Die Bürgerbühne am Nationaltheater Mannheim als Instrument des
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Die Bürgerbühne am Nationaltheater Mannheim als Instrument des
Die üblichen Verdächtigen? Die Bürgerbühne am Nationaltheater Mannheim als Instrument des Audience Developments Eine empirische Untersuchung von Eva Gansen September 2014 Masterarbeit im Master-Studiengang Kulturvermittlung Institut für Kulturpolitik Stiftung Universität Hildesheim Inhalt 1 Einleitung: Ein ‚neues‘ Publikum für eine alternde Institution............................................. 5 2 Analyse des Untersuchungsgegenstandes............................................................................... 6 2.1 Forschungsstand Bürgerbühne................................................................................................ 6 2.2 Die Mannheimer Bürgerbühne – Konzept und Entwicklung............................................. 8 2.3 Die Bürgerbühne als Instrument des Audience Developments? ........................................ 9 2.3.1 Grundlagen und Handlungsfelder des Audience Developments........................... 9 2.3.2 AD-Strategien der Bürgerbühne............................................................................... 11 2.3.3 Kundenintegrationsmatrix und Empfehlungsmarketing....................................... 12 2.3.4 Erkenntnisse zum Dresdner Modell......................................................................... 14 2.4 Eine für alle? - Das potenzielle Bürgerbühnenpublikum unter der Lupe........................ 16 2.4.1 Das Theaterpublikum – Eine wissenschaftliche Bestandsaufnahme.................... 16 2.4.2 Wer sind eigentlich diese Mannheimer?.................................................................. 18 3 Der Methodenmix.................................................................................................................. 19 4 Qualitative Untersuchung: Leitfadeninterviews................................................................... 20 4.1 Generierung der Leitfäden..................................................................................................... 20 4.2 Festlegung des Ausgangsmaterials und Befragungssituation............................................ 22 4.2.1 Festlegung des Materials............................................................................................ 22 4.2.2 Analyse der Befragungssituation............................................................................... 23 4.2.3 Formale Charakteristika des Materials..................................................................... 23 4.3 Vorgehensweise bei der Kategorisierung und Analyse der Interviewtranskripte........... 24 4.3.1 Festlegen der Analyseeinheiten................................................................................. 24 4.3.2 Vorgehensweise bei der Kategorienbildung............................................................. 24 4.3.2.1 Filtern des Transkripts................................................................................ 24 4.3.2.2Abstraktion................................................................................................... 25 4.3.2.3 Generalisierung und Strukturierung: Kategorienbildung...................... 25 4.4 Auswertung der Interviews mit den Teilnehmern der Bürgerbühne............................... 26 4.4.1 Auswertung des Interviews mit TW......................................................................... 26 4.4.2 Auswertung des Interviews mit DH......................................................................... 30 4.4.3 Auswertung des Interviews mit GP.......................................................................... 34 4.4.4 Zwischenstand: Wesentliche Überschneidungen der Interviews......................... 38 4.5 »Frauen zwischen 50 und 65« – Im Gespräch mit Stefanie Bub....................................... 41 4.6 Zusammenfassung der bisherigen Erkenntnisse................................................................. 43 5 Quantitative Erhebung: Anmeldeformular und Onlineumfrage......................................... 45 5.1 Auswertung des Spielclub-Anmeldeformulars.................................................................... 45 5.2 Gestaltung der Onlineumfrage.............................................................................................. 47 5.3 Auswertung der Onlineumfrage............................................................................................ 48 5.3.1 Demografische Zusammensetzung des Bürgerbühnen-Publikums..................... 48 5.3.2 Bewertung des Bürgerbühnen-Angebotes............................................................... 52 5.3.3 Betrachtung des Besucherverhaltens und der emotionalen Bindung.................. 53 5.3.4 Werbemittel und Weiterempfehlungsverhalten...................................................... 58 6 Fazit und Empfehlung: Die Bürgerbühne als Chance.......................................................... 61 7Literaturverzeichnis .............................................................................................................. 65 Abbildungsverzeichnis Abb. 1: Kundenintegrationsmatrix. Quelle: Fliess; Wittko; Kudermann (2006, S. 66)..................... 12 Abb. 2: Sinus-Milieus in Mannheim. Quelle: Stadt Mannheim .......................................................... 19 Abb. 3: Auswertung der Anmeldeformulare der Spielclubs................................................................. 46 Abb. 4: Geschlechterverteilung der Bürgerbühnen-Teilnehmer.......................................................... 48 Abb. 5: Alter der Bürgerbühnen-Teilnehmer nach Abschnitten.......................................................... 49 Abb. 6: Prozentualer Anteil der Teilnehmer mit Migrationshintergrund.......................................... 49 Abb. 7: Höchster formaler Bildungsabschluss der Eltern der Teilnehmer......................................... 50 Abb. 8: Höchster formaler Bildungsabschluss der Teilnehmer............................................................ 50 Abb. 9: Interessen der Teilnehmer im Bereich der Darstellenden Kunst............................................ 51 Abb. 10: Interesse für Musical geordnet nach formalem Bildungsabschluss..................................... 51 Abb. 11: Bewertung der Alltagsnähe der Bürgerbühnen-Themen...................................................... 52 Abb. 12: Bewertung der Themenvielfalt.................................................................................................. 53 Abb. 13: Durchschnittliche Teilnahme bei Inszenierungen................................................................. 54 Abb. 14: Teilnehmerzahlen bei Inszenierungen, Spielclubs und Workshops..................................... 54 Abb. 15: Weitere Teilnahme bei der Bürgerbühne – Anzahl in Prozent............................................. 55 Abb. 16: Änderungen im Besucherverhalten der Teilnehmer.............................................................. 56 Abb. 17: Aufbau einer emotionalen Beziehung zum Nationaltheater................................................. 57 Abb. 18: Entwicklung des Abo-Verhaltens der Teilnehmer.................................................................. 58 Abb. 19: Werbemittel und ihre Relevanz................................................................................................. 59 Abb. 20: Werbemittel und ihre Relevanz – Verteilung unter ‚Sonstiges‘............................................ 59 Abb. 21: Empfehlungsmarketing. Theaterneulinge, seltene Theatergänger und Stammgäste......... 60 1 Einleitung: Ein ‚neues‘ Publikum für eine alternde Institution Wer sich in letzter Zeit gefragt hat, ob die einzigartige Theaterlandschaft, wie sie seit hunderten von Jahren in Deutschland gepflegt wird, allmählich dem ‚Untergang‘ geweiht ist, ist auf dem besten Weg, sich auf eine Grundsatzdiskussion hinsichtlich der Relevanz derartiger staatlich getragener Einrichtungen einzulassen. Ist das Stadt- und Staatstheater ein Relikt, das in dieser Form von der Bevölkerung weder gebraucht noch angenommen wird? Und wie lässt es sich ggf. retten, gar revolutionieren? Angesichts der ernüchternden Prognosen bezüglich des demografischen Wandels, der Generationen von ‚Best Agern‘ und ‚Silver Surfern‘ bei gleichzeitiger Abnahme des Theaterinteresses nach sich zieht1; angesichts einer Vielfalt an Freizeit- und Kulturangeboten und der damit verbundenen wachsenden Konkurrenz untereinander; und nicht zu vergessen: angesichts leerer Staatskassen, die man durch Einsparungen im Kulturbereich aufzufüllen versucht, unterliegt das hoch subventionierte Stadt- und Staatstheater einem gewissen Legitimationsdruck. Wie soll man diesem begegnen, die Zweifel zerstreuen und das eigene Haus in seiner Relevanz bestärken?2 Eine Chance – so meine Überlegung – könnte darin liegen, innovative und adäquate Theaterformate zu schaffen, mit deren Hilfe man ein breiteres Publikum in die Theatersäle locken kann. Zunächst ab Ende der 1960er Jahre als Phänomen der Freien Theaterszene beobachtbar3, scheint die Attraktivität partizipativer Projekte mit Laien seit den 1990ern gewachsen zu sein. So zeichnet sich zunehmend ein Trend zum Ausbau der theaterpädagogischen Angebote an städtischen Theatern ab.4 Ursprünglich meist in der künstlerischen Praxis mit Jugendlichen verankert, rückt die Zusammenarbeit mit Laiendarstellern aller Altersgruppen mittlerweile öffentlichkeitswirksam in den Fokus und bekommt immer häufiger einen Platz im Spielplan der Schauspielhäuser – teilweise sogar auf den großen Bühnen. Die letzte bemerkenswerte Entwicklung lässt sich mit der Entstehung sog. ‚Bürgerbühnen‘ ausmachen, die mit der Dresdner Bürgerbühne5 einen prominenten Vorreiter gewannen. Seit der Spielzeit 12/13 kann auch das Nationaltheater Mannheim mit einer eigenen Bürgerbühne aufwarten.6 »Mit dem Herz in der Hand auf die Bretter der Welt«7 oder »Eine für alle«8: Das neue Format wird medienwirksam präsentiert, die Professionalität eines Theaters mit Laien betont, indem hochwertige Inszenierungen erarbeitet werden, die explizit die Themen der Bürger verhandeln sollen. Der gewählte Name scheint dabei nicht zufällig. Eine Bühne für Bürger – diese Bezeichnung legt nahe, dass diese neu geschaffene Institution eben das sein will: eine künstlerische Plattform für die Bürger Mannheims, nah an den Bewohnern dieser Stadt, d.h. lebensnah und prinzipiell für alle zugänglich. Dass die Bürgerbühne ein sehr komplexes, bislang wenig untersuchtes Konstrukt ist, 1 2 3 4 5 6 7 8 Auf diesen Punkt wird noch ausführlicher in Kapitel 2.4 eingegangen. Vgl. Schneider, Wolfgang (2013), S. 9-11. Vgl. Kurzenberger, Hajo (Juni 2013), 3. Absatz. Vgl. ebd. Die Dresdner Bürgerbühne besteht seit 2009. Vgl. ebd., 5. Absatz. Vgl. Bub, Stefanie (20.12.2013), S, 1, Zeile 48f. Nationaltheater Mannheim (Spielzeit 12/13). Titelblatt. Nationaltheater Mannheim (Spielzeit 13/14). Titelblatt. 5 steht dabei außer Zweifel. Obgleich es sich lohnt, dessen Vielschichtigkeit aus unterschiedlichen Blickwinkeln zu betrachten, liegt es in der Natur der Sache, dass diese Masterarbeit den verschiedenen Facetten der Bürgerbühne nicht gerecht werden kann. So soll sie bewusst keine künstlerischästhetische Analyse der Arbeit mit Laien vornehmen, sondern die Bürgerbühne aus der Perspektive der Kulturnutzerforschung betrachten. Die Frage, die sich mir in diesem Zusammenhang stellt, ist folgende: Kann die Bürgerbühne als neue Institution das erreichen, was das ‚klassische‘ Theater bislang nicht vermag, nämlich tatsächlich ein anderes Publikum als das bereits bestehende für Theater begeistern? Oder spricht sie doch wieder die ‚üblichen Verdächtigen‘, die ‚Wiederholungstäter‘ und Stammgäste an? Im Rahmen dieser Arbeit werde ich daher untersuchen, ob die Bürgerbühne als ein Instrument im Sinne des Audience Developments9 fungieren und damit ein bisher unerschlossenes Publikum für das Mannheimer Nationaltheater gewinnen oder (doch ‚nur‘) ein bereits vorhandenes enger an die Institution binden kann. Mein vorrangiges Ziel ist es also, den Status Quo hinsichtlich der Besucherstruktur zu ermitteln. Dieser Fragestellung soll mittels qualitativer Interviews mit den Teilnehmern und der Koordinatorin der Bürgerbühne sowie einer quantitativen Befragung aller Bürgerbühnen-Teilnehmer nachgegangen werden. Dabei soll zunächst geklärt werden, welche Forschungsergebnisse bislang zur Bürgerbühne und ihrem Audience-Development-Potenzial vorliegen. In einem nächsten Schritt wird dargestellt, wie die Bürgerbühne am Nationaltheater Mannheim aufgebaut ist. Anschließend wird der Begriff des Audience Developments hinsichtlich seiner Relevanz im Bezug auf das Modell der Bürgerbühne diskutiert. An dieser Stelle möchte ich auch erste Ergebnisse zum Dresdner Modell einfließen lassen. Schließlich wird der Frage nachgegangen, was es eigentlich bedeutet, ein ‚neues‘ Publikum für das Theater zu gewinnen: Was heißt in diesem Sinne ‚neu‘, wie hebt es sich vom traditionellen Theaterpublikum ab? Nach diesem theoretischen Vorspann soll das methodische Vorgehen genauer erläutert werden. Dabei wird zunächst die qualitative Erhebung nachvollzogen und ausgewertet. Die quantitative Befragung soll anschließend an die aus den Interviews gewonnenen Erkenntnisse anknüpfen; sowohl die Konstruktion des Onlinefragebogens als auch dessen Auswertung soll hinreichend dargelegt werden. Darüber hinaus werden Anmeldeformulare der Mannheimer Bürgerbühne miteinbezogen, um die Motivation für die Teilnahme bei dieser zu erfragen. Abschließend sollen die wichtigsten Ergebnisse zusammengefasst werden, bevor in einem letzten Schritt eine Handlungsempfehlung für die Mannheimer Bürgerbühne ausgesprochen wird. 2 Analyse des Untersuchungsgegenstandes 2.1 Forschungsstand Bürgerbühne Die Erforschung des Bürgerbühnen-Modells steht aufgrund der Neuheit dieses Konzepts noch relativ am Anfang. Es besteht jedoch seit etwa ein bis zwei Jahren ein gesteigertes Interesse an der wis9 Übersetzt: ‚Besucherentwicklung/Publikumsentwicklung‘. 6 senschaftlichen Aufarbeitung der Qualitäten, Chancen und Grenzen dieser spezifischen theaterpä dagogischen Angebote. Das zeigen Events wie beispielsweise das 1. Bürgerbühnenfestival (17.-24. Mai 2014), welches am Staatsschauspiel Dresden ausgerichtet wurde, »einen Überblick über die Entwicklung [europäischer; E.G.] partizipatorischer Theaterformen geben und eine Debatte über diese Kunstform in Gang bringen«10 wollte. Dem Ziel dieses Festivals, sich »langfristig als zentrales Forum der Präsentation und Diskussion zu etablieren«11 entsprechend, ist die nächste Veranstaltung für März 2015 am Nationaltheater Mannheim geplant.12 Auch gab es in Mannheim einen Bürgerbühne-Kongress (8.-10. November 2013), der mit »Gästen aus Politik, Kunst und Wissenschaft«13 über »gesellschaftliche[...] und kulturpolitische[...] Auswirkungen der Bürgerbühne«14 und die Zukunft des »Stadttheater[s] für Alle«15 nachdachte. Darüber hinaus wurden bereits wenige Aufsätze und Forschungsarbeiten veröffentlicht, in denen das Thema Audience Development, neben einem Schwerpunkt auf der Betrachtung ästhetischer Merkmale und Besonderheiten der Arbeits- und Inszenierungsweise, immer wieder am Rande auftaucht. Ich möchte hierbei beispielhaft auf die Diplomarbeit von Geesche Gloystein hinweisen, welche die Bürgerbühne als Partizipationsmodell untersucht und dabei u.a. Interviews mit Miriam Tscholl, der Leiterin der Dresdner Bürgerbühne, geführt hat. Gloystein sieht das Potenzial der Bürgerbühne darin, dass sie dem Erlebnischarakter und der sozialen Aktivität, die zunehmend von Besuchern gefordert würden, entspreche.16 Darüber hinaus wirke sie der Tendenz, dass immer mehr Menschen Kunst nicht als Bestandteil ihres eigenen Lebens betrachteten, entgegen, indem sie die persönlichen Erfahrungen zum Theaterstoff machen und auf die Bühne bringen würde – die Nähe zu den Darstellern schaffe dann auch beim Publikum die Möglichkeit zur Identifikation. Das Partizipationsmodell werde gewissermaßen zur Marketingstrategie.17 Generell lässt sich feststellen, dass vor allem das Vorreitermodell in Dresden Auslöser und Gegenstand von wissenschaftlichen Untersuchungen ist. Besonders hervorzuheben ist die im Zeitraum dieser Masterarbeit herausgegebene Publikation von Hajo Kurzenberger und Miriam Tscholl: Die Bürgerbühne. Das Dresdner Modell.18 Diese liefert einen umfassenden Einblick in die komplexe Institution am Staatsschauspiel Dresden und gibt einen kleinen Vorgeschmack auf die Ergebnisse zur Besucherbindung, welche in ähnlicher Form auch am Ende dieser Arbeit stehen könnten. Die wichtigsten Ergebnisse dieser Publikation sollen daher in das Kapitel zum Thema Audience Development einfließen. 10 Staatsschauspiel Dresden. 11Ebd. 12 Vgl. ebd. 13 Nationaltheater Mannheim Website (b). 14Ebd. 15Ebd. 16 Vgl. Gloystein, Geesche (25.04.2013), S. 71. 17 Vgl. ebd., S. 71f. 18 Vgl. Kurzenbeger, Hajo; Tscholl, Miriam (Hrsg., 2014). 7 2.2 Die Mannheimer Bürgerbühne – Konzept und Entwicklung Die Idee einer Bürgerbühne am Nationaltheater Mannheim wurde zu Beginn der Spielzeit 12/13 vom Schauspielintendanten Burkhard Kosminski aus Dresden mitgebracht und in Folge dessen durch die Sparte Schauspiel initiiert.19 Die Koordinatorin der Bürgerbühne, Stefanie Bub, weist darauf hin, dass das Nationaltheater mit dem Schnawwl20 und unter der Bezeichnung Junges Nationaltheater bereits auf gute Erfahrungen mit partizipativem Theater zurück blicken kann; dies war allerdings nur für Kinder und Jugendliche konzipiert. In der Spielzeit 13/14 wurde dieser Bereich mit der Bürgerbühne zusammengeführt und infolgedessen als Junge Bürgerbühne bezeichnet.21 Diese spricht nun weiterhin gezielt junges Publikum an, wohingegen die Bürgerbühne allen Altersgruppen offen steht. Unter der Bürgerbühne versteht Frau Bub » ein[en] Bereich am Nationaltheater Mannheim, wo [sie] Bürger der Stadt und auch aus der Umgebung [...] einladen, selber Theater zu spielen, also am Theater aktiv zu werden«22. Dies erfolge unter professioneller Anleitung. Dabei könnte man von drei Standbeinen der Bürgerbühne sprechen: Inszenierungen, Spielclubs und Workshops. Diese theaterpädagogischen Formate unterscheiden sich hinsichtlich ihres Zeitaufwandes und der künstlerischen Intensität. So ist die Inszenierung wohl das Format, das seine Teilnehmer am meisten fordert: [...] wir machen pro Spielzeit zwei bis drei Inszenierungen. [...] Und die werden unter professionellen, normalen Bedingungen erarbeitet wie die Profi-Produktionen hier auch, also sechs Wochen Probenzeit ungefähr und Endproben und so weiter und werden dann [...] im Repertoire ungefähr zweimal im Monat gezeigt [...]23 Zunächst wird hier meist ein Thema ausgeschrieben, für das sich Interessenten melden. Anschließend werden mit Hilfe von Auswahlverfahren, die meist eine Art Workshopcharakter haben oder aus Gruppengesprächen bestehen, aus dieser Menge an Interessenten Teams zusammengestellt, die anschließend unter professioneller Anleitung die Inszenierung entwickeln.24 Spielclubs hingegen, haben abgesehen von einer natürlichen Beschränkung hinsichtlich der Gruppengröße, keine weiteren ‚Zulassungsverfahren‘. Laut Stefanie Bub seien dies »Gruppen, die sich über ne Spielzeit hinweg einmal wöchentlich treffen für zwei Stunden und zu nem bestimmten Thema [arbeiteten]«25. Sie beschreibt dieses Format als »eher prozessorientiert«26, Ergebnisse würden in einer abschließenden Werkschau präsentiert.27 Die Teilnahmekosten hierfür belaufen sich auf 60 Euro (40 Euro erm.)28, vier kostenlose Vorstellungsbesuche sind bereits miteingeplant.29 Das dritte Standbein sind die kurzfristig angelegten Workshops, welche einmal pro Monat stattfinden. Laut Stefanie 19 Vgl. Bub, Stefanie (20.12.2013), S. 2, Zeile 48-52. 20 » Unter diesem Begriff sind [...] alle Aktivitäten zu fassen, die angeboten werden für Kinder und Jugendliche, um selber Theater zu spielen, also Kurse und [...] Inszenierungen [...]« Ebd., Zeile 54f. 21 Vgl. Bub, Stefanie (20.12.2013), S.2, Zeile 52-58. 22 Ebd., S. 1, Zeile 9-11. 23 Ebd., Zeile 18-22. 24 Vgl. ebd., S. 5f, Zeile 166-195 und TW (20.12.2013), S. 3f, Zeile 96-118. 25 Bub, Stefanie. (20.12.2013), S. 1, Zeile 23f. 26 Ebd., Zeile 24. 27 Vgl. ebd., Zeile 25f. 28 Vgl. Nationaltheater Mannheim (Spielzeit 13/14), S. 24. 29 Vgl. Bub, Stefanie. (20.12.2013), S. 15, Zeile 520-527. 8 Bub seien sie meist inszenierungsvorbereitend und würden von allen Sparten mitgestaltet.30 In den Teilnahmekosten von 10 Euro ist bereits eine Karte für den Besuch der zugehörigen Vorstellung inbegriffen.31 Der von der Koordinatorin geäußerte Wunsch, der sich u.a. auch im Slogan der Spielzeit 13/14, »Eine für alle«32, versteckt, dieses Angebot auf alle Sparten auszudehnen und damit ein möglichst breites und vielfältiges Programm für alle Bürger Mannheims zu schaffen, hat sich weitestgehend erfüllt: Seit der Spielzeit 13/14 gibt es neben Projekten aus dem Bereich des Schauspiels erstmalig Tanzworkshops und auch zwei Spielclubs, in denen Tanzprojekte durchgeführt werden; darüber hinaus werden Workshops zum Musiktheater angeboten.33 Im neu gegründeten Mannheimer Geräuschorchester soll zudem die Musik für einen Stummfilm komponiert und diese bei der Premiere im Opernhaus live zur Aufführung gebracht werden.34 Obwohl die Bürgerbühne 2014 erst die zweite Spielzeit durchläuft, ist somit schon eine deutliche Ausweitung des Angebots feststellbar. Der Rückblick auf nun etwa 1,5 Jahre Theaterarbeit mit den Bürgern Mannheims erscheint als gute Ausgangslage, um nachzuforschen, ob sie seitdem Auswirkungen auf die Besucherstruktur des Nationaltheaters hatte. 2.3 Die Bürgerbühne als Instrument des Audience Developments? Um sich der Fragestellung der Forschungsarbeit weiter anzunähern soll nun genauer auf den Begriff des Audience Developments eingegangen und versucht werden, Verbindungen zum Konzept der Bürgerbühne zu ziehen. Ich möchte offen legen, weshalb die Bürgerbühne meiner Ansicht nach als Instrument des Audience Developments verstanden werden und welche positiven Auswirkungen diese auf die Besucherstruktur der Bürgerbühne und des Nationaltheaters haben könnte. Darüber hinaus möchte ich auch erste wissenschaftliche Erkenntnisse, welche im Bezug auf die Dresdner Bürgerbühne festgehalten wurden, darstellen. Im Laufe der Arbeit soll diesen Überlegungen mittels empirischer Untersuchungen genauer auf den Grund gegangen werden. 