brust, „Fick doch deine Großmutter!!“ blaffte. Auf Russisch. Nixon verstand
kein Wort, und seine Leute waren geistesgegenwärtig genug, es nicht zu übersetzen. Aber
Erwitt begriff, was hier auf Messers Schneide
stand. Er versteht Russisch – und Russland,
seine Eltern stammen daher.
In Amsterdam hat Elliott Erwitt jetzt die besten Kuba-Bilder von 1964 an Ausstellungswände gehängt. Alltag nach der Revolution, der
Máximo Líder im Auto oder umringt von
schwärmerischen Mädchen, Che Guevara mit
einer dicken Zigarre. An den Fotowänden gegenüber gibt es die gleichen Bilder noch einmal. Wieder Kuba, die Kubaner. Bloß 50 Jahre
später, heute.
Erwitt, einer der letzten ganz großen, alles
überragenden Fotografen des vergangenen
Jahrhunderts, hat Castro diesmal zwar nicht
fotografieren können. Aber das Leben jetzt, 56
Jahre nach der Revolution. Die Arbeit, die
Langeweile, die Leute auf der Straße. Er fotografierte wie damals 1964 in Schwarz-Weiß
und auf Film. Es sind großartige, klassische
Beispiele für die einzigartige, untergegangene Kunst der reisenden Fotoreporter. Man
sieht auf den ersten Blick: Alle Aufnahmen
sind völlig unbearbeitet, absolut original,
hundertprozentig manipulationsfrei und authentisch. Nur ein einziges Mal, sagt Erwitt,
dürfe sich ein guter Fotograf am Film zu
schaffen machen: „Sie machen ein Foto, und
danach entscheiden Sie, ob’s wirklich eines
ist. Erst das macht das Foto zum Foto. Draufhalten, abdrücken ist das kleinste Problem. Da
nimmt man mit, was man kriegen kann. Fotos,
die jemanden ganz schlecht aussehen lassen.
Oder ins beste Licht rücken, beides bei derselben Gelegenheit. Aber hinterher entscheide
ich, wie ich’s sehe.“
In Kuba lief er jetzt zu den Kubanern über.
Zwar ist die Armut unübersehbar in seinen
Fotos. Aber glücklicher kann es kaum irgendwo zugehen, eine Insel voller armer, aber erlebnisreicher, froher, einander zugetaner
Der Máximo Líder als
Popstar: 1964 war Fidel
Castro in Kuba ein Volksheld – Elliott Erwitts Foto
belegt das eindrucksvoll
Menschen. „Stimmt, so ist es wirklich“, sagt er,
„Aber das hat nichts mit dem Embargo der
Amerikaner zu tun. In anderen karibischen
Ländern sind die Leute nicht so nett.“
Könnte es nicht Bilder geben, bei denen Erwitt nach vielen Jahren begreift: Ich habe
mich geirrt? Es war ganz anders? Was ich da
zeige, ist nicht wahr? „Kann mich an solche
Bilder nicht erinnern“, antwortet er souverän,
„Aber ich bin sicher, es gibt sie.“ Man muss
kein Philosoph sein, man muss für ein gutes
Foto nicht mehr als andere vom Leben und
von Menschen verstehen, ist er überzeugt. Es
reiche ein visuelles Gespür. Und der Instinkt
für den magischen menschlichen Moment:
„Aber eigentlich begreife ich eben erst hinterher, was auf den Bildern ist.“
Erwitt weiß, es ist vorbei. Die großen unabhängigen, reisenden Fotoreporter waren
plötzlich da, seit Anfang der 30er-Jahre, sie
drehten gloriose Runden um die Welt. Dann
verlöschte das Genre, der Beruf. Es war das
Glück seines Lebens, so einer zu sein: ein
Journalist mit Kamera wie Henri CartierBresson oder Robert Capa. Alles Stars der elitären, weltberühmten Fotoagentur Magnum,
deren Präsident Erwitt jahrelang war.
Magnum gibt es noch immer. Berühmte Fotografen auch. Aber was ist das bloß, was die
neuen, digitalen Superstars da treiben? Manche manipulierten ihre Fotos am Computer,
sagt Erwitt. Er habe Bilder gesehen von Blut,
Schlamm, Tod und Elend in ästhetisch großartiger Vollendung. Meisterhaft bebilderte Dramatik, voller Schönheit der Komposition, des
Lichts, der Farben. Aber Erwitt findet immer
noch, das Echte und das Glaubwürdige sei der
beste Teil vom Bild. Für ihn muss drauf sein,
was vor der Kamera war. Alles, auch wenn’s
nicht ins Bild passen sollte. Der Augenblick,
wie er tatsächlich war. Und am besten spielt
man den „Schöner fotografieren“-Tinnef mutwillig und freiwillig noch eins herunter durch
den Verzicht auf Farbe, durch Schwarz-Weiß.
Wie bei dem Ballettsaal in Kuba, den er gerade fotografierte. Was war da los? Ja, nichts, außer den Mädels vom Corps de ballet, die da,
unscharf belichtet, irgendeine Passage proben. Blödes Foto, blättern wir weiter? Ganz
hinten, fast unsichtbar, steht eine Bank an der
Wand. Dort kauert die Ballettmeisterin, blind
und bald hundert Jahre alt. Aber auf Erwitts
Foto ist zu sehen, wie sie die Ballerinen in graziöse Drehungen versetzt, wie sie es ist, die alle Tänzerinnen, den ganzen Saal ins Schweben bringt mit ihrem Charisma, ihrer Magie,
nur durch ihre Anwesenheit.
Oder das Foto mit den beiden Clowns vor dem
Zirkuszelt. Drinnen läuft die Vorstellung, sie
sind gerade nicht dran, keiner guckt zu, von
Erwitt mit der Kamera mal abgesehen. Und
was machen die beiden da? Faxen, Witze. Es
ist kein Job. Die zwei sind wirklich echte
Clowns. Sie können nicht anders, ihr Leben ist
ein großer, langer Auftritt.
„Ich mach’ Fotos von allem, was ich vor mir sehe“, sagt Erwitt. „Aber ich habe viele Gelegenheiten verpasst, oft, sehr oft. Die besten Bilder
meines Lebens habe ich nur gesehen. Ich hatte gerade keine Kamera dabei. Letzte Woche
zum Beispiel. Ich habe einen neuen Hund, er
kam zusammen mit meinen Kindern zu Besuch. Ich sah die Bilder. Und ich konnte sie
nicht machen.“
95
Nicht nur Anzug und Turnschuhe als Kombination sind bei
Elliott Erwitt noch Ausdruck wahren individuellen Stils
MOLTENI (4)
GESCHICHTSTRÄCHTIG
96
Schicker als jeder Nierentisch: Giò Pontis Beistelltisch D.552.2 aus den 50er-Jahren gibt es jetzt wieder bei Molteni
Optimismus in Serie
Die Firma „Molteni & C“ hat selbst Designgeschichte geschrieben.
Jetzt widmet man sich der Neuauflage der Möbel von Giò Ponti.
Francesca Molteni erzählte Esther Strerath, wie es dazu kam
E
in riesiger Stuhl, feuerrot, steht da auf der
Wiese. Der Betrachter
fühlt sich auf „Alice im
Wunderland“-Format
geschrumpft. Ein Stück
weiter ragt ein Tischbein aus dem Gras, ein
Ausrufezeichen, ebenfalls knallrot. Das Firmengelände von „Molteni & C“ verweist auf
den ersten Blick nicht auf das, was das Familienunternehmen produziert: Zeitlose Möbel,
in deren Erscheinung meisterliche Raffinesse
steckt. Hier, knapp 40 Autominuten nördlich
von Mailand, in Giussano wird noch die gesamte Herstellung kontrolliert – und alles an
einem Ort produziert: Es beginnt mit dem
Trocknen und Pressen des Holzes und endet
mit einem fertigen Schrank. Im Korpus verschwindende Türen und aufspringende Kassettendecks kommen ebenfalls von hier. Ihr
sattes Klacken – sämtliche Scharniere,
Schrauben und Gewinde sind patentierte Spezialanfertigungen – bestätigen die Ernsthaftigkeit der Konstruktion, der aber immer auch
eine Leichtigkeit innewohnt.
Außerdem macht man sich um eine Legende
verdient: Vor drei Jahren stellte Molteni & C
auf dem „Salone del Mobile“ die ersten re-editierten Möbelstücke Giò Pontis vor. Seither
wird die Kollektion jährlich um zwei oder drei
Stücke erweitert. Von Ponti (1891–1979), dem
großen Meister moderner Architektur, der in
Mailand allenthalben mit Gebäuden vertreten
und dessen Pirelli-Turm ein Wahrzeichen der
Stadt ist, wurde bis dato fast gar nichts mehr
produziert. „Wir hatten ihn überhaupt nicht
auf dem Radar“, erzählt Francesca Molteni, älteste Tochter von Carlo und Enkelin des Firmengründers Angelo Molteni. Zusammen mit
ihrem Vater sei sie bei Pontis Enkel Paolo,
einem Architekturfotografen, zu Besuch gewesen. In seinem Studio fiel den Besuchern
ein Bücherregal auf. Es stellte sich heraus,
dass es aus dem Haus von Paolos Großvater
stammte, der Villa Dezza. Ponti hatte es nur
für sich selbst entworfen.
