Trainingsheft schriftliches Abitur Deutsch zu Georg Büchner „Woyzeck“
Transcription
Trainingsheft schriftliches Abitur Deutsch zu Georg Büchner „Woyzeck“
2012 Trainingsheft schriftliches Abitur Deutsch zu Georg Büchner „Woyzeck“ Randzeichnung Büchners zur Straßenszene Jürgen Bucksch 01.02.2012 Inhaltsverzeichnis TPI 620 Exposition: Welche Szenenreihung ist plausibel ? Die Figurenkonstellation ( 11 Seiten ) TIP 622 Aspekte einer Szenenanalyse Probeklausur Szenenanalyse „Die Stadt“ ( 1 Seite ) ( 4 Seiten ) Kompetenzbereich „Einen dramatischen Text analysieren“ ( 11 Seiten ) TIP 631 Textanalyse Inhaltsaspekt: Handlungsablauf ( 4 Seiten ) TIP 632 Textanalyse Inhaltsaspekt: Figurenkonstellation ( 2 Seiten ) TIP 633 Textanalyse Inhaltsaspekt: Die Stoffgeschichte ( 1 Seite ) TIP 634 Textanalyse Formaspekt: Sprache / Kommunikation ( 2 Seiten ) TIP 635 Textanalyse Inhaltsaspekt: Die Raumstruktur des Textes ( 1 Seite ) TIP 636 Textanalyse Inhaltsaspekt: Die Zeitstruktur des Textes ( 1 Seite ) LGV 10 Vormärz Epochenbegriff Abiturvorbereitung BG SH ( 7 Seiten ) BVW 30 Wissen zu Büchner und Woyzeck Abiturvorbereitung BG SH ( 2 Seiten ) LGV 35 Der Literaturmarkt im Vormärz Abiturvorbereitung BG SH ( 2 Seiten ) LÜA 51 Vormärz Epochenüberblick Abiturvorbereitung BG SH ( 1 Seite ) Abituraufgaben Probeklausuren Themenkorridor1(2011 ) Literarischer Text – untersuchend eA Georg Büchner: Leonce und Lena – erhöhter Anforderungsbereich ( 5 Seiten ) Sachtext – untersuchend gA Georg Büchner: Brief an die Familie vom 5. April 1833 – grundlegender Anforderungsbereich ( 5 Seiten ) TIP 620 Textinterpretation Drama Büchner: Woyzeck Kompetenzaspekt: Die Handlungsstruktur beschreiben ( zu den Teillaspekten ) www.fo-net.de Szene: Beim Hauptmann Woyzeck rasiert den Hauptmann. Der verhöhnt ihn. Als der Hauptmann über Moral und über Woyzecks Kind zu reden kommt, das ohne den Segen der Kirche geboren sei, gibt der Soldat seine Wortkargheit auf. Ich glaub’, wenn wir [arme Leute] in den Himmel kämen, müssten wir donnern helfen! Büchners letztes Werk “Woyzeck” ist ein Fragment. Es existieren vier unterschiedliche Fassungen. Auch der Titel stammt nicht von Büchner. Die unterschiedlichen Szenen des Stückes können ganz unterschiedlich gereiht werden. Jede Szene beleuchtet einen anderen Aspekt der Hauptperson. Aufgabe: Betrachten Sie die folgende Szene (Beim Hauptmann) unter drei Aspekten: 1. Enthält diese Szene Momente einer Exposition? Entscheiden Sie diese Frage aus der Betrachtung der Szene heraus und mit Blick auf die mögliche Folgeszene! 2. Analysieren Sie in der Szene die innere und äußere Verfasstheit von Woyzeck (und dem Hauptmann!) 3. Schreiben Sie eine Inhaltsanhabe zu der Szene und vergleichen Sie diese mit der Inhaltsangabe von Wikipedia (siehe oben) ! 1 TIP 620 Textinterpretation Drama Büchner: Woyzeck Kompetenzaspekt: Die Handlungsstruktur beschreiben ( zu den Teillaspekten ) www.fo-net.de Beim Hauptmann Hauptmann auf dem Stuhl, Woyzeck rasiert ihn. 5 10 15 HAUPTMANN: Langsam, Woyzeck, langsam; eins nach dem andern! Er macht mir ganz schwindlig. Was soll ich dann mit den 10 Minuten anfangen, die Er heut zu früh fertig wird? Woyzeck, bedenk Er, Er hat noch seine schönen dreißig Jahr zu leben, dreißig Jahr! Macht dreihundertsechzig Monate! und Tage! Stunden! Minuten! Was will Er denn mit der ungeheuren Zeit all anfangen? Teil Er sich ein, Woyzeck! WOYZECK: Jawohl, Herr Hauptmann. HAUPTMANN: Es wird mir ganz angst um die Welt, wenn ich an die Ewigkeit denke. Beschäftigung, Woyzeck, Beschäftigung! Ewig: das ist ewig, das ist ewig - das siehst du ein; nur ist es aber wieder nicht ewig, und das ist ein Augenblick, ja ein Augenblick - Woyzeck, es schaudert mich, wenn ich denke, daß sich die Welt in einem Tag herumdreht. Was 'n Zeitverschwendung! Wo soll das hinaus? Woyzeck, ich kann kein Mühlrad mehr sehen, oder ich werd melancholisch. WOYZECK: Jawohl, Herr Hauptmann. 20 HAUPTMANN: Woyzeck, Er sieht immer so verhetzt aus! Ein guter Mensch tut das nicht, ein guter Mensch, der sein gutes Gewissen hat. - Red er doch was Woyzeck! Was ist heut für Wetter? WOYZECK: Schlimm, Herr Hauptmann, schlimm: Wind! 25 HAUPTMANN: Ich spür's schon. 's ist so was Geschwindes draußen: so ein Wind macht mir den Effekt wie eine Maus. - Pfiffig: Ich glaub', wir haben so was aus Süd-Nord? WOYZECK: Jawohl, Herr Hauptmann. 30 HAUPTMANN: Ha, ha ha! Süd-Nord! Ha, ha, ha! Oh, Er ist dumm, ganz abscheulich dumm! - Gerührt: Woyzeck, Er ist ein guter Mensch -aber--Mit Würde: Woyzeck, Er hat keine Moral! Moral, das ist, wenn man moralisch ist, versteht Er. Es ist ein gutes Wort. Er hat ein Kind ohne den Segen der Kirche, wie unser hocherwürdiger Herr Garnisionsprediger sagt - ohne den Segen der Kirche, es ist ist nicht von mir. 35 WOYZECK: Herr Hauptmann, der liebe Gott wird den armen Wurm nicht drum ansehen, ob das Amen drüber gesagt ist, eh er gemacht wurde. Der Herr sprach: Lasset die Kleinen zu mir kommen. HAUPTMANN: Was sagt Er da? Was ist das für eine kuriose Antwort? Er macht mich ganz konfus mit seiner Antwort. Wenn ich sag': Er, so mein' ich Ihn, Ihn - 40 WOYZECK: Wir arme Leut - Sehn Sie, Herr Hauptmann: Geld, Geld! Wer kein Geld hat - Da setz einmal eines seinesgleichen auf die Moral in 2 TIP 620 Textinterpretation Drama Büchner: Woyzeck Kompetenzaspekt: Die Handlungsstruktur beschreiben ( zu den Teillaspekten ) www.fo-net.de der Welt! Man hat auch sein Fleisch und Blut. Unsereins ist doch einmal unselig in der und der andern Welt. Ich glaub', wenn wir in Himmel kämen, so müßten wir donnern helfen. 5 10 15 20 HAUPTMANN: Woyzeck, Er hat keine Tugend! Er ist kein tugendhafter Mensch! Fleisch und Blut? Wenn ich am Fenster lieg', wenn's geregnet hat, und den weißen Strümpfen nachseh', wie sie über die Gassen springen - verdammt, Woyzeck, da kommt mir die Liebe! Ich hab' auch Fleisch und Blut. Aber, Woyzeck, die Tugend! Die Tugend! Wie sollte ich dann die Zeit rumbringen? Ich sag' mir immer: du bist ein tugendhafter Mensch - gerührt: -, ein guter Mensch, ein guter Mensch. WOYZECK: Ja, Herr Hauptmann, die Tugend - ich hab's noch nit so aus. Sehn Sie: wir gemeine Leut, das hat keine Tugend, es kommt nur so die Natur; aber wenn ich ein Herr wär und hätt' ein' Hut und eine Uhr und eine Anglaise und könnt' vornehm rede, ich wollt' schon tugendhaft sein. Es muß was Schönes sein um die Tugend, Herr Hauptmann. Aber ich bin ein armer Kerl! HAUPTMANN: Gut, Woyzeck. Du bist ein guter Mensch, ein guter Mensch. Aber du denkst zuviel, das zehrt; du siehst immer so verhetzt aus. Der Diskurs hat mich ganz angegriffen. Geh jetzt, und renn nicht so; langsam, hübsch langsam die Straße hinunter! 3 TIP 621 Textinterpretation Drama Büchner: Woyzeck Kompetenzaspekt: Die Handlungsstruktur beschreiben ( zu den Teillaspekten ) www.fo-net.de Szene: Freies Feld, die Stadt in der Ferne Woyzeck, der mit seinem Kameraden Andres Weidenstöcke schneidet, fühlt sich von übernatürlichen Mächten bedroht: Es geht hinter mir, unter mir – hohl, hörst du? Alles hohl da unten. Die Freimaurer! – Andres versucht seine durch Woyzecks Halluzinationen ausgelöste Angst mit dem Volkslied von den „zwei Hasen“ zu verdrängen. Büchners letztes Werk “Woyzeck” ist ein Fragment. Es existieren vier unterschiedliche Fassungen. Auch der Titel stammt nicht von Büchner. Die unterschiedlichen Szenen des Stückes können ganz unterschiedlich gereiht werden. Jede Szene beleuchtet einen anderen Aspekt der Hauptperson. Aufgabe: Betrachten Sie die folgende Szene ( Freies Feld, die Stadt in der Ferne ) unter vier Aspekten: 1. Enthält diese Szene Momente einer Exposition? Entscheiden Sie diese Frage aus der Betrachtung der Szene heraus und mit Blick auf die mögliche Folgeszene! 2. Analysieren Sie in der Szene die innere und äußere Verfasstheit von Woyzeck (und Andres!) 3. Schreiben Sie eine Inhaltsanhabe zu der Szene und vergleichen Sie diese mit der Inhaltsangabe von Wikipedia (siehe oben) 4. Bauen Sie in Ihrer Gruppe zwei Standbilder, aus denen Woyzecks Zustand und Andres’ Einstellung dazu optisch deutlich wird. Dazu bilden Sie aus frei zu wählenden Textstellen, die auf das Wort genau ausgesucht werden müssen, gewissermaßen ein Foto ab: Die Personen erstarren darin gleichsam mitten im Wort. 1 TIP 621 Textinterpretation Drama Büchner: Woyzeck Kompetenzaspekt: Die Handlungsstruktur beschreiben ( zu den Teillaspekten ) www.fo-net.de Freies Feld, die Stadt in der Ferne Woyzeck und Andres schneiden Stecken im Gebüsch. Andres pfeift. WOYZECK: Ja, Andres, der Platz ist verflucht. Siehst Du den lichten Streif da über das Gras hin, wo die Schwämme so nachwachsen? Da rollt abends der Kopf. Es hob ihn einmal einer auf, er meint', es wär ein Igel: drei Tag und drei Nächt, er lag auf den Hobelspänen (Erläuterung: Tote wurden in der Zeit auf mit Holzspänen gefüllten Kissen gebettet). - Leise:Andres, das waren die Freimaurer! Ich hab's, die Freimaurer! (Den Freimaurern als religionenübergreifendem Geheimbund wurde nachgesagt, dass sie sich in unterirdischen Versammlungsräumen trafen) Kommentar [JB1]: Ist isoliert Kommentar [JB2]: Parataktischer Satzbau Kommentar [JB3]: deiktisch Kommentar [JB4]: deiktisch ANDRES singt: Saßen dort zwei Hasen, fraßen ab das grüne, grüne Gras... Kommentar [JB5]: Andres beachtet Woyzeck nicht. WOYZECK: Still: Hörst du's, Andres? Hörst du's? Es geht was! ANDRES: Fraßen ab das grüne, grüne Gras... bis auf den grünen Rasen. Kommentar [JB6]: Volkslied WOYZECK: Es geht hinter mir, unter mir. - Stampft auf den Boden: Hohl, hörst Du? Alles hohl da unten! Die Freimaurer! ANDRES: Ich fürcht' mich. Kommentar [JB7]: Andres gesteht seine Furcht. WOYZECK: 's ist so kurios still. Man möcht' den Atem halten. Andres! ANDRES: Was? WOYZECK: Red was! - Starrt in die Gegend. - Andres, wie hell! Über der Stadt is alles Glut! Ein Feuer fährt um den Himmel und ein Getös herunter wie Posaunen. Wie's heraufzieht! Fort! Sieh nicht hinter dich! - Reißt ihn ins Gebüsch. Kommentar [JB8]: Bibel-Zitat „drei Tag und drei Nächt“ aus dem NT Matthäus 12, 40, Zeile 21/22 Apokalypse (Vision des Unterganges) ANDRES nach einer Pause: Woyzeck, hörst du's noch? WOYZECK: Still, alles still, als wär' die Welt tot. ANDRES: Hörst du? Sie trommeln drin. Wir müssen fort! 1 Kommentar [JB9]: In der Stadt wird das Garnisionssignal getrommelt. TIP 622 Textinterpretation Drama Büchner: Woyzeck Kompetenzaspekt: Die Handlungsstruktur beschreiben ( zu den Teillaspekten ) www.fo-net.de Szene: Die Stadt Die Militärkapelle marschiert auf der Straße vorbei. Marie winkt dem Tambourmajor zu. Die Nachbarin Margreth bekommt das mit. Woyzeck besucht seine Geliebte und das Kind. Er spricht geheimnisvoll. Marie zeigt kein Verständnis. Büchners letztes Werk “Woyzeck” ist ein Fragment. Es existieren vier unterschiedliche Fassungen. Auch der Titel stammt nicht von Büchner. Die unterschiedlichen Szenen des Stückes können ganz unterschiedlich gereiht werden. Jede Szene beleuchtet einen anderen Aspekt der Hauptperson. Aufgabe: Betrachten Sie die folgende Szene (Die Stadt) unter drei Aspekten: 1. Enthält diese Szene Momente einer Exposition? Entscheiden Sie diese Frage aus der Betrachtung der Szene heraus und mit Blick auf die mögliche Folgeszene! 2. Analysieren Sie in der Szene die innere und äußere Verfasstheit von Woyzeck (und dem Tambourmajor, Margreth und Marie !) 3. Schreiben Sie eine Inhaltsanhabe zu der Szene und vergleichen Sie diese mit der Inhaltsangabe von Wikipedia (siehe oben) ! 1 TIP 622 Textinterpretation Drama Büchner: Woyzeck Kompetenzaspekt: Die Handlungsstruktur beschreiben ( zu den Teillaspekten ) www.fo-net.de Die Stadt Marie mit ihrem Kind am Fenster. Margret. Der Zapfenstreich geht vorbei, der Tambourmajor voran. 5 MARIE das Kind wippend auf dem Arm: He, Bub! Sa ra ra ra! Hörst? Da kommen Sie! MARGRET: Was ein Mann, wie ein Baum! MARIE: Er steht auf seinen Füßen wie ein Löw. Kommentar [JB2]: Der Begriff stammt aus der Zeit der Landsknechte und war das Zeichen für den Beginn der Nachtruhe in den Quartieren. Kommentar [JB3]: Der Tambourmajor war vom Hochmittelalter bis in die Neuzeit der Anführer der Trommler, die die Armeen auf das Schlachtfeld oder zu Paradezwecken anführten Kommentar [JB4]: Hess. Dialekt Tambourmajor grüßt. 10 Kommentar [JB1]: 1.ABSCHNITT BIS ZEILE 10: MARIE AM FENSTER Kommentar [JB5]: elliptisch MARGRET: Ei, was freundliche Auge, Frau Nachbarin! So was is man an ihr nit gewöhnt. MARIE singt : Soldaten, das sind schöne Bursch ... MARGRET: Ihre Auge glänze ja noch - 15 MARIE: Und wenn! Trag Sie Ihr Aug zum Jud, und laß Sie sie putze; vielleicht glänze sie noch, daß man sie für zwei Knöpfe verkaufen könnt. MARGRET: Was, Sie? Sie? Frau Jungfer! Ich bin eine honette Person, aber Sie, es weiß jeder, Sie guckt sieben Paar lederne Hose durch! 20 25 MARIE: Luder! - Schlägt das Fenster durch. - Komm, mei Bub! Was die Leute wolle. Bist doch nur ein arm Hurenkind und machst deiner Mutter Freud mit deim unehrlichen Gesicht! Sa! sa! - Singt Mädel, was fangst Du jetzt an? Hast ein klein Kind und kein' Mann! Ei, was frag' ich danach? Sing' ich die ganze Nacht heio, popeio, mei Bu, juchhe! Gibt mir kein Mensch nix dazu. Es klopft am Fenster. 