2.3.1 Grundlagen und Handlungsfelder des Audience Developments Der Begriff Audience Development wurde Mitte der neunziger Jahre in angelsächsischen Ländern eingeführt als Bezeichnung für die strategische Entwicklung neuen Publikums für Kultureinrichtungen. Audience Development arbeitet mit Ansätzen aus dem Kulturmarketing, der Kultur-PR, der Besucherforschung, aus der Kunstvermittlung und aus der kulturellen Bildung, um kulturelle Angebote für unterschiedliche Zielgruppen zu gestalten, zu positionieren, zu kommunizieren, zu vertreiben und zu vermitteln.35 30 31 32 33 34 35 Vgl. ebd., S. 1, Zeile 30-32. Vgl. Nationaltheater Mannheim (Spielzeit 13/14), S. 24. Vgl. Bub, Stefanie. (20.12.2013), S. 4, Zeile 115-135. Vgl. Nationaltheater Mannheim (Spielzeit 13/14), S. 2. Vgl. ebd., S. 22. Mandel, Birgit (2009), S. 19. 9 Birgit Mandels knappe Definition gibt einen guten Einstieg in einen vielschichtigen Begriff, der im Wesentlichen als »institutionelle Querschnittsaufgabe«36 zu verstehen ist und an »den Schnittstellen von Kulturmanagement, Beziehungsmarketing und ästhetischer Erziehung [...]«37 zum Tragen kommt. Nach Klaus Siebenhaar ist dabei »die Ausrichtung der gesamten Kulturinstitution auf diese Mission [unverzichtbar]«38, denn nur so kann sich das volle Potenzial des Audience Developments entfalten. So unterschiedlich die Disziplinen, so unterschiedlich sind dabei laut Siebenhaar auch die einzelnen Richtungen, die mit Hilfe des Audience Developements verfolgt und je nach Aufgabenfeld künstlerisch, managerial, wirtschaftlich oder sozial geprägt sein können.39 Wie bereits durch den Namen impliziert, ist jedoch das Publikum stets Mittelpunkt aller Bemühungen, »[d]enn Audience Development will vor allem eines: Volle Konzert- und Theatersäle, volle Opernhäuser und Museen, und das alles auf der Basis ebenso nachhaltiger wie gefragter Kulturangebote«40. D.h. das angestrebte Ziel kann nicht die kurzfristige Gewinnung neuer Publika sein, sondern die vorsichtige Heranführung der Besucher an die Institution und in einem zweiten Schritt schließlich das Aufbauen einer dauerhaften, wechselseitigen Beziehung, von der beide Seiten profitieren können: [...] the objective of audience development is to create a love affair between people and art that will have a lifelong impact on the minds and spirits of those who partake [...]. Audience Development is the long-term process of encouraging and assisting an audience member to become increasingly more involved in the life of an arts institution. The goal is to build a loyal and committed audience with an appetite for adventure.41 Was aber hat das mit der Bürgerbühne zu tun? Sie könnte der Schlüssel zum Erfolg, ein Instrument im Sinne des Audience Developments sein, welches eine ‚Liebesbeziehung‘ zwischen dem Nationaltheater Mannheim und den Bürgern der Stadt schafft; und das, indem sie – so meine These – das Potenzial in sich trägt, eine langfristig angelegte, künstlerisch produktive Plattform zu bilden, von der sowohl die Theaterschaffenden als auch die Bürger einer Stadt profitieren könnten. Beidseitig könnten kreative Prozesse ausgelöst werden und neue Formate entstehen. Darüber hinaus besteht nicht nur das Potenzial, frischen Wind in die Besucherstruktur zu bringen, sondern auch ein Publikum zu generieren, welches dem Theater treu bleibt, zuverlässig Geld in die Kassen spielt und offen für künstlerische Experimente ist. Um den Gedanken der Bürgerbühne als Instrument des Audience Developments weiter zu verfolgen, möchte ich zunächst auf dessen Handlungsfelder eingehen. So beschreibt Thomas Schmidt-Ott in seinem Artikel über Audience Development im Orchestermanagement drei Aktionsbereiche, die »AD-spezifische Maßnahmen im Orchester [prägen]«42. Obgleich er sich dabei nicht auf das Theater als Institution bezieht, sind die von ihm beschriebenen Bereiche meiner Ansicht nach durchaus 36 Siebenhaar, Klaus (2009, a), S. 13. 37Ebd. 38Ebd. 39 Vgl. ebd. 40 Schmidt-Ott, Thomas (2009), S. 71. 41 Morison, B.G.; Dalgleish, J.G. (1992): Waiting in the Wings – A larger Audience For The Arts and How to Develop it. New York: n. a., S. 7. Zitiert nach: Siebenhaar, Klaus (2009), S. 13. 42 Schmidt-Ott, Thomas (2009), S. 76. 10 auch auf dieses übertragbar. Den Ersten nennt er »Neue Publika gewinnen«43. Dabei wird zunächst versucht, potenzielle Zielgruppen zu identifizieren und für die eigene Einrichtung zu akquirieren. Handelt es sich in diesem Schritt um sog. Neukunden, so könnte man sagen, dass der zweite Ak tionsbereich hinsichtlich der Bindung schon eine Stufe weiter greift; hierbei geht es darum, eine bereits bestehende Publikumsbindung zu festigen. Beim dritten Bereich spricht Schmidt-Ott schließlich davon, Publikums- und damit verbundenen Cross-Selling-Potenziale auszuschöpfen, also die »Profitabilität [bereits; E.G.] bestehender Kundenbeziehungen«44 zu steigern, d.h. für Angebote zu interessieren, die zunächst gar nicht nachgefragt wurden. Den letzten Punkt charakterisiert er als distinktes Unterscheidungsmerkmal zur pädagogisch orientierten Kulturvermittlung.45 Um diese drei Aktionsbereiche dreht sich letztlich auch die Fragestellung dieser Masterarbeit: Kann die Bürgerbühne neue Publika gewinnen? Trägt sie zur Bindung eines bereits bestehenden Publikums bei? Und zuletzt: Werden die Besucher der Bürgerbühne auch zu Besuchern des Nationaltheaters? Im Folgenden möchte ich nun auf zwei, von Birgit Mandel benannte Strategien des Audience Developments eingehen, die, meiner Ansicht nach, mit der Bürgerbühne verfolgt werden können und sie zu einem wichtigen Instrument der Kundengenerierung und -bindung machen. 2.3.2 AD-Strategien der Bürgerbühne Die Bürgerbühne ist eine neue und zugleich innovative Einrichtung am Nationaltheater Mannheim und in diesem Sinne wird sie auch beworben: Mit Slogans wie »Eine für alle« und einem eigenen Logo46 versucht sie sich neben den bereits bestehenden Angeboten am Nationaltheater zu etablieren. Dabei bietet sie sich selbst als Einrichtung an, bei der prinzipiell alle Bürger der Stadt Mannheim mitmachen und ihre Ideen einbringen können. Diese Botschaft unterscheidet sie deutlich vom sonstigen Angebot des Nationaltheaters. Man könnte daher mit Birgit Mandel sagen, dass die Bürgerbühne eine Art Aufmerksamkeitsstrategie im Sinne des Audience Developments verfolgt: »Dazu gehört auch, Erwartungen zu lenken und Kulturimages zu verändern, die Kunst und Kultur als etwas zeigen, das sehr weit weg ist vom Leben und den Interessen der meisten Menschen.«47 Die Bürgerbühne stellt somit eine Alternative für Menschen dar, die sich für das traditionelle Theaterangebot am Nationaltheater bislang nicht begeistern konnten. Dies könnte dazu führen, dass neue Publika erschlossen werden. Auf lange Sicht ist es sogar möglich, dass sie sich als Marke mit einem »emotionalen[n], symbolischen[n] Werteversprechen«48, wie etwa das Dresdner Modell, etabliert. In diesem Zusammenhang könnte auch die »Verbundenheitsstrategie«49 greifen. Birgit Mandel macht die Beobachtung, dass »[...] Menschen [einerseits] immer weniger bereit [sind], sich 43Ebd. 44Ebd. 45 Vgl. ebd. 46 Vgl. Nationaltheater Mannheim Website (a). 47 Mandel, Birgit (2009), S. 29. 48 Ebd. Birgit Mandel über die ‚Markenstrategie‘ des Audience Developments. 49Ebd. 11 an eine Einrichtung ‚fesseln‘ zu lassen, andererseits boomen differenzierte, zielgruppenspezifische Formen der Mitgliedschaft«50: Solche Mitgliedschaften können den Kulturnutzern sowohl exklusive Vorteile liefern, so etwa den von vielen sehr geschätzten direkten Kontakt zu Künstlern, wie vor allem auch Zugehörigkeit zu einer besonderen Gruppe und ein Mit-Verantwortungsgefühl für den Erfolg einer kulturellen Einrichtung aufbauen.51 Dies sei eine elementare Grundlage für den »Aufbau einer langfristigen Beziehung zum Publikum«52 und manifestiere ihre Annahme, »dass Audience Development immer ein dialogischer Prozess [sei]«53. Die Bürgerbühne beruht offensichtlich in hohem Maße auf dem Prinzip der aktiven, künstlerischen Teilnahme unter professioneller Anleitung. Aufgrund eines relativ differenzierten Angebotes an Inszenierungen, Spielclubs und Workshops, welches derzeit noch kontinuierlich ausgebaut wird, können die Besucher individuell entscheiden, wie (zeit-)intensiv sie sich mit Theater beschäftigen wollen und dabei aus einer Vielfalt an Themen wählen. Im Mittelpunkt steht dabei der Dialog zwischen theaterbegeisterten Bürgern und Kunstschaffenden, schließlich werden die Angebote von professionellen Mitgliedern des Nationaltheaters begleitet. Zugleich bilden sich Gruppen, die über einen längeren Zeitraum gemeinsam an der Verwirklichung eines Projekts arbeiten. Dass sich durch das aktive Mitwirken am kulturellen ‚Produkt‘ ein Zugehörigkeits- und »Mit-Verantwortungsgefühl«54 entwickeln kann, ist dabei durchaus vorstellbar und könnte infolgedessen einen positiven Effekt auf die Besucherstruktur haben. Im nächsten Schritt möchte ich daher noch detaillierter auf diese spezielle Qualität der Bürgerbühne eingehen: Die Fähigkeit zur Kundenintegration und das damit verbundene Potenzial der Weiterempfehlung der Bürgerbühne durch ihre Besucher. 2.3.3 Kundenintegrationsmatrix und Empfehlungsmarketing Betrachtet man die sog. Kundenintegrationsmatrix bei Fliess, Wittko und Kudermann (Abb. 1), erhält man eine genauere Vorstellung davon, wie die »Kulturleistungen«55 der Bürgerbühne einzuschätzen sind. Diese »lassen sich anhand der Ausprägungen, die der Kunde bei der Inanspruchnahme des jeweiligen Kulturangebots auf den beiden Funktionsdimensionen [Mitwirkung bei Leistungsspezifizierung und Mitwirkung bei Leistungsrealisierung; E.G.] erzielt, spezifizieren.«56 Die Funktionsdimension »Mitwirkung bei Leistungsspezifizierung« gibt Abb. 1: Kundenintegrationsmatrix. Quelle: Fliess; Wittko; Kudermann (2006, S. 66) 50 Ebd., S. 30. 51Ebd. 52 Ebd., S. 30f. 53 Ebd., S.30. 54Ebd. 55 Fliess, Sabine; Wittko, Ole; Kudermann, Sarah (2006), S. 66. 56Ebd. 12 an, in welchem Maß der Besucher vorab mitentscheidet, wie die Kulturleistung aussehen soll; die Funktionsdimension »Mitwirkung bei der Leistungsrealisierung« hingegen, zu welchem Grad der Besucher auch noch bei der Realisierung der Leistung beteiligt ist. Als Beispiel nennen die Autoren einen Restaurantbesuch: Der Kunde ist bei der Leistungsspezifizierung noch relativ stark involviert, da er eine persönliche und individuelle Entscheidung darüber trifft, was und in welcher Reihenfolge er es bestellen möchte (natürlich ist hier bereits durch die Speisekarte eine gewisse Vorauswahl getroffen worden). Auf die Leistungserstellung hingegen hat er keinen Einfluss mehr, sondern nur der Koch, der ihm das Essen zubereitet.57 Betrachtet man die aus vier Feldern bestehende Matrix (Abb. 1), so wird deutlich, dass klassische Kulturangebote, wie z.B. Theateraufführungen, Lesungen oder Konzerte, wenig individualisiert sind und eher eine niedrige Kundenintegration aufweisen. Konkret bedeutet das: Besucher entscheiden zwar darüber, welche Theateraufführung sie anschauen wollen, aber auf die Inszenierungsweise haben sie relativ wenig Einfluss. Die Bürgerbühne als partizipatives Format hebt sich von diesen Angeboten ab, da ihre Besucher zu weiten Teilen in die Leistungsspezifizierung und in noch höherem Maß in den Prozess der Leistungsrealisierung involviert sind, wirken sie doch selbst bei der Gestaltung mit und können ihre eigenen Wünsche und Ideen einbringen. Sie sind Teil des Produktionsteams und stehen schließlich selbst als Laiendarsteller auf der Bühne.58 Man könnte sie daher wahrscheinlich zwischen Feld 3 und 4 einordnen. Damit sind beste Voraussetzungen für die Bürgerbühne als Audience-Development-Instrument gegeben: Erhöhte Kundenintegration führt [...] zu einer erhöhten Kundenzufriedenheit, zu erhöhter Kundenbindung und damit auch zu häufigeren Besuchen seitens der Kunden, die positive Erfahrungen mit den Leistungsangeboten gemacht haben.59 Aufgrund des Ereignischarakters kann darüber hinaus mit positiver Mund-zu-Mund-Propaganda gerechnet werden. Dadurch werden möglicherweise auch solche Interessenten angezogen, die bisher nicht ins Theater, Museum oder in die Oper gegangen sind.60 Dieses Phänomen lässt sich beispielsweise dadurch erklären, dass Besucher, die von einer Kulturinstitution besonders eingebunden werden, die Möglichkeit bekommen, das Angebot nach ihren Vorstellungen zu beeinflussen. Ihr Feedback kommt unmittelbar beim Anbieter der Kulturleistungen an und kann auf direktem Weg zur Verbesserung dieser beitragen. Einer schleichenden Unzufriedenheit der Besucher kann durch das Einbeziehen ihrer Wünsche und Ideen relativ schnell entgegen gewirkt werden. Die Zufriedenheit61 der Besucher wiederum kann »als zentrale Voraussetzung für deren Weiterempfehlungsverhalten angesehen«62 werden, denn: »Zufriedene Besucher 57 Vgl. ebd., S. 66f. 58 An diesem Punkt ist zu hinterfragen, wie weit die Leistungsspezifizierung reicht, da z.B. Themen für Inszenierungen und Clubs bereits vorab von dem Team der Bürgerbühne (Intendanten, Workshopleiter etc.) vorgegeben werden. Dennoch besteht während des künstlerischen Prozesses die Möglichkeit zur Einflussnahme auf die Themengestaltung und die individuelle ‚Rolle‘ innerhalb des künstlerischen Produktes. Man müsste dies daher an den jeweiligen Einzelfällen untersuchen. 59 Ennew, C.T.; Binks, M.R. (1996): Good and Bad Customers: The Benefits of Participating in the Banking Relationship. In: International Journal of Bank Marketing, Jg. 14, Nr. 2. n.a., S. 5-13 und Kleinaltenkamp, M. (1999): Kundenbindung durch Kundenintegration, S. 264ff. In: Bruhn, M.; Homburg, C. (Hrsg.): Handbuch Kundenbindungsmanagement, 2. Aufl. Wiesbaden: n.a., S. 255 - 272. Zitiert nach: Ebd., S. 75. 60 Fliess, Sabine; Wittko, Ole; Kudermann, Sarah (2006), S. 75. 61 »Zufriedenheit ist das Ergebnis eines automatisch erfolgenden, komplexen Informationsprozesses. Sie tritt nach allgemeiner Auffassung ein, wenn die tatsächlich erlebte Bedürfnisbefriedigung mit den subjektiven Erwartungen des Besuchers mindestens übereinstimmt oder diese übersteigt.« Helm, Sabrina; Kuhl, Matthias (2006), S. 174. 62Ebd. 13 sind die beste Werbung«63. So würden laut Helm/Kuhl vor allem dauerhaft interessierte Personen, die ein besonders hohes »Involvement«64 aufwiesen, also durch eine große »Bereitschaft zur kognitiven und emotionalen Auseinandersetzung mit bestimmten Themeninhalten«65 geprägt seien, einen Kulturbesuch »zum Gegenstand ihrer Kommunikation [machen]«66. Empfehlungen, die innerhalb einer Bezugsgruppe ausgesprochen würden, seien dabei besonders einflussnehmend. Laut Helm/Kuhl steigerten sie die Erstbesuchsbereitschaft, indem Unsicherheiten direkt im Gespräch abgebaut werden können; darüber hinaus beeinflussten sie die Wahrnehmung des eigenen Besuchserlebnisses, indem sie positive oder negative Erfahrungen verstärkten.67 Auf die Bürgerbühne bezogen, würde dies die Chance eröffnen, dass besonders involvierte Besucher zu Multiplikatoren werden und ihre positiven Erfahrungen innerhalb ihrer Bezugsgruppen mitteilen. Via Mund-zuMund-Propaganda könnten so potenziell interessierte Neubesucher gewonnen werden, die im besten Fall nicht nur Bürgerbühnen-, sondern auch Theaterneulinge sind. 2.3.4 Erkenntnisse zum Dresdner Modell Für die Dresdner Bürgerbühne, welche seit 2009 besteht, wurden in dem aktuellen Sammelband von Hajo Kurzenberger und Miriam Tscholl (Hrsg.) bereits einige wissenschaftliche Ergebnisse bezüglich ihres Besucherbindungspotenzials festgehalten, die ich nun in aller Kürze darstellen möchte. So weist Miriam Tscholl in einem ihrer Aufsätze darauf hin, dass laut einer Umfrage »die Darsteller der Bürgerbühne durchschnittlich mehr als sechsmal so häufig ins Theater [gingen] wie zuvor«68, nämlich »im Durchschnitt insgesamt elfmal pro Spielzeit«69. Darüber hinaus würden sie »durchschnittlich 25 Bekannte mit in ihre eigene Vorstellung [bringen]«70. Das allein sind beeindruckende Ergebnisse. Ich möchte jedoch noch etwas genauer auf die in der Publikation veröffentlichte Studie von Achim Müller zur Bürgerbühne als Beziehungsstifter eingehen, beschreibt sie doch ausführlich, »wie die [Dresdner; E.G.] Bürgerbühne die Teilnehmer an sich bindet und sie als Botschafter und Werber für Publikum in ihrem sozialen Umfeld gewinnt«71. Im Rahmen seiner Untersuchung hat Müller zwölf episodische Leitfadeninterviews mit Teilnehmern durchgeführt.72 Er hebt hervor, dass es in Dresden aufgrund der kulturellen Identität der Stadt eine generelle Offenheit für Theater gebe und, dass bei den meisten Teilnehmern bereits vorher eine Begeisterung für Theater und ein Bewusstsein der Bürgerbühne vorhanden gewesen sei.73 Aufgrund der Tatsache, dass jede Person nur einmal an einer Produktion teilnehmen dürfe, wer63 Ebd., S. 172. 64 Ebd., S. 175. 65 Krugmann, Herbert E. (1997): The Impact of Television Advertising: Learning without Involvement. In: Public Opinion Quaterly, Jg. 29, o. Nr. n.a., S. 349-356 und Kroeber-Riel, Werner; Weinberg, Peter (1999): Konsumentenverhalten. 7. Aufl. München: n.a., S. 360. Zitiert nach: Ebd. 66Ebd. 67 Vgl. ebd., S. 176f. 68 Tscholl, Miriam (2014), S. 17. 69Ebd. 70Ebd. 71 Müller, Achim (2014), S. 171. 72 Vgl. ebd. 73 Vgl. ebd., S. 173. 14 de eine besonders große Anzahl an Menschen erreicht, die wiederum zu Multiplikatoren werden könnten.74 Dies sei nur eine Strategie des Dresdner Modells. Als weitere Strategien nennt er u.a. das Prinzip der Markenbildung mit Wiedererkennungswert, welches ich bereits in Kapitel 2.3.2 kurz beschrieben habe, ein wiederkehrendes Repertoire, das dazu beitrage, dass die ProduktionsTeilnehmer einen längerfristigen Kontakt zur Bürgerbühne hätten sowie die Professionalität der Inszenierungsteams.75 Letztere werde in Verbindung mit aufrichtigem Interesse und Respekt seitens der Regie von den Teilnehmern als Qualitätsmerkmal und Wertschätzung ihrer eigenen Arbeit betrachtet.76 Müller betont die Bedeutung der von Respekt und Autorität geprägten Arbeitsweise auch im Bezug auf die Fähigkeit zur Identifikation mit der eigenen Produktion, die als Voraussetzung dafür gewertet werden kann, diese bei Freunden und Bekannten zu bewerben. Darüber hinaus gebe es durch das Kleine Haus mit seinen Kantinen und Cafés einen Begegnungsraum, der für Profis, Laien und Zuschauer gleichermaßen zugänglich sei und die Bindung untereinander fördere. Er weist zudem darauf hin, dass unter Eigenregie geführte Produktionen eine engere Bindung ermöglichten und biografische Stücke tendenziell eine größere Identifikation und Bindung zuließen als Adaptionen.77 Als Motive des Weiterempfehlungsverhaltens der Teilnehmer nennt Müller nicht nur die bereits beschriebene persönliche Identifikation mit der Produktion, sondern auch den Ausdruck von Stolz auf die persönliche Leistung und die damit verbundene Suche nach Bestätigung.78 Die eigene Zufriedenheit wird also, wie bereits vermutet, zum Antrieb der Weiterempfehlung. Darüber hinaus habe sich bei einigen Teilnehmern [...] über die intensive gemeinsame Arbeit eine stabile Beziehung entweder zu den anderen Teilnehmern oder zu der Bürgerbühne und deren Mitarbeitern entwickelt. Diese [sei] auch losgelöst von der Identifikation mit dem Stück der Motor dafür [gewesen], im Umfeld für die Bürgerbühnen zu werben.79 Doch wie nachhaltig ist die Beziehung zur Bürgerbühne tatsächlich? Achim Müller macht die Grenzen des Dresdner Modells deutlich, wenn er auf die Relation von Ensemblemitgliedschaft und der Bindung zum Theater zu sprechen kommt. So entstehe zwar durch die Teilnahme oftmals ein enges soziales Netzwerk (abhängig von den jeweils involvierten Persönlichkeiten und Kontaktbedürfnissen), d.h. es bildeten sich enge Bekanntschaften und Freundeskreise. Jedoch nehme nach der Zeit im Ensemble nicht nur der Kontakt unter der Spielern ab, sondern auch die Bindung zum Theater. An dieser Stelle erwiese sich besonders das bereits genannte Kleine Haus als ein wichtiger Ort, um die Beziehungen aufrecht zu erhalten. Als abschließendes Fazit der Untersuchung zur Dresdner Bürgerbühne möchte ich Müllers Aussage wiedergeben, dass diese trotz ihrer zweifelsohne positiven Auswirkung mit einer guten Portion Realismus betrachtet werden müsse80: Bezogen auf das häufig formulierte Ziel ›theaterferne‹ Zielgruppen an das Theater heranzuführen, sollte auch bei der Bürgerbühne Realismus herrschen: Die Interviewten, die vor der 74 75 76 77 78 79 80 Vgl. ebd., S. 173f. Vgl. ebd., S. 181f. Vgl. ebd., S. 175. Vgl. ebd. S. 182-185. Vgl. ebd., S. 177. Ebd., S. 177f. Vgl. ebd., S. 178-181. 15 Teilnahme an der Bürgerbühne nicht ins Theater gegangen sind, werden es auch danach nicht automatisch tun. Aber in allen Fällen ist das Theater eine relevante Freizeitoption geworden.81 2.4 Eine für alle? - Das potenzielle Bürgerbühnenpublikum unter der Lupe 2.4.1 Das Theaterpublikum – Eine wissenschaftliche Bestandsaufnahme Das Publikum – ein unbekanntes Wesen? [sic!] [...] Wer ist überhaupt das Kulturpublikum in Deutschland? Was sind seine Motive, was sind mögliche Barrieren? Die systematische Kulturnutzerforschung als Voraussetzung für die Entwicklung von Audience Development Strategien steht in Deutschland erst am Anfang.82 Diese Problematik wurde mir recht schnell bewusst, als sich herausstellte, dass am Nationaltheater Mannheim bislang eine einzige, für mich jedoch nicht zugängliche Erhebung durchgeführt wurde und ich somit keinerlei Kenntnisse zum Status Quo der Besucherstruktur besitze. Wenn ich also darüber forschen möchte, inwiefern durch die Bürgerbühne neue Besuchergruppen gewonnen werden können, so muss ich mich auf die Untersuchungen stützen, die es allgemein zum Theaterpublikum in Deutschland gibt. Allgemein lässt sich zum Kulturpublikum anmerken, dass dieses mittlerweile zwischen einer wachsenden Auswahl an Freizeit- und Kulturangeboten wählen kann. Aufgrund der »Expansion des privaten Kultursektors«83 und einer zunehmenden »Internationalisierung«84 sehen sich öffentlich geförderte Kultureinrichtungen wachsendem Konkurrenzdruck ausgesetzt und in der Verantwortung, »ihren Public Value [sic!] [...] heute mehr denn je unter Beweis zu stellen«85. Zugleich beobachtet beispielsweise Birgit Mandel »eine alarmierend geringe, sozial selektive und vor allem bei jüngeren Bevölkerungsgruppen sinkende Partizipation«86 an den Angeboten dieser Institutionen. Trotz einer gleichbleibenden Wertschätzung des Kulturangebotes innerhalb der Bevölkerung bedeutet dies, dass nur wenige junge Leute in der Kultur eine Bereicherung für ihr eigenes Leben sehen und dass das Kulturpublikum einem zunehmenden Alterungsprozess unterworfen ist.87 Darüber hinaus stellt sie fest, »dass das Bildungsniveau als Einflussfaktor auf kulturelle Partizipation [sogar] an Bedeutung gewonnen [habe]. Besonders bei den jungen Menschen [fänden] sich fast nur noch Gymnasiasten unter den Besuchern von Theatern, Konzerten und Museen«88. Diese Veränderungen bleiben auch beim Theaterpublikum nicht unbemerkt. So merkt Thomas Schmidt in seiner Betrachtung der Media Analyse 2009 an, dass »Theaterbesuche in der Beliebtheitsskala immer weiter ins Hintertreffen geraten [seien]. Demnach [schauten] 87,10% der Bevölkerung mindestens einmal in der Woche Fernsehen, nur 0,30% [gingen] in diesem Zeitraum 81 Ebd., S. 180. 82 Mandel, Birgit (2009), S. 26f. 83 Mandel, Birgit (2009), S. 26. 