„Plötzlich wurde uns klar, wie wenige Stücke
aus seinem Werk noch hergestellt werden“,
fährt Francesca Molteni fort. So baten die Moltenis die Pontis, das Archiv ansehen zu dürfen,
Francesca verbrachte schließlich Wochen
dort. Denn: „Es ist voller Projekte, die nie oder
nur für spezielle Gebäude realisiert worden
sind.“ Anhaltspunkt für eine Kollektion waren
dann die Möbel, mit denen der Designer
selbst gelebt hatte, rund 30 Stücke wurden zunächst ausgewählt.
Die Ponti-Familie war sehr eng in den Prozess
involviert. Francesca Molteni erinnert sich:
„Einmal zum Beispiel sah seine Tochter Leti-
zia den kleinen Teetisch, dessen Gitter von
Hand bemalt sind und kritisierte, dass die Farben nicht dem Original entsprächen. Erst als
sie um den Tisch herumging, fiel ihr wieder
ein, dass er aus unterschiedlichen Perspektiven verschiedene Farben hatte.“ Tatsächlich
sind einzig die Systeme der Schubladen den
gestiegenen Anforderungen an Belastbarkeit
angepasst. Aus heutiger Sicht erscheint es
seltsam, dass sich der Möbelhersteller und der
Architekt nie getroffen haben. Francesca Molteni erklärt das so: „Wir haben mit der Produktion von Design erst vergleichsweise spät
angefangen, Ende der 60er-Jahre.“ Da kooperierte Ponti längst eng mit anderen Firmen.
Großvater Molteni hatte 1934 eine kleine
Schreinerei aufgemacht und fügte seinem Namen das „& C“ als Referenz an die Mitarbeiter
hinzu. Die Ehefrau kümmerte sich um die
Buchhaltung, schnell waren die Stilmöbel
fürs Schlafzimmer gefragt. Damals gab es in
Italien noch keine Serienproduktion, das änderte sich mit dem Wirtschaftsboom der
50er-Jahre. Molteni war der Erste, der seriell
produzierte, mithilfe in Deutschland erworbener Maschinen. 1979 beschäftigte die Firma
550 Mitarbeiter, der erste Store in Rom wurde
eröffnet, in Paris gab es da bereits einen.
Heute arbeiten 800 Menschen für das Haus,
80 Prozent der Schränke sind immer noch
Maßanfertigungen, sämtliche Cartier-Boutiquen richtet man ebenso ein wie das Teatro
La Fenice in Venedig sowie die öffentlichen
Bereiche der Kreuzfahrtschiffe von Holland
America Line und P&O North Sea Ferries.
Francesca hat als Kind viel Zeit mit ihren
Großeltern verbracht: „Mein Großvater war
einschüchternd, er sah mich manchmal mit
durchdringendem Blick aus seinen blauen
Augen an, ohne etwas zu sagen“, erinnert sie
sich. Ihre Großmutter sei kein mütterlicher
Typ gewesen und ihr Vater wiederum sei eigentlich von ihrer Tante aufgezogen worden,
die unverheiratet und kinderlos war. Sie selbst
habe als Kind Design gehasst, sagt Francesca
Molteni nur halb scherzend.
Sie studierte lieber Philosophie und ging nach
Rom, wo sie Dokumentarfilme für den Sender
Rai produzierte. Es sollte noch Jahre dauern,
bis sie sich mit dem Familienunternehmen
anfreundete, in dem ihre Schwester und ihr
Bruder längst tätig waren. Inzwischen ist sie
es, die das Wirken ihrer Familie am eindrucksvollsten verkündet: Seit 2002 produziert sie Videos für die Firma, sie verantwortet
die Website, organisiert Ausstellungen und
nennt sich selbst „die Ponti-Beauftragte“. Bis
heute lerne sie immer wieder Neues von dem
Star-Architekten. Besonders das: „optimistisch zu sein und italienisches Design in der
ganzen Welt zu promoten.“
Sessel D.154.2 wurde exklusiv für die
Villa Planchart in Caracas entworfen
Giò Ponti, einer der berühmtesten
Architekten und Designer Italiens
Das Original der Kommode D.655.1
wurde 1952 gebaut, heute bei Molteni
97
So malerisch kann es rund
um das „Ice Q“ aussehen –
wenn das Wetter stimmt
EISSTURM
Den beiden Statisten
(links) machte das
Schneegestöber, das das
Panorama verdrängte,
natürlich nichts aus.
„Johannes ist für mich
Jetset“, sagt Testino
(oben bei der Arbeit) –
und stellte das Model ins
Zentrum einer Après-SkiPartyszene (unten)
Ganz
nach oben
Mario Testino inszeniert für
eine Werbekampagne den
bekannter Talente. In
Sölden traf er dafür auf Model
Johannes Huebl – und
widrige Bedingungen
D
98
er Himmel ist so weiß,
dass es schmerzt, wenn
man nach draußen
schaut. Dort wirbelt der
Schnee, die Skigondeln
mussten bereits den Betrieb einstellen, weil der
Wind so stark bläst. In
der letzten Gondel, die an diesem Tag aus dem
Söldener Tal zum Gipfel des Gaislachkogels
aufbrechen durfte, befanden sich dann noch
Lampen, Stative, Kleidung – denn der Starfotograf Mario Testino will heute hier, auf 3048
Metern Höhe, Fotos für eine Werbekampagne
des Wodkaherstellers Cîroc schießen. Unter
dem Motto „My Arrival“ geht es um Momente
des Durchbruchs von besonderen Talenten.
Im Mittelpunkt steht das Männer-Model Johannes Huebl, der bei seinem Aussehen dann
gar keine andere Wahl hatte, als diesen Beruf
zu ergreifen – wenngleich er sein Studium
der Kulturwissenschaften, Schwerpunkt Fotografie und Philosophie, erfolgreich absolvierte. Auch im Gespräch legt er Wert darauf, dass
man merkt, dass er mehr ist als Model und
Ehemann des New Yorker It-Girls Olivia Palermo. Heute ist der 38-Jährige Protagonist eines Settings, mit dem Testino in der Tradition
des Fotografen Slim Aarons den gebürtigen
Hannoveraner Huebl als Mitglied des aktuellen Jetsets inszenieren will. Ein Blick auf Huebls Instagram-Account, der ein kleines Gesamtkunstwerk aus Glamour und der Inszenierung von Schönheit ist, erklärt, dass das
Konzept recht naheliegend ist.
Der Meister der Inszenierung ist an diesem
Tag aber ein anderer. Denn wenn Mario Testino einen solchen Auftrag annimmt, dann wird
das keine Studioproduktion, dann sucht er eine spektakuläre Location und erdenkt eine
Geschichte – dieses Mal mit den Fixpunkten
Durchbruch, Gipfel, unendlicher Ausblick.
Letzterer war zumindest noch am Vortag da.
Und in diesem Fall hat der Ort noch einen besonderen Zauber: Das 2013 eröffnete Gourmetrestaurant „Ice Q“ war unlängst Drehort
im aktuellen James Bond-Film „Spectre“ und
wurde zu einer futuristischen Klinik umgestylt, in der Bond-Girl Léa Seydoux – noch ahnungslos – als Psychologin arbeitet.
Heute ist von dem so faszinierenden Bruch
zwischen Bergwelt und Glaskubus jedoch
nichts zu erkennen: Der Schneesturm hat aus
der filmreifen Kulisse eine komplett weiße
Fläche gemacht. Und wie will Mario Testino –
der übrigens noch nie skigefahren ist – nun
damit arbeiten? „Don’t cross the bridge until
you get there“, mach dir keine Sorgen, bevor
es so weit ist, antwortet der Fotograf, wenn
man ihn kurz vor dem Shooting danach fragt;
ihm werde schon etwas einfallen. In diesem
Fall bedeutet „etwas“ am Ende, für einen Teil
der Motive das Treiben draußen zu ignorieren, der Rest wird per Photoshop erledigt.
Es geht ja auch eigentlich um Johannes Huebl,
über den Testino sagt: „Er ist auf eine altmodi-
sche Art und Weise gut aussehend. Er ist ein
junger Mann mit den Werten und der Ausstrahlung eines älteren Herren.“ Apropos
Mann – für Testino ist Sean Connery der Mann
überhaupt. Da schließt sich dann auch der
Kreis zur Bond-Kulisse. „Pierce Brosnan hatte
ja auch so seine Momente“, sagt Testino. „Aber
bei Connery war da noch etwas Dunkles. Und
er sah immer ohne Anstrengung nach Gentleman aus.“ Genau das macht für Testino nämlich Männlichkeit aus: „Die Codes verändern
sich, aber immer gilt: Manieren machen Männer.“ Und in dieser Hinsicht ist dann auch Huebl ein echter Mann. Er selbst sagt: „Mario
mag bestimmt, dass ich einen anständigen
Scheitel und meist Oberhemden trage.“
Und was waren nun ihre Momente des Durchbruchs? „Ein Schlüsselmoment war, als ich
Diana fotografiert habe“, sagt Testino. Johannes Huebl spricht von verschiedenen „Meilensteinen“ und dass er versuche, sich in der Nähe des Zufalls aufzuhalten. Die Nähe von Mario Testino ist sicher auch nicht schlecht, weil
Huebl inzwischen selbst auch hinter der Kamera arbeitet. Nach unten geht es an diesem
Tag nur mit der Schneeraupe. Als nächste
Kampagneorte wählte Testino übrigens Ibiza
Nicola Erdmann
und Kapstadt.