30 MARIE: Wer da? Bist du's, Franz? Komm herein! WOYZECK: Kann nit. Muß zum Verles'. MARIE: Hast du Stecken geschnitten für den Hauptmann? WOYZECK: Ja, Marie. 2 Kommentar [JB6]: 2.ABSCHNITT BIS ZEILE 18: DER STREIT MIT DER NACHBARIN Kommentar [JB7]: Verblasste Schönheit Kommentar [JB8]: ordinär Kommentar [JB9]: paradox Kommentar [JB10]: Woyzeck ist nicht Maries Ehemann – Das Lied spiegelt Maries Situation. TIP 622 Textinterpretation Drama Büchner: Woyzeck Kompetenzaspekt: Die Handlungsstruktur beschreiben ( zu den Teillaspekten ) www.fo-net.de MARIE: Was hast du, Franz? Du siehst so verstört. WOYZECK geheimnisvoll: Marie, es war wieder was, viel - steht nicht geschrieben: Und sie, da ging ein Rauch vom Land, wie der Rauch vom Ofen? 5 MARIE: Mann! WOYZECK: Es ist hinter mir hergangen bis vor die Stadt. Etwas, was wir nicht fassen, begreifen, was uns von Sinnen bringt. Was soll das werden? Kommentar [JB11]: Woyzeck teilt Marie seine grässlichen Visionen mit. MARIE: Franz! 10 15 WOYZECK: Ich muß fort. - Heut abend auf die Meß! Ich hab wieder gespart. - Er geht. MARIE: Der Mann! So vergeistert. Er hat sein Kind nicht angesehn! Er schnappt noch über mit den Gedanken! - Was bist so still, Bub? Furchtest dich? Es wird so dunkel; man meint, man wär' blind. Sonst scheint als die Latern herein. Ich halt's nit aus; es schauert mich! - Geht ab. 3 Kommentar [JB12]: Worauf bezieht sich die Aussage ? (auf ihre Situation, auf Woyzeck oder auf den Tambourmajor ?) TIP 623 Textinterpretation Drama Büchner: Woyzeck Kompetenzaspekt: Die Handlungsstruktur beschreiben ( zu den Teillaspekten ) www.fo-net.de Szene: Buden, Lichter, Volk Alter Mann singt zum Leierkasten. Marie und Woyzeck hören einem Ausrufer zu, der Kuriositäten präsentiert. Unteroffizier und Tambourmajor schwärmen von Marie. Büchners letztes Werk “Woyzeck” ist ein Fragment. Es existieren vier unterschiedliche Fassungen. Auch der Titel stammt nicht von Büchner. Die unterschiedlichen Szenen des Stückes können ganz unterschiedlich gereiht werden. Jede Szene beleuchtet einen anderen Aspekt der Hauptperson. Aufgabe: Betrachten Sie die folgende Szene (Buden, Lichter, Volk) unter drei Aspekten: 1. Enthält diese Szene Momente einer Exposition? Entscheiden Sie diese Frage aus der Betrachtung der Szene heraus und mit Blick auf die mögliche Folgeszene! 2. Analysieren Sie in der Szene die innere und äußere Verfasstheit von Woyzeck (und dem Tambourmajor, dem alten Mann, dem Unteroffizier und Marie !) 3. Schreiben Sie eine Inhaltsanhabe zu der Szene und vergleichen Sie diese mit der Inhaltsangabe von Wikipedia (siehe oben) ! 1 TIP 623 Textinterpretation Drama Büchner: Woyzeck Kompetenzaspekt: Die Handlungsstruktur beschreiben ( zu den Teillaspekten ) www.fo-net.de Buden. Lichter. Volk ALTER MANN singt und Kind tanzt zum Leierkasten: 5 Auf der Welt ist kein Bestand, Wir müssen alle sterben, das ist uns wohlbekannt. WOYZECK: Hei, Hopsa's! - Armer Mann, alter Mann! Armes Kind, junges Kind! Sorgen und Feste! MARIE: Mensch, sind noch die Narrn von Verstande, dann ist man selbst ein Narr. - Komische Welt! Schöne Welt! 10 15 20 Beide gehn weiter zum Marktschreier. MARKTSCHREIER vor seiner Bude mit seiner Frau in Hosen und einem kostümierten Affen: Meine Herren, meine Herren! Sehn Sie die Kreatur, wie sie Gott gemacht: nix, gar nix. Sehn Sie jetzt die Kunst: geht aufrecht, hat Rock und Hosen, hat ein' Säbel! Der Aff ist Soldat; s' ist noch nicht viel, unterste Stuf von menschliche Geschlecht. Ho! Mach Kompliment! So bist Baron. Gib Kuß! - Er trompetet: Wicht ist musikalisch. Meine Herren, hier ist zu sehen das astronomische Pferd und die kleine Kanaillevögele. Sind Favorit von alle gekrönte Häupter Europas, verkündigen den Leuten alles: wie alt, wieviel Kinder, was für Krankheit. Die Repräsentationen anfangen! Es wird sogleich sein Commencement von Commencement. Kommentar [JB1]: Monolog über das Tierisch-Lächerliche des Menschen : Vernunft bessert ihn nur bedingt.. WOYZECK: Willst Du? 25 MARIE: Meinetwegen. Das muß schön Ding sein. Was der Mensch Quasten hat! Und die Frau Hosen! Beide gehn in die Bude. TAMBOURMAJOR: Halt, jetzt! Siehst du sie! Was ein Weibsbild! UNTEROFFIZIER: Teufel! Zum Fortpflanzen von Kürassierregimentern! 30 TAMBOURMAJOR: Und zur Zucht von Tambourmajors! UNTEROFFIZIER: Wie sie den Kopf trägt! Man meint, das schwarze Haar müßt' sie abwärts ziehn wie ein Gewicht. Und Augen TAMBOURMAJOR: Als ob man in ein' Ziehbrunnen oder zu einem Schornstein hinunter guckt. Fort, hintendrein! - 35 2 Kommentar [JB2]: T. veranschaulicht deutlich des Ausrufers Theorie. TIP 624 Textinterpretation Drama Büchner: Woyzeck Kompetenzaspekt: Die Figurenkonstellation beschreiben ( zu den Teillaspekten ) www.fo-net.de Aufgabe: Zeichnen Sie durch Pfeile und Symbole die Beziehungen der Figuren des Stückes zueinander ein! Belegen Sie Ihre Darstellung mit Quellenangaben! Oberschicht: Unterschicht: Doktor Andres Hauptmann Tambourmajor Woyzeck Marie Christian 1 TIP 622 Textinterpretation Drama Schreibkonferenzprotokoll Analyse einer Szene Aspekt des Aufsatzes von Anmerkungen von Einleitung Einleitungssatz -Hinweise zum Werk Inhaltsangabe Thema der Szene / Kernthematik (siehe Folie 3 ) knappe Einordnung der Szene Hinweis zum methodischen Vorgehen (siehe Folie 4 ) Hauptteil a) Inhaltsanalyse: Die Handlungsstruktur ist angemessen erfasst worden. ( siehe Folien 7 – 11 und 13 ) b) Kommunikationsanalyse: Die Kommunikationsstruktur des Textes ist untersucht worden. ( siehe Folie 12 ) c) Zusammenführung und Gewichtung der inhaltlichen und kommunikativen Aspekte mit Bezug zur Kernthematik der Einleitung d) Einordnung der Szene in das Drama / in das gesamte Werk Schluss Zusammenfassung aller Ergebnisse Bewertung der Bedeutung der ausgewählten Aspekte aus übergeordneter Sicht ( siehe Folie 4 ) Aktuelle Bedeutung und Ausblick Ausdruck: Sprachebene / Wortschatz, Genauigkeit und Ausdifferenzierung der Formulierungen, flüssiger Satzbau Aufbau: schlüssige Gedankenführung, sachgerechtes Zitieren, Überleitungen Elementarbereich: Hauptfehlerarten notieren und Tipps zur Bearbeitung geben 1 www.fo-net.de Anmerkung von Aufgaben zur Szene „Die Stadt“ (S. 7 f. des Arbeitsblattes TIP 621) 1. Beschreiben Sie den Inhalt der Szene. 2. Untersuchen Sie in der Szene die innere und äußere Verfasstheit von Woyzeck (und dem Tambourmajor, Margreth und Marie !) 3. Enthält diese Szene Momente einer Exposition? Entscheiden Sie diese Frage aus der Betrachtung der Szene heraus und mit Blick auf die mögliche Folgeszene! Probeklausur auf eA-Niveau: 1. Das von Georg Büchner als Fragment hinterlassene Drama Woyzeck (1837) handelt von dem der unteren Sozialschicht entstammenden Woyzeck, der von verschiedenen Arbeitsgebern ausgebeutet und gedemütigt wird. Er kann sich gegen die Erniedrigungen nicht zur Wehr setzen, sondern erleidet eher zuhörend sein Schicksal. Im Verlaufe der nicht linearen Handlung zeigen sich deutliche Verfallserscheinungen des Protagonisten, die sich in Halluzinationen, Verwirrtheitszuständen und paranoiden Wahnvorstellungen äußern. Am Ende bringt Woyzeck seine Lebensgefährtin Marie um, die sich zuvor auf eine Affäre mit einem Tambourmajor eingelassen hat. Der Verlauf des Dramas zeichnet den Werdegang eines Antihelden nach, der seine elende Situation nicht artikulieren kann und dessen einzige aktive Handlung der Mord an seiner Geliebten ist, der einzigen Person seines Umfelds, die ihm einen Sinn zu leben gab. Das weitere Schicksal Woyzecks wird nach der Tat bewusst ausgespart. In der folgenden Arbeit soll die Szene Die Stadt untersucht werden. Einerseits deutet sich in dieser Szene im Rahmen eines Streitgespräches mit einer Nachbarin Maries die Affäre mit dem Tambourmajor an, andererseits stellt sie die offensichtliche Kommunikationslosigkeit von Marie und Woyzeck und die tiefe Störung ihrer Beziehung ins Zentrum. 2. Die Szene lässt sich inhaltlich in zwei Abschnitte unterteilen. Der erste Teil enthält das Streitgespräch zwischen Margret und Marie, der zweite den Dialog zwischen Marie und Woyzeck. Im ersten Teil beherrscht folgende Ausgangssituation die Szene: Marie und die Nachbarin Margret sehen einen Soldaten, den Tambourmajor, der in diesem Berufsstand dem unteren Bereich der Hierarche angehört, vorbeigehen. Marie, die ihr uneheliches Kind, das sie gemeinsam mit Woyzeck hat, in den Armen trägt, ist erfreut über den Anblick des Mannes. Ihr Kommentar „Er steht auf seinen Füßen wie ein Löw" (Z. 7) sowie der von ihr gesungene Liedanfang „Soldaten, das sind schöne Bursch..." (Z. 11) belegen, dass sie sich vom männlichen Auftreten des Soldaten angezogen fühlt. Obwohl die Nachbarin diese Auffassung teilt: „Was ein Mann, wie ein Baum" (Z. 6), nutzt 1 diese die Gelegenheit, Marie als Hure zu beschimpfen: „[...] aber Sie, Sie guckt sieben Paar lederne Hose durch!" (Z. 17/18). Marie setzt sich gegen diese Anschuldigung zur Wehr, indem sie das Fenster zuschlägt und ihre Nachbarin „Luder!" (Z. 17) nennt. Beide Figuren verhalten sich also nicht emphatisch, sondern bekämpfen und erniedrigen sich gegenseitig. Auffällig ist die Selbstbehauptung der beiden Frauen: Sowohl Marie als auch Margret - obwohl sie auf der untersten Stufe der gesellschaftlichen Hierarchie stehen - betonen selbstbewusst ihre Position. Margret bezeichnet sich als eine „honette Person" (Z. 16), nachdem Marie sie als profitsüchtige Frau umschrieben hat: „Trag sie Ihre Auge zum Jud, und laß Sie sie putze; vielleicht glänze sie noch, daß man sie für zwei Knöpf verkaufe könnt" (Z. 14 f.); Marie bekennt sich zu ihrer in der Gesellschaft nicht anerkannten Lage und verteidigt sich auf diese Weise gegen den Vorwurf, eine Hure zu sein: „Komm, mei Bub! Was die Leut wolle. Bist doch nur ein arm Hurenkind und machst deiner Mutter Freud mit deim unehrliche Gesicht!" (Z. 20f.). Maries Reaktion auf die Denunzierung verrät dreierlei: Sie realisiert ihre Situation, denn als unverheiratete Frau ist ihr Kind unehelich, in den Augen der Gesellschaft folglich ein „Hurenkind" (Z. 20). Sie rebelliert, indem sie sich gegen die Vorwürfe der Nachbarin behauptet. Sie bekennt sich zu dem Kind, weil sie die Liebe zu dem Kind in den Vordergrund rückt: „[...] machst deiner Mutter Freud" (Z. 21). Diese Aspekte werden in dem nachfolgenden Lied erneut aufgegriffen. Im zweiten Teil der Szene betritt Woyzeck den Raum, der Marie sein Erspartes für die Familie übergibt und anschließend sofort wieder den Raum verlässt. Der im Zentrum stehende Dialog dokumentiert die Kommunikationslosigkeit der beiden, die weder aufeinander zugehen noch ihre eigene psychische Verfassung mitteilen können. So reagiert Woyzeck auf die Anmerkung von Marie, er sehe so verstört aus (vgl. Z. 1), mit dem Hinweis auf das undefinierbare „Es" (Z. 2), das ihn verfolge. Es wird deutlich, dass er unter Verfolgungswahn leidet, da er auf eine fremde, äußere Macht verweist, die ihn bedränge: „Marie, es war wieder was, [...]" (Z. 2); „Es ist hinter mir hergangen bis vor die Stadt" (Z. 6). Woyzeck erscheint wie ein Gehetzter, der vor etwas flüchtet, ohne das .Etwas' benennen zu können. Marie ist beunruhigt angesichts seines Verhaltens, ohne Woyzeck direkt darauf anzusprechen. Die unheimliche Beziehung spiegelt sich in der räumlichen Beschreibung i..dunkel" (Z. 14)) sowie in Maries Bemerkungen wider: „[...] blind [...] Ich halt's nit aus; es schauert mich!" (Z. 16). Selbst die Person, die Woyzeck am nächsten stehen sollte, die eigene Partnerin, distanziert sich von dem armen Mann. Die inhaltlichen Aspekte werden durch sprachliche Mittel gestützt. Alle drei Figuren der Szene sind Vertreter der untersten Gesellschaftsschicht. Ihre Sprache gehört daher der untersten Stilebene an und ist dialektal eingefärbt. Viele Sätze sind grammatisch falsch. Ein häufiges Stilmittel ist die Ellipse: „Was ein Mann, wie ein Baum!" (Z. 6), „Wer da?" (Z. 30). ..Heut abend auf die Meß!" (Z. 10). Die elliptischen Sätze verweisen zum einen auf den niedrigen Bildungsstand der Figuren, zum anderen unterstreichen sie Woyzecks Gehetztheit und seine Unfähigkeit, sich mitzuteilen. In diesem Zusammenhang ist die äußerste Verknappung des Dialogs zu sehen, die das fehlende logische Eingehen auf Marie 2 belegen: „Wer da? (...) Kann nit. (...) Ja, Marie. (...) Mann! (...) Franz!" (Z. 34f). Fragen, die gestellt werden, bleiben unbeantwortet: „Was hast du, Franz?", „Und sieh, da ging ein Rauch vom Land, wie der Rauch vom Ofen?", „Was soll das werden?" . An die Stelle der Antworten treten stattdessen Ein-Wort-Ausrufe: „Mann!", „Franz!". Die hektische Verknappung wird durch die Gedankenstriche verstärkt. Diese Stilmittel rücken die tiefe Störung ihrer Kommunikation in den Mittelpunkt. Auffällig ist auch, dass Marie ihre Sorge erst in einem Monolog, also nach Woyzecks Verlassen, äußert. Eine direkte Aussprache, die die eigenen Befindlichkeiten