„LEBEN IN FÜLLE“ - Marien

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„LEBEN IN FÜLLE“ - Marien
Robert J. Olbricht
„LEBEN IN FÜLLE“
Das Katholische
Marien-Krankenhaus
in Lübeck im Wandel der Zeit
Michael Imhof Verlag
Titelbild:
Titelrückseite:
Verwendete Literatur: ARCHIV DER HANSESTADT LÜBECK, Handschrift 901 e: Schrödersche Gründstücke Bd. 5. BREHMER, Dr.W.: Lübeckische Käufernamen nebst Beiträgen zur Geschichte einzelner Käufer. Druck von H.G.Rathgens, Lübeck 1890.
CLASSEN, Richard: Hundert Jahre Graue Schwestern in Lübeck 1874-1974, Druckerei Schmidt-Römhild, Lübeck 1974. ENGELBERT, Kurt: Geschichte der Kongregation der Grauen Schwestern von der heiligen Elisabeth, Verlagsbuchhandlung August Lax,
Hildesheim 1969, 3. Band 1935-1966, S.222-23. HOFFMANN, Max: Die Straßen der Stadt Lübeck. Mit einer Karte. Zeitschrift
des Vereins für lübeckische Geschichte und Altertumskunde Bd. 11, Lübeck 1909. LÜBECKISCHES ADDREß-BUCH nebst Lokal-Notizen und topographischen Nachrichten für das Jahr 1789 [ff.]. Lübeck, Verlag G.C.Schmidt. [i.J. des Ersch.] MERTENS,
Johannes: Geschichte der Kongregation der Schwestern von der heiligen Elisabeth 1842-1992, Reinbek 1998, Band II, S. 525-26;
531. MÜLLER-SCHERZ, Hannelore: Florence Nightingale 67: Einfühlend und sachlich. in: Lübecker Nachrichten, Freitag, 12.
Mai 1967 / Nr.109, S.5. OLBRICHT, Robert J.: Die Gottesliebe leben. Eine theologische Grundlegung. in: Krankendienst. Zeitschrift für katholische Krankenhäuser, Sozialstationen und Rehaeinrichtungen, 76. Jahrgang November 2003, S.342-45. SCHWETER, Joseph: Geschichte der Kongregation der Grauen Schwestern von der heiligen Elisabeth. Ein Beitrag zur Geschichte der katholischen Karitas und Mission in den letzten 100 Jahren, Frankes Verlag und Druckerei / Otto Borgmeyer, Breslau 1937, Band II,
S. 414-18. SIEPENKORT, Helmut (Hrgs.): Hundert Jahre Propsteikirche Herz-Jesu zu Lübeck, Druckerei Taubert, Lübeck 1991.
Der Wagen. Ein Lübeckisches Jahrbuch. Herausgegeben in Verbindung mit der Gesellschaft zur Beförderung gemeinnütziger Tätigkeiten von Paul BROCKHAUS. Verlag Max-Schmidt-Römhild, Lübeck 1961.
Bildnachweis: Schwarz-Weiß-Fotos: Archiv Katholisches Marien-Krankenhaus Lübeck, Farbfotos: Matthias Steinebach, Lübeck
Robert J. Olbricht: „Leben in Fülle“. Das Katholische Marien-Krankenhaus in Lübeck im
Wandel der Zeit. Michael Imhof Verlag, Petersberg 2009
©2009 Michael Imhof Verlag GmbH & Co. KG | Stettiner Straße 25, D-36100 Petersberg
Tel. 0661/9 62 82 86 | Fax 0661/6 36 86 | info@imhof-verlag.de | www.imhof-verlag.de
Gestaltung und Reproduktion: Michael Imhof Verlag | Druck: Fuldaer Verlagsanstalt, Fulda
Printed in EU
ISBN 978-3-86568-461-5
INHALT
Vorwort des Aufsichtsratsvorsitzenden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4
Vorwort des Geschäftsführers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4
Vorwort des Krankenhaus-Seelsorgers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5
Teil 1: Zur Geschichte des Katholischen Marien-Krankenhauses in Lübeck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6
1.1 Die Anfänge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6
1.2 Ein eigenes Krankenhaus für die Ordensschwestern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6
1.3 Der Neubau des heutigen Marien-Krankenhauses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9
1.4 Kriegs- und Nachkriegszeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10
1.5 An- und Umbauten – personelle Veränderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11
1.6 Der Weggang der Ordensschwestern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14
Teil 2: Was macht ein Krankenhaus zu einem christlichen Krankenhaus? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17
2.1 Der Einschnitt und seine Folgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17
2.2 Von der Schwesternkapelle zum Andachtsraum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18
2.3 Der ‚Altar‘ im neuen Andachtsraum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24
2.4 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26
2.5 Einträge ins Fürbittenbuch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28
Anhänge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29
3.1 Das Leitbild des Katholischen Marien-Krankenhauses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29
3.2 Andreas Kasparak zu seinem Kreuz ‚Auferstehung‘ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30
3.3 Beispiele für den WochenZuspruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30
3.4 Abschlussbericht der Arbeitsgemeinschaft ‚Christliches Krankenhaus‘ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31
3
VORWORT DES AUFSICHTSRATSVORSITZENDEN
Propst Franz Mecklenfeld
Franz Mecklenfeld, Propst
und Dechant in Lübeck
A
ls Propst der Katholischen Pfarrei Herz Jesu in
Lübeck bin ich auch der Vorsitzende im Aufsichtsrat des Marien-Krankenhauses. Für mich liegen
die Anfängen dieses Hauses in der caritative Zuwendung zu den bedürftigen kranken Menschen aus christlicher Motivation. Heute können wir darauf zurükkblicken, wie sich aus der häuslichen Pflege der Ordensschwestern das Katholische Marien-Krankenhaus
entwickelt und entfaltet hat. Die vorliegende Schrift
zeichnet den Weg stetigen Wachsens in diesem Dienst
nach und belegt, dass der Geist christlich motivierter
Sorge um und Fürsorge an den Menschen über den
Weggang der Ordensschwestern hinaus lebendig ist.
In diesem Sinne kann die vorliegende Schrift auch als
ein Dankeschön an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Haus verstanden werden, die nunmehr
den christlichen Geist weiter tragen und weiter tragen werden.
Lübeck, am 10. November 2008
VORWORT DES GESCHÄFTSFÜHRERS
Henning David-Studt
Henning
DavidStudt, Geschäftsführer
D
as Katholische Marien-Krankenhaus wird in
diesem Jahr 120 Jahre alt. Für mich als Geschäftsführer dieses traditionsreichen Hauses ist dies
ein Zeichen der Anerkennung und Herausforderung
zugleich.
In 120 Jahren hat sich das Marien-Krankenhaus einen besonders guten Ruf in der Hansestadt Lübeck
erworben. Im Marien-Krankenhaus ging es immer
4
um zeitgemäße Medizin, aber immer auch um den
Menschen, der in seiner Hilfsbedürftigkeit Wärme
und Beistand benötigt.
Herausforderung meint die Aufgabe, in Zeiten ständig wandelnder Vorgaben und Entwicklungen auf
dem „Gesundheitsmarkt“ den wechselnden Anforderungen gerecht zu werden. Wirtschaftlichkeit ist in
Zeiten knapper Finanzmittel sicherlich wichtig.
Aber dabei wollen wir auch weiterhin das besondere
Gepräge unseres Hauses, die dem Patienten zugewandte Art, unbeirrt und unverwechselbar beibehalten. Auch in der Zukunft wollen wir den Patienten
und den werdenden Eltern neben der modernen Medizin und der komfortablen Unterkunft ein Höchstmaß an persönlicher Zuwendung schenken.
Ich freue mich, dass Sie dieses Heft in den Händen
halten und so die Geschichte unseres Hauses nachvollziehen und deren Bedeutung für unser aktuelles
Handeln einschätzen können.
Lübeck, am 10. November 2008
VORWORT DES KRANKENHAUS-SEELSORGERS
Robert J. Olbricht
I
m Frühjahr 2008 wurde auf der Straße am Dom,
auf der „Parade“ ein „Tag der offenen Tür“ veranstaltet, an dem sich alle anliegenden Häuser und Einrichtungen beteiligten. Mein Beitrag als KrankenhausSeelsorger im Marien-Krankenhaus dazu war u.a., eine
„Geschichtsecke“ zu gestalten. Einmal eingetaucht in
diese Materie, ließ sie mich nicht wieder los. Und so
entstand nach und nach aus dem Sammeln der Erzählungen, Fotos, Dokumente und Entdeckungen die
Idee, all das festzuhalten, besonders weil die Verbindung mit den Ordensschwestern bei vielen Lübeckern
noch sehr lebendig ist.
