Ausgabe 03/2013 Fachliche Mitteilungen für fliegende

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Ausgabe 03/2013 Fachliche Mitteilungen für fliegende
Flugsicherheit
Ausgabe 03/2013
Foto: PIZ Lw, Hauptmann Toni Dahmen
Fachliche Mitteilungen für fliegende Verbände
flugsicherheit
Ausgabe 03 / 2013
Heft 3 Dezember 2013
–
50. Jahrgang
Fachliche Mitteilungen für fliegende Verbände
Flugsicherheit
In this issue
Article overviews in English by Lt Col Jeff “Otter” Anderson, USAF Exchange Officer and member of the German Armed
Forces Flight Safety Directorate.
JeffreyAnderson@bundeswehr.org
Fachliche Mitteilung für fliegende Verbände
The Fault Correction // Die Störbehebung
In a hurry to get back from the hangar with the part to correct the fault, the technician might have forgotten an important
thing or two. Told in poetic form, this article makes clear exactly what the most expensive thing is, that one can use to
chock a vehicle on the flightline. That would be an aircraft!
Titelfoto: PIZ Lw
„Flugsicherheit“, Fachliche Mitteilung
für fliegende Verbände der Bundeswehr
An Aircraft Crash, Two Investigation Reports and All Sorts of Conspiracy Theories // Ein Flugzeugabsturz, zwei
Untersuchungsberichte und jede Menge Verschwörungstheorien
The crash of the Polish TU-154M on April 10th, 2010 during an approach to a Russia military airfield killed all 96 passengers on-board, including many members of the Polish government. Mistrust between the two nations resulted in two
separate investigations. While each nation’s report seems to overly point a finger at the other nation, taken together, one
can, nevertheless, build an accurate picture of the causes and contributing factors. Failures by the aircrew, inappropriate
command influence, and insufficient oversight on the Polish side, and failures by the Russian approach controllers are
explained. The article also debunks several conspiracy theories that have developed after the crash.
Herausgeber:
Luftwaffenamt
General Flugsicherheit in der Bundeswehr
Redaktion:
Hauptmann Klemens Löb,
Tel.: 02203-9083124
Luftwaffenkaserne 501/07
Postfach 906110
51127 Köln
redaktionflugsicherheit@bundeswehr.org
klemensloeb@bundeswehr.org
Gestaltung:
Hauptmann Klemens Löb
GenFlSichhBw
Erscheinen:
dreimonatlich
Manuskripteinsendungen
sind direkt an die Schriftleitung zu richten. Vom Verfasser gekennzeichnete Artikel stellen nicht unbedingt
die Meinung der Schriftleitung oder des Herausgebers
dar. Es werden nur Beiträge abgedruckt, deren Verfasser mit einer weiteren Veröffentlichung einverstanden
sind. Weiterveröffentlichungen in Flugsicherheitspublikationen (mit Autoren- und Quellenangaben) sind
daher möglich und erwünscht.
Druck:
Heimbüchel & Köllen corporate publishing GbR
10117 Berlin
Editorial 1
Die Störbehebung 2
Ein Flugzeugabsturz, zwei Untersuchungsberichte und
jede Menge Verschwörungstheorien
4
Fehlerkultur und der Umgang mit der menschlichen Unvollkommenheit13
Der Weg alles Irdischen
16
Wechsel des General Flugsicherheit in der Bundeswehr 20
Donnerwetter23
Was passiert, wenn ich einen Notsender auslöse?27
Verabschieden & Begrüßen
32
In this issue33
Error-Culture and Dealing with Human Imperfection // Fehlerkultur und der Umgang mit der menschlichen
Unvollkommenheit
An „Error-Culture“ exists in an organization when there is an atmosphere where individuals are confidant and able to
report mistakes, and in doing so, help the organization to improve and avoid accidents. Creating such a climate relies on
accurately differentiating between unintentional mistakes and the negligent form of mistakes. Both forms of mistakes
must be dealt with, but each in a very different manner. This article establishes some definitions and standards that should
help an organization differentiate between the two forms of mistakes with the goal of eliminating mistakes that could
lead to accidents … before there is an accident.
The Way of All Earthly Things // Der Weg alles Irdischen
The headset that flew off the crewmember’s head and out the troop-door during the jump operation has had a lot of time
to reflect on life as it rests on the ground, having miraculously survived such a fall. Why wasn’t it properly adjusted to the
crewmembers head? Just because there isn’t a specific regulation for doing that doesn’t mean it isn’t as sensible and as
easy to do as putting on a belt (which also doesn’t involve any detailed written procedure). Hope soars when a second
headset arrives, only to be shattered by the realization that a long slow demise is all that awaits the pair.
Change of Commanding General, Flight Safety Directorate of the German Armed Forces // Wechsel des General
Flugsicherheit in der Bundeswehr
Brigadier General Hans-Dieter Poth relinquished command of the German Armed Forces‘ Flight Safety Directorate to Colonel (Brig. Gen. select) Peter-Klaus Klement. Brig. Gen. Poth departs the directorate for Paris, where he will be the Defense
Attaché. Col. Klement comes to the directorate with an accomplished background as a fighter pilot, commander, and staff
officer. We welcome Colonel Klement and wish Brig. Gen. Poth all the best!
Thunderstorms // Donnerwetter
When thunderstorms approach an airfield, the reported wind gusts do not necessarily conform to the direction of the reported wind. So even though the wind direction maybe reported as straight down the runway, the gust component could
be partially or completely a crosswind or tailwind. The author’s description of an approaching storm at Frankfurt Airport
this summer vividly illustrates the point.
What Happens When I Active an Emergency Beacon? // Was passiert, wenn ich einen Notsender auslöse?
The article describes the basic operation of the international SARSAT system and its key limits. For example, coverage is not
exactly global, reception is not instantaneous (slowest near the poles), and the system relies on radio line-of-sight, which
is hindered in certain terrain and when the beacon goes under water shortly after activation.
We say good-bye, we say hello // Verabschieden & Begrüßen
03-2013
Editorial
Das Jahr 2013 neigt sich seinem
Ende zu und damit ist es auch an
der Zeit, aus Sicht GenFlSichhBw
ein kurzes – wenn auch nicht abschließendes – Resümee für das
zurückliegende Jahr zu ziehen.
Das Jahr 2012 war erstmalig in
der Geschichte der Bundeswehr
ein Jahr, in dem keine Flugunfälle
in der bemannten Luftfahrt zu
verzeichnen waren. Trotz gleichbleibender Anstrengungen und
der insgesamt ausgezeichneten
Arbeit, die von allen am Flugbetrieb in der Bundeswehr Beteiligten geleistet wird, konnten wir
diese herausragende Statistik des
Vorjahres mit bislang zwei Flugunfällen mit bemannten Luftfahrzeugen in 2013 leider zu keinen
anhaltenden Trend ausbauen.
Zumindest müssen wir in diesem
Kontext nicht den Verlust von
Leben beklagen, auch wenn bei den
Flugunfällen zum Teil schwere
Verletzungen davon getragen
wurden. Damit wird deutlich,
dass das Auftreten oder Vermeiden von Flugunfällen und deren
Konsequenzen auch immer etwas
vom Faktor Glück beeinflusst
wird.
Das Abwägen und Akzeptieren
von Risiken ist integraler Bestandteil der Luftfahrt. Im Vergleich zur zivilen Seite ist die Zahl
der potenziellen Risikoquellen in
der militärischen Luftfahrt jedoch
deutlich größer. Umso höher ist
der Stellenwert einer professionellen Risikoanalyse und eines
verantwortungsvollen Risikoma-
nagements einzustufen. Aus der
Analyse von Zwischen- und Flugunfällen, aber auch der eingegangenen Berichte und der aufgenommenen Eindrücke im Laufe
des Jahres, wird deutlich, dass vor
allem im Grenzbereich zwischen
Regel- und Einsatzflugbetrieb die
Toleranz für das Akzeptieren von
Risiken zunimmt. Dabei beinhaltet die gewählte Definition von
Grenzbereich sowohl die Vorbereitung auf den Einsatzflugbetrieb als auch „Routineeinsätze“
im Einsatzland.
Welches Risiko ist vertretbar,
um meinen Einsatzauftrag, bei
dem es um Leib und Leben von
Kameradinnen und Kameraden
gehen kann, zu erfüllen? Eine
Frage, die nicht nur die Luftfahrzeugbesatzungen beschäftigt, sondern die sich allen am Flugbetrieb
Beteiligten stellt. Unabhängig ob
im Cockpit, in der Luftfahrzeugtechnik oder der Flugsicherung,
Einsatzbedingungen stellen immer eine besondere Qualität an
Herausforderung dar. Unter
dem Leitsatz „TRAIN AS YOU
FIGHT“ sind wir bestrebt, bereits
die Vorbereitung auf den Einsatz
unter möglichst einsatznahen Bedingungen durchzuführen. Hinzu kommt, dass mit Einführung
neuer und komplexer Waffensysteme der Erfahrungsstand auf
diesen und damit die Handlungssicherheit abgenommen hat. Intuitives Handeln und Entscheiden,
was auf analogen „Altsystemen“
aufgrund deren Auslegung und
unseres Erfahrungsstandes teilweise noch erfolgsversprechend
war, kann sich auf modernen
digitalen Waffensystemen, bei
denen ein solider Erfahrungshintergrund und erschöpfende
Systemkenntnisse erst noch aufgebaut werden müssen, genau ins
Gegenteil verkehren. Unter den
eben beschriebenen Rahmenbedingungen kommt der Anwendung eines zielgerichteten Crew
Ressource Managements und
einer gesunden Fehlerkultur besondere Bedeutung zu. Diesem
Verständnis muss unabhängig
der einwirkenden Rahmenbedingungen (ob Routine-, Vorbereitung auf oder Einsatzflugbetrieb)
über alle Verantwortungsebenen
Rechnung getragen werden. In
diesem Sinne freue ich mich darauf, den Herausforderungen für
die Flugsicherheit auch in 2014
gemeinsam mit Ihnen zu begegnen.
Always fly safe!
Klement
Oberst i. G.
1
Flugsicherheit
Von Oberstleutnant Rüdiger Stein,
KdoUstgVbdeLw AbtFlSichhBw
Ein Mensch behebt ‘ne Flugzeugstörung
und hat auch schon die richt‘ge Lösung.
Ein Teil muss her und zwar sofort,
nur liegt das an ‘nem andren Ort.
Ein andrer Mensch, der stets in Hast,
hat ständig Angst, er was verpasst,
er rast zum Lager, holt das Teil,
und ist zurück in kurzer Weil.
Tritt auf die Bremse, kommt zum Stand,
vergisst jedoch die Bremse, Hand,
auch bliebt die Schaltung in neutral,
wir sehen noch –‘ne schlechte Wahl.
Der Mensch jedoch ist überzeugt,
dem Wegrollen ist vorgebeugt.
Daher ganz sorgenfrei und munter,
rutscht er von seinem Sitz herunter,
besteigt des Flugzeugs schlanken Rumpf,
doch wenig später rumpelts dumpf.
Das Auto – völlig ohne Halt,
bewegte sich und rollte bald,
ein reibungsarmes Handwerksstück,
als Spielball einfachster Physik,
bergab, fast wie von Geisterhand
und kam dann schließlich erst zum Stand
als es ein‘ wahren Prellbock fand.
Es war der teuerste im Land.
2
© Zeichnung von OSFw Ingo Paul Dierkes, LIG 25 FG Rheine
Die Störbehebung
03-2013
©
Das Flugzeug – nicht nur gut für Flieger,
war zwar der Held, jedoch kein Sieger.
Die linke Fläche war verkratzt,
die Störbehebung war verpatzt.
Doch auch das Auto musste leiden.
Das war doch wirklich zu vermeiden!
Die Fahrerscheibe war gerissen.
Der ganze Fall ist schlicht be…dauerlich!
Frei nach dem Zyklus „Ein Mensch“ von Eugen Roth
Anmerkung:
So wie dargestellt hat sich der Zwischenfall im Juni dieses Jahres tatsächlich ereignet.
Betroffen war ein Luftfahrzeug vom Typ Bombardier G 5000.
Bei dem Automobil handelte es sich um einen VW Pritsche T5.
3
Flugsicherheit
Ein Flugzeugabsturz,
zwei Untersuchungsberichte
und jede Menge Verschwörungstheorien
Bericht von Werner Fischbach, mit freundlicher Genehmigung der Redaktion „der flugleiter“ (GdF), Ausgabe 02-2012
Am 10. April 2010 kollidierte eine Tupolew
Tu-154M der polnischen
Luftwaffe beim Anflug
auf den Militärflughafen Smolensk-Severny
Nord mit dem Boden und
wurde dabei völlig zerstört.
4
Dabei kamen alle 96 Insassen
des Flugzeugs, darunter der
polnische Staatspräsident Lech
Kaczynski, seine Ehefrau, zahlreiche Parlamentarier, Regierungsmitglieder, Kirchenvertreter und hochrangige Militärs
(darunter der Oberbefehlshaber der Luftwaffe) ums Leben.
Die Untersuchungsberichte
über diese Katastrophe liegen
seit langem vor. Dennoch
halten sich Zweifel und Verschwörungstheorien bis zum
heutigen Tag sehr hartnäckig.