beschreibt oder erklärt und in der beide Gesprächspartner nach Lösungen suchen, erfolgt dagegen nicht. Zahlreiche Vergleiche drücken das aus, was die Figuren nicht genauer benennen können. Die beiden Frauen fühlen sich von dem Tambourmajor und seiner zur Schau getragenen scheinbaren Männlichkeit angezogen: „Was ein Mann, wie ein Baum!"; „Er steht auf seinen Füßen wie ein Löw" (Z. 7). „Baum" und „Löw" verweisen auf die Attribute der Stärke, der Kraft und der Macht. Marie verehrt das Äußere des Tambourmajors, weil sie eben diese Attribute bei Woyzeck nicht findet. Diese erotische Anziehung, die auch in dem von Marie gesungenen Lied „Soldaten, das sind schöne Bursch..." (Z. 11) aufgegriffen wird, kündigt die spätere Affäre an. Auffallend ist die Wiederholung des Wortes ,gehen', das die Gehetztheit Woyzecks dokumentiert: „Es ist hinter mir hergangen bis vor die Stadt", „Ich muß fort", „(Er geht)", „(Geht ab)" (Z. 6 f.). Zahlreiche Szenen enden mit dem überstürzten Fortgehen einer Figur, ohne dass der Leser das Gefühl hat, dass eine klärende Verständigung zwischen ihnen stattgefunden hat. In diesem Kontext sind die Szenenanfänge von Bedeutung. Wie in fast allen Szenen ist der Einstieg unvermittelt. Hier beginnt sie mit Lauten, die dem Leser keinen Kausalzusammenhang an die Hand geben: „He, Bub! Sa ra ra ra!" (Z. 4 f.). Die unvermittelten Szeneneinstiege und abrupten Szenenabbrüche sind typisch für das Gesamtwerk. Sie verweisen auf die Autonomie der Einzelszene, die eine logische Handlungsstruktur unterbindet und diese in zahlreiche Einzelausschnitte der gezeichneten Gesellschaft unterteilt. Als letztes wesentliches Stilmittel sind die Liedeinlagen zu nennen, die wiederholt in den Dramentext eingewoben sind. Sie erfüllen unterschiedliche Funktionen. Das erste Lied „Soldaten, das sind schöne Bursch..." (Z. 11) drückt - wie erwähnt Maries Hingabe an den Tambourmajor aus und deutet die bevorstehende Affäre an. Das Lied hat folglich handlungsunterstützende Funktion, indem es den Inhalt widerspiegelt. Das Lied „Mädel, was fängst du jetzt an?" (Z. 23 ff.) reflektiert im ersten Teil Maries aussichtslose Situation: Sie hat ein uneheliches Kind, keinen Mann und darf keinerlei Unterstützung von der Gesellschaft erwarten. Auch hier zeigt sich die Kommunikationslosigkeit, denn Marie kann ihre Situation und ihre Wünsche nur in ein Lied gießen. Dennoch ist sie - die neben Woyzeck und im Gegensatz zu den anderen Figuren einen Namen trägt - die Einzige, die ihre Situation reflektiert und gegen ihre Misere rebellieren möchte. Diese Rebellion konkretisiert sich in der Affäre mit dem Tambourmajor, durch die sie aus der gestörten Beziehung ausbrechen möchte und in der sie nach Erfüllung ihrer individuellen Bedürfnisse strebt. Andere Möglichkeiten der Rebellion bleiben ihr dagegen nicht. In die Szene sind wesentliche inhaltliche und sprachliche Elemente eingearbeitet, die sich im Gesamttext wiederholen, die der zunächst scheinbar zusammenhanglosen Aneinanderreihung der Einzelszenen eine innere Struktur 3 verleihen und dem Leser ein kompaktes Abbild der Gesellschaft offerieren. Im Vordergrund steht der Protagonist Woyzeck. Er ist der gehetzte, paranoide Antiheld, der seine Misere nicht sprachlich verarbeiten und mitteilen kann. Er wird ausgebeutet, indem er die niedersten Dienste verrichten muss. Diese Ausbeutung geht sogar so weit, dass er als Versuchskaninchen für medizinische Experimente missbraucht wird und ihm auf diese Weise die Anerkennung, Mensch zu sein, abgesprochen wird. Wie sich in dieser Szene andeutet, wird er noch dazu Marie verlieren, die einzige Person, die seinem Leben einen Sinn verliehen hat. Seine weit reichende psychische Störung führt also auch dazu, dass ihm die Fähigkeit, Liebe auszuleben und geliebt zu werden, abgesprochen wird. Folgerichtig verliert er durch die Affäre Maries mit dem Tambourmajor alles, sogar sich selbst. In dieser Lage ist der Mord an Marie die einzige aktive Handlung Woyzecks, die konsequent erscheint, aber zugleich sein eigenes Leben symbolisch auslöscht, obwohl das Ende offen bleibt. Die Affäre Maries scheint nicht genug der Erniedrigung zu sein. Woyzeck muss sich noch dazu vom Tambourmajor beschimpfen und verprügeln lassen, während Schaulustige die Szene verfolgen und den Tambourmajor anfeuern, statt dem Schwachen zur Hilfe zu eilen. Mit dieser hoffnungslosen Grundaussage des Werkes unterscheidet Büchner sich eindeutig von den Theoriekonzepten der Klassik. Büchner hält eine in sich geschlossene Handlung, die sowohl inhaltlich als auch sprachlich logisch in dem literarischen Werk umgesetzt wird, nicht mehr angemessen für die Darstellung der Realität. So wird Büchners Woyzeck zum ersten Drama der Moderne, da der Blick erstmals auf die untersten Schichten gelenkt und nicht mehr der Anspruch erhoben wird, eindeutige Antworten auf die zu komplex gewordene Welt zu geben. 3. Die Szene ist zu Beginn der Dramenhandlung anzusiedeln. Nachfolgend wird der Seitensprung Maries mit dem Tambourmajor vollzogen, der Woyzeck möglicherweise zu dem Mord an Marie veranlasst. Der Leser erhält im Verlaufe der Handlung die Möglichkeit, die psychische Verfassung der Figuren zu durchleuchten, um deren Handlungsmotive, die an kaum einer Stelle von ihnen selbst artikuliert werden, nachzeichnen zu können. (1670 Wörter) 4 Kompetenzbereich Einen dramatischen Text analysieren Einen dramatischen Text analysieren juergenbucksch@iqsh.de 1 Einen dramatischen Text analysieren Zielsetzung Die folgenden Seiten sind so konzipiert, dass sie einen Überblick darüber vermitteln, welche zentralen Aspekte beim Umgang mit dramatischen Texten und beim Schreiben durch die Kompetenzvorgaben der Lehrpläne zu berücksichtigen sind. Der Lehrplan für die Berufsfachschule I Deutsch (Nr. 3024.22.150 vom August 2008) formuliert die Kompetenz der „kriteriengeleiteten Texterschließung“ (S. 16) auf der Grundlage der der KMKBildungsstandards. Der Lehrplan für das Berufliche Gymnasium ebenfalls vom August 2008 fordert eine Ausdifferenzierung und Kontextualisierung der Textanalyse, indem er vorgibt: Die Schülerinnen und Schüler „… erschließen und bewerten Inhalte und Formen von Literatur (…) unterschiedlicher Epochen und Stile in ihrer medialen Repräsentanz.“ (S. 22) Einen dramatischen Text analysieren juergenbucksch@iqsh.de 2 Einen dramatischen Text analysieren Vorbemerkung Die Komplexität der mit den Kompetenzen beschriebenen Anforderungen macht es erforderlich, dass die Kompetenzen in Teilaufgaben erworben und gesichert werden müssen. Diese Übersicht liefert der Lehrkraft Instrumente für die Entwicklung von Unterricht. Eher kontraproduktiv für das Lernen wäre es, den Schülerinnen und Schülern in oder vor Überprüfungssituationen jeweils diese gesamte Übersicht zur Verfügung zu stellen, die die Komplexität der Anforderungen beschreibt und zugleich als Basis für eine Beurteilung der Leistungen für Lehrkräfte dient (im Sinne einer Drohung: Das alles müssen Sie können). Die Aspektfülle würde die Schülerinnen und Schüler eher verunsichern. Die Übersicht ist differenziert und aspektreich, sie ist jedoch keine Anleitung zum Verfassen Textinterpretationen. Jeder Text erfordert andere individuelle, intuitive Zugänge als auch Schwerpunktsetzungen. Die Übersicht hilft der Lehrkraft bei der Vorbereitung, führt bei Lernenden jedoch eher zu einem schematischen Vorgehen. Schülerinnen und Schüler haben in Überprüfungssituationen selten genug Zeit für solch umfängliche Be- und Überarbeitungen aller Aspekte der Aufgabe. Einen dramatischen Text analysieren juergenbucksch@iqsh.de 3 Einen dramatischen Text analysieren I. Aufbau einer Textinterpretation: • Einleitung: Der Autor des Textes, Titel, Textsorte, das Erscheinungsjahr, Ort, Zeit (, Hauptfiguren ) und die Kernthematik des Textes werden in einem Satz wiedergegeben. • Inhaltsangabe: Der Inhalt des Textes wird verkürzt wiedergegeben. Dabei wird weniger auf Details geachtet, wichtiger sind der Verlauf der Erzählung, die wichtigsten Charaktere und die wesentlichen Ereignisse (Präsens, keine Zitate oder Sprache des Textes, Vermeiden von Charakterisierungen). • Interpretationshypothese: Sie soll das eigene Textverständnis erklären und kurz skizzieren, welches Ziel die Interpretation hat . • Formale Analyse: Der Text wird vor allem auf Besonderheiten der Wortwahl, Formen des Satzbaus und der Satzverknüpfungen und auf rhetorische Besonderheiten hin analysiert. • Interpretation: Der Text wird entsprechend der Interpretationshypothese gedeutet. Wichtig sind dabei Zitate entscheidender Textstellen, die die Hypothese belegen. Auch auf sprachliche Stilmittel kann hingewiesen werden (verlaufs- oder aspektorientiert). • Schluss: Der Schluss besteht meist aus einer zusammenfassenden Bewertung der eigenen Hypothese, um sie nochmals zu bekräftigen. Einen dramatischen Text analysieren juergenbucksch@iqsh.de 4 Einen dramatischen Text analysieren II. Interpretationshypothese(n) : Sie soll(en) das eigene Textverständnis erklären und kurz skizzieren, welches Ziel die Interpretation hat. Stellen Sie in diesem Zusammenhang folgende Fragen an den Text: • Warum handeln die Personen so, wie sie handeln? Stellen Sie, von dieser Frage ausgehend, weitere Fragen, die die tiefere Bedeutung des Textes erschließen. Einen dramatischen Text analysieren juergenbucksch@iqsh.de 5 Kompetenzbereich : Einen dramatischen Text analysieren Aspekte: -Thema/Stoffe/Motive – Gattung – Literaturepoche - Aufbau - Aspekte: Kommunikationssit uation im Drama - Haupt- und Nebentext - Redeformen - Figurenrede - Gestik - Mimik Aspekte: Die Handlungsstruktur beschreiben Kommunikation und Sprache Wirkung Raum- und Zeitstruktur - Einheit des Ortes/der Zeit gegeben oder nicht gegeben - Qualität des Raumes - Qualität der Zeit - Lokalisierungsund Datierungstechniken Figuren Aspekte: Aspekte: -Kontextualisierung - Wirkungsabsicht - Rezeption Einen dramatischen Text analysieren juergenbucksch@iqsh.de Konstellation Konfiguration Konzeption Figurencharakterisierung und ihre Techniken 6 Kompetenzaspekt : Die Handlungsstruktur beschreiben Teilaspekte: - Anzahl der Regieanweisungen – Welche symbolische Bedeutung können Ort und Regieanweisungen haben? Teilaspekte: Bauform (geschlossen/offen; analytisches/Ziel-[= Konflikt]drama) Akt- und Szenengliederung Komposition (ggf. symmetrisch-pyramidaler Aufbau; G. Freytags Modell mit Exposition, Steigerung, Höhepunkt, Peripetie und Katastrophe/Lösung) Handlungsstruktur: Hauptund Nebenhandlung(en); aufsteigende/fallende Handlung (erregendes Moment, retardierendes Moment, Moment der letzten Spannung) Teilaspekte: Regieanweisungen Aufbau Bedeutung im Kontext Teilaspekte: Positionierung der Szene im Drama; Einordnung in die Entwicklung des Dramas Kontext Weitere strukturelle Merkmale biografischer, sozialhistorischer, geistesgeschichtlicher, literarhistorischer und poetologischer (dramentheoretischer) Kontext (= Entstehungsbedingungen) als Argumentationshilfe zur Klärung bestimmter Textphänomene Zeitstruktur; besondere strukturelle Merkmale ( z.B. episches Theater), Motive und ihre Entwicklung Einen dramatischen Text analysieren juergenbucksch@iqsh.de 7 Mögliche Fragen zur Handlungsstruktur Hinweis: Die nachstehenden Aspekte müssen immer im Hinblick auf ihre Funktion untersucht werden. Es müssen die Fragestellungen ausgewählt werden, die für die konkrete Analyseaufgabe und den vorliegenden Text fruchtbar sind. • Wie ist die Szene aufgebaut? • Welche Bedeutung hat die Szene im Kontext? • Welche Funktion hat die Szene für die Struktur des Dramas ? • Gibt es Rückverweisungen ? Einen dramatischen Text analysieren juergenbucksch@iqsh.de 8 Kompetenzaspekt : Wirkung auf den Zuschauer erläutern - Welche Bezüge zur Autorin bzw. zum Autor und zum literaturgeschichtlichen Hintergrund lassen sich herstellen? Mittel der Rezeptionssteuerung (Zuschauer /Sympathielenkung u.ä.) Der niedere Stil Wirkungsabsicht: belehren, informieren: Der mittlere Stil Wirkungsabsicht: erfreuen, unterhalten: Der hohe Stil Wirkungsabsicht: das Erregen von starken Affekten Kontextualisierung Wirkungsabsicht Rezeption Einen dramatischen Text analysieren juergenbucksch@iqsh.de Wie ist die Bedeutung des Dramas für die zeitgenössischen Leserinnen/Leser und Zuschauerinnen/Zuschauer? • Welche Bedeutung hat das Thema? • Wie wirkt das Drama auf die heutigen Leserinnen/Leser und Zuschauerinnen/Zuschauer? • Welche gesellschaftliche Funktion hat(te) das Drama? 