Refluxbeschwerden bei Sängern und Bläsern - Review
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Refluxbeschwerden bei Sängern und Bläsern - Review
Musikphysiologie und Musikermedizin 2011, 18. Jg., Nr. 1 1 Refluxbeschwerden bei Sängern und Bläsern - Review Maria Schuppert 1, Dirk Verges 2, Frank Schuppert 3 Abstract Die Refluxkrankheit (GERD) tritt in den westlichen Industrienationen häufig auf. Erste Studien konnten zeigen, dass Sänger und Blasinstrumentalisten vermehrt von Refluxsymptomen betroffen sind, offenbar aufgrund spezifischer physiologischer Abläufe beim Musizieren. Besonders die atypischen Manifestationen der Refluxkrankheit können zu Beeinträchtigungen beim Musizieren führen. So gehen Schleimhautveränderungen im Rahmen einer Laryngitis posterior bei Sängern mit erheblichen Einschränkungen der sängerischen Leistungsfähigkeit einher. Dieser Artikel beleuchtet sowohl allgemeine als auch musikerspezifische Aspekte der Refluxkrankheit, fasst die bislang publizierten Studienergebnisse zum Reflux bei Sängern und Bläsern zusammen und stellt diagnostische und therapeutische Maßnahmen vor. Keywords Gastroösophageale Refluxkrankheit (GERD), Laryngitis posterior, Musikermedizin, Sänger, Bläser Abstract Gastroesophageal reflux disease (GERD) is a common disorder in western industrialized countries. Systematic studies could show a higher prevalence of reflux symptoms in singers and wind instrumentalists as compared to controls, presumably due to specific physiological mechanisms during performance. In particular, atypical manifestations of GERD may lead to impairments in music performance. Irritations of the laryngeal mucosa in laryngopharyngeal reflux induce severe disorders of the singers’ voice. This article focuses on general and music physiological aspects of GERD. It furthermore reviews the published data on reflux in singers and wind instrumentalists and suggests diagnostic as well as therapeutic procedures. Keywords Gastroesophageal reflux disease (GERD), Laryngopharyngeal reflux, Musicians` medicine, Singers, Wind instrumentalists 1. Die Refluxkrankheit “GERD“ Ein gehäufter Rückfluss von Magensaft in die Speiseröhre kann verschiedenartige klinische Beschwerden verursachen, die als gastroösophageale Refluxkrankheit oder abgekürzt GERD bezeichnet werden (gastroesophageal reflux disease). Mit einer Prävalenz von 10 bis 20 Prozent ist die GERD in den westlichen Industrienationen häufig anzutreffen. Sie kann sich in folgenden Manifestationsformen zeigen (8): a) Nicht-erosive Refluxkrankheit NERD (nonerosive reflux disease), bei der endoskopisch und feingeweblich keine Schädigung der Speiseröhren-Schleimhaut nachweisbar ist, die Patienten aber dennoch unter refluxassoziierten Beschwerden leiden. Bei 65 – 70 % aller Refluxpatienten handelt es sich um eine NERD. b) Erosive Refluxkrankheit ERD (erosive reflux disease) verschiedener Schweregrade, bei der Schleimhautdefekte und entzündliche Veränderungen der Speiseröhre, eine sogenannte Ösophagitis nachweisbar sind. c) Barrett-Ösophagus. Hierbei handelt es sich um eine feingeweblich nachweisbare Umwandlung des natürlichen Schleimhautgewebes im unteren Abschnitt der Speiseröhre durch chronischen Rückfluss von Magensaft. Epidemiologische Daten zeigen eine Zunahme der GERD-Inzidenz in den letzten Jahrzehnten, und zwar für alle Manifestationsformen der Erkrankung. Bei Männern und Frauen tritt die GERD etwa vergleichbar häufig auf. Es gibt keine eindeutig belegten altersspezifischen Unterschiede (8). 