Der Weggang der Ordensschwestern im Jahr 2003 aus Altersgründen und wegen fehlenden Nachwuchses
- war eine wirkliche Herausforderung für das Katholische Marien-Krankenhaus in Lübeck. Sah man eine Ordensschwester im Haus, verband man damit in der Regel eine Zugewandtheit, die unabhängig von der Uhrzeit oder tariflichen Bestimmungen war, eindeutige, im
Alltag gelebte moralische Vorstellungen, und dass die
alltäglichen Vollzüge im Krankenhaus ‚geerdet’ und
zugleich in verlässlicher Weise ‚gehimmelt’ waren.
Nun aber ist diese Epoche für das Katholische Marien-Krankenhaus in Lübeck unwiderruflich zu Ende
gegangen. Wie hat das Haus diese Veränderung angenommen und gemeistert? Die Antwort auf diese
Frage beginne ich mit einem Gang durch die Geschichte des Hauses. Danach werde ich darlegen,
welche Veränderungen durch den Weggang der Ordensschwestern notwendig wurden und welche neuen Wege seitdem eingeschlagen worden sind. Ein besonderer Schwerpunkt liegt auf der Entwicklung der
Idee eines neuen Andachtraumes, dessen Planung
und Bauausführung sowie einer ausführlichen Beschreibung dieses Raumes.
Für mich war es ein Geschenk, diesen Veränderungsprozess im Katholischen Marien-Krankenhaus nicht
nur miterleben, sondern auch mitgestalten zu können.
Das war natürlich nur durch die Zusammenarbeit vieler wohlwollender Menschen möglich. Es sei mir gestattet, an dieser Stelle einige mit Namen zu nennen:
Herr Henning David-Studt, der als Geschäftsführer des
Robert J.
Olbricht,
KrankenhausSeelsorger
Hauses diesen Prozess von Beginn an mit großer Aufgeschlossenheit gefördert hat und in einigen kritischen
Situationen durch seine Entschlossenheit den Gedanken an ein Scheitern erst gar nicht aufkommen ließ.
Danke an die Mitarbeiterinnen der Arbeitgruppe
„Christliches Krankenhaus“, die auf Seite 31 auch namentlich aufgeführt sind. Sie haben in diesem Prozess
durch ihr persönliches Engagement, durch die Rückbindung der Diskussion an ihre jeweiligen Bereiche
und ihre Geduld und Ausdauer nicht unwesentlich dazu beigetragen, dass heute ein Wir-Gefühl und eine gemeinsame Verantwortung für den „Guten Geist“ im
Haus besteht.
Nach Reinbek geht mein Dank an Sr. M. Edelgard
Larink, die mir das Archiv des Ordens der „Schwestern der Heiligen Elisabeth“ zugänglich gemacht
hat und mir immer wieder für Rückfragen zur Verfügung stand.
Dank auch an Frau Schlegel vom Archiv der Hansestadt Lübeck, die mich sachkundig an die Hand genommen und durch die Schätze des Archivs an genau
die Stellen geführt hat, an denen ich Antworten auf
meine Fragen finden konnte.
Danke schließlich allen für die Zeit und Mühe, die
sie sich mit diesem Heft gemacht haben, damit aus
den vielen einzelnen Notizen und Ausführungen ein
lesbares, vielfältig bebildertes, anschauliches Werk
werden konnte.
Lübeck, am 10. November 2008
5
TEIL 1
ZUR GESCHICHTE DES KATHOLISCHEN
MARIEN-KRANKENHAUSES IN LÜBECK
1.1 DIE ANFÄNGE
1
842 wird der Orden der „Schwestern von der
Heiligen Elisabeth“ gegründet. Die erste Zelle entstand 1842 durch den Entschluss von vier Frauen in Neisse in Schlesien (Clara Wolff, Maria Merkert, Mathilde Merkert und Franziska Werner), ein
religiöses Leben zu führen und Kranke ambulant in
deren Wohnungen zu pflegen.
Nach dem Sieg von Preußen und Österreich über
Dänemark 1863 wurde den Katholiken in Holstein
Religionsfreiheit gewährt, was der Katholischen
Kirche im protestantischen Lübeck neue Möglichkeiten eröffnete. Vor diesem Hintergrund fragte
Fräulein Bertha Gobert persönlich im Mutterhaus in
Neisse an, ob „Schwestern der Heiligen Elisabeth“
oder die „Grauen Schwestern“ – wie sie nach der
Tracht, in der sie damals auf die Straße gingen, genannt wurden – nach Lübeck gesandt werden könnten. Sie trugen über dem schwarzen Ordenskleid ein
graues Umschlagtuch und auf dem Kopf über einem
weißen Häubchen einen grauen Hut, was nichts anderes war als eine schlesische Frauentracht. 1924 bekamen die Schwestern eine neue graue und 1962
schließlich eine schwarze Tracht.
Ordensschwestern auf der Parade 1924
Domherrenkurie Parade 951
1874 am 09.04. trafen die ersten drei Ordensschwestern in Lübeck ein und gründeten einen Konvent in
einer Unterkunft am Pferdemarkt 11, die Dr. Marcus,
der Pfarrer der kleinen katholischen Kirchengemeinde in Lübeck, angemietet hatte. Es waren dies Sr. M.
Ceslawa Niklas (die erste Oberin), Sr. M. Demetria
Schulz und Sr.M. Ermentrud Stenzel. Im Herbst kam
Sr. M. Leandra hinzu, die in Thomas Manns „Die
Buddenbrooks“ (1901) namentlich erwähnt wird.
Ein Jahr später arbeiteten schon sieben Schwestern in
Lübeck. Da in der Bleibe am Pferdemarkt gerade einmal vier Schwestern unterkommen konnten, nahm
Fräulein Gobert die Schwestern zu sich in ihr Haus
Dankwartsgrube 47. Alle Schwestern waren in der
ambulanten Krankenpflege in Privathäusern tätig.
1.2 EIN EIGENES
KRANKENHAUS FÜR DIE
ORDENSSCHWESTERN
Die starke Nachfrage nach den Diensten der Schwestern ließ bald den Wunsch nach einem eigenen Krankenhaus aufkommen. Die große Gönnerin der Schwestern, Fräulein Bertha Gobert, erwarb die ehemalige
6
Blick auf die Parade vom Dom her
Domherrenkurie ( = Wohnungen von Geistlichen des
engeren Beraterkreises des Bischofs) Parade Nr. 3.
Da das Archiv des Bauamtes der Hansestadt Lübeck
in der Bombennacht 1942 völlig ausbrannte, ist die
genaue Baugeschichte dieses Ortes nicht zu rekonstruieren. Belegen lässt sich, dass 1796, als in Lübeck
die Hausnummern eingeführt wurden, das Grundstück Nr. 6 (von 1812-20 Nr. 951 und seit 1884 Nr.
3) als „unbebaut“ aufgeführt wurde, was auch eine
aquarellierte Federzeichnung des Hamburgers Johann Marcus David aus dem Jahre 1799 zeigt. Sämtliche Grundstücke auf der Parade waren Domherrenkurien. 1803 wurde auf Grund der Säkularisation
(vgl. Reichsdeputationshauptschlusses unter dem
Einfluss von Napoleon Bonaparte) das Domkapitel
aufgelöst und Grundstücke und Gebäude der Stadt
überwiesen, wobei die damaligen Domherren das
Wohnrecht behielten.
Über die auf Stichen und Fotos dargestellte Domherrenkurie Nr. 3 lesen wir in SCHRÖDERSCHE
GRUNDSTÜCKE: Sie wurde bis zu seinem Tod 1828
vom Senior des Domkapitels und Dänischen Kammerherren Christoph von Buchwald bewohnt und dann
von der Stadt an Senator Dr. Georg Friedrich Stintzing
verkauft, 1835 an Senator Dr. Heinrich Brehmer
weiterveräußert. Nach dessen Tod wurde sie umgebaut
und von 1872–1888 von Dr. med. Friedrich Schorer als
private Klinik für Chirurgie und Augenheilkunde genutzt. Nach seinem Tod wurde Fräulein Bertha Gobert
als Eigentümerin aufgeführt. Im Jahr 1903 wird im
Lübeckischen Adreß-Buch neben Fräulein Gobert
auch das Bistum Osnabrück als Eigentümer aufgeführt, nach dem Tod von Fräulein Gobert im September 1904 nur noch das Bistum Osnabrück. Seit der
Einweihung der Katholischen Marienkrankenhauses in Lübeck
7
nicht zu. Einmal wird ihr Ordenseintritt nirgends erwähnt. Zum anderen wurden Ordensschwestern oder oberinnen nie im Lübeckischen Adreß-Buch namentlich aufgeführt. Und schließlich nennen alle Chroniken des Ordens von 1881-1908 Sr. M. Ursulina Schnitkeinper als Oberin des Konvents in Lübeck.
1888 wurde am 10.11. das Katholische Marien-Krankenhaus eingeweiht. Das modern eingerichtete Haus
hatte 24 Betten in neun Zimmern. Hier wurden Kranke von ihrem eigenen Arzt behandelt. Dies war bereits
ein Vorläufer des heutigen Belegarztsystems. Die Kosten betrugen für die I., II. und III. Klasse 5, 3, bzw.