9 Kompetenzbereich : Die Figuren beschreiben und vergleichen Die Figuren des dramatischen Textes handeln in Beziehungen mit anderen Figuren und gehen dabei dynamische Interaktionsstrukturen ein. Diese dynamischen Strukturen bei der Figurengestaltung basieren im Allgemeinen auf den personalstrukturierenden Kontrast- und Korrespondenzrelationen, in deren Schnittpunkt sich die einzelnen Figuren befinden. Bei der Figurencharakter isierung im dramatischen Text gibt es folgende Techniken: Konstellation Figurencharakterisierung und ihre Techniken Konfiguration Die Figuren des dramatischen Textes sind zu einer bestimmten Zeit auf der Bühne präsent oder nicht. Diesen Aspekt der Figurengestaltung im dramatischen Text bezeichnet man als Konfiguration. Konzeption Es lassen sich drei verschiedene Dimensionen der Figurenkonzeption unterscheiden: Weite (W): Bandbreite der Entwicklungsmöglichkeiten einer Figur, Offenheit, Festgelegtheit und Begrenztheit einer Figur Länge (L): Entwicklung, die eine Figur zurücklegt auf Grund von Veränderungen, Verstärkungen oder Enthüllungen Tiefe (T): Verhältnis und Beziehung zwischen dem äußeren Verhalten und dem Innenleben einer Figur. Einen dramatischen Text analysieren juergenbucksch@iqsh.de - auktoriale Techniken zur Figurencharakterisierung, die vom Autor direkt an den Zuschauer bzw. Leser adressiert sind. - figurale Techniken zur Figurencharakterisierung, die von den Figuren in ihrem Sprechen und Handeln zum Ausdruck gebracht werden. Techniken der Figurencharakterisierung im Drama Quelle: http://www.teachsam.de/deutsch/d_literatur/d_gat/d_drama/drama_8_2_4_1.htm Einen dramatischen Text analysieren juergenbucksch@iqsh.de 11 Kompetenzbereich : Die Kommunikationsstruktur des Textes analysieren Teilaspekte: (Fehlen einer vermittelnden Instanz; inneres/äußeres Kommunikationssystem; (Modell der literarischen Kommunikation: narrative versus dramatische Texte) Haupt- (= Figurenrede) und Nebentext (= Regieanweisunge n; Form und Funktion beachten!); Kommunikationssituation Haupt- und Nebentext Figurenrede Gestik und Mimik Sprache und Redestil der Figuren (Vers oder Prosa [bei Versdichtung: Metrum, Versform, ggf. Reimformen und -folgen, Strophenform(en)]; Idiolekt, Soziolekt, Dialekt); elaborierter und restringierter Code, Lexik (Wortschatz, Wortwahl, Fremd/Fachwörtergebrauch u.a.), Syntax, rhetorische Tropen und Figuren; Stilhaltung: ironisch, distanziert, engagiert usw.; Situationsbezug der Rede (situatives Sprechen); Funktionen der Rede (appellativ, expressiv, referentiell, poetisch, phatisch, metasprachlich): Gestik im Sinne von kommunikativen Bewegungen insbesondere der Arme, Hände und des Kopfes, wird sowohl lautsprachersetzend wie auch lautsprachbegleitend bzw. lautsprachunterstützend eingesetzt. Als die Mimik (hochsprachlich auch die „Miene“ oder das „Mienenspiel“) werden die sichtbaren Bewegungen der Gesichtsoberfläche bezeichnet. Einen dramatischen Text analysieren juergenbucksch@iqsh.de 12 Kompetenzbereich : Raum- und Zeitstruktur Einheit des Ortes/der Zeit gegeben oder nicht gegeben Teilaspekte: (neutral oder Verweischarakt er der Zeit); Kontinuum oder Diskontinuum; Verbindung von Raum und Zeit mit Handlungselementen zu einmaligen Situationen u.ä.) Einheit von Ort und Zeit Qualität der Zeit Qualität des Raumes Teilaspekte: -(z.B. neutraler Raum/ individueller Raum; offener/ geschlossener Raum; Verweischarakter) Lokalisierungs- und Datierungstechniken Einen dramatischen Text analysieren juergenbucksch@iqsh.de 13 TIP 631 Textinterpretation Drama Büchner: Woyzeck Kompetenzaspekt: Die Handlungsstruktur beschreiben ( Inhaltsaspekt: Handlungsablauf ) www.fo-net.de Es ist strittig, ob Büchner „Woyzeck“ als offenes oder geschlossenes Drama angelegt hat. 1. Die lineare Struktur der Szenenfolge kann auch pyramidal geordnet werden. Ordnen Sie die unten aufgeführten Szenen in die dramatische Struktur ein. Unterscheiden und vermerken Sie in diesem Zusammenhang auch die Handlungsarten 1 – 3: 2. Entscheiden Sie, ob „Woyzeck“ eher als ein offenes oder ein geschlossenes Drama angelegt ist und begründen Sie Ihre Entscheidung! Peripetie : Der Mordgedanke entfaltet sich Der Konflikt entsteht Die Verzweiflung Die Exposition Die Katastrophe Folgende Handlungsarten sind zu unterscheiden 1. Äußere Handlung: Sie findet auf der Bühne oder auf anderen Schauplätzen statt. 2. Innere Handlung: Sie spielt sich im inneren der Figuren ab. 1 3. Offene Handlung: Sie ist auf der Bühne sichtbar. TIP 631 Textinterpretation Drama Büchner: Woyzeck Kompetenzaspekt: Die Handlungsstruktur beschreiben ( Inhaltsaspekt: Handlungsablauf ) www.fo-net.de Szenenfolge : Es gibt bis heute mehrere Lese- und Bühnenfassungen von Woyzeck. Werner R. Lehmann hat folgende Szenenfolge auf der Grundlage von Büchners Handschriften konstruiert: 1. Szene: Freies Feld, die Stadt in der Ferne Woyzeck, der mit seinem Kameraden Andres Weidenstöcke schneidet, fühlt sich von übernatürlichen Mächten bedroht: Es geht hinter mir, unter mir – hohl, hörst du? Alles hohl da unten. Die Freimaurer! – Andres versucht seine, durch Woyzecks Halluzinationen ausgelöste, Angst mit dem Volkslied von den „zwei Hasen“ zu verdrängen. 2. Szene: Die Stadt Die Militärkapelle marschiert auf der Straße vorbei. Marie winkt dem Tambourmajor zu. Die Nachbarin Margreth bekommt das mit. Woyzeck besucht seine Geliebte und das Kind. Er spricht geheimnisvoll. Marie zeigt kein Verständnis. 3. Szene: Buden, Lichter, Volk Alter Mann singt zum Leierkasten. Marie und Woyzeck hören einem Ausrufer zu, der Kuriositäten präsentiert. Unteroffizier und Tambourmajor schwärmen von Marie. 4. Szene: Mariens Kammer Marie betrachtet sich im Spiegel. Der Tambourmajor hat ihr Ohrringe geschenkt. Woyzeck überrascht sie und gibt ihr Geld. Eilt wieder davon. 5. Szene: Beim Hauptmann Woyzeck rasiert den Hauptmann. Der verhöhnt ihn. Als der Hauptmann über Moral und über Woyzecks Kind zu reden kommt, das ohne den Segen der Kirche geboren sei, gibt der Soldat seine Wortkargheit auf. Ich glaub’, wenn wir [arme Leute] in den Himmel kämen, müssten wir donnern helfen! 6. Szene: Mariens Kammer Der Tambourmajor macht Marie Avancen. Sie weist ihn erst zurück, gibt dann jedoch nach. 7. Szene: Auf der Gasse Woyzeck hat eine Ahnung, dass Marie ihm untreu ist. Er will seine Vermutung von der Untreue Maries bestätigt wissen. 8. Szene: Beim Doktor Woyzeck hat sich dem Doktor für Versuche zur Verfügung gestellt, um Geld zu verdienen. Der Doktor verabreicht ihm die tägliche Erbsenration. Woyzeck spricht über seine Visionen. Für den Doktor ist Woyzeck ein interessanter casus. 9. Szene: Straße 2 TIP 631 Textinterpretation Drama Büchner: Woyzeck Kompetenzaspekt: Die Handlungsstruktur beschreiben ( Inhaltsaspekt: Handlungsablauf ) www.fo-net.de Der Hauptmann belästigt den Doktor mit seinen Ansichten. Der sagt dem Hauptmann einen Schlaganfall voraus. Als Woyzeck ihren Weg kreuzt, lassen beide ihre Aggressionen an ihm aus und deuten eine Affäre zwischen Marie und dem Tambourmajor an. Woyzeck ist getroffen. 10. Szene: Die Wachtstube Woyzeck teilt Andres seine innere Unruhe mit. 11. Szene: Wirtshaus Soldaten vergnügen sich, Handwerksburschen und junge Frauen tanzen. Unter ihnen auch Marie und der Tambourmajor. Woyzeck sieht das Paar, kann es nicht fassen. 12. Szene: Freies Feld Woyzeck hört Stimmen, die ihm auftragen, Marie zu töten: „… stich die Zickwolfin [Marie] tot.“ 13. Szene: Nacht In der Nacht versucht sich Woyzeck Andres mitzuteilen und spricht von den Stimmen, die ihm befehlen zu töten, doch Andres will nur schlafen. 14. Szene: Wirtshaus Woyzeck und der Tambourmajor treffen aufeinander. Im Zweikampf unterliegt der physisch schwächere Woyzeck. 15. Szene: Kramladen Woyzeck besorgt sich im Laden eines Juden ein Messer. 16. Szene: Kammer Marie empfindet Reue und sucht in der Bibel Trost. 17. Szene: Kaserne Woyzeck teilt Andres mit, wer seine Habseligkeiten nach seinem Tod bekommen soll, dieser erkennt seine psychische Lage nicht und geht von einer simplen Fiebererkrankung aus, die mit Medizin geheilt werden kann: Franz, du kommst ins Lazarett. Armer, du musst Schnaps trinken und Pulver drin, das töt’ das Fieber. 18. Szene: Der Hof des Doktors Studenten nehmen an einer Vorlesung teil. Woyzeck wird vom Doktor als Versuchsobjekt vorgeführt und gedemütigt. 19. Szene: Marie mit dem Mädchen vor der Haustür/Straße 3 TIP 631 Textinterpretation Drama Büchner: Woyzeck Kompetenzaspekt: Die Handlungsstruktur beschreiben ( Inhaltsaspekt: Handlungsablauf ) www.fo-net.de Marie sitzt mit mehreren kleinen Mädchen und der Großmutter vor dem Haus. Die Großmutter erzählt das Märchen vom Sterntaler in abgewandelter Form als AntiMärchen mit bösem Ende. Woyzeck kommt hinzu und fordert Marie auf, ihm zu folgen. Marie wir wolln geh’n. ’s ist Zeit. 20. Szene: Abend. Die Stadt in der Ferne Woyzeck und Marie sind vor der Stadt. Marie folgt ihm unwillig und versucht der Situation zu entkommen. Ich muss fort, das Nachtessen richten. Anstatt sie gehen zu lassen, sticht Woyzeck plötzlich in einem Blutrausch auf Marie ein: Nimm das und das! Kannst du nicht sterben? So! so! Ha sie zuckt noch, noch nicht, noch nicht? Immer noch? (Stößt zu.) Bist du tot? Tot! Tot! 21. Szene: Es kommen Leute Zwei Personen hören aus der Ferne, was passiert und suchen den Tatort auf. 22. Szene: Das Wirtshaus Woyzeck sucht ein Wirtshaus auf, um sich auszuruhen. Eine Frau im Wirtshaus erkennt Blutspuren an Woyzeck, woraufhin dieser die Flucht ergreift. 23. Szene: Abend. Die Stadt in der Ferne Woyzeck sucht das Messer am Tatort in der Nähe eines Teiches, um die Indizien für den Mord zu vernichten. 24. Szene: Woyzeck an einem Teich Woyzeck versenkt das Messer im Teich und wäscht sich das Blut ab. 25. Szene: Straße Kinder teilen einander mit, dass vor der Stadt eine Leiche gefunden wurde. 26. Szene: Gerichtsdiener, Arzt und Richter Die gefundene Leiche wird als spektakulär angesehen – Gerichtsdiener: Ein guter Mord, ein echter Mord, ein schöner Mord, so schön als man ihn nur verlangen kann, wir haben schon lange so kein gehabt. 27. Szene: Karl (Idiot), Woyzeck und das Kind Karl hält Woyzecks und Maries Kind auf dem Schoß. Woyzeck verspricht ihm ein Gebäck (Reuter). Karl läuft mit dem Kind weg. 4 TIP 632 Textinterpretation Drama Büchner: Woyzeck Kompetenzaspekt: Die Handlungsstruktur beschreiben (Inhaltsaspekt: Figurenkonstellation)www.fo-net.de Die Figurenkonstellation 1. Die Dreierkonstellation 1.1. Welche Bedeutung haben die Armut und die Ohrringe / die Uniform in dem Dreiecksverhältnis? 1.2. Wie werden die Protagonisten sprachlich gestaltet? Tambour - major Marie Woyzeck 2. Spieler – Gegenspieler 2.1. Ordnen Sie Andres und Margreth und den Hauptmann und den Doktor in das Schema ein! Woyzeck Woyzecks Ausbeuter 1 TIP 632 Textinterpretation Drama Büchner: Woyzeck Kompetenzaspekt: Die Handlungsstruktur beschreiben (Inhaltsaspekt: Figurenkonstellation)www.fo-net.de 3. (Anti-)Held als Zentralfigur 3.1. Welche soziale Positionen zwischen Adel und Bürgertum nehmen der Tambourmajor und 1 + 2 ein ? 3.2. Für welche Haltungen der Zeit (1815 Wiener Kongress) stehen der Hauptmann und der Doktor ? 3.3. Welche symbolische Bedeutung weist Büchner den Figuren 3 – 5 zu ? 3.4. Ist Woyzeck eher ein erotisches oder soziales Drama ? Beschriften Sie die Graphik im Sinne der Antworten! Marie 1. Hauptmann 5. Ausrufer Antiheld „Woyzeck“ 4. Großmutter 2. Doktor 3. Erster Handwerksbursch Tambourmajor 2 TIP 633 Textinterpretation Drama Büchner: Woyzeck ( Inhaltsaspekt: Die Stoffgeschichte ) www.fo-net.de Stoffgeschichte Die Veröffentlichung der Clarus-Gutachten in medizinischen Fachzeitschriften ("Zeitschrift für Staatsarzneikunde" 1824 und 1826) erregte eine öffentliche Diskussion über Woyzecks Unzurechnungsfähigkeit und die physiologische Deutung von dessen Sinneswahrnemungen. Georg Büchners Vater war Mitarbeiter dieser Zeitschrift und steuerte selbst Berichte über merkwürdige Fälle aus seiner Arztpraxis bei. Im Büchnerschen Haushalt existierten die gesammelten Jahrgänge der Zeitschrift und Georg Büchner hat als Medizinstudent und während seines Aufenthalts im Elternhaus Herbst 1834 (siehe Biografie) die Gutachten gelesen. Gearbeitet hat er an diesem Drama, von dem es keine endgültige Fassung gibt, 1836/7 in Straßburg und Zürich. Überliefert ist es in drei Handschriften, in denen sich auch das Bild des Protagonisten Woyzeck verändert: Jeder Leseausgabe oder Bühnenfassung liegt also bereits eine Interpretation dieser Entwürfe zugrunde.