84Ebd. 85 Siebenhaar, Klaus (2009, b), S. 7. 86 Mandel, Birgit (2009), S. 25. 87 Vgl. ebd. 88Ebd. 16 jedoch ins Theater«89. Er konstatiert, dass zwischen 1995 und 2010, also in einem Zeitraum von 15 Jahren »das Theater etwa 2,2 Mio. Zuschauer verloren [habe]«90, was »durchschnittlich 150.000 Zuschauer[n] jährlich«91 entspreche. Im 1. InterKulturBarometer legt Susanne Keuchel dar, dass sich bundesweit 31% der Gesamtbevölkerung und 20% der Bevölkerung mit Migrationshintergrund generell für Theater interessierten.92 Davon gingen jedoch nur etwa 11% der Bevölkerung ohne und 5% der Bevölkerung mit Migrationshintergrund nach eigenen Angaben regelmäßig ins Theater.93 Demnach hätten »speziell die klassischen Kultureinrichtungen [darunter insbesondere Theater und Opernhäuser] Probleme, im gleichen Maße migrantische [...] und nichtmigrantische [...] Bevölkerungsgruppen als Zielgruppe – d.h. wiederkehrende Besucher – zu erreichen«94. Weitreichendere Erkenntnisse hinsichtlich der Zusammensetzung des Theaterpublikums liefern Patrick Föhl und Markus Lutz, die in ihrem Beitrag zu einem Sammelband über Kulturnutzerforschung einen Vergleich zwischen verschiedenen, bislang erschienen Studien zum Theater- und Opernpublikum ziehen. Die Untersuchungen unterscheiden sich hinsichtlich ihres Forschungsdesigns und -ziels, weshalb sie stellenweise zu abweichenden Resultaten gelangen. Auch muss kritisch angemerkt werden, dass nicht immer eindeutig zu trennen ist, welche Zahlen für das Opern- und welche für das Theaterpublikum gelten. Ich möchte dennoch versuchen, diejenigen soziodemografischen Tendenzen wiederzugeben, die eindeutig zu identifizieren sind. So kommen Föhl und Lutz zum dem Schluss, dass die von ihnen betrachteten Studien »insgesamt auf eine Altersverschiebung des Theaterpublikums (durchschnittlich älteres Publikum) in den Jahren des Betrachtungszeitraums (Studien seit 1990) [hinwiesen]«95. Während Rössel, Hackebroch und Göllnitz96 das »Durchschnittsalter von Theaterbesuchern mit 34,5 Jahren [benennen]«97, dienen die Studien von Tauchnitz an verschiedenen Theatern Deutschlands als Indikator für ein wesentlich älteres Publikum: So »lag das Durchschnittsalter [in einer Studie von 200098] bei 51 Jahren. [...] Hier bildeten mit einem Anteil von 29% die 56-65-Jährigen die stärkste Altersgruppe. In anderen Studien von Tauchnitz [stellten] mit 37%99 [...], 25%100 [...] und 26%101 [...] die 60- bis 69-Jährigen die stärkste Altersgruppe«102 dar. Allgemein wiesen die Studien darauf hin, dass der Rentner89 Schmidt, Thomas (2012), S. 60. 90Ebd. 91Ebd. 92 Vgl. Keuchel, Susanne (Zentrum für Kulturforschung, 2012), S. 97, Übersicht 49. 93 Vgl. ebd., S. 109, Übersicht 56. 94 Ebd., S. 186. 95 Föhl, Patrick S.; Lutz, Markus (2010), S. 43. 96 Vgl. Rössel, Jörg; Hackebroch, Rolf; Göllnitz, Angela: Die soziale und kulturelle Differenzierung des Hochkulturpublikums. In: Sociologia Internationalis. Internationale Zeitschrift für Soziologie, Kommunikations- und Kulturforschung. 40. Band. Heft 2. n. a., S. 191-212. Zitiert nach: Ebd., S. 42. 97 Ebd., S. 43 98 Vgl. Tauchnitz, Jürgen (2000): Bevölkerungsbefragung zum Theater der Landeshauptstadt Magdeburg 1999. Zusammenfassung der Studie. Senftenberg. Zitiert nach: Ebd. 99 Vgl. Tauchnitz, Jürgen (2003): Besucherbefragung Semperoper Dresden. Zusamenfassung der Studie. Senftenberg. Zitiert nach: Ebd. 100 Vgl. Tauchnitz, Jürgen (2004): Publikum im Rampenlicht. Zweite gemeinsame Studie der Berliner Bühnen. Zusammenfassung der Studie. Senftenberg. Zitiert nach: Ebd. 101 Vgl. Tauchnitz, Jürgen (2005): Publikumsbefragung in Hamburg. Zusammenfassung der Studie. Senftenberg. Zitiert nach: Ebd. 102Ebd. 17 anteil gestiegen sei.103 Bei der Untersuchung der Geschlechterverteilung wurde in fast allen Fällen bei den Theaterbesuchern ein höherer Frauenanteil festgestellt. Bei Rössel; Hackenbroch; Göllnitz (2002) liegt dieser bei 59%, bei Tauchnitz schwanken die Werte innerhalb seiner Erhebungen von 2000, 2003, 2004 und 2005 zwischen 53% und 64%.104 Darüber hinaus legen die Studien nahe, dass das Theaterpublikum über ein recht hohes Bildungsniveau verfügt. Bei den bereits beschriebenen Tauchnitz-Studien hätte der Großteil der Befragten einen Hochschulabschluss gehabt – die Werte schwanken jedoch zwischen 38% und 62%.105 »Bei Frank; Maletzke; Müller-Sachse (1991) [verfügten] 73% der Theaterbesucher mindestens über einen weiterführenden Schulabschluss.«106 Zum selben Ergebnis komme auch Martin, die »ebenfalls empirische Zusammenhänge hinsichtlich der Intensität eines Theaterbesuchs nachweisen [könne]. Das Abitur sei dabei ein so genanntes SplitKriterium«107. Bei der Analyse der Berufs- und Einkommensverhältnisse sei es zu unterschiedlichen Befunden gekommen. Festhalten lässt sich jedoch, dass der Arbeiteranteil im Theater relativ gering ausfalle (nach Rössel; Hacker; Göllnitz 2002 bei etwa 3,5%).108 In den Studien von Tauchnitz stellt sich zudem heraus, dass sich »das frei verfügbare monatliche Konsumbudget bei ca. einem Viertel der Befragten zwischen 1.000 bis 2.000 Euro [bewege]«109. Was lässt sich folglich als allgemeine Tendenz über das Theaterpublikum aussagen? Trotz Abweichungen der einzelnen Studien ist zusammenfassend erkennbar, dass – wie Birgit Mandel schon andeutete – das Publikum sich weitestgehend aus dem einkommensstarken Bildungsbürgertum mittleren bis hohen Alters zusammensetzt. Der durchschnittliche Theaterbesucher wäre demnach eine Frau zwischen 50 und 60 Jahren, die mindestens Abitur gemacht hat und aller Wahrscheinlichkeit nach keinen Migrationshintergrund besitzt. Ein ‚neues‘ Publikum zu gewinnen hieße folglich, eine jüngere, zu gleichen Teilen weibliche und männliche und hinsichtlich des Bildungsgrads und Migrationshintergrundes gemischte Zielgruppe zu erreichen. Ob dies mit Hilfe der Bürgerbühne gelingen kann, soll in den folgenden Abschnitten der Forschungsarbeit empirisch untersucht werden. Doch bevor dies erfolgt, möchte ich noch einen kurzen Blick auf ein ganz spezielles Theaterpublikum werfen, und zwar auf das Publikum, welches von der Mannheimer Bürgerbühne potenziell angesprochen werden soll: die Mannheimer Bürger. 2.4.2 Wer sind eigentlich diese Mannheimer? An dieser Stelle seien einige wenige Fakten zur Mannheimer Bevölkerung genannt, da ich der Ansicht bin, dass man, um etwas über das Publikum einer bestimmten Einrichtung und dessen Entwicklung aussagen zu können, einen Überblick darüber haben sollte, wer als Besucher überhaupt 103 Vgl. ebd. 104 Vgl. ebd. 105 Vgl. ebd., S. 44. 106 Vgl. Frank, Bernward; Maletzke, Gerhard; Müller-Sachse, Karl H. (1991, Hrsg.): Kultur und Medien. Angebot-Interesse-Verhalten. Eine Studie der ARD/ZDF-Medienkommission. Baden-Baden: Nomos. Zitiert nach: Ebd. 107 Vgl. Martin, Uta (1999): Typologisierung des Theaterpublikums: Das Erkenntnispotential der verhaltensorientierten Marktsegmentierung für das Marketing öffentlich-rechtlicher Theater. Dresden: TU Dresden. Zitiert nach: Ebd. 108 Vgl. ebd., S. 44f. 109Ebd. 18 potenziell erreicht werden könnte. Dies scheint umso mehr für eine Institution relevant, die es sich zum Anspruch macht, möglichst viele Bürger einzubeziehen. Die Website der Stadt Mannheim gibt einen guten statistischen Überblick zur Bevölkerungsstruktur. Derzeit haben 307.936 Bürger in Mannheim ihren Hauptwohnsitz angemeldet (Stand: 31.12.2013). Davon sind 50,2% Frauen (154.445), 14,8% Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren (45.633) und 35% Männer.110 Darüber hinaus lässt sich feststellen, dass der Anteil der Einwohner mit Migrationshintergrund bei etwa 38,7% liegt – diese Zahl wurde Abb. 2: Sinus-Milieus in Mannheim. ein Jahr zuvor gemessen (31.12.2012) und ist daher eventuell Quelle: Stadt Mannheim nicht mehr ganz aktuell. Am stärksten vertreten sind dabei Menschen mit türkischem (22,4%), polnischem (14,3%) und italienischem (7,8%) Migrationshintergrund.111 Darüber hinaus liegt eine Sinus-Milieu-Studie zur Mannheimer Bevölkerung vor, auf die ich jedoch im Rahmen dieser Forschungsarbeit nicht im Detail eingehen möchte. Ich möchte an dieser Stelle lediglich eine kleine Grafik (Abb. 2) einfügen, in der eine prozentuale Übersicht der Milieus für Mannheim dargestellt wird. Auffällig an dieser ist, dass das sogenannte ‚hedonistische Milieu‘ gut 23% der Bevölkerung ausmacht.112 Dieses wird folgendermaßen charakterisiert: »Die spaß- und erlebnisorientierte moderne Unterschicht/untere Mittelschicht: Leben im Hier und Jetzt, Verweigerung von Konventionen und Verhaltenserwartungen der Leistungsgesellschaft«113. Damit liegt dieses Milieu deutlich über dem bundesweiten Wert von 15%.114 »Insgesamt zeig[e] sich [laut der Statistik; E.G.] für Mannheim eine leichte Unterrepräsentanz der Milieus der Mitte zugunsten von Milieus sowohl höherer als auch unterer Schichten.«115 Für die weitere Untersuchung wird es spannend sein, nachzuvollziehen, ob die Bürgerbühne es vermag, die Bevölkerung Mannheims im weitestem Sinne zu repräsentieren. 3 Der Methodenmix An den bislang dargestellten Überlegungen anknüpfend, möchte ich nun zum praktischen Forschungsteil übergehen. Im Folgenden soll daher genauer auf das Forschungsdesign und den -prozess meiner Untersuchung eingegangen werden. Mit Blick auf den begrenzten Umfang einer Masterarbeit und dem Wunsch, analytisch in die Tiefe gehen zu können, habe ich mich dazu entschlossen, eine Fallstudie116 durchzuführen. D.h. die Absicht meines Forschungsvorhabens war es, das Phänomen der Mannheimer Bürgerbühne in Bezug auf AD-spezifische Merkmale hin möglichst gesamtheitlich zu untersuchen. Meine Studie sollte 110 111 112 113 114 115 116 Vgl. Stadt Mannheim (31.12.2013). Vgl. Stadt Mannheim (31.12.2012). Vgl. Stadt Mannheim. Stadt Mannheim. Kommunale Statistikstelle (Juni 2011), S. 5. Vgl. ebd., S. 7. Ebd. Vgl. Flick, Uwe (2010), S. 253f. 19 aufgrund des bislang wenig erforschten Gebietes explorativ angelegt sein; demnach wurde die Fragestellung, trotz theoretischer Vorüberlegungen, offen gehalten. Da ich mich bis zum Zeitpunkt der Masterarbeit noch nicht näher mit der Mannheimer Bürgerbühne befasst hatte, entschied ich mich für eine Kombination aus qualitativen Leitfadeninterviews und einer quantitativen Erhebung mittels Fragebogen. Die Interviews mit der Koordinatorin der Bürgerbühne und einigen Teilnehmern sollten zunächst dazu beitragen, einen inhaltlichen Zugang zur Institution Bürgerbühne zu schaffen und dadurch Ideen für die Entwicklung eines Fragebogens für alle Teilnehmer der Bürgerbühne zu generieren. Dieser wiederum sollte eine langfristige Untersuchung des Besucherverhaltens der Bürgerbühnen-Teilnehmer leisten und dabei auf dem bereits generierten Wissen aufbauen. Die zwei Forschungsinstrumente knüpfen inhaltlich und zeitlich aneinander an, indem sich aus den Interviews ergebende neue Fragen sowie Hypothesen in die Konzeption des Fragebogens einfließen. In diesem Sinne könnte man von einem »Phasenmodell«117 sprechen, wobei ich keine der zwei Phasen als jeweils wichtiger, sondern als gleichermaßen von Bedeutung für die Untersuchung der Fragestellung erachte. Im nächsten Kapitel soll zunächst detailliert auf die qualitative Befragung eingegangen werden. 4 Qualitative Untersuchung: Leitfadeninterviews Wie bereits in Kapitel 3 angeklungen, machte die Eigenschaft der qualitativen Erhebung, dass in einer »relativ offenen Gestaltung der Interviewsituation die Sichtweisen der [Teilnehmer der Bürgerbühne; E.G.] eher zur Geltung kommen als in standardisierten Interviews oder Fragebögen«118, sie zu einem geeigneten Ausgangspunkt meines Forschungsvorhabens. Die dialogische Situation sollte es ermöglichen, die Teilnehmer gewissermaßen als Experten119 auftreten zu lassen und bei Unklarheiten Rückfragen zu stellen. Um dennoch fokussiert vorgehen zu können und zu meiner Fragestellung passende Antworten zu erhalten, fiel die Wahl auf das Leitfadeninterview. Hierfür wurden zwei Leitfäden entwickelt – einer für die Koordinatorin der Bürgerbühne und einer für die Teilnehmer. Im Folgenden soll daher knapp auf die Kriterien bei der Generierung der Leitfäden eingegangen werden, bevor anschließend in den einzelnen Kapiteln die Auswertung der Interviews mittels einer qualitativen Inhaltsanalyse reflektiert werden soll. 4.1 Generierung der Leitfäden Bei der Ausarbeitung der Leitfäden wurde die Publikation von Jochen Gläser und Grit Laudel (2009) zur Orientierung genommen. Dabei wurde versucht, »das aus der Untersuchungsfrage und 117 Vgl. Kelle, Udo; Erzberger, Christian (2010), S. 300ff. 118 Flick, Uwe (2007), S. 194. 119 Darüber, ob ein Experteninterview im eigentlichen Sinne vorliegt, lässt sich streiten. Unter den Befragten eines solchen Interviews werden allerdings i.d.R. »Mitarbeiter einer Organisation in einer spezifischen Funktion und mit einem bestimmten (professionellen) Erfahrungswissen« verstanden. (Ebd., S. 215). Dennoch lassen sich die Bürgerbühnen-Mitglieder als Experten auf ihrem Gebiet definieren. Darüber hinaus trifft eines der Anwendungsgebiete zu: So dient es u.a. der »Exploration [...] [und] Orientierung in einem neuen Feld, um darüber das ‚Untersuchungsfeld thematisch zu strukturieren und Hypothesen zu generieren‘». Bogner, Alexander; Menz, Wolfgang (2002): Das theoriegenerierende Experteninterview. Erkenntnisinteresse, Wissensformen, Interaktion, S. 37. In: Bogner, Alexander; Littig, Beate; Menz, Wolfgang: Das Experteninterview. Theorie, Methode, Anwendung. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, S.33-70. Zitiert nach: Ebd., S. 216. 20 den theoretischen Vorüberlegungen abgeleitete Informationsbedürfnis in Themen und Fragen des Leitfadens [zu übersetzen]«120. Dabei sollten zum einen, dem »Prinzip der Offenheit« entsprechend, die Fragen derart gestaltet werden, »dass sie dem Interviewten die Möglichkeit geben, seinem Wissen und seinen Interessen entsprechend zu antworten«121; zum anderen sollten sie ein strukturelles Gerüst vorgeben, an dem ich mich flexibel entlang bewegen konnte, um meinem Erkenntnisinteresse genügende Antworten zu erhalten. So wurde versucht den vier Anforderungen an Leitfadeninterviews nach Hopf, wie sie bei Gläser und Laudel reformuliert werden, – Reichweite, Spezifität, Tiefe und Personaler Kontext – zu entsprechen. Das bedeutet, im Interview sollte »ein hinreichend breites Spektrum von Problemen angesprochen werden, damit die Befragten eine möglichst große Chance haben, in nicht antizipierter Weise zu reagieren«122. Einzelne Themenbereiche sollten nicht stupide abgefragt, sondern die Teilnehmer der Bürgerbühne mittels »Erzählanregungen«123 dazu bewegt werden, »komplexe[..], zusammenhängende[...], von ihnen selbstgesteuerte«124 Antworten zu geben (Reichweite). Darüber hinaus sollte der Leitfaden »das Erkenntnisinteresse in den Kontext des Erfahrungshintergrundes [der einzelnen Teilnehmer; E.G.] übersetzen«125, um den »jeweils besonderen Gehalt von Äußerungen«126 aus ihnen herauszukitzeln, anstatt standardisierte Antworten zu erhalten (Spezifität). Schließlich war es wichtig, den Bürgerbühnen-Teilnehmern die Möglichkeit zu geben, beim Antworten in die Tiefe zu gehen, d.h. sie »bei der Darstellung der affektiven, kognitiven und wertbezogenen Bedeutung bestimmter Situationen und bei der Darstellung [ihrer] Involviertheit [zu unterstützen]«127 (Tiefe) sowie ihren »persönliche[n] und soziale[n] Kontext«128 zu erfassen, um ihre Reaktionen richtig deuten zu können (Personaler Kontext).129 Diese vier Prinzipien dienten bei der Generierung als Stütze und sollten bei der Ausformulierung der Fragen berücksichtigt werden. Es wurde darauf geachtet, dass die Fragen möglichst klar und eindeutig sowie in lockerer Umgangssprache formuliert wurden.130 Die Fragen wurden meist durch einen kurzen einleitenden Satz meinerseits eingeführt, um die Natürlichkeit der Gesprächssituation zu unterstreichen. Pro Frage sollte nur ein Punkt abgefragt werden, damit der Interviewpartner sich auf diesen konzentrieren konnte. Bei Unsicherheiten oder Ungenauigkeiten der Teilnehmer sollte auf Detailfragen zurückgegriffen werden können. Es wurden verschiedene Fragetypen eingesetzt und dabei eine ausgewogene Mischung aus Fakt- und Meinungsfragen angestrebt. Abschließend wurden alle Fragen nochmals auf ihre Sinnigkeit und Relevanz hin überprüft. 120 Gläser, Jochen; Laudel, Grit (2009), S. 115. 121Ebd. 122 Ebd., S. 116. 123Ebd. 124Ebd. 125Ebd. 126Ebd. 127Ebd. 128Ebd. 129 Vgl. ebd. 130 Vgl. ebd., S. 131-142. 21 Da »[d]ie Reihenfolge der Fragen [...] für den Erfolg eines Interviews nicht weniger wichtig [ist] als ihr Wortlaut [...] [und] über den Umfang und die Genauigkeit, mit der ein Interviewpartner antwortet [sowie; E.G.] in manchen Fällen auch über die Inhalte der Antworten [entscheidet]«131, wurde ein besonderes Augenmerk auf die Struktur des Leitfadens gelegt. Der Erzählfluss sollte mit einer leicht zu beantwortenden Einstiegsfrage angeregt werden. Bei den Teilnehmern war dies die Frage nach dem Thema des Spielclubs/der Inszenierung und ihrem Interesse daran. Hierbei muss kritisch angemerkt werden, dass alle drei Beteiligten – wohl auch aufgrund ihrer Begeisterung – sehr lange und ausführlich über Inhaltliches sprachen, wobei sich die Antworten für die eigentliche Forschungsarbeit letztlich von geringerer Relevanz erwiesen. Anschließend wurde relativ chronologisch bzw. logisch vorgegangen, wobei durch die Unterteilung in einzelne Themenblöcke eine flexible und doch relativ konsistente Handhabung des Fragebogens möglich wurde. Abschließend wurden (bei der Befragung der Teilnehmer) Personendaten aufgenommen und die Möglichkeit gegeben, noch nicht Angesprochenes zu äußern.132 Die Leitfäden wurden zwischen den einzelnen Interviews geringfügig modifiziert und so z.B. um die Frage nach Theaterabos erweitert. Im Folgenden soll es nun um die Auswertung der leitfadengestützten Interviews gehen. 4.2 Festlegung des Ausgangsmaterials und Befragungssituation133 4.2.1 Festlegung des Materials Bei dem vorliegenden Material handelt es sich um vier qualitative Interviews, die am 20.12.2013 und 22.12.2013 während einer Befragung am Nationaltheater Mannheim entstanden sind; davon eines mit der Koordinatorin der Mannheimer Bürgerbühne, Stefanie Bub, und drei mit Teilnehmern der Angebote der Bürgerbühne. Bei der qualitativen Inhaltsanalyse ausgenommen wird das Interview mit der Koordinatorin, welches vor allem als persönlicher Input verstanden wird. Die Interviewpartner wurden in zwei Schritten ermittelt. Zunächst wurden mit der Hilfe von Stefanie Bub alle Mitglieder der Inszenierungen und Workshops der Spielzeit 12/13 (die erste Spielzeit am Mannheimer Nationaltheater mit Bürgerbühne) angeschrieben und gefragt, ob sie bereit wären, sich von mir interviewen zu lassen. Daraus resultierte eine Liste von ‚befragungswilligen‘ Teilnehmern der drei bisherigen Inszenierungen am Nationaltheater Soul City, Nichts. Was im Leben wichtig ist und Kleiner Mann(heimer) – was nun? sowie der Spielclubs der Spielzeit 12/13. Aus dieser Liste wählte ich daraufhin vier Personen aus. Das Ziel der Auswahl war eine maximale Varianz der zu Befragenden zu erreichen, wenngleich klar war, dass damit kein gänzlich repräsentatives Ergebnis erzielt werden konnte. Da mir zu diesem Zeitpunkt einzig der Name, dadurch Geschlecht, sowie die Zugehörigkeit zu einer Inszenierung bzw. Spielclub bekannt waren, wählte ich nach folgendem Schema aus: 131 Ebd., S. 146. 132 Vgl. ebd., S. 144-150. 133 Bei den einzelnen Schritten der qualitativen Inhaltsananlyse habe ich mich an Mayring orientiert. Vgl. hierzu Mayring, Philipp (2010), S. 52f. 22 •2 Männer: 1 Teilnehmer Inszenierung A, 1 Teilnehmer Spielclub B •2 Frauen: 1 Teilnehmerin Inszenierung C, 1 Teilnehmerin Spielclub D Die Inszenierungen ließen darauf schließen, dass alle Interviewpartner schon seit einiger Zeit bei der Bürgerbühne mitspielten. Es handelt sich bei diesen um besonders zeitintensive und langfristige Projekte, weshalb ein guter Ausgangspunkt vorlag, um eine Langzeitwirkung erfragen zu können. Durch die Varianz der Inszenierungen versuchte ich dabei möglichst unterschiedliche Eindrücke einzuholen. Auch bei den Teilnehmern der Spielclubs lag bereits einige Zeit zwischen Spielclubbeginn und Befragung, wobei hierbei zu beachten ist, dass diese nur eine Spielzeit lang laufen. Es war also möglich, dass die Teilnehmer sich in der Zwischenzeit noch für weitere Angebote der Bürgerbühne interessiert und angemeldet hatten. Darüber hinaus war bei der Inszenierung Nichts. Was im Leben wichtig ist davon auszugehen, dass es sich um eine/n Jugendliche/n handeln würde, da dies eine Inszenierung der Jungen Bürgerbühne (ab 14 Jahren) war. Somit war auch auf eine Durchmischung der Altersgruppen zu hoffen. Diese Überlegungen führten schließlich zu folgender Auswahl: •Kleiner Mann(heimer) - was nun? (Info-Wochenende: 12.-14.11.2012; Premiere 11. Juli 2013): KF, weiblich •Nichts. Was im Leben wichtig ist („Kick-off “: 15.11.2012; Premiere 5. April 2013): TW, männlich •Club der Sucher nach der verlorenen Zeit (Start 10. Oktober 2012): GP, weiblich •Club der toten Dichter oder wie Wörter lebendig werden (Start 8. Oktober 2012): DH, männlich 4.2.2 Analyse der Befragungssituation Die Teilnehmer erklärten sich freiwillig dazu bereit, an den Interviews teilzunehmen. Per E-Mail wurden anschließend die Termine für die Interviews individuell vereinbart; diese wurden im Zeitraum vom 20.12.2013 – 22.12.2013 in der Lobby des Werkhauses am Mannheimer Nationaltheater durchgeführt und mit einem Aufnahmegerät aufgezeichnet. Es wurde je ein halbstrukturierter Leitfaden für das Interview mit Stefanie Bub sowie einer für die Teilnehmer der Bürgerbühne verwendet. Unglücklicherweise erschien die Teilnehmerin von Kleiner Mann(heimer) - was nun? nicht zum Interviewtermin. Aufgrund der großen Distanz nach Mannheim und dem damit verbundenen finanziellen und organisatorischen Aufwand entschied ich mich dazu, das Interview nicht nachzuholen. Somit reduzierte sich das Material auf drei Teilnehmer-Interviews. 4.2.3 Formale Charakteristika des Materials Zunächst wurde das Interview mit Stefanie Bub, nach Absprache mit dem Betreuer der Masterarbeit dann der Rest der Interviews transkribiert. Eine Tabelle mit den verwendeten Transkriptions23 regeln befindet sich im Anhang. Anschließend wurden die einzelnen Interviews analysiert und der Inhalt für die weitere Verwendung bei der Konstruktion des Fragebogens aufbereitet. 