IMAGES BY MARIO TESTINO FOR CÎROC® ULTRA-PREMIUM VODKA(3); RUDI WYHLIDAL/ÖTZTAL TOURISMUS
„Ich habe es geschafft“-Moment
DESIGN
Die Würfel
sind gefallen
Aneinandergereihte Quadrate sind auf einmal in.
Die Möbel-Designer haben den Trend erkannt und
umgesetzt. Esther Strerath hat das Spiel verstanden
V
erguckt? Mitnichten! Das jahrhundertealte Spiel
mit optischen Täuschungen und der Wahrnehmung des Betrachters hält Einzug in das MöbelDesign: Regale, die, je nach Blickwinkel, mal
schlank, mal stämmig wirken, kleine Tische im
3-D-Look, an Mosaiksteine erinnernde Untersetzer. Zwar haben bereits die Römer in Pompeji
ihre Böden mit den irritierenden Würfelmustern gefliest, ein berühmtes Fußbodenmosaik aus Antiochia (antikes
Syrien) aus dem 2. Jahrhundert n. Chr. zeigt ein ähnliches Muster. Und
der Würfel selbst tauchte um 3000 v. Chr. erstmalig bei iranischen
Brettspielen auf. Die Dreidimensionalität vortäuschenden Vierecke
prägten fortan die unterschiedlichsten Epochen, finden sich bei Picasso und machten den niederländischen Künstler Maurits Cornelis
Escher (1898–1972) zu einem Pop-Star des 20. Jahrhunderts, dank seiner „Darstellung perspektivischer Unmöglichkeiten, optischer Täuschungen und multistabiler Wahrnehmungsphänomene,“ (das lernt
man auf Wikipedia).
Das schwedische „Note Design Studio“ wiederum taufte seine kubischen Kerzenhalter „POV“ – nach dem gleichnamigen Film-Fachausdruck, bei dem die Kamera vorgibt, Bilder aus der Sicht eines Protagonisten wiederzugeben. „Meine Möbelserie ‚Illusion‘ ist inspiriert von
den Bodenfliesen der Renaissance-Paläste und der Geburt der perspektivischen Gesetze“, erklärt Designer Jean-Claude Cardiet von „2222
Edition Design“. Leichter nimmt es hingegen US-Designer Michael
Kors, der sich in das Muster verliebte und auf Bikinis und Blusen
druckte sowie in Nerze einfärbte. Sein Statement zur kommenden
Frühjahrs-Kollektion? „Graphic, Glamour, Geometric Hexagon.“ All das
kann man jetzt schon mit Möbeln haben.
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BEAUTY
STILISTEN
HIER KOMMEN UNSERE KOSMETIKEXPERTEN ZU WORT
DICK
AUFTRAGEN
Masken, Masken, Masken. So
könnte das Motto für die
kommenden Monate lauten.
Wenn die Luft draußen kalt
und es drinnen durch Heizungsluft viel zu trocken ist,
bedeutet das Stress für die
Haut. Darum empfehle ich
besonders gern jetzt Masken.
Diese – auch wenn’s komisch
klingen mag – Extraportion
Pflege wirkt Wunder. Die neue
Generation, wie etwa die
„Extra Intense Mask“ von
Sensai, lässt sich problemlos
auftragen (nicht zu verwechseln mit den Fließmasken) und
arbeitet gründlich über Nacht.
Auch ein Tipp: Probieren Sie
das mal nach einem langen
Spaziergang aus – ab nach
Hause, in die Wohlfühlklamotten, Maske drauf, Tee trinken
und auf die Wirkung warten.
Nicht vergebens, versprochen.
Und: Kann er auch.
COURTESY VINCENT PETERS
Weihnachtsmärchen:
Ein einziger Tropfen des
„Wundermittels“ der
isländischen Kosmetikmarke Bioeffect soll
ausreichen, um die Haut
mit allem zu versorgen,
was sie braucht. Zum
fünften Geburtstags des
EGF-Serums gibt es nun
eine auf 2999 Stück
limitierte Sonderedition.
Das Besondere? Die
Dosis, die Form der
Glasflasche, die Menge
(statt sonst 15 ml sind es
50 ml) und der Preis.
Gibt’s über bioeffect.de
Bleibt dem Spiegel überhaupt eine Wahl, wenn Hollywoodstar Scarlett
Johansson so eindringlich hineinblickt? Festgehalten ist die Szene von
Fotograf Vincent Peters. Seine schönen Schwarz-Weiß-Aufnahmen zum
Thema „In the Light“ zeigt die Berliner Galerie „206“ ab 27. November.
Sei kein Frosch: Im Hinblick auf den Lippenstift „Frog Prince“
von Lipstick Queen ist das im Wortsinn gemeint. Doch wir
können hier bereits aufklären: Er bleibt nicht grün, sondern
verwandelt sich beim
Auftragen, nee, nicht in
den Prinzen, aber in
Prinzessinnen-Rosé.
Über niche-beauty.de
Eine für alle: Es gibt sie doch, die Farbe, die Blau-, Grün- und
Braunäugige gleichermaßen gut auf den Augenlidern tragen
können: Taupe (im Französischen übrigens das Wort für
Maulwurf). Deshalb macht man mit der „En Taupe“-Palette
aus zehn kühlen und warmen Farbnuancen garantiert nichts
verkehrt. Von Zoeva (zum Beispiel über Douglas)
Inhaberin der
„Parfümerie
Temme“ in Ulm
KÖSTLICH
Bin ich schön?
Zweierlei Feierei: Nicht
nur, dass „Flowerbomb“,
das Parfüm des Designerduos Viktor & Rolf,
sein zehnjähriges Jubiläum feiert. Nein, alle Jahre
wieder gestalten die
beiden Niederländer
auch einen Weihnachtsflakon, der in diesem Jahr
jedoch eigentlich ein
Silvesterknaller ist – mit
seinem Mini-Feuerwerk
am Verschluss.
Petra Ludin
Heiter weiter: 20 Jahre
Caudalie. Das feiert Inhaberin Mathilde Thomas
mit einer neuen Pflegelinie ihrer Wein(trauben)basierten Kosmetik. „Resveratrol Lift“: Der Augenbalsam etwa soll Tränensäcke mindern. Santé!
Es duftet nach Karamell, Schokolade, Honig und Marzipan.
Und nein, Sie stehen nicht in
Ihrer liebsten Pariser Patisserie,
sondern wahrscheinlich gerade
vor einem Regal in einer Parfümerie. Denn dort sind die
sogenannten GourmandDüfte angesagt, zu denen sich
die Parfümeure von Desserts
und Süßigkeiten inspirieren
ließen. Es sind Leckereien, die
nicht auf die Hüfte schlagen,
sondern lediglich die Nase
hochsteigen. Gute Beispiele
dafür sind etwa „Black Opium“
von Yves Saint Laurent oder
„Decadence“ von Marc Jacobs. Und dessen Flakon in
Handtaschenform ist zugleich
noch ein Genuss fürs Auge!
Bon appétit!
Karin
Schuhwerk
Geschäftsführerin
der „Parfümerie
Lüdicke“ in Füssen
PSSS t!
S
Die Neulinge
Luxus-Trophäe
Buy one, get one free ... Das ist was für
alle La Prairie-Fans: Ein eleganter Pokal
voll Pflege und mit Mehrwert. Die
Schweizer Luxusmarke liefert ihre „Skin
Caviar Luxe Cream“ nun in einem von
Hand gefertigten Kristallglas. Spätestens wenn der Cremetopf geleert ist
(gern auch schon mal zwischendurch),
können Sie ihn herausnehmen, Eiswürfel
einfüllen und die Glasschale mit Kaviar
(extra kaufen!) befüllen. Und genießen.
Blau wie
die Nacht
Overnight Express
Nicht ohne Grund wird es abends dunkel. Körper und
Geist sollen so automatisch in den Ruhe- und Schlafmodus umschalten. Weil das auch der Haut nicht so immer
gelingen mag, muss man nachhelfen. Etwa mit der
neuen „Extra Intensive Mask“ von Sensai, die derzeit
allenthalben als „Knaller“ gehandelt wird und mit ihrer
(so die Pressemitteilung) „daunenweichen, gehaltvollen
Textur“ die Haut träumen lassen soll. Öh, heißt es deshalb oft: traumhaft schön?
Nachts gehen nicht nur Igel,
Maus und Co. auf Tour. Auch
unsere Haut ist nachtaktiv,
erholt sich während der Schlafenszeit von den Tagesstrapazen, lässt die Zellen entgiften,
damit sie am Morgen frisch
und entspannt aussieht. Doch
ohne Unterstützung von
außen wird’s schwierig. Da
kommt die „Night Detoxifying
Essence“ aus der OrchidéeImperiale-Linie von Guerlain
ins Spiel. Die zwei Wirkstoffphasen vermischen sich durch
Schütteln und sollen den
Regenerationsprozess ankurbeln. Bonne nuit!
