Gesamtausgabe

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Gesamtausgabe
2/2012
ISSN 2190-9393 | 3.Jg. | Juli 2012
EMF Spectrum
Vierteljährliche Information der Arbeitsgruppe EMF & Umwelt
Schwerpunkt
Niederfrequente Felder
• Akzeptanz des Netzausbaus
• Störbeeinflussung elektronischer
Implantate durch 50 Hz-Felder
• Öffentlicher Dialog zum Netzausbau
Forschung
• EMF-Forschung in den Niederlanden
• Exposition durch HochfrequenzSender
• Feldmessung in der Umgebung
von Funksendeanlagen
Tagungsbericht
www.wik-emf.org
Exposition durch Mobiltelefone – Neueste Erkenntnisse
I nha lt
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Sch werPun kt Niede r f requen te Felde r
Die Akzeptanz des Netzausbaus
Sch werPun kt Niede r f requen te Felde r
Patientenstudie zur Störung von kardialen Implantaten in elektromagnetischen 50Hz-Feldern
Sch werPun kt Niede r f requen te Felde r
Störbeeinflussung elektronischer Implantate durch elektromagnetische Felder
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Öffentlicher Dialog zum Energienetzausbau in Deutschland
For s chun g
Der Aufbau einer wissenschaftlichen EMF-Infrastruktur in den Niederlanden
For s chun g
Exposition der Allgemeinbevölkerung durch Hochfrequenz-Sender
For s chun g
Messung hochfrequenter Felder in der Umgebung von Funksendeanlagen:
Erfahrungen aus der Praxis
Ta gun g sberi cht
Exposition durch Mobiltelefone – Neueste Erkenntnisse
Ausgabe 2/2012 | Juli 2012
E di t o r ia l
Nachhaltige Information – Warum Akzeptanz als Unterstützung für
die Energiewende unverzichtbar ist
Die Energiewende ist eine große Aufgabe. Wir engagieren uns für das
Ziel, die erneuerbaren Energien zu einer tragenden Säule der Energieversorgung in Deutschland auszubauen. Um dieses Ziel zu erreichen, muss
die Energie-Infrastruktur in den nächsten Jahren umfangreich erweitert
werden. Der in diesem Zusammenhang von den vier Stromnetzbetreibern
vorgelegte Netzentwicklungsplan kann aber nur dann eingehalten werden, wenn neben einer transparenten und koordinierten Ausbauplanung
auch eine breite Akzeptanz in der Bevölkerung vorhanden ist.
Laut einer repräsentativen Umfrage von TNS Infratest aus dem Jahr 2011 halten 94 Prozent der Bundesbürger den verstärkten Ausbau der erneuerbaren Energien für „wichtig“ oder sogar für „sehr bzw. außerordentlich wichtig“ – vor Ort wird der Netzausbau aber aufgrund der befürchteten Auswirkungen auf Umwelt
und Gesundheit von kontroversen gesellschaftlichen Diskussionen begleitet und verzögert. Das Thema
Akzeptanz der erneuerbaren Energien in der Bevölkerung wird also auch in Zukunft eine zentrale Rolle
spielen und erfordert eine zeitnahe, transparente und glaubwürdige Kommunikation mit allen Interessensgruppen. Ziel ist es, den relevanten Akteuren und der Öffentlichkeit aktuelle, fundierte und ausgewogene
Informationen über Forschungsaktivitäten, gesellschaftliche Diskussionen und Expertenbewertungen zu
den Wirkungen elektrischer und magnetischer Felder anzubieten.
Wir brauchen einen gesellschaftlichen Konsens über den Ausbau der Stromnetze in Deutschland. Mit dem
Netzausbaubeschleunigungsgesetz (NABEG) hat die Bundesregierung hierfür die Voraussetzungen geschaffen. Das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie (BMWi) hat deshalb unter anderem die
Plattform „Zukunftsfähige Energienetze“ ins Leben gerufen, um Lösungen zum Netzausbau und zur Modernisierung der Stromnetze zu erarbeiten. Ebenso setzt sich das BMWi für einen kontinuierlichen Informationsfluss zu Strahlenschutzaspekten des Netzausbaus ein, um Bürgerinnen und Bürger in einer
verständlichen Art und Weise über die vorliegenden wissenschaftlichen Erkenntnisse zu informieren. Denn
Akzeptanz kann nicht verordnet werden – sie muss auf der Grundlage neutraler, unideologischer und verlässlicher Informationen wachsen.
Hans-Joachim Otto
Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Technologie
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EMF Spectrum | Schwerpunkt Niederfrequente Felder
F o r s c h ung
Jan Hildebrand, Irina Rau
Die Akzeptanz des Netzausbaus
Ergebnisse einer umweltpsychologischen Studie
Durch den im Rahmen der „Energiewende“ forcierten Umstieg
auf eine erneuerbare Energieerzeugung gewinnt der Netzausbau
insbesondere auf Übertragungsebene zunehmend an Bedeutung. In diesem Zusammenhang steht neben den Herausforderungen der technischen Netzintegration, der rechtlichen Rahmung, z. B. über das Energieleitungsausbaugesetz (EnLAG), das
Netzausbaubeschleunigungsgesetz (NABEG) und das Energiewirtschaftsgesetz (EnWG) oder der Frage der Kosten, verstärkt
das Thema gesellschaftliche Akzeptanz im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. In Deutschland haben sich im Zuge der aktuellen
Netzausbauplanungen an verschiedenen in Planung befindlichen
Trassenabschnitten zahlreiche Bürgerinitiativen gebildet, um die
neuen Stromleitungen zu verhindern bzw. auf jeden Fall Einfluss
auf die konkrete Umsetzung zu nehmen, beispielsweise durch
die Forderung nach einer Erdverkabelung1. Insgesamt zeigt die
momentane Situation, dass der Netzausbau ein beträchtliches
Konfliktpotential birgt, welches konstruktiv gelöst werden sollte,
um die formulierten Ausbauziele erreichen zu können.
1 Beispielinternetseiten von Bürgerinitiativen: http://www.bi-hilsmulde.de/;
http://abindieerde.de/
Die Gründe, gegen neue Stromleitungen zu protestieren, sind
vielfältig. In bisherigen Studien zur Akzeptanz des Netzausbaus zeigte sich, dass eine Vielzahl an Einflussfaktoren existiert, die in komplexen Interaktionen stehen und sich zudem
regional unterscheiden. Es werden beispielsweise negative
Gesundheitseffekte für Menschen und Tiere durch elektromagnetische Felder bzw. Elektrosmog befürchtet (z.B. Furby,
Slovic, Fischhoff, & Gregory, 1988; Priestly & Evans, 1996).
Weiterhin werden durch die Leitungsmasten Landschaftsbildveränderungen verursacht, welche von Anwohnenden als ästhetisch beeinträchtigend angesehen werden; zudem erwarten
sie hierdurch Einbußen der regionalen Tourismuswirtschaft und
massive Wertverluste bei angrenzenden Immobilen. Ebenfalls
akzeptanzrelevante Faktoren sind neben den landschaftlichen
Veränderungen und den befürchteten Risiken der eingesetzten Technologien auch die Partizipationsmöglichkeiten und die
wahrgenommene Fairness im Planungs- und Genehmigungsverfahren (Furby et al., 1988; S. 36).
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Fallstudie
Im Frühjahr 2010 führte die Forschungsgruppe Umweltpsychologie (FG-UPSY) an der Universität des Saarlandes im
Auftrag der Deutschen Umwelthilfe (DUH) eine NetzausbauAkzeptanzstudie durch. Anhand des Trassenabschnitts WahleMecklar wurden darin die Zusammenhänge zwischen technologiebezogenen Eigenschaften, Interessen und Motiven
verschiedener beteiligter Akteursgruppen und den jeweiligen in
die Diskussion eingebrachten Argumentationen exemplarisch
untersucht (Zoellner & Rau, 2010; Schweizer-Ries, Zoellner &
Rau, 2010). Insgesamt wurden im Studienverlauf 450 Anwohnende aus zwei an dem geplanten Trassenabschnitt liegenden
Kommunen anhand standardisierter Fragebögen untersucht
sowie zwölf qualitative Interviews mit Einzelpersonen aus verschiedenen Akteursgruppen durchgeführt.
und nicht genügend Informationen über die Auswirkungen der
elektromagnetischen Strahlungen auf die Gesundheit vorliegen.
Gerade bei der Erdverkabelung zeigt sich eine gewisse Unsicherheit bezüglich der Einschätzung, weshalb persönlichen Erfahrungen und Eindrücken mehr Bedeutung beigemessen wird. In
einem Wohngebiet, über welches bereits eine 110 kV-Leitung verläuft, äußerten mehrere Personen, dass es auffallend viele Fälle
von Erkrankungen wie Krebs und Herzleiden gäbe; diese Erfahrungen werden dann auch auf die 380 kV-Ebene übertragen.
Im Zusammenhang mit den befürchteten gesundheitlichen
Beeinträchtigungen wurde außerdem nach dem Bedrohungserleben durch die jeweiligen Technologien in unmittelbarer
Hausnähe gefragt (Abb. 2). Auch hier zeigt sich der deutliche
Unterschied in der Bewertung von Freileitungen und Erdverkabelung, wobei auch Erdkabel in der direkten Nähe des Hauses
von 38% der Befragten nicht gewünscht werden.
Die Untersuchungsergebnisse zeigen, dass im Zentrum der
Akzeptanzdebatte auf Ebene der Anwohnenden vor allem die
Entscheidung über die eingesetzte Technologie steht, d. h. die
Frage bzgl. der Verwendung von Freileitungen vs. Erdkabel.
Die Befragungen in dem Fallbeispiel dokumentieren eine klare
Befürwortung der Erdverkabelung sowie der Trassenplanung
entlang bestehender Infrastrukturtrassen. Bezogen auf die auffallend negative Bewertung von Freileitungen stehen vor allem
gesundheitliche Befürchtungen durch elektromagnetische Felder
im Vordergrund. Bei Freileitungen werden gesundheitliche Beeinträchtigungen in hoher Ausprägung befürchtet, wohingegen dies
bei Erdkabeln wesentlich weniger der Fall ist (Abb.1). Insbesondere die Angst vor elektromagnetischer Strahlung dominiert hier
die Diskussion und ist die meist genannte Befürchtung in diesem
Kontext. Dazu trägt bei, dass die Sachlage hierzu noch unklar ist
Abb.2: Ich würde mich durch Freileitungen/Erdkabel in der Nähe meines
Hauses bedroht fühlen. (Zoellner & Rau; 2010; S. 17)
Abb.1: Ich befürchte gesundheitliche Beeinträchtigungen, wenn neue Freileitungen/Erdkabel gebaut werden. (Zoellner & Rau; 2010; S. 17)
Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass bezogen auf die
Technologiewahl die Erdverkabelung in allen Bereichen (landschaftliche Veränderungen, ökonomische Effekte, ökologische
Auswirkungen und mögliche Beeinträchtigung der eigenen Gesundheit) signifikant positiver als Freileitungen bewertet wird
und demzufolge die Erdverkabelung die deutlich gewünschte
Technologievariante ist. Erdverkabelungen werden gefordert,
weil man mit ihnen eine Vielzahl an positiven Effekten bzw. das
Ausbleiben von negativen Konsequenzen verbindet. Ein wichtiges Ergebnis in diesem Zusammenhang ist, dass viele Anwohnende zwar prinzipiell eine Erdverkabelung bevorzugen,
konkretes Wissen bzw. explizite Vorstellungen über Fragen
der genauen Ausgestaltung (bspw. wie tief liegen die Kabel,
welchen Durchmesser haben die Schneisen, wie geht man mit
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EMF Spectrum | Schwerpunkt Niederfrequente Felder
Flussunterquerungen um, welche Bedeutung hat eine Erdverkabelung für das Grundwasser) und Auswirkungen (z. B.
welche elektromagnetische Strahlung ist mit Erdkabeln verbunden) bei vielen nicht vorhanden ist (Abb. 3). Dementsprechend erscheint eine Erdverkabelung gewissermaßen vor allem als „Hoffnungsträger“.
Neben den z. T. fehlenden Erfahrungswerten spielen bei der Beurteilung der Technologien und den damit verbundenen Risiken
auch die unterschiedlichen Wahrnehmungen und Einschätzungen
zwischen den sich widersprechenden Positionen der Netzbetreiber und Anwohnenden eine wichtige Rolle. Zum einen kommen
allgemeine Aspekte der Experten-Laien-Kommunikation zum Tragen, wie z. B. Informationsasymmetrien, unterschiedliche Risikobegriffe (subjektiv vs. objektiv) bzw. generell die Verschiedenheit
der Sprache und Begrifflichkeiten (vgl. Granger et al. 1985).
Zum anderen sind die Beziehungen zwischen den beteiligten
Akteursgruppen, insbesondere zwischen den Anwohnenden
und dem Netzbetreiber, oft von Ablehnung und Misstrauen
geprägt, was die Informationsarbeit von Fachleuten vor Ort
zusätzlich erschwert. Als vertrauenswürdige Ansprechpartner werden nahezu ausschließlich die Bürgerinitiativen wahrgenommen und diesen entsprechend Ehrlichkeit im Umgang
zugeschrieben, wohingegen das bei den anderen Akteuren wie
Abb.3: Ich schätze meinen Kenntnisstand über Freileitungen/Erdkabel
hoch ein. (Zoellner & Rau; 2010; S. 18)
dem Netzbetreiber, dem Energieversorger, aber auch den Planungsbehörden und politischen Ebenen, nicht der Fall ist. Bei
einigen betroffenen Bürgern ist der Eindruck entstanden, dass
Informationen, z. B. seitens des Netzbetreibers, aber auch von
anderen offiziellen Stellen, gezielt zurückgehalten werden. In
diesem Kontext fielen Begriffe wie „Geheimniskrämerei“, „Geheimhaltungspolitik“ oder auch „Mauertaktik“. Es wird vermutet,
dass es sich dabei um eine bewusste Strategie handele, um Widerstand seitens der Bevölkerung zu vermeiden.
Weiterhin erschwerend kommt aus Sicht der befragten Anwohnenden die wahrgenommene Dominanz ökonomischer
Interessen und Motive auf Seiten des Netzbetreibers hinzu. Es
herrscht zum Teil das Gefühl vor, dass es in der Hauptsache
darum geht, Profit zu machen, z. B. die billigste Trassenvariante zu wählen und negative Effekte für Mensch und Natur billigend in Kauf zu nehmen. Auch die Informationen, die über die
Medien transportiert werden, wurden als insgesamt nicht genügend eingeschätzt. Demgegenüber wird das Engagement der
Bürgerinitiativen bzgl. eigener Recherchen und Weiterbildung
bezogen auf die fachlichen Aspekte des Netzausbaus von den
Bürgern in der Region anerkannt und demzufolge deren Vertreter als kompetent in Sachfragen eingeschätzt. Zusammen
mit der ihnen zugeschriebenen Ehrlichkeit und Vertrauenswürdigkeit stellen die Bürgerinitiativen somit einen wichtigen regionalen Ansprechpartner für zukünftige Planungsprozesse dar.
Ausblick
Die Fallstudie konnte zeigen, welche Einflussfaktoren auf die
Akzeptanz des Netzausbaus existieren und dass vor allem
die subjektive Wahrnehmung und Bewertung auch scheinbar
objektiver Tatbestände für die Akzeptanzbildung maßgeblich
sind. Für die zukünftige Netzausbauplanung ist daher ganz
wesentlich das „Wie“ der Informations- und Kommunikationsmaßnahmen, in denen auch die unterschiedlichen Perspektiven der beteiligten Akteursgruppen adressiert werden.
Ausgabe 2/2012 | Juli 2012
Schweizer-Ries, P., Zoellner, J. & Rau, I. (2010). Akzeptanz neuer Netze: Die Psychologie der Energiewende. In N. Boenigk,
M. Franken & K. Simons (Hrsg.) Kraftwerke für Jedermann:
Chancen und Herausforderungen einer dezentralen erneuerbaren Energieversorgung. Sammelband Dezentralität (S. 60-63).
Reinheim: LokayDruck.
Zoellner, J. & Rau, I. (2010). Umweltpsychologische Untersuchung der Akzeptanz von Maßnahmen zur Netzintegration
Erneuerbarer Energien in der Region Wahle-Mecklar (Niedersachsen und Hessen). Abschlussbericht Forschungsgruppe
Umweltpsychologie. Im Auftrag der Deutschen Umwelthilfe.
Autoren
Ein Ansatz, der diesen Umstand berücksichtig, ist beispielsweise die gemeinsame Auswahl von Sachverständigen durch
BürgerInnen und Netzbetreiber. Damit können auf lokaler und
regionaler Ebene einzelne Fachaspekte der Netzausbaualternativen, insbesondere die sensiblen und schwer einschätzbaren
Bereiche wie die mit den Technologien verbundenen gesundheitlichen Risiken, dargestellt und diskutiert werden. Ebenso
ist das Konsultationsverfahren im Rahmen der Erstellung des
Netzentwicklungsplans (NEP) ein richtiger Schritt, der sich im
Sinne eines kontinuierlichen Lernprozesses auf Basis der jetzt
gemachten Erfahrungen weiterentwickeln muss.
Dipl.-Psych. Jan Hildebrand ist wissenschaftlicher
Mitarbeiter in der Forschungsgruppe Umweltpsychologie an der Universität des Saarlandes und am
Institut für ZukunftsEnergieSysteme IZES gGmbH,
Saarbrücken. Seit 2005 bearbeitet er Projekte bzgl.
der Akzeptanz Erneuerbarer Energien und Energieinfrastruktur und promoviert über die öffentliche
Akzeptanz von Windkraftanlagen.