4.3 Vorgehensweise bei der Kategorisierung und Analyse der Interviewtranskripte 4.3.1 Festlegen der Analyseeinheiten Für die Auswertung der Interviewtranskripte wurden folgende Analyseeinheiten134 bestimmt: •Kodiereinheit: sinntragende Einheit bestehend aus nur einem Wort in Verbindung mit eindeutiger Zuordnung zu relevantem Bezugswort •Kontexteinheit: alles Material des relevanten Falls •Auswertungseinheit: chronologisch nach Erhebungszeitpunkt Darüber hinaus sollten sehr grobe Kriterien für die inhaltliche Filterung des Materials festgelegt werden, um die Vielzahl an Informationen vorab nochmals zu selektieren und dadurch die anschließenden Schritte zu vereinfachen. Als Selektionskriterien wurden demnach festgelegt: •Wahrnehmung der Bürgerbühne •Distributionswege/Öffentlichkeitswirksamkeit •Bewertung des Angebots •Bindung(sentwicklung) im Bezug auf das Nationaltheater 4.3.2 Vorgehensweise bei der Kategorienbildung135 4.3.2.1 Filtern des Transkripts Das erste Interviewtranskript galt dem Ermitteln und der Erprobung einer geeigneten Analyseweise. Diese wurde an die qualitative Inhaltsanalyse von Mayring angelehnt. Bei der Interpretationsmethode wurde die Zusammenfassung gewählt mit dem »Ziel [...], das Material so zu reduzieren, dass die wesentlichen Inhalte erhalten bleiben«136 sowie »durch Abstraktion einen überschaubaren Corpus zu schaffen, der immer noch Abbild des Grundmaterials ist«137. Ich entschied mich für eine induktive Kategorienbildung138, d.h. die Kategorien sollten aus dem Transkript gewonnen werden. Dabei galten die zuvor festgelegten Selektionskriterien, die sich an der Fragestellung und der im Leitfaden gestellten Fragen orientieren, als grobes Analysegerüst. Es wäre also nicht ganz richtig zu sagen, dass völlig unvoreingenommen auf das Textmaterial zugegriffen wurde; während der Analyse wurde jedoch versucht, Themenkomplexen gegenüber offen zu bleiben, welche sich 134 Vgl. ebd., S. 59. 135 Auch hierbei habe ich mich an Mayring orientiert. Vgl. ebd., S. 68. 136 Ebd., S. 65. 137Ebd. 138 Vgl. ebd., S. 65f., S. 67-70., S. 83-85. 24 aus dem Material heraus ergeben. Zusätzlich sollte die eigene Zuordnung in mehreren Schritten immer wieder kritisch hinterfragt werden: 1. Schritt: Durcharbeiten des 1. Transkripts (Proband TW) hinsichtlich der festgelegten Selektionskriterien, dabei Markieren von relevant erscheinenden Stellen. 2. Schritt: Nochmaliges Durchsehen des nun gefilterten Transkripts; weitere unwichtige Stellen wurden entfernt, der Rest als relevantes Material definiert. 3. Schritt: Herausfiltern der relevanten Abschnitte; Eintragen nach sinngemäßer Zusammenghörigkeit in eine Tabelle als ‚Textabschnitt‘. 4.3.2.2 Abstraktion 4. Schritt: Bilden einer Paraphrase durch Entnahme unnötiger Füllwörter; wörtliche Rede oder umständliche Formulierungen seitens des Interviewpartners wurden vorsichtig und unter Beibehaltung des Sinns umformuliert. 5. Schritt: Nochmaliges Durchsehen aller Paraphrasen; sie wurden dahingehend befragt, ob sie sich in weitere inhaltliche Bestandteile aufbrechen lassen. 6. Schritt: Restrukturierung des Materials in der Tabelle in kleinere Sinneinheiten; damit wurde die sinnvollste inhaltliche Zusammengehörigkeit angestrebt, feinere Analyse sollte ermöglicht werden, um möglichst alle Details zu erfassen. 4.3.2.3 Generalisierung und Strukturierung: Kategorienbildung 7. Schritt: Befragung der abstrahierten Paraphrasen hinsichtlich ihrer Grundaussage; für die Analyse Unwichtiges wurde ausgelassen. 8. Schritt: Thematische Zuordnung der generalisierten Aussagen mittels Farbmarkierungen; hierdurch entstanden Kategorien, die durch mehrmaliges Durcharbeiten der generalisierten Aussagen überprüft wurden (Greifen sie tatsächlich? Sind alle Textabschnitte einer Kategorie zuzuordnen? Gibt es zu viele inhaltliche Überschneidungen mit anderen Kategorien?); eine Zuordnung zu mehreren Kategorien sollte möglich sein, wurde aber versucht zu vermeiden, da sonst die Kategorien hinfällig wären. Durch Schritt 7 und 8 wurden folgende acht Kategorien festgelegt (A-H). Diese Kategorien sind zwei Themenfeldern zugeordnet, die in leicht modifizierter Weise den Selektionskriterien entsprechen: Themenfeld 1: Wahrnehmung und Bewertung der Bürgerbühne A)Bürgerbühnen-Begriff: Was verstehen die Teilnehmer unter der Bürgerbühne? B)Partizipation/Inklusion: Wer macht (nicht) mit? 25 C)Thematik: Wie werden die Themen von den Teilnehmern bewertet? D)Ästhetik: Was macht die spezifische Ästhetik aus? E)Organisatorisches: Wie lassen sich die Angebote in den Alltag integrieren? Themenfeld 2: Bindung(sentwicklung) im Bezug auf das Nationaltheater F)Persönlichkeitsmerkmale/Theateraffinität: Welche Person habe ich vor mir? Erfahrungen mit dem (National-)Theater? G)Öffentlichkeitswirksamkeit/Marketing: Wie wurden die Teilnehmer aufmerksam? Marketings- und Bindungsstrategien der Bürgerbühne/des Nationaltheaters? H)Besucherverhalten(sänderung) und persönlicher Bezug: Hatte die Bürgerbühne Auswirkungen auf die Häufigkeit der Theaterbesuche oder die emotionale Bindung? Schritt 9: Bearbeitung der einzelnen, mit Aussagen des Interviewpartners gefüllten Kategorien: Inhaltliche Doppelungen wurden herausgenommen, die generalisierten Aussagen dabei auf wesentliche inhaltliche Bestandteile reduziert; Umarbeitung in Fließtext. Schritt 10: Wiederholung der Schritte für die weiteren Interviews; dabei wurden die bereits ermittelten Kategorien zur Strukturierung des Transkripts verwendet, damit eine effizientere Arbeitsweise möglich wurde; es wurde versucht für eine mögliche Erweiterung des Kategoriensystems offen zu bleiben, falls Einzelaussagen aus dem bereits ermittelten Raster herausfallen sollten. 4.4 Auswertung der Interviews mit den Teilnehmern der Bürgerbühne Alle Teilnehmer-Interviews wurden nach dem eben beschriebenem Schema ausgewertet. Im Folgenden befindet sich eine Einzeldarstellung aller untersuchten Fälle, nach welcher anschließend zusammenfassend die Überschneidungen der drei Interviews dargestellt und daraus Hypothesen und Ideen für den Fragebogen generiert werden sollen. 4.4.1 Auswertung des Interviews mit TW A) Bürgerbühnen-Begriff TW kann mit dem Begriff der Bürgerbühne zunächst wenig anfangen. Er reagiert dementsprechend unsicher auf die Frage danach. Das liegt daran, dass er sich als Teil einer Inszenierung am Schnawwl sieht und die Bürgerbühne dort kein Thema war. Laut ihm bekamen die Jugendlichen von dieser nichts mit und es fand kein Austausch zwischen jugendlichen und erwachsenen Inszenierungsteilnehmern statt.139 Trotz einiger Unsicherheit weiß er allerdings, dass es auch theaterpädagogische Angebote für Erwachsene gibt und hat davon mitbekommen, dass das Angebot für Jugendliche unter dem Namen 139 Vgl. TW (20.12.2013), S. 6-8, Zeile 215-282. 26 Junge Bürgerbühne mit der Bürgerbühne zusammengeführt wurde.140 Er beschreibt die Besonderheit, dass sie bei ihrer Inszenierung mit einem eigenen Regisseur zusammen gearbeitet hätten und, dass sie nur Jugendliche gewesen seien. Die Arbeit mit einem professionellen Team sieht er als Charakteristikum an, ist sich aber unsicher, ob das bei der Bürgerbühne immer der Fall ist.141 Bei der Bürgerbühne würden Leute mitmachen, die Spaß am Spielen hätten, aber davon nicht ihren Lebensunterhalt bestreiten müssten. Leute, die Freude an der Gruppe hätten und gerne anderen etwas zeigten, was sie selbst mitaufgebaut hätten. Besonders sei, dass man viel selber mitentscheiden und mitwirken könne.142 Für ihn persönlich scheint der Begriff der Bürgerbühne jedoch keine besondere Relevanz zu haben, er verbindet mit der Inszenierung einfach »ne coole Zeit in der Gruppe«143, nicht explizit die Teilnahme an der Institution Bürgerbühne. Das Zusammenspielen habe ihm »höllisch Spaß«144 gemacht. B) Partizipation/Inklusion TW betont, dass zur Auswahl der Inszenierungsteilnehmer ein Auswahlworkshop stattfgefunden habe, kein Casting. Es habe 50 Teilnehmer gegeben, die zusammen in einer Gruppe mit Improvisationsübungen und Tanz arbeiteten. Die Auswahl erfolgte demnach nicht durch Vorsprechen. Der Workshop sei durch Regisseur, Choreograph und Regieassistentin beobachtet worden; abends hätten sie dann einen Anruf erhalten, dass sie eine Runde weiter gekommen seien. Am dritten Tag sei die Auswahl der eigentlichen Teilnehmer getroffen worden. Relevant erscheint, dass laut TW insgesamt acht Jugendliche ausgesucht wurden, die nicht nur als Schauspieler, sondern auch als Mitgestalter im Backstagebereich, z.B. bei den Kostümbildnern, Bühnenbildnern und bei der Regieassistenz fungieren, also in alle Produktionsbereiche involviert werden sollten.145 TW erklärt, dass ganz unterschiedliche Menschen bei der Bürgerbühne mitmachten, dabei erscheint ihm besonders, dass man am Theater oder auch an der Bürgerbühne selbst viel mitentscheiden und mitwirken könne. Das sei für ihn auch das Besondere, dass Menschen zusammen ein Stück aufbauten, zusammen spielten und es Menschen preisgäben. Die Mischung unterschiedlicher Charaktereigenschaften und Interessen findet er dabei interessant.146 Die Zuschreibung ‚unterschiedlich‘ scheint sich jedoch hauptsächlich auf die Charaktere zu beziehen. Er gibt zunächst an, dass die Inszenierungsteilnehmer anders als ausgebildete Schauspieler nicht wussten, wie man an ein Stück, an eine Rolle herangehen müsse.147 Im Laufe des Gesprächs wird 140 Vgl. ebd., S. 7, Zeile 258-270. 141 Vgl. ebd., S. 7, Zeile 241-243. 142 Vgl. ebd., S. 6f, Zeile 215-220. 143 Ebd., S. 15, Zeile 516. 144 Ebd., Zeile 517. 145 Vgl. ebd., S. 3f, Zeile 96-118. 146 Vgl. ebd., S. 13, Zeile 433-441. 147 Vgl. ebd., S. 10, Zeile 346-356. 27 jedoch deutlich, dass alle Spieler bereits theaterinteressiert und -erfahren waren. Einer spielt beispielsweise schon seit sieben Jahren in einem Stadttheater.148 Sehr wichtig scheint für TW der Begriff der ‚Gruppe‘ zu sein: Er beschreibt die Zusammenarbeit in dieser folgendermaßen: Es sei nicht darum gegangen, einfach Text auswendig zu lernen. Sie hätten eine eigene Probebühne und Küche gehabt und täglich gemeinsam zu Mittag gegessen. Die Gruppe versteht er als »Familie«149, die sich über die Monate hinweg entwickelt hat. Das eigentliche Stück sei quasi nebenher entstanden.150 C) Thematik TW empfindet das Stück Nichts. Was im Leben wichtig ist als sehr dramatisch. Es gab anscheinend eine schockierte Reaktion des Publikums. Nach Meinung des Interviewpartners wirkt das Stück aber nicht abschreckend, er bewertet es als »sehr gut«151. TW glaubt, der Sinn eines Theaterstücks liege u.a. darin, sich danach Gedanken darüber machen zu können. Diese Qualität sieht er gerade bei Nichts. Was im Leben wichtig ist und v.a. für Jugendliche, da die Thematik der ‚Bedeutung‘ für sie in ihrem Lebensabschnitt relevant sei. Erwachsene hätten die im Stück beschriebenen Erfahrungen schon gesammelt. Auch in der Inszenierungsgruppe sei das Stück gemeinsam gelesen und nach persönlichen Dingen mit Bedeutung gesucht worden. TW denkt, die verhandelte Thematik bei der Bürgerbühne greife mehr am Menschen an und beschäftige das Publikum mehr als andere Stücke. Das findet er interessant.152 D) Ästhetik Als spezifische Ästhetik der Bürgerbühne beschreibt er die Authentizität (»authentisch[...]«153, »echt rüberkommen«154). Er bezieht sich in seiner Argumentation allerdings ausschließlich auf die Jugendinszenierung, an der er mitgewirkt hat. Diese werde dadurch authentisch, dass jugendliche Figuren von Jugendlichen verkörpert würden und nicht von Erwachsenen.155 Ein weiteres Merkmal der Inszenierung sei die Fülle an schnell vorgetragenem Text. Er weist darauf hin, dass morgens nach den Schulvorstellungen immer Nachgespräche stattfänden. Hierbei hätten schon oft Leute angemerkt, dass sie aufgrund der Vortragsweise dem Stück zunächst nicht folgen konnten. Auch sagt er, dass die Inszenierung »nicht so wie klassisches Theater«156 sei. Das äußere sich darin, dass alle Spieler das ganze Stück auf der Bühne blieben und zwischen mehreren Rollen wechselten, was intensives Zuschauen vom Publikum fordere. Gerade die Vielfalt der Rollen mache das Spielen 148 Vgl. ebd. S. 13, Zeile 450-458. 149 Ebd., S. 10, Zeile 355. 150 Vgl. ebd., Zeile 346-356. 151 Ebd., S. 2, Zeile 65. 152 Vgl. ebd., S. 16f, Zeile 569-590. 153 Ebd., S. 9, Zeile 299. 154 Ebd., Zeile 298. 155 Vgl. ebd., S. 9, Zeile 206-302. 156 Ebd., Zeile 311. 28 für ihn interessant und bereitet ihm Spaß. Man könnte also sagen, dass ihm ästhetisch insbesondere moderne und experimentelle Formen gefallen.157 TW glaubt, dass nicht nur professionelle Schauspieler Zuschauer beeindrucken können. Allerdings kann er nicht sagen, ob es tatsächlich einen Unterschied zwischen Schauspielern oder Laien beim Spielen gibt, da, bezogen auf die Inszenierung, an der er teilgenommen hat, der Regisseur »super«158 gewesen sei und sehr viel aus ihnen herausgeholt habe.159 E) Organisatorisches Die Castings für die Inszenierung hätten Anfang Dezember begonnen, die Proben im Januar 2013 angefangen und sich bis zur Premiere am 5. April gezogen. Sie hätten, ausgenommen der Sommerpause, bis Dezember 2013 in etwa einwöchigen Plots (bestehend aus zwei bis acht Vorstellungen) durchgespielt. Zum Zeitpunkt des Interviews gibt es eine Probenpause bis April 2014, dann soll noch einmal gespielt werden. TW findet es schade, dass es danach vorbei ist. Die Proben sind also insgesamt sehr zeitintensiv, sowohl sein alter Freundeskreis habe unter der Teilnahme an der Inszenierung gelitten als auch die Schule aufgrund der Doppelbelastung.160 F) Persönlichkeitsmerkmale/Theateraffinität TW ist männlich und 17 Jahre alt und macht bei der Jugendinszenierung Nichts. Was im Leben wichtig ist im Schnawwl mit. Er ist Realschüler und macht gerade seinen Abschluss. Danach ist ein Freiwilliges Soziales Jahr, wahrscheinlich am Nationaltheater, geplant.161 Bereits seit seiner Kindheit hatte er den Wunsch Schauspieler zu werden, inspiriert durch sein Vorbild Spiderman. Diesen Wunsch verfolgte er weiter und spielte zunächst im Schultheater. Als ein Jahr lang keine Kurse angeboten wurden, informierte er sich selbstständig via Internet über andere Angebote und stieß auf eine Schauspielschule für Kinder und Jugendliche, in der er regelmäßig an den Wochenenden übte. Die Inszenierung Nichts. Was im Leben wichtig ist ist sein erstes Projekt am Nationaltheater. Er hat den Wunsch, Schauspiel zu studieren und daher bereits an der Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch in Berlin vorgesprochen, von der er allerdings nicht angenommen wurde. Er hat die Absicht, sich im nächsten Jahr noch einmal zu bewerben.162 TW hat schon einige Aufführungen am Nationaltheater besucht und ist noch öfter im Schnawwl. Er spezialisiert sich nicht, sondern ist allen Theaterformen gegenüber offen. Er findet am Nationaltheater gut, dass sie viel modern inszenieren.163 157 Vgl. ebd., S. 9f, Zeile 306-326. 158 Ebd., S. 11, Zeile 374. 159 Vgl. ebd., S. 11, Zeile 373-375. 160 Vgl. ebd., S. 10f, Zeile 360-365; S. 12, Zeile 413-415. 161 Vgl. ebd., S. 15f, Zeile 531-552. 162 Vgl. ebd., S. 4f, Zeile 123-143; S. 15, Zeile 546-548. 163 Vgl. ebd., S. 14f, Zeile 485-505. 29 G) Öffentlichkeitswirksamkeit/Marketing Über ein von der Schule vorgeschriebenes, einwöchiges Pflichtpraktikum, das er am Nationaltheater absolvierte, entstand der Kontakt mit der Institution. Er wurde persönlich von einer Kostümbildnerin auf den Auswahlworkshop angesprochen.164 Er weist daraufhin, dass alle Inszenierungsteilnehmer einen Mitarbeiterausweis bekämen, der ihnen freien Eintritt zu allen Aufführungen außer Premieren oder bei Ausverkauf ermögliche.165 H) Besucherverhalten(sänderung) und persönlicher Bezug TWs Bindung zum Nationaltheater habe sich während seiner Teilnahme bei der Bürgerbühne nicht so stark entwickelt, da er sich immer im Schnawwl aufgehalten habe. Hier fühlt er sich heimisch. Er spricht davon, dass eine besondere Bindung zum diesem entstanden sei, eine andere als beim Zuschauer, da er nun über die Abläufe am Theater hinter den Kulissen Bescheid wisse und ein »enges Bündnis«166 mit Mitarbeitern des Theaters habe. Durch die Proben seien neue Freundschaften mit Spielern und dem Inszenierungsteam entstanden, die sich in gemeinsamen Freizeitaktivitäten wie Festivalbesuchen oder abendlichem Weggehen mit Regisseur und Regieassistenz manifestieren.167 Die Gruppe scheint ihm sehr wichtig zu sein, er beschreibt sie als Familie, die sich über Monate entwickelt habe.168 Rückblickend hat TW nur positive Empfindungen gegenüber der Inszenierungszeit, er hat sie als harmonisch und ohne Probleme in der Gruppe wahrgenommen.169 Auch sein Besucherverhalten scheint sich geändert zu haben. Er gehe nun andauernd ins Nationaltheater, da er mit seiner Spielerkarte kostenlos Theaterstücke besuchen kann. Letzte Spielzeit habe er sich viel im Theater angesehen, aber eben zu viel Zeit bei der Bürgerbühne verbracht, weshalb er nun den Fokus auf die Schule setze und weniger Theaterbesuche mache. Er möchte jedoch nicht, dass das Theater deswegen in meinen Augen schlecht dasteht. Er gibt an, dass die Anzahl der Besuche variiere, durchschnittlich gehe er etwa einmal pro Monat.170 4.4.2 Auswertung des Interviews mit DH A) Bürgerbühnen-Begriff DH empfindet die Bürgerbühne als »wunderbare Institution«171 für »theaterbegeisterte Menschen«172, die einen Blick hinter die Bühne bekommen wollen und experimentierfreudig sind, die nichtalltägliche Dinge ausprobieren möchten, die sie sonst aufgrund des konzentrierten, kontrollierten Alltags nicht erfahren würden. Er beschreibt die Bühne als chaotische, dennoch geordnete Welt 164 Vgl. ebd., S. 3, Zeile 85-92. 165 Vgl. ebd., S. 13f, Zeile 466-474. 166 Ebd., Zeile 402. 167 Vgl. ebd., S. 11f, Zeile 391-415. 168 Vgl. ebd., S. 10., Zeile 354f. 169 Vgl. ebd., S. 17, Zeile 607-609. 170 Vgl. ebd., S. 11, Zeile 386f.; S. 14, Zeile 485-489; S. 16, Zeile 557-561. 171 DH (22.12.2013), S. 5, Zeile 158. 172 Ebd., Zeile 158f. 30 für sich, nennt sie eine Insel. »[E]ine Erfahrung, die man mal machen muss«173, sei sich dort zu öffnen und sich so zu zeigen, wie man ist. Die Bühne fungiert seiner Meinung nach als Schutzraum, in dem man sich öffnen kann ohne Schaden zu nehmen, was jedoch Mut erfordere. Dies sei eine »ganz irre Erfahrung«174, die ihm sehr viel Freude bereite.175 Unklar bleibt, ob dies nicht etwa Eigenschaften sind, die er dem Theaterspielen generell zuschreibt. Auf Nachfragen wusste er nichts, was er an der Bürgerbühne ändern würde. B) Partizipation/Inklusion Grundsätzlich versteht DH die Bürgerbühne als eine Plattform für alle Mannheimer, d.h. für alle Bürger Mannheims, berufs- und schichtenübergreifend.176 Für jeden sei etwas dabei: »Eben Bürgerbühne, eine Bühne für die Bürger.«177 Es erfordere lediglich Mut, dort mitzumachen und sich vor fremden Menschen zu zeigen. Das sei nicht für jeden etwas, aber man könne lernen, damit umzugehen. Es befreie, bereichere und steigere das Selbstbewusstsein.178 Auf Nachfragen geht DH genauer darauf ein, wer die Angebote der Bürgerbühne denn tatsächlich wahrnehme. Dabei erwähnt er zunächst potenzielle Barrieren. So entspreche natürlich nicht jedes Thema dem Geschmack. Auch erwähnt er mögliche körperliche oder altersbedingte Grenzen bei der Teilnahme. Er merkt jedoch an, die Bürgerbühne gleiche die Schwächen der einzelnen Teilnehmer durch die Stärken der anderen aus. Sie sei ein kommunikativer Ort. Dem Alter nach waren nach DH alle Gruppen im Spielclub Club der toten Dichter vertreten. Sowohl Frauen als auch Männer hätten teilgenommen. Von der sozialen Struktur aus betrachtet, sieht DH die Teilnehmer des Spielclubs dem Mittelstand zugehörig an. Er meint, einige der Teilnehmer hätten vermutlich Realschulabschluss gemacht. Selbstverständlich hätten höher gebildete Menschen partizipiert. In jedem Fall »waren [es] durchaus schon Menschen, die einmal mit dem Theater, dem Begriff Theater etwas anfangen konnten und in dem Sinne auch ein bisschen belesen waren«179 wie z.B. Lehrer. Auch eine HartzIV-Empfängerin sei dabei gewesen, diese war aber dennoch gut ausgebildet. Insgesamt meint er, ein Querschnitt der Bevölkerung habe das Angebot wahrgenommen.180 C) Thematik Das Thema des Spielclubs, an dem DH teilnahm, war Sonate für drei Männer oder: Wie spricht man über Musik? nach einem surrealistischen Stück von Tardieu. DH fand das Thema an sich »unheimlich spannend«181. Ihm schien die Konzeption mit Konzentrationsübungen zu gefallen und dass er Dinge, die das Theater ausmachen, welche man sich aber eventuell anders vorstellt, erleben konnte. Besonders begeistert er sich darüber hinaus für die Sprechtechnik der Schauspieler und ist inte- 173 Ebd., S. 6, Zeile 196. 174 Ebd., Zeile 202. 175 Vgl. ebd., S. 5f, Zeile 158-208. 176 Vgl. ebd., S. 8,, Zeile 271-283. 177 Ebd., Zeile 283. 178 Vgl. ebd. S. 8f, Zeile 284-298. 179 Ebd., S. 10, Zeile 335-341. 180 Vgl. ebd., S. 9-11, Zeile 318-361. 181 Ebd., S. 3, Zeile 98. 31 ressiert daran, wie man diese erlernen kann. So zeigt er eine Vorliebe für die Wahrhaftigkeit des Sprechens, die die Leiterin des Clubs, Ragna Pitoll, vermittelte: hinter dem stehen, was man sagt. Er fand das sehr schwierig.182 DH glaubt, thematisch sei bei der Bürgerbühne für jeden etwas dabei, das Angebot empfindet er als »sehr weit gefächert«183.184 D) Ästhetik Als Besucher einer Theatervorführung mit Laien sei man bereit »gewisse Imperfektionen einfach in Kauf zu nehmen«185. D.h. eine Laie sei nicht wie ein professioneller Schauspieler ausgebildet, durch diesen Mangel wirke er aber »ehrlicher«186. E) Organisatorisches DH weiß nicht, was er am Organisatorischen der Bürgerbühne ändern würde, weil er darin keinen Einblick habe.187 F) Persönlichkeitsmerkmale/Theateraffinität DH ist männlich und 75 Jahre alt. Er ist ehemaliger Bauingenieur und nun in Rente.188 DH kommt aus Norddeutschland und ist dort in einem kleinen Ort aufgewachsen. Obwohl es dort aufgrund der Entfernung zur nächsten größeren Stadt nur wenig Möglichkeiten gab, ins Theater zu gehen, war seine Begeisterung für Theater und Musik immer in hohem Maß vorhanden. Während des Studiums besuchte DH sehr häufig das Theater und die Oper.189 Ausgenommen von Tanz scheint er sehr kulturaffin zu sein.190 DH war Teilnehmer des Spielclubs Club der toten Dichter in der Spielzeit 12/13. In dieser Spielzeit nimmt er an keinem Club teil.191 DH hilft in der Statisterie des Nationaltheaters aus.192 G) Öffentlichkeitswirksamkeit/Marketing DH hat kein Theaterabo, allerdings nur deshalb nicht, weil dieses seinen anderen Freizeitaktivitäten, wie z.B. dem Singen im Chor, in die Quere kommen würde. Er macht sich die Termine lieber selber fest.193 Er vermutet, dass die Schwellenangst, die bislang noch immer im Theater/Oper/Schauspiel vorherrsche, durch den Besuch einer Bürgerbühnen-Aufführung abgebaut werden könne; vor allem bei 182 Vgl. ebd., S. 1ff, Zeile 21-109. 183 Ebd., S. 14, Zeile 500. 184 Vgl. ebd., Zeile 500-503. 185 Ebd., S. 7, Zeile 236. 186 Ebd., Zeile 238. 187 Vgl. ebd., S. 14, Zeile 488-496. 188 Vgl. ebd., S. 16, Zeile 546-566. 189 Vgl. ebd., S. 11, Zeile 375-396. 190 Vgl. ebd., S. 4, Zeile 140f. 191 Vgl. ebd., Zeile 129-140. 192 Vgl. ebd., S. 6, Zeile 186. 193 Vgl. ebd., S. 13f, Zeile 443-475. 