1 Zentrum für Musikergesundheit, Hochschule 2 für Musik Detmold, Abteilung für Phoniatrie und Pädaudiologie, Karl-Hansen-Klinik Bad 3 Lippspringe, Medizinische Klinik I, Klinikum Kassel 1.1 Allgemeine Symptomatik Während kurze Refluxepisoden bei gesunden Kindern und Erwachsenen einen natürlichen Vorgang ohne Krankheitsbedeutung darstellen, treten bei der Refluxkrankheit klinische Sym- 2 M. Schuppert et al. – Refluxbeschwerden bei Bläsern und Sängern ptome mit Beeinträchtigung der Lebensqualität oder ein Risiko für organische Komplikationen auf. Die häufigsten Symptome sind Sodbrennen, saures oder nichtsaures Aufstoßen, retrosternaler Schmerz (d.h. hinter dem Brustbein), Luftaufstoßen, Schluckerschwernis, seltener auch Schmerzen beim Schlucken und Oberbauchschmerzen. Die Beschwerden können besonders ausgelöst oder verstärkt werden nach den Mahlzeiten, nach längerem Nüchternzustand, durch süße Speisen oder Alkohol, bei gebückter Körperhaltung, im Liegen oder bei Betätigen der Bauchpresse (7, 8). Die GERD kann mit atypischen Manifestationen und Erkrankungssymptomen außerhalb von Magen und Speiseröhre einhergehen. Diese können für Sänger und Bläser von besonderer Bedeutung sein und werden im Verlauf dieser Arbeit detaillierter erläutert. 1.2 Allgemeine Pathophysiologie Das Ausmaß von GERD-Symptomen und Schleimhautschädigungen ist abhängig von der Häufigkeit der Refluxepisoden sowie von der Einwirkungszeit und der Aggressivität des zurückfließenden Magensafts. Hierin können neben der Magensäure auch Gallensäure und Verdauungsenzyme der Bauchspeicheldrüse in unterschiedlicher Konzentration enthalten sein. Während die Magenschleimhaut für die chemische Beschaffenheit des Magensaftes ausgelegt ist, kann die sensible Schleimhaut der Speiseröhre diesen nicht gut tolerieren. Bei GERD-Patienten ist - aus einem oder mehreren Gründen - die Balance zwischen natürlichen Schutzmechanismen der Schleimhaut und schädigenden Faktoren gestört (7). Die primäre Form der GERD wird verursacht durch eine eingeschränkte Funktion des Verschlussmechanismus zwischen Speiseröhre und Magen, des so genannten unteren Ösophagussphinkters (Abb. 1). Bei Gesunden liegt der Ruhedruck im Bereich des Sphinkters um ca. 10 – 25 mm Hg höher als der Druck im Magen, wodurch eine Druckbarriere zwischen Magen und Speiseröhre gegeben ist, sozusagen eine natürliche „Antireflux-Barriere“ (lediglich beim Schlucken erschlafft der Sphinkter kurzfristig). Anatomie und Physiologie der spiralig um das untere Ende der Speiseröhre angeordneten 3-4 cm langen Muskelzüge, welche den Sphinkter bilden, sind jedoch komplex und störanfällig. Abbildung 1: Anatomische Gegebenheiten mit Darstellung eines Reflux Reproduced with permission from: Kahrilas, PJ. Patient information: Acid reflux (gastroesophageal reflux disease) in adults. In: UpToDate, Basow, DS (Ed), UpToDate, Waltham, MA, 2011. Copyright © 2011 UpToDate, Inc. For more information visit www.uptodate.com. Musikphysiologie und Musikermedizin 2011, 18. Jg., Nr. 1 Für Funktionseinschränkungen sind vorrangig folgende Faktoren verantwortlich: • Vorübergehende Erschlaffungen (sogenannte transiente Relaxationen) des unteren Ösophagussphinkters. Besonders häufig sind diese bei einer Dehnung und Aufblähung des Magens. Es handelt sich dabei um ein reflektorisches Zusammenwirken der Sphinkter-, Zwerchfell- und Speiseröhrenmuskulatur. • Ein zu schwacher unterer Ösophagussphinkter mit erniedrigtem Ruhetonus und einer somit abgeschwächten physiologischen Druckbarriere zwischen unterer Speiseröhre und Magen. • Veränderungen anatomischer Gegebenheiten im Bereich des Sphinkters, oft in Verbindung mit einer Hiatushernie („Zwerchfellbruch“). Hierdurch kann der Verschluss des Magens nach oben nicht sicher gewährleistet sein. Übergewicht, Alkohol, Nikotin, einige Medikamente (u.a. Nitrate, Theophyllin, Calciumantagonisten), aber offenbar auch spezifische körperliche Belastungen beim Sport und Musizieren (→ 2.2.) erhöhen das Risiko eines Reflux durch gehäufte transiente Relaxationen oder eine Schwächung des Sphinkters. Weitere mögliche Mechanismen bei Schleimhautschädigungen in der Speiseröhre wären: • Abnorme Kontraktionsabläufe im unteren Abschnitt der Speiseröhre, wodurch die schädigende Säure nur verzögert abtransportiert wird und somit länger auf die Schleimhaut einwirken kann. • Ein aggressives Refluxmaterial. • Eine gestörte Clearance (Selbstreinigung) der Speiseröhre. Bei einer sekundären Form der GERD ist zwar die Funktion des Schließmuskels intakt, doch es führen anderweitig bedingte Veränderungen zu Refluxsymptomen. Hier wären insbesondere das häufig auftretende Sodbrennen im letzten Drittel der Schwangerschaft zu nennen, aber auch Symptome im Rahmen bestimmter Grunderkrankungen wie beispielsweise einer Verengung des Magenausgangs. 3 1.3 Für Sänger und Bläser besonders relevant: Manifestationen außerhalb der Speiseröhre Bei nahezu einem Drittel der Patienten kommt es zu Symptomen der Refluxkrankheit außerhalb der Speiseröhre, die als extraösophageale Manifestationen bezeichnet werden (8, 10). Sie werden oft als recht diffuse Beschwerden wahrgenommen und lassen dann nicht unmittelbar eine Assoziation mit der Refluxkrankheit zu. Dabei weisen manche Patienten keine oder kaum weitere typische Refluxsymptome auf, was die Beurteilung dieser Erkrankungsbilder nochmals erschwert. Die Pathomechanismen sind noch nicht vollständig geklärt. Am häufigsten treten auf • nicht kardial bedingter Brustschmerz • chronischer Husten (= Refluxbronchitis) • Verstärkung eines Asthma bronchiale • Refluxassoziierte Reizungen und Entzündungen im Bereich von Rachen und Kehlkopf (= laryngopharyngealer Reflux). Für Sänger, Blasinstrumentalisten und Personen in Sprechberufen sind diese besonders unangenehm und beruflich beeinträchtigend. Die Schädigungen werden zumindest teilweise durch Rückfluss von Mageninhalt bis in den Rachenraum erklärt und gehen mit folgenden Symptomen einhergehen: - Laryngitis posterior (= Refluxlaryngitis) mit Heiserkeit, Räusperzwang, Globusgefühl in Rachen und Hals (→ 1.4.). - Postnasal-Drip-Syndrom: bei diesem häufig auftretenden Problem besteht das Gefühl einer Überproduktion von Schleim mit ständigem Sekretabfluss in den Rachenraum, verursacht durch säurebedingte Schädigungen der Rachenschleimhaut (10). Dieses bunte Bild extraösophagealer Symptome macht die GERD zu einer Erkrankung, die nicht nur die Gastroenterologie, sondern auch die Fachbereiche HNO-Heilkunde, Phoniatrie und Pneumologie betrifft. 