100 Jahre MOTORRAD extra

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100 Jahre MOTORRAD extra
1914
Instrumentalstücke
120 MOTORRAD magazin
Pope (Hardford, Connecticut, USA)
Corbin: der Klassiker der amerikanischen
Instrumentenhersteller
18/2003
1916
1935
1955
NSU 3,5 PS
Indian Four
BSA („Road-Rocket“)
Optimistisch: Anzeigenbereich für 3,5 PS
American Style: Der Tacho auf dem Tank
war bereits damals State of the art
Klassisch britisch: Smiths-Chronometric
in bester Uhrmachertradition
TRAURIGE UHRSTÄND
Immer schneller werden die Motorräder, drehen immer höher, fahren immer weiter.
Warum nur müssen die Instrumente, die uns das anzeigen, immer hässlicher werden?
Von Michael Orth und Waldemar Schwarz; Fotos: Bilski, fact, Gargolov, Hartmann, Herzog, Jahn, Wolf
Inquisitor zum Folterknecht: „Zeige er ihm
die Instrumente.“ Umberto Eco. Der Name
der Rose
s gibt hässliche Motorräder. Aber
das ist nicht wirklich tragisch. Denn
diese Hässlichkeit verschwindet, sobald
man sie positiv besetzt. Indem man sich
draufsetzt, aufs Motorrad.
Es gibt hässliche Tachos. Und das ist
wirklich tragisch. Denn diese Hässlichkeit
verschwindet nicht, wenn man sich draufsetzt. Sie starrt einen an, die Hässlichkeit
der Tachos, die keine mehr sind. Sondern
Cockpits, Instrumentenbretter, Multifunktionskonsolen, Mäusekinos.
E
Was war denn das Problem mit
den Smith-, Veglia- oder VDO-Uhren, mit
roten, weißen, schwarzen Zeigern im
klassischen Rundinstrument? Solide und
schön. Aber ungenau. Na und? Zehn
Kilometer hin oder her, egal. Motorradfahrer sind doch keine Erbsenzähler, und
die Geschwindigkeit zu spüren ist allemal
besser, als sie aufs Komma genau von
einem gruseligen Teil mit eckig zuckenden Ziffern ablesen zu müssen. Bremst
jeden Geschwindigkeitsrausch.
Andererseits: So ein haargenauer
Digitaltacho passt um einiges besser in
unsere verkehrsreglementierte Epoche,
und er macht es viel einfacher, sich im-
Halb hie und dort ist sie betöret. Sie ist gar
hübsch und wohlgetan, das nimmt sie sich vom
Maien an, ist Glückes voll für einen Mann und
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mer mehr immer unsinnigeren Tempolimits unterzuordnen. Und das auf die
ganz billige Tour.
Weiß doch jeder, der schon mal bei
Woolworth ’ne Uhr gekauft hat, dass die
allerbilligsten der billigen immer eines
gemein haben: Digitalanzeige. Die galt in
den Achtzigern ganz kurz mal als schick,
zu einer Zeit, als auch pinkfarbene Netztops Mode waren und man Pamela Ewing
oder Samantha Fox ungestraft für eine
Beauty-Queen halten durfte. Später dann
haben nur bekennende Freunde der Hässlichkeit digital getragen oder solche, die
stets unfähig waren, eine analoge Uhr
überhaupt zu lesen.
Die Yamaha XJR
1300 (links)
kommt dem klassischen Ideal sehr
nahe, die Royal
Star Venture erinnert an Mittelklasse-Autos
der Sechziger
MOTORRAD magazin 121
1965
1973
1974
Kawasaki W1
Ducati 350
Benelli 750 Sei
Japanische Schule: Tacho und
Drehzahlmesser als Kombiinstrument
Veglia-Wasseruhr: Der berühmte Drehzahlmesser dient heute noch als Vorlage
New Edge: Autodesigner Alejandro
De Tomaso übte am Motorrad
Wobei: Die klassischen Uhren am
Motorrad waren seit jeher leicht zu verstehen. Weil sie nicht allein einen nüchternen Wert anzeigen, sondern obendrein
die Dynamik der Bewegung visualisieren.
Und sie geben ein Versprechen, präsentieren, was mit der Maschine alles geht –
wow, 300 auf dem Tacho. Bis dahin ein
hübsch skaliertes Kontinuum, durch das
der Zeiger wandern, preschen, schnellen,
sich hangeln kann. Die Flüssigkristalle
heutiger Infozentren hingegen zeigen nur
Anfang und Ende, flirren dazwischen
wirr rum, stottern abgehackt Infos raus,
unsinnlich, irgendwie nutzlos. Von null
auf hundert über 29, 45, 78, 91.
Freilich, beim Drehzahlmesser sieht’s
nicht ganz so schlimm aus. Bei den Umdrehungen nämlich geht es meist noch
rund, mit einer Nadel. Obwohl: Bei der
Z 1000 etwa hat Kawasaki derweil versucht, einen Zeiger elektronisch nach-
Harmonisch fügt
sich dieses Teil
in die Ästhetik
der Cagiva Raptor.