Der Anlass für diesen Flug
kann durchaus als etwas eigenartig bezeichnet werden und
lässt sich unter anderen auf die
Vorbehalte, die in Polen ge-
Bild: Piotrus Wikimedia GNU
03-2013
gen Russland gehegt werden,
und das nicht gerade einfache
Verhältnis zwischen dem polnischen Staatspräsidenten Lech
Kaczynski und dem damaligen russischen Ministerpräsidenten Wladimir Putin zurück­
führen. Die Sache begann mit
einer Einladung Putins vom
Februar 2010, mit welcher
dieser dem polnischen Regierungschef Donald Tusk eine
gemeinsame Gedenkveranstal-­
tung anlässlich des 70. Jahrestages des Massakers von Katyn
vorgeschlagen hatte. Katyn
spielt eine wichtige Rolle in der
Geschichte Polens und belastet
das russisch-polnische Verhältnis bis heute. Denn bei Katyn
wurden zwischen dem 3. April
und dem 19. Mai 1940 etwa
4.400 polnische Offiziere von
Angehörigen des sowjetischen
Innenministeriums (NKWD)
ermordet und anschließend
an Ort und Stelle verscharrt.
Im Februar 1943 wurden die
Massengräber von deutschen
Soldaten entdeckt und von
der Nazipropaganda entsprechend ausgewertet, während
die Sowjetunion das Verbrechen Nazideutschland in die
Schuhe schieben wollte.
Die Einladung Putins kann
deshalb durchaus als eine Art
der Wiedergutmachung bzw.
ein Versuch, das russisch-polnische Verhältnis zu normalisieren, angesehen werden. Die
beiden Regierungschefs trafen
sich am 7. April in der Nähe
des Dorfes Katyn, das etwa
20 km von Smolensk entfernt
liegt. Tusk war dabei mit einer
Tu-154M der polnischen Luftwaffe zu diesem Treffen zu jenem russischen Fliegerhorst
geflogen, an welchem sich drei
Tage später eine Tragödie ereignen sollte.
Zu diesem Treffen war jedoch
der polnische Präsident ebenso
wenig eingeladen worden wie
der damalige russische Staatschef Dimitri Medwedew. Deshalb war für Kazcynski eine
separate Gedenkfeier in Katyn
geplant worden, die vom Rat
zum Schutz des Gedenkens
an Kampf und Martyrium organisiert worden war und auf
welcher Orden und staatliche
Auszeichnungen an die Opfer
verliehen werden sollten. Sie
sollte am 10. April 2010 stattfinden und zu diesem Zweck
flog Kaczynski mit einer nicht
ganz unbeträchtlichen Entourage nach Smolensk.
Unmittelbar nach dem Unglück hatte Dimitri Medwedew
eine Regierungskommission
zur Ermittlung der Unfallursachen eingesetzt und die Leitung
an Wladimir Putin übertragen.
Die Untersuchungen wurden
von der Zwischenstaatlichen
Luftfahrtkommission der Gemeinschaft (MAK), die auf
englisch als Interstate Aviation
Committee (IAC) bezeichnet
wird, durchgeführt. Doch obwohl auch polnische Spezialisten an den Untersuchungen
beteiligt wurden, waren die Polen mit den Ergebnissen nicht
ganz einverstanden. Ministerpräsident Donald Tusk stufte
den Untersuchungsbericht als
unvollständig ein, weil polnische Anmerkungen nicht
berücksichtigt worden waren.
Und Innenminister Jerzy Miller meinte, er wolle die Fehler
der polnischen Piloten, auf die
noch zu kommen sein wird,
nicht schön reden. Aber im
MAK-Bericht fehle so einiges.
Dennoch stellte die polnische
Seite die Grundaussagen des
russischen
Untersuchungsberichts nicht in Frage. Trotzdem wurde der Unfall noch
einmal von der polnischen
Untersuchungsskommission
für Flugunfälle unter die Lupe
genommen und ein zusätzlicher
Untersuchungsbericht
vorgelegt.
Von beiden Berichten liegt eine
englische Übersetzung vor.
Wenn also im weiteren Verlauf
dieses Beitrags daraus zitiert
wird, dann bezieht sich dies auf
die englische Version. Beide
Berichte sind sehr umfangreich,
der russische umfasst 184, der
polnische 328 Seiten. Wer sich
dies nicht antun möchte, der
sei auf Wikipedia, skybrary
(www.skybrary.aero) oder auf
das Aviation Safety Network
(aviation-safety.net) verwiesen.
Dabei muss festgestellt werden,
dass bestimmte Handlungen bzw. Unterlassungen der
Beteiligten in beiden Berich5
Flugsicherheit
ten unterschiedlich gewertet
wurden – vielleicht auch, um
die jeweils „eigenen“ Akteure
in einem etwas besseren Licht
dastehen zu lassen. Eine Hypothese, der nicht unbedingt
gefolgt werden muss.
Der Unglücksflug
Nun soll hier nicht detailliert
auf den Ablauf des Unglücksflugs der Tu-154M, die das
Kennzeichen 101 trug und der
mit dem Rufzeichen „Polish
Airforce (PLF) 101“ durchgeführt wurde, eingegangen
werden, sondern nur auf die
wichtigsten
Arbeitsfehler
der Cockpitbesatzung und
auch auf die Rolle der Smolensker Flugsicherung. Das
Flugzeug selbst war, das stellen beide Berichte fest, technisch in Ordnung. Obwohl
im Flugzeugwrack hinterher
das Airworthiness Certificate
6
der Tupolew gefunden wurde
und dieses offensichtlich am
20. Mai 2009 abgelaufen
war. Zusätzlich war jedoch
das gültige Zertifikat für die
Schwestermaschine „102“ aufgefunden worden; doch diese
Maschine befand sich zum
Zeitpunkt des Unglücks in der
Wartung.
Der russische Bericht stellt der
polnischen Luftwaffe ein nicht
gerade überragendes Zeugnis aus, um es einmal vorsichtig auszudrücken. Das beginnt eigentlich schon bei der
Flugvorbereitung. So wurde
der Flugplan des Fluges vom
7. April einfach übernommen.
Und bei diesem waren Minsk
und Vitebesk als Ausweichflughäfen angegeben, obwohl
Vitebesk an den Wochenenden
(der 10. April war ein Samstag)
geschlossen war. Die Informationen über den Zielflugplatz
hinsichtlich der Verfügbarkeit
von Navigationseinrichtungen
stammten vom Vortag; auch
über das aktuelle Wetter hatte
die Crew, die aus zwei Piloten,
einem Navigator und einem
Bordingenieur bestand, keine
Informationen erhalten. Zudem hatte die polnische Seite
auf einen zusätzlichen, russischen Navigator verzichtet,
da die Besatzung russisch spreche und ein solcher deshalb
nicht erforderlich wäre. Wie
sich hinterher herausstellte,
war nur der Kommandant
(Pilot-in-Command - PIC) der
russischen Sprache mächtig.
Er führte auch den Sprechfunkverkehr mit den russischen Controllern von Smolensk durch (der Funkverkehr
mit den übrigen Kontrollstellen war vom Navigator in englischer Sprache abgewickelt
worden). Für den Anflug stand
Bild: PRStream Wikimedia by sa20
03-2013
der Besatzung nur ein Nichtpräzisionsanflug mit zwei ungerichteten Funkfeuern zur
Verfügung, der mit Radar
überwacht wurde (radar+2
NDB), was bekanntlich zu
einem sehr hohen „Minimum“
führt. Zusätzlich stand der Besatzung auch noch ein Flight
Management System (FMS)
zur Verfügung. Aber dadurch
erreicht ein Nichtpräzisionsanflug nun mal nicht die Qualität eines ILS-Anflugs. Und
glaubt man dem russischen
Bericht, dann war die Cockpitbesatzung auch nicht besonders erfahren. Der PIC des
Unglückflugs, der am 7. April
als Co-Pilot nach Smolensk geflogen war, hatte 530 Stunden
auf dem Flugzeugmuster, der
Co-Pilot und der Navigator
noch weniger. Letzterer war
in den letzten vier Monaten
hauptsächlich auf der Yak-40
eingesetzt worden. Ausbildung
im Simulator wurde nicht regelmäßig durchgeführt und
Crew Resource Management
(CRM) schien bei der polnischen Luftwaffe ein Fremdwort zu sein. Dies kann man
zumindest aus dem russischen
Bericht herauslesen.
Während die Tu-154M noch
unterwegs war, hatte sich das
Wetter in Smolensk signifikant verschlechtert, worauf die
Besatzung mehrfach von der
Flugsicherung (Minsk ACC,
Moskau ACC, Smolensk)
hingewiesen worden war. Von
1.500 m ging die Sicht stetig
zurück, zum Zeitpunkt des
Unfalls betrug sie zwischen
300m bis 500 m. Eine Yak-40
der polnischen Luftwaffe (PLF
031) mit dem entsprechenden
Pressetross an Bord war der
Tupolew vorausgeflogen und
in Smolensk unter marginalen
Bedingungen gelandet. Mit ihr
stand die Crew der Tupolew
während des Anflugs in Funkverbindung und ließ sich über
die Wetterverhältnisse unterrichten . „You know, generally
its absolute shit here“, erklärten die Piloten der Yak-40
der Crew der Tu-154M. Und
fügten hinzu: „We were lucky
to land at the last moment. But
frankly speaking you could try
of course, there are two APS.
They ´ve made a gate“.
Zwischenzeitlich hatte eine
IL-76 der russischen Luftwaffe,
dessen PIC mit den Verhältnissen vor Ort vertraut war, versucht, Smolensk anzufliegen.
Nach zwei erfolglosen Versuchen entschied sich deren Besatzung, einen Ausweichflughafen anzufliegen. Dennoch
entschloss sich die Tu-154MCrew einen Trial-Approach
durchzuführen und bei einer
Höhe von 100 m gegebenenfalls durchzustarten und zu
einem Alternate zu fliegen.
Während des Anflugs befand
sich das Flugzeug zunächst
oberhalb, später dann jedoch
unterhalb des vorgegebenen
Gleitwinkels von 2,40 o. Bei
8 km waren es 100 m, bei 6
km 120 m und bei 4 km noch
6o m. ln einer Entfernung von
3 km befand sich die Tupolew
in der vorgeschriebenen Höhe.
Allerdings entsprechend eines
Gleitwinkels von 3,10 o, was
nach Meinung der russischen
Unfalluntersucher der vorgeschriebenen Toleranz entsprach. Der Controller teilte
der Besatzung deshalb mit, sie
befände sich „on glide path“!
Eine nicht gerade glückliche
Aussage, weshalb auf die
Rolle der Flugsicherung noch
zurückzukommen ist.
Später unterschritt die Tupolew den vorgeschriebenen
Gleitwinkel und befand sich, da
das Terrain ansteigt, unterhalb
der Pistenhöhe. Da der Navigator zu früh mit dem Ausrufen der Höhenangaben des Radarhöhenmessers begann und
dabei das ansteigende Terrain
nicht berücksichtigt wurde,
wiegte sich die Besatzung
wohl zusätzlich in Sicherheit.
Allerdings verfügte die Tupolew auch über eine sinnvolle
Einrichtung, die als Terrain
Awareness Warning System –
TAWS bezeichnet wird und
wohl einem Ground Prximity
Warning System entspricht.
Es wies die Besatzung zweimal
mit der Warnung TERRAIN
AHEAD auf das ansteigende
Gelände hin und forderte sie
schließlich mit einem PULL
UP zum Durchstarten auf.
Obwohl der Co-Pilot noch
7
Flugsicherheit
kurz vor dem Aufschlag einen
Go Around gefordert hatte,
folgte der PIC dem nicht.
Nach einem ersten Kontakt
mit einigen Bäumen kollidierte
die Tu-154 in einer Linkskurve
mit einer Birke. wobei ein Teil
der linken Tragfläche abgerissen wurde. Fünf bis sechs Sekunden später schlug die Maschine auf dem Boden auf und
wurde völlig zerstört. Gemäß
dem polnischen Unfallbericht
war der ursächliche Grund für
den Unfall das Unterschreiten
der Mindestsinkflughöhe mit
einer erhöhten Sinkflugrate in
Wetterverhältnissen, die einen
Sichtkontakt zum Boden unmöglich machten sowie die zu
späte Einleitung des Fehlanflugverfahrens.
Die Contributing Factors
Wie bei allen Unfällen gibt es
neben der eigentlichen Ursache auch noch die sogenannten contributing factors, ohne
die es zu dem Unglück möglicherweise gar nicht gekommen
8
wäre. Dies ist natürlich auch
in diesem Fall so. Zwei davon
sollten erwähnt werden - der
eine davon betrifft die Erfahrungen des Kommandanten
und seines Co-Piloten, die sie
mit ihrem wichtigsten Passagier, dem polnischen Staatspräsidenten Lech Kaczynski,
gemacht hatten. Der andere
betrifft die Flugsicherung.
Sprich die Militärcontroller
von Smolensk.
So waren der PIC und der CoPilot des Smolenskfluges am
12. August 2008 als Co-Pilot
und Navigator an Bord einer
Tu-154M eingeteilt, mit welcher Lech Kaczinsky auf der
Strecke Warschau – Tallinn –
Warschau – Simferopol –
Gyandja (Azerbaijan) unterwegs war. Mit an Bord waren
die Präsidenten Litauens und
der Ukraine sowie die Regierungschefs von Lettland und
Estland. Während des Aufenthalts in Simferopol wurde
der Besatzung mitgeteilt, dass
ihr Präsident nun nach Tiflis,
der Hauptstadt Georgiens,
fliegen wollte. Nach Abwägung dieses Auftrags kam der
damalige Kommandant zu der
Auffassung, dass er diesem aus
Sicherheitsgründen nicht folgen konnte. Denn er verfüge
nicht über die erforderlichen
Informationen und Unterlagen für eine Landung in Tiflis
sowie für einen Flug durch den
georgischen Luftraum.
Während des Fluges kam Lech
Kaczynski, der als Präsident
auch gleichzeitig der Oberbefehlshaber der polnischen
Streitkräfte war, ins Cockpit
und wiederholte seine Anweisung, nach Tiflis zu fliegen.
Diese wurde dem PIC auch
noch vom stellvertretenden
Luftwaffenbefehlshaber
in
schriftlicher Form übergeben.