1,50 Mark. (Zum Vergleich: Tagelöhner beim Bau des
Nord-Ostsee-Kanals erhielten 3 Mark am Tag, 1/4 Pfd.
Wurst kostete 55 Pf, 1 Fl. Braunbier 5 Pf)
Im Katholischen Krankenhaus wurden vorzugsweise
chirurgische Patienten behandelt. Das erste Jahr (1889)
verzeichnet 50 Operationen. Die Zahl stieg rasch an, so
dass 1903 ein zweiter Operationssaal errichtet wurde.
Blick vom Dom auf die Parade
Errichtung des Erzbistums Hamburg im Januar
1975 gehört das Haus zum Vermögen des Erzbischöflichen Stuhls zu Hamburg.
Das Haus wurde nach dem Erwerb durch Fräulein Gobert gründlich umgebaut und ein drittes Stockwerk
aufgesetzt, in dem auch eine Kapelle (s. S. 18) eingerichtet wurde. Die inzwischen zwölf Schwestern waren
seitdem auf der Parade Nr. 3 zu Hause. Außerdem bekam Fräulein Gobert zwei Zimmer im Erdgeschoss
mit lebenslangem Wohnrecht. Wenn das Lübeckische
Adreß-Buch „Fräulein Bertha Gobert“ von 1892-97
als „Oberin der kath. Schwestern“ bezeichnet, trifft das
Aufriss Anbau Marien-Krankenhaus 1895
8
1895 wurde stadtseitig ein mehrgeschossiger Anbau
errichtet. Doch mit der Zeit erwies sich das Haus als
zu klein, und seine Einrichtung war mit den Jahren
veraltet.
Grundriss Anbau Marien-Krankenhaus 1895
1.3 DER NEUBAU DES HEUTIGEN
MARIEN-KRANKENHAUSES
Auf Drängen der Belegärzte wurde die vormalige
Domherrenkurie nach Verhandlungen mit dem
Mutterhaus der Ordensschwestern und dem Bischof von Osnabrück komplett abgerissen und im
Frühjahr
1914 der Neubau des Krankenhauses begonnen unter der Leitung von Otto Rieck, einem speziell für
Krankenhausbauten tätigen Hamburger Architekten. Obwohl sich das Deutsche Reich seit August
1914 im Ersten Weltkrieg befand und viele Arbeitskräfte als Soldaten kämpften, konnte das neue Marien-Krankenhaus bereits im Mai 1915 eingeweiht
werden.
Mit dem Neubau standen nun 80 Betten zur Verfügung. Gleich nach der Fertigstellung gab es neben
dem zivilen Krankenbetrieb auch Lazarettstationen.
Im Gesellenhaus, in dem die Ordensschwestern seit
1912 die Leitung hatten, und im Marien-Krankenhaus wurden zwischen 1914 und 1919 insgesamt
2249 Soldaten gepflegt.
Neubau des Marien-Krankenhauses
1924 ist das 50ste Jahr, in dem die „Graue Schwestern“ nun schon in Lübeck helfend tätig sind. Von
den 42 Schwestern, die inzwischen das Marien-Krankenhaus bewohnen, sind einige an der katholischen
Schule, andere in der ambulanten Krankenpflege beschäftigt, die meisten im Marien-Krankenhaus. Auf
Grund der starken Zunahmen der Zahl der Schwestern wurde ein zusätzlicher Erweiterungsbau notwendig. Zunächst hatte man schon etwas früher als
1924 einen zweigeschossigen Flügel rückwärtig im
rechten Winkel an das Haupthaus angebaut. Daran
wurde nun parallel zum Haupthaus noch ein dreige-
Neubau des Marien-Krankenhauses mit Blick auf das Gesellenhaus, das Pfarrhaus und die Herz Jesu Kirche
Zur Geschichte des Katholischen Marien-Krankenhauses in Lübeck
Bischof und
Nuntius
schossiger Trakt von Baumeister Alfred Dinter angeschlossen, so dass ein Innenhof in U-Form entstand.
Das neue Gebäude erhielt den Namen „ElisabethHaus“ und wurde vorrangig als Wirtschaftsgebäude
genutzt. Zudem war die „Säuglingsanstalt“ (Entbindungs- und Säuglingsstation) darin untergebracht.
Im Juni 1929 beherbergten die Schwestern den damaligen apostolischen Nuntius, Eugenio Pacelli, den
späteren Papst Pius XII., im Marien-Krankenhaus.
Er machte zusammen mit dem Diözesanbischof Dr.
Berning eine Informationsfahrt durch die norddeutsche Diaspora (im Sinne der Minderheitssituation
der Katholiken im überwiegend von Protestanten
bewohnten Norden).
1.4 KRIEGSUND NACHKRIEGSZEIT
Die Machtergreifung durch die Nationalsozialisten
1933 änderte nichts an den Besitzverhältnissen des
Hauses und an der Arbeit der Schwestern. Die große
Bedeutung des Krankenhauses wird an den folgenden Zahlen für das Jahr 1935 deutlich: Die Schwestern pflegten im Krankenhaus 2.630 und in der
Stadt 65 Kranke mit insgesamt 32.073 Tagpflegen
und 1.531 Nachtpflegen.
Zu Beginn des Zweiten Weltkriegs 1939 musste als erste bauliche Maßnahme im Keller des Krankenhauses
ein Luftschutzraum geschaffen werden. Bei nächtlichem
Fliegeralarm wurden die Kranken von den Schwestern
und dem Personal in den Keller gebracht und nach der
Entwarnung wieder zurück in die Zimmer.
28./29.3.1942 bei dem schweren Luftangriff auf Lübeck wurden der Dom und die gegenüber liegende
10
Herz Jesu Kirche schwer beschädigt. Auch das Marien-Krankenhaus wurde in Mitleidenschaft gezogen:
Teile des Daches wurden abgedeckt, Kapellenfenster
zerbrachen, Strom und Wasser fielen aus.
Nicht unerwähnt bleiben darf, dass die drei katholischen Lübecker Märtyrer-Priester den Schwestern des
Krankenhauses eng verbunden waren. In Ermangelung
von Krankenwärtern, die alle zum Wehrdienst eingezogen worden waren, übernahmen sie mit großer Selbstverständlichkeit bei Tag und bei Nacht die Transporte
der Kranken in den 1942 an das Krankenhaus angebauten Bunker. Am 11.11.1943 wurden die Priester
zusammen mit dem evangelischen Pastor Karl Friedrich Stellbrink wegen angeblicher „Rundfunkverbrechen, landesverräterischer Feindbegünstigung und Zersetzung der Wehrkraft“ von den Nationalsozialisten
hingerichtet. Das gemeinsame Gedenken an die „vier
Lübecker Märthyrer“ ist heute eine feste ökumenische
Angelegenheit der Lübecker Christen.
1947 wurde die Kapelle des Hauses renoviert, da
nach dem Bombenangriff von 1942 nur die schlimmsten Schäden behoben werden konnten. Die Inneneinrichtung der Kapelle wurde dabei, dem gewandelten Stilempfinden entsprechend (s. S. 19), wesentlich
vereinfacht.
Marien-Krankenhaus mit Bunker (vorne rechts)
Das Elisabethhaus 1924
In den 50er und 60er Jahren waren im Marien-Krankenhaus bis zu 56 Ordensschwestern tätig. Danach
ging die Zahl stetig zurück. Ab 1952 arbeiteten deshalb auch ‚freie Schwestern’ (= zivile Krankenschwestern, die nicht dem Orden angehören) in der Pflege.
Und es waren immer auch 16-18jährige Mädchen als
Hauspersonal tätig, die mit gekocht und gebacken
haben und auf den Stationen putzten. Sie wohnten im
Zwischentrakt.
1.5 AN- UND UMBAUTEN –
PERSONELLE VERÄNDERUNGEN
Auch in den Folgejahren waren ständig Umbauten,
Modernisierungsmaßnahmen, Erweiterungsbauten
und Umnutzungen notwendig. Die Bettenkapazität
musste erhöht werden und der medizinische Fortschritt machte eine Erneuerung der Operations- und
Kreißsäle erforderlich.
Der Innenhof mit ausbebautem Zwischentrakt und Elisabethhaus mit dem Anbau von 1961
Zur Geschichte des Katholischen Marien-Krankenhauses in Lübeck
1960/61 wurde an das Elisabethhaus angebaut. Im 2.
Stock wohnten die 4–6 „freien Schwestern“, im 3. Stock
befand sich ein großer Saal für festliche Anlässe (Fasching, Namenstage, Geburtstage, von denen nur die
runden gefeiert wurden) und Chorproben unter Leitung
von Sr. M. Regina. – „Nirgends wird so viel gefeiert wie
im Orden.“, sagte eine ehemalige Ordensschwester.