(*) Die erste Aufführung des "Woyzeck" fand 1913 Residenztheater München statt. (* Hinweis für Lehrer: Clemens Kammler macht diese Tatsache und den Fragmentcharakter des 'Woyzeck' zum Ausgangspunkt einer Unterrichtseinheit mit "dekonstruierender" Absicht; in C.Kammler, "Neue Literaturtheorien und Unterrichtspraxis", Schneider Verlag 2000 S.41 ff.) Das Thema "Letztlich - und das ist das Entscheidende - geht es im "Woyzeck" wie zuvor im "Landboten" und im "Danton" um die stets gleiche Frage: um die Abhängigkeit menschlicher Existenz von Umständen, die 'außer uns liegen'. Den "gräßlichen Fatalismus der Geschichte" und seine "zernichtende" Gewalt hatte Büchner schon in seiner frühesten Gießener Zeit empfunden. Das Studium der Geschichte, vor allem der großen politischen Umwälzungen, hatte ihm die Frage gestellt, die er als Schicksalsfrage menschlicher Existenz empfand: "Was ist das, was in uns lügt, mordet, stiehlt?"; Das aber war nichts anderes als die Frage nach den bestimmenden und verursachenden Faktoren des menschlichen Schicksals; es war die Frage nach Freiheit oder Vorherbestimmtheit menschlicher Willensentscheidungen, nach der Möglichkeit oder auch nur Sinnhaftigkeit, durch Handeln und Planen in den Geschichtsverlauf und den Verlauf des Einzellebens eingreifen zu können. (...) Wieder aber steht die gleiche Frage über dem Drama vom Mörder Franz Woyzeck, der seine Geliebte erstach. Wieder ist gefragt, im nackten Handeln des einzelnen, jenseits aller kollektiven Aktion: "Was ist das, was in uns lügt, hort, stiehlt und mordet?" Neben der gesellschaftlichen Determiniertheit der politischen Agitation, neben der ursächlichen Bestimmtheit und inneren Gebundenheit ganzer Geschichtsepochen steht die Gebundenheit der individuellen Tat, des Verbrechens. (...) Die Frage der "sozialen Indikation" ist gestellt, das Verbrechen aus der gesellschaftlichen Lage erklärt, ... Woyzecks Tun erscheint hier, ebenso wie das seiner Peiniger und Gegenspieler, als Wirkung und Produkt sozialer Funktionen und Seinslagen. Verschiedenheit der sozialen Lagen bestimmt die Verschiedenheit der Anschauungen über Sitte und Moral, entscheidet über Glücksmöglichkeit und Aufstiegschance. " (aus Hans Mayer, Georg Büchner und seine Zeit, Frankfurt 1972 S. 339-41) 1 TIP 634 Textinterpretation Drama Büchner: Woyzeck ( Die Kommunikationsstruktur des Textes ) Formanalyse www.fo-net.de Die Sprache in Büchners „Woyzeck“ 1. Büchner verwendet für seine Figuren einen Individualstil. Nach ihrer sozialen Situation und ihrem Bildungsgrad sprechen sie individuell. Belegen Sie dieses mit Zitaten von Woyzeck:___________________________________________________ ___________________________________________________________ ___________________________________________________________ Marie:______________________________________________________ ___________________________________________________________ ________________________________________________________ einer Wahlfigur:___________________________________________________ ___________________________________________________________ ___________________________________________________________ 2. Büchner verleiht seinen Figuren auch satirische Fähigkeiten sich selbst gegenüber. Weisen Sie diese These am Doktor nach! ______________________________________________________ ______________________________________________________ ______________________________________________________ ______________________________________________________ 3. Büchner montiert Zitate aus Volksliedern, Märchen und der Bibel zur Figurencharakterisierung lakonisch und knapp ein. Finden Sie fünf Belege für diese Technik! a. ____________________ (___. Szene) b. ____________________ (___. Szene) c. ____________________ (___. Szene) d. ____________________ (___. Szene) e. ____________________ (___. Szene) Im Gegensatz zur Sprache des klassischen Dramas herrscht im Woyzeck die Umgangssprache vor: „WOYZECK: Aber mit der Natur ist’s was anders, sehn Sie; mit der Natur, das ist so was, wie soll ich doch sagen, zum Beispiel …“ – Durch bewusst eingebaute Satzbrüche, Ellipsen und Interjektionen vermittelt Büchner Authentizität. Gleichzeitig dient diese Form der Umgangssprache als Spannung steigerndes Mittel. Das Aneinandervorbeireden der Menschen versinnbildlicht die Einsamkeit Woyzecks und seine zerbrechende Beziehung zu Marie. Darüber hinaus gelingt es Büchner, durch verschiedene Sprachebenen den gesellschaftlichen Rang der Sprecher anzudeuten. Der Doktor spricht hochdeutsch, während die Sprache Woyzecks und Maries, die den 1 TIP 634 Textinterpretation Drama Büchner: Woyzeck ( Die Kommunikationsstruktur des Textes ) Formanalyse www.fo-net.de untersten Gesellschaftsschichten angehören, dialektgefärbt und fehlerhaft ist. Die sozial Höherstehenden sprechen zwar meistens grammatikalisch korrekter, ergehen sich aber häufig in hohlen Phrasen (z. B. der Doktor: … der Mensch ist frei, in dem Menschen verklärt sich die Individualität zur Freiheit, 8. Szene) oder formulieren vage und unpräzise in Form von Tautologien (z. B. der Hauptmann: Er hat keine Moral! Moral, das ist, wenn man moralisch ist, versteht Er!, 5. Szene). Woyzeck dagegen äußert sich, wenn er einmal den Mut fasst und aus sich herausgeht, sehr konkret und anschaulich. Durch zahlreiche Metaphern entsteht der Eindruck, dass er nicht in logischen Begriffen, sondern ausschließlich in Bildern denkt (z. B. Über der Stadt is alles Glut! Ein Feuer fährt um den Himmel und ein Getös herunter wie Posaunen, 1. Szene; … der liebe Gott wird den armen Wurm nicht drum ansehen, ob das Amen drüber gesagt ist, eh er gemacht wurde, 5. Szene; … so ein schöner, fester, grauer Himmel; man könnte Lust bekommen, ein’ Kloben hineinzuschlagen und sich daran zu hängen, 9. Szene; Wenn man kalt is, so friert man nicht mehr. Du wirst vom Morgentau nicht frieren, 20. Szene; Nein, keine Schuh, man kann auch ohne Schuh in die Höll gehn, 22. Szene). Und das überaus anschauliche, poetisch anmutende „Märchen“ (19. Szene) wird von der Großmutter erzählt, die ebenfalls der Unterschicht angehört. Auch die Bezeichnungen der Rollen sind aussagekräftig: Viele Personen, die der unteren Gesellschaftsschicht entstammen (Woyzeck, sein Stubenkamerad Andres, Marie, das Mädchen Käthe, Maries Nachbarin Margreth und der Narr Karl) wurden vom Autor mit Namen versehen und erscheinen, obwohl nur skizzenhaft gezeichnet, als Charaktere, zum Teil sogar als Identifikationsfiguren. Die meisten übrigen Rollen dagegen sind lediglich nach ihren beruflichen bzw. sozialen Funktionen benannt: „Tambourmajor“, „Hauptmann“, „Doktor“, aber auch „Großmutter“, „Budenbesitzer“ u.a.. Ihre Rollen sind oft flacher und eindimensionaler, sie scheinen daher eher Typen als Charaktere zu sein. Auffallend und oft rätselhaft sind die literarischen Bezüge des Dramenfragments: die zahlreichen Anspielungen auf die Bibel, auf Goethes Faust (24. Szene: Was hast du eine rote Schnur um den Hals), auf Shakespeares Hamlet (1. Szene: der rollende Kopf, der Igel und der hohle Boden unter den Füßen verweisen auf die Friedhofs- und die Geistszene) und nicht zuletzt auf Büchners eigene Werke (Dantons Tod und Lenz). 2 TIP 635 Textinterpretation Drama Büchner: Woyzeck Inhaltsanalyse ( Die Raumstruktur des Textes ) www.fo-net.de Die Räume und die Requisiten des Unterschichtsmilieus charakterisieren Woyzeck und die anderen Figuren. Sie sind um die nicht benannte Garnisonsstadt gruppiert. Ordnen Sie den Räumen und Requisiten aus den Szenen heraus Bedeutungen zu. Die Natur als Mitspieler: Bedeutung zu Beginn: Der Spiegel; die Ohrringe als Bedeutungsträ ger: Die Kammern sind eng und arm; Bedeutung: Der Alltag für Woyzeck in der Garnisonsstadt Die Katze; das Pferd als Bedeutungsträ ger: Die Straßen waren verkotet; Bedeutung: Die Natur als Mitspieler: Bedeutung am Ende : 1 TIP 636 Textinterpretation Drama Büchner: Woyzeck Inhaltsanalyse ( Die Zeitstrukturstruktur des Textes ) www.fo-net.de 1. Fügen Sie in die Klammern die Szenen-Nummern oder die Zeilen-/Seitenzahlen ein! 2. Fügen Sie Szenen in den Pfeil ein, die die Katastrophe vorbereiten. (Szenen mit finaler Bedeutung wie die Szenen 1 – 3: Marie nimmt Augenkontakt mit dem Tambourmajor auf! Freitag: Wahnvorstellungen (………………….), Zapfenstreich (…………………..), Jahrmarktbesuch (………………….) Woyzecks Zustand: Samstag: Woyzeck besucht Marie (………………….), Beim Hauptmann (………………….), beim Doktor (………………….), Maries Untreue (………………….) Woyzecks Zustand: 3. Sonntag: Vergnügungen (………………….), Tanzszene (………………….), Mordvorsatz (………………….), Prügelei mit dem Tambourmajor (………………….) Woyzecks Zustand: Montag: Messerkauf (………………….), Testament (………………….), Mord(………………….) Entdeckung (………………….), Versuche des Verbergens (………………….) Woyzecks Zustand: Fügen Sie in die Pfeile jeweils einen Satz zur jeweiligen Verfassung Woyzecks an den Tagen ein. 1 Link zur Website Vormärz Epochenbegriff Abiturvorbereitung BG SH Name: Datum: www.fo-net.de LGV 10 Vorbemerkung zum Epochenbegriff “Vormärz” Der neue Lehrplan für Berufliche Gymnasien gibt die Themen “Eine Epoche in ihrer Eigenart” und “Epochenwandel und Epochenkontraste” vor. Diese Themen legen ein Vorgehen nahe, dass die Lehrkraft in 11.2. zunächst eine Textauswahl aus “typischen Vertretern” der Epoche vornimmt. Das Thema “Eochenwandel..” rückt dagegen die Epochenränder stärker in den Blick. Auf diese Weise erhalten die Schülerinnen und Schüler die Möglichkeit, “Orientierungswissen über die Widersprüche einer Makro-Epoche zu erwerben und dabei auch literarische Formentscheidungen als das Ergebnis von Auseinandersetzungen mit überkommenen Normen zu erkennen” ( Karlheinz Fingerhut: Didaktik der Literaturgeschichte. In: Bogdal, Klaus-Michael / Korte, Hermann (Hg.): Grundzüge der Literaturdidaktik, München 2002, S. 162). Am Beispiel Nikolaus Lenaus stellt Dorothee Meerkötter im Heft 6, Seite 86 f.der Zeitschrift “Der Deutschunterricht” (2003) eine Unterrichtsreihe zur Widersprüchlichkeit der Zuordnung Lenaus zu einer Literaturepoche (Spätromantik oder Vormärz ?) vor. Der Begriff Vormärz wird hier verstanden als die zeitgeschichtliche Zuordnung der Literatur zwischen 1815 und 1848. Andere Epochenbegriffe sind zur genaueren Beschreibung von Übergängen der Epochenränder hilfreich und zu untersuchen: Struwwelpeter 1844 Ferdinand Raimund als Aschenmann in Der Bauer als Millionär 1826 1 Vormärz Epochenbegriff www.fo-net.de LGV 10 Theodor Hosemann Armut 1840 Karikatur Denkerclub 1819 1. Historischer Hintergrund 2. Christian D. Grabbe Scherz, Satire, Ironie und tiefere Bedeutung Don Juan und Faust 3. Heinrich Heine Lyrik Heines Atta Troll Heines Reisebilder 4. Georg Büchner Der Hessische Landbote Woyzeck Leonce und Lena Dantons Tod 5. Nikolaus Lenau 1. Historischer Hintergrund Die Umwälzung der Lebensweise der Zeit war durch folgende wichtige Erfindungen / Ideen geprägt: Dampfmaschine mechanischer Webstuhl Spinnmaschine Darwins Lehren Wandel im Rhythmus des öffentlichen Lebens und der Erwerbsarbeit 2 Vormärz Epochenbegriff www.fo-net.de LGV 10 einschließlich der Kinderarbeit : Projektvorschlag: Repräsentationen von Arbeit und Beruf im Bilderbuch / im Volksmärchen: Produkte: Essays schreiben ( Passwortgeschützt / verfügbar für die Nutzer von www.fo-net.de und www.lesezeiten.de ) Dampfschiff / Eisenbahn elektronischer Telegraf (Bedeutung für die Börse / Politik. Beispiel: Als 1801 der russische Zar starb, war die Nachricht erst nach 21 Tagen in London, die Nachricht vom Tod Nikolaus I. erreichte London 1855 nach vier Stunden) 1847 produzierte Krupp die erste Gussstahlkanone weitere Momente des Wandels: Massive Häuser mit großen Fenstern, neuen Öfen und fließendem Wasser wurden gebaut. Leuchtgas ersetzte Petroleumlampen. Seit 1824 gab es Streichhölzer. Die Klassiker wurden in großem Stil in Goldschnittausgaben vermarktet. Die Straßenbeleuchtung ermöglichte ein Nachtleben. In Hamburg wurde 1850 die Kanalisation gebaut. Bürgersteige und Schaufenster erlaubten es vornehmen Damen, (verschleiert) die Straßen zu betreten. Durch Anilinfarben wurde die Tapeten- und Textilindustrie befördert. Der Zylinderhut ersetzte den demokratischen Schlapphut. Für die Autoren des Vormärz, Christian D. Grabbe , Heinrich Heine, Georg Büchner und Nikolaus Lenau, spielt der historische Hintergrund eine bedeutende Rolle. Mit der Umorientierung des literarischen Kanons von einem klassisch- romantischen Idealbild hin zu einem gesellschaftlich und historisch möglichst allumfassenden Literaturkanon fand auch Heine im literarischen Kanon Platz. Als wichtige Daten der Zeit sind zu nennen: 1815 Wiener Kongress 1817 Wartburgfest Karlsbader Beschlüsse 1830 Julirevolution, Bürgerkönig Louis Philippe 1832 Hambacher Fest 1833 Gründung deutscher Zollverein 1848 Märzrevolution, erste deutsche Nationalversammlung Der Sturm und Drang war eine Bewegung, auf welche sich die Literaten des Vormärz beriefen. Der von F.M. Klinger verfasste Roman "Sturm und Drang" war daher auch eines der Basiswerke für die Epoche des Vormärz. 