Kontakt:
Forschungsgruppe Umweltpsychologie (FG-UPSY) an der Universität
des Saarlandes, Arbeitsgruppe Sozialwissenschaftliche Energieforschung
am Institut für ZukunftsEnergieSysteme IZES gGmbH
Campus A5.4, Raum 320 , 66123 Saarbrücken
E-Mail: jan.hildebrand@fg-upsy.com; hildebrand@izes.de
www.fg-umwelt.de
Dipl.-Psych. Irina Rau ist seit 2007 wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Forschungsgruppe an der
Universität des Saarlandes mit Außenstelle an der
Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg. Ihre
Forschungsschwerpunkte in der Projektarbeit und
im Rahmen der Promotion sind Partizipationsprozesse und Akzeptanzfragen im Rahmen von Veränderungen des Energieversorgungssystems.
Literatur
Furby, L., Slovic, P., Fischhoff, B. & Gregory, R. (1988). Public Perceptions of Electric power Transmission Lines. Journal of Environmental Psychology, 8, 19-43.
Granger, M., Slovic, P., Nair, I., Geisler, D., MacGregor, D., Fischhoff, B., Lincoln, D. & Florig, K. (1985). Powerline Frequency Electric and Magnetic Fields: A Pilot Study of Risk Perception. Risk
Analysis, 5 (2), 139-149.
Priestley, T. & Evans, G.W. (1996). Resident perceptions of a
Nearby Electric Transmission Line. Journal of Environmental
Psychology, 16, 65-74.
Kontakt:
Forschungsgruppe Umweltpsychologie (FG-UPSY) der Universität des
Saarlandes mit Außenstelle an der Otto-von-Guericke Universität Magdeburg, Forschungsgruppe Umweltpsychologie (FG-UPSY)
Turmschanzenstr. 15; Geb. 54, PSF 4120, 39016 Magdeburg
E-Mail: irina.rau@fg-upsy.com
www.fg-umwelt.de
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EMF Spectrum | Schwerpunkt Niederfrequente Felder
F o r s c h ung
Stephan Joosten, Dominik Stunder
Patientenstudie zur Störung von kardialen Implantaten in elektromagnetischen 50Hz-Feldern
Seit langem ist bekannt, dass die Funktion elektronischer Implantate durch äußere elektromagnetische Felder (EMF) gestört werden kann. Insbesondere für Arbeitnehmer, die beruflich starken
Feldern ausgesetzt sind, stellt sich daher die Frage nach dem
Risiko für eine gesundheitliche Gefährdung. Am Forschungszentrum für Elektro-Magnetische Umweltverträglichkeit (femu)
der RWTH Aachen wurden daher Untersuchungen entwickelt,
die Störschwellen von kardialen Implantaten in elektrischen und
magnetischen 50 Hz-Feldern zuverlässig ermitteln können. Die
Ergebnisse der Studie zeigen, dass auch unter ungünstigen Bedingungen mehr als 50% der 130 bisher getesteten Implantate
nicht beeinflusst werden konnten.
anlagen in Kaufhäusern oder Induktionskochfelder in Küchen.
Generell geht der Trend immer mehr zu kabellosen Geräten,
so dass fortlaufend neue Anwendungsgebiete entstehen wie
die induktive Aufladung von Akkus bei Handys, Laptops oder
sogar Elektroautos. Darüber hinaus entstehen elektromagnetische Felder auch bei der elektrischen Energieübertragung
mit Hochspannungsfreileitungen oder durch Oberleitungen
der Bahn. Jedoch ist uns das Vorhandensein von EMF im Alltag oft nicht bewusst, da sie weder sichtbar, riechbar noch
spürbar sind. Doch auch wenn der Mensch die Existenz nicht
bemerkt, so erzeugt jedes Feld elektrische Spannungen in
unserem Körper.
Elektromagnetische Felder sind aus unserem alltäglichen Leben nicht mehr wegzudenken. Anwendungen verschiedenster
Art nutzen diese technischen Felder. Prominentestes Beispiel
ist der Einsatz von EMF durch mobile Kommunikationsgeräte.
Sowohl bei Handynetzen als auch bei WLAN werden EMF zur
Übertragung verwendet. Weitere Beispiele sind Sicherungs-
Elektronische kardiale Implantate und
deren Störung in EMF
Der Einsatz elektronischer Implantate ist heutzutage eine anerkannte medizinische Therapieform. Kardiale Implantate wie der
Herzschrittmacher (HSM) oder der implantierbare Kardioverter-
Ausgabe 2/2012 | Juli 2012
Defibrillator (ICD) stellen dabei mit weit über 90% den größten Anteil aller eingesetzten elektronischen Implantate. Der
Einsatz von HSM hat sich in den letzten Jahrzehnten als eine
der Standardtherapien bradykarder Herzerkrankungen etabliert: Im Jahr 2010 gab es mehr als 70.000 HSM-Erstimplantationen. Ebenso findet der Einsatz von ICD immer weitere
Anwendungsfelder, so dass bereits im Jahr 2010 die Zahl der
Erstimplantationen deutlich über 20.000 lag [1]. Insgesamt leben somit allein in Deutschland ca. 650.000 HSM- und 130.000
ICD-Patienten, was etwa 1% der Bevölkerung entspricht. Besonders bei den ICD-Patienten ist dabei der Trend auszumachen, dass immer jüngere Patienten bereits ein Implantat
erhalten. Der Grund für diese Entwicklung ist vor allem der
prophylaktische Einsatz der Geräte bei erblicher Vorbelastung.
Bereits in den 1960er Jahren wurde bei den ersten Herzschrittmacher-Implantationen festgestellt, dass EMF deren
korrekte Funktion beeinträchtigen können. Die durch EMF
induzierten und influenzierten Spannungen im Körper überlagern dabei das körpereigene elektrische Herzsignal (iEKG),
so dass das Signal, welches das Implantat zur Analyse heranzieht, ein Signalgemisch aus dem eigentlichen Nutz- und einem Störsignal ist. Bei der Auswertung dieses gestörten iEKG sind dann Fehlinterpretationen möglich. Folglich besteht die
Gefahr, dass notwendige Therapien durch das Implantat nicht
erfolgen oder Therapien ohne Vorliegen einer medizinischen
Notwendigkeit abgegeben werden. Diese Situation, dass eine
solche Beeinflussung erfolgen kann, stellt ein latentes Risiko
dar, da auch in der Wissenschaft keine ausreichenden Erkenntnisse existieren, unter welchen Bedingungen aus medizinischer Sicht ein tatsächliches Risiko für den Implantatträger besteht.
Ein besonderes Problem besteht bei Arbeitnehmern, die beruflich starken EMF ausgesetzt sind. Aufgrund des unklaren Risikos für eine Störung und der aktuellen Rechtslage bedeutet
die Implantation eines HSM oder ICD für diese Gruppe oftmals
eine Veränderung des Arbeitsbereiches bis hin zu einer Umschulung und damit den Verlust des alten Arbeitsplatzes. Dies
erfolgt dabei ohne das Wissen, ob für den Arbeitnehmer tatsächlich eine gesundheitliche Gefährdung durch die EMF am
Arbeitsplatz besteht.
Patientenuntersuchung
An diesem Punkt setzt das Forschungsprojekt „Provokationsstudien mit Implantatträgern“ am Forschungszentrum für ElektroMagnetische Umweltverträglichkeit (femu) der RWTH Aachen
ein. Hierbei werden im Rahmen einer experimentellen Untersuchung die niedrigsten individuellen Störschwellen elektronischer
kardialer Implantate in elektrischen und magnetischen 50 HzFeldern ermittelt. Neben der individuellen Risikobewertung für
jeden Patienten zeichnen sich mittlerweile allgemeine Aussagen
zur Gefährdung von Patienten mit Implantaten durch EMF im
Alltag oder Beruf ab.
Methodik: Felderzeugung
Zur Erzeugung der Magnetfelder mit einer Frequenz von 50 Hz
dienen zwei Kupfer-Spulen, die in einer Helmholtz-Spulenanordnung angebracht sind. Diese spezielle Anordnung, die in
Abb. 1 zu sehen ist, generiert im Bereich zwischen den Spulen
ein homogenes Magnetfeld, in dem der Implantatträger Platz
nimmt. Der Oberkörper des Patienten ist dabei senkrecht zum
Feld ausgerichtet, so dass eine größtmögliche Induktionsfläche im Bereich des Herzens entsteht. Die erzeugten magnetischen Flussdichten reichen bis an den Grenzwert der BGV
B11 (Unfallverhütungsvorschrift der Berufsgenossenschaften)
von 2,5 mT heran [2].
Abb. 1: Situation bei einer Patientenuntersuchung: Der Patient nimmt zwischen den Spulen zur Magnetfelderzeugung Platz, während der Kardiologe
(rechts) die Implantatfunktion überwacht. Mit Hilfe des computergestützten
Testsystems (links) wird das Oberflächen-EKG angezeigt und die Exposition
gesteuert.
Eine Erzeugung homogener elektrischer Felder ist im Labor
aus technischen Gründen nicht möglich, weshalb diese Felder
über die Einspeisung eines Stroms in den Körper der Implantatträger simuliert werden. Über Klebeelektroden im Nackenbereich und an den Füßen des Patienten wird der influenzierte
Körperstrom in vertikalen elektrischen Feldern nachgebildet.
Die Stromstärke ergibt sich dabei aus der Relation zwischen
äußerer elektrischer Feldstärke und dem influenzierten Strom.
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EMF Spectrum | Schwerpunkt Niederfrequente Felder
Dieser Zusammenhang wurde in mehreren wissenschaftlichen
Abhandlungen definiert [3]. In unseren Untersuchungen am
femu kann so ein elektrisches 50 Hz-Feld mit einer Feldstärke
von 30 kV/m (Grenzwert für 50 Hz-Felder der BGV B11 [2])
nachgebildet werden.
Während der Untersuchung sind zwei Ingenieure und zwei
Ärzte anwesend, von denen einer Kardiologe mit entsprechender Implantaterfahrung ist. Die Studie wurde durch die Ethikkommission der Medizinischen Fakultät der RWTH Aachen
genehmigt.
Abb. 2: Schematischer Aufbau des Testsystems: Sowohl die Erzeugung der
Magnetfelder mit den Kupferspulen als auch die Simulation der elektrischen
Felder über die Körperstromeinspeisung ist computergesteuert.
Ablauf der Untersuchungen
Nach der Kontrolle der Implantatfunktion wird zunächst die
höchste programmierbare Wahrnehmungsempfindlichkeit eingestellt. Begonnen wird der Test mit elektrischen Feldern: Die
elektrische Feldstärke wird so lange schrittweise gesteigert, bis
eine Beeinflussung sichtbar oder der Grenzwert von 30 kV/m
erreicht ist. Bei dem Test mit Magnetfeldern wird die magnetische Flussdichte bis zur Beeinflussung des Implantats oder
zum Erreichen des Grenzwertes bei 2,5 mT erhöht. Ein dritter
Durchgang ermittelt die Störschwelle in kombinierten elektrischen und magnetischen Feldern innerhalb der Grenzwerte. Damit ist die Ermittlung der Störschwellen bei höchster
Empfindlichkeit abgeschlossen.
Die magnetischen oder elektrischen 50 Hz-Felder können einzeln oder kombiniert generiert werden. Bei kombinierter Exposition ist die Felderzeugung so abgestimmt, dass sich die jeweiligen Anteile des elektrischen und magnetischen Feldes addieren
und somit die größtmögliche Störspannung im Körper des Patienten entsteht. Eine schematische Übersicht der Felderzeugung
findet sich in Abb. 2.
Im Anschluss wird die Wahrnehmungsempfindlichkeit auf die
Werte zurückgesetzt, mit denen das Implantat zu Beginn der
Untersuchung programmiert war. Der Testdurchlauf mit diesen
Einstellungen ist notwendig, um die Störschwellen bei den alltäglichen Bedingungen festzustellen. Sollte der Durchgang bei
höchster Empfindlichkeit bereits ohne Störung geblieben sein,
kann der Test bei Alltagseinstellungen entfallen.
Methodik: Sicherheit des Patienten
Während der gesamten Untersuchung werden der Herzschlag
des Patienten sowie die Implantatfunktion überwacht. Das
Oberflächen-EKG wird durch ein computergestütztes Messsystem kontinuierlich aufgezeichnet, die Implantatfunktion wird
über das Programmier- und Auslesegerät des Aggregats kontrolliert. Durch das kontinuierliche Monitoring kann die Auswirkung der Störung zu jeder Zeit nachvollzogen und eine Risikobewertung durchgeführt werden.
Für jeden Patienten ergeben sich in dieser Untersuchung die
individuellen Störschwellen für zwei Implantat-Programmierungen: Neben der Schwelle für den Alltag deckt die bei der
höchsten Empfindlichkeitseinstellung ermittelte Schwelle den
Fall ab, dass im Laufe der Zeit die Wahrnehmungsempfindlichkeit des Implantats aus medizinischen Gründen erhöht
werden muss. Für diesen Fall ist dann keine erneute Untersuchung notwendig.
Weiterhin wird zur Sicherheit des Patienten auf eine länger andauernde Störung verzichtet. Die Expositionszeit beträgt 1 - 2 s,
die Felder werden auf die R-Zacke des Patienten-EKG getriggert eingeschaltet. In Studien mit explantierten Implantaten,
sogenannten Benchmark-Tests, konnte nachgewiesen werden,
dass eine solche getriggerte kurzzeitige Expositionssequenz
eine vergleichbare Störung verursacht wie eine andauernde
Feldexposition. Der Schluss von der kurzzeitigen Exposition auf
reale Feldsituationen ist somit zulässig.
Die Sicherheit der Patienten ist während der gesamten Studie gewährleistet. Vor und nach der Untersuchung erfolgt eine
Funktionskontrolle des Implantats, die der halbjährlichen (bei
ICD) bzw. jährlichen (bei HSM) Routineuntersuchung entspricht.
Die detaillierte Auswertung erfolgt im Anschluss an den Untersuchungstermin. Hier werden weitere Informationen über das implantierte System (Sondentyp, Elektrodenabstand etc.) und die
Röntgenaufnahmen des Thorax (genaue Lage der Sonde) zur
Auswertung hinzugezogen. Auf dieser Basis werden die Aufnahmen kontrolliert und jede Expositionssequenz analysiert. Das
Resultat wird in einem Gutachten zusammengefasst und sowohl
dem Implantatträger als auch dem betreuenden Hausarzt und
ggf. dem Betriebsarzt zugesandt.
Ergebnisse
Die Ergebnisse der Untersuchungen zeigen, dass starke elektromagnetische Felder Implantate stören können. Störungen
können dabei sowohl im Vorhof/Atrium (s. Abb. 3) als auch in der
Ausgabe 2/2012 | Juli 2012
Kammer/Ventrikel (s. Abb. 4) auftreten. Die beiden Abbildungen
zeigen Beispiele für solche Störungen. In diesen Fällen ist eine
zuverlässige Funktion nicht mehr sichergestellt, wobei nicht jede
Beeinflussung gleich eine medizinische Konsequenz nach sich
zieht. Dennoch sind vor allem bei länger andauernden Störungen medizinisch relevante Fehlreaktionen wie z. B. die Abgabe
eines inadäquaten Schocks (nur bei ICDs) oder eine schnelle
Stimulation der Kammer möglich.
Insgesamt kann jedoch nach mehr als 130 Untersuchungen
festgehalten werden, dass sich kardiale Implantate als störfest
erweisen. So konnten mehr als die Hälfte der getesteten Implantate in 50 Hz-Feldern im Bereich der BGV B11 (2,5 mT und
30 kV/m [2]) bei höchster Wahrnehmungsempfindlichkeit nicht
gestört werden. Bei alltäglichen Einstellungen (normale Empfindlichkeit) stieg erwartungsgemäß die Zahl der unbeeinflussten Systeme weiter auf über 60%.
Frequenz
[hz]
Elektrische
Feldstärke
e [kv/m]
Magnetische
Flussdichte
b [µT]
50
2-2,6
10-20
50
4-5,1
10-30
50
6-9,6
10-55
50
0,5*
2*
50
0,4*
1*
Bügeleisen
50
0,01
10
Mixer
50
0,2*
20*
50
4*
40*
50
0,1
70
50
0,1-0,9
50
16 2/3
0,1
50
16 2/3
2
136
Anlagen und
Verbraucher
110 kV Hochspannungsfreileitung
220 kV Hochspannungsfreileitung
380 kV Hochspannungsfreileitung
Kleine Verbraucher
(Kaffeemaschinen,
Lampen etc.)
Netzleitungen in
Gebäuden
Abb. 3: Die Störung durch äußere Felder ist in diesem Beispiel im Vorhof/Atrium-Kanal (oberes Signal) deutlich zu erkennen. Das Implantat nimmt neben der
Herzaktion (AS, blaue Pfeile) zusätzlich fehlerhaft eine Vorhofaktion während
der Störung wahr (AS, rote Pfeile). Dies führt zu einer inadäquaten Stimulation
der Kammer/Ventrikel (VP, rote Pfeile, unteres Signal).
Elektrische Bettdecke
Elektroheizung
Fernseher,
Computer
Bahnoberleitung
im Zug
Bahnoberleitung
Abb. 4: Das Signal der Kammer (oberes Signal) ist durch die Feldexposition
sichtbar gestört. Das Implantat erkennt neben dem Herzschlag (blauer Pfeil)
fälschlicherweise weitere Herzaktionen der Kammer (rote Pfeile). Die schnelle
Abfolge der Wahrnehmungen (VS, VF) deutet das Implantat als Kammerflimmern (VF). Bei einer andauernden Störung besteht in einer solchen Situation für
ICD-Patienten die Gefahr einer inadäquaten Schockabgabe.
am Bahnsteig
* Werte gemessen in unmittelbarer Nähe
Tabelle 1: Typische Werte von elektrischen Feldstärken und magnetischen Flussdichten in niederfrequenten Feldern bei alltäglichen Anlagen
und Verbrauchern.