Im Haupthaus befand sich im südlichen Teil (zum
Dom hin) die Schwesternklausur, im Erdgeschoss mit
Büro- und Empfangsräumen. Der heutige Andachtsraum war Aufenthaltsraum und Nähstube. Im 3.
Stock war ein Schulzimmer mit Materialien für die
Schwestern, die in der Stadt Schulunterricht erteilten.
Dort gab es auch ein Krankenzimmer, für den Fall,
dass einmal eine Ordensschwester bettlägerig war.
Mittwochmorgens wurde mit allen Ordensschwestern und Mitarbeiterinnen in der Kapelle des Hauses die Heilige Messe gefeiert, freitagnachmittags
der Rosenkranz gebetet.
1965 zählte das Marien-Krankenhaus 140 Betten.
1967 waren nur noch 28 Ordensschwestern im Haus.
Trotz des spürbaren Rückgangs der Zahl der Ordensschwestern, genoss deren Wirken ein hohes Ansehen
in der Stadt, wie ein Zitat aus einem Artikel in den
Lübecker Nachrichten aus dem Jahr 1967 belegt: „Je
intensiver, freundlicher, einfühlender und familiärer
die Pflege ist, desto schneller steht ein Kranker wieder auf den Beinen. Schwestern, gleich welchen Ordens, gleich welcher Organisation, tun alles dazu. Die
Ordensschwestern oft länger als acht Stunden täglich.
Bei ihnen geht es gelassener zu als anderswo. Anonymer, stiller, heimatlicher. Woran das liegt, darüber
wird geschwiegen, nicht gesprochen. Es gibt keine
Erklärung in ihren Häusern. Die Hilfe ist lautlos und
wünscht keinen Dank.“
1968 wurde der zweigeschossige Zwischentrakt um
ein Stockwerk aufgestockt. Dadurch erhielten die
Ordensschwestern, die bis dahin zu zweit oder zu
dritt in einem Zimmer wohnten, jetzt Einzelzimmer.
Im Marien-Krankenhaus hatten immer zwei Ordensschwestern die Leitung einer Station. Sie achteten
neben all den Anforderungen des Krankenhausalltags besonders auch auf kritische Fälle. Und wenn es
jemandem besonders schlecht ging, machten sie
auch ganz selbstverständlich Sitzwachen.
„Das, was die Schwestern von sich verlangten, das
verlangten sie auch vom Personal. Und das war nicht
immer einfach.“ So eine der ersten „freien Schwe12
stern“. „Andererseits hatten sie eine unendliche Geduld, und man konnte immer auch mit persönlichen
Anliegen zu ihnen kommen.“
• Wo heute das „Haus der Dienste“ steht (Ärztehaus
Fegefeuer), befand sich die Gaststätte „Zum Domkrug“, daneben Stallungen, in denen die Ordensschwestern Schweine hielten, daneben auch Hühner und Tauben – für die eigene Verpflegung und
die der Patienten. „Wenn es einem Patienten ganz
schlecht ging, bekam der Täubchen und Rotwein“,
erinnert sich die ehemalige Ordensschwester
• Unter der späteren Druckkammer (heute Zimmer
503–506) befand sich eine Räucherkammer, in
der Schinken und Würste für den Verzehr im
Haus geräuchert wurden.
• Ein Patient blieb nach einer Leistenbruchoperation 14 Tage im Krankenhaus. Wurde ein Patient
an der Gallenblase – damals immer mit einem
großen Bauchschnitt – operiert, blieb er drei Wochen. Eine Frau blieb nach einer Entbindung zehn
Tage im Krankenhaus. Dabei sollte sie die ersten
Tage möglichst das Bett hüten (vgl. die Bezeichnung „Wochenbett“).
• Besuchszeiten waren je eine Stunde nachmittags
und abends, und das täglich (im Unterschied etwa zum Städtischen Krankenhaus Süd. Dort waren Besuche damals nur am Dienstag, Donnerstag
und Sonntag zugelassen).
1970 wurden auf der Rückseite des Marien-Krankenhauses, in der Straße „Fegefeuer“, einige Häuser gekauft und z.T. abgerissen, damit dort das „Haus der
Dienste“ entstehen konnte. In dem dreigeschossigen
Gebäude hatten und haben Ärzte ihre Praxen. Insbesondere befanden sich hier eine Röntgenpraxis und ein
Zentrallabor, die bis dahin im Caritashaus (Fegefeuer
1) untergebracht waren. In das oberste Stockwerk zogen die „freien Schwestern“. Deren Zahl wuchs in dem
Maße, in dem die Zahl der Ordensschwestern abnahm.
Im gleichen Jahr war mit Frau Dr. Heege erstmals
das Fach Anästhesie im Haus vertreten. Bis dahin
übernahmen die Operateure auch die Narkose.
• Zwischen Weihnachten und Neujahr fanden im
Haus Exerzitien für die Ordensschwestern statt.
Dazu kamen auch die „Grauen Schwestern“ aus
Eutin und Kiel nach Lübeck. Geleitet wurden
diese Tage von den Jesuiten, die in Lübeck lebten,
oder von den Kaplänen der Propstgemeinde Herz
Jesu. Später kam auch Pfarrer Hentschke aus
Schlutup dazu regelmäßig ins Haus.
Zur Geschichte des Katholischen Marien-Krankenhauses in Lübeck
• 1990 gaben die nunmehr elf Ordensschwestern
die Räumlichkeiten im Erdgeschoss auf und zogen in den 3. Stock. Damit fehlte jedoch der
Platz, um die Exerzitien in der bisherigen Weise
in Lübeck durchführen zu können. Seitdem fuhren alle Ordensschwestern zu diesem Anlass ins
Mutterhaus nach Reinbek.
1984 wurde im Haupthaus der neue OP-Trakt umund angebaut. In der Folgezeit wurden erst zögerlich, dann immer zügiger die Stationen renoviert.
• 1995 und 2000 war es möglich, die anliegenden
Bunker vom Bundesliegenschaftsamt zu erwerben. Und nach vielen Überlegungen und langwierigen Verhandlungen konnte am 25.06.
2001 nach elfjähriger Planung und nach dem Abriss
des alten Zwischentraktes der Neubau mit AugenOP, Sektio-OP, Kreißsaal, Patientenzimmern und
Cafeteria mit Gartenterrasse in Betrieb genommen
werden.
2005 wurde das auf der anderen Straßenseite der Parade liegende Gesellenhaus übernommen, umgebaut
und als Ärztehaus vermietet.
Die elf Ordensschwestern aus dem Jahr 1990
2003–2007 Renovierung und farbenfrohe Neugestaltung aller Stationen des Marien-Krankenhauses.
Im Januar 2007 Im Januar 2007 war auch der neu
entworfene Andachtsraum im Erdgeschoss fertig. (s.
S. 25). Die Renovierung des Konferenzraumes ‚Alte
Kapelle’ war im Mai 2008 abgeschlossen.
Haupthaus mit OP-Anbau
Abrissarbeiten alter Zwischentrakt
Innenhof mit Neubau Zwischentrakt
13
Zur Geschichte des Katholischen Marien-Krankenhauses in Lübeck
7
1
2
6
3
5
4
1. Haupthaus = Neubau von 1915; 2. Neubau Zwischentrakt von 2001; 3. Elisabethhaus; 4. Haus der Dienste = Ärztehaus
Fegefeuer; 5. Bunker 1; 6. Bunker 2; 7. Ärztehaus Gesellenhaus
Die vier letzten Ordensschwestern
1.6 DER WEGGANG DER
ORDENSSCHWESTERN
Im Aug. 2003 wurden die letzten vier Ordensschwestern (im Bild von links: Schw. M. Felicitas Kramer, Oberin M. Beatrix Jendrtzak,
Schw. M. Scholastika Kothe, Schw. M. Perpetua
Kramer) im Haus verabschiedet, um ihren
wohlverdienten Ruhestand im Altenheim des
Ordens in Reinbek zu verbringen. Damit ging
nach 133 Jahren die Zeit der Ordensschwestern
auf der Parade zu Ende.
14
Die neu renovierten
Stationen
15
Zur Geschichte des Katholischen Marien-Krankenhauses in Lübeck
Konferenzraum ‚Alte Kapelle‘
16
TEIL 2
WAS MACHT EIN KRANKENHAUS ZU EINEM
CHRISTLICHEN KRANKENHAUS?
2.1 DER WEGGANG DER
ORDENSCHWESTERN UND
SEINE FOLGEN
Nach dem Weggang der Ordensschwestern stellte sich
für das Katholische Marien-Krankenhaus in Lübeck
die Frage: Wie kann der besondere Charakter dieses
konfessionellen Hauses weiterhin erhalten werden?