2. Christian D. Grabbe Heute ist der in Detmold geborene Christian Dietrich Grabbe (1801 - 1836) ein literarischer Außenseiter. . Sein erstes Drama, "Herzog von Gotland" (1822) wurde von Tieck bewundert, zugleich aber auch als abstoßend kritisiert. Grabbe erwiderte: "Ein Spiegel kann die abstoßende Realität zeigen, ohne sich selbst zu beschmutzen". Der Mensch erscheint im Stück als Tier, die Reime sind absichtlich schief [Im Gegensatz zu Friederike Kenntners "der schlesische Schwan", die ihre 3 Vormärz Epochenbegriff www.fo-net.de LGV 10 schlechten Reime für vollkommene Poesie hielt und bis heute als Muster für schlechte Dichtkunst steht]. Der Mensch ist nach Grabbe schlechter als das Tier, er tötet seinesgleichen. Die Theodizee als göttliches Gebot wird zugleich in Frage gestellt. Ein Geschichtsdrama mit umfassenden Rückgriff auf historische Quellen ist "Napoleon oder die hundert Tage". Aber auch Legenden und Anekdoten über den von den Vormärz- Autoren bewunderten Feldherren und Politiker Napoleon fließen in das Stück ein. Die titelgebende dramatische Figur Napoleon steht nicht im Mittelpunkt des Stücks, ist kaum in die Handlung involviert, statt dessen werden reportageartig Volkes Stimmen gesammelt. Die Zeit erscheint als entscheidender Faktor, Napoleon selbst ist aber nicht an sie gebunden, sondern erscheint überall und unvermutet. Die Gegner Gneisenau und Blücher sind dagegen bloße Typen und Teil des Volkes, was dazu beitrug, dass das Stück im Nationalsozialismus missbraucht wurde. Der Mensch wird bei Grabbe insgesamt stets begrenzt und klein dargestellt, als bloße Vorstufe des Übermenschen. Das Stationendrama "Hannibal" als episiertes Drama beschreibt Hannibals Feldzug gegen Rom und endet mit dem Untergang Karthagos. Don Juan und Faust Die Welt des zu sinnlichen Don Juan (nach Mozarts Don Giovanni) und des übersinnlichen Faust werden durch Grabbe verknüpft. Das Stück war das einzige Stück Grabbes, welches zu Lebzeiten des Autors aufgeführt wurde. Die Handlung ist leicht und einfach. Im Zentrum steht der Streit der Nationalitäten Deutsch (Faust) und Spanisch (Don Juan). 3. Heinrich Heine zum Wintermärchen (Text und Unterrichtsideen) Der in Düsseldorf geborene Heinrich Heine (1797 - 1856) wurde lange Zeit in der Literaturwissenschaft ignoriert. Der von Schwermut und Dekadenz geprägte GeorgeKreis lehnte Heine wegen seiner Leichtigkeit ab. Auch Karl Kraus verurteilte Heine, da Heine mit seiner Sprache den Duktus des Journalismus vorwegnahm, Kraus sah darin einen Auslöser für den Sprachverfall am Ende des 19. Jahrhunderts. Die Sprache Heines macht den Menschen erkennbar, sie führt so direkt in den Krieg. Kraus wandte sich gegen die Phrasen und die sprachliche Kommerzialisierung Heines sowie gegen die Ästhetisierung des Alltags. Noch in der BRD sprach Adorno von der "Wunde Heine". Die Nationalsozialisten ließen unter das Loreley- Lied "Dichter unbekannt" schreiben. Düsseldorf war zur Zeit der Jugend Heines französisch besetzt, Heine wurde von Jesuiten erzogen und erlebte als Jugendlicher den Einzug Napoleons im Rheinland 1808, was für alle Autoren des literarischen Vormärz ein epochales Ereignis war. Auch bei Heine findet sich eine Mystifizierung der Person Napoleons. 1835 werden die Schriften des Jungdeutschen Gutzkow (Walli die Zweiflerin etc.) vom deutschen Bundestag verboten, wenig später die Jungdeutschen insgesamt. Auf Betreiben Metternichs werden Heines Schriften ebenfalls auf die Verbotsliste gesetzt. Ab 1840 setzt eine Radikalisierung Heines ein. Eine Hetzschrift gegen den Schriftsteller und Mitbegründer des Jungen Deutschland, Ludwig Börne (1786 1837, Begründer des Feuilletons) mit dem Vorwurf des Nazarenertums und des Verrats an der Aufklärung stellt den Höhepunkt dar. Nazarener war die abfällige 4 Vormärz Epochenbegriff www.fo-net.de LGV 10 Bezeichnung für Künstler wie Schnorr von Carolsfeld, die historistische Malerei im katholischen Rom betrieben, statt die romantische Mittelaltervision zu verwerfen und sich dem hellenistischen, aufgeklärten Zeitalter zu öffnen. Über seinen Freund Wilhelm Schlegel erhält Heine Kontakt zu Md. de Staël, welche das Bild Deutschlands vom Land der Dichter und Denker vor allem in Frankreich prägte ("de l'Allemagne"). Heine war dieses Bild zu idealistisch und berücksichtigte auch nicht die sozialen Verhältnisse. Das von Heine proklamierte Ende der Kunstperiode (1832, Tod Goethes) ist gemäß der Schule der Romantik das Ende der Klassik. Heine inszeniert diesen Aufstand gegen Goethe gemäß der Didaktik Hegels von These (Klassik) und Antithese ( Romantik). [Im Gegensatz zu Schiller sollte Goethe aber nicht auf das verklärte Bild eines abstrakt denkenden imperialistischen und idealistischen Autors mit Vorliebe für den Historismus beschränkt werden.] Heine gruppiert die Romantiker, insbesondere E.T.A. Hofmann, Zacharias Werner und Novalis in den literaturgeschichtlichen Kontext ein. Die 1835 von Gervinius herausgebrachte erste große deutsche Literaturgeschichte wird dagegen von Heine (und Grillparzer) angefeindet. Im "zweiten Buch der Romantik" kritisiert Heine ferner Schlegels exzessiven Gebrauch der Allegorie und Metapher. Diese sollten nach Heine nur als politische Mittel gebraucht werden. Auch Ludwig Tieck, der Literaturpapst dieser Zeit und produktivster romantischer Schriftsteller, wird von Heine kritisiert, insbesondere die serielle Gedichtsproduktion (vgl. auch Grillparzer: "Teewasser. Gedichte von Tieck"). dagegen verehrte Heine in der Aufklärung Lessing. Kritik musste hier vor allem Nicolai (naive Aufklärung) einstecken. Lyrik Heines Heines Lyrik umfasst eine Vielzahl an Bildern Die an zentraler Stelle angeordneten Machtwörter innerhalb des für Heine typischen lyrischen Intermezzos sind identisch mit der romantischen Auffassung von Lyrik. Nacht, Traum, Rosen, Lippen und Tränen sind dabei als Allegorien ähnlich konnotiert wie in der Romantik. Die Annäherung der Geliebten an eine Heilige wird meist durch einen Maler ausgedrückt. Heine ist sich darüber im klaren, dass er damit romantische Grundtopoi benutzt und versucht sich zeitlebens vergeblich davon zu distanzieren. Atta Troll Diese Mischung aus Lied und Gedicht in Form eines Versepos ist für die Literatur des Vormärz' typisch. Der 1841 veröffentlichte Atta Troll ist eine Mischung aus komischem Tierepos, Travestie und den durch Grandville bekannt gewordenen illustrierten Tierepen (lösten Fabel ab). Das Metrum ist ein vierfüßiger reimloser Trochäus, der künstlicher als der Jambus wirkt und den natürlichen Sprachfluss hemmt. Im Trochäus ist zugleich der hämmernde Vers des spanischen Dramas geschrieben, er war zudem in der deutschen Romantik beliebt. Die Zeilen sind zu Blöcken auch sinngemäß zusammengefasst, wobei der letzte Satz eines Blocks die vorher aufgestellte Illusion stets bricht. Atta Troll ist eine Allegorie auf die vormärzliche politische Opposition der unterschiedlichsten Richtungen. Das Tier als Kritiker des Menschen stellt die Ideale 5 Vormärz Epochenbegriff www.fo-net.de LGV 10 der Liberalen Ferdinand Freilingrath und Emmanuel Geibel ("Der Mai ist gekommen") in Frage. Heines Reisebilder Die Reisebilder sind kein stimmiges Ganzes, es besteht in ihnen kein interner Sachzusammenhang. Statt dessen herrscht ein Durcheinander von Prospekten, Berichten und Aussagen als Potpourri vor. Es handelt sich aber auch nicht um ein gewachsenes, organisches Ganzes, sondern um eine Konstruktion, dessen integrale Einheit aufgebrochen wurde, der Text umfasst insgesamt auch nicht den Anspruch auf eine Gesamtaussage. 4. Georg Büchner Arbeitsblatt Abiturwissen: BVW 30 Vormärz Wissen zu Büchner und Woyzeck Der 1813 im hessischen Godelau geborene Büchner gründete 1834 die "Gesellschaft für Menschenrechte" und rief im selben Jahr mit der sozialistischen Kampfschrift "der hessische Landbote" zum politischen und gesellschaftlichen Umsturz auf. 1835 muss er deshalb nach Straßburg flüchten, wo er zwei Jahre später im Alter von erst 23 Jahren an Typhus stirbt. Er selbst war promovierter Anatom, sein Bruder war Reichstagsabgeordneter und erfand das Ultramarin, eine Schwester war Frauenrechtlerin. Sein Werk ist trotz geringen Umfangs nicht zu unterschätzen, erhalten blieben zwei abgeschlossene Theaterstücke (Leonce und Lena, Napoleon) und ein Fragment ( Woyzeck), ein Novellenfragment (Lenz) und diverse Briefe. Er nimmt insbesondere im Woyzeck u.a. Entwicklungen der Psychologie des Realismus vorweg. Die Figuren selbst praktizieren dabei eine Minimalsprache. Literaturgeschichtlich ist Büchner eng mit Grabbe verbunden. Bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts sind beide literarische Außenseiter. Büchner lebte lange im kleinbürgerlichen Darmstadt (Pensionopolis, laut Büchner), vergleichbar mit Grabbes Detmold. Büchner wird danach insbesondere durch "Woyzeck" zum Klassiker des 19. Jahrhunderts. Mit 21 Jahren erfolgt der erste Druck des hessischen Landboten. Von den Vorläufern Marx' lernt Büchner, dass die Wirtschaft auf Ausbeutung beruht und Veränderungen nur durch organisierte Aufstände realisierbar sind. Büchner schwankt dabei zwischen Pessimismus und Revolution (Republikaner), will aber gegen die Herrschaft zunächst mit Hilfe der Statistik (Elend der Massen) und der Religion (religiöser Fanatismus) vorgehen. Insbesondere sein bis heute umstrittener konservativer Freund Weidig war für die religiösen Elemente im Landboten zuständig. Danach soll der Glaube an Gott den Glauben an das Gute im Menschen bestärken. Bis ins 20. Jahrhundert war der hessische Landbote verpönt und nicht als politisches Pamphlet betrachtet. Die statistischen Grundlagen und das Motto "Friede den Hütten, Krieg den Palästen" waren unbekannt. Die Novelle "Lenz" basiert auf der Biographie des Sturm- und Drang- Dichters Jakob Michael Reinhold Lenz. Lenz selbst war deviant und in die Gesellschaft seiner Zeit nicht integriert sowie seelisch zerrüttet. Die Novelle kann so als Studie einer Krankheit betrachtet werden. Dabei werden die psychologischen Merkmale klar herausgestellt, wie dies medizinisch erst 60 Jahre später möglich ist. Der Text hat zwar Anfang und Ende, wichtige Zwischenpartien fehlen dem Fragmentaber. 6 Vormärz Epochenbegriff www.fo-net.de LGV 10 5. Nikolaus Lenau Der im rumänischen Csatad 1802 geborene Nikolaus Nimbsch Edler von Strehlenau war in seiner Zeit in Wien mit dem Politiker und Schriftsteller Anastasius Grün Graf von Auersperg (1806 - 1876) befreundet. Die beiden als Dioskuren (Söhne des Zeus, Kastor und Pollux) bezeichneten versteckten ihre Kritik an der Politik des Vormärz in ihrer Literatur. In Stuttgart bekam Lenau später Kontakt zur schwäbischen Dichterschule (Justinus Kerner, Uhland, Gustav Schwab). Trotz seines Versepos Faust ist er eigentlich eher als Lyriker bekannt. Die Grundstimmung in seinen Gedichten ist düster und bedrohlich. In seinen Schilfliedern dominiert die Lyrik der Andeutung, Hexe und andere Wesen tauchen nur als Vision auf, die natürlich zugeordneten Farben gehen verloren so entsteht zusammen mit den kritisch verwendeten Allegorien ein Gefühl der Melancholie. Die Antike geht von vier Temperamenten aus: Sanguiniker lustig, lebensfroh, aber auch fad, oberflächlich und flach Phlegmatiker (Phlegma = Schleim) ruhig, nichtstuend, gemütlich Melancholiker tiefsinnig, traurig, entrückt, die Hintergründe erahnend oder erkennend Choleriker aufbrausend, gereizt Lenaus Gedichte sind meist Wandergedichte (Die drei Indianer, der Polenflüchtling, der Indianerzug etc). Nicht nur dadurch wird Lenaus Literatur singulär, auch durch die Verzweiflung und Enttäuschung am Scheitern der französischen Revolution und an der Metternich- Restauration bis hin zum Vormärz. Der Rückzug in die Literatur des Biedermeier ist damit die einzige Möglichkeit des Schriftstellers. Das bisher geleistete wird bei Lenau nicht satirisch verhöhnt, wie dies unter dem Eindruck der Demontage der französischen Revolution bei Büchner und Heine geschieht. Vielmehr verdeutlicht Lenau, dass nichts Neues aus der gegenwärtigen Situation entstehen kann, alles ist nur mehr ein Nachklang des Vergangenen, insbesondere der Klassik. Lenau verdeutlicht, dass Gräber die Geschichte überdauern. Sein Blick ist der des Melancholikers: Er sieht und denkt in Allegorien. Lenaus "Faust" ist aus Dialogen (Drama) und Erzählpassagen (Prosa) zusammengesetzt. Dabei finden sich zahlreiche Rückgriffe auf Goethes Faust. Im Gegensatz zu Goethes Werk ist Mephisto bei Lenau absolut, Philosoph und Aufklärer, bei Goethe Geprellter, Verführer und Mächtiger. Lenaus Faust wird am Ende nicht gerettet, er ist hoffnungslos der Wissenssucht verfallen. Faust als Sinnbild des Individuums hat sich von Gott, der Welt und der Menschheit entfremdet. Der kenntniswillige Mensch endet im Freitod, die Theodizee kann vom Humanismus der Klassik nicht im Diesseits beantwortet werden. 