Doch der Kommandant der
Tu-154M widersetzte sich
dem und landete wie vorgesehen in Gyandja. Seine hochrangigen Passagiere waren so
gezwungen, auf dem Landweg
nach Tiflis zu reisen. Das hatte
03-2013
für diesen Piloten Konsequenzen, indem er nie wieder
für Flüge mit dem Präsidenten
eingeteilt wurde. Was wohl
für einen Piloten der Regierungsstaffel, dem 36. Special
Airlift Regiment, einer Bestrafung und einem Karriereknick
gleich kommt.
Offensichtlich fürchteten sich
der Kommandant des Präsidentenflugs nach Smolensk,
dem im russischen Bericht
ein großes Maß an Anpassung
(high level of conformity) unterstellt wird, und sein Co-Pilot
vor dem Zorn des Präsidenten.
Möglicherweise haben sie
sich deshalb dem Zwang hingegeben, unbedingt in Smolensk landen zu wollen. Dazu
kommt, dass sich während des
Flugs noch eine weitere Person
im Cockpit befand. Dabei soll
es sich um den Befehlshaber
der polnischen Luftstreitkräfte, General Andrzej Blasik,
gehandelt haben. Zumindest
behauptet die russische Seite dies, wobei sie Blasik bei
der Auswertung des Cockpit
Voice Recorders aufgrund einer Stimmanalyse identifiziert
haben will. So ist durchaus
nachzuvollziehen, dass sich die
Besatzung durch die Anwesenheit ihres Vorgesetzten zusätzlich unter Druck gefühlt haben
könnte und deshalb eine Landung in Smolensk „erzwingen“
wollte. Allerdings widerspricht
der polnische Bericht dieser
Darstellung. Bei der Stimme
handelte es sich um die des CoPiloten, Major Robert Grzywna.
Als weiterer contributing factor muss die Rolle der Smolensker Controller angeführt
werden. Im Dienst befanden
sich ein CATC, ein stellvertretender (assistant) CATC
und ein Landing Zone Controller. Nun ist dem Bericht
leider nicht zu entnehmen,
was unter CATC zu verstehen ist. Möglicherweise steht
diese Abkürzung für Chief
Air Traffic Controller, was bei
uns einem Wachleiter oder
einem Senior Controller entsprechen könnte. Und der
Landing Zone Controller
könnte einem militärischen
GCA-Controller entsprechen.
Der russische Untersuchungsbericht führt aus, dass sich die
Controller einwandfrei und
vorschriftenkonform verhalten
hätten. Die polnische Seite hat
da – berechtigterweise – so
ihre Zweifel und kritisiert insbesondere das Verhalten des
Landing Zone Controllers.
CATC und Landing Zone
Controller befanden sich im selben Raum, ihre Arbeitsplätze
waren nebeneinander angeordnet. Der Assistant CATC
befand sich im Tower und alle
Beteiligten kommunizierten
auf einer Frequenz (124.0
MHz). Der CATC, dem die
Kontrolle des Luftfahrzeugs
bis zum Endanflug oblag, war
schon seit längerem in Smo-
lensk eingesetzt. Der Landing
Zone Controller jedoch erst
am 5. April nach Smolensk
versetzt worden. Am 7. April
hatte er zum ersten Mal auf
dieser Position gearbeitet.
Wobei sich die Frage stellt, ob
er, nachdem er erst seit fünf
Tagen in Smolensk tätig war,
überhaupt schon im Besitz einer örtlichen Zulassung war.
Aber vielleicht gibt es so etwas
bei der russischen Luftwaffe
ja nicht. Möglicherweise war
das auch der Grund, weshalb
er den Anflug der Tu-154M
mit seinem Radar lediglich
überwachte und sie nicht, wie
dies für einen GCA-Controller
normal gewesen wäre, „runtersprach“. Allerdings erfolgte
dies nach Angaben des MAK,
weil die polnische Luftwaffe
nicht ausdrücklich um eine
Radarführung gebeten hatte
und der Anflug deshalb nur auf
dem Radar beobachtet wurde.
Auf die Idee, die Tupolewbesatzung bei ihrem Anflug auch
aktiv zu unterstützen, kam bei
den russischen Controllern
offensichtlich keiner. Sie hatten der Tu-154 lediglich bis
zu einer Höhe von 100 m freigegeben, weil sie offensichtlich
davon ausgegangen waren, dass
die Tu-154M am Minimum
ohnehin durchstarten und zu
ihrem Alternate fliegen würde.
So wie es die IL-76 vor ihnen
getan hatte.
Die Aufgabe des Landing
Zone Controllers bestand
9
Flugsicherheit
also darin, die Besatzung auf
den Beginn des Sinkflugs im
Endanflugteil
hinzuweisen
(„... had reached the glide path
entrance point“) und sie über
die Entfernung zur Piste sowie über vertikale und laterale
Abweichungen vom vorgesehenen Gleitwinket und dem
Endanflugkurs zu informieren.
Während des gesamten Anflugs teilte der Controller mit,
dass sich das Flugzeug auf dem
Gleitweg („on glide path“) befinde, obwohl es sich in Wirklichkeit oberhalb desselben
befand. Der Grund hierfür
erklärt der russische Untersuchungsbericht wie folgt: Die
graphische Linie, die auf dem
Radarschirm dargestellt ist, bezieht sich auf einen Gleitweg
von 3,10 o. Dies bedeutete, dass
sich die TU-154M um o,5o o
über der auf dem Radar dargestellten graphischen Linie
befand und sie sich an der oberen Toleranzgrenze (für einen
Gleitwinkel von 2,40 o) befand.
So stimmte das Radarziel mit
der „on glide path“-Position
überein. Oder kam dieser zumindest sehr nahe. Und da das
Radarziel innerhalb der Toleranz lag, teilte der Controller
den Piloten mit, sie befänden
sich auf dem korrekten Gleitwinkel, also „on glide path“.
Das ist nicht so einfach zu verstehen und auch sehr schwer zu
interpretieren. Und schon gar
nicht für eine Besatzung, die bei
schlechten Sichtverhältnissen
10
einen Nichtpräzisionsanflug
durchführt und sich zusätzlich
unter Druck gesetzt fühlt. Sie
musste sich eigentlich durch
die Informationen des Controllers in ihrer Annahme, sie
habe ein ideales und korrektes
Anflugprofil eingenommen,
bestätigt fühlen. Dabei war
das Gegenteil richtig und dies
wurde im polnischen Untersuchungsbericht auch kritisiert.
Desweiteren werfen die Polen
dem Landing Zone Controller vor, dass er die Besatzung
zu spät aufgefordert habe, den
Sinkflug abzubrechen und einen Go Around einzuleiten.
Auch dieser Vorwurf ist nicht
unberechtigt.
So richtig diese Kritik an der
Flugsicherung von Smolensk
auch sein mag. Sie erklärt nicht
das eklatante Versagen der polnischen Besatzung – nämlich
bei ihrem Anflug unters „Minimum“ zu gehen, die Hinweise des TAWS auf voraus
liegende Hindernisse und die
Aufforderung zur Einleitung
des Fehlanflugverfahrens zu
negieren. Auch der polnische
Untersuchungsbericht ist hier
sehr deutlich.
Vorwürfe und Verschwörungstheorien
Wir alle wissen‘s ja: Die Mondlandung von 1969 wurde im
Filmstudio gedreht, der HIVVirus wurde in US Labors
gezüchtet, um die Zahl der
Homosexuellen zu dezimieren
und um die Bevölkerungsentwicklung in der Dritten Welt
kontrollieren zu können. John
Lennon wurde von der CIA
und Elvis Presley vom FBI um
die Ecke gebracht. In den USA
halten sich auch hartnäckig
Gerüchte, Nine-Eleven wäre
von der Regierung bzw. den
Geheimdiensten geplant oder
zugelassen worden. Andere behaupten, dahinter stecke der
Mossad, das Weltjudentum
oder die Freimaurer. Auch
wäre das Pentagon nicht von
einer B757 getroffen worden,
sondern der Anschlag wäre
vom US-Militär selbst inszeniert worden. Wobei nicht so
richtig erklärt werden kann, wo
das Flugzeug denn abgeblieben
ist. Ob es in einem Schwarzen
Loch verschwunden ist?
Erstaunlich ist dabei, dass einige Völker bzw. Nationen für
Verschwörungstherorien besonders anfällig zu sein scheinen. Dabei handelt es sich oftmals um Länder, die ein ganz
besonderes Nationalbewusstsein entwickelt haben. Darunter fallen die USA und, so
scheint es zu sein, auch Polen.
Wobei die Polen besonders
gerne jenen Verschwörungstheorien Glauben schenken,
wenn es dabei um den östlichen
Nachbarn Russland geht. Das
ist nicht weiter verwunderlich,
da Polen ganz besonders unter
drei Nachbarn zu leiden hatte:
Der inzwischen verblichenen
K.u.K.-Monarchie, Deutsch-
03-2013
land und Russland. Das Land
war 123 Jahre von der Landkarte verschwunden und eben
unter diesen drei Staaten aufgeteilt worden. Besonders den
Russen scheinen die Polen zu
misstrauen – wegen des bereits erwähnten Massakers von
Katyn und der Tatsache, dass
beim Warschauer Aufstand
1944 die vor den Toren ihrer
Hauptstadt stehende Rote Armee genüsslich zugeschaut hat,
wie die SS die Aufständischen
niedergemetzelt hat. Das
schlägt natürlich tiefe Wunden
in das Selbstbewusstsein eines
Volkes. Aber in Polen scheint
sie sich in eine Art „nationale
Paranoia“ niedergeschlagen zu
haben, die, so der Warschauer
Philosophieprofessor Adam
Chmielewski, „unseren Hang
zu einem messianischen, romantischen Nationalismus“
erklärt.
So verwundert es nicht, dass
der Absturz von Smolensk
jede Menge an Gerüchten und
Verschwörungstheorien hervorgerufen hat. Besonders weil
dabei einmal wieder die Russen
beteiligt waren. Schon bald
wurde das Gerücht gestreut,
es habe sich bei dem Unglück
um ein Attentat auf Präsident
Kaczynski gehandelt. Die russische Luftwaffe (oder gar der
Geheimdienst) habe das Navigationssystem gestört oder das
Flugzeug wäre mittels Laserstrahlen oder einem elektromagnetischen Puls zum Ab-
sturz gebracht worden. Diese
Gerüchte halten sich hartnäckig. Im letzten Jahr kam eine
Gruppe von Parlamentariern,
die vom Kaczynski-Intimus
Antoni Macierewic geleitet
wurde, zu der Erkenntnis, dass
sich vor dem Absturz an Bord
der Tupolew zwei Explosionen
ereignet hätten. Zuvor wäre
die Maschine, so wurde ferner
behauptet, von der russischen
Flugsicherung absichtlich auf
einen falschen Kurs geleitet
worden.
Nun ja, das hört sich sehr nach
Attentat und nach Verschwörung an. Antoni Macierewicz
und sein Mitstreiter Zbigniew
Girzynski präsentierten des
weiteren einen Film, auf welchem einige Russen zu erkennen sein sollen, die daran gehen,
überlebende Passagiere zu exekutieren. Allerdings wurde sowohl im russischen als auch im
polnischen Untersuchungsbericht festgestellt, dass an Bord
weder ein Feuer ausgebrochen
war, noch dass sich dort eine
Explosion ereignet habe. Und
weshalb sollten die russischen
Controller die Maschine auf einen falschen Kurs leiten, wenn
das Flugzeug ohnehin in die
Luft gesprengt werden sollte?
Bleiben noch die angeblich
auf dem Film, der übrigens in
mehreren Versionen verbreitet
wurde, dokumentierten Exekutionen. Weder der polnische
Inlandsgeheimdienst
AWB
noch Wissenschaftler konnten
dies verifizieren. Desweiteren
führte Macierewicz einen Bericht der australischen Firma
Analytical Service Company
Ltd. an, aufgrunddessen er
von einem kaltblütigen Mord
und einer Mitwisserschaft der
Regierung Tusk sprach. Allerdings darf die Seriosität dieser
australischen Firma angezweifelt werden. Sie wurde von dem
ehemaligen polnischen Piloten
Szuladzfnski gegründet, der sie
mit seiner Ehefrau gewissermaßen als Zwei-Mann-Betrieb
führt. Sie verfügt über ein
Stammkapital von zwei australischen Dollar und dürfte wohl
kaum in der Lage sein, mit diesem finanziellen Hintergrund
eine gründliche Analyse erstellen zu können. Wer weiß, vielleicht wird hier ja Oppositionspolitik auf dem Rücken der
Opfer von Smolensk betrieben.
Doch Verschwörungstheorien
haben ein langes Leben. Auch
die von der Flugzeugkatastrophe von Smolensk. Als ob dies
eines Beweises bedürfe, haben
die polnischen EU-Abgeordneten Ryszard Legutko, Tomasz
Poreba und Ryszard Czarnecki
Ende März letzten Jahres in
Brüssel eine öffentliche Anhörung gestartet. Um, wie sie
betonen, die Wahrheit von
Smolensk herauszufinden und
an die Öffentlichkeit zu bringen. Sie nennen ihre Aktion
übrigens „The Rejected Truth“.
Ob sie dabei in Brüssel Erfolg
haben werden, scheint fraglich.
11
Flugsicherheit
In Teilen der polnischen Bevölkerung fallen ihre Thesen
jedoch auf gut vorbereitetes
Terrain. Bei dem „nationalistischen, klerikal und reaktionär gesinnten Drittel der polnischen Wähler ...“. Dieses
Drittel nennt man hierzulande
„das Volk von Smolensk“,
weil es unbeirrbar glaubt, dass
„sein“ Präsident einem von
Wladimir Putin und Donald
Tusk eingefädelten Komplott
zum Opfer gefallen ist.