1.4 Die Laryngitis posterior bei Sängern Reizungen und Entzündungen im Bereich des Kehlkopfs im Sinne einer Laryngitis posterior (Refluxlaryngitis) stellen für Sänger eine besondere Problematik dar. Bereits geringe Schleimhautveränderungen die im endoskopischen Bild eher unscheinbar wirken, können zu einer erheblichen Einschränkung der sängerischen Leistungsfähigkeit (Stimmklangveränderung, rasche Stimmermüdung) führen. 4 M. Schuppert et al. – Refluxbeschwerden bei Bläsern und Sängern In einigen Studien wurden refluxassoziierte Störungen der Stimme bei Berufssängern signifikant häufiger genannt als im Vergleichskollektiv (→ 2.1., 2.2.). Zu beachten ist, dass sonstige Refluxzeichen häufig fehlen: nur 35 – 40 % der Patienten mit laryngopharyngealem Reflux leiden auch unter Sodbrennen und nur 25 % weisen entzündliche Veränderungen der Speiseröhre auf. Daher wird ein kausaler Zusammenhang zwischen GERD und laryngopharyngealem Reflux in der Fachliteratur noch immer kontrovers diskutiert (5). Das Störungsbild sollte jedoch gerade bei Sängern mit Stimmproblemen differentialdiagnostisch erwogen und nicht übersehen werden (15). Abbildung 3: Pachydermie an Larynxhinterwand Typisches Kennzeichen ist die Heiserkeit, die oft morgens besonders ausgeprägt ist. Häufig klagen die Sänger über eine belegte Stimme sowie eine verlängerte Zeit zum Einsingen. Dazu kommen Begleitsymptome wie ein Gefühl der Verschleimung, Räusperzwang, Hustenreiz, Brennen und Globusgefühl. Besonders während der ersten 10 – 15 Minuten des Singens treten Schleimbildung und Hustenreiz auf, offenbar ausgelöst durch die Druckerhöhung im Bauchraum (16). Die phoniatrische Untersuchung (Abbildungen 2, 3, 4) zeigt oft eine charakteristische Rötung und Schwellung der Stellknorpelregion und des Ösophagusmundes, oft mit grauweißen Schleimhautverdickungen und Fältelungen (Pachydermie) der hinteren Kehlkopfwand und Schleimhautveränderungen v.a. im hinteren Stimmlippenbereich (18). Abbildung 2: Ausgeprägte Schleimhautveränderungen bei massivem laryngopharyngealen Reflux Abbildung 4: Schwellung des Ösophagusmundes bei leichter Refluxsymptomatik Als Mechanismen der Schleimhautschädigung werden direkte und indirekte Faktoren angeführt: Da der Kehlkopf im Vergleich zur Speiseröhre eine weitaus empfindlichere Schleimhaut mit geringeren Schutzmechanismen aufweist, besteht bereits bei geringem direktem Kontakt mit Magensaft die Gefahr von Reizungen und entzündlichen Reaktionen. Zudem fehlen in dieser Region – anders als in der Speiseröhre - die peristaltischen Bewegungen, weshalb schädigende Refluxanteile länger einwirken und somit stärkere lokale Auswirkungen haben. Aber selbst durch pH-neutralen Reflux sind sängerische Probleme möglich, da auch die nichtsauren Bestandteile des Mageninhalts Irritationen des sensiblen Kehlkopfepithels verursachen können. Sehr selten kann ein alkalischer Galle-Reflux zu Kehlkopfsymptomen führen. Musikphysiologie und Musikermedizin 2011, 18. Jg., Nr. 1 Als indirekter Mechanismus wird diskutiert, dass durch Refluxmaterial zunächst eine Irritation z.B. der Speiseröhre verursacht wird. Hierdurch können Kehlkopfreflexe ausgelöst werden, die dann wiederum zu (vagusvermittelten) Reaktionen wie Hustenreiz führen (5). 