32 jungen Menschen, die „zwar durchaus theaterbegeistert sind“194, aber beispielsweise nicht wüssten, wie sie sich im Theater verhalten sollen. Auch kann er sich vorstellen, dass man durch den Anblick der Laiendarsteller die Angst verliert und Lust bekommt, selbst aktiv mitzumachen.195 Darüber hinaus denkt DH, die Bürgerbühne könne Synergieeffekte bewirken, wenn Leute, die zur Bürgerbühne gehen, davon Freunden und Bekannten erzählten und dadurch neue Teilnehmer aktivierten. Diese Synergieeffekte könnten vor allem durch junge Eltern erreicht werden, die ihre Kinder auf das theaterpädagogische Angebot aufmerksam machten, also dadurch potenzielle junge Nachwuchs-Bürgerbühnenmitglieder ansprächen. Ältere Menschen mit vorgefasster Meinung ließen sich jedoch nicht mehr als Publikum für die Bürgerbühne gewinnen. Alle anderen tendenziell schon.196 H) Besucherverhalten(sänderung) und persönlicher Bezug DH geht regelmäßig zu Konzerten und Theateraufführungen. Er sieht sich jede Produktion am Nationaltheater an, geht aber weniger häufig ins Studio/Schnawwl, da er sich hierfür zu alt fühlt.197 Auch nach der Teilnahme bei der Bürgerbühne ist sein Besucherverhalten konstant sehr hoch. DH hat sich offensichtlich mit dem Phänomen der Bürgerbühne in Mannheim und Dresden auseinandergesetzt. Der Club der toten Dichter (Spielzeit 12/13) war der erste Spielclub, an dem er teilgenommen hat. Er hat zuvor allerdings häufiger bei Workshops mitgemacht, z.B. bei einem zu John Cage.198 Diese Spielzeit partizipiert er aufgrund mangelnden Interesses an der Thematik bei keinem Spielclub/Inszenierung. Beispielsweise erwähnt er die Inszenierung Kleiner Mann(heimer) – was nun? von Hans Fallada. An dieser habe er nicht teilgenommen, weil er kein gebürtiger Mannheimer sei und ihm somit der richtige Bezug fehle. Er schließt nicht aus, dass sich noch eine Teilnahme an einem Angebot ergibt.199 Zudem scheint er sich bereits für einen weiteren Workshop angemeldet zu haben.200 Seine Begeisterung für das Theater konnte durch die Spielclubteilnahme nicht zunehmen, da sie schon ausgesprochen hoch war: »Wissen Sie, wenn Sie irgendwo bei hundert Prozent sind, hundert Prozent sind nicht zu steigern.«201 Er gibt jedoch an, noch mehr Facetten des Theaters kennengelernt zu habe, so etwa durch den Blick hinter die Bühne oder den Einblick in diverse Arbeitsbereiche.202 194 Ebd., S. 7f, Zeile 252f. 195 Vgl. ebd., Zeile 234-265. 196 Vgl. ebd., S. 17, Zeile 577-602. 197 Vgl. ebd., S. 12f, Zeile 425-441. 198 Vgl. ebd., S. 15, Zeile 510-526. 199 Vgl. ebd., S. 4f, Zeile 140-153. 200 Vgl. ebd., S. 15, Zeile 524-526. 201 Ebd., S. 11, Zeile 370f. 202 Vgl. ebd., S. 12, Zeile 413-420. 33 4.4.3 Auswertung des Interviews mit GP A) Bürgerbühnen-Begriff GP bleibt bei der Beschreibung der Bürgerbühne relativ sachlich und benennt eher formale Aspekte. Sie bestehe aus mehreren Formen bzw. Formaten: »Das eine sind so Langzeitformate, dass Bürger ein Stück erarbeiten mit Profis hier [...] vom Haus und dann auch die ganze Spielzeit mit diesem Stück auftreten [...]«203. Das andere Standbein seien Spielclubs als Angebote zu bestimmten Themen, sie fänden einmal pro Woche statt und seien nur für eine Spielzeit angelegt. Darüber hinaus scheint GP die Bürgerbühne als Marketinginstrument zu verstehen, welches das Theater einsetze, um mehr Bevölkerungsschichten ins Haus zu holen.204 B) Partizipation/Inklusion GP ist sich unsicher, ob sich die Bürgerbühne als Modell lange halten wird. Sie ist bereits die zweite Spielzeit dabei und stellt fest, dass immer dieselben Leute (»Wiederholungstäter«205) die Angebote der Bürgerbühne nutzen: »Das sind einfach Leute, die sich ohnehin fürs Theater begeistern«206, Interesse zeigen und sie als zusätzliches Angebot begreifen. Falls es also der Plan des Theater sei, mit Hilfe der Bürgerbühne andere Bevölkerungsgruppen ins Theater zu holen, zweifelt GP an deren Wirksamkeit.207 GP meint, um dies zu erreichen, müsse man in der Schule anfangen. Die Bürgerbühne schaffe auch schon Angebote für Jugendliche und Kinder, was sie gut und richtig findet: »Dass man die [...] mitreinnimmt und, dass die dann vielleicht sich fürs Theater begeistern.«208 Sie weiß nicht, ob sich auch noch ältere Leute dafür interessieren ließen.209 Wer aber sind die ‚Wiederholungstäter‘? Auf jeden Fall handle es sich bei ihnen um eine bestimmte Bildungsschicht. GP beschreibt die Zusammensetzung der Mitglieder beim Club der Zeitsucher: Hierbei seien die unterschiedlichsten Altersgruppen vertreten gewesen. Diese Eigenschaft schätzt GP an der Bürgerbühne.210 Sie finde es lebendig und schön, mit anderen Leuten verschiedenen Alters zusammen zu kommen und sich gegenseitig aufeinander einzulassen. Das habe sie im Alltag nicht, da sie alleine in Mannheim wohne.211 Allerdings geht sie davon aus, dass alle entweder Abitur oder Studium absolviert hätten. Andere kämen nicht ins Theater. Sie sieht hier das gleiche Problem wie beim Museum212: »Da kannste [...] dir ein Bein rausreißen, es ist halt nur ne bestimmte Schicht, die sich dafür interessiert.«213 203 GP (22.12.2013), S. 3, Zeile 96f. 204 Vgl. ebd., S. 3f, Zeile 93-114. 205 Ebd., S. 4, Zeile 124. 206 Ebd., Zeile 125f. 207 Vgl. ebd., Zeile 114-137. 208 Ebd., S. 5, Zeile 149. 209 Vgl. ebd., S. 4f, Zeile 136-151. 210 Vgl. ebd., S. 5f, Zeile 156-198. 211 Vgl. ebd., S. 9f, Zeile 310-326. 212 Vgl. ebd., S. 5, Zeile 167-179. 213 Ebd., Zeile 178f. 34 GP bezweifelt also, dass sich alle Bevölkerungsgruppen ins Theater holen lassen. Manche Leute gingen einfach nie ins Theater – zum einen aus finanziellen Gründen und weil kein Interesse bestehe214; Theater sei teuer. GP denkt, bestimmte Bevölkerungsgruppen, die z.B. wenig Rente oder Hartz IV bezögen, könnten sich keine Theaterkarten leisten.215 Geld sei, so glaubt GP, beim Theater »für viele auch noch mal ne Hemmschwelle«216. Auf die Frage nach weiteren Barrieren nennt sie noch einen zweiten Punkt: Theater sei eine Bildungsgeschichte, ein bestimmtes Bildungsniveau hierfür Voraussetzung. Vielleicht bestehe Angst davor, es nicht zu verstehen217 und »[n]atürlich [sei] der Eindruck, wenn man ein Theaterstück sieht, ein anderer, ob man in der 7. Reihe sitzt oder in der @23.@«218 C) Thematik GP hat in der Spielzeit 12/13 beim Club der Sucher nach der verlorenen Zeit mitgemacht, in der Spielzeit 13/14 nimmt sie bei den Buchstabenliebhabern teil, ein Club, der von zwei Dramaturginnen geleitet wird und Einblicke hinter die Bühne und die Kulissen einer Produktion gewährt. Sie läsen neue Stücke, beobachteten und diskutierten deren Umsetzung. Den Club finde sie sehr inte-ressant, da man überlege, wie sich Themen für die Bühne aufbereiten ließen man erörtere die Motivation der Protagonisten. Besonders daran sei, dass man immer auch über das eigene Leben nachdenken müsse: Mit wem kann man sich identifizieren, wie würde man reagieren? Beim Club der Sucher nach der verlorenen Zeit hätten sie sich auch spielerisch mit dem Thema auseinander gesetzt.219 Das Zeitthema beschäftigt sie privat. Sie geht auf die von der Leiterin gestellten ‚Hausaufgaben‘ ein und sagt, diese hätten »interessante Anregungen«220 gegeben. Abschließend sei im Rahmen einer Werkschau zusammen mit den anderen Spielclubs eine etwa 20-minütige Revue aufgeführt worden.221 GP sagt, das Theater werbe für sich und man sehe sich mit den Spielclubs verschiedene Inszenierungen an. Das sei interessant, weil man durch das eigene Spielen und die Vorbereitung auf die Stücke die Schauspieler anders sehe. Der durch Vorabinformationen bedingte veränderte Blick lasse auch anders genießen und immer wieder Neues entdecken.222 Insgesamt bewertet GP das Angebot der Bürgerbühne sehr positiv: Sie mache das »perfekt«223, da eine große Vielfalt an Themenschwerpunkten vorherrsche. Jede Spielzeit gebe es ein anderes Angebot und es sei für jeden thematisch und zeitlich etwas geboten224: »Also die machen [...] sich da 214 Vgl. ebd., Zeile 160-164. 215 Vgl. ebd., S. 14, Zeile 473-475. 216 Ebd., S. 15, Zeile 512. 217 Vgl. ebd., Zeile 516f. 218 Ebd., Zeile 521f. 219 Vgl. ebd., S. 1f, Zeile 1-47; S. 10, Zeile 331-345. 220 Ebd., S. 10, Zeile 334. 221 Vgl. ebd., S. 2, Zeile 51-54. 222 Vgl. ebd., S. 10, Zeile 351-365. 223 Ebd., S. 11, Zeile 390. 224 Vgl. ebd., Zeile 390-393. 35 sehr viel Mühe und die ham da schon gute Ideen.«225 GP nennt die Theaterworkshops »geradezu therapeutisch, weil man sehr viel über sich selber erfährt. [...] Und das ist schön«.226 Sie böten Raum zum Ausprobieren.227 D) Ästhetik Zur Ästhetik sagt GP nichts. E) Organisatorisches Im Bezug auf die Werkschau am Ende der Spielclubs gibt GP zu bedenken, dass diese im Studio stattgefunden habe, wo nur etwa 300 Leute Platz gehabt hätten. Sie sei nur einmal aufgeführt worden (ursprünglich zweimal geplant). Alle Spielclubteilnehmer seien vor Ort gewesen und hätten je einen Gast mitbringen können. GP meint, dies sei der Grund, weshalb nur wenige Leute die Werkschau gesehen hätten. Wenn man den Effekt bewirken wolle, dass andere Leute die Werkschau sehen und anschließend Lust bekommen, auch bei der Bürgerbühne mitzumachen, müsse man mehrere Aufführungen planen.228 Bei Inszenierung macht GP deshalb nicht mit, weil die Proben hierfür sehr zeitintensiv sind und Urlaub planen o.ä. nicht möglich ist. Sie schließt jedoch nicht aus, dass sie das noch einmal ausprobieren wird, wenn sie nicht mehr so viel unterwegs ist wie jetzt.229 Als organisatorisch gut empfindet sie, dass an verschiedenen Wochentagen und zu unterschiedlichen Uhrzeiten etwas angeboten werde.230 F) Persönlichkeitsmerkmale/Theateraffinität GP ist weiblich und 66 Jahre alt. Sie ist pensionierte Lehrerin und geht etwa drei- bis viermal pro Monat ins Theater. Ein Theaterabo besitzt sie jedoch nicht.231 GP hat bereits viele theaterpädagogische Angebote des Nationaltheaters genutzt. Sie besucht nach eigenen Angaben seit etwa 15 Jahren immer wieder Workshops232, weil es ihr »[e]infach Spaß [mache]«233. Dabei schätzt sie Abwechslung und will nicht immer dasselbe machen. Sie hat eine Vorliebe für Improvisationstheater, Überraschendes und Spielerisches gefällt ihr. Da sie ungerne lange auswendig lernt und nicht immer wieder dasselbe Stück aufführen möchte sowie aus Zeitgründen, hatte sie bislang kein Interesse an den Inszenierungsangeboten.234 In der Spielzeit 12/13 war GP Teilnehmerin des Clubs der Sucher nach der verlorenen Zeit, in der Spielzeit 13/14 des Clubs Buchstabenliebhaber.235 225 Ebd., S. 12, Zeile 398f. 226 Ebd., S. 17f, Zeile 608-613, 227 Vgl. ebd., S. 18, Zeile 613. 228 Vgl. ebd. S. 7, Zeile 225-250. 229 Vgl. ebd., S. 8, Zeile 268-286. 230 Vgl. ebd., S. 11, Zeile 391f. 231 Vgl. ebd., S. 12f, Zeile 422-439. 232 Vgl. ebd., S. 2, Zeile 60-72. 233 Ebd., S. 3, Zeile 76. 234 Vgl. ebd., S. 8f, Zeile 268-300. 235 Vgl. ebd., S. 1, Zeile 1-26. 36 G) Öffentlichkeitswirksamkeit/Marketing Zunächst lässt sich festhalten, dass GP durch Ausschreibungen und Ankündigungen des Programms von der Bürgerbühne erfuhr, auf die sie während ihrer häufigen Theaterbesuche aufmerksam wurde.236 Bemerkenswert ist, dass GP sich offensichtlich selbst bereits stark mit der Funktion der Bürgerbühne auseinander gesetzt hat. Es bleibt unklar, ob dies Überlegungen sind, die ihr bereits vorher gekommen sind oder ob diese durch Ankündigung des Interviews angeregt wurden. In jedem Fall hat sie sich mit den wirtschaftlichen Problemen der Theater auseinander gesetzt. GP betrachtet die Bürgerbühne als Werbeinstrument, mit dem das Theater neue Bevölkerungsschichten erreichen, ins Theater holen und die Besucher stärker einbeziehen möchte.237 Wie bereits in der Kategorie B beschrieben, zweifelt sie an dem Erfolg dieses Instrumentes und ist der Meinung, man müsse bereits in der Schule damit anfangen, Jugendliche für das Theater zu interessieren. GP hält es allerdings für möglich, dass man als Betrachter der Bürgerbühnen-Werkschau Lust bekomme, auch bei den Spielclubs mitzumachen.238 Sie spricht sogar von einem »Run auf [...] Workshops«239, der offensichtlich durch Mundpropaganda ausgelöst werde. Oft gebe es eine Warteliste, weil sich die Leute direkt anmeldeten, sobald die Workshops ausgeschrieben würden. Auf der anderen Seite hätten manche Workshops auch nur wenige Teilnehmer und müssten evtl. erst noch anlaufen.240 GP vergleicht die Situation der Theater mit der der Museen. Weil wenig Leute kämen, gäben sich diese so viel Mühe, Besucher anzulocken.241 Das gelte jedenfalls für Mannheim. Sie wollte herausfinden, in welcher ‚Liga‘ das Mannheimer Theater spielt, denn GP hat die These, hochrangige Theater, wie etwa das Münchner, hätten »das [also eine Bürgerbühne; E.G.] vielleicht gar nicht nötig«242. Nicht nötig bedeutet, hochrangige Theater müssten sich keine Gedanken machen, wie sie ein größeres Publikum gewinnen.243 GP weist darauf hin, dass in Mannheim montags Theatertag sei, d.h. Theaterbesuche würden zum halben Preis angeboten. Dies scheint GP auch als Versuch aufzufassen, ein größeres Publikum zu gewinnen. Sie ist sich auf der anderen Seite darüber bewusst, dass Theater nicht umsonst spielen könnten, da so ein Haus teuer und sowieso ein Zuschussbetrieb sei. Die Oper biete montags nichts zum halben Preis an, was GP darauf zurückführt, dass es sich vermutlich nicht rechne.244 H) Besucherverhalten(sänderung) und persönlicher Bezug GP sei schon immer regelmäßig ins Theater gegangen. Ihre Bindung an das bzw. ihr Bild vom Theater habe sich durch die Wahrnehmung des Bürgerbühnenangebotes nicht verändert, aber er236 Vgl. ebd., S. 3, Zeile 81-90. 237 Vgl. ebd., S. 4, Zeile 113-115. 238 Vgl. ebd., S. 7, Zeile 225. 239 Ebd., S. 8, Zeile 258. 240 Vgl. ebd., Zeile 258-266. 241 Vgl. ebd., S. 5, Zeile 177-179. 242 Ebd., S. 13, Zeile 458. 243 Vgl. ebd., Zeile 444-468. 244 Vgl. ebd., S. 13f, Zeile 468-495. 37 weitert: »Es ist noch bunter geworden, weil ich ja selber mit dabei bin. Das ist einfach ganz toll.«245 Sie hat durch den Buchstabenliebhaber-Spielclub sogar die Neugier entwickelt, sich Stücke in verschiedenen Inszenierungen an unterschiedlichen Theatern anzusehen und sie untereinander zu vergleichen.246 4.4.4 Zwischenstand: Wesentliche Überschneidungen der Interviews A) Bürgerbühnen-Begriff Es zeigen sich unterschiedliche Ansätze bei der Betrachtung des Bürgerbühnen-Begriffs: Bei TW und DH ist die Bürgerbühne stark mit Emotionen behaftet, und zwar mit durchaus sehr positiven. Für TW scheint der Begriff an sich jedoch sehr wenig Relevanz zu haben. Im Vordergrund für ihn steht einfach die soziale Interaktion und weniger, welchen Titel diese trägt. Ein Grund hierfür könnte das Alter des Interviewteilnehmers sein: Als Jugendlicher steht für ihn das Zusammensein mit Gleichaltrigen an erster Stelle. Darüber hinaus liegt eine mögliche Ursache darin, dass die Junge Bürgerbühne bislang wenig in Kontakt mit der Bürgerbühne tritt, sie ist noch sehr am Schnawwl verhaftet. Sowohl TW als auch DH beschreiben die Erfahrung in der Gruppe und dass dort Menschen teilnehmen, die gerne etwas ausprobieren möchten und Spaß am Spiel mitbringen. Selber mitentscheiden, mitwirken oder etwas von sich zeigen sind hier Schlagworte. DH sieht die Bürgerbühne in krasser Opposition zum Alltag, als Schutzraum, in dem man sich zwanglos geben kann, einfach so wie man ist. Dies scheint eine besondere Qualität des Theaterraums zu sein. Sowohl TW als auch GP erwähnen die Besonderheit der professionellen Anleitung der Laiendarsteller. GP scheint am Besten über das gesamte Angebot informiert zu sein und die Institution wirklich als solche wahrzunehmen. Sie beschreibt die Bürgerbühne eher sachlich und nach formalen Kriterien. Interessant ist, dass sie diese u.a. als Werbeinstrument einstuft, als einen Versuch des Theaters, ein breiteres Publikum zu gewinnen. Mit dieser Position sticht sie deutlich heraus. Insgesamt ist der Begriff bei allen drei Interviewteilnehmern mit durchweg positiven Konnotationen behaftet. B) Partizipation/Inklusion Bei TW hat auch die Frage nach der Partizipation sehr viel mit einem Gruppengefühl zu tun. Er beschreibt detailliert, wie mit Hilfe eines Auswahlverfahrens, im gemeinsamen Spiel und mittels Tanz- und Improvisationsübungen das Inszenierungsteam ausgewählt wurde, welches im Verlauf der Zusammenarbeit ein familiäres Verhältnis entwickelte. Wichtig erscheint hierbei, dass ein Mitwirken der Jugendlichen in allen Bereichen der Produktion angestrebt wurde, was für den inklusiven Gedanken der Bürgerbühne spricht. TW gefällt gerade dieser Punkt, also dass man bei der Bürgerbühne sehr viel mitentscheiden könne. Auch DH und GP schätzen die soziale Struktur und den Austausch innerhalb der Gruppe. Eine spezifische Qualität der Bürgerbühne scheint demnach ihre kommunikativ-soziale Ausrichtung zu sein. Doch wer nimmt eigentlich an den Spielclubs und Inszenierungen teil? Auf Nachfragen vertreten die drei Befragten zunächst eher diverse Ansichten. 245 Ebd., S. 6, Zeile 213f. 246 Vgl. ebd., S. 11, Zeile 363-367. 38 TW ist der Meinung, die unterschiedlichsten Menschen würden dort mitmachen. Es stellt sich jedoch heraus, dass er damit auf die Charaktereigenschaften, nicht jedoch auf die soziale Herkunft abzielt. DH vertritt die Einstellung, die Bürgerbühne sei grundsätzlich eine Plattform für alle, während GP dies von Anfang an verneint. Im Verlauf des Gesprächs stellt sich jedoch heraus, dass der Gedanke einer schichtenübergreifenden Plattform vielleicht nur ein Ideal bleibt. Aus den drei Gesprächen lässt sich relativ eindeutig ausmachen, dass die Angebote vorrangig von Menschen mit einer guten bis sehr guten schulischen Bildung besucht werden, die darüber hinaus bereits zuvor mit Theater in Kontakt getreten sind oder sogar als geradezu theaterbegeistert beschrieben werden können. Besonders GP macht den Aspekt der Bildung als Voraussetzung für ein Interesse an der Bürgerbühne stark, indem sie darauf eingeht, dass sie eine Sensibilisierung für Theater im Schulunterricht als notwendig erachtet, um zukünftiges Publikum ‚heranzuziehen‘. Bemerkenswert ist, dass die Angebote scheinbar generationen- und geschlechterübergreifend angenommen werden. C) Thematik Obgleich die Befragten allesamt unterschiedliche Themen präferieren, wird deutlich, dass diese immer dann interessant werden, wenn sie am eigenen Leben anknüpfen, man sich also mit ihnen identifizieren und sie auf das eigene Denken und Handeln übertragen kann. Darauf scheint sich die Bürgerbühne sehr gut zu verstehen. Gelobt werden darüber hinaus die Themenvielfalt und der damit verbundene Ideenreichtum sowie die Tatsache, dass zu unterschiedlichen Tageszeiten für alle Zielgruppen etwas angeboten wird. Durch unterschiedlich zeitintensive Formate (Inszenierung, Spielclub, Workshop) scheint zudem eine gewisse Abstufung in der Intensität der Teilnahme gegeben. GP macht darüber hinaus darauf aufmerksam, dass die Kombination aus Spielclub und damit verbundenem Aufführungsbesuch attraktiv ist, weil dadurch das Wahrnehmungsfeld der Teilnehmer erweitert werde. D) Ästhetik GP äußert sich nicht zur Ästhetik der Bürgerbühne. Bei TW und DH ist auffällig, dass beide die Laiendarsteller als authentisch oder ehrlich beschreiben, wenngleich dies auf unterschiedliche Gründe zurückzuführen ist. TW orientiert sich bei seinen Erklärungen stark an der Inszenierung, an der er selbst mitgewirkt hat. Eine Verallgemeinerung ist also nur schwer möglich. Authentisch sei diese Inszenierung deshalb, weil jugendliche Rollen von jugendlichen Schauspielern verkörpert würden. Die Spielweise empfand TW aufgrund von Rollenwechseln und durch ihre Textlastigkeit als modern. Der Regisseur habe sehr viel aus ihnen herausgeholt, sodass TW sich damit schwer tut, zu beurteilen, ob es einen Unterschied zwischen ihnen als Laiendarstellern und ‚richtigen‘ Schauspielern gab. Bei DH wird die Ehrlichkeit der Laiendarsteller durch Imperfektionen erzeugt, die ihn vom ausgebildeten Schauspieler differenzieren. E) Organisatorisches DH weiß nicht, was er am Organisatorischen der Bürgerbühne verbessern würde, da er angibt, darin keinen Einblick zu haben. TW gibt an, dass die Inszenierungs-Proben sehr zeitintensiv sind, 39 äußerst dies jedoch nicht als Kritik. Ein wichtiger Hinweis kommt von GP, die anmerkt, dass die Werkschauen der Spielclubs häufiger gezeigt werden sollten, damit mehr Menschen die Möglichkeit bekämen, sich diese anzusehen und evtl. dadurch als neue Teilnehmer für die Bürgerbühne gewonnen werden könnten. F) Persönlichkeitsmerkmale/Theateraffinität Allen drei Befragten ist gemein, dass sie als sehr theateraffin bezeichnet werden können und gewissermaßen Stammgäste des Nationaltheaters sind. DH hat bereits häufiger Workshops mitgemacht und war nun zum ersten Mal Teilnehmer eines Spielclubs, was als Steigerung seines Partizipationsgrades gewertet werden kann. GP ist regelmäßige Workshopbesucherin und nun bei ihrem zweiten Spielclub dabei. Beide haben eine recht enge Verbindung zum Haus. Obgleich TW zum ersten Mal das theaterpädagogische Angebot am Nationaltheater nutzt, sind seine praktischen Erfahrungen jedoch zahlreich. Seine schauspielerischen Versuche können wohl als am ambitioniertesten gewertet werden, da er eine professionelle Karriere als Schauspieler anstrebt und sich bereits bei einer entsprechenden Schule beworben hat. Obwohl die Auswahl der Interviewpartner auf eine Abbildung der größtmöglichsten Vielfalt der Teilnehmer der Bürgerbühne abzielte, ist es bezeichnend, dass GP und DH beide Akademiker im Rentenalter sind. TW ist als Teilnehmer der Jungen Bürgerbühne noch jugendlich. Auch er besitzt mit seinem Realschulabschluss eine gute schulische Bildung. G) Öffentlichkeitswirksamkeit/Marketing Zunächst ist festzuhalten, dass unter dem Punkt Öffentlichkeitswirksamkeit/Marketing relativ unterschiedliche Aspekte zusammengetragen wurden, die zum einen erklären, wie die Befragten selbst auf die Bürgerbühne aufmerksam geworden sind, zum anderen Strategien des Nationaltheaters zur Publikumsgewinnung sowie öffentlichkeitswirksame Nebeneffekte der Bürgerbühne aufzeigen. Während der Analyse erschien es dennoch sinnvoll, all diese Punkte gebündelt zu verhandeln, da sich gerade hier mögliche Potenziale der Bürgerbühne offenbaren. TW ist durch ein schulisches Pflichtpraktikum mit dem Nationaltheater in Kontakt gekommen. Es ist davon auszugehen, dass er sich die Institution aufgrund seines Interesses für das Theater selbst ausgesucht hatte. Eine Mitarbeiterin des Nationaltheaters machte ihn dann auf den Auswahlworkshop aufmerksam. Man könnte also hier von einer Art Mundpropaganda sprechen. GP hat auf dem klassischen Weg der Ankündigung im Programmheft von der neuen Institution erfahren. Obgleich dies von DH nicht erwähnt wurde, ist davon auszugehen, dass er auf ähnlichem Weg von dem Angebot erfahren hat, da er Stammgast des Theaters ist und an anderer Stelle im Interview das Leporello erwähnt, aus dem er sich Veranstaltungen heraussucht, die ihn interessieren. Desweiteren gibt es Äußerungen zu Angeboten des Theaters, die dem Marketing-Bereich zuzurechnen sind. Hierzu gehören Inszenierungsbesuche, die im Preis der Spielclubs inbegriffen sind sowie der Theatertag, der montags den Besuch zum halben Preis ermöglicht. Beide Aktionen werden von den Befragten gerne angenommen. Ebenfalls interessant ist, dass Inszenierungsmitglieder mit ih40 rem Hausausweis freien Eintritt zu allen Vorstellungen bekommen, sofern diese nicht ausverkauft sind oder es sich um Premieren handelt. Dieser Aspekt könnte für eine weitere Untersuchung von Relevanz sein. Darüber hinaus stechen vor allem die Workshops als besonders nachgefragte ‚Produkte‘ heraus. Zuletzt wurden noch einige entscheidende Punkte genannt, die die Fragestellung dieser Masterarbeit unmittelbar betreffen: Wie sieht es nach Einschätzung der Interviewpartner mit den Poten zialen der Bürgerbühne als Instrument des Audience Developments aus? Wie bereits weiter oben angeklungen, versteht GP die Bürgerbühne explizit als Marketinginstrument und glaubt, dass gerade ein weniger renommiertes Theater, wie das Mannheimer Nationaltheater, dieses zu Werbezwecken einsetzt. Sowohl GP als auch DH sind der Meinung, dass man als Zuschauer einer Aufführung mit den Laiendarstellern der Bürgerbühne Lust bekommen könnte, dort auch mitzuwirken. Schwellenangst könnte somit abgebaut werden. Dafür sei es natürlich notwendig, dass möglichste viele diese auch sehen, so GP. Darüber hinaus sind sich die beiden darin einig, dass die Zukunft der Bürgerbühne im jungen Publikum liege, welches beispielsweise durch Empfehlung der Eltern oder Schulen ans Theater herangeführt werden könnte. H) Besucherverhalten(sänderung) und persönlicher Bezug Bei TW hat sich die emotionale Bindung zum Schnawwl als Teil des Mannheimer Nationaltheaters wohl am stärksten verändert. Für ihn haben sich über den Zeitraum der Inszenierung richtige Freundschaften mit den Teilnehmern und dem Theaterteam entwickelt. Die Arbeit am Theater wird zu einem Lebensgefühl, das sich bis weit in das Privatleben erstreckt und in gemeinsamen Freizeitaktivitäten und Alltagsritualen manifestiert. Auch die Theaterbesuche sind insbesondere aufgrund des Mitarbeiterausweises stark gestiegen. Diese extreme Entwicklung lässt sich aller Wahrscheinlichkeit nach auf die Intensität der Inszenierungszeit und die Tatsache, dass TW ein Jugendlicher ist, der sich noch in einem Findungsprozess befindet, zurückführen. Bei GP und DH hingegen handelt es sich eher um Nuancen, die sich im Bezug auf ihr Bild vom Nationaltheater verschoben haben: Da sie sowieso schon sehr theaterbegeistert waren, haben sich ihnen ‚nur‘ neue Facetten des Theaters erschlossen, was sie jedoch beide als sehr positiv wahrnehmen. Auch ihre Theaterbesuche sind demnach gleichbleibend überdurchschnittlich häufig. 