Wie war das nochmal? Die
Mondlandung von 1969 wurde in einem Studio von Hollywood gedreht und Elvis Presley wurde vom FBI ermordet?
Eben!
Dominique Vidol: „Der neue
polnische Realismus“,
Le Monde Diplomatique, Dezember 2012, S. 8 a.a. 0., S. 9
12
Quelle: Polnischer Untersuchungsbericht
Air traffic control services
141) The military air traffic controllers did not have the capabilities to
maintain short-wave radio communication with the 36 Regiment‘s
flight crews due to the absence of such equipment on their stations.
142) Landlog Zone Controller (LZC) lnstructed the Yak-40 crew to commence descent and change course while outside his sector remit and
without proper coordination and hand-overs between the neighboring
ATC authorities.
143) LZC failed to advise the approach type to the Yak·40 and Tu-154M
crews.
144) LZC failed to advise the overcast and vertical visibillty to the
Yak-40, IL-76 and Tu-154M cews in spite of his capability of taking
the respective measurements at the Inner ATC Post (BSKI), outer
NDB and inner NDB.
145) LZC did not demand from the crews (Yak-40, IL-76, and Tu-154M)
to respond to all AC commands by stating the current altitude.
146) LZC failed to interrupt the approach performed by the IL-76 as soon
as the WC deteriorated below the minimum WC for the airfield.
147) LZC gave the go-around instructions to the Yak-40 and IL-76 too late.
148) LZC failed to consult the Tver airbase meteorologist on duty about
the WC at the airfield; nor did he request from his superiors that the
SMOLENSK NORTH airfield be closed as soon as the WC deteriorated below the minimum WC for the airfield thus mandating issuance
of a STORM warning.
149) AC failed to respond to the incorrect radio correspondence conducted
by LZC.
150) AC was not taking sovereign decisions concerning traffic control.
151) Over the past 12 months, LZC acted as LZC only occasionally (9 shifts
with only 2 shifts in difficult weather conditions including that on
April 10, 2010).
1.52)LZC had neither undergone a break-in trainling nor passed a practical
air traffic control exam at the SMOLENSK NORTH (in violation of
item 216 of the FAP PP GosA).
153) AC kept informing the Tu-154M crew about the correct position during approach contrary to the actual position of the airplane in relation
to the RWY axis and the glide slope.
154) LZC failed to advise the position of the airplane to the Tu-154M crew
when the airplane was outside the area corresponding to 1/3 of the
maximum linear deviation from the advised glide slope.
155) LZC failed to interrupt the Tu-154M approach even after the airplane
exceeded the maximum deviation from the tower glide slope boundary.
156) LZC issued the command to stop the descent and to level out too late.
157) AC and LZC were performiog their traffic control duties in violation
of the provisions of the FAP PP GosA and of the „Inflight and traffic
control radio correspondence guidelines and codes“.
03-2013
Fehlerkultur
und der Umgang
mit der menschlichen
Unvollkommenheit
Von Stabshauptmann
Peter Hörnemann,
KdoUstgVbdeLw AbtFlSichhBw
Jeder Mensch macht Fehler. Sie werden immer wieder auftreten. Das ist
allgemein bekannt und
in der Regel nicht weiter tragisch, sofern man
konstruktiv mit den Ereignissen umgeht. Das
heisst: Fehler sind kritisch zu reflektieren
und wir müssen aus ihnen
lernen.
Ziel ist es, dieses Verhalten bei
allen am Flugbetrieb Beteiligten zu fördern. Wir brauchen
Voraussetzungen, damit Fehler
nicht vertuscht oder verheimlicht und dadurch wiederholt
werden.
Grundsätzlich ist zwischen
Fehlern in der Ausbildung und
solchen im laufenden Betrieb
zu unterschieden. Einem Auszubildenden werden in seiner
Ausbildung bestimmt Fehler
unterlaufen, bis er einen Ausbildungsabschnitt beherrscht.
Eine Handlungssicherheit tritt
ein und die Fehlerwahrschein-
lichkeit sinkt deutlich. Trotzdem wird er später, fertig ausgebildet und nachgewiesen für
gewisse Standards befähigt,
wahrscheinlich nicht fehlerfrei
arbeiten. Die so entstandenen
Fehler haben meist eine andere
Ursache als individuelles Unvermögen. Ob sie nun durch
Zeit- und Leistungsdruck,
Wissensdefizite in der Ausbildung, Mängel in der Organisation oder auch Führungsdefizite verursacht werden, es gibt
eine Vielzahl von potenziellen
Fehlerursachen im täglichen
Dienstbetrieb. Hier ist es wich13
Flugsicherheit
tig, durch die übergeordnete
Führungsebene ein Arbeitsumfeld zu schaffen, in dem Fehler
als Chance für einen kontinuierlichen Verbesserungsprozess verstanden und genutzt
werden. Nur so können systemische sowie organisatorische
Probleme identifiziert und behoben werden. Professionelles
Arbeiten heißt, offen über Fehler zu sprechen, mit dem Ziel,
die Ursache zu finden.
Jeder Fehler, der unentdeckt
bleibt, gefährdet die Flugsicherheit und kostet Geld.
Die Realität zeigt häufig ein
anderes Bild: Statt die Rahmenbedingungen für einen offenen und konstruktiven Umgang mit Fehlern zu schaffen,
herrscht oft eine Kultur, in der
Fehler verdrängt oder unter
den Teppich gekehrt werden.
Werden diese offenkundig,
führt dies auch oft zu Sanktionen. Aus Angst vor negativen
Konsequenzen werden die
Fehler verschwiegen, vertuscht
oder anderen in die Schuhe geschoben.
Wie sieht das Arbeitsklima
bzw. die Leistungsfähigkeit des
Verbandes oder der Einheit in
solch einer Fehlerkultur aus?
Durch pauschales Sanktionieren von Fehlern (z. B. ein
unbeabsichtigtes und unbewusstes Ereignis wird automatisch durch Verhängung einer
Disziplinarmaßnahme gewürdigt), schaffen wir uns für die
Zukunft vier unterschiedliche
14
Charaktere:
- Der Vertuscher:
Er wird unangenehme Ereignisse verheimlichen und
viel Energie verschwenden,
damit es nicht bemerkt wird.
- Der Typ „Ich war es nicht“: Er betreibt das „SchwarzePeter-Spiel“ und macht jemand anderen verantwortlich.
- Der Ausrede-Typ:
Er sucht rechtfertigende
Gründe zur Erklärung für
sein Verhalten.
- Der Passive:
Er ist inaktiv, sichert sich ab,
vermeidet ähnliche Situationen, zieht sich zurück.
Wenn wir es erreichen, in
unserem Arbeitsumfeld eine
Atmosphäre
gegenseitigen
Vertrauens zu schaffen, wird
derjenige, dem ein Fehler unterlaufen ist, eine ärgerliche
oder aggressive Reaktionen
von Vorgesetzten oder Kameraden aushalten. Er wird sie
als Überreaktionen werten, die
nicht sonderlich hilfreich, aber
menschlich verständlich sind.
Am besten wird er gelassen und
deeskalierend damit umgehen,
ohne mit Gegenangriffen oder
Unterwürfigkeit zu reagieren.
Wer seine Fehler hingegen als
peinliche Bestätigung seiner
Unzulänglichkeit empfindet,
die er vor seinen Mitmenschen
verborgen halten muss, wird
alles tun, um Fehler zu vertuschen, abzustreiten oder anderen in die Schuhe zu schieben.
Zugleich wird er, gerade weil
er dieses bittere Gefühl aus eigener Erfahrung kennt, besonders streng und unnachgiebig
mit Fehlern anderer umgehen.
Denn wer sich selbst als unzulänglich empfindet, für den ist
es tröstlich, Fehler auch bei anderen zu entdecken, sie dramatisierend aufzubauschen und
öffentlich zu brandmarken.
Idealerweise müsste das aktive
Vertuschen und das „NichtMelden“ von Fehlern sogar
sanktioniert werden. Großunternehmen wie z. B. MTU
Hannover und Toyota betreiben dies bereits mit Erfolg.
Folgende Empfehlungen werden sicherlich eine Fehlerkultur mit dem Ziel der verbesserten Flugsicherheit begünstigen:
- Schaffen Sie eine Atmosphäre gegenseitigen Vertrauens.
- Ermuntern Sie die Mitarbeiter in Ihrem Zuständigkeitsbereich zu ihren Fehlern zu
stehen. Dazu können Sie
als Vorgesetzter die Voraussetzungen schaffen: Nur in
einem Klima des Vertrauens
werden sich ihre Mitarbeiter
trauen, Fehler zuzugeben.
Dazu gehört es bereits, sich
nicht über Fehler anderer
lustig zu machen. Schadenfreude ist schädlich. Noch
ungünstiger wirkt allerdings
die Aussicht auf finanzielle
Sanktionen oder Nachteile
in der Karriere. Als Vorbild
auch eigene Fehler offen an-
03-2013
zusprechen ist eine wichtige
Signalfunktion.
- Entscheidend ist das „Warum?“
- Ist ein Fehler passiert, sollte
es nicht darum gehen, den
Schuldigen an den Pranger
zu stellen. Nutzen Sie die
Chance, den Grund des Fehlers zu finden. Suchen Sie
nicht nach einem Schuldigen. Fragen Sie stattdessen,
welche Umstände den Fehler ausgelöst haben: Wie ist
es geschehen? Warum ist es
geschehen? Und vor allem:
Wie kann es in Zukunft verhindert werden?
- Handelte es sich um einen
Einzelfehler oder um eine
Verkettung von Fehlern?
- War ein Soldat überarbeitet, überfordert? (Crew Rest,
Ausbildungsmangel, Erfahrung, Freizeitverhalten)
-Welche
Rahmenbedingungen herrschten vor?
(Klima, Uhrzeit, Lärm, Vorschriftenlage, usw.)
-Hat ein Kontrollsystem
versagt? (Checklisten unvollkommen, Warnsignale
mehrdeutig o. ä.)
- Stehen Sie für Fehler ein:
Farbe bekennen ist besser
als vertuschen. Denn irgendwann treten Fehler zutage
und entwickeln größere
Auswirkungen (Zwischenfälle, Unfälle) als zu dem
Zeitpunkt, als sie erstmalig
passiert waren. Stehen Sie
unmittelbar für Fehler, die
in Ihren Verantwortungsbereich fallen, ein. Dies gilt
für Ihre eigenen Fehler, aber
auch die Fehler Ihrer Kameraden bzw. Ihres Teams.
- Konzentrieren Sie sich auf
die Lösung.
- Verharren Sie nicht bei der
Fehleranalyse, sondern erarbeiten Sie konstruktive und
dauerhafte Lösungen für
das Problem. Arbeiten Sie
an Fehlern im System. Beugen Sie einer Wiederholung
des Fehlers vor. Bitte nicht
in Form einer Bestrafung.
Die Aussicht auf eine Strafe
kann und wird das Auftreten eines Fehlers nicht verhindern, denn: Ein Fehler
wird als unabsichtliche,
unbewusste
Handlung
definiert. Ein Reflektieren
über mögliche Strafen als
deren Folge kann daher zum
Zeitpunkt des Auftretens
gar nicht stattfinden.
- Reden Sie bei Fehlern Klartext.
Als Vorgesetzter heißt dies
nicht, Fehler zu dulden. Fehler werden im Team passieren
oder sich wiederholen. Sorgen
Sie dafür, dass allen Mitarbeitern klar ist, dass eine offene
Fehlerkultur nicht als Einladung zum Fehlermachen zu
verstehen ist. Sie zielt vielmehr
darauf, die Flugsicherheit, Leistungsfähigkeit und Qualität
zu steigern. Unterläuft einem
Ihrer Soldaten ein Fehler, re-
den Sie Klartext. Bleiben Sie
sachlich und vergreifen Sie sich
nicht im Ton. Fehler sind keine
absichtlichen Nachlässigkeiten
oder bewusste Pflichtverletzungen. Solche hingegen dürfen wir nicht tolerieren, schon
gar nicht im Wiederholungsfalle. Fehler von absichtlichen
Pflichtverletzungen zu unterscheiden ist nicht einfach, jedoch extrem wichtig für die
Akzeptanz bei allen Beteiligten und damit letztlich für ein
vertrauensvolles Arbeitsklima.
Hier benötigen wir alle noch
viel Übung und auch hierbei
werden uns Fehler passieren.
Wichtig ist, auch aus diesen zu
lernen.
Fazit
Nicht ein Fehler ist verwerflich, sondern der Verlust wertvoller Informationen, wenn
diese nicht bekannt werden.
Fehler als Chance zum Lernen
zu begreifen ist der richtige
Weg, nur so können wir besser
werden.
Etwas zum Nachdenken
Wenn hoch komplexe Waffensysteme Fehler oder Störungen
aufweisen, wird akribisch nach
der Ursache geforscht, gegebenenfalls werden diese Systeme
daraufhin modifiziert und angepasst. Ein weiteres Beschädigen oder sogar Verschrotten
würde die Ursache nicht beseitigen, schon gar nicht das Luftfahrzeug zum Fliegen bewegen.
15
Der Weg
alles Irdischen
Von Oberstleutnant Rüdiger Stein
KdoUstgVbdeLw AbtFlSichhBw
Ja – so muss es sich wohl
anfühlen, wenn man
Todesangst empfindet! Im
freien Fall aus grosser
Höhe zur Erde rasend.
Verloren, hilflos! Das ist
das Ende. Es gibt kein Entkommen.