Eins mit Sternchen
Die viel verkauften Damendüfte „Alien“, „Angel“
und „Womanity“ sind schon lange nachfüllbar. Man
kauft einen Flakon und füllt ihn später aus einem
einfachen Glasfläschchen mittels Trichter wieder auf.
Nachhaltigkeit lautet die Devise von Thierry Mugler.
Männer können nun nachziehen, denn Muglers „A
Men“ ist ab sofort auch „betankbar“.
Gruß aus der Galaxis
Welches Gestirn meinen Sie in diesem
Lidschattendöschen von Bobbi Brown zu
erkennen? Mars, Neptun oder vielleicht
Pluto? Richtig, es ist der Mond. Die Struktur bekommt „Moon Rock“ (gibt’s noch in
drei anderen Farben) aus der Weihnachtskollektion „Sterling Nights“ übrigens
dadurch, dass die Lidschatten-Formel
gebacken wird, aktuell DER große Trend
am Beauty-Firmament.
10 2
Es kann kein Zufall sein, dass rechtzeitig zum
Weihnachtsgeschäft viele Duft- und Kosmetikmarken limitierte Sondereditionen herausbringen. So auch Sisley, wo man für den AllzeitKlassiker „Soir de Lune“ nun eigens ein festliches „Kleid“ entworfen hat. Weltweit gibt es
bloß 6000 Flakons. Und auch hier geht es
darum, rechtzeitig zu sein.
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Bloß
keinen
Kleister
Die Dänin Marianne
Tromborg suchte lange
vergebens nach wirksamen
Produkten für einen
natürlichen wie gut erholten
Teint. Schließlich ging sie in
die Küche und legte los,
erzählt Susanne Opalka
P
10 4
lattes Land, weiter Horizont: Unsere nördlichen
Nachbarn punkten seit
Jahrzehnten mit ihrem unangestrengt bewussten Lebensstil – ihre Mode ist begehrt, ihr Design berühmt.
Umso erstaunlicher, dass Kosmetikprodukte
aus Dänemark bei uns erst jetzt richtig Fahrt
aufnehmen. Beim Anblick der schlicht designten Tiegel räumen die Gedanken reflexartig das Bad frei, dabei hat Marianne Tromborg,
Gründerin der gleichnamigen Marke aus Kopenhagen, noch gar nicht angefangen. Wie oft
mag sie wohl schon erzählt haben, was in und
hinter der beglückend duftenden „Aroma
Therapy Body Lotion“ steckt. Gefühlt klingt’s
jedoch nach Premiere – für alle. „Auch die Lip
Cure enthält nur die reinsten natürlichen
Stoffe, Macadamianussöl, Sheabutter, Aloe Vera, sie heilt, sie schützt und wenn du hungrig
bist, kannst du sie ablecken“, sagt sie und lacht
laut. „Ich liebe es, mit essbaren Inhaltsstoffen
zu arbeiten, natürlich, Sie sehen es, ich liebe
Essen.“ Wieder strahlt sie und lacht ansteckend. Fast alle Tromborg-Produkte entstehen
aus persönlichen Bedürfnissen oder Vorlieben. Für die eigene hochsensible Haut entwickelt sie ein erfrischendes, pflegendes Gesichtswasser, für den Sohn, als er ins „Spiky
hair“-Alter kommt, ein Haarwachs, weil keines ohne Mineralöl zu finden ist. „Saudoof
fand er es, dass seine Mutter es ‚Holger Wax‘
nannte, allerdings nur so lange, bis er entdeckte, dass der Name Tromborg seine Beliebtheit bei den Mädchen steigerte.“ Ähnlich
praktisch kam es auch zur Gründung. Als sie
in den 90er-Jahren als Visagistin arbeitete,
vermisste die heute 49-Jährige Produkte mit
Transparenz, die Leichtigkeit. „Ich habe in
meiner Küche experimentiert, bis ich hatte,
was ich wollte. Ich arbeite lieber mit Licht
und Schatten, anstatt zu verdecken, zu übermalen. Ich fürchte, viele verstehen nicht, wie
schön sie von Natur aus sind,“ sagt sie.
2003 ist es so weit, mit dem befreundeten Modefotografen Michael Wendt als Kreativdirektor entwickelt sie ihr Lebensgefühl als Marke;
Dekorative Kosmetik, Pflege und Düfte – konsequent ganzheitlich – mit natürlichen Inhaltsstoffen. Drei Linien, die sie „Professional
Make-up“, „Treatment“ und „Scandinavian
Mood“ nennt. Der Erfolg bleibt zunächst überschaubar. Ein Grund: nur wenige, von ihr persönlich ausgesuchte, Geschäfte dürfen ihre
„Babys“ anbieten. Organisch eben, langsam
wachsen, dafür nachhaltig, das war ihr Credo.
Inzwischen gehen die Produkte aus eigenem
Labor, eigenen Produktionsstätten, alles in
Dänemark, hinaus in
die Welt. Weiterhin jedoch
selektiv,
in
Deutschland sind es gerade mal sechs Geschäfte, wie Ludwig
Beck in München oder
Galeries Lafayette in
Berlin.
„Zweiter Eingang links,
gleich neben dem
Schloss“ – lautet die
Wegbeschreibung zum
Tromborg Headquarter
in der Amaliegade 16.
Vor vier Jahren hat sich
dieser Haustraum erfüllt. Auf 900 Quadratmetern arbeitet das
Team in direkter Nachbarschaft zum Königspalast Amalienborg. Im
Stockwerk
drüber
wohnt die 22-jährige
Tochter Simone. Von
den Räumen der Firma
schaut man verträumt
in den königlichen Garten oder sinniert beim
Anblick einer verbarrikadierten Tür, was sich
dahinter wohl verbergen mag. „König Frederik VI. ist da durch zu
seiner Mätresse geschlichen, die mit den
vier gemeinsamen Kindern hier wohnte“,
klärt Tim Schyberg
schmunzelnd auf, seit
25 Jahren Mariannes Ehemann. Erst 2006
stieg er in die Firma ein, mischt seitdem aber
umso intensiver mit. Er ist ein renommierter
Wissenschaftler mit Expertise in der pharmazeutischen und biotechnologischen Industrie
und zuständig für den Marken-Inhalt: „Science behind beauty.“ Sechs Jahre hat der „verrückte Wissenschaftler“, wie er sich selbst
nennt, an der neuen Luxuspflege „Beauty of
North“ gearbeitet: „Wir verwenden Extrakte
von Pflanzen-Wildformen, die einem Zustand
vorliegen, wie er durch die Evolution entstanden ist, ohne dass der Mensch sie kultiviert
hat. Hunderte oder Tausende Jahre bevor sie
überhaupt entdeckt wurden, sind sie in ihrem
natürlichen Umfeld gewachsen. Sie mussten
bestimmte Fähigkeiten und Substanzen entwickeln, um zu überleben; so enthalten sie
starke energiereiche Strukturen und eine Fülle an Antioxidantien. Natur in ihrer wahrhaftigsten Form.“ Für die Fundorte sei keine Reise zu weit, keine Recherche zu aufwendig. In
North Dakota folgte man dem „singenden
Wind“ der Prärieblumen (Krokusse), von denen die Indianer sagen, dass sie den Pflanzen
mitteilen, dass sie blühen sollen – oder arbeitete sich durch jahrhundertealte Aufzeichnungen aus dänischen Klöstern.
Trotz des hochkarätigen Inhalts, allein der
Star, die „Anti-Aging Molecular Messenger
Cream“ enthält elf verschiedene Peptide, über
45 aktive Inhaltsstoffe, gilt stets Tromborgs
Grundprinzip: schnell, unkompliziert, verträglich. „Wir haben alle Jobs, arbeiten hart,
haben Kinder und sollen dann auch noch
spektakulären Sex haben. Wenn das alles
stimmt, hast du morgens nur noch fünf Minuten, um super auszusehen.“ Also: Fröhlich
reicht Marianne die „Baked Minerals Collection“ für den „natürlichen Glow“ herum.
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Was wäre, wenn ein Unternehmen seine Mitarbeiter am Gewinn beteiligen würde? Wenn
das Gehalt sich auch an Bedürftigkeit orientierte? Oder das Mittagessen in der Kantine
biologisch wäre? Wie schön wäre es, in Räumen zu arbeiten, deren Wände sanft abgetönt
sind, in denen Neonlicht abwesend und
Schönheit nicht gleich Oberflächlichkeit wäre? Sondern, wie Rudolf Steiner, der Begründer der Anthroposophie, 1923 schrieb: „Wenn
dasjenige schön ist, was sein Inneres in seiner
äußeren Gestaltung zur Offenbarung bringt.“
Utopie? Nun, nicht in der Wala Heilmittel
GmbH, die seit ihrem Beginn im Jahr 1935, als
sie durch Dr. Rudolf Hauschka in Ludwigsburg gegründet wurde, anthroposophische
Arzneien entwickelt und dabei den Menschen
in den Mittelpunkt ihres Handelns stellt. Basis
für jegliches Tun ist auch der verantwortungsvolle Umgang mit der Natur.