4.5 »Frauen zwischen 50 und 65« – Im Gespräch mit Stefanie Bub Das Interview mit der Koordinatorin der Bürgerbühne, Stefanie Bub wurde mit dem Ziel geführt, mir einen Überblick über die Bürgerbühne zu verschaffen, der die subjektiven Eindrücke der befragten Teilnehmer bündelt und dabei eine andere Perspektive darlegt. Es soll nicht vollständig ausgewertet werden, dennoch sind einige der von Frau Bub genannten Aspekte von Relevanz für den Fragebogen und drücken teilweise auch ihr eigenes Erkenntnisinteresse in Bezug auf mein Forschungsprojekt aus. Auf diese soll daher besonders eingegangen werden, bevor in einem abschließenden Fazit die Grundfelder der Fragestellungen des Fragebogens festgelegt werden. 41 Stefanie Bubs erstem Gefühl nach handelt es sich bei den Teilnehmern der Bürgerbühne »hauptsächlich [um] Frauen zwischen 50 und 65«247, die etwas für sich selbst tun wollen. Dennoch spricht sie anschließend von einer »Durchmischung«248, die Mannheim in demografischer Hinsicht darstelle: Wir ham auch [...], also altersmäßig, jetzt bei Lust for Life zum Beispiel, haben wir 12-jährige Kinder mit dabei bis rauf zum Rentner mit knapp 80. Und wir sind schon auch, also wir ham allerhand Typen. Das ist schon ne Durchmischung da. Wir ham Arbeitslose, Rentner, Leute mit Migrationshintergrund, Religiöse, Atheisten und so weiter. Also ist schon, würde ich sagen, ne Abbildung der Stadtbevölkerung gegeben.249 Auf die Frage, ob so etwas wie eine Bindungsentwicklung der Teilnehmer stattfinde, erwidert sie, dass sie oftmals die Rückmeldung erhalte, »dass sie das schon noch mal neu erfahren, das Theater und das total bereichernd finden und das auch neu für sie ist, dass man hier jetzt quasi viel selbstverständlicher ein und aus geht«250. Das gelte vor allem für die Inszenierungsmitglieder, die mittels ihres Hausausweises ein ganz anderes Selbstverständnis im Bezug auf ihre Zugehörigkeit zum Theater aufbauen würden: »[...] das heißt, die können Karten einreichen und theoretisch, wenn es noch Plätze gibt, in jede Vorstellung kostenlos gehen. Und das nutzen die schon auch größtenteils. Und das ist für viele schon nochmal ne neue Erfahrung.«251 Dabei sei auch die Gruppe der Inszenierungsmitglieder nicht homogen und bestünde zum Teil aus Personen, die vorher noch nie im Nationaltheater gewesen seien, zum Teil aber auch aus langjährigen Abonnenten.252 Eine eventuelle Schlüsselfrage für die weitere Untersuchung ist dabei das Interesse der Koordinatorin, ob die Teilnahme bei der Bürgerbühne das Aboverhalten – sei es nun positiv oder negativ – beeinflusst. Diese stelle sich gerade in Bezug auf die Spielclubs, bei denen Aufführungsbesuche in der Regel inklusive und fester Bestandteil des Programms sind: [D]as war bei uns mal die Frage, gerade im Zusammenhang mit den vier kostenlosen Besuchen, die dann jeder Club machen kann war die Befürchtung, ob nicht Abos gekündigt werden. Wenn man jetzt für 60 € Teilnahmegebühr jede Woche quasi nen Workshop kriegt und dann noch vier Mal zusätzlich ins Theater geht: das ist ja ein super @Schnäppchen eigentlich@. Warum dann noch ein Abo nehmen oder so? Aber das weiß ich auch nicht, ob [...] Leute ihre Abos gekündigt haben oder ob sogar die Theaterbegeisterung so sehr gewachsen ist, dass man sich zusätzlich ein Abo [...] noch geholt hat.“253 Nicht nur die Analyse der Spieler, sondern auch die Publikumsperspektive erscheint für weitere Überlegungen interessant. Es stellt sich die Frage, ob und wofür sich Besucher der Aufführungen mit Laiendarstellern begeistern können und was für Auswirkungen dies auf die Gewinnung neuer Zuschauer haben mag. Dabei betont Stefanie Bub, dass sie etwa bei der Auftaktproduktion, der Inszenierung Soul City vom Publikum darauf angesprochen wurde, dass dieses teilweise sehr berührt gewesen sei und etwas derartiges noch nie zuvor gesehen habe. Dies sei ein Indiz dafür, dass 247 Bub, Stefanie (20.12.2013), S. 5, Zeile 150. 248 Ebd., S. 5, Zeile 159. 249 Ebd., S. 5, Zeile 159-164. 250 Ebd., S. 6, Zeile 210-212. 251 Ebd., S. 6f, Zeile 213-219. 252 Vgl. ebd., S. 7. 253 Ebd., S. 15, Zeile 520-533. 42 die Authentizität der Laiendarsteller eine sehr große Kraft habe und einen Theaterabend zu etwas Besonderem machen könne.254 Ob Besucher diese Art der Darstellung ansprechend fänden, hänge immer auch vom einzelnen Zuschauer ab255, [a]ber gerade bei Soul City [hätten sie; E.G.] auch viele Nachgespräche im Anschluss geführt, wo immer wieder kam, dass die Leute sich identifizieren mit dem, was, was auf der Bühne erzählt wurde, weil man eben ähnliche Erfahrungen gemacht hat. Mh, klar, und der Gedanke, es könnte ich sein, der da steht, spielt natürlich schon grundsätzlich ne Rolle, schwingt immer mit“256. Möglicherweise liegt gerade in dieser Identifikation das große Potenzial der Bürgerbühne: Leute sehen, die einem ähneln, eventuell sogar Personen, die man selber sehr gut kennt. Die Vermutung liegt nahe, dass Laiendarsteller immer auch Freunde und Familie mit zu den Aufführungen bringen. Dies birgt, wie bereits vermutet, die Chance über Empfehlungsmarketing neue Besuchergruppen anzuziehen: Ja, klar, klar. Also, dass die Leute mitbringen, so schneeballeffekt-mäßig, is klar. Man will ja auch seinen [lacht] Verwandten da sehn, wenn er sagt, er macht was am Nationaltheater. [...] vielleicht sind es schon auch Leute, die sonst eher in die Freie Szene gehen, die sich hier dann eher die Sachen der Bürgerbühne ansehen. Aber das weiß ich nicht, inwieweit sich das deckt mit unserm Publikum, was sonst in die Vorstellungen kommt oder kam bevor es die Bürgerbühne gegeben hat.257“ Neben der Möglichkeit dies im Fragebogen abzufragen, weist Stefanie Bub auf das Anmeldeformular für Spielclubs hin, bei dem u.a. angegeben wird, woher man von diesen erfahren hat. Hier würden einige Teilnehmer Namen von Personen eintragen, die sie persönlich kennen.258 Die Daten der Anmeldeformulare sollen daher ebenfalls in die Forschungsarbeit einfließen. 4.6 Zusammenfassung der bisherigen Erkenntnisse Bei Betrachtung der Interviews mit den drei Teilnehmern sowie der Koordinatorin der Bürgerbühne lässt sich feststellen, dass sich einzelne zuvor als wichtig erachtete Themenkomplexe nochmals in ihrer Relevanz bestätigt haben. Zugleich wurde auf bestimmte Punkte eingegangen, die ohne die Interviews mit großer Wahrscheinlichkeit unberücksichtigt geblieben wären. Die daraus resultierende Fülle an Informationen bietet die Grundlage für die noch darzustellende quantitative Erhebung mittels Onlinefragebogen; gerade deshalb scheint es wichtig den Bezug zwischen den Interviews und der Konzeption des Fragebogen intersubjektiv nachvollziehbar zu machen. Im Folgenden möchte ich daher die meiner Ansicht nach entscheidenden Aspekte, die in die quantitative Erhebung einfließen sollen, knapp zusammenfassen. 254 Vgl. ebd., S. 9. 255 Vgl. ebd., S. 11. 256 Ebd., S. 11, Zeile 381-384. 257 Ebd., S. 10, Zeile 329-338. 258 Vgl. ebd., S. 11. 43 Was macht die Bürgerbühne attraktiv? Zunächst erscheint es mir wichtig herauszufinden, was die Bürgerbühne in den Augen ihrer Nutzer in besonderer Weise vom ‚normalen‘ Theaterangebot abhebt. Denn im Spielraum dieser Differenz werden – so ist anzunehmen – bislang vom Theater unerfüllte Bedürfnisse des Publikums bedient. Was also macht die Bürgerbühne attraktiv? Die Vermutung liegt nahe, dass ihre Stärke darin liegt, dass sie einen Ort darstellt, der einen anderen, emotionaleren Zugang zum Theater ermöglicht. Im Verhältnis zum ‚normalen‘ Theater ist hier wesentlich aktivere Partizipation und größere Identifikation mit den Themen möglich – dies könnten zwei zentrale Attraktivitätskriterien sein. Wer ist Teilnehmer von welchem Format? Nicht jeder ist jedoch daran interessiert, selber auf der Bühne zu stehen. Es stellt sich daher die Frage, wer aus welchen Gründen zum Partizipierenden wird. Dafür ist es zum einen notwendig, demografische Daten zu erheben. Die Vermutung legt bislang nahe, dass die Bürgerbühne geschlechterund generationen-, nicht jedoch schichtenübergreifend ist. Zum anderen erscheint es interessant, mehr darüber zu erfahren, welche Vorlieben die Teilnehmer in Bezug auf Theaterformate haben. Sind es Personen, die normalerweise in der Freien Szene unterwegs und besonders experimentierfreudig sind oder doch eher Liebhaber des klassischen Theaters? Den Interviews nach werden sowohl die ausgewählten Themen als auch die zeitliche Organisation als sehr positiv bewertet. Darüber hinaus scheinen vor allem die Worskhops sehr gefragt zu sein. Es gilt daher nachzuprüfen, welche Formate tendenziell besonders gut angenommen werden. Gibt es eine Bindungsentwicklung bei den Teilnehmern? Neben der Frage, wer sich aus welchen Gründen für die Bürgerbühne begeistern lässt, ist ein zentraler Punkt, die Bindungsentwicklung der Teilnehmer nicht nur im Bezug auf die Bürgerbühne, sondern auch im Bezug auf das Mannheimer Nationaltheater als Institution nachzuvollziehen. Dabei wird es entscheidend sein, sowohl die Entwicklung einer emotionalen Zugehörigkeit als auch das Besucherverhalten an sich zu untersuchen. Konkret bedeutet das: Führt die Teilnahme bei der Bürgerbühne zu einer Häufung der Theaterbesuche der Bürgerbühnenaufführungen? Oder gibt es sogar Übertragungseffekte und es entwickelt sich ein größeres Interesse für die Aufführungen am Großen Haus im Nationaltheater? Und ist es zwangsläufig so, dass ein größeres Zugehörigkeitsgefühl mit mehr Theaterbesuchen einhergeht? In diesem Zusammenhang werde ich auch versuchen, das Aboverhalten der Teilnehmer zu beschreiben, da Stefanie Bub die Sorge geäußert hat, die Gratis-Vorstellungen, die bei den Bürgerbühnenangeboten in der Regel dabei sind, könnten zu einem Verlust an Abonnenten führen. Wie setzt sich das Publikum zusammen? Selbst wenn man sich (zunächst) nicht für eine aktive Teilnahme entscheidet, so ist es durchaus möglich als Zuschauer an der Bürgerbühne teilzuhaben. Es ist sogar denkbar, dass sich Menschen für die Aufführungen der Laiendarsteller begeistern, die sonst eher selten oder gar nicht ins Theater gehen – schließlich steht die Freundin oder der Nachbar auf der Bühne. Dies könnte ein be44 sonders niedrigschwelliger Zugang zum Theater sein. Um herauszufinden, wie sich das Publikum der Bürgerbühnen-Vorstellungen in demografischer Hinsicht zusammensetzt, wäre eigentlich eine separate Befragung notwendig, die im Rahmen dieser Arbeit nicht geleistet werden kann. Allerdings lässt sich dies möglicherweise indirekt über die Teilnehmer der Bürgerbühne herausfinden. Es scheint also interessant, ob und wie viele, ggf. auch welche Personen zu den Werkschauen und Vorstellungen mitgebracht werden. Wodurch wird Aufmerksamkeit erzeugt? Werden die Zuschauer von heute tatsächlich zu den Spielern von morgen? Auf längere Sicht könnte sich hierdurch die Perspektive eröffnen, neue Mitglieder zu gewinnen. Oder besteht so etwas wie Mundpropaganda, wie es schon die theoretischen Ausführungen zum Empfehlungsmarketing implizierten? Vor allem die Äußerungen von Stefanie Bub legen dies nahe. Dies könnte neben den klassischen Werbemitteln ein sehr wirkungsvolles Instrument sein, die Bürger Mannheims auf das Bürgerbühnen-Angebot aufmerksam zu machen. Eine wichtige Antwort auf diese Frage könnten auch die Anmeldeformulare für die Spielclubs geben, die als ein Teil der quantitativen Erhebung im nächsten Kapitel ausgewertet werden sollen. 5 Quantitative Erhebung: Anmeldeformular und Onlineumfrage Um die ersten Eindrücke, die durch die Interviews mit den Teilnehmern sowie der Koordinatorin gewonnen wurden, durch eine umfassendere Abbildung der Institution Bürgerbühne am Nationaltheater Mannheim zu ergänzen, wurde sich für eine Onlinebefragung aller Teilnehmer der Bürgerbühne und Jungen Bürgerbühne entschieden. Darüber hinaus lagen mir, wie bereits angekündigt, die Antworten der kurzen Umfrage auf den Anmeldebögen für die Spielclubs der Bürgerbühne vor. Um unmittelbar an meinen zuletzt genannten Überlegungen bezüglich der relevanten Werbemittel und einem möglichen Gewinn neuen Publikums mittels Empfehlungsmarketing anzuschließen, möchte ich zunächst kurz auf die Auswertung der Anmeldeformulare eingehen. Anschließend soll der Fokus auf die Onlineumfrage gelegt werden, welche methodisch dargestellt und in einem zweiten Schritt auf zentrale Ergebnisse hin besprochen werden soll. 5.1 Auswertung des Spielclub-Anmeldeformulars Das Anmeldeformular für die Spielclubs der Bürgerbühne ist Bestandteil der Bürgerbühnen-Broschüren der Spielzeiten 12/13 und 13/14259. Es gibt zwei Felder, die von den zukünftigen Teilnehmern frei ausgefüllt werden können und die nach der »[p]ersönliche[n] Motivation und [den; E.G.] Erwartungen«260 im Bezug auf die Spielclubs fragen sowie danach, wodurch man von der Bürgerbühne erfahren habe. Die Ergebnisse der Befragung habe ich tabellarisch von Frau Bub erhalten, insgesamt waren somit die Antworten von 140 Spielclub-Teilnehmern einsehbar. Da alle Angaben frei formuliert werden können, erschien eine detaillierte Auswertung beider Fragen sehr auf259 Vgl. Nationaltheater Mannheim (Spielzeit 12/13), S. 18. 260Ebd. 45 wendig, weshalb sich darauf konzentriert wurde, wodurch die Teilnehmer auf die nicht angegeben 10 7,14 Bürgerbühne aufmerksam geworden sind. Theater (Institution, nicht näher defi- 6 4,29 Eine ausführliche Tabelle, die die Zuordniert) persönliche Kontakte 33 23,57 nung der Antworten zu meiner Ansicht Zeitung 17 12,14 nach geeigneten Kategorien transparent Internet (Website) 4 2,86 macht, befindet sich im Anhang dieser Abonnenteninfo-(Mail) 10 7,14 Arbeit. Abbildung 3 zeigt die statistische Newsletter 9 6,43 Flyer/Post/Broschüren 29 20,71 Auswertung der Anmeldebögen, wobei die Theaterfest/Tag der offenen Tür 18 12,86 drei höchsten Werte grau hinterlegt sind. Plakate 2 1,43 Mit 23,57% wurden persönliche Kontakte Radio 2 1,43 zu Freunden, Bekannten oder MitarbeiTeilnahme in anderen Clubs/Workshops 32 22,86 tern des Nationaltheaters als wichtigste etc. des NT Sonstiges 5 3,57 Informationsquelle genannt. Betrachtet Gesamtzahl der Befragten/Angaben: 140/177 man zudem die Angaben zum Theaterfest/ Abb. 3: Auswertung der Anmeldeformulare der Spielclubs Tag der offenen Tür (12,86%) ergibt sich ein Gesamtwert von 36,43% an Informationsquellen, die durch den Austausch mit anderen Personen geprägt sind. Dieser Wert deutet auf ein relativ stark ausgeprägtes Weiterempfehlungsverhalten der Bürgerbühnenmitglieder hin und spricht dafür, dass der Kontakt mit Personen, die eine persönliche Empfehlung aussprechen oder gezielt zur Bürgerbühne einladen, maßgeblich die eigene Teilnahme motiviert. Auf Platz 2 folgt die zuvorige Teilnahme an anderen Angeboten der Bürgerbühne. Dieser Wert muss genauer erläutert werden, da hierbei nicht nur die Angaben zur »Aufmerksamkeit durch...« miteinbezogen wurden, sondern auch auf einzelne Aussagen aus den Antworten auf »Persönliche Motivation und Erwartungen« zurück gegriffen wurde.261 D.h. die Partizipation an einem Workshop oder Spielclub wurde Aufmerksamkeit durch ... (Mehrfachaus- Anzahl wahl möglich) Prozent nicht unbedingt als Informationsquelle, wohl aber lobend als Grund der eigenen Motivation für eine weitere Teilnahme erwähnt. Dieser Wert fällt also aus dem Rahmen, da er nicht die persönliche Angabe der Befragten wiedergibt, durch ihre vorangegangene Teilnahme von zukünftigen Bürgerbühnen-Angeboten erfahren zu haben. Er beweist jedoch, dass 22,86% der Spielclub-Teilnehmer ‚Wiederholungstäter‘ sind. Die positive Erfahrung aus bereits besuchten Bürgerbühnen-Angeboten könnte demnach eine Art Motivator sein, der die Bereitschaft der Teilnehmer, Informationen zu kommenden Angeboten einzuholen und wiederholt an Spielclubs o.ä.. teilzunehmen, verstärkt. An dritter Stelle mit 20,71% befinden sich schließlich die klassischen Werbemittel, wie Broschüren, Spielzeithefte, postalische Sendungen, Flyer usw. als Informationsträger. Auch die Zeitung scheint nach wie vor ein wichtiges Medium zu sein, um die Aufmerksamkeit der Bürger zu gewinnen. Unter Berücksichtigung dieser Werte soll nun der zweite Teil der quantitativen Erhebung betrachtet werden. 261 Dies ist jeweils in der detaillierten Tabelle kenntlich gemacht mit »Aus der Antwort ‚Motivation‘». 46 5.2 Gestaltung der Onlineumfrage Eine quantitative Befragung aller Teilnehmer der Bürgerbühne sollte, wie bereits beschrieben, ein umfassendes Bild der Potenziale und Chancen der Mannheimer Bürgerbühne in Bezug auf das Audience Development zeichnen. Hierfür wurde zunächst eine schriftliche Befragung angedacht. Der dafür entwickelte Fragebogen ist im Anhang zu finden. Recht schnell stellte sich jedoch die Frage, wie die Teilnehmer der Spielclubs und Workshops der vergangenen Spielzeit (12/13) erreicht werden sollten, da sich diese nicht mehr regelmäßig trafen. In Absprache mit Frau Bub entschied ich mich daher für eine Onlinebefragung aller Teilnehmer der Bürgerbühne und Jungen Bürgerbühne der Spielzeit 12/13 und 13/14, da hierdurch ein größerer Rücklauf und weniger Arbeitsaufwand meinerseits erwartet wurde. Diese entspricht im Wesentlichen dem bereits entwickelten Fragebogen, ist jedoch an einigen Stellen noch modifiziert worden, was auf nachträgliche Verbesserungen sowie die Anpassung an das Medium zurückzuführen ist. Die Onlineumfrage wurde mit der Software SoSci Survey262 erstellt und konnte unter https://www. soscisurvey.de/buergerbuehne erreicht werden.263 Ähnlich wie bei der Erstellung der Leitfäden wurde auch bei der Konzeption der Umfrage Wert auf einen nachvollziehbaren Aufbau gelegt. Zu Beginn steht ein einführender Text, der in aller Kürze die Thematik des Forschungsprojekts umreißt und um Mithilfe bittet. Der Fragebogen ist inhaltlich in drei Bestandteile gegliedert. Der erste Teil behandelt die Wahrnehmung der Bürgerbühne (Aufmerksamkeit, Teilnahme, Motivation und Bewertung des Angebots) – dieser wurde bewusst als leichter und interessanter Einstieg in die Materie an den Anfang gestellt. Anschließend wird, inhaltlich etwas tiefer gehend, auf das Besucherverhalten eingegangen. Hierbei werden die eigenen theaterbezogenen Vorlieben, die Abo-Thematik sowie die Entwicklung einer (emotionalen) Bindung zum Nationaltheater befragt. Im dritten Teil geht es abschließend um die Erhebung von soziodemografischen Angaben. Dabei werden Geschlecht, Alter und Migrationshintergrund ermittelt. Die Abfrage des eigenen höchsten formalen Bildungsabschlusses und dem der Eltern sowie des Beschäftigungsverhältnisses und Einkommens zielt darauf ab, das Bildungsniveau und den sozialen Status der Teilnehmer festszustellen. Es wurde ein besonderes Augenmerk darauf gelegt, dass die einzelnen Seiten der Onlineumfrage übersichtlich gestaltet sind, d.h. nicht zu viele Fragen pro Seite gestellt werden. Gleichzeitig wurde darauf geachtet, dass sie nicht zu lange ist, sodass die Teilnehmer evtl. beim Durchklicken die Lust verlieren. Insgesamt umfasst die Onlineumfrage 20 Seiten und nimmt etwa 10 Minuten Zeit in Anspruch. Bei der Konstruktion der einzelnen Fragen wurde sich an den Tipps von Kirchhoff; Kuhnt; Lipp; Schlawin264 und SoSci Survey265 orientiert. Insgesamt wurde versucht, die Fragen verständlich zu formulieren266, »suggestive und stereotype Formulierungen [zu] vermeiden«267 und »auf den Bedeutungsgehalt von Begriffen [zu] achten«268. Hierzu gehörte beispielsweise, dass die 262 Leiner, D. J. (2014). 263 Vgl. Anhang Fragebogen online. 264 Vgl. Kirchhoff, Sabine; Kuhnt, Sonja; Lipp, Peter; Schlawin, Siegfried (2008). 265 Vgl. SoSci Survey. 266 Vgl. Kirchhoff, Sabine; Kuhnt, Sonja; Lipp, Peter; Schlawin, Siegfried (2008), S. 22. 267Ebd. 268Ebd. 47 Fragen einfach, eindimensional, ohne Verwendung von Fachjargon und ohne Wertung formuliert, Mehrdeutigkeiten ausgeschlossen und Antwortmöglichkeiten klar von einander trennbar sein sollten.269 Die fertige Onlineumfrage wurde anschließend einem Pretest unterzogen, um etwaige Fehler vor Beginn der eigentlichen Erhebung beseitigen zu können. Im Folgenden soll nun auf die Auswertung der Ergebnisse eingegangen werden. 