7 Vormärz Epochenbegriff www.fo-net.de LGV 10 Link zur Website Vormärz Wissen zu Büchner und Woyzeck Abiturvorbereitung BG SH Name: Datum: Darbietung: Schüler- Vortrag OHP www.fo-net.de BVW 30 Der 1813 im hessischen Godelau geborene Büchner gründete 1834 die "Gesellschaft für Menschenrechte" und rief im selben Jahr mit der sozialistischen Kampfschrift "der hessische Landbote" zum politischen und gesellschaftlichen Umsturz auf. 1835 muss er deshalb nach Straßburg flüchten, wo er zwei Jahre später im Alter von erst 23 Jahren an Typhus stirbt. Er selbst war promovierter Anatom, sein Bruder war Reichstagsabgeordneter und erfand das Ultramarin, eine Schwester war Frauenrechtlerin. Sein Werk ist trotz geringen Umfangs nicht zu unterschätzen, erhalten blieben zwei abgeschlossene Theaterstücke (Leonce und Lena, Napoleon) und ein Fragment ( Woyzeck), ein Novellenfragment (Lenz) und diverse Briefe. Er nimmt insbesondere im Woyzeck u.a. Entwicklungen der Psychologie des Realismus vorweg. Die Figuren selbst praktizieren dabei eine Minimalsprache. Literaturgeschichtlich ist Büchner eng mit Grabbe verbunden. Bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts sind beide literarische Außenseiter. Büchner lebte lange im kleinbürgerlichen Darmstadt (Pensionopolis, laut Büchner), vergleichbar mit Grabbes Detmold. Büchner wird danach insbesondere durch "Woyzeck" zum Klassiker des 19. Jahrhunderts. Mit 21 Jahren erfolgt der erste Druck des hessischen Landboten. Von den Vorläufern Marx' lernt Büchner, dass die Wirtschaft auf Ausbeutung beruht und Veränderungen nur durch organisierte Aufstände realisierbar sind. Büchner schwankt dabei zwischen Pessimismus und Revolution (Republikaner), will aber gegen die Herrschaft zunächst mit Hilfe der Statistik (Elend der Massen) und der Religion (religiöser Fanatismus) vorgehen. Insbesondere sein bis heute umstrittener konservativer Freund Weidig war für die religiösen Elemente im Landboten zuständig. Danach soll der Glaube an Gott den Glauben an das Gute im Menschen bestärken. Bis ins 20. Jahrhundert war der hessische Landbote verpönt und nicht als politisches Pamphlet betrachtet. Die statistischen Grundlagen und das Motto "Friede den Hütten, Krieg den Palästen" waren unbekannt. Die Novelle "Lenz" basiert auf der Biographie des Sturm- und Drang- Dichters Jakob Michael Reinhold Lenz. Lenz selbst war deviant und in die Gesellschaft seiner Zeit nicht integriert sowie seelisch zerrüttet. Die Novelle kann so als Studie einer Krankheit betrachtet werden. Dabei werden die psychologischen Merkmale klar herausgestellt, wie dies medizinisch erst 60 Jahre später möglich ist. Der Text hat zwar Anfang und Ende, wichtige Zwischenpartien fehlen dem Fragmentaber. Die kommunistische Interpretation sieht in dem Werk eine Stellungnahme gegen den Glauben, christliche Interpreten dagegen sehen eine Mahnung vor der Entfremdung von Gott. Insgesamt bestimmt das impersonale Es die Handlung. Die Komödie "Leonce und Lena" wurde vom ersten Gönner Büchners, Gutzkow, gerügt. Das Stück sei demnach unrelevant und ohne Bezug, kurz: zu leicht. In der Tat handelt es sich um ein Gelegenheitsstück für ein Preisausschreiben Cottas. Auch Gundolf (George- Kreis) wertete das Stück ab. Es finden sich wenig Anklänge an die revolutionären Werte des Vormärz, statt dessen dominiert die satirische Auseinandersetzung mit den Duodezfürsten. Als einzige politische Komponente kann die Beschreibung eines Steckbriefes wie bei Nestroy dienen (Freiheit für Krähwinkel Größe: Barrikadengröße). Woyzeck : Das zwischen Herbst 1836 und Februar 1837 entstandene Hauptwerk Büchners ist Fragment geblieben. Es ist keine Endfassung feststellbar, vielmehr stehen vier Handschriften als Konzeptionen und Entwürfe neben einander. Der Erstdruck erfolge in der damals liberalen "Neuen freien Presse". Erst 1913 wird das Stück als Oper "Wozeck" uraufgeführt. Eine standardisierte Ausgabe des Woyzeck, von Poschmann herausgegeben, ist umstritten; neben ihr existieren weitere 6 historisch- kritische Ausgaben. Poschmanns Ausgabe baut im wesentlichen auf H4 auf, welche sich wiederum an H1 und H2 anlehnt, während die Stellung von H3 bis heute nicht zu klären war. Dennoch bleibt der Woyzeck eine bloße Szenenfolge. Der Woyzeck baut auf einen historischen Fall auf: 1821 ersticht Johann Christian Woyzeck in Leipzig seine Freundin. Der Fall erregte öffentliches Aufsehen, da Woyzeck offensichtlich unzurechnungsfähig war. Die Hinrichtung erfolge nach einem Gutachten Clarus', welche dieses Faktum ignorierte. Im Woyzeck wird Bezug auf die Sprache der Bibel genommen. Woyzeck sieht sich als Opfer der Offenbarung und zugleich als Opfer des unpersönlichen "Es". ("Es trifft mich", Es ist hinter mir her"). Woyzeck ringt also mit einem sprachlichen, nicht mit einem personifizierten Antagonisten. Von den übrigen Figuren wird Woyzeck ausgenutzt: Sowohl der Tambourmajor als auch der Doktor benutzen ihn, um ihre gesellschaftlichen oder medizinischen Gedanken zu verifizieren. Diese Unfreiheit steht im Gegensatz zum aufklärerischen Gedanken von der Freiheit des Menschen, eine direkte Erfahrung des Pauperismus in der industriellen Revolution. Die Sprache ist naturalistisch geprägt, sie macht zugleich den vierten und fünften Stand bühnenfähig. Die Figuren sind der Sprache jedoch nicht mächtig, haben keine direkte Sprachkontrolle. Die Sätze sind parataktisch ohne grammatische Hierarchie und verbinden Gedanken miteinander, die ebenfalls nicht logisch verknüpft sind. Dies drückt sich auch in der willkürlich erscheinenden Szenenfolge aus. Zugleich werden scholastische Fragen in das Geschehen geworfen (Kann der allmächtige Gott einen Stein erschaffen, den er selbst nicht hoch heben kann?), was ebenfalls eine Abkehr vom Deïsmus der Aufklärung darstellt. Es existiert kein Gott, nur das impersonale Es. Auch Goethes Teleologie wird verworfen und gegen eine negative Theodizee Büchners ersetzt, ferner die Lehre Leibnitz von der Besten aller Welten, welche durch Voltaires Erfindung der französischen Revolution ersetzt wird. Im Stück wird das Clarus- Gutachten abgeändert. Woyzeck ist kein isoliertes Wesen und deshalb nicht allein für seinen Wahnsinn verantwortlich. Kritik wird an den Naturund Sozialwissenschaften sowie der Psychologie geübt, welche Woyzeck missbrauchen. Anders als bei Faust geschieht dies nicht freiwillig, während Faust Mephisto hätte ausweichen können, gibt es für Woyzeck keine Alternative zu den Experimenten des Doktors. Woyzeck und seine Geliebte Marie weisen zugleich als einzige Spuren von Individualität auf, während die Übrigen nur Typen repräsentieren. Es wird aber nur dargestellt, ein Gegenentwurf wird durch Büchner nicht aufgezeigt. Dies erschwerte im DDR- Kanon eine marxistische Interpretation. Dantons Tod: Das Stück ist als Montage und mit seiner Vielzahl an Zitaten nahe am dokumentarischen Theater. Die Jungdeutschen, insbesondere Karl Gutzkow, nahmen das Stück begeistert auf. Gutzkow erkannte als erster die formvollendete Gestalt, während die Literaturkritik lange ein bühnenungeeignetes Fragment darin sahen. Nach Goethe ist eine Tragödie ein unaufhebbarer Gegensatz. Der pragmatische Ansatz des 20. Jahrhunderts sieht ein Drama dann, wenn am Schluss der Held stirbt. Im Drama Danton ist der Tod jedoch sinnlos, die Revolution ist wie Saturn und frisst ihre eigenen Kinder. Wie Medea zerstückelt sie die Menschheit, um sie zu verjüngen. Der Tod erscheint nur als Resultat eines unaufhaltsamen Prozesses. Danton fällt als epikureischer Individualist der Revolution und sich selbst zum Opfer. Büchner bemerkte in seinen Briefen: "Ein grässlicher Fatalismus beherrscht die Geschichte". Mit grausamen und drastischen Metaphern aus der griechischen Antike wird von den Literaten des Vormärz nach einer vollkommenen Welt gesucht. Die feinsinnige Rhetorik kann die unabgeschlossene, zerbrochene Welt und das unvollkommen beendete Leben nicht verbergen. Selbst die Liebe ist nur noch Praxis des gesellschaftlichen Handelns und nicht mehr private Empfindung. Am Ende des Stücks wird Lucille wie Shakespeares Ophelia in den Wahnsinn getrieben. Link zur Website Vormärz Der Literaturmarkt im Vormärz Abiturvorbereitung BG SH Name: Datum: www.fo-net.de LGV 35 1. Der Literaturmarkt des Vormärz in Deutschland Nach den napoleonischen Kriegen expandiert der Handel und damit gleichzeitig das Informationsbedürfnis. Folglich entwickelte sich die Buchproduktion nach 1830 sprunghaft. Zwischen 1821 und 1838 stieg die jährliche Buchproduktion auf über 10.000 Titel um 150 %. Steigerungen erfolgten in den Bereichen Fach- und Sachbuch. Dichtung stagnierte. Das Netz der Buchhandlungen verdichtete sich (1840: 1.350 Buchhandlungen), 1825 wurde der Börsenverein des Deutschen Buchhandels gegründet. Nutznießer dieser Entwicklung waren die vielen Unterhaltungsschriftsteller. Die oppositionelle Literatur unterlag dagegen verschärfter Zensur. Mit dem Wartburgfest formierten sich 1817 Studenten und Professoren (Literaturtipp: T. Röhrig: Sand oder Der Freiheit eine Gasse). Nach 1830 bildeten sich Vaterlandsvereine. Zum Hambacher Fest 1832 und mit dem “Bund der Gerechten” werden die Bewegungen radikaler, das Interesse an (literarischen) Entwicklungen in Europa nimmt zu. Aufgabe : Was erfahren Sie über die soziale Zusammensetzung der Leserschaft der “Poetischen Literatur der Italiener” vom 15. Februar bis 23. August 1845 ? 2. Die Entwicklung des Literaturmarktes in Schleswig-Holstein seit dem Vormärz mehr zur Literatur in Schleswig-Holstein In Eckernförde verlegte 1846 der Buchhändler H. Hansen eine kleine Schrift und verstarb im gleichen Jahr. Heinrich Heldt gründete am 1. November 1854 eine Druckerei mit Buchverkauf, die sein Sohn Carl übernahm und am 1. Januar 1872 zur Buchhandlung erweiterte und der er einen kleinen Verlag angliederte. Er starb 1893, worauf der Enkel Karl zum 1. Oktober dieses Jahres der Inhaber wurde als Herzogl. Holsteinischer Hofbuchhändler und das Geschäft auf Kunst und Musikalienhandlung erweiterte. 1840 hatte Elmshorn 5000 Einwohner, wovon 204 Israeliten waren. Die kleine jüdische Gemeinde entstand durch den Emigrantenzustrom Ende des 18. Jahrhundertsnach Hamburg, das nur die reichen Juden aufnahm. Die armen wurden nach Altona abgeschoben, wo sie jedoch nicht alle ihr Brot finden konnten und nach Elmshorn und Glückstadt weiterzogen. Am 1. August 1876 gründete Wilhelm Hahn hier eine Buchhandlung, die er jedoch schon 1878 nach Plön verlegte, vermutlich, weil am 1. November 1877 die Buchhandlung von J. M. Groth mit einem kleinen Verlag hinzukam und für zwei Firmen die Einwohnerschaft zu klein war. Das Hauptgeschäft lag zunächst im Druckerei und Buchbindereibetrieb sowie im Formulardruck für Behörden aller Art. Später erweiterte Groth das Sortiment auf Musikalien und Kunstblätter, und daneben, wie stets in kleinen Orten, auf Papierhandel, die Firma besteht noch heute wie auch die Hahn’sche Buchhandlung in Plön. In Eutin, der ehemaligen Hauptstadt des Fürstentums Lübeck, zum Großherzogtum Oldenburg gehörig, gründete 1741 Peter Heinrich Struve eine Druckerei, in der Gesangbücher für das Hochstift Lübeck und verschiedene Kalender hergestellt wurden, während anschließend der Sohn Benedict Christian zum 1. Oktober 1802 die “Eutiner wöchentlichen Anzeigen” herausbrachte. Der bisherige kleine Verlag wurde erweitert 1766 durch Joh. Heinr. Hesse: 24 Oden und Lieder und eine Cantate mit Melodien ... bey ihm zu bekommen, 1798 durch Joh. Heinr. Voß “Reineke die Voß mit eener Vorklaring der olden Sassischen Worde” (Erklärung der alten niedersächsischen Worte), 1809 durch G. H. A. Ukert ”Annalen der Residenz Eutin nebst einer Topographie des Fürstenthurns Lübeck" und 1836 durch G. F. Herbart: ”Vor- und Jetzt- Zeit der... Stadt Eutin im Fürstenthume Lübeck”, mit 3 Abdrücken vom Stein. Da es zu dieser Zeit noch keine Buchhandlung in Eutin gab, verkauften die Struves die Bücher und Kalender in eigener Regie oder durch die Autoren selbst. Die Druckerei besteht noch heute. Erst 1838 eröffneten Carl H. Baurmeister zusammen mit ... Griem in Kiel und Eutin Buchhandlungen, aus der Baurmeister im Eutiner Geschäft schon 1843 wieder ausschied. Gleich 1838 verlegten sie von A. L. J. Michelsen ,Ueber die erste holsteinische Landesthellung" eine historische Abhandlung mit lithographierten Wappen. In den Jahren 1854 - 58 lithographierte H. Geerdts in Eutin eine ”Wegekarte vom Fürstenthum Lübeck” und eine ”ForstWegeKarte des Amtes Eutin”, gezeichnet von H. E. Knudsen im Folioformat. In der Industriestadt Neumünster, früher Wippendorf geheißen, entwickelte sich verhältnismäßig spät das kulturelle Leben. Uni 1850 gab es dort noch keine Druckerei oder Buchhandlung, auch keine Zeitung. 1851 bestand das Geschäft des Heinrich Schmidt, der Schul- und Bilderbücher zum Weihnachtsfeste anbot, hauptsachlich aber Nürnberger Spielsachen, Quiz- (Kurz-) und Galanteriewaren verkaufte. Für 1852 gab der Schriftsteller Franz Bocke ein Unterhaltungsblatt heraus; das war zunächst alles. Erst zum 30. April 1870 trat Robert Hieronymus mit einer Buchhandlung nebst Druckerei und Verlag auf, in dem seit dem 2. April. 