Ich sehe im taumelnden Fall
noch die Transall rasend
schnell am Himmel kleiner
werdend aber ruhig ihre Bahn
ziehend. Worauf kann ich noch
hoffen? Darauf, dass der Aufschlag schmerzlos ist, schmerzlos das Ende. Bis dahin rast das
Herz; ich trau‘ mich nicht, zu
atmen. Dabei bin ich von Luft
umgeben; habe mehr davon, als
jemals zuvor. Adrenalin flutet
die Blutbahn, Doping pur. Das
soll ja auch schmerzfrei machen – hoffen wir’s. Ich erwarte
den Aufschlag, sehe mich in
16
tausend Teile zerschellen. Aber
wie durch ein Wunder falle ich
weich und überlebe!
Aber ich will die Geschichte
von Anfang an erzählen. Und
die geht so:
Fallschirmspringer geben ihren
militärischen Übungen gerne
kernige Namen. „Eisregen“
zum Beispiel. „Eisregen“ fand
im März letzten Jahres statt
und wurde für mich zum Fanal.
Bis dahin war mein Leben in
ruhigen Bahnen verlaufen, bestimmungsgemäß, wie man im
Jargon der Bundeswehr zu sagen pflegt. Allmorgendlich zog
mich mein Besitzer aus einer
gepolsterten Tasche, in der ich
die Nacht in erholsamen Tiefschlaf verbracht hatte, schaute
mich mit Stolz und voller
Freude an und irgendwann
später landete ich auf seinem
Kopf, umspannte mit den beiden Ohrmuscheln seine Ohren (was sonst?) und bog das
Mikrophon vor seine Lippen.
Jedes Mal kam ich mir wichtig
vor. Ich trug zur Kommunikation bei; ohne mich ging nix.
Besonders habe ich die Einsätze
in den frühen Morgenstunden
gemocht. Da waren die Gesichter noch frisch rasiert und
glatt und ich roch das Rasierwasser. Im Laufe des Tages
ändert sich das dann und es
piekte auch etwas.
Bestimmt haben Sie es schon
erraten: ich bin ein Headset
der Firma Ulmer. Es gibt auch
Menschen, die nennen mich
„Sprechgeschirr“. Diesen Namen mag ich nicht. Er klingt
© Zeichnung von OSFw Ingo Paul Dierkes, LIG 25 FG Rheine
Flugsicherheit
03-2013
so wie „Essgeschirr“. Sie kennen doch diesen Blechnapf, aus
dem man während der Grundausbildung öfters mal essen
musste. Und das erinnert mich
wiederum an den Roman von
Fallada: „Wer einmal aus dem
Blechnapf frisst“. Auch eine
traurige Geschichte.
Jetzt aber zurück zur Sache:
Die Besatzungen in Transportflugzeugen tragen solche
Headsets, aber auch Absetzleiter von Fallschirmspringern.
Und einem solchen Absetzleiter gehörte ich, bis zu jenem
Tag im März bei der Übung
„Eisregen“. Ich hätte lieber einer weiblichen Besatzungsangehörigen gehört. Sie können
sich denken, warum! Dann
wäre mein Leben völlig anders
verlaufen … Aber man kann ja
nicht Alles haben. (Warum eigentlich nicht?)
Also – ein Absetzleiter sorgt
dafür, dass die Fallschirmspringer an Bord keinen Unsinn machen und ordentlich abspringen, so einer nach dem anderen
und nicht alle gleichzeitig, bestimmungsgemäß also! Manchmal springt er selbst dann noch
hinterher – Dienstaufsicht bis
zum Äußersten. Wenn er aber
keine Lust hat, springt er nicht.
Mein Absetzleiter hatte keine
Lust und sprang nicht, aber
er wollte trotzdem mal nachschauen, was seine Kameraden
so machten auf dem Weg zur
Erde. (Was hat er wohl erwartet?) Also lehnte er sich ver-
dammt weit aus dem Fenster,
pardon, aus der Springertür.
Ich merkte, dass das nicht gut
gehen konnte und schrie noch:
„Tu‘s nicht!“ Aber er wollte
ja nicht auf mich hören. Der
Fahrtwind zerrte an mir und
verzweifelt presste ich meine
Ohrmuscheln an seinen Schädel. Vergebens! Der Wind war
stärker und mich verließen die
Kräfte. Als der tosende Orkan
mich endgültig von seinem
Kopf riss, hörte sich das an, als
rupfe man einen Grasbüschel
aus der Erde. Der kleine Stecker, der mich mit der Bordverständigungsanlage verband,
war nun auch nicht mehr hilfreich und ab ging’s.
Wie schon gesagt – ich fiel
weich, im wahren Sinne des
Wortes. Ich fiel auf weichen
Grund, nachdem die Äste
eines Baumes den rasenden
Fall gebremst hatten, landete
letztendlich im Vorjahreslaub
eines typischen Mischwaldes.
Nachdem ich mich beruhigt
und meine Todesangst überwunden hatte, tat ich das, was
jeder tut, der irgendwie mit der
Fliegerei verbunden ist. Analyze
the situation and take proper
action! Nach meiner Einschätzung befand ich mich in der
Nähe des Startflugplatzes. Der
„Eisregen“ hatte ja nicht lange
gedauert; folglich konnte ich ja
nicht so weit weg sein. Anfangs
hatte ich noch die Hoffnung,
dass man mich suchen würde.
Klar – ganz einfach ist es nicht,
ein Headset im Wald zu finden,
aber ich wollte die Hoffnung
nicht aufgeben, nicht so früh.
Also tat ich das, was ich anderen abgeschaut hatte und was
ich am besten konnte: warten!
Ich hätte mich auch auf den
Weg zurück machen können,
bloß: in welche Richtung?
Und mit meinen kurzen Beinen! Aber wenn ich erst mal
am Kasernentor wäre, käme
ich schon irgendwie rein. Das
ist ja auch bereits Anderen gelungen, einfach so, ganz ohne
Ausweis. Aber ich beschloss, zu
warten. Morgen, morgen kommen sie und finden mich. Und
dann wird alles gut!
Den Rest des Tages verbrachte
ich damit, mich für die Nacht
einzurichten. Ich sammelte
ein bisschen Laub und baute
mir ein halbwegs gemütliches
Bett. Natürlich kein Vergleich
mit der schönen gepolsterten
Tasche, in der ich sonst schlief.
Aber immerhin. Ich blickte
auch noch etliche Male zum
Himmel, immer in der Hoffnung, dass man mich suchen
würde, vielleicht mit einem
richtigen Aufklärungsflieger.
So was gibt’s ja, oder doch
nicht?
Die Nacht war dann doch lausig kalt und ich schnatterte an
beiden Ohrmuscheln. Ein bisschen Angst hatte ich auch. Einmal kam ein Waschbär vorbei,
schnüffelte an mir rum und
verschwand dann wieder, zum
Glück!
17
Am nächsten Morgen erwachte ich steif vor Kälte. Ein
heißer Kaffee – das wär’s gewesen! Stattdessen schleckte
ich ein bisschen Raureif, fand
mich aber damit ab, da meine
Retter sicher schon unterwegs
waren. Aber sie kamen nicht,
nicht an diesem Tag und auch
nicht am nächsten, nicht in
der nächsten Woche, nicht im
nächsten Monat, Winter. Das
schlimmste war die Enttäuschung: Man hatte mich aufgegeben und vergessen. Mich!
Vom unentbehrlichen Headset
zur Bedeutungslosigkeit. Und
das, obwohl ich immer treu
gedient hatte. So sind die Menschen nun mal. Undank ist der
Welt Lohn.
Irgendwie überstand in den
Winter. Ich buddelte mir eine
kleine Höhle, um den Unbilden des Wetters nicht hilflos
ausgeliefert zu sein. Zur Kurzweil freundete ich mich mit ein
paar Tieren an. Der Waschbär
kam regelmäßig vorbei und er
erzählte mir, wie seine Sippe
den Weg von Nordamerika
hierher geschafft hatte. Vor
den Wildschweinen hatte ich
Respekt. Einmal biss mich ein
Frischling in eine Ohrmuschel.
Verdammt – tat das weh.
Außerdem rochen sie ziemlich streng.
Ich will nicht übertrieben
romantisch werden, aber
was mir auch zu
schaffen machte, war
die Einsamkeit. Nicht,
18
dass ich unbedingt ständig mit
anderen Headsets rumlungern
musste. Aber ab und zu mal
so ein paar Fliegergeschichten
zum Besten zu geben – das hat
doch immer Spaß gemacht.
Das mein Wunsch nach Gesellschaft dann doch noch erhört
wurde, ist so fantastisch, dass es
sich überhaupt erst lohnt, diese
Geschichte zu erzählen.
Also – ich musste bis zum
April dieses Jahres warten. Erst
maß ich dem brummenden
Geräusch am Himmel keine
Aufmerksamkeit bei. Zu oft
hatte ich es gehört, ohne dass
ich noch irgendeinen Funken
Hoffnung damit verbinden
konnte. Aber an jenem Tag
war es anders. Ich erkannte die
Transall durch die noch kahlen
Äste der Bäume und sah, dass
ein Sack an der Laderampe
hing. Im nächsten Augenblich riss der Sack auf und ein
kleiner Beutel kam, an einem
Fallschirmchen hängend, zum
Vorschein und schwebte zu
Boden. Das sah aus wie die
Geburt eines fremden Wesens.
Vielleicht gibt es keine Fall-
schirmspringer mehr, dachte
ich zuerst, und die Besatzungen
werfen ersatzweise diese Beutelchen ab. Dann braucht
man auch keinen Absetzleiter
mehr, der ein Headset verlieren kann. Vielleicht – und das
hätte ja auch sein können –
erinnerte sich irgendjemand
an mich und wollte so ‘ne Art
CARE-Paket für mich abwerfen. Umso grenzenloser war
mein Erstaunen, als ich dann
ein Headset erblickte, das dem
Fallschirm folgte. Dafür hatte
ich zuerst keine sinnvolle Erklärung. Vielleicht ein neuer
TCTP-Punkt? Oder es war
doch ein Absetzleiter an Bord,
um zu garantieren, dass das mit
dem Beutelchen auch richtig
gemacht wurde, bestimmungsgemäß eben. Und der Absetzleiter wirft dann sein Headset
hinterher? Ein Ritual vielleicht,
so wie manchmal Blumen über
Bord eines Schiffes geworfen
werden. Auch eine traurige
Geschichte.
Also, auch dieses Headset hatte
Glück und überlebte den Fall.
Es ging ganz in meiner Nähe
©
© Zeichnungen von OSFw Ingo Paul Dierkes, LIG 25 FG Rheine
Flugsicherheit
03-2013
zu Boden und man kann sich
vorstellen, mit welcher Hast,
Freude und Neugier ich dem
Neuling entgegen watschelte.
Beim Näherkommen erkannte
ich ihn sogar – ein alter Bekannter aus dem gleichen
Verband. Unsere Freude war
grenzenlos und wir feierten das
unglaubliche Wiedersehen mit
ein paar Happen Fliegenpilz.
Herrlich berauscht tauschten
wir unsere Stories aus, wie früher an der Bar. Natürlich wollte
ich zuerst wissen, warum denn
mein Kumpel überhaupt aus
der Transall geflogen sei. Und
das war so: er sei eigentlich
mehr so ‘ne Art Leih-Headset,
sagte er und müsse nur ran,
wenn die anderen zur Überprüfung seien. Heute war so ein
Tag und daher kam er – wenn
auch nur vorübergehend –
in den Besitz eines Ladungsmeisters. Der gab sich allerdings keine sonderliche Mühe,
ihn, also das Headset, an seinen
eher schmalen Kopf anzupassen, obwohl das ja eigentlich
ganz einfach ist. Es gibt auch
keine Vorschrift dafür, natürlich nicht, eben weil es so einfach ist. Es gibt ja auch keine
Vorschrift, die regelt, wie eng
man einen Hosengürtel um
den Bauch spannt. Man macht
es eben so, dass man die Büx
nicht verliert und die große
Menge der Übergewichtigen
hat damit ebensowenig Probleme wie die kleiner werdende
Zahl der Normalgewichtigen.
Hauptsache man sieht nicht
so aus wie manche Teens in
der Fußgängerzone, denen die
Jeans auf den Knien zu hängen
scheint und die voller Stolz
ihre bunte Unterwäsche präsentieren. Also – so einfach ist
das mit dem Headset auch und
es passt sowohl auf den Schädel
eines Ernie als auch eines Bert.
Das Ende von der Geschichte
war jedenfalls, dass er, also
mein Kumpel, dem Ladungsmeister vom Kopf rutschte, als
dieser den Verpackungssack
des Beutelchens in die Transall
zurückziehen wollte. Wahrhaftig dumm gelaufen!
Mittlerweile haben wir uns mit
unserem Schicksal abgefunden.
Man hat nie nach uns gesucht
und wird es auch in Zukunft
nicht tun. Natürlich nicht!
Verbrauchsmaterial:
empfangen, benutzen, verlieren,
vergessen. Ich glaube, damit
stehen wir nicht alleine da. So
ist das eben heute! Schade eigentlich! Dabei wäre es doch so
leicht gewesen, uns einen schönen Lebensabend in den ge-
polsterten Taschen zu sichern.
Oder später im Museum. Es
gibt ja so eins, direkt vor dem
Haupttor zu dem Fliegerhorst,
zu dem wir gehörten, früher
mal. Warm und trocken hätten
wir da gelegen. Stattdessen
nagt der Zahn der Zeit gewaltig
an uns. In drei, vier Jahren, da
machen wir uns nix mehr vor,
werden nur noch die Stahlbügel übrig sein, die die Ohrmuscheln jetzt noch miteinander
verbinden, zwei Stahlbügel,
eng umschlungen dem weiteren Verfall preisgegeben. Der
Weg alles Irdischen …
Schlussbemerkung
Die beiden Vorkommnisse haben sich so zugetragen, wie dargestellt. Wir haben lediglich
für die Story die Ereignisorte
zusammengelegt. Tatsächlich
ging das erste Headset in einem
Waldgebiet westlich von Berlin verloren, während das zweite in der Nähe des Heimatflugplatzes in Niedersachsen über
Bord ging.