11
12
EMF Spectrum | Schwerpunkt Niederfrequente Felder
Bezogen auf die Grenzwerte für die Allgemeinbevölkerung war
im Bereich der im Alltag zugelassen Felder (100µT, 5 kV/m [5])
bei keiner Untersuchung eine Störung festzustellen. Im Bereich
der normalen beruflichen Umgebungen (Expositionsbereich 2
der BGV B11) trat nur bei einem HSM bei höchster Empfindlichkeit eine Beeinflussung auf, bei normaler Programmierung
war diese nicht reproduzierbar. In beruflichen Umgebungen
mit starken Feldern (Expositionsbereich 1 oder Bereich erhöhter Exposition der BGV B11), wie sie in Umspannanlagen oder
Kraftwerken vorkommen, kann allerdings eine Störung der Implantatfunktion auftreten. Für Betroffene gibt diese am femu
durchgeführte Untersuchung Aufschluss über ein mögliches
Risiko. Sie ist als Laboruntersuchung gemäß der BGI 5111 anerkannt und kann daher als Grundlage für eine Entscheidung
über die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers in den Bereichen starker Felder herangezogen werden. Die Teilnahme an
der Studie ist kostenfrei.
[7] Joosten, S.; Pammler, K.; Silny, J.: The Infuence of Anatomical and Physiological Parameters on the Interference Voltage
at the Input of Unipolar Cardiac Pacemakers in Low Frequency Electric Fields. Physics in Medicine and Biology (2009), Vol.
54(3), S. 591 – 609
[8] Scholten, A.; Joosten, S.; Silny, J.: Uniplar Cardiac Pacemakers in Electromagnetic Fields of High Voltage Overhead Lines.
Journal of Medical Engineering & Technology (2005), Vol. 29(4),
S. 170 – 175
[9] Scholten, A.; Silny, J.: The Interference Threshold of Cardiac
Pacemakers in Electric 50 Hz fields. Journal of Medical Engineering & Technology (2001), Vol. 25(1), S. 1 – 11
[10] Scholten, A.; Silny, J.: The Interference Threshold of Unipolar Cardiac Pacemakers in ELF Magnetic Fields. Journal of
Medical Engineering & Technology (2001), S. 185 – 194
Dieser Artikel wurde erstveröffentlicht in Ausgabe 1/2012 der Zeitschrift
“Strahlenschutzpraxis“ des Fachverbandes für Strahlenschutz e.V.
http://www.strahlenschutzpraxis.com
Autoren
Stephan Joosten, Studium an der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule (RWTH) in Aachen,
1999 Diplom-Ingenieur der Elektrotechnik, seit 2003
wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Forschungszentrum für Elektro-Magnetische Umweltverträglichkeit
(femu) am Uniklinikum der RWTH Aachen tätig auf
dem Gebiet der Störung von elektronischen Implantaten durch elektromagnetische Felder
Literatur
[1] Qualitätsreport 2010, AQUA - Institut für angewandte Qualitätsförderung und Forschung im Gesundheitswesen GmbH, 2011
Dominik Stunder, Studium an der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule (RWTH) in Aachen, 2010 Diplom-Ingenieur der Elektrotechnik und
Informationstechnik, seit 2010 wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Forschungszentrum für Elektro-Magnetische Umweltverträglichkeit (femu) am Uniklinikum
der RWTH Aachen tätig auf dem Gebiet der Störung
von elektronischen Implantaten durch elektromagnetische Felder.
[2] BGV B11 Elektromagnetische Felder: Unfallverhütungsvorschrift. Jedermann Verlag, Heidelberg, 2002
[3] Deno, D. W.: Currents Induced in the Human Body by High
Voltage Transmission Line Field - Measurement and Calculationo of Distribution and Dose. IEEE Transactions on Power Apparatus and Systems (1977), PAS-96 (5), S. 1517 – 1527
[4] El-Fikri, M.; Goltz, S.; Eggert, S.: Störspannungsschwelle für
gegenwärtig implantierte Herzschrittmacher und Defibrillatoren.
Schriftenreihe der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (2005), Fb 1059, Wirtschaftsverlag NW, Bremerhaven
[5] Feldhaus, G.: Bundes-Immisionsschutzgesetzt in der Fassung vom 26. September 2002. 15. Aufl., Praxis Umweltrech,
Müller, Heidelberg, 2002
[6] Fröhlig, G.; Accinelli, S.: Herzschrittmacher- und Defibrillatortherapie: Indikation – Programmierung – Nachsorge. ReferenzReihe Kardiologie, Thieme, Stuttgart, 2005
Kontakt:
Forschungszentrum für Elektro-Magnetische Umweltverträglichkeit (femu)
Institut für Arbeitsmedizin und Sozialmedizin
Universitätsklinikum der RWTH Aachen
Pauwelsstraße 30
52074 Aachen
E-Mail:
joosten@femu.rwth-aachen.de
stunder@femu.rwth-aachen.de
http://www.femu.de
Ausgabe 2/2012 | Juli 2012
R i si k o m anagement
Sarah Drießen
Störbeeinflussung elektronischer Implantate durch elektromagnetische Felder
EMF-Portal bietet einen Überblick
Elektronische Implantate können durch elektromagnetische
Felder (EMF) in ihrer Funktion beeinträchtigt werden. Diese
Tatsache ist seit Jahren bekannt und durch wissenschaftliche
Studien belegt. Insbesondere für Patienten, deren Implantate
vitale Funktionen übernehmen, besteht ein potentielles Risiko,
da durch die Störung des Implantats eine lebensbedrohliche
Situation entstehen kann. Dies trifft vor allem für die Gruppe
der am meisten verwendeten elektronischen Implantate zu, die
Herzschrittmacher und Kardioverter-Defibrillatoren. Aber auch
andere elektronische Implantate, wie Hirnschrittmacher oder
Cochlea-Implantate können durch elektromagnetische Felder
in ihrer Funktion gestört werden.
Abb. 2: Herzschrittmacher moderner Bauart – ein kleiner elektronischer
Taktgeber für Herzen, die zu langsam schlagen oder Aussetzer haben.
Seit den ersten Implantationen vor rund 50 Jahren hat die
Anzahl der kardialen Implantatträger massiv zugenommen.
2010 wurden in Deutschland 105.089 Patienten Herzschrittmacher und 37.939 Patienten Kardioverter-Defibrillatoren implantiert1. Aufgrund einer höheren Lebenserwartung und einer
Zunahme an Herz-Kreislauf-Erkrankungen ist davon auszugehen, dass dieser Trend auch in Zukunft bestehen bleibt.
Abb. 1: Ausschnitt aus der Themenübersicht von Publikationen zu den
Wirkungen elektromagnetischer Felder im EMF-Portal.
1 Vardas P, Auricchio A, Merino JL (2011): The EHRA White Book 2011: The Current
Status of Cardiac Electrophysiology in ESC Member Countries. http://www.escardio.
org/communities/EHRA/publications/Documents/ehra-white-book-2011.pdf
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EMF Spectrum | Schwerpunkt Niederfrequente Felder
magnetischer Felder ausgelöst, bringt aber auch Fragen zur
Sicherheit von Implantatträgern im Umfeld der Stromtrassen
mit sich. Darüber hinaus wirft auch die zunehmende Nutzung
von Elektromobilität zusätzliche Fragen zur gesundheitlichen
Verträglichkeit bzw. elektromagnetischen Interferenz auf. Am
Forschungszentrum für elektromagnetische Umweltverträglichkeit (femu) am Institut für Arbeits- und Sozialmedizin des
Universitätsklinikums Aachen wird diese Problematik im Hinblick auf den wissenschaftlichen Informationsbedarf (EMFPortal) und durch experimentelle Forschung mit Hilfe von
Provokationsstudien mit Patienten aufgegriffen und verfolgt
(s. hierzu den Artikel „Patientenstudie zur Störung von kardialen Implantaten in elektromagnetischen 50 Hz-Feldern“ im
vorliegenden Heft).
EMF-Portal: Übersicht zur Studienlage
Abb. 3: Röntgenaufnahme eines Patienten mit einem implantiertem Herzschrittmacher
In der wissenschaftlichen Literatur finden sich zwar Belege für
das potentielle Risiko einer Störung elektronischer Implantate
durch EMF, konsistente Ergebnisse für eine fundierte Risikoabschätzung gibt es aber nicht. Systematische Reviews zur
aktuellen Literatur sind nicht vorhanden. Ärzten fehlt zu dieser Problematik demzufolge die wissenschaftliche Grundlage
für die Beratung der Patienten, d. h. sie wissen nicht, welche elektrischen, magnetischen oder elektromagnetischen
Feldquellen, insbesondere aus dem beruflichen Umfeld, ein
Risiko für den Implantatträger darstellen können und welche
nicht. Dies führt zu pauschalen Warnungen und zur allgemeinen Verunsicherung des Patienten.
Außerdem existieren sowohl auf nationaler als auch auf internationaler Ebene keine allgemeingültigen Grenzwerte, die
den Aufenthalt von Implantatträgern in EMF des Alltags und
des Berufs regeln. Für die Patienten bleibt die Unsicherheit
bestehen, inwieweit sie im Alltag dem Risiko einer Störung
ihres Implantats durch EMF ausgesetzt sind. Für Menschen,
die beruflich bedingt starken Feldern ausgesetzt sind, bedeutet ein elektronisches Implantat oftmals eine Veränderung des
Arbeitsbereiches bis hin zu einer Umschulung und damit den
Verlust des alten Arbeitsplatzes, ohne dass eine Abschätzung
des tatsächlichen Risikos durchgeführt wurde.
In Deutschland müssen in den nächsten Jahren aufgrund
der Energiewende viele neue Hochspannungsfreileitungen
gebaut werden, wobei der in den norddeutschen OffshoreWindparks erzeugte Strom über neue Trassen zu den industriestarken südlichen Regionen (vornehmlich NordrheinWestfalen, Baden-Württemberg oder Bayern) transportiert
werden muss. Dies hat bereits heftige Diskussionen in der Bevölkerung zu den gesundheitlichen Wirkungen elektrischer und
Das Internet-Informationssystem EMF-Portal, kostenlos
und frei zugänglich unter www.emf-portal.org, bietet unter
dem Menüpunkt „Themenbereiche“ eine Übersicht über die
Kategorisierung von knapp 16.000 Publikationen zu den
Wirkungen elektromagnetischer Felder (Abb. 1). Den Kategorien CPM (Herzschrittmacher, Kardioverter-Defibrillator)
und IMP (aktive elektronische Implantate, passive Implantate) unter der Obergruppe „Geräte/Implantate“ können 268
(CPM) bzw. 95 (IMP) Studien zugeordnet werden, in denen
elektromagnetische Interferenz beobachtet, untersucht oder
simuliert wurde.
Zum Themengebiet der Störbeeinflussung von Herzschrittmachern durch elektrische, magnetische und elektromagnetische
Felder existieren 207 Studien, zu den Wirkungen auf Kardioverter-Defibrillatoren 103 Studien (Abb. 4). Beide ImplantatTypen werden in der Kategorie CPM zusammengefasst. Es ist
zu beachten, dass einige Publikationen beide Implantat-Typen
in einer Studie untersuchen.
Abb. 4: Übersicht der Studien zu aktiven elektronischen Implantaten.
Ausgabe 2/2012 | Juli 2012
In der Kategorie IMP werden Studien zu weiteren aktiven elektronischen Implantaten, wie z. B. Neurostimulatoren, implantierbaren Insulinpumpen oder Retina-Implantaten gesammelt
und kategorisiert. Im Vergleich zu den kardialen Implantaten
werden andere elektronische Implantate selten untersucht. Es
liegen lediglich 22 Veröffentlichungen zu Cochlea-Implantaten
und 18 Studien zu Neurostimulatoren vor. 12 weitere Publikationen befassen sich mit anderen elektronischen Implantaten, wie
z. B. implantierbaren Insulinpumpen, Retina- oder HirnstammImplantaten (Abb. 4). Die restlichen 41 Publikationen aus dem
Profil IMP beschäftigen sich mit der Wechselwirkung zwischen
elektromagnetischen Feldern und nicht-elektronischen passiven
Implantaten, wie z. B. einem künstlichen Hüftgelenk.
Von 363 Publikationen (Kategorien CPM und IMP) befassen sich
150 Studien mit den Wechselwirkungen zwischen elektromagnetischen Feldern medizinischer Geräte und elektronischen Implantaten. So zum Beispiel mit der Magnetresonanztomographie (MRT)
(n=84 Studien), mit medizinischen Geräten im NiederfrequenzBereich (n=42) oder medizinischen Geräten im Hochfrequenz-Bereich (n=24). Darüber hinaus beschäftigen sich 57 Studien mit den
Wechselwirkungen von Mobiltelefonen und 44 Studien mit dem
Frequenz-Bereich der Stromversorgung (50/60 Hz) (Abb. 5).
Aus Abb. 6 wird ersichtlich, dass das Problem der Störbeeinflussung kardialer Implantate durch elektromagnetische Felder vermehrt erst seit knapp 20 Jahren aufgegriffen und veröffentlicht
wurde. Vor 1990 gab es nur vereinzelte publizierte Hinweise.
Dies liegt zum einen daran, dass die weite Verbreitung kardialer
Implantate erst durch den technischen Fortschritt in den 1980er
Jahren möglich wurde. Zum anderen hat aber auch die Verwendung von Geräten, die elektromagnetische Felder emittieren,
in der Vergangenheit stark zugenommen, wie z. B. durch die
Einführung von Mobiltelefonen, Bodyscannern oder neuartigen,
medizinischen Geräten wie dem MRT. Dies bringt gleichermaßen neue Risikoszenarien mit sich.
Abb. 6: Zeitliche Entwicklung der Anzahl publizierter Ergebnisse von 1972
bis 2012 für das Profil CMP zu kardialen Implantanten.
Derzeit wird am femu an einer umfassenden Analyse zur aktuellen Datenlage gearbeitet, indem alle 268 Artikel zu den
kardialen elektronischen Implantaten ausgewertet werden.
Schon jetzt zeichnet sich ab, dass nur ein geringer Teil der
Publikationen experimentelle Studien mit genau bestimmten Expositionscharakteristika und systematisch erfassten
Störschwellen-Ermittlungen ausmacht und der überwiegend
größere Teil Fallberichte von Einzelpersonen oder kleineren
Patientengruppen mit Zufallsbefunden umfasst.
Autorin
Dr. rer. nat. Sarah Drießen arbeitet am
Forschungszentrum für elektromagnetische Umweltverträglichkeit (femu) an der
RWTH Aachen und ist dort Projektleiterin
des EMF-Portals.
Kontakt:
Dr. Sarah Drießen
Forschungszentrum für Elektro-Magnetische Umweltverträglichkeit (femu)
Institut für Arbeitsmedizin und Sozialmedizin
Universitätsklinikum der RWTH Aachen
Pauwelsstr. 30
D-52074 Aachen
Abb. 5: Übersicht über Feldquellen, die in Studien der Kategorie CMP und
IMP untersucht werden.
E-Mail: driessen@femu.rwth-aachen.de
http://www.emf-portal.de
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EMF Spectrum | Schwerpunkt Niederfrequente Felder
TA g u n g sbericht
Frank Gollnick
Öffentlicher Dialog zum Energienetzausbau in Deutschland Bericht von zwei Fachtagungen
Gegen den Ausbau der Energienetze regen sich vielerorts
Proteste der betroffenen Bürger, wobei Umwelt- Gesundheitsund landschaftliche Auswirkungen eine Rolle spielen. Die verantwortlichen Akteure – Netzbetreiber wie staatliche Organe –
setzen daher in öffentlichen Veranstaltungen auf frühzeitige
Information und Beteiligung der Bürger. Hierzu gehören die
„Informationsoffensive des Bundes“ unter gemeinsamem Vorsitz von Bundeswirtschafts- und Umweltministerium (BMWi,
BMU) sowie der im Frühjahr 2012 ins Leben gerufenen „Technik-Dialog der Bundesnetzagentur“ (BNetzA). In einer Reihe
von Fachtagungen und Dialogveranstaltungen, die zum Teil in
Kooperation mit einzelnen Bundesländern und mit der Deutschen Umwelthilfe (DUH) stattfinden, werden zurzeit zentrale
Fragen des Netzausbaus sowie technische und biologische/
umweltrelevante Fragestellungen, die besonders in der fachlichen und öffentlichen Diskussion stehen, allgemein zugänglich diskutiert. Im Folgenden werden Eindrücke von zwei dieser Veranstaltungen geschildert.