2. Refluxsymptome bei Sängern und Bläsern 2.1 Musiker im Vergleich In mehreren Studien wurden Refluxsymptome bei Sängern und Blasinstrumentalisten signifikant häufiger beobachtet als in Vergleichsgruppen (3, 4, 14). Auch zeigten verschiedene Kasuistiken eine Verstärkung der Refluxkrankheit durch professionelles Singen (1, 11). Cammarota et al. untersuchten die Prävalenz von Refluxsymptomen im Verlauf eines Jahres bei professionellen Opernchorsängern (n=351) im Vergleich zu einem Normkollektiv (n=578) (3). Die Daten wurden mittels strukturierter Fragebögen erfasst und unter Berücksichtigung von Alter, Geschlecht, Body Mass Index, Nikotin- und Alkoholkonsum sowie weiterer Störvariablen analysiert. Die Opernchorsänger klagten im Vergleich zum Normkollektiv signifikant häufiger über Sodbrennen, saures Aufstoßen, Husten und Heiserkeit. Das Auftreten von saurem Aufstoßen stand in Zusammenhang mit der „Lebens-Singezeit“ und der wöchentlichen sängerischen Aktivitäten. Diese Ergebnisse konnten in einer Multicenterstudie von Pregun et al. bestätigt werden (14). Sie verglichen die Prävalenz von Refluxbeschwerden bei professionellen Opernchorsängern (n=202), Blasinstrumentalisten (n=71), Glasbläsern (n=43), Wasserballspielern (n=54) und einem Normkollektiv (n=115). Die Datenerhebung war angelehnt an die beschriebene Methodik von Cammarota et al. (3). Die Gruppe der Blasinstrumentalisten war nicht weiter nach Instrumentenklassen differenziert. Auch in dieser Studie zeigten die Chorsänger eine gegenüber dem Normkollektiv signifikant erhöhte Prävalenz von Sodbrennen, saurem Aufstoßen und Heiserkeit. Blasinstrumentalisten hatten signifikant häufiger Episoden von Sodbrennen und von saurem Aufstoßen. Bei den Glasbläsern ergab sich eine Signifikanz für saures Aufstoßen. Dagegen lagen die Beschwerderaten bei den Wasserballspielern ähnlich wie im Normkollektiv. Die Datenanalysen dieser Studie zeigten einige weitere interessante Korrelationen: so stieg die Prävalenz von Refluxsymptomen nicht nur bei Sängern, sondern auch bei Blasinstrumentalisten und Glasbläsern signifikant mit der An- 5 zahl an Jahren, welche aktiv gesungen / geblasen worden war, sowie mit dem Body Mass Index der betroffenen Personen. Sänger waren häufiger als andere von stark beeinträchtigenden Refluxsymptomen betroffen. Es zeigten sich keine Unterschiede zwischen den verschiedenen Stimmgattungen. Sowohl Sänger als auch Bläser nahmen berufsbedingt oft noch späte Abendmahlzeiten ein, was zum Auftreten von Beschwerden beitragen kann (→ 2.2.). Pregun und Kollegen schlagen aufgrund der gewonnenen Daten vor, den Reflux bei Blasinstrumentalisten, Glasbläsern und Sängern als berufsbedingte Erkrankung einzustufen (14). In einer neuen Studie untersuchte die Arbeitsgruppe um Cammarota die Prävalenz von Refluxsymptomen bei Blasinstrumentalisten (n=414) (4). Die Bläser - Mitglieder italienischer Berufsorchester - wurden differenziert nach Rohrblattinstrumenten, Blechbläsern sowie Flötisten und wurden mit anderen Orchestermusikern (n=669) verglichen. Das Procedere entsprach wieder dem der oben vorgestellten Studien. Die Bläser litten signifikant häufiger unter Sodbrennen. Beim Vergleich der unterschiedlichen Bläsergruppen zeigte sich interessanterweise, dass Flötisten und Spieler von Doppelrohrblattinstrumenten offenbar am stärksten betroffen