Das Zugpferd des Unternehmens mit rund
800 Mitarbeitern ist seit 1967 die Dr. Hauschka Naturkosmetik mit Produkten, die ganz ohne synthetische Emulgatoren, Konservierungsmittel, Farb- und Duftstoffe auskommen. Und auch beinahe ohne Werbung. Die
dafür aber mit Heilpflanzenauszügen angereichert sind, die die Haut als ganzheitliches Organ ansprechen sollen. Die Rohstoffe dafür
stammen aus biologisch dynamischer Landwirtschaft. Oder aus dem eigenen Garten in
Bad Boll, dem heutigen Sitz der Wala. Idyllisch
am Fuße der schwäbischen Alb gelegen, gedeihen in diesem Kleinod neben Rosen für
den Bestseller von Dr. Hauschka, die Rosencreme, auch Gewächse wie Wundklee, Gänseblümchen und Kapuzinerkresse. Und dann
gibt es auch verwahrloste Ecken. So zumindest scheint es zunächst. Tatsächlich wird hier
die Natur aber sich selbst überlassen, sodass
sich Nützlinge ansiedeln können. Alles, was
im eigenen Garten nicht wächst, besorgt man
sich aus legalen Wildsammlungen.
Dieses ganzheitliche Prinzip spricht heute
nicht mehr nur die Bio-Hedonisten der 80erJahre an, die im Interesse ihrer Kinder die
Welt retten wollten. Es gefällt vor allem den
sogenannten „Lohas“, ein Akronym für „Lifestyles of Health and Sustainability“, dank derer in Deutschland laut Statistischem Bundesamt im vergangenen Jahr das Geschäft mit
Naturkosmetik die Milliardengrenze durchbrechen konnte. Es sind Konsumenten, die einen gesundheitsbewussten Lebensstil pflegen
Elisabeth Sigmund gilt als
Pionierin der Naturkosmetik
DURCH DIE BLUME
Heilig’s
Kräutle
Bei der Naturkosmetikmarke
Dr. Hauschka pflegt man die
Haut mit Heilpflanzenextrakten –
und viele Angelegenheiten anders
zu regeln als in der Branche üblich.
Mira Wiesinger besuchte
den Firmensitz im
schwäbischen Bad Boll
DR. HAUSCHKA (3)
W
und, ganz wichtig, dabei gut aussehen wollen.
Menschen wie Julia Roberts. Seitdem sie am
Filmset von „Erin Brockovich“ mit Produkten
aus Bad Boll verschönert wurde, beteuert sie
immer wieder, wie begeistert sie von der Marke sei. Sie ist nicht die Einzige: Madonna
schwört auf die Rosencreme und auch Jennifer Aniston, Uma Thurman, Sofia Coppola,
Stella McCartney und Kate Moss sind Anhänger der Dr.-Hauschka-Lehre. Zu der viel mehr
gehört als bloßes Eincremen.
„Kosmetik, das ist alle Körperpflege, Hautpflege, Schönheitspflege in ihrer ureigensten Bedeutung. Dieses Wort, von dem griechischen
‚kosmein‘ abgeleitet, bedeutet ordnen, harmonisieren“, schreibt Elisabeth Sigmund 1974 in
der Anleitung ihrer kosmetischen Praxis. Seit
1962 war sie maßgeblich an der Entwicklung
der Dr. Hauschka Produkte beteiligt, arbeitete
bis zu ihrem Tod 2013 bei der Wala.
1914 in Wien geboren, interessierte sich Sigmund früh für Kosmetik und für Heilpflanzen. Das Wissen eignete sie sich mit Medizinbüchern aus Klosterbibliotheken an. Nach ihrer Ausbildung zur Rotkreuzschwester studierte sie Medizin, schmiss das Studium
jedoch zugunsten der Entwicklung eigener
Kosmetika. Ende des Zweiten Weltkriegs emigrierte sie mit ihrem Mann nach Schweden,
eröffnete hier ihren Schönheitssalon. Als Alleingängerin benutzte sie nicht marktübliche
Produkte, sondern die eigenen, die nicht äußerlich korrigieren, sondern die hauteigenen
Regenerationskräfte aktivieren wollen.
Bis heute revolutionär ist ihr Konzept der fettfreien Nachtpflege. Ihre Erkenntnis dafür gewann sie aus Halbseitenversuchen am eigenen Gesicht. Nach einigen Wochen sah die
fettfrei behandelte Gesichtshälfte rosiger,
glatter, vitaler aus. Mittlerweile ist es wissenschaftlich bestätigt, dass der Stoffwechsel der
Haut in der Nacht besonders aktiv ist und das
Organ sich besser regenerieren kann, wenn es
atmet und dabei nicht unter einem dicken
Fettfilm liegt. Auch das „Peelen“ war bei Sigmund tabu. Zu sehr greife man ein in den eigenen Erneuerungsprozess der Haut.
Stattdessen integrierte sie die Lymphdrainage, bis heute Herzstück jeder Dr.-HauschkaBehandlung, in ihre Praxis. Denn das Lymphsystem funktioniere wie ein Klärwerk. Außerdem riet sie ihren Kundinnen schon damals
auch die „innere Kosmetik“ zu pflegen: Mit gesunder Ernährung, ausreichend Schlaf, Bewegung, frischer Luft und maßvoller Sonneneinwirkung. 1600 Naturkosmetikerinnen arbeiten heute in 40 Ländern nach Sigmunds Methode, 140 Produkte umfasst das Dr.-Hauschka-Sortiment und auch die Konzeption
aller neuen Präparate des Hauses basiert auf
ihren Ideen. Selbst die dekorative Kosmetik,
seit 1999 auf dem Markt, enthält Heilpflanzenauszüge. Es ist ein Konzept, das nicht nur
buchstäblich hübsch klingt. Es ist auch äußerst lukrativ. Waren es 1994 noch umgerechnet rund 19 Millionen Euro Umsatz, erzielte
die Wala im vergangenen Jahr 129 Millionen
Euro. Circa drei Viertel davon erwirtschaftet
allein durch Dr. Hauschka Kosmetik.
Dabei scheint man gar nicht besonders erpicht auf den Umsatz zu sein. Das Unternehmen ist heute ein gemeinnütziger Verein, der
nicht verkauft oder vererbt werden, sondern
nur von geistigen Nachkommen weitergeführt werden darf. Nach einem Besuch in Bad
Boll scheint allein das Sinn zu ergeben. Und es
bleibt nur noch die eine Frage offen: Wenn
man auf solch menschen- und umweltfreundliche Weise so viel Geld verdienen kann, wieso eigentlich machen es dann nicht alle so?
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In der piekfeinen Metzgerei
im Örtchen Scuol sehen die
Fleischtranchen aus wie gemalt. Salsiz, eine lokale
Wurstspezialität, sind hier
dreieckig geformt wie sonst
nur die Riegel einer Schweizer Toblerone. Durchwachsener Speck lockt
rosig – und die Quader feinen Bündnerfleisches gleichen marmornen Skulpturen. Fast
könnte man glauben, ein Bildhauer habe sie
geschaffen. Wir sind im Kanton Graubünden,
genau genommen in Scuol auf 1290 Meter Höhe. Und Ludwig Hatecke ist dort mehr als ein
Metzger – man könnte ihn den Bildhauer der
alpinen Fleischtradition nennen.
Augen so blau wie ein Bündner Gletscher,
smart, schlank und charmant: Das soll ein
Schlachter sein? Ludwig Hatecke räumt nicht
nur mit der Erwartung auf, dass Fleisch bestenfalls appetitlich daherkommen sollte. Seine Erzeugnisse scheinen in einer Design-
10 8
schmiede entworfen zu sein. Dabei übt Hatecke sein Handwerk mit großem Vergnügen
aus, wie schon sein Großvater in St. Moritz
und sein Vater in Zernez. Sein Ururgroßvater,
Spross einer norddeutschen Schiffszimmererfamilie im niedersächsischen Freiburg an
der Elbe, ging als junger Mann auf die Walz
und blieb in den Alpen stecken. 1864 kaufte er
in Scuol ein schon damals uraltes, trutziges
Engadiner Bauernhaus und baute an.
Das Gebäude aus dem 14. Jahrhundert steht
heute noch mitten in Scuol wie ein Dickschiff
auf Grund. Unten werden die Tiere hineingeführt und zu Frisch- oder als Trockenfleisch
verarbeitet. Hatecke ist für seine luftgetrocknete Ware berühmt.
Früher schlachteten die Bauern einen Teil ihres Milchviehs nach dem Almabtrieb im September. Das eingebrachte Sommerheu hätte
nicht für alle Tiere im Stall gereicht. Aus dem
Schlachtvieh machten sie Bündnerfleisch für
den Winter. Das ernährte ihre Familien. Heute, da die Bauern nicht mehr so arm sind, gibt
es Bündnerfleisch das ganze Jahr über.
Es ist nahezu fettfrei und hat kaum Kohlenhydrate. Eiweiß, Eisen, Vitamine, Mineralstoffe
und Spurenelemente machen es zu einer
Energiebombe, die jeden Ernährungsexperten überzeugen dürfte.