Mit der Aussicht, dass die Schwestern Lübeck verlassen werden, wurde ein Pastoralreferent mit einer halben Stelle als Seelsorger im Haus eingestellt, der sich
u.a. auch mit dieser konzeptionellen Fragestellung
befassen sollte. In einem ersten Schritt wurden die
Mitarbeiter/innen in den einzelnen Bereichen gefragt, was für sie das Krankenhaus als ein konfessionelles Haus auszeichne. „Nächstenliebe“ war die
weit überwiegende Antwort. Der untrennbare Zusammenhang zwischen Nächstenliebe und Gottesliebe wurde in einer theologischen Grundlegung formuliert und erste praktische Konsequenzen daraus
vorgeschlagen. (Vgl. den entsprechenden Artikel in
der Zeitschrift Krankendienst 11/2006, S. 342–45)
Mitarbeiter, Leitende) stehen. Auf diesen Säulen ruht
das Dach einer jedem Einzelnen zugewandten Betreuung.
Auf dem Weg der Formulierung des Leitbildes stellte sich heraus, dass über die Reichung der Krankenkommunion hinaus ausdrücklich katholischen Vollzüge wie etwa das Stunden- oder Rosenkranzgebet
der Ordensschwestern oder die Feier der Heiligen
Messe mit dem Weggang der Ordensschwestern verloren gegangen waren. Daher musste der Blick von
den katholischen Vollzügen auf ein „Christliches
Krankenhaus“ geweitet und gefüllt werden. Bislang
wurden die Ordensschwestern als Hauptträgerinnen
des christlichen Charakters des Hauses wahrgenommen („Wir haben ja unsere Ordensschwestern!“).
Nach deren Weggang wurde die Verantwortung,
den christlichen Charakter des Hauses weiter zu tragen, unausweichlich als eine gemeinsame Aufgabe
aller Mitarbeiter/innen erkannt.
Im September 2003 wurde eine bereichsübergreifende Arbeitsgruppe zu dem Thema „Christliches Krankenhaus“ gebildet. Ihr erster Auftrag war, ein Leitbild für das Katholische Marien-Krankenhaus in Lübeck zu erarbeiten. Die Mitglieder der Arbeitsgruppe
sammelten erst einmal ganz allgemein, was ihnen für
das Zusammenarbeiten und -leben im Haus wichtig
war. Daraus wurden dann nach und nach einzelne Sätze formuliert, die allen Mitarbeitern/innen jeweils bekannt gemacht wurden, so dass alle, die das wollten,
an der Diskussion teilnehmen konnten. Nach sprachlicher und formaler Überarbeitung und einigen Ergänzungen konnte der Text des Leitbildes im Oktober 2004 allen Mitarbeitern/innen vorgestellt werden (Der vollständige Text findet sich im Anhang
unter Nr. 3.1). Es folgte in seinem Aufbau der Vorstellung von einem Haus, auf dessen Fundament der
Gottes- und Nächstenliebe vier Säulen (Patient, Arzt,
17
Was macht ein Krankenhaus zu einem christlichen Krankenhaus
Aber was genau war damit gemeint? Die Arbeitgruppe formulierte das so: „Von den Mitarbeitern/
innen im Haus wird erwartet, dass sie neben ihrer
fachlichen Qualifikation ein ‚Mehr’ in ihre Arbeit
einbringen: Ein ‚Mehr’ an Ansehen der jeweiligen
Person, also an Zuwendung und Freundlichkeit zu
jedem Menschen. Die Kraft dazu schöpfen die Mitarbeiter/innen selbst aus dem Ansehen Gottes: Dass
sie sich von IHM gesehen und gesegnet fühlen. Niemand wird darauf festgelegt, das hier angesprochene
‚Mehr’ ausschließlich durch den christlichen Glauben zu gewinnen. Entscheidend ist, dass der „gute
Geist“ hier im Haus im Umgang miteinander – und
nicht nur im Umgang mit den Patienten – zum Tragen kommt und spürbar wird.“
Neben dieser theoretischen Ausformulierung kam es
auch zu ganz praktischen, sichtbaren Veränderungen:
• Im Haus sind die bis dahin in Form und Gestaltung unterschiedlichen Kruzifixe einheitlich ersetzt worden durch das Kreuz ‚Auferstehung’
von Andreas Kasparak (Äußerungen von ihm
selbst dazu siehe im Anhang unter 3.2), das nicht
nur auf das Leiden und Sterben Jesu Christi für
18
die Menschen hinweist, sondern auch auf seine
Auferstehung, auf die Überwindung von Leid
und Tod. [vgl. etwa Offenbarung 21,4].
• Um die Mitarbeiter/innen, Patienten/innen und
Besucher/innen mit Gottes Wort in Berührung zu
bringen, wurden im ganzen Haus WochenZusprüche (Verse aus dem Evangelium des jeweiligen Sonntags mit Sinnsprüchen oder kurzen Auslegungen) ausgehängt, sowie jedem, der es
wünscht, in die Hand gegeben bzw. ins Postfach
gelegt [vgl. Jesaja 55,10f.] (Zwei Beispiele für
den WochenZuspruch finden sich im Anhang unter 3.3).
2.2 VON DER SCHWESTERNKAPELLE ZUM ANDACHTSRAUM
So gut die Fortschritte in all diesen Punkten waren,
so unbefriedigend wurde ein wesentlicher Teil des
Hauses wahrgenommen: die „Schwesternkapelle“.
Sie war nach dem Weggang der Ordensschwestern
verwaist und wurde nur von wenigen Patienten und
Mitarbeiter/innen besucht.
Was macht ein Krankenhaus zu einem christlichen Krankenhaus
19
Propst und Kaplan der Herz Jesu Gemeinde hatten
die Idee, die Bankreihen zu öffnen, um so den Raum
einladender zu gestalten. Doch blieb das Gefühl: Der
Raum ist zu groß, wenig lebendig, zu abgelegen.
Es sei an dieser Stelle noch einmal daran erinnert,
dass 1915 in dem Krankenhausneubau im 3. Obergeschoss die Kapelle eingeweiht wurde.
Nach dem Bombenangriff von 1942 konnten dort
nur die schlimmsten Schäden behoben werden.
1947 wurde die Kapelle gründlich renoviert und die
Inneneinrichtung - dem gewandelten Stilempfinden
entsprechend - wesentlich vereinfacht.
Diese Einrichtung wurde dann noch einmal entsprechend der Liturgiereform des 2. Vatikanischen Konzils Ende der 60er Jahre verändert.
20
Bereits Mitte 2003 wurde die Möglichkeit angedacht,
einen neuen Kapellenraum im Marien-Krankenhaus
einzurichten. Als Ort bot sich der Konferenzraum im
Erdgeschoss an. Bei all diesen Überlegungen wurde
davon ausgegangen, dass dieser Raum für eine Eucharistiefeier ausgestattet sein sollte. Zusätzlich sollte
ein Meditationsbild (z.B. Maria mit Kind) oder Meditationstext (z.B. Jesaja 43; Psalm 139) vorhanden
sein und ein Kerzenbaum in deren Nähe, an dem
Teelichter entzündet werden könnten. Weiterhin
war an eine Sitzecke gedacht mit Verteilschriften
und Karten.
Nun entstand eine lebhafte Diskussion im Haus
um das Für und Wider einer Beibehaltung der bisherigen Kapelle bzw. einer Verlegung ins Erdgeschoss:
Was macht ein Krankenhaus zu einem christlichen Krankenhaus
Der Raum ist geschichtlich gewachsen und gehört zum Gesucht wird ein individueller Gebets- und AndachtsMarien-Krankenhaus einfach dazu.
raum, der heutige Nutzer anspricht.
Die Kapelle ist schon von außen durch die farbigen,
hohen Fenster erkennbar.
Die Fassade und die Fenster bleiben unangetastet.
Man darf einen „heiligen Ort“ / diesen „durchbeteten“ Diese Erhabenheit des Raumes kann auch eine
Raum“ nicht ohne Not aufgeben.
Hemmschwelle sein.
Nicht auch hier noch etwas Neues, wo doch gerade so
vieles im Haus umgebaut und umgestaltet wird.
Das Krankenhaus, die Mitarbeiter, die Patienten und
Besucher haben sich verändert. Und dem sollte auch
der Kapellenraum nachgehen.
Wir sind ja gerade dabei, die Identität des Hauses
Wenn wir diesen Raum aufgeben, verliert das Marien- nach dem Weggang der Ordensschwestern neu zu beKrankenhaus seine Identität.
stimmen im Sinne einer Echtheit mit Wiedererkennungswert.
Der jetzige Ort liegt geschützt abseits des Klinikalltags.
Zu Beginn des Jahres 2004 bemühte ich mich bei
meinen Besuchen als Seelsorger in den Patientenzimmern, wann immer es sich anbot, das Gespräch
auch auf das Thema „Kapelle“ zu sprechen zu kommen. Im Ergebnis dieser zufällig ausgewählten Patienten war die weit überwiegende Mehrheit für eine
Verlegung und Neugestaltung.