sind. 2.2 Gibt es besondere Pathomechanismen bei Sängern und Bläsern? Nach den bisher vorliegenden Studien erhöht sich also nach langjährigem Singen und Blasinstrumentenspiel die Neigung zu Refluxsymptomen, und zwar offenbar auch ohne Vorliegen anderer Risikofaktoren. Besonders Sodbrennen und saures Aufstoßen treten bei diesen Musikern gehäuft auf. Dies lässt vermuten, dass bestimmte (musik-) physiologische Vorgänge beim Singen und Blasinstrumentenspiel eine solche Symptomatik zumindest verstärken, eventuell aber auch verursachen können. Welche besonderen Mechanismen liegen hier vor? Zunächst sei darauf hingewiesen, dass auch bei gesunden Sportlern je nach Intensität, Art und Dauer der Belastung eine Neigung zu Refluxsymptomen während der Trainings- und Wettkampfphase besteht (6, 9, 13). Besonders bei Ausdauersportarten und bei sportlicher Aktivität zu früh nach Nahrungsaufnahme kann es zu Sodbrennen und saurem Aufstoßen kommen. Vermutet werden verschiedene Faktoren, unter anderem eine verzögerte Magenentleerung durch verminderte regionale Durchblutung, eine gestörte Clearance der Speiseröhre durch reduzierte Motilität der Speiseröhre und häufigere Relaxationen des 6 M. Schuppert et al. – Refluxbeschwerden bei Bläsern und Sängern unteren Sphinkters. Auch eine gestörte Balance zwischen den entgegengesetzt ablaufenden Druckverhältnissen im Bauch- und Brustraum wurde bei Sportlern als refluxfördernd gefunden. Da das professionelle Singen und Blasinstrumentenspiel ebenfalls mit einer intensiven Ausdauerarbeit und spezifischen physischen Abläufen einhergeht stellt sich die Frage, ob eventuell ähnliche Zusammenhänge wie bei Sportlern zum Tragen kommen. Es liegen bislang jedoch kaum Untersuchungen über die Pathomechanismen einer Refluxverstärkung bei Sängern und Bläsern vor. Daher können wir derzeit lediglich die physiologischen Abläufe beim Singen und Blasen analysieren und dann unter Berücksichtigung der sportbezogenen und allgemeinen Reflux-Studien Vermutungen zur Pathophysiologie ableiten. Es gilt als gesichert, dass eine vermehrte Atemarbeit mit tiefer Inspiration und abrupten oder lang andauernden Erhöhungen des Drucks im Brustraum und Bauchraum den Druckgradienten am unteren Ösophagussphinkter verändert, wodurch die AntirefluxBarriere beeinträchtigt werden kann. Professionelles Singen und Blasinstrumentenspiel erfordert ständig eine solche Atemarbeit mit schnell wechselnden, anhaltenden oder sehr rasch aufgebauten Drücken, in Verbindung mit der Atemstütze. So ist beim Singen häufig ein plötzlicher Abfall des subglottischen Drucks erforderlich, der wiederum mit abrupter und anhaltender Steigerung des Drucks im Bauchraum einhergeht (1, 3, 10, 16). Wegen der intensiven Beanspruchung des Zwerchfells werden bei Sängern und Bläsern auch Ermüdungseffekte der Zwerchfellmuskulatur nach längerem Üben oder Aufführungen diskutiert. Da die Schenkel des Zwerchfells einen wesentlichen Anteil am Sphinktermechanismus darstellen, würde deren Ermüdung zur Verstärkung von Refluxsymptomen führen können (2, 11, 14). In diesem Zusammenhang sollte auch erwähnt werden, dass bislang keine Studien über die Prävalenz von Zwerchfellhernien bei Sängern und Bläsern im Vergleich zum Normkollektiv vorliegen. Beim Spielen der Flöte müssen vergleichsweise hohe Luftflüsse aufgebracht werden, während