Tagung „Aktuelle Studien zum Netzausbau“
Diese Fachtagung fand am 15. März 2012 in der Landesvertretung Niedersachsen in Berlin statt und wurde gemeinsam von
BMU, DUH und dem Niedersächsischem Umweltministerium
veranstaltet. Hier wurden die Ergebnisse bzw. Teilergebnisse
von fünf abgeschlossenen und einer noch laufenden Studie vorgestellt und diskutiert:
• Ökologische Auswirkungen von 380-kV-Erdleitungen
und HGÜ-Erdleitungen. BMU-Studie (2012), efzn/
OECOS (efzn-Schriftenreihe, http://www.efzn.de/forschung/efzn-schriftenreihe/)
• Ausbau elektrischer Netze mit Kabel oder Freileitung
unter besonderer Berücksichtigung der Einspeisung
Erneuerbarer Energien. BMU-Studie (2011), I-ZES/
BET/PowerEngS (http://www.erneuerbare-energien.de/
erneuerbare_energien/downloads/doc/47934.php)
Ausgabe 2/2012 | Juli 2012
• Akzeptanz des Netzausbaus in der Bevölkerung: Aktuelle
Befunde aus Swissgrid-Metastudie (2011) und RESIDENS-Projekt Thüringen (2011). TU Ilmenau (http://www.
tu-ilmenau.de/empk/forschung-research/umwelt-energieund-klimakommunikation/energiekommunikation/) • Restriktionen für die Integration hoher Anteile erneuerbarer Energien in die leitungsgebundene Energieversorgung (ReNet), BMU-Studie, TU Berlin (http://www.
tu-berlin.de/?id=93092)
Von den politisch ausgerichteten Referenten wurden vor fast
200 Tagungsteilnehmern die Schwerpunkte auf den tatsächlichen Umfang des Ausbaubedarfs, den eng gesteckten zeitlichen Rahmen des Netzausbaus und die Akzeptanzprobleme
in der Bevölkerung gelegt. Ob wirklich auch die letzte Kilowattstunde noch ins Netz eingespeist werden muss, werde in den
nächsten Monaten noch diskutiert, so Bertold Goeke, Leiter
der Unterabteilung „Erneuerbare Energien“ im BMU. Akzeptanz und der beste Weg der Machbarkeit stünden dabei im Vordergrund. Staatssekretärin Ulla Ihnen vom Niedersächsischen
Umweltministerium sprach von über 14.000 Einwendungen,
die allein beim Trassenabschnitt Wahle-Mecklar bereits im
Raumordnungsverfahren erhoben wurden. Je nach wirtschaftlicher Verantwortbarkeit in Bezug auf elektrische Umwandlungs- und Übertragungsverluste solle ihrer Meinung nach eine
Teilverkabelung in Siedlungsnähe grundsätzlich gesetzlich zugelassen werden, auch über die vier im EnLAG geplanten Pilotprojekte hinaus. Von Rainer Baake, Bundesgeschäftsführer
der DHU, wurde betont, dass es sich bei den Menschen, die
gegen die Stromtrassen vor ihren Häusern protestieren, nicht
um „Wutbürger“ handele, sondern um Bürger, die nachvollziehbare Erklärungen und eine Minimierung der Maßnahmen
auf das notwendige Maß fordern. Das Forum Netzintegration
der DHU hat in diesem Zusammenhang Ende 2010 der Regierung den „Plan N“ für einen zügigen Stromnetzausbau mit
Handlungsempfehlungen an die Politik übergeben.1 Der Plan
beschreibt Wege zu einem konfliktärmeren und schnelleren
Um- und Ausbau der Stromnetze und zeigt eine konstruktive
Rolle von Bürgerinitiativen auf. Laut Christian Schwarzenholz
vom Niedersächsischen Umweltministerium setzt die Landesregierung dabei auf Information und Kommunikation, z. B. in
Form Runder Tische. Schwarzenholz forderte jedoch, das
Land brauche mehr „materielle Spielräume“, um weiteren Konsens zu erzielen – und deutete dabei auf die Möglichkeit von
Kompensationszahlungen hin. Bei Akzeptanzproblemen mit
380 kV-Leitungen wurden die folgenden Prioritäten zur bestmöglichen Lösung vorgeschlagen:
1 http://www.duh.de/pressemitteilung.html?&tx_ttnews%5Btt_news%5D=2457
1. Vorbeiführen von Freileitungen an Siedlungen in größtmöglicher Entfernung
2. Erdkabel (-teilabschnitte)
3. Kompensationszahlungen
Martin Groll (TenneT) sieht vielmehr die Übertragungsnetzbetreiber in der Rolle „zu planen, zu informieren und zu diskutieren“. Über den Stand der Erarbeitung des nationalen Netzentwicklungsplans Strom (NEP) wurde von Achim Zerres (Leiter
der Abteilung Energieregulierung bei der BNetzA) informiert. Er
sprach dabei auch noch ungeklärte Fragen, z. B. der Versorgungssicherheit und -Qualität, aus Sicht des verantwortlichen
Regulierers an.
Eindrücke aus den Diskussionen
Bei den Diskussionen zu den Vorträgen und während der Podiumsdiskussion standen Erdkabel-Befürworter im Vordergrund.
Es wurde deutlich, dass die Mehrkosten gegenüber Freileitungsstrecken nicht mehr so hoch angesetzt werden müssen
wie früher angenommen – vor allem, wenn bei wirtschaftlichen
Berechnungen die Mehrkosten durch protestbedingte Ausbauverzögerung, also auch volkswirtschaftliche Kosten, einkalkuliert
werden. Drehstrom-Erdkabel sind in Abhängigkeit von Leistung
und Länge ca. 3- bis 4-mal teurer als Drehstrom-Freileitungen
(Lutz Hofmann, Christian Rathke, Universität Hannover). Anhand einer Beispielrechnung wurde gezeigt (Hermann Guss,
IZES), dass im betrachteten Modellfall die Mehrkosten einer
Teilverkabelung mit den Kosten einer einjährigen Verzögerung
vergleichbar sind. Ein Vertreter der Übertragungsnetzbetreiber
(Martin Groll, TenneT) wies in diesem Punkt aber mehrfach auf
mangelnde Betriebserfahrung mit Höchstspannungs-Erdkabeln
hin und nannte als erste Priorität die Versorgungssicherheit. Hier
wurde weiterer Forschungsbedarf deutlich, auch weil Behauptungen der Netzbetreiber im Raum standen („Erdkabel erst ab
20 km Übertragungsentfernung sinnvoll“), die sich nicht überprüfen ließen.
Im Anschluss an die Ausführungen zu der ökologischen Studie
wurde bemängelt, dass Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragungsleitungen (HGÜ) darin nicht explizit berücksichtigt wurden. Während dieser Schwachpunkt Raum für Nachbearbeitungen lässt, ist der Aspekt der Gefahr für Vögel durch Kollision
an Freileitungen in der Studie jedoch ausführlich berücksichtigt
worden. Eine Berechnung der Wirtschaftlichkeit von DrehstromErdkabeln im Vergleich zu HGÜ-Erdkabeln ergab, dass die
HGÜ-Leitung ab 130–250 km Übertragungsentfernung (je nach
übertragener Leistung) gegenüber der Drehstromtechnologie
günstiger wird (Lutz Hofmann, Christian Rathke, Universität Hannover). Vertreter von Bürgerinitiativen (BI) in der Zuhörerschaft
17
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EMF Spectrum | Schwerpunkt Niederfrequente Felder
fühlten sich in ihren Argumente durch die Ausführungen von
Elke Bruns (TU Berlin) zur „Akzeptanz von Stromleitungen
und der Analyse der Restriktionen für ihre Genehmigung“ nicht
ernst genommen. Sie wehrten sich gegen Formulierungen, in
denen Bruns den Schwerpunkt aus Sicht der BI-Vertreter zu
sehr auf „Planbarkeit“ und „Beeinflussbarkeit“ von Akzeptanz
anstatt auf die ernsthafte Auseinandersetzung mit den Gegner-Argumenten legte. Bei diesen Argumenten hielten sich im
Auditorium der Landschaftsschutz und die Furcht vor Gesundheitsgefahren durch Feldimmissionen der Leitungen etwa die
Waage. Abweichend davon ergab die o. g. Umfrage im Rahmen
des RESIDENS-Projekts in Thüringen nur einen Anteil von 7
Prozent der Befragten, die mögliche Gesundheitsschäden als
Einwand gegen den Netzausbau angaben.
Laut Karsten Runge (Universität Lüneburg) steht der Gesundheitsschutz in den Abwägungen oft dem Umwelt- und Landschaftsschutz als Schutzgut gegenüber. Paradoxerweise wiege
der Naturschutzwert dabei sogar schwerer als der Gesundheitsschutz des Menschen, weil er gesetzlich enger geregelt sei.
100 Mikrotesla (µT) als Grenzwert für magnetische Wechselfelder sei meist kein Hinderungsgrund, die Leitungen nahe an
Siedlungen heran zu bauen. So würde in der Praxis der Abwägungen oft der Umwelt- und Landschaftsschutz aufgrund seiner
viel restriktiveren Regelungen „gewinnen“.
Technik-Dialog der BNetzA zu „Freileitungen
und Erdkabeln“
Zu dieser Fachtagung kamen am 17. und 18. April 2012 ca.
160 Teilnehmer nach Hannover. Nach den in den Fachvorträgen vorgeschlagenen Möglichkeiten, die Freileitungstechnologie zu optimieren und umweltverträglicher zu gestalten, wurde
deutlich, dass solche Varianten bei den betroffenen Bürgern
nur wenig zur Akzeptanzerhöhung beitragen können. Auch aus
rein technischer Sicht wurde das Optimierungspotenzial eher
zurückhaltend aufgenommen, wenngleich zumindest in puncto
Übertragungsleistung gewisse mögliche Beiträge zur Verbesserung an bestehenden wie auch neu aufzubauenden Systemen
klar wurden (z. B. Hochtemperaturseile, Leiterseilmonitoring für
witterungsabhängigen Betrieb, Erhöhung der Übertragungsspannung, Innovative Mastkonzepte, Kombination von Infrastrukturen, Drehstrom-Gleichstrom-Hybridmasten). Über ein interessantes Modell der Interessenabwägung „Freileitungen oder
Erdkabel“ in der Schweiz berichtete Cornelia Gogel (Schweizer
Bundesamt für Energie; Beitrag hierzu in der nächsten Ausgabe
des „EMF Spectrums“). Bei der Tagung standen die Feldimmissionen sowie die Themen „Erdleitungen“ und „HGÜ“ als mögliche akzeptanzsteigernde Maßnahmen im Vordergrund.
Erdleitungen
In den Diskussionen wurde deutlich, dass auch bei Bürgern, die
dem Netzausbau kritisch gegenüberstehen, keine grundlegend
ablehnende Haltung besteht. Der Netzausbau wird überwiegend
als notwendig angesehen. Bei der Frage nach der technischen
Ausgestaltung zeigte sich aber, dass Kompromisslösungen unter Verwendung der herkömmlichen oder modifizierten Drehstrom-Freileitungstechnik wenig Akzeptanz finden, wenn es um
die Nähe zu Siedlungen geht. Erdleitungslösungen, welcher Art
auch immer, werden generell bevorzugt – notfalls als Hybridleitungen, bei denen die Stromleiter wenigstens in Siedlungsnähe
unter die Erde verlegt werden. Landschaftsschutzaspekte, die
bei Erdleitungen mindestens ebenso stark beachtet werden
müssen wie bei Freileitungen, spielen in der Argumentation nur
eine untergeordnete Rolle. Lediglich Landwirtschaftsverbände
sprechen sich klar gegen Erdleitungen aus oder, falls unausweichlich, für höhere Kompensationszahlungen. Da das BfS
deutlich ausspricht, dass es noch wissenschaftliche Unsicherheiten in puncto Kinderleukämierisiko durch schwache Magnetfelder unterhalb des Grenzwertes gibt, beruft man sich in Argumenten zum Gesundheitsschutz unter anderem auf die hierauf
bezogenen Vorsorgeempfehlungen des BfS. Einschränkungen,
die genannt werden müssen und die das BfS auch nennt (z. B.
die im Vergleich stärkeren Magnetfelder direkt oberhalb von Erdkabeln und der Umstand, dass „wissenschaftliche Unsicherheit“
nicht als Beweis eines erhöhten Risikos gewertet werden darf),
werden in der Argumentation für Erdkabel leicht außer Acht gelassen. Als Optimum wird von kritischen Bürgern die aufwändigste technische Lösung betrachtet – HGÜ als Gasisolierte
Erdleitung (GIL) – da hierbei fast keine Felder mehr an die Erdoberfläche dringen.
Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragungsleitungen (HGÜ)
Diese Technologie wurde bei der Fachtagung ausführlich und
positiv diskutiert. Sie ist mittlerweile so ausgereift, dass sie nach
Aussagen der Anbieterfirmen auch in das vermaschte System
der Stromversorgung in Deutschland als Ergänzung – speziell
für Ferntransportaufgaben – sofort integriert werden kann. Im
Ausgabe 2/2012 | Juli 2012
heraus „sympathischer“ als Wechselfelder. Außerdem existiert
keine wissenschaftliche Literatur, die Hinweise auf ähnliche Risiken wie im Falle von magnetischen Wechselfeldern und Kinderleukämie liefert.
Politische Maßnahmen
Mittlerweile wurde durch die Veröffentlichung des Entwurfs für
den ersten nationalen Netzentwicklungsplan Strom am 30. Mai
2012 deutlich, dass von den darin vorgesehenen 3.800 km
neuer Übertragungsnetzleitungen nach Vorstellung der Netzbetreiber 2.100 km in HGÜ-Technik realisiert werden sollen.2 Im
Vorfeld dessen boten die beiden hier zusammengefassten Veranstaltungen einen guten Überblick über Fakten, Stimmungen
und Gemengelage in der Diskussion um den erforderlichen
Stromnetzausbau in Deutschland. Die BNetzA führt zurzeit parallel zur öffentlichen Konsultation und Erstellung des NEP eine
strategische Umweltprüfung durch, deren Ergebnisse bis zum
Herbst in einem Umweltbericht veröffentlicht werden sollen.3
Mittelpunkt steht dabei die „selbstgeführte HGÜ-Technologie“
(HVDC Light, VSC-HGÜ), die gewisse Vorteile gegenüber der
klassischen HGÜ-Technologie aufweist, welche schon lange für
die Fernübertragung von Strom eingesetzt wird (Landübertragung im Ausland, Seekabel auch auf deutschem Gebiet). Entscheidend war die Leistungsentwicklung der letzten Jahre bei
den VPE-Gleichstromkabeln und bei den Gleichstromschaltern,
welche bei der Verbindung einzelner Multi-Terminal-Systeme (z. B. in einem geplanten vermaschten Overlay-Netz) zur
Trennung im Fehlerfall eingesetzt werden können. Es sind
grundsätzlich Freileitungen oder Kabel möglich, auch hybride
Wechselstrom-/Gleichstrom-Freileitungen.
Bei den Umweltauswirkungen ergeben sich bei HGÜ gewisse
Vorteile (z. B. weniger Verlustwärme, weniger Aufwand für Kabelmuffen, höhere Übertragungsleistung pro Kabel), bei den
Feldimmissionen zeigte sich jedoch in den Diskussionsrunden
noch eine große Unsicherheit in Bezug auf Art, Ausmaß und
mögliche Wirkung der Felder. HGÜ-Erdkabel und -Freileitungen produzieren je nach Größe des Stromflusses magnetische
Gleichfelder etwa in der Stärke des Erdmagnetfelds (35-70 µT)
oder etwas darüber. Es ist noch nicht bekannt, wie technisch
produzierte, zusätzliche magnetische Gleichfelder an Land auf
Umwelt und Gesundheit wirken. Außerdem treten bei HGÜ-Freileitungen relativ starke elektrische Gleichfelder auf (vor allem bei
hohen Übertragungsspannungen über 380 kV), deren mögliche
Wirkung praktisch überhaupt noch nicht in der (öffentlichen) Diskussion steht. Hier herrscht offenbar noch einiger Forschungsund Regulierungsbedarf. In der Diskussion zeigte sich aber
trotzdem deutlich, dass die Akzeptanz von HGÜ bei engagierten
Bürgern schon „im Voraus“, also noch vor der geplanten Einführung der Technologie im Übertragungsnetz, wesentlich größer
ist als bei allen technischen Varianten der Drehstromübertragung. Offenbar sind Magnetfelder, die dem natürlichen Erdmagnetfeld ähnlich sind, den betroffenen Bürgern aus dem Gefühl
Die Dokumentationen aller Vorträge der beiden Veranstaltungen
stehen zum Download zur Verfügung:
•
Fachtagung „Aktuelle Studien zum Netzausbau“: http://www.forum-netzintegration.de/127/
•
Technik-Dialog der BNetzA zu „Freileitungen und Erdkabeln“: http://www.bundesnetzagentur.de/cln_1911/
DE/Sachgebiete/ElektrizitaetGas/VortraegeVeranstaltungen/TechnikDialog_FreileitgnErdkabel_Basepage.
html?nn=68348
2 http://www.netzentwicklungsplan.de/
3 http://www.bundesnetzagentur.de/cln_1911/DE/Sachgebiete/ElektrizitaetGas/
StromNetzEntwicklung/StromNetzEntwicklung_node.html
Autor
Dr. Frank Gollnick ist Mitarbeiter im WIK. In der
Arbeitsgruppe „EMF und Umwelt“ beschäftigt er
sich mit der verständlichen Aufarbeitung und Zusammenfassung sowie der Analyse und Bewertung
wissenschaftlicher Fakten zur Wirkung elektromagnetischer Felder auf Mensch und Umwelt.
Kontakt:
Dr. Frank Gollnick
WIK Arbeitsgruppe EMF & Umwelt
Rhöndorfer Str. 68
53604 Bad Honnef
Tel. 02224-9225-57
E-Mail: f.gollnick@wik.org
http://www.wik-emf.org
19
20
EMF Spectrum | Forschung
F o r s c h ung
Sandra van 't Padje, Janine Blom und Louri 't Hart
Der Aufbau einer wissenschaftlichen EMFInfrastruktur in den Niederlanden
ZonMw finanziert in den Niederlanden Gesundheitsforschung
und fördert die Anwendung vorhandenen Wissens zur Verbesserung der Gesundheit und der Gesundheitsversorgung.
Die Organisation führt mehr als 80 Programme durch, die von
der Verbesserung wissenschaftlicher Standards bis hin zur
Entwicklung und Prüfung von Innovationen, oder der Koordination einer großflächigen Einführung von erprobten Innovationen reichen. Eines davon ist das Programm Elektromagnetische Felder und Gesundheit.