Im Frühjahr 2004 wurden dann alle Mitarbeiter/innen
des Hauses nach ihrer Meinung dazu befragt. Im Ergebnis war die Zahl der Befürworter einer Verände-
Mit dieser Lage stellt sich der Raum ins Abseits des
Klinikalltags. Die Kapelle im Eingangsbereich signalisiert dagegen offensiv die Ausrichtung des Hauses.
rung exakt so groß wie die derer, die eine Veränderung
ablehnten. Nun wurde im Aufsichtsrat darüber abgestimmt: auch hier eine Stimmengleichheit.
Das Problem bei diesen Diskussionen war, dass sich
niemand so recht vorstellen konnte, wie der neue Kapellenraum aussehen könnte. Die bereichsübergreifende Arbeitgruppe, die sich bereits mit den vorbereitenden Arbeiten für das Leitbild beschäftigt hatte, bekam im August 2004 den neuen Auftrag, Vorschläge zu einer Verlegung und Neugestaltung der Kapel-
21
Was macht ein Krankenhaus zu einem christlichen Krankenhaus
le im Katholischen Marien-Krankenhaus in Lübeck zu
unterbreiten. Die Arbeitsgruppe begann mit Entwürfen, welche die Ideen aus dem Jahr 2003 aufnahmen.
Im ständigen Austausch mit Mitarbeitern und dem
Aufsichtsrat und nach Besuchen in Andachtsräumen
umliegender Krankenhäuser diskutierte die Gruppe
verschiedene Lösungsansätze und schlug schließlich
im Oktober 2004 als Ergebnis vor1 :
• Eine Verlegung des Kapellenraumes in das Erdgeschoss.
• Darin ein überfließender Taufbrunnen (statt eines
Altars).
• Aus dem fließt der „Fluss des Lebens“ durch den
Raum hin zu einem Kreuz.
• Eine Verglasung mit dem Motiv von einem
„Baum an Wasserbächen gepflanzt“ [vgl. Psalm 1]
wird vor die Fenster gesetzt
1
22
Der Abschlussbericht im Wortlaut im Anhang unter 3.4
• Weiterhin soll eine Ikone aufgestellt werden, vor
der Kerzen entzündet werden können.
Bei den Befürwortern einer Verlegung und Veränderung der Kapelle war die Begeisterung für diese Vorschläge groß, bei denen, die dagegen waren, die Ablehnung ebenso. Um in dieser Situation auf einer
tragfähigen Grundlage weiterarbeiten zu können,
wurde die Frage dem Erzbischof von Hamburg zur
Entscheidung vorgelegt. In einem Gespräch mit dem
Generalvikar, zu dem am 03.02.2005 der Propst, der
Geschäftsführer und der Seelsorger nach Hamburg
fuhren, entschied sich dieser für die Verlegung und
Neugestaltung der Kapelle.
Nachdem diesen Vorschlägen im Grundsatz zugestimmt worden war, nahmen sich die Architekten
der Sache an. Das Büro Haufe-Petereit aus Lübeck
wollte einen „neuen Raum schaffen“ und nicht den
Was macht ein Krankenhaus zu einem christlichen Krankenhaus
23
Was macht ein Krankenhaus zu einem christlichen Krankenhaus
vorhandenen Konferenzraum „nur umdekorieren“.
Durch durchscheinende Stoff-Wände mit dem Motiv
vom Baum des Lebens sollte zum einen der Sakralraum
aus dem Krankenhausalltag herausgenommen und
ihm zugleich eine ganz eigene Atmosphäre verliehen
werden. Unter einer ganzen Reihe möglicher Baumarten wurde die Scheinakazie (Robina pseudacacia) ausgewählt, da sie den Betrachter weniger festzulegen schien
als etwa ein Eichen- oder Kastanienbaum.
Eine dieser Wände „verstellt“ den Eingang. Der
Raum wird durch eine Tür vom Flur durch einen
Vorraum betreten. Die auf der Stirnseite des Raumes
vorhandene Tür zum Flur hin wird geschlossen und
mit dem im Andachtsraum vorhandenen Motivstoff
bespannt und von hinten beleuchtet.
Der in den ersten Überlegungen gradlinige Wasserlauf fließt - wie das Leben auch - nicht gradlinig und
nicht auf gleich bleibender Höhe und nicht in der
Mitte des Raumes, sondern er entspringt in einem einem Taufbecken nachempfundenen, kreisrunden „Quellort“ und fließt nach links in mehreren Stufen
und Windungen hin zum „Ort des Kreuzes“. Unterwegs passiert er einen - einem Seitenaltar nachempfundenen - Sims, auf dem in einer aufgerichteten
Platte eine Ikone eingelassen ist. Auf dem Sims können Kerzenlichter aufgestellt werden.
Rechts neben dem Quellort steht ein Ambo (= Lesepult) mit einer aufgeschlagenen Bibel. Der Ambo kann
zu Andachten z.B. in die Fensterflucht gestellt werden.
Dem Altar gegenüber steht im Entwurf eine Sitzbank in Anspielung an eine Kirchenbank mit drei
Plätzen. Weiterhin gibt es eine Zweierbank und einen Einzelsitz. Zu Andachten können weitere Stühle hinzugestellt werden. In der Ausführung wurden
aber nur Stühle aufgestellt.
Gleich rechts neben dem Eingang befindet sich ein
„dienendes Möbel“ (vergleichbar einem Regal). Dort
findet man ein Fürbittbuch, ebenso Kerzenlichter
und Verteilzeitschriften, sowie einen Opferstock.
Der Boden ist ausgelegt mit einem - von der Dicke
und dem Gefühl beim Begehen - dem Linoleum vergleichbaren Material: dunkles Echtholzfurnier auf
Kork aufgebracht und mit Vinyl überzogen.
Die Wände sind leicht farbig gehalten (und nicht
„klinisch weiß“).
Der Raum wird im Wesentlichen durch die Fenster
mit Tageslicht und an trüben Tagen oder bei Dunkelheit durch künstliche Beleuchtung hinter den
durchscheinenden Wänden indirekt beleuchtet. Besondere Orte (Quellort, Ikone, Kreuz) werden durch
Spotlights eigens angestrahlt.
2.3 DER ‚ALTAR‘
IM NEUEN ANDACHTSRAUM
Der Bildhauer und Zeichner Thomas Helbing aus
Barnitz (bei Reinfeld in Holstein) stand vor der Aufgabe, das Gewicht des angedachten Steinmonuments
aus statischen Gründen von geschätzten 6,5 Tonnen
auf maximal 2,3 Tonnen zu reduzieren.
Er konstruierte eine Stahlrahmung, auf der er die
60mm starken, auf Gehrung geschnittenen bearbeiteten Platten aus Adneter „Marmor“ – blutrot, die
Farbe des Lebens, durchsetzt mit weißen Adern – aus
dem Salzburger Land montierte. (Im petrologischen
Sinn ist der Adneter Marmor allerdings kein Marmor, sondern ein durch Metamorphose entstandener
dichter, schleif- und polierfähiger Kalkstein.)
Am Anfang dieses Objekts steht der Kreis – ein wenig verborgen, nicht gleich zu sehen, wie das manchmal so ist mit Anfängen. Der Kreis steht für das
Eins-Sein, das Unteilbare, für die Symbiose. Hier ist
an den Beginn des menschlichen Lebens gedacht:
24
heit. Sie entspricht sehr stark dem Menschen, so haben
wir z.B. fünf Finger an jeder Hand. Die Fünf steht
auch für die fünf Sinne des Menschen3.
Taufe und Grablegung – das sind die beiden Auflagepunkte, das ist die Zwiespältigkeit, die „Ambivalenz“ des menschlichen Lebens. Auch wenn wir Augenblicke des Eins-Seins erleben; unser All-tag
gleicht einer Ellipse mit ihren zwei Brennpunkten.
Aus der befruchteten runden Eizelle wächst der
Mensch heran im Eins-Sein mit der sich rundenden
Mutter und wird geboren.
Der Künstler hat den ‚Quellort’ mit neun Strahlen
versehen, die sich in Richtung Ikone verjüngen. Die
Neun enthält die 3 x 3. Zahlen, die die 3 und die 9
enthalten, haben immer einen starken göttlichen Bezug. Die Zahl neun versinnbildlicht im Christentum
die Harmonie und Vollkommenheit und steht für
die Jungfrau Maria2.
Aus der Schale der Taufe ergießt sich der Lebensfluss. Er fließt über die Lebensstufen der Kindheit
und Jugend (mit dem deutlichen Absatz der Initiation - Firmung oder Konfirmation) zum ErwachsenSein über die Stufe das Alter und endet im Grab. Am
‚Grab’ finden sich fünf Strahlen. Auch sie verweisen
auf die Ikone. Die Fünf ist die Vereinigung von Zwei
und Drei, die Verbindung der Dualität und der Drei-
Damit sind fünf Teile dieses Objektes benannt. Insgesamt sind es sieben. Die sieben ist eine heilige Zahl.
Sie setzt sich zusammen aus der Drei und der Vier.