5.3 Auswertung der Onlineumfrage Der Link zur Onlineumfrage wurde per E-Mail über die Verteiler des Nationaltheaters an 363 Teilnehmer der Bürgerbühne und 290 Teilnehmer der Jungen Bürgerbühne verschickt (insgesamt: 653), wobei vorab festgelegt wurde, dass er nur an über 16-Jährige versandt werden sollte, da der Fragebogen für jüngere Teilnehmer als zu komplex erachtet wurde. Es wurde darüber hinaus mit einigem Abstand noch je eine Erinnerungsmail verschickt, um noch mehr Leute zur Teilnahme zu motivieren. Insgesamt wurden 162 Fragebögen (24,81%) ausgefüllt, davon 134 (20,52%) vollständig. Nachträglich mussten noch einige wenige Datensätze aussortiert werden, die trotz der Vorkehrungen von jüngeren Teilnehmern erzeugt worden waren. Auch wurden alle Datensätze entnommen, bei denen weniger als die Hälfte der Fragen beantwortet worden waren, sodass davon ausgegangen werden konnte, dass die Teilnehmer sich nicht ernsthaft mit der Umfrage auseinander gesetzt hatten. Der folgenden Auswertung liegt damit die Gesamtheit n=127 (19,45%) zugrunde.270 5.3.1 Demografische Zusammensetzung des Bürgerbühnen-Publikums Betrachtet man zunächst die Geschlechterverteilung, so lässt sich feststellen, dass mit 73,6% der Anteil der Bürgerbühnen-Teilnehmerinnen deutlich überwiegt (Abb. 4) und damit die Ergebnisse zum klassischen Theaterpublikum (hier wurden in den besprochenen Studien Werte zwischen 53% und 64% Prozent ermittelt) sogar Geschlecht der Bürgerbühnen-Teilnehmer noch übersteigt. Auch gemessen an der Mannheimer Bevölkerungsstruktur scheinen die Männer bei der Bürgermännlich 26,40 bühne unterrepräsentiert. Die Verteilung nach Altersstufen birgt ebenfalls keine Überraschung. So liegt der erweiblich 73,60 rechnete Altersdurchschnitt bei etwa 49 Jahren271 und kommt damit dem 0,0 10,0 20,0 30,0 40,0 50,0 60,0 70,0 80,0 Abb. 4: Geschlechterverteilung der Bürgerbühnen-Teilnehmer von Tauchnitz in einer Studie von 2000272 ermittelten Wert von 51 Jahren 269 Vgl. Krosnick, J. A.; Presser, S. (2010): Question and Questionnaire Design. In: Marsden, P.V.; Wright, J. D. (Hrsg.): Handbook of survey research. 2. Auflage, S. 263–313. Bingley: Emerald. Zitiert nach: SoSci Survey (20.04.2014). 270 Alle Grafiken und Tabellen, die nicht im Fließtext dargestellt sind, sind im Anhang zu finden und mit ‚Anh. Abb. x‘ benannt. 271 Anh. Abb. 1. 272 Vgl. Tauchnitz, Jürgen (2000): Bevölkerungsbefragung zum Theater der Landeshauptstadt Magdeburg 1999. Zusammenfassung der Studie. Senftenberg. Zitiert nach: Föhl, Patrick S.; Lutz, Markus (2010), S. 43. 48 recht nahe. Insgesamt lässt sich anhand Abb. 5 feststellen, dass die Gruppe der 35 60- bis 70-Jährigen mit 30,71% unter 30,71 30 den Bürgerbühnen-Teilnehmern mit 23,62 25 20 Abstand am stärksten vertreten ist, ihr Alter in Prozent 15 11,81 folgen die 50- bis 60-Jährigen. Alle üb8,66 8,66 8,66 10 7,87 rigen Altersstufen sind in etwa gleich 5 repräsentiert, wobei die unter 20-Jäh0 20-30 Jahre 40-50 Jahre 60-70 Jahre unter 20 Jahre 30-40 Jahre 50-60 Jahre über 70 Jahre rigen sich mit knapp 12% noch etwas Abb. 5: Alter der Bürgerbühnen-Teilnehmer nach Abschnitten hervorheben. Dies könnte daran liegen, dass die Junge Bürgerbühne ihnen mit speziellen Angeboten für Jugendliche eine eigene Plattform gibt und somit bewusst ein Fokus auf diese Altersgruppe gesetzt wird. Es ist jedoch anzumerken, dass auch in diesem Fall noch mehr Jugendliche angesprochen werden müssten, um die Stadtbevölkerung adäquater abzubilden (der Anteil der unter 18-Jährigen liegt in Mannheim bei 14,8%). Bei den U20ern werden zudem bislang mehr als doppelt so viele Mädchen wie Jungen für die Angebote der Bürgerbühne interessiert.273 Alter der Bürgerbühnen-Teilnehmer Möglicherweise liegt eine Chance darin, diese in jungen Jahren stärker direkt anzusprechen, um auch langfristig einen höheren Anteil an Männern für die theaterpädagogischen Angebote zu gewinnen. Lediglich 13,6% der Teilnehmer sind Menschen mit Migrationshintergrund (Abb. 6). Dieses Ergebnis fällt damit deutlich geringer als das für die Bevölkerung Mannheims aus, in der immerhin knapp 40% einen Migrationshintergrund besitzen. Auch hier vermag es die Bürgerbühne bislang also nicht, ihnen die Institution Theater zugänglich zu machen. Unter den Befragten machen diejenigen mit italienischem und türkischem Migrationshintergrund (jeweils 17,6%) sowie diejenigen mit amerikanischem und österreichischem Hintergrund (jeweils 11,8%) die größten Bevölkerungsgruppen aus.274 Ein Blick auf das Beschäftigungsverhältnis spiegelt die bereits oben gewonnenen Daten zum Alter wider. So sind 25% der TeilnehTeilnehmer mit Migrationshintergrund mer bereits in Rente oder Pension. Größer ist nur 13,6 der Anteil der Angestellten mit 28%. Lediglich 3,2% sind derzeit arbeitslos. Azubis, Arbeiter und Facharbeiter machen innerhalb der Befragungskein Migrationshintergrund Migrationshintergrund gruppe einen verschwindend geringen Prozentsatz aus.275 Auch in dieser Hinsicht gleicht die vorliegende Erhebung also dem Wissen um das klassische Theaterpublikum. Die Erkenntnisse 86,4 zum Berufsstand korrespondieren weitestgehend Abb. 6: Prozentualer Anteil der Teilnehmer mit Migrationshintergrund mit der Einkommenssituation der Befragten, 273 Anh. Abb. 2. 274 Anh. Abb. 3. 275 Anh. Abb. 4. 49 da sich jedoch etwa 21% dieser nicht zu ihrem Einkommen äußern wollten oder konnten, sind die Daten nicht ganz eindeutig zu interpretieren. Festhalten lässt sich allerdings, dass tatsächlich alle Einkommensklassen vertreten sind, mit 2500 bis 3000 Euro jedoch immerhin 16,4% ein recht gutes Einkommen haben.276 Der erstaunlich hohe Anteil der Personen, die monatlich nur unter 1000 Euro zu Verfügung haben, lässt sich weitestgehend auf die Gruppen der Arbeitlosen, Schüler und Studenten zurückführen, denn diese machen zusammen knapp 81% der Teilnehmer mit einem Einkommen unter 1000 Euro aus.277 Sowohl beruflich als auch finanziell sind die BürgerbühnenSpieler also solide aufgestellt. Nochmals sehr eindeutige Hinweise liefert die Analyse der höchsten formalen Bildungsabschlüsse. Während in der Generation der Eltern der Teilnehmer noch etwa 33% keinen Abschluss oder einen Höchster formaler Bildungsabschluss der Eltern Hochschulabschluss 25,6 Abitur 19,8 Fachabitur 3,3 Prozent Realschulabschluss 18,2 Hauptschulabschluss 31,4 kein Abschluss 1,7 0 5 10 15 20 25 30 35 Abb. 7: Höchster formaler Bildungsabschluss der Eltern der Teilnehmer Höchster formaler Bildungsabschluss der Teilnehmer 53,6 Hochschulabschluss 20,0 Abitur 8,0 Fachabitur Prozent 14,4 Realschulabschluss 3,2 Hauptschulabschluss 0,8 kein Abschluss 0 10 20 30 40 50 60 Abb. 8: Höchster formaler Bildungsabschluss der Teilnehmer Hauptschulabschluss hatten (Abb. 7), weisen die Angaben der Befragten nun auf eine zunehmende Akademisierung hin. So zeigt die Grafik eine auf den Kopf gestellte Pyramide und macht deut276 Anh. Abb. 5. Zur Frage gehörige Anweisung: »Gemeint ist der Betrag, der innerhalb Ihres Haushalts monatlich zur Verfügung steht; er setzt sich aus allen Einkünften zusammen und bleibt nach Abzug der Steuern und Sozialversicherungen übrig.« 277 Anh. Abb. 6. 50 lich, dass sich bislang hauptsächlich Menschen, die mindestens einen Realschulabschluss gemacht haben, für die Bürgerbühne interessieren. Immerhin liegt dieser Anteil bei knapp 14%. Demnach besitzen 28% der Befragten (Fach-)Abitur und 53,6% sogar einen Hochschulabschluss (Abb. 8). Bildung scheint also, wie so oft zitiert, der Schlüssel zu sein, um Zugang zur Kultur zu finden. Davon ist auch die Mannheimer Bürgerbühne nicht ausgeschlossen. Doch nicht nur das hohe Bildungsniveau ist ein offensichtliches Charakteristikum der Bürgerbühnen-Spieler. Denn bei Betrachtung der Interessen der Teilnehmer im Bereich der Darstellenden Kunst (Abb. 9) wird deutlich, dass man diese als ‚Omni-Kultur-Konsumenten‘ bezeichnen könnte. D.h. die Bürgerbühnen-Spieler scheinen, ganzInteressen der Teilnehmer im Bereich der Darstellenden Kunst (Mehrfachauswahl) heitlich betrachtet, ausgespro5,5 Sonstiges 29,9 Performances chene Kulturfreunde zu sein, 40,9 Aufführungen der Freien Theaterszene die Interesse für eine Vielzahl 26,0 Kabarett 46,5 Bürgerbühne an Angeboten entwickelt ha48,8 Ballett Prozent 51,2 Moderner Tanz ben. Eine eindeutige Vorliebe 22,0 Musical 7,9 Operette für Angebote der Freien Szene, 46,5 Oper 57,5 Zeitgenössisches Theater wie sie von Frau Bub erwägt 59,1 Klassisches Theater wurde, zeichnet sich daher 0,0 10,0 20,0 30,0 40,0 50,0 60,0 70,0 nicht ab. Wie zu erwarten, liegt Abb. 9: Interessen der Teilnehmer im Bereich der Darstellenden Kunst jedoch eine leichte Präferenz im Bereich des zeitgenössiInteresse für Musical schen und klassischen Theain den einzelnen Abschlusskategorien ters vor, welches ja auch bei 11,9% Hochschulabschluss der Bürgerbühne zur Auffüh20,0% Abitur rung kommt. Die Bürgerbüh20,0% Fachabitur ne selbst erreicht mit 46,5% 50,0% Realschulabschluss einen guten Mittelwert und ist 50,0% Hauptschulabschluss daher offensichtlich auch aus 100,0% kein Abschluss der Zuschauerperspektive he0,0% 10,0% 20,0% 30,0% 40,0% 50,0% 60,0% 70,0% 80,0% 90,0% 100,0% raus attraktiv. Während eher Abb. 10: Interesse für Musical geordnet nach formalem Bildungsabschluss lockere Unterhaltungsformen, wie Operette (7,9%), Musical (22,0%) und Kabarett (26,0%) sowie das Genre ‚Performances‘, welches durch seinen experimentellen Charakter aus dem Rahmen fällt, eher mäßig besucht werden, kommen alle Formate der sog. ‚E-Kultur‘ nahezu gleich gut an. Dass auch dies mit dem Bildungsgrad zu tun haben könnte, zeigt ein Blick auf die Sparte Musical (Abb. 10), welche eher ungern von Befragten mit (Fach-)abitur oder Hochschulabschluss angenommen wird, aber eine breite Zustimmung von den Teilnehmern mit einem niedrigeren Abschluss erhält. 51 Insgesamt überraschen die Ergebnisse der demografischen Erhebung nicht, sondern können im Großen und Ganzen als Bestätigung bereits bestehender Forschung zum Theaterpublikum gewertet werden. Demnach wird bislang vor allem ein weibliches Publikum angesprochen, welches sich in der zweiten Lebenshälfte befindet und sowohl finanziell als auch beruflich gut aufgestellt ist. Es werden nach wie vor zu wenig junge Menschen und Menschen mit Migrationshintergrund angesprochen. Neben einer klaren Erkenntnis, dass die Teilnehmer über ein sehr hohes Bildungsniveau verfügen, ist positiv anzumerken, dass immerhin 14% ‚nur‘ die Realschule absolviert haben. Da die Befragten sich für ein breites Feld an Kulturangeboten interessieren, ist anzunehmen, dass sie der Art von Zielgruppe angehören, die sehr leicht für innovative Institutionen wie die Bürgerbühne begeistert werden kann – einfach dadurch, dass generell eine große Bereitschaft zur kognitiven und emotionalen Auseinandersetzung mit Kultur gegeben ist. Im Verlauf der Auswertung wird zu beschreiben sein, inwiefern sie sich – angeregt durch ihre Teilnahme – auch verstärkt für andere Angebote des Nationaltheaters interessieren lassen. Zunächst soll aber kurz auf die Bewertung des theaterpädagogischen Angebotes eingegangen werden. 5.3.2 Bewertung des Bürgerbühnen-Angebotes Knapp 56% der Teilnehmer stimmen der Aussage, dass die Themen der Bürgerbühne lebensnah seien, eher zu, etwa 25% teilen diese Auffassung sogar im hohen Maße (Abb. 11). Demnach zeigen sich fast 80% aller Befragten mit den Themen zufrieden, mehr noch, sie scheinen durch die Nähe zum Alltag, welche durch die unmittelbare, gemeinsaDie Themen der Bürgerbühne sind lebensnah, me Arbeit am Stoff gegeben ist, einen Zugang zum Inhalt 25,20 stimme voll zu zu finden und sich damit zu identifizieren. Dies sind As55,91 stimme eher zu pekte, welche bereits in der 13,39 stimme eher nicht zu Forschung zum Dresdner Bürgerbühnenmodell aufge5,51 stimme nicht zu taucht sind und auch bei der 20 30 40 50 60 0 10 Analyse des WeiterempfehAbb. 11: Bewertung der Alltagsnähe der Bürgerbühnen-Themen lungsverhaltens nochmals beleuchtet werden sollen. Mit alltagsnahen Themen erreicht die Bürgerbühne eine Form des niedrigschwelligen Zugangs, der zunächst einmal recht gut bei den Teilnehmern ankommt. Die Bewertung der Angebotsvielfalt, zu sehen in Abb. 12, fällt dabei sogar noch positiver aus. So stimmen fast 93% der Aussage, dass für jeden Geschmack etwas geboten sei, zu. Weiterhin sollten die organisatorischen Anforderungen an die Teilnehmer nicht unberücksichtigt bleiben und ermittelt werden, inwiefern die Angebote zeitlich gut in den Alltag integriert werden können. Dabei wird deutlich, dass die Vereinbarkeit der täglichen Pflichten mit der Bürgerbühne nicht immer gewährleistet ist. 20,8% stimmen der Aussage, es sei problemlos möglich, ein oder mehrere Angebote wahrzunehmen, eher nicht und 9,6% weil sie mich selbst im Alltag beschäftigen 52 nicht zu.278 Es ist anzunehDurch die Vielfalt der Themen ist für jeden etwas geboten men, dass dies im hohen Maß für die Inszenierungsangebote 41,60 stimme voll zu gilt, bei denen sehr viel Freizeit ‚geopfert‘ werden muss. 51,20 stimme eher zu Auch ist es für Berufstätige sicher nicht immer möglich, 6,40 stimme eher nicht zu einen Nachmittag oder Abend in der Woche für einen Spielstimme nicht zu 0,80 club freizuhalten. Diese Prob50 60 30 40 20 0 10 lematik wird sich wohl kaum Abb. 12: Bewertung der Themenvielfalt vollständig beheben lassen, insofern liegen hier also trotzdem recht gute Werte vor. Mit dem Ausbau des theaterpädagogischen Angebotes, so wie er Stefanie Bub zufolge geplant sei, besteht eventuell die Chance, zukünftig auch zeitlich noch etwas flexibler auf die Bedürfnisse der Teilnehmer einzugehen. Zuletzt sollte der Frage nachgegangen werden, ob die Zufriedenheit bei der Teilnahme zur eigenen Kreativität außerhalb der Bürgerbühne angeregt hat. Dies bejahten immerhin 22,4% der Befragten279, welche sich nun zu einem Großteil auch in anderen (Amateur-)Theatergruppen engagieren. Vereinzelt wurde die professionelle Beschäftigung mit Theater genannt, also der Besuch einer Schauspielschule. Darüber hinaus interessierten sich die Teilnehmer nun für eine theatertheoretische Auseinandersetzung (an der Universität), Musik, Tanz und literarisches Schreiben.280 5.3.3 Betrachtung des Besucherverhaltens und der emotionalen Bindung Die Betrachtung des Besucherverhaltens erwies sich als besonders aufschlussreich. Die Erhebung ergab dabei, dass die Befragten generell recht häufig ins Nationaltheater gehen, nämlich durchschnittlich 12 Mal im Jahr281 – ein Wert, der an die bislang erworbenen Erkenntnisse zu den gut gebildeten und kulturell vielseitig interessierten Teilnehmern anknüpft. Man kann daher zunächst einmal von einem Stammpublikum ausgehen. Doch welche Auswirkungen kann die Partizipation bei der Bürgerbühne über einen längeren Zeitraum hinweg auf das Besucherverhalten haben? Kann sie, wie vermutet, zu einem Anstieg an Theaterbesuchen führen? Mit Hilfe einer Gegenüberstellung der Teilnahme bei Inszenierungen, Spielclubs und Workshops der Spielzeit 12/13 und der Spielzeit 13/14 wurde zunächst ermittelt, ob die Spieler innerhalb dieses Zeitraumes aktiver bei der Bürgerbühne geworden sind. Diese Analyse war nicht ganz unproblematisch, da die Frage, bei wie vielen Inszenierungen, Spielclubs und Workshops sie in der jeweiligen Spielzeit teilgenommen hätten, im Bezug auf die Anzahl an Inszenierungen von einigen Befragten falsch interpretiert wurde. Es ist anzunehmen, dass das Wort ‚Inszenierung‘ diesen Teilnehmern kein Begriff war und sie darunter 278 Anh. Abb. 7. 279 Anh. Abb. 8. 280 Anh. Abb. 9. 281 Anh. Abb. 10. 53 Aufführungen verstanden hatten. Dies mag erklären, weshalb teilweise abstrus hohe Angaben gemacht wurden, während aufgrund dieser zeitintensiven theaterpädagogischen Form lediglich gar keine oder eine Teilnahme pro Spielzeit realistisch gewesen wäre. Die Angaben zu den Spielclubs und Workshops hingegen waren durchweg plausibel und wurden daher als fehlerfrei in die Analyse übernommen. Um die Angaben zur Inszenierungsteilnahme der Spielzeit 12/13 und 13/14 von unsinnigen Angaben zu befreien, wurde je ein Boxplot-Diagramm erstellt, welches die Ausreißer unter Angabe der jeweiligen Fallnummer als Entwicklung des Besucherverhaltens einzelne Punkte anzeigt282. Anschließend wurden die Teilnahme an Inszenierungen Angaben der im Diagramm 0,7 hervorgehobenen Fälle im 0,6 0,60 0,5 Datensatz gelöscht und die durchschnittliche Teilnahme an Inszenierungen 0,4 nun korrigierte Datenla0,3 ge für eine Neuberechung 0,27 0,2 genutzt. Wie Abb. 13 zeigt, 0,1 haben die Befragten in 0 der Spielzeit 12/13 durchSpielzeit 12 / 13 Spielzeit 13 / 14 schnittlich bei 0,27 InszenieAbb. 13: Durchschnittliche Teilnahme bei Inszenierungen rungen mitgemacht, in der Spielzeit 13/14 sind es schon 0,6 Inszenierungen. Damit ist auf den ersten Blick eine leicht erhöhte Partizipation erkennbar. Ein noch aussagekräftigeres Ergebnis erhält man jedoch, wenn man von den Angaben der Nicht-Nutzer ausgeht und von diesen auf die der Nutzer schließt. Diese zeigen nämlich, dass in der Spielzeit 12/13 77,12% der Befragten an überhaupt keinem Inszenierungsprojekt partizipiert haben, in der Spielzeit 13/14 aber nur noch 42,28%.283 Damit haben in der Spielzeit 12/13 22,88% der Befragten an ein oder mehreren Inszenierungen teilgenommen und in der darauf folgenden Spielzeit schon Teilnehmerzahlen in Prozent 57,72% (vgl. Abb. 14). WähPartizipation bei einem oder mehreren Bürgerbühnen-Angeboten rend die durchschnittli70 che Teilnahme scheinbar 57,72 60 nur geringfügig gestiegen 50 Spielzeit 12/13 ist, lässt sich doch gut erSpielzeit 13/14 37,01 37,01 40 kennen, dass immer mehr 25,98 30 22,88 18,90 Nicht-Nutzer in der zweiten 20 10 Spielzeit der Bürgerbühne zu 0 Nutzern geworden sind. Die Inszenierungen Spielclubs Workshops Werte zeichnen sogar eine Abb. 14: Teilnehmerzahlen bei Inszenierungen, Spielclubs und Workshops sehr erfreuliche Tendenz ab, 282 Anh. Abb. 11, Anh. Abb. 12. 283 Anh. Abb. 13, Anh. Abb. 14. 54 denn immerhin bedeuten diese einen Anstieg um 34,84 Prozentpunkte, also etwa 150%. Im Schnitt nehmen nun also 1,5 Mal so viele Teilnehmer wie zuvor Inszenierungsangebote wahr. Eine positive Bilanz lässt sich auch für die Partizipation bei Spielclubs und Workshops ziehen. So wurden erst 0,28 dann durchschnittlich 0,43 Spielclubs wahrgenommen.284 Während in der Spielzeit 12/13 25,98% der Befragten ein oder mehrere Spielclubs besuchten, waren dies im darauf folgenden Jahr schon 37,01%.285 Damit stieg die Anzahl der Teilnehmer insgesamt um etwa 42% (oder 11,03 Prozentpunkte). Workshops scheinen generell am häufigsten besucht zu werden, was an dem kurzweiligen Format (ein Nachmittag plus Theatervorstellung) liegen könnte. Durchschnittlich wurden hier 0,46 (Spielzeit 12/13) bzw. 0,74 (Spielzeit 13/14) Workshops wahrgenommen.286 18,90% der Befragten besuchten in der Spielzeit 12/13 ein oder mehrere Workshops sowie 37,01% in der Spielzeit 13/14.287 Damit gibt es nun etwa 96% mehr Teilnehmer (18,11 Prozentpunkte) als in der Spielzeit zuvor. Diese durchweg positiven Ergebnisse verstärken den Eindruck, dass eine sehr hohe Zufriedenheit im Bezug auf die theaterpädagogischen Angebote gegeben ist, die zum einen dazu führt, dass Personen, die bereits bei der Bürgerbühne aktiv sind, sich noch stärker einbringen und in der zweiten Spielzeit noch mehr ausprobieren, also durchschnittlich etwas mehr Angebote als in der ersten Spielzeit der Bürgerbühne wahrnehmen. Darüber hinaus scheint die Bürgerbühne an Popularität zu gewinnen, d.h. die Zufriedenheit der Teilnehmer wird kommuniziert und weiter getragen, sodass es in der zweiten Spielzeit einen deutlichen Anstieg an Erstnutzern gab. 39,68% der Befragten geben zudem an, seit ihrer Teilnahme nun auch häufiger als Zuschauer Werkschauen oder Aufführungen der Bürgerbühne beizuwohnen.288 Sowohl aktiv als auch pasIch plane, weiterhin Angebote der Bürgerbühne wahrzunehmen siv werden die theaterpädagogischen 17,46 Angebote also sehr gerne angenommen und auch für die Zukunft liegt eine gute Prognose vor: Ein Anteil von knapp 83% ja der Befragten gibt an, auch zukünftig nein Leistungen der Bürgerbühne in Anspruch nehmen zu wollen (Abb. 15). Unter den Personen, die dies nicht beabsichtigen, ist mit 47,06% zu wenig Zeit der ausschlaggebendste Grund.289 Dies weist einmal 82,54 Abb. 15: Weitere Teilnahme bei der Bürgerbühne – Anzahl in Prozent mehr darauf hin, dass es nicht immer möglich ist, die theaterpädagogischen 284 Anh. Abb. 19. 285 Anh. Abb. 15, Anh. Abb. 16. 286 Anh. Abb. 20. 287 Anh. Abb. 17, Anh. Abb. 18. 288 Anh. Abb. 21. 289 Anh. Abb. 22. 55 Projekte in den Alltag zu integrieren, selbst, wenn prinzipiell Interesse an einer Partizipation besteht. Von Interesse war jedoch nicht nur die Analyse die Bürgerbühnen-Partizipation, auch mögliche Übertragungseffekte sollten mit Hilfe des Fragebogens überprüft werden. Werden die vielseitig Interessierten eventuell über die Bürgerbühnen-Angebote hinaus auch vermehrt auf andere Vorstellungen des Mannheimer Nationaltheaters aufmerksam? Ich wollte deshalb von den Teilnehmern wissen, wie sie ihren Bezug zum Nationaltheater selbst einschätzen. Gefragt wurde daher nicht nur, inwiefern sich das Besucherverhalten nach eigenem Gefühl im Bezug auf das Nationaltheater verändert habe, sondern auch, ob eine Art emotionale Bindung zu diesem entstanden sei. Ein geringer Anteil von 0,8% der Befragten gab dabei an, dass er nun seltener Stücke des Nationaltheaters besuche, für knapp 41% hat sich nichts geändert. Umso erfreulicher aus Sicht des Theaters ist es, dass eine Mehrheit von 58,4% nun sogar noch häufiger ins Nationaltheater geht (Abb. 16). Dieser Selbsteinschätzung zufolge hat die Seitdem ich bei der Bürgerbühne mitmache, ... Bürgerbühne immerhin über Selbsteinschätzung der Teilnehmer zu ihrem Besucherverhalten - Übertragungseffekte NT die Hälfte der Befragten dazu 0,80 besuche ich seltener Stücke im mobilisiert, auch noch andere Nationaltheater besuche ich sogar noch häufiger Angebote des NationaltheaVorstellungen des Nationaltheaters 40,80 ters wahrzunehmen. Erklärhat sich an meinem Besucherverhalten nichts bar ist dieser Effekt dadurch, geändert 58,40 dass die Teilnehmer zum einen, bedingt durch ihre vermehrte Anwesenheit in der Abb. 16: Änderungen im Besucherverhalten der Teilnehmer Institution, häufiger mit Programmankündigungen in Kontakt kommen als zuvor – sei es durch Auslagen oder persönliche Einladung. Zum anderen besteht eventuell durch ihre eigene kreative Tätigkeit eine größere Neugier, sich hausinterne Projekte persönlich anzusehen. Was den Aufbau einer emotionalen Verbindung zum Nationaltheater angeht, so wird deutlich, dass die Bürgerbühne kein Wundermittel ist, aber durchaus neue Wege aufzeigen kann. So wurde mit Hilfe der Befragung versucht, verschiedene Bindungsgrade zu ermitteln, indem sich die Teilnehmer für eine von fünf Aussagen entscheiden sollten: Sogar 11,48% der Befragten geben dabei an, erst durch die Bürgerbühne die Institution Mannheimer Nationaltheater für sich entdeckt zu haben (Abb. 17). Das würde ich durchaus als gute Quote interpretieren, da die Fähigkeit der Bürgerbühne, theaterferne Personen an die Einrichtung heranzuführen, also Erstnutzer zu generieren, offenkundig wird. Sie scheint also prinzipiell einen interessanten und niedrigschwelligen Einstieg zu ermöglichen, welcher den ersten Stein für eine im besten Falle lang anhaltende Beziehung legt. Besonders interessant ist dabei, dass fast 29% der unter 20-Jährigen nach eigenen Angaben erst über die Bürgerbühne zum Nationaltheater gefunden haben.290 Damit scheint die Bürgerbühne das Potenzial zu haben, ein besonders junges Publikum als Erstnutzer zu gewinnen. Wie wir bereits von der Analyse der demografischen Erhebung wissen, 290 Anh. Abb. 27. 