Da hat sich der
Designer also was
bei gedacht. Aber
was? Dass digital
und klassisch auch
ganz gut passen
können, zeigt die
MV Agusta F4
(u.). Wenn man
die Assoziation
Radiowecker aus
dem Kopf kriegt
122 MOTORRAD magazin
zuempfinden. Einen Zeiger elektronisch
nachzuempfinden! Demnächst werden
sie gar das Rad neu erfinden. Digital. Und
vermutlich irgendwie eckig.
Aber selbst da, wo es derart weit noch
nicht gekommen ist, ist man schon ganz
weit gekommen – auf dem Weg zur
Perfektionierung der Hässlichkeit des Instruments, der kompletten Cockpitgestalt
vielmehr. Wegweisend: Cagiva Raptor.
Deren Drehzahlmesser krankt irgendwo
Die Honda VTR
1000 SP-2 bringt
astreine Telespielatmosphäre (o.).
Ältere Doppel-XModelle dagegen
präsentieren sich
als runde Sache,
weil sie ohne formale Experimente
auskommen. Das
Plastikmodell der
Aprilia RSV mille
(u.) kann alles,
nur eines nicht:
gut aussehen
18/2003
1975
1984
1992
Suzuki RE 5 (Wankel)
Suzuki GSX-R 750
Bimota Tesi
Botanisiertrommel: Das Runddesign
sollte auf den Wankelmotor hinweisen
Racing: Der Rennsport stand
Pate beim Cockpit
Futureworld: abschreckendes
Beispiel einer Informationszentrale
zwischen Schmelzkäseschachtel und Toblerone. Honda. Die haben das mit dem
Drehzahlband an der VTR 1000 SP-2
wohl gründlich missverstanden. Suzuki.
Packen an die SV 1000 ein Gerät, so verboten geformt, dass zu dessen Beschreibung hoffentlich niemals ein passendes
Wort erfunden wird.
Schöner sieht das Armaturenbrett der
Aprilia RSV mille zwar auch nicht aus,
doch lässt sich das zumindest noch mit der
stilprägenden Formensprache eines Opel
D-Kadett fassen. Fassen, darum geht es.
Unfassbar nämlich, wie viele Anzeigen
mittlerweile reingepresst werden ins Cockpit. Temperatur, Uhrzeit (mit Sekunde),
Benzin, Laptimer, Distanz zum nächsten
Café, Lottozahlenzufallsgenerator, Winddruckmesser und Schräglagenindikator.
Muss aber sein, damit der auf die
permanente Reizüberflutung der modernen Informationsgesellschaft konditionier-
te Mensch sich nicht urplötzlich allein
gelassen vorkommt, wenn ihm die Instrumente an seiner Mühle nur Geschwindigkeit und Drehzahl anzeigen. Das wäre
zwar mehr als genug, um das Motorradfahren in seiner reinen Form zu genießen. Aber wer will das denn heute?
Denken die Hersteller und verbrechen
immer hässlichere Plastikkonsolen.
Wo doch längst schon klar war: Die
Welt ist rund, und sie dreht sich.
TECHNIK: TACHOMETER
Elektronik statt Feinmechanik: Chips verdrängen
in den altehrwürdigen Tachometern und Drehzahlmessern das Uhrmacherhandwerk.
ie letzte Bastion ist gefallen. Elektronische Tachos setzen sich
in großem Stil gegen mechanische Uhren durch. Bei Letzteren
versetzt das Vorderrad oder die Getriebeausgangswelle über einen
Schneckentrieb eine biegsame Welle in Rotation. Diese wiederum treibt
im Instrument eine Dauermagnetglocke an, die abhängig von ihrer Drehzahl einen Wirbelstrom erzeugt. Je nach der Größe des Wirbelstroms
wird eine drehbar gelagerte Aluminium-Trommel, auf der die Tachonadel
sitzt, gegen eine Spiralfeder verdreht. Genau nach dem gleichen Prinzip
arbeiten mechanische Drehzahlmesser, deren Antrieb von der Nockenoder Kurbelwelle aus erfolgt. Die Tachowelle treibt aber auch das mechanische Zählwerk des Wegstreckenzählers an, das über ein Räderwerk die
Zahlenwalzen weiterdreht.
Ganz anders dagegen die neue Generation. Am Rad oder Kettenritzel sitzt
entweder ein induktiver oder ein Hall-Geber, der über ein Kabel mit
der Instrumenteneinheit verbunden ist. Deren Elektronik verarbeitet das
Eingangssignal von Geschwindigkeit oder Motordrehzahl und gibt es als
„analoge“ Anzeige oder als Leuchtdioden-Display in Zahlenform oder als
Balkendiagramm aus.
Die Elektronik bietet daher sämtliche Gestaltungsmöglichkeiten von
konventioneller Optik bis zum futuristischen Design und dank des Entfalls
der Tachowelle weniger Störquellen.
D
Selbst diejenigen,
die sich gerne vom
Hauch der reinen
Lehre umwehen
lassen, HarleyDavidson, sind
nicht gefeit davor,
dass sich eine
Digitalanzeige
stilbrechend in die
Instrumentenkonsole verirrt. Das
Etwas an Suzukis
SV 1000 wirkt
an sich schon wie
eine Verirrung (u.)
Den mechanischen Tacho, ein Meisterwerk der
Feinmechanik (links), ersetzt heute die Elektronik
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