Ziel des Programms EMF&H
Das Programm wurde im Jahr 2006 mit einem Budget von
16,6 Millionen € ins Leben gerufen. Es hat eine Laufzeit von
acht Jahren (2006 bis 2014) und zielt darauf ab, die niederländische Wissensinfrastruktur in diesem Bereich weiterzuent-
wickeln. Letztlich sollen die verbesserten Kenntnisse über EMF
dazu beitragen, deren positive und negative Auswirkungen auf
die Gesundheit abzuklären. Die Infrastruktur ist so konzipiert,
dass sie einen substanziellen Beitrag zur internationalen Forschungsarbeit leisten kann. Informationen über das Programm
und seine Forschungsergebnisse erfolgen in enger Zusammenarbeit mit der “Wissensplattform Elektromagnetische Felder und
Gesundheit” (siehe Kasten).
Innerhalb von acht Jahren soll in den Niederlanden eine eigene wissenschaftliche Infrastruktur auf dem Gebiet der elektromagnetischen Felder (EMF) aufgebaut sein. Als Antwort auf die
Sorgen in der Öffentlichkeit über mögliche gesundheitliche Auswirkungen der Exposition gegenüber EMF, zum Beispiel durch
UMTS und Hochspannungsleitungen, hat die niederländische
Regierung ein Programm für eine gezieltere Forschung initiiert.
Die Arbeit soll eng mit der Forschung in anderen Ländern verzahnt sein, damit die weltweit bereits gewonnenen Erkenntnisse
optimal genutzt werden können.
Die Organisation ZonMw
Im Jahr 2006 hat das Ministerium für Infrastruktur und Umwelt
die Niederländische Organisation für Gesundheitsforschung
und -entwicklung (ZonMw) mit dem Forschungsprogramm Elektromagnetische Felder und Gesundheit (EMF&H) beauftragt.
Drei Forschungsbereiche
Basis für die Auswahl der Forschungsbereiche des EMF&HProgramms ist das Gutachten des Niederländischen Gesundheitsrates (Health Council) vom Mai 2006. Das Programm ist
breit angelegt, was bedeutet, dass es sowohl das gesamte
elektromagnetische Spektrum (0-300 GHz) berücksichtigt als
auch eine Reihe unterschiedlicher Forschungsgebiete umfasst.
Dazu gehören die epidemiologische/sozialwissenschaftliche,
die biologische und die technologische Forschung. Eine groß
angelegte epidemiologische Untersuchung könnte die Auswirkungen von EMF auf die Gesundheit offenlegen. Auch die Risikowahrnehmung und die Risikokommunikation spielen in Anbetracht der in der Öffentlichkeit bestehenden Bedenken eine
wichtige Rolle. Biologische Forschung wiederum ist notwendig
für ein besseres Verständnis der potenziellen positiven oder
negativen Auswirkungen von EMF auf Organismen – sowohl
Ausgabe 2/2012 | Juli 2012
auf molekularer oder zellulärer Ebene als auch auf den Organismus als Ganzes. Technologische Forschung kann verbesserte Messsysteme und -modelle für den Einsatz in weiteren
Studien liefern.
Für jedes der drei Forschungsgebiete wurde ein Lehrstuhl eingerichtet. Den Lehrstuhl für die Epidemiologie gesundheitlicher
Auswirkungen einer EMF-Exposition hat Professor H. Kromhout
vom Institut für Risikoforschung der Universität Utrecht inne. Den
Lehrstuhl für Technologische Forschung teilen sich Professor
A. P. M. Zwamborn von der Technischen Universität Eindhoven
und Prof. G. C. van Rhoon von der Erasmus-Universität Rotterdam. Professor R. Kanaar von der Erasmus-Universität Rotterdam ist Lehrstuhlinhaber des Fachbereichs Biologische Forschung. Die Einrichtung dieser drei Lehrstühle ist ein wichtiger
Schritt, um die Ziele des EMF&H-Programms zu erreichen, insbesondere die Verbesserung der wissenschaftlichen Infrastruktur im Bereich EMF. Die Lehrstuhlinhaber sind Repräsentanten
des Forschungsverbundes, stehen mit anderen EMF-Wissenschaftlern in den Niederlanden in Kontakt und stellen das notwendige Netzwerk für die Infrastruktur bereit.
Forschungsprojekte
Innerhalb der drei Forschungsgebiete werden unterschiedliche
Projekte gefördert. Die Themen der Vorhaben spiegeln dabei
das sehr breit angelegte Programm wider. Die Studien reichen
von der Grundlagenforschung zur Aufklärung biologischer Wirkmechanismen unter EMF-Exposition bis hin zur praxisorientierten Forschung, die die Zusammenarbeit zwischen Hochschulen
und ausführenden Institutionen, wie zum Beispiel kommunalen Gesundheitsämtern, erleichtern soll; ebenso von multidisziplinärer Forschung bis hin zu technologischer Forschung zur
Verbesserung der Messung und Modellierung von EMF. So
untersucht einer der Wissenschaftler des Technologiesektors
Hotspots im Gewebe, die unter Einfluss eines 7-Tesla Magnetresonanztomografen (MRT) entstehen, und sondiert damit das
angemessene Gleichgewicht zwischen Patientensicherheit und
der Aufnahmequalität eines 7-Tesla MRT. In weiteren Technologieprojekten werden computerbasierte Körpermodelle für Kinder
unterschiedlichen Alters entwickelt oder die durchschnittliche Exposition im Alltag gemessen. Biologische Studien untersuchen
beispielsweise die Wirkung niederfrequenter Felder (NF) auf das
Immunsystem und die Funktion der Nervenzellen. In anderen
Projekten wird die Wirkung hochfrequenter Felder (HF) auf die
Embryonalentwicklung an einem Huhn als Tiermodell erforscht.
Ein weiterer Schwerpunkt des Programms ist das Thema Risikowahrnehmung und Verbesserung der Kommunikation über
EMF. Kognitive Funktionen bei Kindern und unspezifische
Wi ss e nsp l at t f o r m E l e k t r o m a g n e t isc he
F e l d e r u n d G e su n d h e i t (EMF & H)
Das Ministerium für Infrastruktur und Umwelt hat vor dem Hintergrund der komplexen und (manchmal) inexakten Informationen, die
über EMF-Forschung verbreitet werden, den Aufbau der Wissensplattform EMF&H empfohlen. Ihr Ziel ist es, Öffentlichkeit und Arbeitnehmer dabei zu unterstützen, die Aussagekraft wissenschaftlicher
EMF-Studien zu verstehen und einzuschätzen. Die Plattform ist das
Ergebnis einer Zusammenarbeit zwischen dem Nationalen Institut
für öffentliche Gesundheit und Umwelt (RIVM), der Telekommunikationsbehörde Agentschap Telecom, dem Verband der kommunalen
Gesundheitsdienste (GGD-NL), den Forschungsinstituten TNO und
KEMA sowie der niederländischen Organisation für Gesundheitsforschung und -entwicklung (ZonMw). Der niederländische Gesundheitsrat ist in beratender Funktion beteiligt.
Die Wissensplattform EMF&H setzt sich aus einem Beirat, einem
Wissenschaftsforum und einem Kommunikationsforum zusammen,
in denen jeweils Vertreter der teilnehmenden Organisationen mitarbeiten. Das Wissenschaftsforum bereitet Auslegungsleitlinien und
Antworten vor, die von der Plattform publiziert werden. Das Kommunikationsforum spielt eine wichtige Rolle bei der Identifizierung von
Fragen, die für die Öffentlichkeit wichtig sind, und berät im Hinblick
auf den Wortlaut der Leitlinien.
Die Wissensplattform organisiert darüber hinaus ein “Sounding
Board”, also ein Beratungsgremium, das die Resonanz aller beteiligten Interessensgruppen wiedergibt. Damit soll sichergestellt werden,
dass die Aktivitäten der Plattform und des ZonMw Forschungsprogramms den Fragen und Anliegen der Öffentlichkeit so gut wie möglich Rechnung tragen. Die Mitglieder des „Sounding Board“ repräsentieren Organisationen, die sich für spezifische Interessen einsetzen,
zum Beispiel die der allgemeinen Öffentlichkeit, von Unternehmen,
Arbeitnehmern, Arbeitgebern und Behörden. Sie sind aber nicht an
der Wissensplattform beteiligt. Insbesondere wird versucht solche Organisationen zu beteiligen, die sich mit gesundheitlichen Aspekten von
EMF beschäftigen. Die Treffen der Fokusgruppe finden mindestens
einmal jährlich statt.
Symptome im Zusammenhang mit EMF werden epidemiologisch
untersucht. So begann im Jahr 2008 eine große prospektive Kohortenstudie, die die möglichen gesundheitlichen Risiken der Exposition gegenüber EMF in den Niederlanden abklären soll.
Bis Februar 2012 wurden 46 Projekte gefördert, darunter 22 internationale Kooperationen mit einem Maximalförderbetrag von
jeweils 50.000 €. Die ersten Projekte starteten im Jahr 2007, die
letzten zu Beginn des Jahres 2011. Auf der ZonMw Webseite
(www.zonmw.nl/emv) sind die wissenschaftlichen Zusammenfassungen der geförderten Projekte in englischer Sprache verfügbar. Auch die Ergebnisse der einzelnen Projekte werden dort
in Kürze zum Download angeboten.
21
22
EMF Spectrum | Forschung
Überblick über die Projekte und Projektnehmer des ZonMw-Forschungsprogramms „Elektromagnetische Felder und Gesundheit“
Die letzte Ausschreibung
Im Herbst 2011 wurde ein Projekt zur Entwicklung eines Diagnoseinstruments für die Erfassung der Elektrosensibilität
ausgeschrieben. Dieser Projektaufruf war das Ergebnis zweier
Sitzungen der Wissensplattform EMF&H, in denen die Notwendigkeit zur weiteren Untersuchung der Elektrosensibilität
diskutiert wurde. Der Programmausschuss sah sich durch
die Ergebnisse der Debatten veranlasst, 300.000 € für dieses
Projekt zur Verfügung zu stellen. Um die Anforderungen und
Möglichkeiten dafür auszuarbeiten, veranstaltete ZonMw ein
Expertentreffen, an dem 17 Experten aus verschiedenen Wissensdisziplinen teilnahmen. Die Angebotsfrist für Projektvorschläge endete am 1. Dezember 2011.
Begleitung der Projekte
Alle geförderten Projekte werden durch ZonMw betreut und
die EMF&H Projektleiter treffen sich mindestens einmal im
Jahr mit dem Aufsichtsgremium. Dieses wurde mit Experten unterschiedlicher Disziplinen besetzt, um möglichst
umfassend Kompetenz zu bündeln und Empfehlungen für
die Ausgestaltung und die Durchführung der Projekte geben zu können. Das Aufsichtsgremium berät auch über die
Kommunikation und Umsetzung der Ergebnisse und hält den
Programmausschuss über den Fortschritt der Projekte auf
dem Laufenden.
Internationale Zusammenarbeit
Die geförderten Projekte müssen eng mit der Forschung in anderen Ländern verknüpft sein, damit das weltweit vorhandene
Wissen optimal genutzt werden kann. Diese Internationalisierung des Programms wird auf verschiedene Weise realisiert: Die
Mitglieder des Programmausschusses sind Experten aus unterschiedlichen EMF-Fachgebieten und aus verschiedenen Ländern. Sie beraten ZonMw bei der Durchführung des Programms
und der Begutachtung von Anträgen. Damit sorgen sie dafür,
dass dem internationalen Interesse Rechnung getragen wird.
Auf der Projektebene wurde die internationale Komponente
durch die Ausschreibung “Internationale Kooperation und Austausch” verwirklicht. Diese bietet EMF-Forschern Anreize für
einen Erfahrungsaustausch mit internationalen Experten. Bis
Februar 2012 konnten hier 22 internationale Anträge gefördert
werden. Die unterstützten Maßnahmen reichen vom Erlernen
einzelner Labortechniken über die Seminarorganisation gemeinsam mit ausländischen Experten bis hin zur Teilnahme an
Ausgabe 2/2012 | Juli 2012
internationalen Studien. Im Jahr 2009 erhielt Professor Kromhout in Utrecht den Zuschlag für ein großes internationales Projekt, das die niederländische prospektive Kohortenstudie über
ELF- und HF-Exposition in die internationale Kohortenstudie zu
Handynutzung und Gesundheit (COSMOS) einbinden wird. Zu
einer der Teilaufgaben gehört der Aufbau eines DatenanalyseZentrums für diese internationale COSMOS-Studie.
Wissenschaftliche Infrastruktur im Bereich
EMF&H in den Niederlanden
Vor dem Start des ZonMw Programms EMF&H im Jahr 2006
gab es in den Niederlanden nur ein begrenztes wissenschaftliches Fachwissen zur Erforschung der Auswirkungen von EMF.
Die geförderten Projekte bilden nun die Grundlage der niederländischen wissenschaftlichen Infrastruktur – aber Infrastruktur
bedeutet wesentlich mehr als einzelne Forschungsprojekte,
die an zehn verschiedenen Forschungsinstituten und Universitäten durchgeführt werden. Weitere wesentliche Faktoren sind
die Größe der Arbeitsgruppen an den Instituten und Universitäten, die Zusammenarbeit zwischen den niederländischen Forschungsgruppen sowie die internationale Zusammenarbeit.
Innerhalb der zehn Institute und Universitäten sind der ZonMw
sieben Kooperationen bekannt. Die Projektleiter der 44 EMFProjekte benennen insgesamt 54 Kooperationen, davon 19 auf
internationaler Ebene.
Die erste Hälfte des ZonMw Programms EMF&H konzentrierte
sich mit der Förderung der Forschungsprojekte vor allem auf die
Finanzierung der wissenschaftlichen Infrastruktur. Nach der fast
vollständigen Ausschöpfung des Budgets wird sich der Fokus
nach dem Abschluss des Programms auf die Aufrechterhaltung
der Infrastruktur verlagern.
Autorinnen
Die Autorinnen sind bei der
niederländischen Organisation für Gesundheitsforschung und -entwicklung
(ZonMw) tätig. ZonMw
finanziert Gesundheitsforschung und fördert die
Umsetzung der Studien-
ergebnisse zur Verbesserung von Pflege und Gesundheit in der Praxis. Im Durchschnitt
unterhält ZonMw 80 Programme und vergibt Fördermittel in Höhe
von rund 200 Millionen € pro Jahr.
Die Autorinnen und ihre Aufgaben:
Sandra van 't Padje (Mitte) begann ihre Tätigkeit bei ZonMw im Jahr
2007 als Programm-Assistentin für mehrere Projekte. Im Jahr 2008
wurde sie Programmdirektorin für das Programm „Elektromagnetische Felder und Gesundheit“.
Janine Blom (links) begann ihre Tätigkeit bei ZonMw im September 2008 als Programm-Assistentin für mehrere Projekte, unter
anderem für das Programm „Elektromagnetische Felder und Gesundheit“. Seit Januar 2011 ist sie Programmdirektorin für die Projekte „Translationale Forschung“ und „Translationale GentherapieForschung“.
Louri 't Hart (rechts) ist seit dem Jahr 2010 Kommunikationsberaterin für das Team „Wissenschaft und Innovation“ bei ZonMw. Seit
Januar 2012 ist sie darüber hinaus Beauftragte für das Kommunikationsforum der Wissensplattform EMF&H.
Weitere Informationen finden Sie auf der Webseite des Forschungsprogramms EMF&H unter www.zonmw.nl/emv oder bei
Sandra van ’t Padje unter der Telefonnummer +31 (0)70 349 52 17
oder per E-Mail an padje@zonmw.nl.
ZonMw
Postbox 93 245
NL-2509 AE The Hague
Die Webseite des Forschungsprogramms bietet Informationen in niederländischer und englischer Sprache
info@zonmw.nl
http://www.zonmw.nl
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24
EMF Spectrum | Forschung
F o r s c h ung
Joachim Streckert
Exposition der Allgemeinbevölkerung durch Hochfrequenz-Sender
Bei der Beurteilung der alltäglichen Exposition des Menschen
durch elektromagnetische Hochfrequenz (HF)-Felder sind heute
deutlich mehr Situationen als früher zu berücksichtigen. Noch vor
gut 10 Jahren genügte es, im Wesentlichen zwei Szenarien zu
analysieren: Zum einen den ganzen Körper einer Person im Wellenfeld von weit entfernten Rundfunksendern oder Mobilfunkbasisstations-Antennen und zum anderen den Kopf des Menschen
mit einem Mobiltelefon am Ohr. Insbesondere durch die zunehmende drahtlose Kommunikation im beruflichen und privaten
Umfeld sind die Expositionen innerhalb weniger Jahre komplexer
und vielfältiger geworden. Zu einer Vielzahl der oben genannten
Funkquellen kommen jetzt die Antennen von Smartphones, Basisstationen schnurloser Telefone und diverser Wireless-LANs in
Wohnung, Büro oder öffentlicher Umgebung hinzu, und der Laptop auf den Knien oder auf dem Schreibtisch verfügt in der Regel
ebenfalls über eine Funkschnittstelle, die über GPRS, UMTS,
W-LAN und neuerdings LTE den Web-Zugang ermöglicht – um
nur eine kleine Auswahl der Möglichkeiten zu benennen. Die daraus für den Einzelnen resultierende Gesamtexposition kann sich
somit aus Beiträgen sehr unterschiedlicher Endgeräte und Sendeanlagen zusammensetzen, die weit entfernt, körpernah sowie
den Körper berührend betrieben werden.