Dabei steht die Vier für das Irdische: Vier Himmelsrichtungen, vier Jahreszeiten, die vier Elemente (Erde, Wasser, Luft, Feuer).
Die Drei steht für das Göttliche. Das Göttliche ist
abgehoben von der Raum- und Zeitbegrenztheit des
Irdischen.
2
3
Im hebräischen ist sie die Zahl der Wahrheit. Die Neun
setzt sich aus 5 und 4 zusammen. Ein mathematisches Phänomen der Neun ist, das sich durch Addition der Neun die
Quersumme nicht ändert. Sie ist sozusagen unsichtbar und
verhält sich neutral.
So wie Leonardo daVinci den Menschen gezeichnet hat, ist
es möglich, ihn innerhalb eines Pentagramms darzustellen.
25
Was macht ein Krankenhaus zu einem christlichen Krankenhaus
Das Göttliche ist immer das sowohl als auch, aber in
eins:
Das Irdische und das Himmlische – von Gott umfangen.
Das Leben und der Tod – von Gott gehalten.
Das Gute und das Böse – von Gott gewandelt.
Das Göttliche, dieses „sowohl als auch, aber in eins“
ist für Menschen schwer auszuhalten. Wir mögen
uns gefallen lassen, dass Gott das Irdische übersteigt
(transzendiert), aber ein Gott, der herabsteigt (inkarniert), der sich mit seiner Güte und Macht an Raum
und Zeit bindet?
Als Gott in Jesus Christus Mensch geworden ist, haben die Menschen dem gewaltsam ein Ende gemacht.
Doch Gott hat dieses schmähliche Ende aufgebrochen. Gott hat den Tod Jesu konkret und damit zu-
gleich auch allgemein gültig glorios gewandelt, auch
um uns zu sagen, dass wir von ihm, von dem „Gott
mit uns“ (Immanuel) gesehen und gesegnet sind –
auch im Scheitern und in Ausweglosigkeiten.
Aus diesem Grund sehen Christen im Kreuz mehr als
ein grausames Folter- und Tötungsinstrument. Es ist
für Christen zu einem Zeichen des Segens geworden.
Und wie das Einatmen und das Ausatmen will Segen
empfangen werden und gespendet sein.
Sich unter den Segen Gottes zu stellen, das könnte
ein weiterer Titel sein für die in Kirchenslawisch
überschriebene Ikone ‚Himmelfahrt Christi‘, die
Bruder Ansgar im Kloster Nütschau (bei Bad Oldesloe) für das Marien-Krankenhaus geschrieben
hat. Christus wird hier in einer von zwei Engeln getragenen Gloriole in die himmlische Herrlichkeit
„entrückt“, wo er „zur Rechten des Vaters“ sitzen
wird.
Darunter steht Maria, die Mutter des Herrn, dem
Betrachter zugewandt; so als wollte sie uns sagen:
„Was er euch sagt, das tut!“ (Johannesevangelium 2.
Kapitel, Vers 5). Sie erscheint als ruhender Pol inmitten der aufgebrachten Männer, denen die Engel, die
himmelwärts zeigen, sagen: „Ihr Männer von Galliäa, was steht ihr da und schaut zum Himmel empor?
. . . “ (Apostelgeschichte 1. Kapitel, Vers 10f.).
Der Kreis des Anfangs (der runde ‚Quellort’) und des
Endes (im Kreuz ‚Auferstehung’) vereinen sich im
Kreis der Erhöhung (der Gloriole mit dem erhöhten
Christus) und ‚tropfen’, quasi als Gottes Segen, wieder auf die Erde.
Sich unter den Segen Gottes stellen, ist wie „ein
Baum gepflanzt an Wasserbächen“ (Psalm 1), ist wie
ein „Ruheplatz am Wasser“ (Psalm 23).
Neben Maria und den beiden Engeln zeigt die Ikone
die 12 Apostel. Die Zahl 12 findet sich auch auf dem
vorderen Stein in der Mitte. Die Zwölf setzt sich zusammen aus 3 x 4. Sie ist die Zahl der kosmischen
Fülle.4 Schließlich ist die 12 auch eine biblische Zahl
4 Die 12 spielt in der Gesellschaft der frühen Hochkulturen Mesopotamiens bis heute eine herausragende Rolle. Dies mag ähnlich wie bei der Sieben auf Naturbeobachtungen zurückgehen:
Ein Sonnenjahr beinhaltet 12 Mondzyklen, was zur Einteilung
des Jahres in 12 Monate führte. Bis heute ist der Tag in zweimal 12 Stunden eingeteilt. Ebenfalls in Mesopotamien liegt der
Ursprung der 12 Tierkreiszeichen. Auch der Chinesische Kalender orientiert sich an der Zahl 12, er kennt ebenfalls 12 Tierzeichen. Das Duodezimalsystem auf der Basis der Zahl 12
scheint in Europa sehr alt zu sein. Es ist Basis eines alten Zähl-
maßes: 12 Stück heißen ein Dutzend, 12 Dutzend ein Gros,
zwölf Gros schließlich werden als Maß bezeichnet. Die Einteilung zahlreicher historischer Maße und Gewichte, heute noch
im angloamerikanischen Maßsystem verwendet, sowie die Einteilung der Zeitmessung basieren - vermutlich in Mesopotamien entstanden - auf der Zwölf. Ein unverzichtbares Werkzeug früherer Baumeister war ein Seil, das in 12 Teile unterteilt
war. Bildet man damit ein Dreieck mit den Seitenlängen 3, 4
und 5, ergibt das einen rechten Winkel zwischen den beiden
kürzeren Seiten (vgl. dazu den Satz des Pythagoras).
26
Was macht ein Krankenhaus zu einem christlichen Krankenhaus
(12 Stämme Israels; 12 Apostel; 12 Tore, auf denen
12 Engel stehen [vgl. Offb. 21]).
2.4 ZUSAMMENFASSUNG
Ein Christliches Krankenhaus lebt von dem guten
Geist, der im Haus von den Mitarbeitern/innen spürbar gelebt, für Patienten, Besucher und Gäste erfahrbar wird. Diese Einstellung der Mitarbeiter/innen
muss gefördert, ihre zugewandte Haltung genährt
werden. Als ein Stichwort dafür sei nur die hier im
Haus anstehende „Leitbildentwicklung“ genannt.
Um den guten Geist im Haus zu beleben und zu erhalten, kann ein christlich ausgerichtetes Krankenhaus die Ressource Religion in Anspruch nehmen.
Denn gerade dem Menschen zugewandte Berufe –
wie hier in der Pflege – haben ein gutes Gespür für
das, was den Menschen, zumal in Grenzsituationen,
5
Erzbischof Dr. Werner Thissen in seiner Predigt bei der
Verabschiedung der Ordensschwestern.
6 Johannesevangelium 10,9-10: „Ich bin die Tür; wer durch
mich hineingeht, wird gerettet werden; er wird ein-und
übersteigt. Den Ordensschwestern ist es in den 120
Jahren durch ihr den Patienten zugewandtes Wirken
auch in wechselhaften Zeiten eindrucksvoll gelungen, dieses ‚Mehr’ im Haus und darüber hinaus spürbar werden zu lassen.
Nach dem Weggang der Ordensschwestern kamen
ernsthafte Zweifel auf, ob die segensreiche Tradition des Hauses bruchlos fortgeführt werden könne.
Heute, fünf Jahre später, lässt sich zweifelsfrei feststellen: Die Mitarbeiter/innen des Haus haben „das
Licht, das die Ordensschwestern in Lübeck entzündet haben“,5 nicht nur am Leuchten erhalten, sondern ihm darüber hinaus einen neuen Glanz verliehen. Einträge im Fürbittbuch zu dem Haus und
dem neuen Andachtsraum zeigen nicht nur, dass
das auch wirklich gelungen ist, sondern erschließen
zudem den Titel dieser kleinen Schrift: „Leben in
Fülle“6.
ausgehen und Weide finden. Der Dieb kommt nur, um zu
stehlen, zu schlachten und zu vernichten; ich bin gekommen, damit sie das Leben haben und es in Fülle haben.“
27
Was macht ein Krankenhaus zu einem christlichen Krankenhaus
2.5 EINTRÄGE INS
FÜRBITTENBUCH
• Danke für dieses tolle und menschliche Krankenhaus. – Ein schöner Raum zum Ruhe finden.
• Danke für dieses menschliche Krankenhaus, für
das überaus herzliche Personal, die vielen kleinen
Gesten. – Dieser Ort hilft mir innezuhalten.
• Danke Dir lieber Gott, dass ich in diesem schönen
Marien-Krankenhaus so geborgen aufgenommen
wurde und meine Operation gut verlaufen ist.
• Danke Dir, lieber Gott, dass mir in diesem schönen Marien-Krankenhaus eine so gute Betreuung
zu Gute kam.
• Danke, lieber Gott dafür, dass ich die OP so gut
überstanden habe und dass ich die Tage der Genesung in einem so angenehmen Haus verbringen
durfte!