das Spielen von Doppelrohrblattinstrumenten einen besonders hohen Blasdruck erfordert. Erste Untersuchungen der Arbeitsgruppe um Cammarota lassen einen Zusammenhang dieser bläserphysiologischen Extreme (hoher Luftfluss / hoher Blasdruck) mit ei- ner Verstärkung von Refluxsymptomen vermuten (4). Zusammenfassend ist also davon auszugehen, dass die erhöhte Neigung zu Refluxsymptomen bei Sängern und Bläsern zumindest zum Teil auf Funktionsstörungen im Bereich des unteren Ösophagussphinkters beruht, verursacht durch die Besonderheiten der Sängerund Bläseratmung. Berufsbezogene Faktoren wie spätes Essen aufgrund der Aufführungen am Abend können zur Verstärkung von Beschwerden beitragen. Ebenso das von Opernsängern zuweilen verlangte Singen in ungünstigen Körperpositionen. Unklar ist, ob sich auch die von Sängern viel praktizierten Atemübungen mit dem Ziel einer besseren „Durchlässigkeit“ des Atems im Einzelfall negativ auswirken können. In allgemeinen Studien hatten sich Hinweise auf einen Zusammenhang zwischen refluxbedingten Beschwerden und psychologischen Faktoren, u.a. Stress und Angstneigung gezeigt (12). Inwieweit die psychomentale Belastung bei professionellen Musikern gegebenenfalls zur Verstärkung einer GERDSymptomatik beitragen kann, wurde jedoch bislang nicht untersucht. Insgesamt lassen sich anhand der derzeitigen Studienlage die komplexen pathophysiologischen Zusammenhänge zwischen Singen bzw. Blasinstrumentenspiel und GERD nur lückenhaft erfassen. 3. Diagnostik und Therapie Die Diagnostik und Therapie der Refluxkrankheit bei Sängern und Bläsern erfolgt prinzipiell entsprechend den aktuellen Leitlinien (8). Notwendig ist jedoch auch eine differenzierte musikermedizinische Anamnese. Denn nicht selten äußern sich die Refluxbeschwerden besonders im unmittelbaren Zusammenhang mit dem Musizieren und bleiben ansonsten eher diskret. Auch eventuelle Beeinträchtigungen des Musizierens durch Refluxsymptome müssen genau erfragt werden, um Diagnostik und Therapie individuell anpassen zu können. Bei Sängern mit refluxassoziierten Stimmstörungen ist eine interdisziplinäre Abklärung und Therapie seitens der Gastroenterologie und Phoniatrie erforderlich. Ein Algorithmus zu Diagnostik und Behandlung ist in Abbildung 5 dargestellt. Musikphysiologie und Musikermedizin 2011, 18. Jg., Nr. 1 7 Abbildung 5: Algorithmus zu Diagnostik und Behandlung. Abkürzungen: GERD = gastroösophageale Refluxkranheit, PPI = Protonenpumpenhemmer (-inhibitoren) Allgemein gilt als sensitivstes klinisches Symptom einer GERD das Sodbrennen. Sofern dieses von den Patienten - ob Musiker oder Nichtmusiker - als führendes Problem angegeben wird, liegt zu > 75 % eine Refluxerkrankung vor. Umgekehrt schließt jedoch das Fehlen endoskopischer Veränderungen eine GERD nicht aus (→ 1., 1.3.). Auch lässt der subjektiv erlebte Charakter von Refluxbeschwerden keinen direkten Rückschluss auf den tatsächlichen Schweregrad der GERD zu (8). • Frühe Endoskopie: Auch bei eindeutiger Refluxsymptomatik wird daher zunächst eine frühe Endoskopie (Ösophago-Gastro-Duodenoskopie) empfohlen. • Phoniatrische Untersuchung: Bei Sängern mit stimmlichen Beeinträchtigungen erfolgt zusätzlich die phoniatrische Untersuchung mit differentialdiagnostischer Abklärung einer Laryngitis posterior. • Protonenpumpeninhibitoren (PPI): Bei