©
19
Flugsicherheit
Wechsel des
General
Flugsicherheit
in der Bundeswehr
Am 9. September 2013
wurden in einer feierlichen Übergabe die
Amtsgeschäfte des General Flugsicherheit in der
Bundeswehr von Brigadegeneral Hans-Dieter
Poth an Oberst i. G. PeterKlaus Klement übertragen.
In der Anwesenheit vieler Ehrengäste wurde diese feierliche
Zeremonie im Offizierheim der
Luftwaffenkaserne Wahn vom
Kommandeur
Kommando
Unterstützungsverbände Luftwaffe Generalmajor Dr. Rieks
geleitet.
20
Generalmajor Dr. Rieks verabschiedete Brigadegeneral Poth
03-2013
Die militärische Laufbahn von
BG Poth begann 1974. Nach
der militärischen Grundausbildung in Roth und der anschließenden Ausbildung an
der Offiziersschule der Luftwaffe in Neubiberg nahm er
1975 bis 1978 das Studium der
Luft- und Raumfahrttechnik
an der Universität der Bundeswehr auf, das er mit dem Titel
Diplomingenieur abschloss.
Seine fliegerische Ausbildung
begann 1979 in Fürstenfeldbruck beim JaboG 49, der dann
die Ausbildung zum Waffensystemoffizier (WSO) auf
dem Waffensystem McDonnel Douglas F-4F Phantom in
Kalifornien folgte. Nach erfolgreichem Abschluss dieser
Ausbildung wurde er von 1980
bis 1983 als WSO beim Jagdgeschwader 71 „Richthofen“ in
Wittmund eingesetzt.
1983 erfolgte beim Trinational
Tornado Training Etablissement (TTTE) im englischen
Cottesmore seine Umschulung auf das Waffensystem
PA-200 Tornado, der sich dann
bis 1987 eine Verwendung
beim Jagdbombergeschwader
31 „Boelcke“, unter anderem
auch als Einsatzstabsoffizier in
der 2. Staffel, anschloss. 1985
wurde er nach Jever versetzt,
um dort die 1. Staffel des Jagdbombergeschwader 38 „Friesland“ als Staffelkapitän zu
übernehmen. Diesen Dienstposten bekleidete er bis 1989.
Von 1989 bis 1991 absolvierte
BG Poth den 34. Generalstabslehrgang an der Führungsakademie der Bundeswehr in
Hamburg, dem von 1991 bis
1993 eine Verwendung als
Dezernatleiter A 2 b beim
Luftwaffenflottenkommando
in Köln-Wahn folgte. 1993
erfolgte eine Berufung in das
Bundesministerium der Verteidigung (BMVg) nach Bonn,
wo er bis 1995 als Referent beim
Führungsstab der Streitkräfte
(FüS) II 3 eingesetzt wurde.
Dem schloss sich von 1995
bis 1996 eine Verwendung
als Dezernatsleiter A3 IV c
beim Luftwaffenführungskommando in Köln-Wahn an. Von
1996 bis 1999 war BG Poth
Sprecher der Luftwaffe im
Presse- und Informationsstab
des BMVg.
Danach folgte wieder eine
Verwendung in einem fliegenden Verband der Luftwaffe.
Von 1999 bis 2000 war er der
S3 Stabsoffizier und stellvertretende Kommodore des in
Kropp stationierten Aufklärungsgeschwaders 51 Immelmann (AG 51 „I“), und anschließend von 2000 bis 2002
Kommodore.
Anschließend absolvierte er bis
2004 eine Sprach- und Attaché-Ausbildung in Hürth und
Bad Ems, um dann von 2004
bis 2007 als Luftwaffenattaché
an der deutschen Botschaft
in Paris eingesetzt zu werden.
Dem folgte dann von 2007
bis 2011 eine Verwendung
als Referatsleiter Fü L III 4
beim BMVg in Bonn. In dieser
Funktion war er auch als Vertreter des BMVg im Aufsichtsrat der DFS.
2011 übte er die Tätigkeit des
Base Commander in Masar-el
Sharif in Afghanistan aus, die
er im Februar 2012 beendete
und ab März 2012 seinen
Dienst als „GenFlSichhBw“
übernahm.
Seine neue Verwendung führt
ihn als Verteidigungsattaché in
der deutschen Botschaft nach
Paris.
Mit der Übertragung der
Amtsgeschäfte des „General
Flugsicherheit in der Bundeswehr“ ist Oberst i. G. PeterKlaus Klement ab dem 9. September 2013 nicht nur für die
Luftfahrzeuge der Luftwaffe-,
sondern auch für diejenigen
der anderen Teilstreitkräfte in
Fragen der Flugsicherheit verantwortlich.
Oberst i. G. Klement ist seit
1979 bei der Bundeswehr.
Nach der Offizierschule in
Fürstenfeldbruck begann seine
fliegerische Ausbildung 1981
mit dem Undergraduate Pilot
Training (UPT) und der Ausbildung zum Flugzeugführer
auf dem Waffensystem F-104
Starfighter. Von 1983 bis 1986
sammelte er seine Einsatzerfahrungen auf diesem Waffensystem im JaboG 34 und
wurde auch zum Fluglehrer
ausgebildet. 1987 begann die
21
Flugsicherheit
Übergabe der Amtsgeschäfte an Oberst i. G. Klement durch Generalmajor Dr. Rieks
Waffensystemschulung und
Ausbildung zum Fluglehrer auf
PA 200 Tornado im TTTE in
RAF Cottesmore/Großbritannien und beim JaboG 38 „F“.
Er war von 1989 bis 1992
Einsatzoffizier der 2. Staffel JaboG 34, bis 1994 Leiter
der Standardisierungsgruppe
JaboG 34 und von 1994 bis
1996 Staffelkapitän der 1. Staffel JaboG 34. In Kanada besuchte er 1996 für ein Jahr als
Student das Canadian Forces
and Staff College in Toronto.
Anschließend folgte eine Verwendung als Desk Officer im
National Defence Headquarter
Canadian Forces, Ottawa.
22
1998 war er Kommandeur
der Fliegenden Gruppe im
JaboG 34, ab 2000 übernahm er den Dienstposten als
Chief of Plans for Balkan Ops,
CAOC 5, in Poggio Renatico,
Italien. 2002 wurde er Dezernatsleiter für das Dezernat
Aufklärung und Luftangriff
im Luftwaffenführungskommando in Köln, 2003 Referent
für fliegerische Ausbildung im
BMVg beim Fü L I 3 und von
2004 bis 2007 Dezernatsleiter II 3 beim Personalamt der
Bundeswehr. Die folgenden
drei Jahre war er Kommandeur des Fliegerischen Ausbildungszentrums der Luftwaffe
in Holloman, New Mexico.
Wieder in Deutschland angekommen, übernahm er von
2010 bis 2012 das Referat
Fü L I 3 im BMVg; hier war
er zuständig für Ausbildungsbelange der Luftwaffe. Von
2012 bis September 2013 war
er in Köln StvKdr und ChdSt
im LwAusbKdo. Während
dieser Zeit war er für sieben
Monate als Base Commander
in MeS, AFG abkommandiert.
Seit dem 1. September 2013
hat er die Dienstgeschäfte als
General Flugsicherheit in der
Bundeswehr übernommen.
03-2013
Donnerwetter
Bild 1
Einige böige Impressionen
Von Jörg Biermann, Gewerkschaft der Flugsicherung e. V.
Nachdruck mit freundlicher Genehmigung der Redaktion GdF
Am schwülheissen Nachmittag des 6. August 2013
erreichte eine ausgeprägte Unwetterfront
auch den Flughafen
Frankfurt.
Bild 1
Normales Tageslicht, die Welt
erscheint in trügerischer Ordnung. Erste Vorboten einer
Gewitterböe (Boenwalze) sind
aber bereits am Werke. Auf der
Südseite hinten links neben
dem alten Tower-Süd bis zum
linken Bildrand entwickeln
sich plötzlich braune Sandstürme, gespeist aus den nach
langer Trockenperiode großflächig ausgetrockneten Baustellen des Frankfurter Flughafenausbauprogramms.
23
Flugsicherheit
Bild 2
Schwenk der Blickrichtung
nach links Richtung Südost,
Endanflug RWY 25C und
25L, unten Flugsteig A/A Plus.
Ziemlich schnell ist es ziemlich finster und ungemütlich
geworden. Die Gewitterfront
zieht aus Südwesten kommend
über den Platz. In der Bildmitte
sind noch die abziehenden Bodenstaubwolken zu erkennen.
Bild 2
1. März 2008 wurden im METAR von 12:20 UTC Wind
aus 290 o, 35 Kt in Böen bis
55 Kt gemeldet. Einmal beim
Thema Böen oder Windspitzen angekommen, kann man
die Gelegenheit für einen vielleicht ganz aufschlussreichen
Ausflug in entlegenere Winkel
unseres Regelwerks nutzen:
Wer hätte es gewusst?
Windanzeige TWR:
Die Windrichtung gilt nicht
o
210 , 36 Knoten, in Böen bis für die Böen!
58 Kt (107 km/h)
o
Wind aus 210 bezieht
Ein Nordseeanrainer wird sich nur auf die 36 Knoten,
darüber wohlmöglich milde der mittleren Windgeschwinschmunzeln. Bei der viel be- digkeit der letzten zwei Minuachteten Hamburger Seiten- ten. Das ist der Bodenwind. Bei
windlandung eines A320 vom Sturm unterliegen Böen den
24
Gesetzen des Höhenwindes,
Gewitter sind ebenfalls Sondersituationen. Insofern kann die
offizielle zusammenhängende
Schreibweise 21036G58 kt
irreführend sein und beispielsweise bei der Ermittlung der
höchstzulässigen Seiten- oder
Rückenwindkomponente für
Start und Landung zu falschen
Ergebnissen führen. Eine nicht
unwesentliche Nuance, die
dank des BFU-Untersuchungsberichts zur Hamburger Seitenwindlandung wieder ein wenig
aus der Versenkung geholt worden ist. Am Ende dieses Beitrags
finden sich zwei aufschlussreiche Auszüge aus diesem
Untersuchungsbericht zum
Thema Böen.
03-2013
Bild 3
Frei nach den Werken des
preußischen Generals von
Clausewitz:
Ein geordneter Rückzug aus
einer unhaltbaren Position.
Fortlaufende Informationen
zum Windgeschehen führen
im Cockpit dieser B777 zu
der Erkenntnis, nicht mehr
rechtzeitig und sicher vor der
einsetzenden Böenwalze auf
RWY 25L landen zu können.
in sicherer Höhe – sie entscheiden sich für eine stramme
Linkskurve – mehr oder weniger auf dem Absatz kehrt machen, um wieder angenehmere
Gefilde aufzusuchen.
Kurz darauf wird der gesamte
Flugplatzverkehr FRA für ca.
30 Minuten eingestellt. Umherfliegende Gegenstände der
Bodenabfertigung
können
Flugzeuge gefährden und beschädigen. Nach Durchzug des
Spuks wurde vom Flugplatzbetreiber vor Wiederaufnahme
des Flug- und Rollverkehrs
zunächst die Bewegungsfläche
gewissenhaft kontrolliert.
Alle nüchtern,
einer schwankt (Bild 4)
Die Windkräfte werden in der
von einem schmalen, langen
Schaft getragenen TWR-Kanzel durch Schwingungen der
unter der Decke montierten
Signalpistole sichtbar. Die frei
aufgehängte light gun funktioniert dabei wie ein Lot.
Neigt sich die Ebene, an der
es montiert ist, verändert das
Lot seine Lage nicht. Dass die
vor Windeinfluss geschützte
Signalpistole dennoch in Bewegung gerät, ist dem rüden
Rütteln der Windkräfte an
seinem tragenden Rahmen geschuldet. Im Grunde ist es aber
eine Sinnestäuschung. Die ei-
Bild 3
Der Anflug wird bei ca. zwei
NM abgebrochen. Mit einer
selbst für ein Durchstartmanöver imposanten Steigrate generieren die Piloten möglichst
wenig Strecke über Grund in
Richtung der auf sie zukommenden Frontlinie und können so auch ziemlich schnell
Bild 4
25
Flugsicherheit
Zwei Auszüge zum Thema Böen aus dem
BFU-Untersuchungsbericht 5X003-0/08
März 2010 Seitenwindlandung A320 Hamburg
Seite 19: Zusätzliche Erläuterungen des DWD
Der DWD hat im Rahmen der Untersuchung zu Fragestellungen
des Untersuchungsteams aus flugmeteorologischer Sicht Stellung bezogen und erläuternde Hintergrundinformationen gegeben.
Entstehung von Böen
gentliche Bewegung wird von
dem knapp 70 m hohen Kontrollturm vollzogen. Der zu
beobachtende Pendelausschlag
der Signalpistole ist ein Maß
für die Gebäudeschwankung.
So potthässlich die DFS-Standard-Tower auch sind, ihrer
Statik darf man vertrauen. Das
Windlimit liegt noch deutlich
höher.
Anmerkung GenFlSichhBw:
Wir sind Herr Biermann für
seinen Beitrag in dieser Ausgabe der „Flugsicherheit“ in
mehrfacher Hinsicht dankbar und wagen, die Frage zu
beantworten: „Wer hätte es
gewusst?“ Zugegeben – auch
wir im Hause Flugsicherheit
haben nicht gewusst, dass die
Angaben von Böen in einem
METAR keine Rückschlüsse
zulässt, aus welcher Richtung
das Unheil naht! Man sollte
daher darauf vorbereitet sein,
dass nicht alles so abläuft, wie
geplant. Prävention durch Information!