Heute ist der Begriff eine geschützte geografische Bezeichnung (GGA) und gehört zum kulinarischen Erbe des Landes. Nur Stotzerfleisch aus der Rinderkeule, das an der Bündner Luft getrocknet ist, darf so ausgezeichnet
werden. Manche sagen „Bindenfleisch“ wegen
der Tücher, die man im 18. und 19. Jahrhundert
zum Pressen um die Fleischstücke band. „Die
Luft ist so trocken, dass von Sils bis St. Moritz
hinab vom Monat Oktober bis März alles
Fleisch nicht im Rauch, sondern an der Luft
gedörrt wird“, schrieb der preußische Arzt
und Reiseschriftsteller Johann Gottfried Ebel
in seiner 1793 erschienenen „Anleitung auf die
nützlichste und genussvollste Art die
Schweitz zu bereisen“.
Hatecke wird heute von fast 80 Bauern mit
Schafen und Milchkühen beliefert. Mehr als
100 Jäger gehen im Herbst für ihn auf die
Pirsch. Sie erlegen Hirsch, Gams oder Reh
und manchmal
sogar ein Murmeltier.
Das
schmecke
entfernt wie Hase
und sei etwas für
Liebhaber, verrät
der Fleischer.
Zwei Drittel der
in der Metzgerei
verarbeiteten
Tiere kommen
aus dem Unterengadin, der Rest
aus dem Oberengadin.
Die
Schafe sind für
die Salsiz. Die
Milchkühe werden zu Bündnerfleisch verarbeitet: „Die Tiere
fressen das Gras der im Frühsommer über
und über blühenden Alpwiesen, und die ungesättigten Fettsäuren machen das Fleisch der
Milchkühe zarter und feinfaseriger als die der
männlichen Tiere“, so Hatecke. „Je älter es ist,
desto schmackhafter.“
Wir machen eine Runde durch den Handwerksbetrieb und lernen manches über die alten Methoden des Haltbarmachens nach
Bündner Art. Im Keller werden die Kühe geschlachtet und noch warm ausgenommen.
Oberschale, Unterschale und Nuss aus der
Keule der Kuh sind für das Bündnerfleisch reserviert. Mit Salz, möglichst wenig Nitrat,
Pfeffer, Wacholder und Lorbeer eingerieben
ruht es auf einem Marmortisch und wird 21 Tage bei fünf Grad Raumtemperatur jeden zweiten Tag gewendet. Dann spülen die Metzger
die Kräuter mit handwarmem Wasser ab, tupfen alles trocken und trocknen das Fleisch bis
zu drei Monate lang.
Tagsüber sind die Fenster des Reiferaumes geschlossen. Des Nachts flutet die frische und
klare Bergluft hinein. Immer wieder prüft der
Chef durch Drücken den Reifegrad, und immer wieder kommt das Fleisch während des
Trocknungsprozesses in eine hölzerne eckige
Presse für die typische Form. Die Würste im
Rindskranzdarm werden in einer eigenen
Form dreieckig gedrückt.
Am Ende hat das Fleisch 50 Prozent seiner
Feuchtigkeit, also seines Gewicht verloren.
Das Salz hat eine steingraue Schale gebildet.
Feiner weißer Edelschimmel verleiht eine extra aromatische Note. Essreif ist es, wenn es
im Kern satt dunkelrot ist.
Das sehen wir im Laboratorium der Wurst.
Dort sind die, man muss es so sagen, Preziosen des Metzgers hauchfein geschnitten und
ausgebreitet: die Wildwurst, der Schweinespeck, der Hirschschinken und natürlich das
Bündnerfleisch. Die Verkostung kann beginnen. Jeder interessierte Besucher der Metzgerei landet hier, sofern er sich für den Dienstagstermin und das „Erlebnis alpines Fleischhandwerk“ angemeldet hat.
Bündnerfleisch ist mit dem Walliser Trockenfleisch und dem Tessiner Carne seca verwandt. Beide sind luftgetrocknet und gepökelt. Ganz im Gegensatz zum Appenzeller
Mostbröckli, das gepökelt, geräuchert und
dann erst getrocknet wird. Früher aßen die
Bündner ihr Trockenfleisch gern gewürfelt
wie Speck. Erst die Erfindung der FleischSchneidemaschinen in den 50er-Jahren
machte es möglich, dass man es derart hauchdünn aufschneiden konnte, wie es heute beliebt. Bündnerfleisch schmeckt pur am besten, aber im Unterengadin sollte man es auch
mal zu den Capuns probieren. Das sind in
Mangoldblätter gewickelte Teigpäckchen.
Hatecke ist in seinem Element. Der Begriff
„regional“ ist für ihn ein Gütezeichen, Handarbeit oberstes Gebot. Seine Werkstätten vom
Schlachthaus bis zur Wursterei spiegeln seine
pure Ästhetik. Das von den Decke herabhängende Fleisch sieht aus wie aus den umliegenden Bergen geschlagene Steine. Es duftet
atemberaubend. Die besonnen arbeitenden
Schlachter in den weißen Kitteln scheinen alten Bildern entsprungen. Das Fleisch ist appetitlich, ja schön. „Fleisch ist ein sehr wertvolles Lebensmittel“, betont der Meister. „Wir
machen hier keine Zeremonie.“
Er hat den Metzgerberuf erlernt, sich in Wirtschaftsdingen gebildet, Französisch studiert,
und wenn es seine Zeit erlaubt, reist er gern
umher, um in anderen Qualitätsmanufakturen
in die Töpfe zu gucken oder noch feinere Verpackungen zu finden. Sohn David ist 23 und
Koch. Er steht im St. Moritzer Laden. Der
jüngste Sohn ist erst 17 und geht noch zur
Schule, aber er sagt jetzt schon zum Vater:
„Am liebsten würde ich das auch irgendwann
mit meinem Bruder machen.“
Heute hat der 60-Jährige vier Geschäfte: in St.
Moritz, Zernez und zwei in Scuol. Er beliefert
feine Hotels, wie beispielsweise das „Waldhaus“ in Sils Maria, aber auch mal die Feinkostetage eines Departmentstores wie des
KaDeWes in Berlin. Auch die Dörfler kaufen
bei ihm ein. Urlauber lassen sich die Preziosen wie Pralinen in die festen, edlen, schwarzen Kartons packen und schmecken zu Hause
nach. Beim Öffnen des Deckels knistert das
rote Seidenpapier. Schöner und sinnlicher
kann man ein Stückchen Region nicht der
Heimat entführen.
BENJAMIN HASENCLEVER (4); CYRUS SAEDI
Zum Anschauen zu verlockend, zum Essen fast zu schön: Contadino,
dreieckige Salami vom Rind mit Schweinefleisch (links); Panzetta,
Speck vom Schwein; Pelegrin, reines Trockenfleisch vom Rind;
Puolpa, Bündnerfleisch vom Rind (unten von links nach rechts)
Aus Fleisch und Mut
Ludwig Hatecke aus dem Unterengadin ist der Künstler unter den
Metzgern. Inge Ahrens konnte sich nicht entscheiden, ob sie seine
Produkte von alpinen Wild- und Wiesentieren essen oder aufhängen sollte
10 9
GELÜSTE
Alles Roger!
Patrick Roger baute die Berliner Mauer und
Lagerfelds Muse aus Schokolade. Zur Wiederöffnung
des Rodin-Museums in Paris goss er dem Bildhauer
zu Ehren eine Skulptur aus Kakaomasse.
Seine Pralinés sind so bildschön, dass man sich fast
S
110
Schokolade zum Frühstück, für Patrick Roger
ganz normal. Die Journalisten, die sich an diesem Morgen in der frisch renovierten Boutique am Boulevard Saint Germain in Paris
einfinden, werden vom Maître persönlich gefüttert: „Erst kosten, dann sprechen“, ordnet
er an. „Entspannen wir uns erst einmal.“
Also, Augen zu, Mund auf. Das Hüftgold wird
verteilt wie die Heilige Kommunion. Es zerschmelzen zarte Praliné-Carrées mit knuspriger Noisette-Füllung oder fruchtig-scharf
gepfefferte Minze und Zitronengras auf der
Zunge. Beides tanzt auf den Geschmacksnerven, das eine wie ein dramatischer Tango, das
andere wie ein flirrender Salsa. Patrick Roger
ist ein Verführer und keiner, der dabei Gewissensbisse kennt: „Vergessen Sie Schuldgefühle. Ich esse davon 500 bis 600 Gramm am Tag“,
sagt er, und es sieht bei ihm nicht so aus, als
müsste er sich dafür in Shapewear-Schlüpfer
zwängen wie Bridget Jones.
Seine mittlerweile neun Schokoladentempel
in Paris und Brüssel sind Pilgerorte für Naschkatzen aus aller Welt und selbst die, die es eigentlich lieber salzig mögen, werden angesichts der brillanten Präsentation der exquisiten Leckereien schnell umgepolt: Die Boutiquen Patrick Roger gleichen eher einer
Schmuckgalerie denn einem Schoko-Laden.