allgemeiner GERD-Symptomatik und Laryngitis posterior bzw. sonstigen extraösophagealen Symptomen wird anschließend eine Probetherapie mit Protonenpumpeninhibitoren (PPI) in der Standarddosierung, z.B. 2 x 20 mg Omeprazol / Tag durchgeführt. PPIs verringern die Sekretion von Magensäure, führen so zum Anstieg des pH-Werts im Magensaft und zur Reduktion säurebedingter Schleimhautschäden. PPIs entfalten ihre Wirkungen am besten bei Einnahme 30-45 Minuten vor der ersten Mahlzeit des Tages. Voraussetzung für die Probetherapie bei Laryngitis posterior ist der Ausschluss maligner Erkrankungen des Kehlkopfs! • 24-Stunden-pH-Metrie, Manometrie, intraluminale Impedanzmessung: Bei nicht ausreichendem Ansprechen auf PPIs erfolgt eine 24-Stunden-pH-Metrie. Sie bestimmt den pH-Wert im unteren Abschnitt der Speiseröhre. Durch eine kombinierte pH-Metrie, Manometrie und intraluminale 8 M. Schuppert et al. – Refluxbeschwerden bei Bläsern und Sängern Impedanzmessung lassen sich weitere Erkrankungen der Speiseröhre ausschließen. Sänger und Bläser sollten angewiesen werden, im Verlauf der Messungen auch zu musizieren, um eine eventuelle Provokation der Symptomatik in diesem Zusammenhang nachweisbar zu machen. • Intensivierte PPI-Therapie: Bei pHmetrisch nachgewiesenem saurem Reflux und Nicht-Ansprechen der Standardtherapie erfolgt ggf. eine intensivierte PPITherapie mit z.B. 2 x 40 mg Omeprazol / Tag. Für die Laryngitis posterior ohne sonstige GERD-Symptomatik wird der Einsatz von PPIs kontrovers diskutiert. Doch bei ausgeprägten Beschwerden, beruflicher Beeinträchtigung und Störungen der Gesangsstimme werden PPIs intensiviert und langfristig bis zu sechs Monaten empfohlen, da die empfindliche Kehlkopfschleimhaut längere Zeit bis zur vollständigen Ausheilung benötigt (5, 8, 17). • Weitere Medikation: Wenn Refluxsymptome erwartet werden, beispielsweise vor einer sängerischen / bläserischen Belastung, kann situativ auch eine vorherige Gabe von Antazida erwogen werden, um die bereits im Magen vorhandene Säure zu neutralisieren (5). Bei pH-metrisch nachgewiesenem alkalischem Galle-Reflux wird zu einem Therapieversuch mit dem Wirkstoff Colestyramin geraten. • Operative Verfahren: Bei nachgewiesenem Reflux und Nicht-Ansprechen der bisher genannten Therapie ist ein operatives Vorgehen (Fundoplicatio) zu erwägen. Hierbei wird eine einengende Manschette aus Magengewebe um den Übergang zwischen Magen und Speiseröhre gelegt und somit die Verschluss-Funktion des unteren Sphinkters wieder verbessert. • Diätetische und Verhaltensmaßnahmen: Diese können den Therapieverlauf unterstützen. Hierzu zählen das Schlafen mit erhöhtem Kopfteil, reduzierte Nahrungsaufnahme vor sängerischer / bläserischer Belastung, sowie das Meiden säureanregender Speisen und später Abendmahlzeiten. 4. Fazit Die bisher publizierten Studien zeigen, dass Refluxsymptome bei Sängern und Bläsern vermehrt auftreten. Einige der refluxassoziierten Beschwerden können mit deutlichen Beeinträchtigungen der künstlerischen Leistungsfähigkeit einhergehen. Sie erfordern daher ein eng am Beruf orientiertes, musikerspezifisches Vorgehen. Bei Sängern mit Laryngitis posterior ist eine interdisziplinäre Diagnostik und Therapie durch Gastroenterologen und Phoniater notwendig. Literatur 1. 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