Um die Erkenntnislage zu dieser Problematik zu verbessern,
initiierte das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) im Zuge des
„Deutschen Mobilfunk Forschungsprogramms“ eine Studie, die
am Lehrstuhl für Theoretische Elektrotechnik der Bergischen
Universität Wuppertal bearbeitet wurde [1]. Ziel war es, bei einer
so genannten „multiplen Exposition“ einer Person die kumulierte Wirkung der beteiligten Einzelquellen zu bestimmen und mit
zulässigen Obergrenzen zu vergleichen. Dieser Artikel gibt nicht
die Details des dafür in der Studie entwickelten Rechenverfahrens wieder, sondern schildert im Wesentlichen die aus zwei Anwendungsbeispielen ableitbaren prinzipiellen Erkenntnisse.
Zielgrößen zur Expositionsbewertung
Die Beurteilung der Exposition eines Menschen erfolgt im funktechnisch interessanten Frequenzbereich zwischen 100 kHz und 10 GHz
durch die so genannte Spezifische Absorptionsrate (SAR), die als
potenzieller Auslöser einer Erwärmung des Körpergewebes betrachtet werden kann. Sie ist definiert als die in einem Gewebevolumen
absorbierte HF-Leistung, geteilt durch die Masse dieses Volumens.
Für eine Person sind abhängig von der betrachteten Gewebemasse und der Körperregion drei unterschiedliche SAR-Werte
zu unterscheiden:
1. Die Ganzkörper-SAR (SARGK) zur Beschreibung
der durchschnittlichen thermischen Belastung des
Körpers, die das gesamte Körpervolumen und somit die Gesamtmasse des Körpers berücksichtigt.
2. Die lokale SAR als Maß für die partielle thermische
Belastung, die den Maximalwert aller 10 g-Gewebestücke des Körpers darstellt und getrennt für die
Regionen „Kopf/Rumpf“ (SARKopf/Rumpf) und „Gliedmaßen“ (SARGliedmaßen) zu ermitteln ist.
Wenn diese drei Spezifischen Absorptionsraten für eine gegebene Expositionssituation bestimmt wurden, können sie mit
national und international festgelegten Grenzwerten verglichen
werden, um die Gesamtexposition zu beurteilen. Diese u. a. in
der Bundesrepublik Deutschland für die Allgemeinbevölkerung
geltenden Grenzwerte der SAR, die so genannten Basisgrenzwerte, sind in Tab. 1 wiedergegeben.
basis
SAR GK
0,08 W/kg
basis
basis
SAR Kopf/Rumpf
SAR Gliedmaßen
2 W/kg
4 W/kg
Tab. 1: Basisgrenzwerte der SAR für die Allgemeinbevölkerung
(6 Minuten-Mittelwerte) [2]
Die Ermittlung der Zielgröße SAR innerhalb des menschlichen
Körpers kann nicht messtechnisch, sondern nur auf der Grundlage rechentechnischer Verfahren in Kombination mit geeigneten Computermodellen für den menschlichen Körper erfolgen.
Anwendungsbeispiele
Zur Anwendung des in der Studie entwickelten Rechenverfahrens wird hier beispielhaft an zwei von vielen denkbaren Konfigurationen das Einwirken einer sukzessive gesteigerten Anzahl
multipler Quellen auf eine Person demonstriert – zunächst für
ein „indoor“-, dann für ein „outdoor“-Szenario. Ein wesentlicher
Parameter ist dabei die von einer Quelle abgestrahlte Leistung
PS. Momentane Schwankungen der Leistung, die aufgrund der
systemspezifischen Modulations-, Frequenzzuweisungs- und
Ausgabe 2/2012 | Juli 2012
Leistungsregelungsverfahren sehr variabel sein können, sind
nur unzuverlässig erfassbar. Da aber aufgrund internationaler
Vereinbarungen für die Bewertung der Spezifischen Absorptionsrate zeitliche Mittelungsintervalle von 6 Minuten zugrunde
gelegt werden müssen, sind entsprechend nur gemittelte Leistungen relevant, für die hier typische (falls bekannt), sonst maximale Werte angesetzt werden.
Untersuchung eines ‚indoor‘-Szenarios mit
bis zu 6 Hochfrequenz-Feldquellen
Für das „indoor“-Szenario wird eine an einem Schreibtisch sitzende Person betrachtet (Bild 1). Der Schreibtisch steht vor einer Wand, seitlich von der Person befindet sich in 1,5 m Abstand
ein Fenster mit den Abmessungen 1 m x 1,5 m (B x H). Die Person wird durch externe und interne multiple Quellen exponiert.
Tabelle 2 zeigt die mit dem Rechenverfahren ermittelten Ergebnisse. Die erste Spalte listet die nacheinander am Szenario beteiligten Quellen mit ihren Sendeleistungen und Entfernungen
auf. In den nächsten Spalten sind die Spezifischen Absorptionsraten prozentual zum jeweils geltenden Grenzwert, getrennt
nach Ganzkörper-SAR, lokaler SAR in Kopf bzw. Rumpf und
lokaler SAR in den Gliedmaßen angegeben. Es sind jeweils die
Beiträge der Einzel-Quellen aus Spalte 1 („einzeln“) und die kumulierten prozentualen Gesamt-SAR-Werte der bis zur betrachteten Zeile beteiligten Quellen aufgeführt („multi“).
Bild 1: „indoor“-Expositionsszenario mit 6 Quellen (schematisch). Beim
W-LAN-Router ist neben dem direkten Ausbreitungspfad (Länge 1,8 m)
ein zusätzlicher Pfad mit Wandreflexion (Länge 3,16 m) berücksichtigt.
Für den Mittelwellensender ergeben sich trotz der hohen Sendeleistung wegen seiner Rundstrahlcharakteristik vernachlässigbar
kleine SAR-Werte. Auch die Beiträge der folgenden 3 Quellen
sind jeweils so gering, dass die Werte der Gesamt-SAR für die
ersten 4 HF-Quellen zusammen weniger als 1% der in Tabelle 1
genannten Grenzwerte ausschöpfen
Diese Situation kann sich deutlich verändern, wenn körperberührende und körpernahe Quellen hinzugefügt werden. Im
vorliegenden Beispiel ist dies zunächst das auf den Oberschenkeln abgelegte Notebook, dessen PCMCIA-Schnittstellenkarte in nur 2,7 cm Abstand zum Körper mit der im GPRSModus maximal denkbaren Leistung von 960 mW sendet und
SAR GK
einzeln
Konfiguration
1.Mittelwellen-Rundfunksender,
Sendeleistung 500 kW, Entfernung 1,5 km
SARKopf/Rumpf
multi
einzeln
SARGliedmaßen
multi
Grenzwertausschöpfung (GA) in %
einzeln
Ort des
Maximums
multi
GA in %
Ort des
Maximums
3,51E-5
3,51E-5
2,55E-5
2,55E-5
linker
Oberarm
6,74E-5
6,74E-5
rechter Fuß
2. GSM-900 Basisstation,
Sendeleistung 350 W, Entfernung 500 m
0,27
0,27
0,09
0,09
linke Hüfte
0,09
0,09
linker Fuß
3. DECT Basisstation (Griffweite),
Sendeleistung 216 mW (äquivalent)
0,38
0,65
0,39
0,42
Nase
0,70
0,70
rechter
Oberschenkel
4. WLAN-Router (wandmontiert in 2 m Höhe),
Sendeleistung 61 mW
0,04
0,66
0,03
0,45
Nase
0,02
0,71
rechter
Oberschenkel
5. Notebook auf Oberschenkeln (GPRS),
Sendeleistung 960 mW
7,15
7,86
1,81
1,84
linke Hüfte
37,84
37,88
linker
Oberschenkel
6. Mobiltelefon GSM-1800 (am rechten Ohr),
Sendeleistung 120 mW
1,26
9,12
0,83
1,84
linke Hüfte
77,49
77,49
rechte Hand
zusätzlich:
Tab. 2: Prozentuale Ausschöpfungen der SAR-Basisgrenzwerte für die Allgemeinbevölkerung bei „indoor“-Exposition einer Person durch einzelne und durch
multiple Quellen sowie Orte maximaler lokaler SAR.
25
26
EMF Spectrum | Forschung
dadurch die kumulierten Werte der Ganzkörper-SAR auf fast 8%
und die der lokalen SAR in den Gliedmaßen auf knapp 38% erhöht. Mit dem als weitere Quelle am rechten Ohr positionierten
1800 MHz-GSM-Handy wird zwar die Ganzkörper-SAR nur geringfügig weiter gesteigert, der Grenzwert für die Teilkörper-SAR in den
Gliedmaßen nach Tabelle 1 aber zu nahezu 78% ausgeschöpft;
dabei tritt das 10 g-Maximum mit 3,1 W/kg in der rechten Hand
auf, die das Handy am Ohr hält, während die durch das strahlungsoptimierte Handy hervorgerufene maximale lokale SAR im
Kopf nur 16,5 mW/kg (0,83%) beträgt. Die auf den Gesamtbereich von Kopf und Rumpf bezogene maximale lokale SAR erreicht im linken Bereich der Taille eine Ausschöpfung des Basisgrenzwertes von 1,84%.
Untersuchung eines ‚outdoor‘-Szenarios mit
bis zu 7 Hochfrequenz-Feldquellen
Die Szenarien für das zweite Anwendungsbeispiel gehen von einer im „outdoor“-Bereich einer Großstadt stehenden Person und
einem sukzessiven Zusammenwirken verschiedener Quellen
aus (Bild 2). Die Ergebnisse sind in Tab. 3 wiedergegeben. Für
den Mittelwellensender ergeben sich auch im „outdoor“-Bereich
wieder vernachlässigbar kleine SAR-Werte. Auch die Beiträge
der TETRA-Basisstation und des DVB-T Fernsehsenders sind
jeweils so gering, dass die Werte der Gesamt-SAR für diese drei
HF-Quellen unter 0,01% der in Tabelle 1 genannten Grenzwerte
liegen. Erst durch den in relativ geringer Entfernung von 34 m
in „line of sight“ (LOS) befindlichen Basisstationsstandort mit
Antennen der drei verbreiteten Mobilfunkdienste wird eine Ausschöpfung des Grenzwertes von 1% überschritten und erreicht
in Summe für die Ganzkörper-SAR 3%. Durch den Einsatz des
ans Ohr gehaltenen GSM-900-Handys steigt der lokale SARWert in den Gliedmaßen (hier: rechte Hand) auf 3,9 W/kg an,
was einer nahezu vollständigen Ausnutzung des Grenzwertes
nach Tab. 1 von 97,45% entspricht, während Ganzkörper-SAR und lokale SAR in Kopf und Rumpf sich nur mäßig erhöhen.
Zusammenfassung und Fazit
In einer realen Umgebung tragen viele verschiedene Quellen, die
elektromagnetische Felder im Frequenzbereich zwischen 100 kHz
und 10 GHz emittieren, zur Spezifischen Absorptionsrate (SAR) im
menschlichen Körper bei. Dabei hängt – von individueller Körperform, -masse, -haltung und organischer Struktur einer exponierten Person einmal abgesehen – der effektive Beitrag jeder Quelle
von ihrer Frequenz und Sendeleistung, von ihrer Position, Polarisation und Richtcharakteristik in Bezug auf die Person, von den
Eigenschaften des Übertragungsweges und von Einflüssen der
Umgebung, wie Reflexion und Beugung, ab. In Anlehnung an die
Personenschutzrichtlinien für die Allgemeinbevölkerung folgt die
Gesamt-SAR aus einer Summation der räumlichen SAR-Verteilungen, die die beitragenden Einzelquellen im Körper erzeugen.
Die Ergebnisse der Beispielszenarien zeigen, dass Quellen, die
den Körper berühren (Handy) oder die extrem körpernah (< 3 cm)
betrieben werden (Notebook als Laptop), die Beiträge der von
anderen Quellen hervorgerufenen Spezifischen Absorptionsraten
bei Weitem überwiegen. Dies gilt auch dann, wenn die am Szenario beteiligten fernen Quellen gegenüber den körperberührenden in der Überzahl sind und um Größenordnungen höhere
Leistungen emittieren. Es muss betont werden, dass für die beteiligten Endgeräte hier die in der jeweiligen Betriebsart technisch
maximal möglichen Werte für die Sendeleistungen angenommen
wurden, die in der Regel nicht typisch für den Normalbetrieb sind.
Bild 2: „outdoor“-Expositionsszenario mit 7 Quellen, oben topologisch,
unten schematisch.
Die an kritische Bereiche grenzenden SAR-Werte beziehen
sich hier durchweg auf die Teilkörper-SAR in den Gliedmaßen.
Dies liegt einerseits an der Positionierung des Laptops auf den
Oberschenkeln der exponierten Person und andererseits an der
Geometrie des strahlungsoptimierten Handys mit einer ‚patch‘Antennenanordnung, die zwar eine geringe Belastung des Kopfes, aber eine stärkere Exposition der Hand zur Folge hat, sodass die Basisgrenzwerte teilweise zu einem erheblichen Teil
ausgeschöpft werden (zwischen 38% und 97,5%). Andererseits
bleibt die durch alle beteiligten Quellen kumulierte GanzkörperSAR unterhalb von 10% der empfohlenen Grenzwerte mit einem
Hauptbeitrag von 7,2% durch das Notebook auf den Oberschenkeln (Laptop), während die Teilkörper-SAR in Kopf und Rumpf in
diesen Beispielen nie eine Ausschöpfung von 2% überschreitet.
Bei Handys, die anders aufgebaut oder mit anderen Antennen
Ausgabe 2/2012 | Juli 2012
SAR GK
einzeln
Konfiguration
1.Mittelwellen-Rundfunksender,
Sendeleistung 500 kW, Entfernung 1,5 km
SARKopf/Rumpf
multi
einzeln
multi
Ort des
Maximums
Grenzwertausschöpfung (GA) in %
SARGliedmaßen
einzeln
multi
GA in %
Ort des
Maximums
1,92E-5
1,92E-5
4,34E-6
4,34E-6
linke Hüfte
1,26E-5
1,26E-5
linker Unterschenkel
2. TETRA-Funk Basisstation,
Sendeleistung 100 W, Entfernung 800 m
7,88E-3
7,90E-3
3,56E-3
3,56E-3
rechte
Bauchseite
2,17E-3
2,18E-3
linker Unterschenkel
3. DVB-T Sender,
Sendeleistung 10 kW, Entfernung 2,5 km
1,88E-5
7,92E-3
3,78E-6
3,56E-3
rechte
Bauchseite
5,41E-6
2,19E-3
linker Unterschenkel
4. GSM-900 Basisstation,
Sendeleistung 50 W, Entfernung 34 m
2,11
2,12
0,87
0,88
linke
Nackenseite
0,83
0,83
rechter
Unterschenkel
5. GSM-1800 Basisstation,
Sendeleistung 20 W, Entfernung 34 m
0,61
2,73
0,33
1,11
linke
Nackenseite
0,24
0,93
rechter Fuß
6. UMTS-Basisstation,
Sendeleistung 10 W, Entfernung 34 m
0,27
3,00
0,15
1,20
linke
Nackenseite
0,15
1,07
rechter Fuß
7. Mobiltelefon GSM-900 (am rechten Ohr),
Sendeleistung 240 mW
2,56
5,56
1,69
1,72
rechtes Ohr
97,45
97,45
rechte Hand
zusätzlich:
Tab. 3: Prozentuale Ausschöpfungen der SAR-Basisgrenzwerte für die Allgemeinbevölkerung bei „outdoor“-Exposition einer Person durch einzelne und
durch multiple Quellen sowie Orte maximaler lokaler SAR.
bestückt sind, und bei Endgeräten, die in anderen Positionen zum
Körper betrieben werden, sind durchaus abweichende Ergebnisse, beispielsweise auch Reduzierungen der Teilkörper-SAR in
den Gliedmaßen zu Lasten der SAR in Kopf und Rumpf denkbar.
Alle im Rahmen der Studie erzielten Ergebnisse basieren auf
der Verwendung des von den Brooks Airforce Base Laboratories auf Basis des Datensatzes aus [4] erstellten dielektrischen
Menschmodells für die numerischen SAR-Berechnungen. Mit
einem anderen Menschmodell ändern sich die konkreten Zahlenwerte; allerdings konnte in Proberechnungen mit dem neueren Menschmodell „Duke“ [5], eingefügt in ansonsten identische Szenarien multipler Quellen, festgestellt werden, dass
die oben angeführten prinzipiellen Argumentationen weiterhin
Bestand haben, insbesondere im Hinblick auf die Dominanz
der SAR-Beiträge extrem körpernaher Sender.
[3] miniWatt II: Minimierung der Immission künftiger Funkdienste, BMBF-Vorhaben 01 BU 550, Abschlussbericht, 10/2008; S.
25. http://www.pt-it.pt-dlr.de/_media/miniWatt_II_dt_211008.pdf
[4] National Library of Medicine, „Visible Human Project“, 1986.
http://www.nlm.nih.gov/research/visible/visible_human.html
[5] IT‘IS, Foundation for Research on Information Technologies
in Society, „Whole-body human models“, http://www.itis.ethz.ch/
itis-for-health/virtual-population/human-models/
Autor
Dr. Joachim Streckert ist Leiter der AG Hochfrequenztechnik am Lehrstuhl für Theoretische Elektrotechnik
(Prof. Dr. M. Clemens) der Bergischen Universität Wuppertal. Er engagierte sich in zahlreichen experimentellen
und theoretischen Studien zu Effekten elektromagnetischer Felder auf biologische Systeme, hauptsächlich für
den Mobilfunk- und Terahertzfrequenzbereich.
Literatur
[1] Hansen, V., Ndoumbè Mbonjo Mbonjo, H., Streckert, J., Zhou,
Y.: Entwicklung eines praktikablen rechentechnischen Verfahrens
zur Ermittlung der tatsächlichen Exposition in komplizierten Immissionsszenarien mit mehreren verschiedenartigen HF-Quellen.