Jede für sich ist ein sorgsam durchkomponiertes Design-Bijou – und jede ist anders. Die
von dem Pariser Architektenbüro SCAU um-
nicht traut, sie zu essen. Silke Bender besuchte den
besten Chocolatier Frankreichs und biss trotzdem zu
gestaltete Boutique am Boulevard Saint Germain in Paris ist ein dramatischer, dunkler
Black Cube, in dem die süßen Preziosen in
grün illuminierten Showcases präsentiert
werden. Die schwarzgebrannte Holzverkleidung ist die formschöne Aufarbeitung des
Dramas, das Patrick Roger vergangenes Jahr
heimsuchte: „Mitten in der Vorbereitung des
Weihnachtsgeschäfts brannte unser Atelier
ab. Eine Katastrophe, die unser Team aber zusammengeschweißt hat“, erzählt er. Von
einem einheitlichen Boutique-Design hält der
„Schokoartist“ nichts.
Überhaupt ist Patrick Roger in der feinen Pariser Patisserie-Szene einer, der gern aus der
Reihe tanzt. Er trägt Pferdeschwanz, ist stolz
darauf, ein Landei aus der Normandie zu sein,
und neben Schokolade und Bildhauerei sind
seine großen Leidenschaften Moto-Cross und
seine PS-starke Ducati: „Schokolademachen
ist wie Motorradfahren“, behauptet er. „Es
geht um Timing und um gute Vorbereitung.
Man muss es verstehen, langsam zu sein, um
im richtigen Moment sehr schnell reagieren
zu können.“ Geboren in dem 200-Seelen-Dorf
Le Perche, wo sein Vater der örtliche Bäcker
war, sah seine Bestimmung nicht so aus, als
würde es ihn bis auf die elegantesten Pariser
Boulevards führen. Mit 18 Jahren kam er zwar
als Patisserie-Lehrling zu Pierre Mauduit
nach Paris, dort machte er sich jedoch mehr
schlecht als recht. Zum Schokolademachen
wurde er verdonnert, weil er für Eclairs und
Petit Fours nicht taugte. „Ich weiß nicht genau, wann meine Liebesgeschichte mit Schokolade begann. Es ist wie mit dem Küssen:
Schön ist es irgendwie immer, aber irgendwann fühlt es sich richtig an“, sagt er. „Ich hatte meine Muse gefunden.“ Er war nicht nur
auf den Geschmack gekommen, er erkannte
auch die skulpturale Qualität der Materie, mit
der er schnell anfing, Kunstwerke zu formen.
Aus dem mäßig motivierten Lehrling wurde
ein Schokoladen-Virtuose, der schon bald anspruchsvolle Sonderanfertigungen für Bühnen-Dekorationen von Serge Gainsbourg bis
Jean-Paul Gaultier machte. 1994 gewinnt er
mit seiner grün schillernden Pralinen-Halbkugel „L’Amazon, une demi-sphère“, einer
Kreation aus Schokolade, Limette und Karamel, den Titel des Schokoladenweltmeisters,
drei Jahre später macht er sich selbstständig.
Seine Vision war, die frische Bauernküche der
Normandie in Chocolaterie zu übersetzen: Bis
auf den Kakao, der aus 47 Ländern kommt,
baut er viele der Zutaten selbst an. Alle Nüsse
und Mandeln zum Beispiel kommen noch
heute von den familieneigenen Plantagen in
Le Perche, so auch die für die kleinen Noisette-Pralinés namens „L’instinct“, mit denen
er jede Frage unterfüttert.
Sie wurden 1997 Bestseller aus dem Stand,
drei Monate später hatte er bereits 18 Angestellte, heute 40. Seine Kreationen werden vi-
MICHEL LABELLE
Die Pralinen von Patrick
Roger eignen sich als kulinarischer Höchstgenuss genauso wie zu Deko-Zwecken
suell und geschmacklich immer ausgefallener
und experimenteller – so schön, dass man sie
fast nicht essen mag. Im Jahr 2000 wird er als
bester Handwerker und Chocolatiers Frankreichs ausgezeichnet. War er als Kind nie hinund hergerissen, ob er den niedlichen SchokoWeihnachtsmann nun behalten oder essen
soll? „Bei uns zu Hause gab es keinen Weihnachtsmann aus Schokolade – und Hasen zu
Ostern nur in echt, mit Fell“, grinst er. Er findet die Frage obsolet. „Kinder haben keine
Skrupel vor meinen Figuren. Bei den Elefanten und Marienkäfern essen sie sogar die Augen zuerst.“ Und bei den erwachsenen Kunden? Spielt er bewusst mit dem Moment des
Zögerns, dem Akt des
Essens als ZerstöIn Rogers Boutique am
rung? Er schaut verPlace de la Madeleine
dutzt: „Nein, überschauten einst Schokohaupt nicht. Die
ladenaffen aus dem
Form muss schön
Schaufenster
sein, damit ich Lust
habe, sie zu essen.“
Inspiration findet er
überall: Manchmal ist es ein Geruch, mal eine
Reise, die Augen einer Frau, die ihm Ideen geben für neue Kreationen. Die sind nicht zwingend charmant. „Ich mag keine blauen Augen“, erläutert er. „Meine Praliné-Kugel Cyclone ist ganz blau. Ich habe da eine Schicht von
einer besonders harten Zutat eingefügt, die
im Biss wiedergibt, was diese Augen für mich
„Vergessen Sie
Schuldgefühle!“
PAT R I C K R O G E R ,
Frankreichs berühmtester
Schokoladenmeister
bedeutet haben.“ Das klingt ein wenig nach
gebrochenem Herzen.
Nur seine Skulpturen aus Schokolade, die sind
für die Ewigkeit bestimmt. Zum 20-jährigen
Jubiläum des Mauerfalls baute er ein Stück
der Berliner Mauer aus Schokolade nach. 2011
hat er die „Magnum-Suite“, ein Hotelzimmer
aus über zehn Tonnen Schokolade für Langnese geschaffen, inklusive der knackig-braunen Lagerfeld-Muse Baptiste Giabiconi auf
dem Bett. „Bei meinem ersten Entwurf fand
Karl Lagerfeld die Augenbrauen von Baptiste
zu hell und ich musste sie dunkler machen“,
sagt er und lächelt. „Er ist genauso detailversessen wie ich.“ Sein neuester Coup: Für das
renovierte Rodin-Museums in Paris hat er den
Schriftsteller Honoré de Balzac in eine fast
vier Meter hohe Schokoladenskulptur gegossen. Sie begrüßt dort die Besucher.
Am Ende des Pressetermins gibt es noch einmal Schokolade. Eine kleine Degustation seiner neuesten Kreation für Weihnachten: Wer
findet, dass die Kombination von Marzipan
mit Sellerie, Kartoffeln und Schwarzem Reis
irgendwie schräg klingt, muss wieder die Augen zu und den Mund aufmachen. Es
schmeckt einfach nur – himmlisch. Wie lange
er daran getüftelt hat, den Sellerie-Geschmack so deutlich und doch so fein dosiert
hinzubekommen? „Nicht lange“, sagt er. „Ich
weiß genau, was ich tun muss. Alles eine Frage von Erfahrung und Intuition.“
111
SONNTAG, 15. NOVEMBER 2015
Global Diary
VENEDIG
Schon mit dem Boot loszufahren, anstatt am
Flughafen in ein Taxi zu steigen, macht Venedig
aufregend – und sei es der Wasserbus, das Vaporetto. Aber mit dem Boot direkt ins Hotel zu fahren, das ist grandios. Möglich ist das im neuesten
Haus von Architekt Matteo Thun, dem „JW
Marriott“ in der italienischen Lagunen-Stadt.
Haus ist maßlos untertrieben, die ganze „Isola
delle Rose“, eines der Fleckchen Erde, die in der
Lagune schwimmen, ist das Hotel. Man nähert
sich von San Marco kommend, wo man den
Bootsbus gegen ein Hotel-Shuttle getauscht
hat, schippert am „Hotel Cipriani“ vorbei (schon
Casanova turtelte hier) und sieht kurz darauf ei-
nen Wassertank auf Stelzen. Dann biegt das
Boot nicht in die Schneise zwischen Ufergrün
und türkisfarbenen Säulen, stoppt nicht vor den
Teak-Bänken mit den Schwarz-Weiß-Fotografien darüber, an denen vorbei man 19 Stufen hinauf und durch ein Glasportal tretend, in der
Lobby ist – das Szenario ist Anreisenden mit Privat-Taxi vorbehalten. „Mein“ (kostenfreies)
Shuttle hält einige Meter weiter, an einem Steg,
vor einem kleinen, barocken Pavillon.