26
Infolge von Bodenreibung der Grenzschicht wird der Wind in den tieferen Schichten gebremst. Durch die Reibungskraft ändern sich Windrichtung und -geschwindigkeit. Böen resultieren aus der turbulenten
Durchmischung der Grenzschicht, vereinfacht dargestellt sind es
„heruntergewaschene“ Luftpakete aus der Höhenströmung. Diese
haben eine bestimmte Richtung und Geschwindigkeit. In erster Näherung kann man sagen, dass der Betrag der Böen etwa dem 1,5-fachen
Betrag des mittleren Bodenwindes entspricht.
Bei Starkwind- und Sturmwetterlagen und „halbwegs“ gleichmäßigem
Gelände entspricht die Richtung der kräftigen Böen etwa der Richtung
des Höhenwindes oberhalb der Grenzschicht. Auf der Nordhalbkugel
ergibt sich eine Drehung von ca. 10-20° im Uhrzeigersinn zur mittleren
Windrichtung.
Die Annahmen gelten nicht für orographisch stark gegliedertes
Gelände und synoptische Wettererscheinungen wie beispielsweise
Gewitter- oder Thermikwetterlagen, Frontdurchgänge usw.
Seite 20: Luftfahrthandbuch (AlP)
In der AIP (AIP GEN 3.5· Anlage 3) ist hinsichtlich der Angabe
von Böen folgender Hinweis veröffentlicht:
Abweichungen von der mittleren Windgeschwindigkeit (Böen) sind
durch ein vorangestelltes „G“ gekennzeichnet, die Angabe erfolgt wie
bei 1.1.1.2. Böen werden gemeldet, wenn im Mitteilungszeitraum die
maximale Windgeschwindigkeit (höchste Windspitze) die mittlere
Windgeschwindigkeit um mindestens 10 Kt überschreitet. Zur Ermittlung der höchsten Windspitze wird das 3-Sekunden-Mittel der
Windgeschwindigkeit verwendet. Eine Richtungsangabe ist bei Böen
nicht vorgesehen. (...)
Der komplette Untersuchungsbericht ist verfügbar unter
http://www.bfu-web.de/Publikationen/Untersuchungsbericht/2008/Bericht_08_5X003_A320_Hamburg-Seitenwindlandung.pdf?_blob=publikationFile
03-2013
Was passiert,
wenn ich einen
Notsender auslöse?
Von Hauptmann Stefan Hollands,
SAR-Leitstelle (Land) Münster
Moderne Luftfahrzeuge
und militärische Luftfahrzeugbesatzungen
sind in der Regel mit einem
elektrischen,
zumeist
automatischen Alarmsystem bzw. manuellen
Notsendern ausgestattet, die im Falle eines Absturzes oder einer Notlandung die Rettung
einleiten und den Ort
der Landung übermitteln sollen.
So gehört bei zivilen Flugzeugen mindestens ein Emergency
Locator Transmitter (ELT) zur
Ausstattung und militärische
Luftfahrzeugbesatzungen verfügen zusätzlich über ein Personal Locator Beacon (PLB) als
Satellitengestütztes Such- und Rettungssystem COSPAS/ SARSAT
COSPAS: Cosmicheskaya Sistyema Poiska Avariynich Sudoc
SARSAT: Search And Rescue Satellite Aided Tracking
HexID: Hexadezimale Identifikation
Teil der persönlichen Notausrüstung. Teilweise sind Luftfahrzeuge, Schiffe und Boote
mit einem vergleichbaren System, dem Emergency Position Indicating Radiobeacon (EPIRB),
ausgerüstet.
Aber was passiert, wenn ein
Alarm, ggf. sogar unbeabsichtigt, ausgelöst wird und wo
wird dieser Alarm bearbeitet,
bevor Such- und Rettungskräfte eingesetzt werden?
Ein wenig Geschichte
1979 wurden die ersten Verträge zwischen den Gründerstaaten Kanada, Frankreich,
UDSSR und USA geschlossen,
um in Not befindlichen Luftfahrzeugen und deren Besatzungen weltweit gemeinsam zu
helfen.
Man bedenke, dass 1979 noch
der kalte Krieg herrschte und
eine Zusammenarbeit mit den
vier beteiligten Nationen nicht
27
Flugsicherheit
ganz unproblematisch war. Im
September 1982 startete man
mit der Versuchsphase und
am 5. Oktober 1984 wurden
weitere Verträge unterzeichnet. 1985 wurde das System als
„einsatzbereit“ erklärt.
Heute umfasst das Programm
43 Mitgliedsstaaten/Organisationen.
Wie funktioniert das System?
Jeder Mensch, jedes Schiff und
jedes Flugzeug, das mit einem
Notfunkgerät ausgestattet ist,
kann diesen Notsender manuell oder automatisch auslösen.
Kleine Antennen auf Wettersatelliten (derzeit sechs auf
Umlaufbahnen um die Erde
und sechs auf geostationären
Positionen um den Äquator)
fassen mit speziellen Computern dieses Signal auf. Die
umlaufenden Satelliten sorgen
dafür, dass über die DopplerFunktion die Position des
Notsenders ermittelt wird.
Die geostationären Satelliten
empfangen das Signal nach
28
Auslösung in einem Band um
den Äquator. Die Polkappen
sind nur durch umlaufende Satelliten abgedeckt.
Danach werden diese Signale
von einer der 80 Bodenstationen Local User Terminal
(LUT) aufgefasst und in einem
von weltweit verfügbaren 31
Mission Control Center (MCC)
verarbeitet, um dann an das zuständige nationale Rescue Coordination Centre (RCC) weitergegeben zu werden.
In Deutschland ist die SARLeitstelle (Land) bzw. das
RCC Münster des Heeres nunmehr als nationaler SAR Point
of Contact (SPOC) zuständig
für die Meldung aller Luftfahrzeuge und Boote in Deutschland und aller deutschen Luftfahrzeuge, Schiffe und Boote
im Ausland. Die Signale von
Schiffen und Booten werden
unmittelbar an die Seenotleitung in Bremen bzw. Deutsche
Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger weitergeleitet. Alle
Signale von Luftfahrzeugen
werden durch das RCC Münster und Glücksburg abgearbeitet.
Das für Deutschland zuständige MCC hat seinen Sitz in
Toulouse, Frankreich.
Von der Auslösung bis zum
Start der Suche im RCC vergehen im Idealfall nur Minuten.
Bei optimalen Bedingungen
wird binnen einer Minute nach
Auslösung das abgestrahlte
Notsignal vom Satelliten aufgefasst und verzugslos weitergeleitet, sofern sich der Satellit im
Empfangsbereich der Bodenstation befindet.
In der Bodenstation wird das
Signal dem zuständigen Land
zugeordnet und danach an
das zuständige RCC weitergeleitet, um dort einem Schiff
oder Flugzeug zugeordnet zu
werden. Entsprechende Stellen werden informiert und es
beginnen weitere Recherchen,
wie die Orts- und Halterfeststellung.
Nach Übermittlung der Notmeldung an das RCC Münster
startet unmittelbar die Verifikation der Notlage. Da die
Meldung die Schiffs- oder Luftfahrzeugkennung sowie die
letzte Position enthält, ist
rasch eine Halterabfrage und
eine Positionsbestätigung eingeleitet. Dazu nutzt das RCC
die Anbindung an die Datenbank der Luftfahrzeugrolle
und führt darüber hinaus Telefonate mit verschiedenen
03-2013
Rettungsleitstellen und Polizeibehörden. Dazu werden bei
Bedarf auch weitere Behörden
und Sicherheitsorgane sowie
die zivile Flugsicherung eingeschaltet. Kann eine eindeutige
Klärung nicht herbeigeführt
werden, wird, wenn nötig, in
Deutschland ein Hubschrauber auf die Suche geschickt,
oder es werden, wenn das Signal aus dem Ausland kommt, PLB: Personal Locator Beacon; EPIRB: Emergency Position Indicating Radiomit dem zuständigen natio- beacon für die Seefahrt; ELT: Emergency Locator Transmitter für die Luftnalen RCC weitere Maßnah- fahrt; LUT: Local User Terminal; MCC: Mission Control Center.
men koordiniert.
aufnahme stattfindet. Auch stalliert. Dies führt dazu, dass
Was ist eine HexID
unsere SAR-Leitstelle in Mün- ab ca. 2018 mit diesem System
In dieser HexID werden Daten ster hat unmittelbaren Zugang eine nahezu komplette Abwie z. B. ein Ländercode, GPS- zu diesen Datenbanken, denn deckung der Erde möglich ist.
Koordinaten (wenn der Not- das RCC Münster ist als nati- Mit dem neuen System wird
sender mit GPS ausgestattet onaler SAR-Point of Contact jedes Signal sofort nach Auslöist), Seitenkennung des Luft- (SPOC) zuständig für die Ab- sung vom Satelliten aufgefasst
fahrzeuges, Name und Re- arbeitung der Meldungen und und mit Position an Bodenstagistrierung des Schiffes und Alarme aller Luftfahrzeuge in tionen weitergeleitet.
weitere Informationen ver- Deutschland (civ/mil) sowie
schlüsselt. Aufgrund dieser aller deutschen Schiffe/Boote Das System hat Limits
HexID kann die SAR-Leitstelle und deutschen Luftfahrzeuge Aufgrund äußerer Begebendas Signal eindeutig immer nur weltweit! Darüber hinaus wer- heiten hat das System funktioeinem Benutzer zuordnen, da den auch die Notsignale/Mel- nale Einschränkungen.
es jede HexID weltweit immer dungen der militärischen PLB Da es sich bei dem abgestrahlnur einmal gibt und ein Signal an das RCC Münster gemeldet ten Signal um eine Funkfrei. d. R. zweifelsfrei zugeordnet und unmittelbar an die zu- quenz handelt, kann ein Sawerden kann.
ständigen militärischen Stellen tellit dieses Signal natürlich
Alle in Deutschland zugelas- weitergeleitet bzw. eine Suche/ auch nur auffassen, wenn eine
senen Notfunkgeräte sind in Hilfe wird eingeleitet.
direkte Sichtverbindung zwiDatenbanken registriert. In
schen Notsender und Empdiesen Datenbanken sind alle Zukunftsmusik
fangsantenne vorherrscht und
wichtigen Informationen wie Derzeit befindet sich das Sa- wenn das Signal ausreichend
Art und Typ des Schiffes oder tellitensystem im Umbau. Die lange aufgefasst werden kann.
Flugzeug sowie Besitzer- und COSPAS/SARSAT-Antennen Dieser Umstand führte in beHalterdaten
einschließlich und Rechner werden in der stimmten Fällen dazu, dass einTelefonnummern hinterlegt, Zukunft auf GPS-Satelliten zelne Signale nicht aufgefasst
über welche die erste Kontakt- (Glonas, GPS und Galileo) in- werden konnten:
29
Flugsicherheit
-Am 3. September 2007
Funkmeldungen hat die
stürzte der amerikanische
SAR-Leitstelle verzugslos
Multimillionär James Steden
SAR-Hubschrauber
phen Fossett mit einem
aus Penzing in Richtung
Leichtflugzeug ab. Es ist
der vermutlichen Absturznicht zweifelsfrei geklärt, ob
stelle schicken können. Das
er mehrere Notsender mitPLB-Signal
verstummte
geführt hatte, auf jeden Fall
zwar, bevor der Hubschrauhatte er einen automatisch
ber eintraf, jedoch befand
auslösenden ELT oder eisich noch ein zweiter Hubnen manuellen PLB dabei.
schrauber über der AbsturzSignale sind nie aufgefasst
stelle. Eine Transall, die sich
worden. Das System hat
in der Nähe befand, wurde
Limits.
ebenfalls durch die SAR- In der Nacht vom 31 Mai
Leitstelle umgeleitet und
2009 auf den 1. Juni 2009
als Relaisstation genutzt.
stürzte die Air France 447
Aber warum verstummte
auf dem Linienflug von Rio
das Signal? Ungünstige Gede Janeiro nach Paris ab.
ographie, technischer DeDer Airbus 330 hatte drei
fekt oder Fehlbedienung
Notsender an Bord und
des Notsenders? Das System
keiner wurde von Satelliten
hat Limits (Die Piloten des
aufgefasst. Wenn man die
TIGER-Hubschraubers
Umstände des Absturzes bewurden durch die SARtrachtet, dann ist klar, dass
Besatzung erstversorgt und
bei diesem Fall auch kein
zeitnah zur weiteren mediSatellit ein Signal auffassen
zinischen Betreuung in das
konnte, da die Signale verBundeswehr-Krankenhaus
mutlich nicht lange genug
nach Ulm geflogen.)
abstrahlen konnten. Mit zu- -Die britische Küstenwanehmender Tiefe im Wasche rückte im Ärmelkanal
ser werden die Notsignale
zu einem Rettungseinsatz
gedämpft. Das System hat
aus, nachdem SOS-Rufe
Limits.
aufgefangen worden waren.
- Anfang 2013 kam es wähErst nach Stunden stellte
rend eines Nachtflugs im
sich heraus, dass der Alarm
Gebirge zu einer Notlanvon einem defekten Ferndung eines TIGER-Hubseher ausgelöst worden war.
schraubers der Bundeswehr
Das Gerät zum Empfang
südlich von München. Aufvon Digital-Fernsehen sengrund der Auslösung des
dete ein Signal aus, das zuPLB eines der Luftfahrzeugfällig mit den SOS-Rufen
führer sowie der Radar- und
von Schiffen in Seenot
30
identisch war. Daraufhin
starteten die Behörden vor
der Küste von Portsmouth
eine groß angelegte Suche.