• Danke für die lieben Menschen hier im Haus !
• Es ist sehr gut, dass es diesen Ort hier gibt
• Tranquilhitastis locus iste benedictus sit ! [Möge
dieser Ort der Stille gesegnet sein!]
• Es ist hier ein Ort, wo ich zur Ruhe komme und
Zwiesprache mit Gott halten kann. Danke dafür.
• Ich bin dankbar, diesen Ort gefunden zu haben.
Ich gehe ruhig wieder hinaus.
• Ich bin innerlich erfüllt und ruhe in mir selbst,
wenn ich diesen Ort betrete.
• Danke für diesen Raum. Er gibt mir Ruhe und
Frieden.
28
• Ich bin froh, dass ich hier war. Es ist für mich innen wieder Frieden und Ruhe eingekehrt.
• Ein Ort der Ruhe. Vielen Dank. So konnte ich
mein Kind begleiten.
• Dieser Raum hat soviel Geborgenheit und Ruhe!
Danke
• Ich war hier, wunderbar. Wo gibt es sonst einen
Raum der Stille, wie diesen?
• Ein stiller Ort, um einmal Ruhe genießen. Dieser
Raum ein gelungenes Werk.
• Ich habe diesen Raum für mich entdeckt !
• Die alte B. war hier. Sie ist von diesem Raum begeistert.
• Der Raum hat meine Seele beruhigt und aufgeschlossen.
• Dieser Raum ist ein Segen! Gott segne alle Menschen, die hier ein- und ausgehen!
• Ein schöner Raum zum Ruhe finden. Vielen Dank
• Es ist gut, dass es diesen Ort hier gibt, denn ich
finde an diesem Ort meinen inneren Frieden.
• Toll, wie dieser Raum gestaltet wurde.
• Danke für diese Oase der Stille und der Ruhe!
• Danke für diesen Raum
• Danke für die stille Zeit in der Nähe Gottes in
dieser schönen Kapelle.
• Es ist wundervoll, dass hier ein Raum zur Verfügung steht, in dem man sich so behütet vorkommt, – der so gut riecht. – Und in dem man
in aller Ruhe beten kann.
3. ANHÄNGE
3.1 DAS LEITBILD DES KATH. MARIEN-KRANKENHAUSES
Blickrichtung: Mensch!
Im Mittelpunkt unseres Handelns steht die Würde des Menschen. Unsere Aufgabe ist es, die Gesundheit
unserer Patienten zu fördern, wieder herzustellen und zu erhalten. Das schließt die medizinische Versorgung von Kindern und Erwachsenen aller Altersgruppen ein.
Durch unsere familienfreundliche Geburtshilfe erfahren Sie und Ihr Neugeborenes eine persönliche und
kompetente Begleitung.
Patienten
1. Unsere Patienten und
schwangeren Frauen kommen wegen der individuellen Versorgung und
persönlichen Atmosphäre
zu uns.
2. Ihre Bedürfnisse und
Wünsche werden gehört
und ernst genommen.
Wir nehmen unsere Patienten auch als Kunden
sowie als Mitmenschen in
ei0ner besonderen Lebenssituation wahr.
3. Wir begleiten Sie und
Ihre Angehörigen im Erleben und Verarbeiten von
Gesundheit, Krankheit,
Gebären und Sterben.
4. Unser Ziel ist es, eine
Be-ziehung aus Nähe und
Vertrauen zu Ihnen herzustellen.
5. Sie werden im MarienKrankenhaus kompetent
be-handelt. Wir nehmen
uns Zeit für Sie. Hier sind
Sie rundum gut aufgehoben.
Ärzte
1. Wir bieten Ihnen leitlinien-orientierte Medizin
und eine fachübergreifende Versorgung auf
dem neuesten technischen
Stand. Wir garantieren
Ihnen ein Leistungsangebot auf aktuellem medizinischen Niveau.
2. Ein praktizierter kollegialer Dialog und eine enge Zusam-menarbeit mit
allen Mitarbeitern des
Marien-Krankenhau-ses
ist für uns selbstverständlich.
3. Wir betreuen Sie vor,
wäh-rend und nach der
Behandlung als ihre persönlichen Fachärzte und
garantieren Ihnen damit
im Rahmen der integrierten Versorgung eine
gleichbleibend hohe medizinische Qualität.
4. Wir Ärzte behandeln
Sie individuell abgestimmt und mit hoher
fachärztlicher Kompetenz.
Mitarbeiter
1. Unser Ziel ist es, in
allen Arbeitsbereichen
durch persönliche Atmosphäre, Anteilnahme und
Freundlichkeit Vertrauen zu schaffen.
2. Wir wertschätzen einander in unserer Arbeit.
Jedem einzelnen wird
zugehört, sein Anliegen
angemessen umgesetzt.
3. Wir fördern untereinander den Teamgeist und
arbeiten mit Einfühlungsvermögen, Fairness
und Optimismus kollegial zusammen.
4. Konflikte werden offen angesprochen, und
sehen in deren Lösung
die Chance zu kontinuierlichen Verbesserungen
im Sinne einer lernenden
Organisation
Leitende
1. Wir als leitende Mitarbeiter unterstützen und
fördern ein christliches
Denken und Handeln bei
den Mitarbeitern und
schaffen Raum, dieses zu
leben.
2. Unser Ziel ist es, mit
mög-lichst wirtschaftlich
eingesetzten Ressourcen
ein Höchstmaß an Qualität zu erreichen. Dies
gelingt uns mit Hilfe eines umfassenden, prozessorientierten Qualitätsmanagements.
3. Als modernes Dienstleis-tungsunternehmen
leben wir Verlässlichkeit
und Vertrauen gegenüber
allen unseren Geschäftspartnern.
4. Wir Leitende fördern
die Mitarbeiter in ihrer
beruflichen Entwicklung
und in ihrem Bestreben,
Abläufe zu verbessern.
Dies gewährleisten wir
durch
kontinuierliche
Fort- und Weiterbildung.
Wir sind uns der Gottes- und Nächstenliebe als Gründungsidee des Marien-Krankenhauses bewusst.
Wir geben Raum, aus christlicher Überzeugung Arbeit zu gestalten.
Wir leben dabei eine Kultur der weltanschaulichen Toleranz, Offenheit und Gleichberechtigung.
Daraus erwächst unsere Zufriedenheit in der Arbeit, das Gefühl der Anerkennung
und die Motivation zur Mitgestaltung.
29
3.2 ANDREAS KASPARAK
ZU SEINEM KREUZ
‚AUFERSTEHUNG‘
Die Intention des Kreuzes „Auferstehung“ ist für
den Diplom-Designer Andreas Kasparak „die würdevolle Darstellung des Kreuzes mit Korpus“.
„Wenn die Aussage vom Kreuz auch heute Bedeutung hat, dann muss es möglich sein, eine Umsetzung mit den formalen und fertigungstechnischen
Mitteln in unserer Zeit zu schaffen.
Bei diesem Kreuz wird die zeichenhaft reduzierte
Form aus Stahl mit der gebündelten Kraft des Lichtes, dem Laserstrahl, geschnitten. Diese Technik er-
scheint mir dem Symbol zutiefst angemessen, ist rational und unbegreiflich zugleich.“ Die Darstellung
des Leibes Christi erfolgt durch das Aufspüren der
Figur mit einem doppelten Hintersinn: Jeder und jedem soll es möglich bleiben, den Freiraum des
Wandkreuzes zu füllen. „Die Öffnung des auf den
Querbalken geneigten Kopfes lässt meine Gedanken
und Gefühle hinein. So suche ich manchmal in der
Kontur die Gestalt – und sehe in die Leere. Und es
gibt Momente, da sieht mich Christus vom Kreuz
her an.
Dem Kreuz habe ich den Titel Auferstehung gegeben;
denn erst mit der Auferstehung wird das Kreuz zu
dem, was Hoffnung geben kann.“
3.3 BEISPIELE FÜR DEN WOCHENZUSPRUCH
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3.4 ABSCHLUSSBERICHT DER AG ‚CHRISTLICHES KRANKENHAUS‘
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Was macht ein Krankenhaus zu einem christlichen Krankenhaus? –
Die „Schwestern von der Heiligen Elisabeth“ mussten wegen fehlenden
Nachwuchses nach über 130 Jahren ihres Wirkens auch ihre Niederlassung in Lübeck aufgeben. Dort hatten sie u.a. ein Krankenhaus gegründet, das sich in der Stadt als konfessionelles Haus schnell einen guten Ruf erworben hatte. Was machte diesen guten Ruf aus? Was davon
konnte nach dem Weggang der Ordensschwestern fortgeführt werden?
Welche Veränderungen wurden notwendig?
Nach einem auch durch viele Bilder anschaulich gemachten Gang
durch die Geschichte des Hauses werden Antworten auf diese Fragen
und damit auf die Eingangsfrage gegeben.
ISBN 978-3-86568-461-5