Ich schubse meinen Rollkoffer über den glänzenden Steinboden der Lobby – wow! Die Lobby,
ein glänzender Saal mit Steinböden, Spiegeln,
Marmor und lagunengrünen Teppichen. Alle
vier Eincheck-Marmortische sind besetzt. Morgen wird das neue Juwel der US-Kette offiziell
Eröffnung feiern, derweil reichen lächelnde, junge Frauen geeiste Wassergläser. Verstehe, das
kann dauern, dann also gleich auf Erkundungstour. Die circa 16 Hektar kleine Insel war einst eine Krankenhaus-Station, das Hauptgebäude eine Klinik. Ich schlendere unter Olivenbäumen
entlang und erreiche eine Mini-Marina. Gerade
ist ein Restaurant, das „Dopolavoro“ mit schönstem Patio und mit Blick auf den Lido fertiggestellt worden. Weiter durch den Park stoße ich
auf einen Backsteinquader: Thun hat ihn ausgehöhlt, in Parzellen unterteilt und in die Grundmauern von 1936 Boxen eingesetzt. Jetzt sind es
Luxus-Suiten mit glucksenden Whirlpools im
Gärtchen. Aus der Kapelle wurde ein Spa – das
Die jährliche Umfrage des Magazins „Monocle“ ergab eine Überraschung: Kopenhagen ist die lebenswerteste Stadt der Welt. Die Gründe:
viel Wasser, viel schicke Architektur, coole dänische Mode und spannende
Gourmetküche. Und nicht zuletzt die erquickliche Fahrradkultur. Die Regierung hat großflächig dafür gesorgt, dass diese Art Verkehr ziemlich reibungslos läuft. Und auch das Metronetz wird ausgebaut, weswegen der
Kongens Nytorv (Königplatz) im Zentrum
seit Jahren von einem Bauzaun ummantelt
ist. Trotzdem – sehenswert ist er doch, abgesehen von etwas Werbung, mit farbenfroher Kunst verbrämt und somit SelfieHotspot. Am Kongens Nytorv prunkt das
Leading Hotel „D’Angleterre“, die Traditionsadresse ist nach 10-jähriger Renovierungszeit im frischen Gewand. Der Ursprung des Hauses geht auf 1755 zurück,
das Resultat einer Lovestory – Diener des
Königs verliebt sich in ambitionierte Tochter des Hofkochs und etabliert ihr zuliebe
eine Gaststätte. Daraus gewachsen ist ein
Haus, in dem sich heute klassisch-elegante
Einrichtung mit dänischen Design-Elementen und modernster Technik vermischt. Am
besten gefallen mir die Zimmer mit Balkon im Obergeschoss mit Ausblick
bis ins Kneipenviertel Nyhavn mit seinen kunterbunten Häusern. Die Tradition feiner Küche setzt heutzutage Ronny Emborg im Stern-gekrönten
„Marchal“ fort. Für Entschleunigung sorgt auch die neue Radler- und Fußgängerbrücke von Ólafur Elíasson. „Cirkelbroen“ aus fünf versetzten
Plattformen wurde von einer Stiftung zur Förderung des guten Lebens (!)
gespendet. Beim Mittag im „Tårnet“, ein Baby von Luxus-Caterer Rasmus
Bo Bojesen, fällt die Wahl der kreativen Smørrebrøds schwer. Das Restaurant versteckt sich im Turm von Parlamentsgebäude Schloss Christiansborg, Panorama inklusive. Der Blick schweift über königliche Gärten, Reitplatz, rote Ziegel- und grüne Kupferdächer. Das alles erfreut Magen und
Seele sogar an düstersten Tagen.
Für Kiki Baron hat der Norden noch mehr an Wert gewonnen
KOPENHAGEN
112
Erinnern Sie sich? An die Zeit, als man statt WhatsApp und E-Mail
noch Karten von fremden Orten schrieb? Wir tun es noch immer.
Illustriert von Tim Dinter
größte Venedigs und mit einer Fensterfront
Richtung „Downtown Venice“.
Ich brauche meinen Bikini und eile – Wolken ziehen auf – vorbei an Erdgeschoss-Terrassen und
Rosenbüschen anderer Residenzen des Resorts,
das aus insgesamt 20 Gebäuden besteht. Jetzt
klappt es auch mit dem Einchecken. Und dann,
ein paar Minuten später, auf der Liege des Rooftop-Pools mit 19 Sonnenschirmen, gekachelter
Bar und Super-Panorama, auch mit der Entschleunigung. Schwimmen im Wasser über dem
Wasser. „Es ist selten, in Venedig Venedig zu sehen“, hat Matteo Thun in einem Interview
(„Wallpaper“) gesagt, das ich auf dem Hinflug
gelesen habe. Hier, auf der Roseninsel, ist die
Stadt überall im Fokus. Auch, weil es sich bei
„JW“ um ein „Three Zero“-Projekt (null CO2,
null Entfernungen, null Abfall) handelt. Alle Materialien, die Thun eingesetzt hat, stammen aus
der Region, Stoffe von Rubelli, Glas aus Murano.
Ich entscheide mich, anstatt 25 Euro für WiFi auf
dem Zimmer auszugeben, diese in ein PastaGericht zu investieren, inklusive eines Rosés aus
dem Alto Adige. Auf der Gartenterrasse ist das
Internet frei zugänglich, der italienische Kellner
akzeptiert meinen Vorschlag, hier Roomservice
in Anspruch zu nehmen, da die Küche schon geschlossen hat. Als ich am nächsten Morgen in aller Früh die Insel wieder mit dem Shuttle verlasse, ist die himmlische Ruhe in Gedanken dabei.
Esther Strerath träumt jetzt oft von Lagunen
NEW YORK
Huch, schon da? Keine dreißig
Minuten Fahrzeit vom Flughafen La Guardia bis zum Hotel.
Glück gehabt. Wie mit dem
Haus. Eine Empfehlung, aber
man weiß ja trotzdem nie. Die
Lage scheint schon mal prima,
Midtown, zwischen Broadway
und 28. Straße, U-Bahn-Station nur einen Block entfernt.
Starbucks sowieso. Ich achte
auf so etwas. Bin manchmal zu
geizig für teures Frühstück extra und es gibt Tageszeiten in
New York, da nimmt man besser die Bahn oder läuft, als mit dem Auto vor sich „hinzustauen“. The NoMad. Klasse Name, schön doppeldeutig. Für Berufs-Nomaden wie mich –
und „mad“ wird man auch nicht, weil man sich nicht verschaukelt fühlt.
Eher ungeahnt geborgen. Das Zimmer, wieder huch, könnte einem Filmskript entnommen sein. Irgendetwas mit Napoleon und Josephine in der
Neuzeit, oder eine historische Reiseromanze. Fehlen nur noch Louis-Vuitton-Koffer. Große Fenster, dunkler Holzboden, ein in der Zimmer-Proportion riesiges Bett auf einem Berberteppich, gute Matratze, verschossene Fotos an der Wand, ein kleiner Reise-Schreibtisch, hinter einem dick
gesteppten Paravent verstecken sich WC und die Dusche. Sonst kann ich
es nicht leiden, wenn die Wanne im Zimmer steht, in diesem Ambiente
muss sie es. Nirgends Kitsch, nur Atmosphäre. Eine Bar wie im „Costes“ in
Paris. „Besuchen Sie unser Restaurant“, hatte der Concierge gesagt. Ein
Blick hinein, drei Sterne von der „New York Times“, Mick Jagger riesengroß als Foto an der Wand: Ich wusste gleich, ich verpasse etwas. Wenigstens bleibt Zeit, in der Bibliothek den Laptop aufzuklappen. Ich bestelle
das kleine Gericht mit Pasta und Gemüse gleich noch einmal, verdammt
frisch und köstlich. Das Taxi muss warten. Der Flughafen ist ja nicht weit.
Inga Griese liebt Hotels mit freiem WLAN
THE ORIGINAL
IN WINTER
TOURISM
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DIE „CASHMERE
FUR“-JACKE
VON BRUNELLO
CUCINELLI
In den Ateliers und Manufakturen dieser Welt werden
weiterhin Handwerkskünste gepflegt, und wir schauen zu
Am Pelz scheiden sich die Geister: Tragen, verbannen, faux oder lieber ganz umsteigen? Auf Kaschmir zum Beispiel. Mit kuscheligen Pullovern aus dem
Bauch- und Schlundfell der Kaschmirziege begann auch Brunello Cucinelli 1978 seinen Erfolgszug. Seine knallbunten Modelle waren damals ein Novum.
Knapp 40 Jahre später geht das Modehaus aus Solomeo nun den nächsten Schritt und verwandelt Wolle in Pelz. „Cashmere Fur“ nennt sich das fluffige Ergebnis. 85 Arbeitsstunden stecken in einer Jacke. Wir haben uns den Zauber in neun Schritten mal genauer angeschaut.
1. Für die Jacke braucht es ein spezielles Kaschmirgarn, das mit einem kleinen Anteil technischer Fasern zu kleinen Schlaufen versponnen wird. 2. Eine
Strickmaschine fertigt aus dem Garn ein Gewebe. 3. Eine Unzahl von Nadeln strickt flink parallel, wofür Hände ewig brauchen würden. 4. Das fertige Stück
Gewebe kommt aus der Maschine. 5. und 6. Die einzelnen Gewebestücke werden auf einer speziellen Halterung an Zacken fixiert und per Hand zusammengenäht. 7. Erst jetzt ist die grobe Form der Jacke fertig. 8. Um eventuelle Schmutzreste loszuwerden, wird die Jacke anschließend gewaschen. 9. Nun
muss nur noch der Reisverschluss eingenäht werden. Dann kann gekuschelt werden. Übrigens: Pro Jahr werden nur 350 Stück produziert.
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BRUNELLO CUCCINELLI
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