Ein Hubschrauber stellte
dann fest, dass das Signal
von Land kam.
Dies sind vier Beispiele in Systemeinschränkungen, dennoch
ist das COSPAS/SARSAT-System ein gutes System, welches
ständig verbessert wird, um
diese Fälle zu minimieren.
Durch das System wurden seit
1982 weltweit über 33.000
Menschen in mehr als 9.000
Rettungseinsätzen gerettet.
Alleine im Jahr 2012 hatte das
für Deutschland zuständige
RCC Münster 2.712 Meldungen vom MCC Toulouse
im Zusammenhang mit der
Auslösung von Notsignalen
abzuarbeiten. Ca. 300 davon
betrafen deutsche Schiffe und
Luftfahrzeuge im Ausland.
Darin enthalten sind allerdings
auch eine beachtliche Anzahl
von ungewollten Auslösungen
und Fehlbedienungen, die allerdings bis zur eindeutigen Verifikation eines Fehlalarms als
Notsignal gehandhabt werden
müssen.
Was ist bei einer unbeabsichtigten Auslösung zu tun?
Bei der Bundeswehr sind Luftfahrzeugbesatzungsangehörige
mit Notsendern (PLB) ausgestattet. Sollte es im Flugdienst
oder Rahmen von Wartungs-
03-2013
arbeiten zu einer unbeabsichtigten Auslösung des Notsenders kommen, sollte der
Notsender nicht einfach ausgeschaltet werden, sondern
umgehend RCC in Münster
über den nächsten Tower oder
militärischen Gefechtsstand
kontaktiert werden. Dazu wird
in alle Rettungswesten zum
Notfunkgerät eine Infokarte
hinzugefügt, auf der wichtige
Informationen bei einer unbeabsichtigten Auslösung stehen.
Das Signal wird aller Wahrscheinlichkeit nach ohnehin
zeitnah über die Satelliten und
das MCC Toulouse bei uns in
Münster landen. Damit keine weiteren Maßnahmen und
zum Teil umfangreiche Nachforschungen bis hin zu einer
Suche mit Hubschraubern eingeleitet werden müssen, sollte
zeitgerecht Entwarnung gegeben werden. Das RCC ist auch
jederzeit über VHF 123.100
mit dem Rufzeichen RESCUE
MÜNSTER zu erreichen.
Sollten Mitarbeiter der Fachgruppe RuS einen Notsender
eines anderen Verbands betreuen müssen oder zuversetzt bekommen, ändern Sie
die HexID bitte nicht ohne
Rücksprache mit RCC bzw.
schriftliche Meldung an das
RCC. Die HexID sind bei uns
im RCC Münster gespeichert.
Geänderte Kodierungen und/
oder Unklarheiten in der Zuordnung führen nur zu unnötigen Nachfragen und können
im Ernstfall die lebensrettende
Hilfe verzögern. Dies betrifft
militärische wie auch zivile
Nutzer.
PLB Becker MR 509
Ein Musterbeispiel eines Beipackzettels ist auf der nächsten
Seite dargestellt.
Notsender mit Beipackzettel bei
Fehlauslösung
RCC Münster
31
Flugsicherheit
Musterbeispiel Beipackzettel „Fehlauslösung MR509“
1. Aktivierungsmagnet vollständig entfernen (Geräteunterseite, bei Verbindung Schlauchbootverbindungsleine).
2. Hauptschalter in Stellung AUS bringen (Geräteoberseite).
3. Sofort OvG JaboG 32 verständigen
+49-(0)8232-907-2304 oder BW 90-6516-2304
SAR-Leitstelle Münster über Fehlauslösung verständigen +49-(0)251-135757 oder BW 90-3323-1368
Folgende Informationen sind zu melden
• Westen-Nr.: ______________*)
•
Ident. Code:
______________*)
4. Bei Nichterreichbarkeit OvG JaboG 32: Umgehend SAR-Leitstelle Münster verständigen.
5. Die Weste ist für den Flugbetrieb gesperrt.
Vor dem nächsten Flugantritt muss Rücksprache mit TE Flugausrüstung gehalten werden.
*) Es sind die tatsächliche Nummer und der Code des betreffenden Radios einzutragen.
Wir verabschieden ...
Hauptmann Marco Schleyer ist seit dem 1. Juni 2008 im Dezernat d der Abteilung u. a. zuständig für die Flugdatenaus-
wertung/Avionik. In Budel startete 1993 seine militärische Laufbahn mit der Grundausbildung, es
folgte der Unteroffizierslehrgang und der Grundlehrgang Elektronik/Informationstechnik. Drei
Jahre arbeitete er als 1. LfzRadarmech am Waffensystem Tornado beim JaboG 33, die Ausbildung
zum Lfz-RadarMechMst Tornado folgte. Nach dem Feldwebellehrgang wurde er in der LwWerft
31 als Fachbereichsleiter LRU 3/8 eingesetzt. Etwa drei Jahre war er dort tätig, die nächste Hürde,
den „Staatlich geprüften Techniker“, absolvierte er an der Fernmeldeschule des Heeres für Elektrotechnik in Feldafing. Im Herbst 2002 besuchte er die Offizierschule in Fürstenfeldbruck, anschließend ging er als LfzEloOffz/Bereich Avionik zur Elektronikstaffel zum JaboG 33. Er übernahm
nach dreieinhalb Jahren im StabTGrp den Dienstposten als Leiter Einsatzsteuerung/TBtrbFüOffz.
Dann folgte die Versetzung zur Abteilung Flugsicherheit in der Bw. Neben seiner Tätigkeit als
Flugdatenauswerter in der Zwischenfall- und Flugunfalluntersuchung bearbeitete Hptm Schleyer
das querschnittliche Sachgebiet Avionik unterschiedlicher Waffensysteme. Darüberhinaus war er
ständiger Vertreter des Chefs der Stabskompanie und als begeisterter Ausdauersportler prädestiniert für die Nebenfunktion des Sportoffiziers der Abteilung. Vielen Dank für die geleistete Arbeit und in der neuen Verwendung in
Ramstein (Division Real Life Support Section beim DDO/DtA HQ AIRCOM) wünschen wir alles Gute.
Wir begrüßen ...
Major Marc Knue ist am 1. Juli 1996 in Bayreuth der Bundeswehr beigetreten. Nach der Offiziersschule in Fürstenfeldbruck
absolvierte er ein Praktikum bei der TKp 112 in Aurich. Von Oktober 1998 bis August 2002 studierte Major Knue an der UniBw Hamburg Elektrotechnik (Vertiefung Hochfrequenztechnik)
mit dem Abschluss Dipl.-Ing. (univ). In den folgenden drei Jahren wurde er zum LfzEloOffz bei
der Elo/WaStff JG 71 „R“ ausgebildet und eingesetzt. Während dieser Zeit fand ebenfalls die Ausbildung zum LfzWaMunTOffz an der TSLw 1 in Kaufbeuren statt. In den folgenden fünf Jahren
fand er sein Aufgabenfeld als Sachgebietsleiter RechnWaElo EF2000 beim LwMatKdo III C 4,
beim WaSysKdoLw III C 4 und beim WaSysKdoLw I B 3 hier in Köln. Sein Stabsoffiziergrundlehrgang fand 2010 an FüAkBw in Hamburg statt. Er war von Oktober 2010 bis zu seiner Versetzung hier zum KdoUstgVbdeLw AbtFlSichhBw als Staffelchef der Wtg/WaStff
im JG 73 „S“ eingesetzt. In seiner Dienstzeit als Staffelchef unterstützte Major Knue das Einsatzgeschwader MeS als S3 StOffz u. stellv. Kdr EinsUstgGrp für drei Monate. Seit dem Oktober 2013
ist er als Nachfolger von Oberstleutnant Lösch (Oberstleutnant Lösch übernahm den Dienstposten von Oberstleutnant Wegner als Dezernatsleiter d) der Ansprechpartner im KdoUstgVbdeLw
AbtFlSichhBw Dezernat d für die Zelle PA200. Herzlich willkommen und viel Freude und Erfolg in der neuen Tätigkeit.
32
flugsicherheit
Ausgabe 03 / 2013
Heft 3 Dezember 2013
–
50. Jahrgang
Fachliche Mitteilungen für fliegende Verbände
Flugsicherheit
In this issue
Article overviews in English by Lt Col Jeff “Otter” Anderson, USAF Exchange Officer and member of the German Armed
Forces Flight Safety Directorate.
JeffreyAnderson@bundeswehr.org
Fachliche Mitteilung für fliegende Verbände
The Fault Correction // Die Störbehebung
In a hurry to get back from the hangar with the part to correct the fault, the technician might have forgotten an important
thing or two. Told in poetic form, this article makes clear exactly what the most expensive thing is, that one can use to
chock a vehicle on the flightline. That would be an aircraft!
Titelfoto: PIZ Lw
„Flugsicherheit“, Fachliche Mitteilung
für fliegende Verbände der Bundeswehr
An Aircraft Crash, Two Investigation Reports and All Sorts of Conspiracy Theories // Ein Flugzeugabsturz, zwei
Untersuchungsberichte und jede Menge Verschwörungstheorien
The crash of the Polish TU-154M on April 10th, 2010 during an approach to a Russia military airfield killed all 96 passengers on-board, including many members of the Polish government. Mistrust between the two nations resulted in two
separate investigations. While each nation’s report seems to overly point a finger at the other nation, taken together, one
can, nevertheless, build an accurate picture of the causes and contributing factors. Failures by the aircrew, inappropriate
command influence, and insufficient oversight on the Polish side, and failures by the Russian approach controllers are
explained. The article also debunks several conspiracy theories that have developed after the crash.
Herausgeber:
Luftwaffenamt
General Flugsicherheit in der Bundeswehr
Redaktion:
Hauptmann Klemens Löb,
Tel.: 02203-9083124
Luftwaffenkaserne 501/07
Postfach 906110
51127 Köln
redaktionflugsicherheit@bundeswehr.org
klemensloeb@bundeswehr.org
Gestaltung:
Hauptmann Klemens Löb
GenFlSichhBw
Erscheinen:
dreimonatlich
Manuskripteinsendungen
sind direkt an die Schriftleitung zu richten. Vom Verfasser gekennzeichnete Artikel stellen nicht unbedingt
die Meinung der Schriftleitung oder des Herausgebers
dar. Es werden nur Beiträge abgedruckt, deren Verfasser mit einer weiteren Veröffentlichung einverstanden
sind. Weiterveröffentlichungen in Flugsicherheitspublikationen (mit Autoren- und Quellenangaben) sind
daher möglich und erwünscht.
Druck:
Heimbüchel & Köllen corporate publishing GbR
10117 Berlin
Editorial 1
Die Störbehebung 2
Ein Flugzeugabsturz, zwei Untersuchungsberichte und
jede Menge Verschwörungstheorien
4
Fehlerkultur und der Umgang mit der menschlichen Unvollkommenheit13
Der Weg alles Irdischen
16
Wechsel des General Flugsicherheit in der Bundeswehr 20
Donnerwetter23
Was passiert, wenn ich einen Notsender auslöse?27
Verabschieden & Begrüßen
32
In this issue33
Error-Culture and Dealing with Human Imperfection // Fehlerkultur und der Umgang mit der menschlichen
Unvollkommenheit
An „Error-Culture“ exists in an organization when there is an atmosphere where individuals are confidant and able to
report mistakes, and in doing so, help the organization to improve and avoid accidents. Creating such a climate relies on
accurately differentiating between unintentional mistakes and the negligent form of mistakes. Both forms of mistakes
must be dealt with, but each in a very different manner. This article establishes some definitions and standards that should
help an organization differentiate between the two forms of mistakes with the goal of eliminating mistakes that could
lead to accidents … before there is an accident.
The Way of All Earthly Things // Der Weg alles Irdischen
The headset that flew off the crewmember’s head and out the troop-door during the jump operation has had a lot of time
to reflect on life as it rests on the ground, having miraculously survived such a fall. Why wasn’t it properly adjusted to the
crewmembers head? Just because there isn’t a specific regulation for doing that doesn’t mean it isn’t as sensible and as
easy to do as putting on a belt (which also doesn’t involve any detailed written procedure). Hope soars when a second
headset arrives, only to be shattered by the realization that a long slow demise is all that awaits the pair.
Change of Commanding General, Flight Safety Directorate of the German Armed Forces // Wechsel des General
Flugsicherheit in der Bundeswehr
Brigadier General Hans-Dieter Poth relinquished command of the German Armed Forces‘ Flight Safety Directorate to Colonel (Brig. Gen. select) Peter-Klaus Klement. Brig. Gen. Poth departs the directorate for Paris, where he will be the Defense
Attaché. Col. Klement comes to the directorate with an accomplished background as a fighter pilot, commander, and staff
officer. We welcome Colonel Klement and wish Brig. Gen. Poth all the best!
Thunderstorms // Donnerwetter
When thunderstorms approach an airfield, the reported wind gusts do not necessarily conform to the direction of the reported wind. So even though the wind direction maybe reported as straight down the runway, the gust component could
be partially or completely a crosswind or tailwind. The author’s description of an approaching storm at Frankfurt Airport
this summer vividly illustrates the point.
What Happens When I Active an Emergency Beacon? // Was passiert, wenn ich einen Notsender auslöse?
The article describes the basic operation of the international SARSAT system and its key limits. For example, coverage is not
exactly global, reception is not instantaneous (slowest near the poles), and the system relies on radio line-of-sight, which
is hindered in certain terrain and when the beacon goes under water shortly after activation.
We say good-bye, we say hello // Verabschieden & Begrüßen
Flugsicherheit
Ausgabe 03/2013
Foto: PIZ Lw, Hauptmann Toni Dahmen
Fachliche Mitteilungen für fliegende Verbände