Abschlussbericht zum Forschungsvorhaben im Rahmen des
Deutschen Mobilfunk Forschungsprogramms, November 2007.
http://www.emf-forschungsprogramm.de/forschung/dosimetrie/
dosimetrie_abges/dosi_090.html
[2] ICNIRP: Guidelines for limiting exposure to time-varying
electric, magnetic, and electromagnetic fields (up to 300 GHz).
Health Physics, vol. 74, 494-522, 1998.
Kontakt:
Dr.-Ing. Joachim Streckert
Lehrstuhl für Theoretische Elektrotechnik
Bergische Universität Wuppertal
42097 Wuppertal
E-Mail: joachim.streckert@uni-wuppertal.de
http://www.tet.uni-wuppertal.de
27
28
EMF Spectrum | Forschung
F o r s c h ung
Matthias Wuschek
Messung hochfrequenter Felder in der
Umgebung von Funksendeanlagen: Erfahrungen aus der Praxis
Teil 1: Messverfahren und Methoden
weise gravierenden Konsequenzen bei fehlerhafter Bewertung.
Messungen zur Öffentlichkeitsinformation, d. h. die Immissionsbestimmung an „sensiblen“ Orten wie Wohnungen, Schulen,
Kindergärten etc. fordern selbstverständlich ebenfalls ein gewisses Mindestmaß an Präzision und Verlässlichkeit. Da bei
derartigen Untersuchungen jedoch die gültigen Grenzwerte
typischerweise deutlich unterschritten sind, können Messverfahren angewandt wenden, die mit weniger Zeit- und Personalaufwand dennoch ausreichend verlässliche Immissionsmesswerte
liefern. Der erste Teil dieses Beitrags behandelt grundsätzliche
Messverfahren und Methoden. Der zweite Teil (in Ausgabe
3/2012) wird sich mit der praktischen Durchführung unter sicherheitstechnischen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten befassen.
Die Definition zulässiger Grenzwerte für die Exposition elektromagnetischer Felder stützt sich international auf die Vorgaben
der ICNIRP [1]. Diese bilden die Grundlage der EU-Ratsempfehlung 1999/519 [2] sowie der deutschen 26. BImSchV [3], ergänzt
durch die Durchführungshinweise des Länderausschusses für
Immissionsschutz [4]. Im gleichen Sinn definieren die berufsgenossenschaftlichen Vorschriften die Expositionserfassung für
den Arbeitsschutz [5].
Die Messung hochfrequenter elektromagnetischer Expositionen in der Umgebung des Aufstell- und Betriebsortes von Mobilfunkbasisstationen sowie Sendeanlagen für Tonrundfunk und
TV verlangt ein hohes Fachwissen, viel Erfahrung sowie einen
scharfen Blick auf Aufwand und Kosten. Bei Messungen im Rahmen des Personenschutzes ist es notwendig, mit besonderer
Sorgfalt und Präzision die Einhaltung der Grenzwerte zu überprüfen und die jeweils ungünstigste Expositionssituation zu erfassen, um verlässliche Aussagen bezüglich der Einhaltung des
Personenschutzes sicherzustellen. Insbesondere Messungen
an Arbeitsplätzen in unmittelbarer Nähe von Sendeantennen
tangieren den unmittelbaren Gesundheitsschutz mit möglicher-
Hinweise zur Durchführung derartiger Expositionsmessungen
und -berechnungen finden sich in den Grundnormen DIN EN
50413 [6] und DIN EN 50492 [7]. Im Folgenden soll die praktische
Umsetzung dieser Normen näher erläutert werden, wobei besonderes Augenmerk auf eine zweckmäßige und Kosten sparende,
aber trotzdem korrekte Durchführung der Messungen gelegt wird.
Feldverteilung, Signalcharakter, messtechnische Konsequenzen
Ausführliche Analysen der Immissionsverteilung am Beispiel
von GSM- und UMTS-Mobilfunkbasisstationen haben gezeigt,
dass die Immission in direktem Umfeld der Anlagen örtlich
stark schwankt. Großskalige Unterschiede entstehen durch
die Richtcharakteristik der Mobilfunkantennen, kleinskalige
durch Interferenzen z. B. in Innenräumen (Bild 1); [8, 9,10].
Ausgabe 2/2012 | Juli 2012
Grundsätzliche Messverfahren
Bild 1: Immissionsverlauf für GSM-900 und UMTS in einem Innenraum, gemessen über einer Strecke von 1,4 Metern [9]. Man erkennt hier Schwankungen der
Immission von bis zu 15 dB innerhalb weniger Zentimeter.
Somit ist die Messwertaufnahme an nur einem Volumenpunkt
nicht repräsentativ für die in einem Volumen vorhandene mittlere oder maximale Immission.
Zusätzlich dazu treten im zeitlichen Verlauf bei vielen Funksystemen großskalige und kleinskalige Schwankungen der Immission
auf: Großskalige durch Veränderung der abgestrahlten Sendeleistung der Anlagen in Anhängigkeit von der aktuellen Nutzeranzahl; kleinskalige z. B. durch diskontinuierliches Senden oder
Leistungsregelung in Abhängigkeit von der Verbindungsqualität.
Deswegen beschreibt bei derartigen Systemen eine Augenblicksmessung meist nicht die maximal mögliche Immissionssituation.
Als Konsequenz aus den Vorgaben von ICNIRP bzw. der
EU-Ratsempfehlung verlangen die 26. BImSchV sowie die
Durchführungshinweise des Länderausschusses für Immissionsschutz, dass Messungen der Immission am Einwirkungsort mit der stärksten Immission und eine Bewertung der
Messergebnisse auf Basis der maximal gemessenen Werte
zu erfolgen haben. Außerdem sind die Messungen bei der
höchsten betrieblichen Anlagenauslastung durchzuführen;
andernfalls sind die Werte entsprechend hochzurechnen.
Diese Hochrechnung basiert im Regelfall auf einer Messung
von bestimmten Signalisierungssignalen, die von den Funksystemen permanent mit konstanter, definierter Leistung
abgegeben werden. Die Exposition, verursacht durch diese
Signalisierungssignale, wird anschließend durch Hochrechnungsfaktoren auf die Immission bei höchster betrieblicher
Anlagenauslastung extrapoliert, wobei die Hochrechnungsfaktoren sich aus der Maximalleistung des Funksystems und
der Leistung des Signalisierungssignals errechnen. Näheres
zur korrekten Extrapolation bei Systemen mit zeitlich schwankender Leistungsabgabe findet sich beispielsweise in [11].
Bei der Messung hochfrequenter Immissionen wird grundsätzlich zwischen breitbandigen und frequenzselektiven Messverfahren unterschieden. Der Hauptunterschied besteht darin, dass
breitbandige Verfahren einen Gesamtwert für die Immission innerhalb eines durch das Messgerät festgelegten (großen) Frequenzbereiches ermitteln, wobei nicht zugeordnet werden kann,
wie sich die Immissionsanteile frequenzmäßig und damit auch
emittentenbezogen aufteilen. Dadurch wird bei Vorhandensein
mehrerer Signale in verschiedenen Frequenzbereichen die Bewertung mit den zugehörigen (teilweise frequenzabhängigen)
Grenzwerten erschwert oder sogar unmöglich.
Demgegenüber kann durch den Einsatz frequenzselektiver Verfahren (Spektrumanalysator und Messantenne) ermittelt werden, welche Immissionen am Messort bei welcher Frequenz
vorliegen. Durch die Frequenzinformation ist in vielen Fällen
eine Zuordnung zur Quelle der Immission möglich. Auch wegen
der oftmals eingeschränkten Empfindlichkeit üblicher Breitbandmessgeräte (typisch 0,5 bis 1 V/m, selten auch darunter) eignen
sich diese häufig nur für Expositionsmessungen bei vergleichsweise großen Feldstärken, wie sie meist nur in unmittelbarer
Nähe von Sendeantennen auftreten.
Methoden zur Feldstärkeerfassung im Messvolumen
Die Anforderungen bezüglich einer örtlichen Maximalwerterfassung lassen sich sehr effizient mit der so genannten Schwenkmethode erfüllen: Hierbei wird das Messvolumen mit einer
handgeführten Messantenne abgetastet, wobei gleichzeitig die
Vorzugsrichtung und die Polarisationsrichtung der Messantenne
variiert werden. Während des Suchvorgangs wird das Spektrum
mit der „Maxhold“-Funktion des Messgeräts kontinuierlich erfasst. Besonders einfach lässt sich die Raumabtastung mit isotropen Antennen durchführen, die seit einigen Jahren nicht nur
für Breitbandmessgeräte, sondern auch für frequenzselektive
Messsysteme verfügbar sind (Bild 2). Aus dem „Maxhold“-Spektrum können dann die Maximalwerte der einzelnen Signale für
die weitere Auswertung herangezogen werden. Die Bewegung
der Antenne muss allerdings bezogen auf die Messgeschwindigkeit des Spektrumanalysators langsam erfolgen.
Mit der Schwenkmethode lässt sich jedoch keine Analyse der
räumlichen Verteilung oder eine räumliche Mittelung der Immissionen zum Beispiel in einem Zimmer erreichen, wie es beispielsweise
für Immissionserfassungen bei epidemiologischen Studien interessant sein kann. Für diesen Zweck stellt die Punktrastermethode
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EMF Spectrum | Forschung
Die EN 50492 sieht für Messungen, bei denen die über das Körpervolumen gemittelte Immission als Beurteilungsgröße herangezogen werden soll, eine Erfassung an drei oder sechs Punkten in
einem fest definierten Raster mit anschließender leistungsbezogener Mittelwertbildung vor (Bild 3). Für den Fall, dass die lokalen
Maximalwerte der einzelnen im Messvolumen vorhandenen Felder summiert und für den Grenzwertvergleich verwendet werden
sollen, spezifiziert die EN 50492 in Anhang B die Schwenkmethode als alternatives Messverfahren. Die Anwendung der Punktrastermethode zum zuverlässigen Auffinden der Feldstärkemaxima
würde einen unverhältnismäßig großen Messaufwand bedeuten,
da die Zahl der zu vermessenden und auszuwertenden Messpunkte in diesem Fall sehr groß gewählt werden müsste. Die
Schwenkmethode hat in diesem Fall eindeutige Vorteile.
Nach [13] stellt die Bewertung mittels der lokalen Maximalwerte
die konservativere Strategie dar, da umfangreiche Simulationen
gezeigt haben, dass mit der alleinigen Betrachtung der körpergemittelten Immission (Vergleich mit den Grenzwerten für Ganzkörperexposition) nicht ausgeschlossen werden kann, dass im Messvolumen auch lokale Immissionsspitzen vorhanden sind, die über
den Grenzwerten für Teilkörperexposition liegen. Nach ICNIRP sind
immer sowohl die Grenzwerte für die körpergemittelte Immission
als auch die ebenfalls von ICNIRP spezifizierten Grenzwerte für die
lokale Energieabsorption (Teilkörperexposition) einzuhalten.
Bild 2: Schwenkmethode mit handgeführter isotroper Antenne.
eine brauchbare Alternative dar, bei der die Immission an mehreren festen Punkten im Raum gemessen und anschließend
gemittelt wird. Die Ergebnisse solcher Mittelungsmessungen
sind stets kleiner als die mit der Schwenkmethode erzielbaren
Ergebnisse [12], was den „Maximierungsaspekt“ der Messanforderungen nach 26. BImSchV unterstreicht. Grundsätzlich ist
je nach Vorgabe der relevanten Vorschriften zu entscheiden,
welche Methode der Maximalwertbestimmung – die zeitsparende Schwenkmethode oder eine aufwändigere Punktrastermessung – herangezogen werden sollte. Festzuhalten ist allerdings, dass die Messung der Exposition an nur einem Punkt im
Raum für gewöhnlich nicht ausreichend ist.
RMS-Erfassung
Die Grenzwerte von ICNIRP, EU-Ratsempfehlung und 26. BImSchV
sind angegeben als Effektivwerte (RMS-Werte) der elektrischen
und magnetischen Feldstärke. Im gleichen Sinn definieren die berufsgenossenschaftlichen Vorschriften die Expositionserfassung
für den Arbeitsschutz [5]. Sowohl bei frequenzselektiven als auch
bei Breitbandmessungen ist also sicherzustellen, dass der ermittelte Feldstärkewert in geeigneter Weise proportional zur Wurzel
der vom Körper absorbierten Leistung ist (RMS-Erfassung). Besonders problematisch gestaltet sich hierbei die Messung von
Immissionen, verursacht durch Signale mit großem Crestfaktor
(d. h. Signale, bei denen kurzzeitig Augenblickswerte mit Leistungen auftreten, die deutlich über der mittleren Signalleistung liegen). Typisch ist das beispielsweise für Signale von UMTS-, LTE-,
DAB-, DVB-T-Sendern, aber auch bei Standorten, bei denen
mehrere UKW-Signale über eine Antenne abgestrahlt werden.
Die korrekte RMS-Erfassung ist bei frequenzselektiven Messungen
durch geeignete Einstellung des Messgerätes sicherzustellen.
Der Feldstärkebereich, in dem Breitband-Feldsensoren den
RMS-Wert nahezu unverfälscht wiedergeben, kann sehr unterschiedlich sein und deutlich vom spezifizierten Messbereich der
Sensoren abweichen. Außerhalb dieses vom Hersteller spezifizierten „True-RMS“-Bereichs kann es zu einer Über- oder Unterbewertung der Immission kommen [14].
Bild 3: Punktrastermethode, Rastergeometrien nach EN 50492
Fortsetzung des Artikels in Ausgabe 3/2012 des EMF Spectrums
Ausgabe 2/2012 | Juli 2012
Literatur
[1] ICNIRP Guidelines, Guidelines for Limiting Exposure to
Time-Varying Electric, Magnetic and Electromagnetic Fields
(up to 300 GHz), Health Physics, vol. 74 no. 4, S. 494-522,
(1998).
[10] Chr. Bornkessel, M. Schubert und M. Wuschek, Bestimmung
der realen Feldverteilung von hochfrequenten elektromagnetischen Feldern in der Umgebung von UMTS-Sendeanlagen, Studie im Auftrag des Bundesamtes für Strahlenschutz, Zwischenbericht Entwicklung geeigneter Mess- und Berechnungsverfahren,
Kamp-Lintfort, (2006), www.emf-forschungsprogramm.de
[2] 1999/519/EG, Empfehlung des Rates vom 12. Juli 1999 zur
Begrenzung der Exposition der Bevölkerung gegenüber elektromagnetischen Feldern (0 Hz – 300 GHz), Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften L 199/59, 30.07.1999.
[11] M. Wuschek, Messung der hochfrequenten elektromagnetischen Immissionen an ortsfesten Funksendeanlagen, Newsletter der Forschungsgemeinschaft Funk e.V., Nr. 3/2008, S.
12-14, Bonn 2008.
[3] 26. BImSchV, Sechsundzwanzigste Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes (Verordnung
über elektromagnetische Felder - 26. BimSchV), BGBl. Jg. 1996
Teil I Nr. 66, 20.12.1996.
[12] H. Voigt und H.-P. Neitzke, Methoden und Ergebnisse der
Messung von Hochfrequenz-Immissionen in Wohnungen, EMFMonitor Vol. 10 (2004) No. 3, (2004).
[4] Länderausschuss für Immissionsschutz, Hinweise zur
Durchführung der Verordnung über elektromagnetische Felder (26. Bundes-Immissionsschutzverordnung), Fassung vom
26.03.2004, www.lai-immissionsschutz.de, (2004).
[5] BGR B11 (ZH1/257), Berufsgenossenschaftliche Regeln
für Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit: Elektromagnetische Felder, Berufsgenossenschaft der Feinmechanik und
Elektronik, Juni 2001.
[6] EN 50413 (DIN VDE 0848-1), Basic Standard on Measurement and Calculation Procedures for Human Exposure to Electric, Magnetic and Electromagnetic Fields (0 Hz - 300 GHz).
CENELEC Standard, September 2008.
[7] EN 50492 (DIN VDE 0848-492), Basic Standard for the InSitu Measurement of Electromagnetic Field Strength related to
Human Exposure in the Vicinity of Base Stations). CENELEC Standard, September 2008.
[8] Chr. Bornkessel und M. Schubert, Entwicklung von Messund Berechnungsverfahren zur Ermittlung der Exposition der
Bevölkerung durch elektromagnetische Felder in der Umgebung von Mobilfunk Basisstationen, Studie im Auftrag des Bundesamtes für Strahlenschutz, Abschlussbericht Entwicklung
geeigneter Mess- und Berechnungsverfahren, Kamp-Lintfort,
(2005), www.emf-forschungsprogramm.de
[13] S. Kühn, W. Jennings, A. Christ, N. Kuster, Assessment
of induced radio-frequency electromagnetic fields in various
anatomical human body models, Phys. Med. Biol. 54(2009),
S. 875-890.
[14] Helmut Keller, Normgerechte Personenschutzmessungen
im HF- und Mikrowellenbereich mit den Feldstärkemessgeräten EMR-20 / EMR-30, Application Note Wandel & Goltermann
(heute: Narda Safety Test Solutions).
Autor
Prof. Dr.-Ing. Matthias Wuschek lehrt Nachrichtenübertragungstechnik und Mobilfunktechnologie an der Hochschule Deggendorf
und leitet das EMV-Labor der Hochschule.
Prof. Wuschek beschäftigt sich intensiv mit
der Messtechnik elektromagnetischer Felder. Er ist Mitarbeiter nationaler Gremien, die
sich mit der Messung bzw. Berechnung von
elektromagnetischen Feldern im Rahmen
des Personenschutzes beschäftigen. In den
letzten Jahren wurden von Prof. Wuschek mehrere wissenschaftliche
Projekte zur Bestimmung der Exposition in der Umgebung von Funksendeanlagen durchgeführt.