56 Aufbau einer emotionalen Beziehung zum NT Selbsteinschätzung der Teilnehmer 11,48 3,28 4,92 Erst durch die Bürgerbühne habe ich das Nationaltheater als Institution für mich entdeckt. Ich habe mich dem Nationaltheater schon immer sehr verbunden gefühlt und kann daher keine Veränderung feststellen. 20,49 Ich habe das Gefühl, mehr Facetten des Nationaltheaters kennengelernt zu haben. 59,84 Ich habe eine Beziehung zu den Teilnehmern meiner Inszenierung/Spielclub/Workshop und der Leitung aufgebaut, aber nicht zum NT Ich konnte durch die Bürgerbühne keine Beziehung zum Nationaltheater aufbauen. Abb. 17: Aufbau einer emotionalen Beziehung zum Nationaltheater haben wir es jedoch, insgesamt betrachtet, mit einem hochgradig theateraffinen Publikum zu tun. Daraus erklärt sich die Antwort von 20,49% der Befragten, die sich dem Nationaltheater schon seit langem verbunden fühlen und daher von jeher eine enge Bindung zu diesem pflegen (Abb. 17). Es ist diesen Personen dann natürlicher Weise nicht möglich, eine weitreichende emotionale Veränderung festzustellen. Anders gesprochen, hat die Bürgerbühne auf sie praktisch keinerlei Auswirkung, was das Audience Development betrifft. Der Bindungsgrad bleibt in diesem Fall einfach konstant hoch. Offenkundig positiv ist die Angabe von knapp 60% der Teilnehmer, welche glauben, nun weitere Facetten des Nationaltheaters kennen gelernt zu haben. Diese Aussage wurde bereits in den qualitativen Interviews von zwei der Interviewpartner getroffen. Man kann also davon ausgehen, dass bei etwa 60% der befragten Personen ihre gefestigte Beziehung zum Nationaltheater noch durch neue, positive Eindrücke unterstrichen wurde. Dies ist durchaus ein gutes Ergebnis und könnte dafür stehen, dass die Bürgerbühne eine Möglichkeit sein kann, die Beziehung zu dem bereits bestehenden Publikum durch eine personalisierte Ansprache zu pflegen, zu intensivieren und seine Zufriedenheit im Bezug auf die Institution dauerhaft zu gewährleisten. Die Theaterpädagogik scheint hierbei eine besondere Nähe zum Menschen zu ermöglichen. Abschließend muss zu diesem Punkt allerdings festgehalten werden, dass knapp 5% der Befragten angeben, lediglich zu den Mitspielern und unmittelbar involvierten Personen eine Bindung aufgebaut zu haben. Auf diese wirkt die Bürgerbühne zwar gewissermaßen als Beziehungsstifter, aber nicht im Sinne des Audience Developments. Etwa 3% der Befragten konnten überhaupt keine Beziehung knüpfen (Abb. 17). Insgesamt ergibt sich jedoch eine gute Gesamtprognose und man kann durchaus davon sprechen, dass die Bürgerbühne den Bindungsgrad der Teilnehmer positiv beeinflusst. Eine Sonderrolle in der Untersuchung des Besucherverhaltens nimmt die Betrachtung der Abonnements ein, welche zuletzt anhand Abb. 18 dargestellt werden soll. Abonnenten pflegen in der Regel eine besonders enge Verbundenheit einer Institution gegenüber, weil sie sich sowohl zeitlich als auch programmatisch stark festlegen. Stefanie Bub hatte im Interview die Sorge geäußert, dass aufgrund der Vorstellungsbesuche, die bei Workshops und einigen Spielclubs inklusive sind, sowie wegen des Hausausweises, der Inszenierungsteilnehmern kostenlose Besuche aller Vorstellungen 57 des Nationaltheaters ermögliche, bishe0,435 0,43 0,43 rige Abonnenten 0,425 0,42 wegfallen könnten. 0,415 durschnittliche Anzahl an Abos 0,41 Diese Sorge scheint 0,405 0,4 0,40 zunächst nicht ganz 0,395 0,39 unbegründet, geben 0,385 Abos vor der Teilnahme bei der Bürgerbühne Abos nach der Teilnahme bei der Bürgerbühne doch 42,06% der Befragten an, diesen Abb. 18: Entwicklung des Abo-Verhaltens der Teilnehmer seit ihrer Teilnahme bei der Bürgerbühne regelmäßig zu nutzen.291 Auch für die Betrachtung des Aboverhaltens wurde daher ein Vergleich zwischen erster und zweiter Bürgerbühnen-Spielzeit gezogen. Während die Befragten in der Spielzeit 12/13 durchschnittlich 0,40 Abos besitzen, sind dies in der darauffolgenden 0,43 Abos (Abb. 18). Dies lässt auf den ersten Blick den Schluss zu, dass die Bürgerbühne nicht in nennenswertem Maße dazu führt, dass mehr Abos abgeschlossen werden. Nimmt man die Anzahl der Nichtnutzer einmal mehr als Ausgangspunkt, um die derjenigen zu bestimmen, die ein oder mehrere Abos besitzen, so stellt man fest, dass in der Spielzeit 12/13 26,77% der Befragten Abonnements beziehen, in der Spielzeit 13/14 sind dies 29,92%.292 Damit steigt die Anzahl der Abonnenten Entwicklung des Abo-Verhaltens sogar etwas an, nämlich um 3,15 Prozentpunkte bzw. 12%. Es lässt sich also erkennen, dass in der zweiten Spielzeit mehr Personen ein Abonnement abgeschlossen haben, sich aber an der Gesamtzahl der Abos nur wenig ändert. Die befürchteten negativen Auswirkungen konnten also nicht bestätigt werden. Allerdings gilt es, diese Entwicklung weiterhin im Auge zu behalten: Diejenigen, die in der Spielzeit 13/14 weniger Abonnements als zuvor haben – das sind 6,3% der Befragten293 – geben als wichtigsten Grund (37,5%) hierfür nämlich tatsächlich an, dass sich diese finanziell nicht mehr lohnen würden. Als weitere Gründe werden individuelle Bedürfnisse bzw. Unabhängigkeit von Terminbindung (25,0%) und keine Zeit (12,5%) genannt294 – dies dürften jedoch generelle Knackpunkte der Abonnements sein, welche hinsichtlich ihrer Flexibilität von jeher als problematisch erachtet werden können. 5.3.4 Werbemittel und Weiterempfehlungsverhalten Zuletzt sollte ermittelt werden, woher die Befragten von den Angeboten der Bürgerbühne erfahren haben und, ob sich daraus Rückschlüsse auf das Weiterempfehlungsverhalten ziehen lassen. Zunächst wurde daher analysiert, welche Medien als Informationsquelle am häufigsten genutzt wurden. Wie auch schon bei der Auswertung der Anmeldeformulare für die Spielclubs in Kapitel 5.1, wird in Abb. 19 deutlich, dass klassische Werbemittel, wie Broschüren und Flyer nach wie vor eine große Rolle spielen, wenn es darum geht potenzielles Publikum zu erreichen. Es ist anzunehmen, 291 Anh. Abb. 21. 292 Anh. Abb. 25, Anh. Abb. 26. 293 Anh. Abb. 23. 294 Anh. Abb. 24. 58 Aufmerksamkeit durch... soziale Netzwerke als Zuschauer bei einer Bürgerbühnen-Aufführung Freunde/Bekannte Newsletter des NT Internet:Website des NT Internet: andere Website Zeitung/Zeitschrift Plakate Broschüren/Flyer des Nationaltheaters Sonstiges 0,79 11,02 25,98 11,02 20,47 0,79 21,26 3,94 43,31 13,39 0 10 20 30 40 50 Abb. 19: Werbemittel und ihre Relevanz dass diese bei den Bürgerbühnen-Teilnehmern so besonders beliebt sind, weil sie sehr theateraffin sind und durch ihre häufigen Theaterbesuche oft in Kontakt mit der Auslegeware kommen. Mit 43,3% liegen diese Medien daher ganz vorne. An zweiter Stelle stehen dann mit knapp 26% Freunde und Bekannte als Informanten. Unter ‚Sonstiges‘ wurden darüber hinaus von je 13,33% andere persönliche Kontakte zur Einrichtung sowie das Theaterfest benannt (Abb. 20). Damit wird einmal mehr die wichtige Funktion der direkten Ansprache durch Multiplikatoren offenbar; zum Vergleich: bei den Anmeldeformularen der Spielclubs erreichten diese einen Wert von 23,57%. Gerade auch öffentliche Einrichtungen wie Schulen, Universitäten oder Jugendzentren leisten laut Auswertung einen wichtigen Beitrag zur Information. Es ist denkbar, dass an diesen Orten potenzielles Publikum persönlich und besonders zielgerichtet angesprochen werden kann. Mundpropaganda scheint also gesamtheitlich betrachtet, ein ganz entscheidendes Werbemittel zu sein. Darauf soll im Folgenden noch genauer eingegangen werden. Unter ‚Sonstiges‘ wurde außerdem besonders häufig (40%) eine bereits vorangegangene Aktivität am Nationaltheater genannt (Abb. 20). Damit wird nochmals das Phänomen der ‚Wiederholungstäter‘ thematisiert. Dieser Anteil an Befragten Aufmerksamkeit durch... Verteilung bei "Sonstiges" 13,33 6,67 40,00 bereits anderweitig aktiv am NT (Junges NT, Schauspieler, Nthusiasten) Information in öffentlichen Einrichtungen (Schule, Uni, Arge, JUZ) andere persönliche Kontakte zur Einrichtung Theaterfest Radio 26,67 13,33 Abb. 20: Werbemittel und ihre Relevanz – Verteilung unter ‚Sonstiges‘ 59 scheint schon eine sehr enge Bindung an das Nationaltheater zu haben und ist daher auch für neue Formen leicht zu begeistern. Die Website des Nationaltheaters ist derweil genauso relevant wie Zeitungen oder Zeitschriften. Warum das Internet als Informationsquelle in dieser Erhebung im direkten Vergleich mit der Auswertung der Anmeldeformulare so sehr an Bedeutung gewinnt, lässt sich nicht abschließend bewerten (Abb. 19). Wenn man beim Aspekt der Mundpropaganda bleibt, so ist die Aussage von 84,92% der Befragten, die angeben, die Bürgerbühne Freunden und Bekannten empfohlen zu haben äußerst bemerkenswert.295 Dieser hohe Prozentsatz scheint abschließend die These zu untermauern, dass die Bürgerbühnen-Teilnehmer ein sehr hohes Involvement aufweisen und aufgrund ihrer starken Identifikation mit der Institution, diese besonders häufig zum Gegenstand ihrer Unterhaltung machen, also Mundpropaganda betreiben. Diejenigen, die sie nicht weiterempfehlen, tun dies größtenteils deshalb, weil sie davon ausgehen, dass bei ihren Freunden und Bekannten generell kein Interesse am theaterpädagogischen Angebot besteht (30,77%) oder, weil sich laut eigener Angabe keine passende Gelegenheit dazu ergab (15,38%).296 Weder die Untersuchung auf den Migrationshintergrund (hier liegt mit 88,2% eine etwas größere Bereitschaft zur Weiterempfehlung vor297) noch auf den Schulabschluss hin298 offenbart jedoch eine bestimmte Gruppe, in der sich das Weiterempfehlungsverhalten wesentlich vom Gesamtwert unterscheiden würde. Fast genauso hoch wie die Bereitschaft zur Weiterempfehlung ist der Wille, Freunde und Bekannte zu den eigenen Aufführungen oder Werkschauen mitzubringen: Dies tun etwa 78,7% der Befragten.299 Durchschnittlich werden dabei etwa zwei Personen pro Aufführung/Werkschau eingeladen.300 27,55% würden auch noch mehr Personen mitbringen, wenn dafür in den Aufführungssälen mehr Platz bereit stünde.301 Die Personen, die ich mitbringe, ... sind Theaterneulinge 15,00 gehen sonst eher selten ins Theater 69,00 gehen sonst auch häufiger ins Theater 49,00 0 10 20 30 40 50 60 70 80 Abb. 21: Empfehlungsmarketing. Theaterneulinge, seltene Theatergänger und Stammgäste 295 Anh. Abb. 28. 296 Anh. Abb. 30. 297 Anh. Abb. 29. 298 Anh. Abb. 31. 299 Anh. Abb. 32. 300 Anh. Abb. 33. 301 Anh. Abb. 34. 60 Man könnte also tatsächlich darüber nachdenken, ob es Sinn macht, die Vorstellungen zukünftig in größere Räumlichkeiten zu verlagern. An dieser Stelle ist allerdings auch von Interesse, was für Personen überhaupt mitgebracht werden. Bei dieser Frage überraschen die Angaben der Teilnehmer (Mehrfachantwort war möglich). So sagt der Großteil der Befragten mit 69%, wie in Abb. 21 ersichtlich, dies seien Personen, die sonst eher selten ins Theater gehen. Von 15% der Teilnehmer werden sogar Theaterneulinge mit zu den Vorstellungen gebracht, während mit einem noch unter den Erwartungen zurück bleibenden Wert von 49% der Teilnehmern angegeben wird, ihr Besuch gehe sonst auch häufiger ins Theater. Angesichts der Theateraffinität der Befragten wäre es nur wahrscheinlich gewesen, dass sie Personen mit einer ähnlichen Begeisterung einladen würden. Somit unterstreichen die Werte jedoch eindrücklich das Potenzial der Bürgerbühne, auch theaterferne Besucher anzusprechen. Betrachtet man abschließend jedoch, wie viele Personen in den jeweiligen Bildungsabschnitten mitteilen, Theaterneulinge mitzubringen, ergibt sich wiederum ein recht vorhersehbares Bild. Die im Anhang befindliche Grafik302 zeigt mit leichten Abweichungen eine Pyramide, die demonstriert, dass von der Hälfte der Personen mit Hauptschulabschluss ausgesagt wird, Theaterneulinge mitzubringen, wohingegen dies nur 8,5% der Personen mit Hochschulabschluss tun. Was lässt sich also zusammenfassend über das Weiterempfehlungsverhalten der BürgerbühnenTeilnehmer festhalten? Die Analyse ergibt, dass dieses bei den Befragten in hohem Maße vorhanden ist und, was als noch erfreulicher bemerkt werden kann, dazu führt, dass mehr als zwei Drittel der Befragten sogar Personen mitbringen, die nicht zu den typischen Theatergängern gezählt werden können. Durch 15% der Bürgerbühnen-Teilnehmer, die Theaterneulinge einladen, wird darüber hinaus ein entscheidender Beitrag geleistet, um das Publikum von morgen ins Theater zu holen und damit nicht nur die Zukunft der Bürgerbühne zu gewährleisten, sondern möglicherweise auch dem Nationaltheater zu neuen Besuchern zu verhelfen. 6 Fazit und Empfehlung: Die Bürgerbühne als Chance Ziel dieser Arbeit war es, zu untersuchen, ob die Bürgerbühne am Nationaltheater Mannheim als Instrument im Sinne des Audience Developments verstanden werden kann. Mit Hilfe einer qualitativen Befragung in Form von leitfadengestützten Interviews und einer quantitativen Erhebung mittels Onlineumfrage wurde versucht, sich dieser Fragestellung anzunähern. Dabei schien bereits die kürzlich veröffentlichte Publikation zum Dresdner Bürgerbühnenmodell darauf hinzuweisen, dass das Potenzial zur Publikumsgenerierung vorhanden sein könnte. Abschließend möchte ich noch einmal auf die eingangs gestellten Fragen zurückkommen und ein Fazit ziehen. Kann die Bürgerbühne als neue Institution also das erreichen, was das ‚normale‘ Theater bislang nicht vermag, nämlich ein anderes (‚neues‘) Publikum als das bereits bestehende für Theater begeistern? Die Untersuchungen sprechen dafür, dass dies in eingeschränktem Maße möglich ist. Die 302 Anh. Abb. 35. 61 Vermutung, dass es sich bei den Teilnehmern der Bürgerbühne rein durchschnittlich betrachtet um ein älteres, eher weibliches Publikum mit hohem Bildungsgrad handle, wurde bereits beim Gespräch mit Stefanie Bub geäußert, in den Interviews mit den befragten Teilnehmern wieder aufgegriffen und letztlich durch die Ergebnisse der Onlineumfrage manifestiert. Mit einem Durchschnittsalter von 49 Jahren, einem Frauenanteil von fast 74% und der Tatsache, dass ein Großteil der Befragten einen Hochschulabschluss besitzt, lässt sich nicht von der Hand weisen, dass wir es auch bei der Bürgerbühne mit einem klassischen Theaterpublikum zu tun haben. Der Terminus ‚Wiederholungstäter‘ scheint darüber hinaus in höchstem Maße zutreffend. Die Bürgerbühne spricht demnach vor allem die Personen an, die bereits sehr regelmäßig ins Nationaltheater gehen, dort an unterschiedlichen Angeboten teilnehmen und durch ein vielseitiges kulturelles Interesse mit einer leichten Präferenz für die E-Kultur geprägt sind. Die Angebote der Bürgerbühne bieten ihnen also – überspitzt gesagt – lediglich neues ‚Futter‘. Dieses Publikum jedoch ist ein treues und darüber hinaus mit der thematischen und organisatorischen Konzeption der theaterpädagogischen Formate äußerst zufrieden. Wie Thomas Schmidt-Ott in seinem Artikel über Audience Development im Orchestermanagement darauf hinwies, kann man unterschiedliche AD-spezifische Aktionsfelder bestimmen, die an jeweils differenzierten Punkten der Kundenbindung ansetzen. Demzufolge scheint die Bürgerbühne besonders erfolgreich darin zu sein, bereits bestehende Bindungen zu stärken, zeigt doch die Studie, dass die Beteiligung bei Inszenierungen, Spielclubs und Workshops durchschnittlich in der zweiten Spielzeit etwas ansteigt. Mehr noch: Die Zufriedenheit der Teilnehmer im Bezug auf die neu geschaffenen Angebote führt tatsächlich dazu, dass die ‚Liebesbeziehung‘ zwischen dem Nationaltheater und seinem Publikum intensiviert wird: Etwa 60% der Befragten geben an, neue Facetten des Nationaltheaters entdeckt zu haben, was für einen erweiterten, emotionalen Zugang mit einer einhergehenden Festigung der Publikumsbindung spricht. Etwa genauso hoch ist der Anteil derjenigen, die darüber hinaus infolge ihrer Partizipation bei der Bürgerbühne noch häufiger ins Mannheimer Nationaltheater gehen, weshalb man mit Recht davon sprechen kann, dass Übertragungseffekte stattfinden und Cross-Selling-Potenziale ausgeschöpft werden können. Es lässt sich also festhalten, dass ein maßgeblicher Erfolg der Bürgerbühne darin liegt, nach nur zwei Spielzeiten die Bindung zum Publikum intensiviert und einen Anstieg an Theaterbesuchen erwirkt zu haben. Dennoch scheint das Audience-Development-Potenzial der Bürgerbühne sich nicht in der Festigung von Kundenbeziehungen zu erschöpfen. So lässt sich nicht nur eine durchschnittlich etwas höhere Beteiligung in der zweiten Spielzeit der Bürgerbühnen-Angeboten feststellen, der Anteil an Erstnutzern steigt innerhalb dieser Zeit sogar immens um bis zu 150%. Dies spricht für eine zunehmende Popularisierung der Angebote, die man im Wesentlichen auf Mundpropaganda zurückführen kann. Die bereits erwähnte Zufriedenheit ist es nämlich, die dazu führt, dass die Teilnehmer eine hohe Bereitschaft zur Weiterempfehlung mitbringen und die Bürgerbühne zum Gegenstand ihrer Kommunikation machen. Und gerade an dieser Stelle kann sich das volle Audience-DevelopmentPotenzial tatsächlich entfalten, indem die Bürgerbühne zur Gewinnung neuen Publikums beiträgt. So haben 26,5% der Befragten über Freunde und Bekannte von der Bürgerbühne erfahren, der 62 Einfluss von anderweitigen sozialen Kontakten und institutionellen Netzwerken (Bildungseinrichtungen, Jugendzentren) greift derweil viel weiter. Etwa 85% geben an, diese selbst weiter zu empfehlen. Im Schnitt werden darüber hinaus je zwei Personen zu Aufführungen und Werkschauen der Bürgerbühne mit- und dabei in Kontakt mit der neuen Institution gebracht – einen Effekt, den man durch das Bereitstellen größerer Vorstellungsräume noch verstärken könnte. Was aber bedeutet es, in diesem Zusammenhang ein ‚neues‘ Publikum zu generieren, wo doch die Untersuchung deutlich macht, dass wir auch weiterhin mit klassischen Theatergängern rechnen müssen? Dass eine berechtigte Chance besteht, das vorhersehbare Muster aufzubrechen, lässt sich letztlich nur der Einschätzung der Befragten entnehmen: Demnach bringen nach eigener Angabe fast zwei Drittel der Teilnehmer Personen, die eher selten ins Theater gehen, und etwa 15% sogar Theaterneulinge zu Werkschauen und Aufführungen der Bürgerbühne mit. Auf der anderen Seite geben fast 12% der Befragten an, erst über die Bürgerbühne auf das Nationaltheater aufmerksam geworden zu sein, dies gilt insbesondere für die unter 20-Jährigen. Durch welche demografischen Merkmale sich dieses ‚neue‘ Publikum jedoch, abgesehen von seinem Besucherverhalten, auszeichnet, konnte durch diese Forschungsarbeit nicht ermittelt werden und sollte daher bestenfalls in weiteren Erhebungen empirisch untersucht werden. Zunächst offenbart die Einschätzung der Teilnehmer aber interessante Handlungsfelder. Vertraut man nämlich auf deren Aussagen, so liegt die große Chance im Hinblick auf die Besucherentwicklung darin, an die im hohen Maß vorhandene Empfehlungsbereitschaft der Teilnehmer anzuknüpfen und sie sich zum Vorteil zu machen. So bestünde eine Möglichkeit darin, die mitgebrachten Theaterneulinge und Gelegenheitsgänger gezielt nach der Vorstellung anzusprechen und zur Teilnahme an neuen Produktionen einzuladen, damit auch sie zukünftig zu aktiven Mitgliedern der Bürgerbühne werden. In diesem Zusammenhang wäre es sicherlich auch sinnvoll, die Kommunikation einer jungen Zielgruppe untereinander dadurch zu fördern, dass man eine Präsenz der Bürgerbühne in sozialen Netzwerken aufbaut. Eine Empfehlung oder Einladung von Freunden sowie das Teilen von positiven Erlebnissen mit der Institution wäre dann schon durch einen Mausklick möglich und hätte eine gute Chance sich durchzusetzen, da das Gruppengefühl unter den Teilnehmern bereits sehr gut ausgeprägt ist. In dieser Art gibt es sicherlich viele Möglichkeiten, den Austausch untereinander noch zu erleichtern – sei es nun auf virtuellem oder klassischem Weg, wie z.B. durch Aktionen der Bürgerbühne außerhalb der eigenen vier Wände, mitten im Herzen der Stadt. Zudem denke ich, dass die Bürgerbühne eine gute Richtung einschlägt, indem sie gezielt diejenigen Institutionen ins Boot holt, die in direktem Kontakt mit den gewünschten Zielgruppen stehen, so wie es bei einigen der Produktionen schon in der Zusammenarbeit mit Schulen oder dem Arbeitsamt erfolgt ist. Dies eröffnet die Chance, das Publikum der Bürgerbühne längerfristig noch etwas bunter werden zu lassen. Zum anderen gilt es, die bereits bestehende Tendenz der Teilnehmer, sich nun stärker für Angebote des Nationaltheaters zu interessieren, noch mehr zu fördern. Dies könnte beispielsweise mit Hilfe von speziellen Kombi-Tickets oder gemeinsamen Festen und Themenabenden der Bürgerbühne und des Nationaltheaters geleistet werden. Denn, dass derartige Veranstaltungen Aufmerksamkeit erzielen, zeigt bereits die Popularität des 63 Theaterfestes am Mannheimer Nationaltheater, bei welchem einige der Teilnehmer in Kontakt mit der Bürgerbühne getreten sind. In jedem Fall hängt der Erfolg dieses vielversprechenden Modells auch davon ab, es weiterhin empirisch zu begleiten und dabei so viel wie möglich über sein Publikum, dessen demografische Zusammensetzung, Besucherverhalten und Interessensschwerpunkte herauszufinden. Die Kulturnutzerforschung wird auch in Zukunft eine entscheidende Rolle bei der Entwicklung von wirkungsvollen Audience-Development-Maßnahmen mit Hilfe der Bürgerbühne spielen. Diese Masterarbeit sollte daher den Auftakt einer anhaltenden und regelmäßigen Erforschung des Publikums am Mannheimer Nationaltheater darstellen. 64 7 Literaturverzeichnis Primärliteratur Bub, Stefanie (20.12.2013). Interview. Mannheim. DH (22.12.2013). Interview. Mannheim. GP (22.12.2013). Interview. Mannheim. TW (20.12.2013). Interviews. Mannheim. Sekundärliteratur Flick, Uwe (2007): Qualitative Sozialforschung. Eine Einführung. Vollständig überarbeitete und erweiterte Aufl. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Taschenbuch Verlag. Flick, Uwe (2010): Design und Prozess qualitativer Forschung. In: Flick, Uwe; von Kardorff, Ernst; Steinke, Ines (Hrsg.): Qualitative Forschung. Ein Handbuch. 8. Aufl. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Taschenbuch Verlag, S. 252-265. Fliess, Sabine; Wittko, Ole; Kudermann, Sarah (2006): Kundenintegration als Gestaltungsdimension in Kulturbetrieben. In: Hausmann, Andrea; Helm, Sabrina (Hrsg.): Kundenorientierung im Kulturbetrieb. 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