Kontakt:
[9] Chr. Bornkessel, M. Wuschek, M. Neikes, A. Schramm,
M. Schubert, P. Schmidt, Elektromagnetische Felder in NRW:
Feldmessungen in der Umgebung von UMTS-Sendeanlagen,
Studie im Auftrag des Ministeriums für Umwelt und Naturschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz des Landes
Nordrhein-Westfalen, Abschlussbericht, Kamp-Lintfort, (2005),
www.emf-forschungsprogramm.de
Prof. Dr.-Ing. Matthias Wuschek
Hochschule Deggendorf – University of Applied Sciences
Edlmairstr. 6+8
D-94469 Deggendorf
Tel.: 0991-3615-522
E-Mail: matthias.wuschek@hdu-deggendorf.de
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EMF Spectrum | Tagungsberichte
TA g u n g sbericht
Gregor Dürrenberger, Gabi Conrad
Exposition durch Mobiltelefone – Neueste Erkenntnisse
Der 16. Science Brunch der Forschungsstiftung Mobilkommunikation am 16.05.2012 in Zürich
Messungen an Handys zeigen, dass UMTS-Telefone deutlich tiefere Strahlungs-Expositionen im Hochfrequenzbereich
verursachen als GSM-Telefone. So wird in einem von der Forschungsstiftung Mobilkommunikation (FSM) zusammen mit der
Schweizerischen Krebsliga im Jahr 2010 verfassten Faktenblatt empfohlen, Handys möglichst im UMTS-Modus zu nutzen, da
die Hochfrequenzstrahlung dann etwa 100 mal schwächer als im
GSM-Betrieb ist. Allerdings werden UMTS-Telefone der neuen
Generation mit immer aufwändigerer Geräteelektronik ausgestattet, womit größere Batterieströme und stärkere Magnetfelder
verbunden sind. Kauft man sich die tiefere Hochfrequenzexposition mit höherer Exposition gegenüber niederfrequenten Magnetfeldern ein? Kann die Empfehlung zur Nutzung von Handys im
UMTS-Modus aufrechterhalten werden? Bislang gibt nur wenige
wissenschaftliche Studien zur Charakterisierung der Exposition
gegenüber niederfrequenten elektrischen und magnetischen Feldern (NF EMF) von Mobiltelefonen und es fehlen insbesondere
Daten zur Höhe der Ströme, die durch die Magnetfelder im Organismus induziert werden. Ein Forschungsprojekt der FSM zur Abschätzung der durch GSM- und UMTS-Mobiltelefone induzierten
niederfrequenten Ströme im menschlichen Kopf sollte hier Klarheit schaffen und diese Kenntnislücke füllen
Exposition durch GSM- und UMTS-Telefone
In einem Mobiltelefon speist die Batterie während des Telefonierens im Wesentlichen drei Komponenten: den Prozessor,
den Verstärker inklusive Leistungsregelungsmodul sowie den
Lautsprecher. Diese Ströme sind nicht kontinuierlich. Ihre Stärke
bzw. ihre Veränderung in der Zeit ist stark technologieabhängig.
GSM sendet in Pulsen von 217 Hz, UMTS dagegen kontinuierlich. Die Veränderung der Sendestärke ist von der Leistungsregelung bestimmt. Bei GSM regelt das Gerät bis 2 mal pro Sekunde die Leistung, bei UMTS 1500 mal pro Sekunde.
Die durch die Technologie bestimmten zeitvariablen elektrischen
Ströme erzeugen entsprechende variable Magnetfelder. Sich
ändernde Magnetfelder wiederum können in leitfähigen Materialien, wozu auch der menschliche Organismus gehört, elektrische Spannungen erzeugen und damit Ströme induzieren.
Wenn sie ausreichend stark sind, können solche Körperströme
Nerven stimulieren oder sogar die Gesundheit gefährden. Die
Gesetzgebung formuliert allerdings sichere Grenzwerte, um Gefährdungen dieser Art auszuschliessen.
Ausgabe 2/2012 | Juli 2012
Professor Niels Kuster von der Schweizer Stiftung zur Erforschung von Informationstechnologien in der Gesellschaft (IT'IS)
hat in einer durch die FSM finanzierten Studie erstmals die Belastung der Kopfes (mehrere Physiologien – Kinder, Erwachsene, Männer, Frauen) durch niederfrequente Magnetfelder von
GSM- und UMTS-Mobiltelefonen gemessen und simuliert. Nicht
berücksichtigt wurden in der Studie Einflüsse durch die Hand,
die das Mobiltelefon hält, sowie die kommende Funktechnologie
LTE. Letztere ist noch nicht ausreichend etabliert, um die realen
Sendeparameter der Handyelektronik zu kennen.
Bei Mobiltelefonen finden sich nur im GSM-Betrieb relevante variable (217 Hz plus harmonische) Magnetfelder. Im UMTS-Betrieb sind die Magnetfelder vernachlässigbar tief; einerseits weil
kontinuierlich gesendet wird, andererseits weil die Leistungsregelung in kleinen Schritten keine großen Stromänderungen in
kürzester Zeit erfordert. Damit sind auch die im Organismus induzierten Ströme tief. In Zahlen: die durch GSM-Mobiltelefone
im Kopf maximal bewirkten Körperströme (Stromdichten) liegen
gemäß den Messungen und Berechnungen von Professor Kuster um den Faktor 10 unterhalb der ICNIRP Grenzwerte (die genau Zahl ist modellabhängig), bei UMTS-Telefonen werden die
Grenzwerte um mehr als Faktor 100 unterschritten. Diese Aussage bleibt qualitativ gleich, auch wenn man nicht die Stromdichte als Bezugsgröße nimmt, sondern, wie in den überarbeiteten
ICNIRP-Richtlinien aus dem Jahr 2010 empfohlen, die induzierte
elektrische Spannung. Gegenüber den empfohlenen Grenzwerten liegen in dieser Betrachtung die Messwerte noch um eine weitere Größenordnung unterhalb dieser Grenzwerte.
Nationalen Forschungsprogramms NFP 57 (Nichtionisierende
Strahlung – Umwelt und Gesundheit) und hatte darüber hinaus
zum Ziel, eine Expositionsabschätzungsmethode zu entwickeln
und zu validieren sowie den Zusammenhang zwischen HF
EMF-Exposition und Krankheitssymptomen mittels eines Kohortendesigns zu untersuchen.
Für die Exposimeterstudie trugen 166 Personen aus dem Raum
Basel eine Woche lang ein Messgerät, das die Exposition durch
HF EMF, getrennt nach unterschiedlichen Quellen, aufzeichnete. Die mittlere Exposition durch Fernfeldquellen betrug 0,22 Volt
pro Meter (V/m), die höchste lag bei 0,6 V/m – beides weit unter dem zulässigen Grenzwert. Der größte Anteil stammte von
Mobiltelefonen anderer Personen (39%), von Schnurlostelefonen (24%) und Mobilfunkbasisstationen (22%). Beim Vergleich
verschiedener Lebensumgebungen wurde die höchste Durchschnittsbelastung im Zug und in weiteren öffentlichen Verkehrsmitteln gemessen. Dafür gibt es zwei Gründe: Erstens halten
sich dort relativ viele Personen auf, die auch häufig ihr Handy
benutzen und zweitens senden Handys auch relativ häufig im
Standby-Modus, um die Kommunikation mit wechselnden Basisstationen aufrecht zu erhalten.
Fazit: UMTS-Telefone schneiden nicht nur bezüglich der Hochfrequenzexposition besser ab als GSM-Geräte (bzw. der GSMDienst), sondern auch bezüglich der niederfrequenten Magnetfeldexposition.
Die Qualifex-Hauptstudie beinhaltet auch die Abschätzung der
kumulativen Exposition durch Fern- und Nahfeldquellen. Dazu
wurden die Daten von mehr als 1.300 Handy- und Schnurlostelefonnutzern ausgewertet und eine SAR-Modellierung sowie eine Ganzkörper- und organspezifische Berechnung der
kumulativen Exposition durchgeführt. Hier zeigt sich, dass für
GSM-Nutzer das eigene Telefon am Ohr den überwiegenden
Teil der Ganzkörperexposition verursacht, für UMTS-Nutzer
insgesamt Schnurlostelefone am relevantesten sind. Eine Publikation mit den Detailergebnissen ist zur Veröffentlichung eingereicht (Lauer et al. submitted).
Beitrag von Mobiltelefonen zur Gesamtexposition
„Mobiltelefonie“ oder integrierte
Kommunikation?
Nicht nur von Mobiltelefonen geht elektromagnetische Strahlung aus. Mobilfunkbasisstationen, Radio- und Fernsehsender,
Schnurlostelefone, WLAN-Netze und viele andere Quellen
in unserer Umgebung tragen ebenfalls zur Gesamtexposition durch hochfrequente Felder (HF EMF) von Mensch und
Umwelt bei. Wie hoch der Anteil von Mobiltelefonen, aber
auch anderen Nah- und Fernfeldquellen an der Gesamtexposition ist, haben Professor Martin Röösli und sein Team vom
Schweizerischen Tropen- und Public Health-Institut im Rahmen der Qualifex-Studie an einer Bevölkerungsstichprobe
genauer analysiert. Die Qualifex-Studie ist Teil des Schweizer
Peter Grütter, Präsident des Schweizerischen Verbands der
Telekommunikation (ASUT) öffnete in seinem Vortrag die Perspektive über die Geräte- und Infrastrukturexposition hinaus
hin zu Chancen und Nutzen neuer Infrastrukturen und mobiler
Anwendungen. Schon heute schätzt man die weltweit vorhandene Datenmenge auf 1,3 Zettabyte (eine 1 mit 21 Nullen), das
sind 200 Gigabytes pro Kopf und 20 Millionen mal mehr als alle
Bücher, die je geschrieben wurden – ein „Tsunami an Information“, so Grütter. Für das Jahr 2015 rechnen Experten mit einem
enormen Anstieg des Datenvolumens und vor allem der mobil
übertragenen Datenmenge, die wesentlich durch das „Internet
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EMF Spectrum | Tagungsberichte
der Dinge“ geprägt sein wird: Objekte bis hin zu Alltagsgegenständen werden durch Programmierbarkeit, Speichervermögen,
Sensoren und Kommunikationsfähigkeit intelligent und können
über das Internet eigenständig Informationen austauschen,
Aktionen auslösen und sich wechselseitig steuern. Unzählige
Gegenstände, Bauten und Infrastrukturen in allen sozialen und
wirtschaftlichen Bereichen sind schon heute sensorbestückt und
erfassen, speichern und übermitteln Daten. Beim Umgang mit
der Mobiltechnologie setzt Grütter auf das Vorsorgeprinzip –
wenn es Beobachten, Fördern, Forschen und Optimierung der
Technik bedeute. Nutzen und Risiken müssten gegeneinander
abgewogen und Chancen genutzt werden. Eine ideologische
no-risk-Mentalität führe nicht weiter und habe dies noch nie getan – ein klares Votum aus Sicht der Branche.
Gesundheitliche Bedeutung aus Sicht des BAG
Wie sieht das zuständige Schweizer Bundesamt für Gesundheit (BAG) diese Entwicklungen im Hinblick auf das Abwägen
zwischen Nutzen und Risiken? Auch Mirjana Moser (BAG) betonte in ihrem Vortrag die enorme soziale und wirtschaftliche
Bedeutung der Mobiltelefonie, die auch positive Auswirkungen
für die Gesundheit mit sich bringe, wie zum Beispiel die vielen
neuen Möglichkeiten der Telemedizin. Vorrangige Aufgabe des
BAG sei aber die Risikobewertung des Mobiltelefonierens auf
Basis der wissenschaftlichen Forschung zu den gesundheitlichen Auswirkungen. Bevor Maßnahmen ergriffen werden, seien dabei vier Fragen zu beantworten: Gibt es überhaupt ein
Risiko? Wie hoch ist das Risiko? Wer ist betroffen? Was kann
man tun? Aus Sicht des BAG ist das Strahlungsrisiko durch
E xkur s „ Exposit i o ns m aße “
Durchschnittsbelastung, mittlere Exposition, kumulative Dosis – sind
diese Maße überhaupt relevant für die Bewertung der Belastung durch
hochfrequente elektromagnetische Felder? Bisher wurde noch kein
Mechanismus gefunden, der biophysikalisch eine nicht-thermische
Wirkung dieser Felder erklären könnte und deshalb ist auch nicht
bekannt, ob die mittlere Expositionshöhe oder andere Parameter wie
etwa maximale Spitzenwerte bedeutsam für eine biologische Wirkung
sind. Während bei ionisierender Strahlung üblicherweise davon ausgegangen wird, dass die über die Zeit summierte absorbierte Strahlenenergie, die Strahlen-„Dosis“, für das Auftreten einer Erkrankung
maßgebend ist, ist im Bereich nichtionisierender Strahlung das Expositionsmaß nicht eindeutig festgelegt. Effekte einer kumulativen Exposition sind hier nicht etabliert, aus Vorsorge-Sicht wird diese aber
als vernünftiges Expositionsmaß angesehen. Das Beispiel in Bild 1
verdeutlicht, wie unterschiedlich ein Expositionsprofil sein kann, das
mit einem Mittelwert beschrieben wird.
Für thermische Effekte gibt es Schwellenwerte, d. h. unterhalb dieser
Schwelle tritt kein Effekt auf – egal, wie hoch die über eine lange Zeit
summierte Dosis auch ist. Ein Beispiel dafür ist das Kochen eines
Eies. Bevor ein Effekt auftritt und das Eiweiß denaturiert, muss eine
Temperatur von ca. 60°C überschritten werden. Wird diese thermische
Schwelle nicht überschritten, so verändert sich die Struktur des Eiweißes nicht, egal, wie hoch die kumulative Wärmedosis ist, die im Laufe
der Zeit auf das Ei einwirkt.
3 Minuten bei 373°K
kumulative Dosis = 0,05h x 373K = 19 Kh
10 Minuten bei 373°K
kumulative Dosis = 0,16h x 373K = 62 Kh
14 Tage bei 300°K
kumulative Dosis = 336h x 300K = 100.800 Kh
Bild 2: Für das Kochen eines Eies ist ein Schwellenwert, und nicht die
einwirkende kumulative Wärmedosis ausschlaggebend. Diese ist hier mit
der Größenordnung Kelvin-Stunden (Kh) beschrieben.
Bild 1: Zwei unterschiedliche Expositionssituationen mit demselben Mittelwert: oben Werte, die nahe um den Mittelwert schwanken; unten konstant
tiefe Werte mit einigen wenigen hohen Ausschlägen.
Aus der Präsentation von Martin Röösli
Die empfohlenen ICNIRP-Grenzwerte für hochfrequente EMF orientieren sich an einer thermischen Wirkungsschwelle, ab der durch die
aufgenommene Strahlungsenergie im Körper ein Temperaturanstieg
messbar wird. Maßeinheit ist die „Spezifische Absorptionsrate“ (SAR),
die angibt, welche Leistung pro Kilogramm Körpergewicht (W/kg) aufgenommen wird. Ab einer absorbierten Leistung von etwa 4 W/kg kann
es im Körper zu einer physiologisch relevanten Temperaturerhöhung
kommen. Um solche Effekte sicher auszuschließen, werden die Grenzwerte für die Allgemeinbevölkerung 50 mal unterhalb dieser biologischen Wirkungsschwelle festgelegt, also bei 0,08 W/kg.
Ausgabe 2/2012 | Juli 2012
Mobiltelefone nach heutigem Stand des Wissens klein – falls
überhaupt vorhanden. Da diese Einschätzung aber noch mit
verschiedenen Unsicherheiten verbunden ist, hält es Vorsorgemaßnahmen für angemessen. Weitere Forschung, Monitoring,
Technikoptimierung und die Beteiligung aller Gesellschaftsgruppen sollen künftig sicherstellen, dass Risiken früh erkannt
werden und schnell und angemessen reagiert wird.
Fazit
Autoren
Dr. Gregor Dürrenberger ist Geschäftsleiter der
Forschungsstiftung Mobilkommunikation (FSM).
Promotion in Naturwissenschaften an der ETH
Zürich. Spezialisiert auf Umwelt- und Risikoforschung.
Kontakt:
Dr. Gregor Dürrenberger
Die Studie zur Abschätzung der durch GSM- und UMTS-Mobiltelefone induzierten niederfrequenten Ströme im menschlichen
Kopf hat gezeigt, dass niederfrequente Emissionen von Mobiltelefonen gering sind und dass das Telefonieren mit UMTS-Telefonen weiterhin empfohlen werden kann. Betrachtet man den
gesamten „elektromagnetischen Warenkorb“, dem wir im Alltag
ausgesetzt sind, so wird dieser zu einem großen Teil durch
selbstverursachte Expositionen durch Handy- und Schnurlostelefonnutzung bestimmt. Bei GSM-Nutzern machen sie den
Großteil der gesamten Exposition aus, bei UMTS-Nutzern liegen
sie etwa in derselben Größenordnung wie die Beiträge aus fixen
Installationen. Betrachtet man nur die Exposition des Kopfes, so
ist nahezu die gesamte Belastung auf Mobil- und DECT-Telefone zurückzuführen.
Alle Präsentationen vom 16. Science Brunch sind auf der Webseite der FSM verfügbar:
http://www.mobile-research.ethz.ch/dienstleistungen.htm
Forschungsstiftung Mobilkommunikation c/o ETH Zürich
Gloriastrasse 35, CH-8092 Zürich
E-Mail: gregor@mobile-research.ethz.ch
www.mobile-research.ethz.ch
Gabi Conrad ist Mitarbeiterin der WIK-Arbeitsgruppe „EMF und Umwelt“ und zuständig für das
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Gabi Conrad
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