1872 der ”Holsteinische Courier erschien. Nach 1900 ging der Zeitungsverlag auf K. Wachholtz über und die Buchhandlung an Hans Helmuth Clement, der sie auf Kunsthandel erweiterte. Zum 1. Dezember 1889 gründete Carsten Rathje eine Buch-, Kunst- und Musikalienhandlung. Daneben führte er auch Schreibmaterialien und unterhielt einen Journal-Lesezirkel. Seine beiden Kinder Ella und Bruno ließ er zu Buchhändlern ausbilden und nahm sie ins Geschäft. Ende 1940 zog der Vater sich daraus zurück und starb im hohen Alter von 88 Jahren am 13. März 1954. Die Firmen bestehen heute leider nicht mehr.. In Kappeln an der Schlei im Lande Angeln gründete am 1. Oktober 1876 Peter Kock eine Buchhandlung und gliederte einen kleinen landwirtschaftlichen Verlag an. Als erstes Erzeugnis kam 1879 vom Feldmesser J. S. Meyer ”Tabellen zur Umwandlung Hamburger Ruthen auf die neuen Hamburger Maaße” für 1 Mark, doch gab es darauf keinen Rabatt, sodass die Sortimenterkollegen den Verkaufspreis selbst festsetzen mussten. Schon zum 1. Oktober 1883 übernahm der Sohn August das Geschäft und verlegte 1884 von P. Petersen ”Geschichtliches über (das Gut) Lindau in Angeln” zur 100jährigen Jubelfeler seiner Parcellierung,und 1885 (der Kuriosität halber hier aufgeführt) von Dir. Dr. J. Brümmer ”Die Altersbestimmung des Pferdes,sowie die Betrügerelen, welche an den Schneidezähnen vorgenommen werden”, 16 Seiten mit 15 Holzschnitten, für 50 Pfg., ebenfalls netto ohne Rabatt. Quelle u.a. : Aus dem Antiquariat - Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel - Frankfurter Ausgabe - Nr. 78, vom 29.09.1978 Link zur Vertiefung Epochenüberblick zur Abiturvorbereitung BG SH Vormärz Aufgabe Name: Datum: www.fo-net.de LÜA 51 Aufgabe: Recherchieren Sie die Epochenmerkmale des Vormärz (im weiteren Sinne)! Dauer und Bezeichnung der Epoche Mindestens fünf Angaben zum Charakter der Zeitstrahl Literatur Bedeutende Vertreter und Werke Gattungen Themen und Motive Epochenmerkmale Sprache und Stil 1815 1718 1720 1825 Figuren 1828 Zeitstrahl 1830 1834 Technische, wirtschaftliche, gesellschaftliche und soziale Entwicklung 1838 1840 1845 Werke 1848 Zentralabitur - Deutsch 1 Literarischer Text – untersuchend eA Themenkorridor 1 KB 3 – Epochenwandel und Epochenkontraste – Individuum und Gesellschaft 18./19. Jh. - unter besonderer Berücksichtigung der Dramen „Faust I“ von J.W. Goethe und „Woyzeck“ von G. Büchner Aufgabenart: Literarischer Text – untersuchend eA Georg Büchner: Leonce und Lena Erste Scene Ein Garten Leonce ( halb ruhend auf einer Bank. Der Hofmeister) Mein Herr, was wollen Sie von mir? 5 10 Mich auf meinen Beruf vorbereiten? Ich habe alle Hände voll zu thun, ich weiß mir vor Arbeit nicht zu helfen. Sehen Sie, erst habe ich auf den Stein hier dreihundert fünf und sechzig Mal hintereinander zu spucken. Haben Sie das noch nicht probirt? Thun Sie es, es gewährt eine ganz eigne Unterhaltung. Dann - sehen Sie diese Hand voll Sand? (Er nimmt Sand auf, wirft ihn in die Höhe und fängt ihn mit dem Rücken der Hand wieder auf.) jetzt werf' ich sie in die Höhe. Wollen wir wetten? Wieviel Körnchen hab' ich jetzt auf dem Handrücken? Grad oder ungrad? Wie? Sie wollen nicht wetten? Sind Sie ein Heide? Glauben Sie an Gott? Ich wette gewöhnlich mit mir selbst und kann es tagelang so treiben. Wenn Sie einen Menschen aufzutreiben wissen, der Lust hätte als mit mir zu wetten, so werden Sie mich sehr verbinden. Dann habe ich nachzudenken, wie es wohl angehn mag, daß ich mir einmal auf den Kopf sehe. O wer sich einmal auf den Kopf sehen könnte! Das ist eins von meinen Idealen. Mir wäre geholfen. Und dann - und dann noch unendlich Viel der Art. - Bin ich ein Müßiggänger? Habe ich keine Beschäftigung? - Ja es ist traurig ... 15 Hofmeister Sehr traurig, Euer Hoheit. Leonce Daß die Wolken schon seit drei Wochen von Westen nach Osten ziehen. Es macht mich ganz melancholisch. Hofmeister Eine sehr gegründete Melancholie. 20 Leonce Mensch, warum widersprechen Sie mir nicht? Sie sind pressirt1, nicht wahr? Es ist mir leid, daß ich Sie so lange aufgehalten habe. (Der Hofmeister entfernt sich mit einer tiefen 1 In Eile sein Text Zentralabitur - Deutsch 2 Literarischer Text – untersuchend eA Verbeugung.) Mein Herr, ich gratulire Ihnen zu der schönen Parenthese2, die Ihre Beine machen, wenn Sie sich verbeugen. Leonce ( allein, streckt sich auf der Bank aus) Die Bienen sitzen so träg an den Blumen, und der Sonnenschein liegt so faul auf dem Boden. Es krassirt3 ein entsetzlicher Müßiggang. 25 30 Müßiggang ist aller Laster Anfang. - Was die Leute nicht Alles aus Langeweile treiben! Sie studiren aus Langeweile, sie beten aus Langeweile, sie verlieben, verheirathen und vermehren sich aus Langeweile und sterben endlich an der Langeweile und - und das ist der Humor davon - Alles mit den wichtigsten Gesichtern, ohne zu merken warum, und meinen Gott weiß was dabei. Alle diese Helden, diese Genies, diese Dummköpfe, diese Heiligen, diese Sünder, diese Familienväter sind im Grunde nichts als raffinirte Müßiggänger. - Warum muß ich es grade wissen? Warum kann ich mir nicht wichtig werden und der armen Puppe einen Frack anziehen und einen Regenschirm in die Hand geben, daß sie sehr rechtlich und sehr nützlich und sehr moralisch würde? - Der Mann, der eben von mir ging, ich beneidete ihn, ich hätte 35 ihn aus Neid prügeln mögen. O wer einmal jemand Anders sein könnte! Nur 'ne Minute lang. ( Valerio halb trunken, kommt gelaufen.) Leonce Wie der Mensch läuft! Wenn ich nur etwas unter der Sonne wüßte, was mich noch könnte laufen machen. 40 Valerio ( stellt ich dicht vor den Prinzen, legt den Finger an die Nase und sieht ihn starr an) Ja! Leonce ( eben so) Richtig! Valerio Haben Sie mich begriffen? Leonce Vollkommen. (...) 45 Valerio Es ist ein Jammer. Man kann keinen Kirchthurm herunterspringen, ohne den Hals zu brechen. Man kann keine vier Pfund Kirschen mit den Steinen essen, ohne Leibweh zu kriegen. Seht, Herr, ich könnte mich in eine Ecke setzen und singen vom Abend bis zum Morgen: »Hei, da sitzt e Fleig an der Wand! Fleig an der Wand! Fleig an der Wand!« und so fort bis zum Ende meines Lebens. 2 3 Zusätzliche Figur Grassieren; um sich greifen Text Zentralabitur - Deutsch 50 3 Literarischer Text – untersuchend eA Leonce Halt's Maul mit deinem Lied, man könnte darüber ein Narr werden. Valerio So wäre man doch etwas. Ein Narr! Ein Narr! Wer will mir seine Narrheit gegen meine Vernunft verhandeln? Ha, ich bin Alexander der Große4! Wie mir die Sonne eine goldne Krone in die Haare scheint, wie meine Uniform blitzt! Herr Generalissimus Heupferd, 55 60 lassen Sie die Truppen anrücken! Herr Finanzminister Kreuzspinne, ich brauche Geld! Liebe Hofdame Libelle, was macht meine theure Gemahlin Bohnenstange? Ach bester Herr Leibmedicus Cantharide, ich bin um einen Erbprinzen verlegen. Und zu diesen köstlichen Phantasien bekommt man gute Suppe, gutes Fleisch, gutes Brod, ein gutes Bett und das Haar umsonst geschoren - im Narrenhaus nämlich -, während ich mit meiner gesunden Vernunft mich höchstens noch zur Beförderung der Reife auf einen Kirschbaum verdingen könnte, um - nun? - um? Leonce Um die Kirschen durch die Löcher in deinen Hosen schamroth zu machen! Aber Edelster, dein Handwerk, deine Profession, dein Gewerbe, dein Stand, deine Kunst? Valerio ( mit Würde) Herr, ich habe die große Beschäftigung, müßig zu gehen, ich habe eine ungemeine Fertigkeit im Nichtsthun, ich besitze eine ungeheure Ausdauer in der Faulheit. 65 Keine Schwiele schändet meine Hände, der Boden hat noch keinen Tropfen von meiner Stirne getrunken, ich bin noch Jungfrau in der Arbeit, und wenn es mir nicht der Mühe zu viel wäre, würde ich mir die Mühe nehmen, Ihnen diese Verdienste weitläufiger auseinanderzusetzen. (…) 4 Alexander der Große war von 336 v. Chr. bis zu seinem Tod König von Makedonien. Alexander dehnte die Grenzen des Reiches, das sein Vater Philipp II. aus dem vormals eher unbedeutenden Kleinstaat Makedonien sowie mehreren griechischen Poleis errichtet hatte, durch den sogenannten Alexanderzug und die Eroberung des Achämenidenreichs bis an den Indischen Subkontinent aus. Text Zentralabitur - Deutsch 4 Literarischer Text – untersuchend eA Zweite Scene Ein Zimmer König Peter wird von zwei Kammerdienern angekleidet. Peter ( während er angekleidet wird) Der Mensch muß denken und ich muß für meine 5 10 Unterthanen denken, denn sie denken nicht, sie denken nicht. - Die Substanz ist das 'an sich', das bin ich. ( Er läuft fast nackt im Zimmer herum.) Begriffen? An sich ist an sich, versteht ihr? jetzt kommen meine Attribute5, Modificationen6, Affectionen7 und Accidenzien8, wo ist mein Hemd, meine Hose? - Halt, pfui! der freie Wille steht davorn ganz offen. Wo ist die Moral, wo sind die Manschetten? Die Kategorien9 sind in der schändlichsten Verwirrung, es sind zwei Knöpfe zuviel zugeknöpft, die Dose steckt in der rechten Tasche. Mein ganzes System ist ruinirt. - Ha, was bedeutet der Knopf im Schnupftuch? Kerl, was bedeutet der Knopf, an was wollte ich mich erinnern? Erster Kammerdiener Als Eure Majestät diesen Knopf in Ihr Schnupftuch zu knüpfen geruhten, so wollten Sie... Peter Nun? Erster Kammerdiener Sich an Etwas erinnern. 15 Peter Eine verwickelte Antwort! - Ei! Nun an was meint Er? Zweiter Kammerdiener Eure Majestät wollten sich an Etwas erinnern, als Sie diesen Knopf in Ihr Schnupftuch zu knüpfen geruhten. Peter ( läuft auf und ab) Was? Was? Die Menschen machen mich confus, ich bin in der größten Verwirrung. Ich weiß mir nicht mehr zu helfen. (Ein Diener tritt auf.) 20 Diener Eure Majestät, der Staatsrath ist versammelt. 25 Peter ( freudig) Ja, das ist's, das ist's. - Ich wollte mich an mein Volk erinnern! Kommen Sie meine Herren! Gehn Sie symmetrisch. Ist es nicht sehr heiß? Nehmen Sie doch auch Ihre Schnupftücher und wischen Sie sich das Gesicht. Ich bin immer so in Verlegenheit, wenn ich öffentlich sprechen soll. ( Alle ab.) (…) (920 Wörter) 5 Eigenschaft Veränderungen am menschlichen Körper 7 von lateinisch: afficere - antun, versehen mit 8 Nebensächlichkeiten 9 Klassen einer Ordnung 6 Text Zentralabitur - Deutsch 5 Literarischer Text – untersuchend eA Textvorlage Text: Georg Büchner: Woyzeck. Leonce und Lena, Reclam (Nr. 18420), Stuttgart 2005, S. 7f. Erlaubte Hilfsmittel: Rechtschreiblexikon Auswahl- und Lesezeit: 20 Minuten Arbeitszeit: 5 Zeitstunden Aufgabenstellung 1. Beschreiben Sie, wie König Peter und sein Sohn Prinz Leonce von Georg Büchner in den ersten beiden Szenen des Lustspiels dargestellt werden. 2. Untersuchen Sie die zentralen Motive und die sprachlich-rhetorische Gestaltung beider Szenen. 3. Nehmen Sie, im Rückgriff auf die soziale Thematik im Stück „Woyzeck“, abschließend Stellung zu der Frage, ob das Theater heute noch ein geeigneter Ort ist, um gesellschaftliche Fragestellungen zu thematisieren. Aufgabenstellung Zentralabitur - Deutsch Sachtext – untersuchend gA Themenkorridor 1 KB 3 – Epochenwandel und Epochenkontraste – Individuum und Gesellschaft 18./19. Jh. – unter besonderer Berücksichtigung de Dramen „Faust I“ von J.W.Goethe und „Woyzeck“ von G. Büchner Aufgabenart: Sachtext – untersuchend gA Georg Büchner An die Familie Straßburg, den 5. April 1833. 5 10 15 20 25 Heute erhielt ich Euren Brief mit den Erzählungen aus Frankfurt. Meine Meinung ist die: Wenn in unserer Zeit etwas helfen soll, so ist es Gewalt. Wir wissen, was wir von unseren Fürsten zu erwarten haben. Alles, was sie bewilligten, wurde ihnen durch die Notwendigkeit abgezwungen. Und selbst das Bewilligte wurde uns hingeworfen, wie eine erbettelte Gnade und ein elendes Kinderspielzeug, um dem ewigen Maulaffen Volk seine zu eng geschnürte Wickelschnur vergessen zu machen. Es ist eine blecherne Flinte und ein hölzerner Säbel, womit nur ein Deutscher die Abgeschmacktheit begehen konnte, Soldatchens zu spielen. Unsere Landstände sind eine Satire auf die gesunde Vernunft, wir können noch ein Säkulum1 damit herumziehen, und wenn wir die Resultate dann zusammennehmen, so hat das Volk die schönen Reden seiner Vertreter noch immer teurer bezahlt, als der römische Kaiser, der seinen Hofpoeten für zwei gebrochene Verse 20,000 Gulden geben ließ. Man wirft den jungen Leuten den Gebrauch der Gewalt vor. Sind wir denn aber nicht in einem ewigen Gewaltzustand? Weil wir im Kerker geboren und großgezogen sind, merken wir nicht mehr, daß wir im Loch stecken mit angeschmiedeten Händen und Füßen und einem Knebel im Munde. Was nennt ihr denn gesetzlichen Zustand? Ein Gesetz, das die große Masse der Staatsbürger zum fronenden Vieh macht, um die unnatürlichen Bedürfnisse einer unbedeutenden und verdorbenen Minderzahl zu befriedigen? Und dies Gesetz, unterstützt durch die rohe Militärgewalt und durch die dumme Pfiffigkeit seiner Agenten, dies Gesetz ist eine ewige, rohe Gewalt, angetan dem Recht und der gesunden Vernunft, und ich werde mit Mund und Hand dagegen kämpfen, wo ich kann. Wenn ich an dem, was geschehen, keinen Teil genommen und an dem, was vielleicht geschieht, keinen Teil nehmen werde, so geschieht es weder aus 1 lat. saeculum: Jahrhundert Zentralabitur - Deutsch 30 2 Sachtext – untersuchend gA Mißbilligung, noch aus Furcht, sondern nur weil ich im gegenwärtigen Zeitpunkt jede revolutionäre Bewegung als eine vergebliche Unternehmung betrachte und nicht die Verblendung Derer teile, welche in den Deutschen ein zum Kampf für sein Recht bereites Volk sehen. Diese tolle Meinung führte die Frankfurter Vorfälle herbei, und der Irrtum büßte sich schwer. Irren ist übrigens keine Sünde, und die deutsche Indifferenz ist wirklich von der Art, daß sie alle Berechnung zu Schanden macht. Ich bedaure die Unglücklichen von Herzen. Sollte keiner von meinen Freunden in die Sache verwickelt sein? […] (385 Wörter) Text Zentralabitur - Deutsch 3 Sachtext – untersuchend gA Textvorlage Georg Büchner: Werke und Briefe. Münchner Ausgabe. München: Carl Hanser Verlag 1988. Erlaubte Hilfsmittel: Rechtschreiblexikon Auswahl- und Lesezeit: 20 Minuten Arbeitszeit: 4 Zeitstunden Aufgabenstellung 1. Fassen Sie den Brief inhaltlich zusammen. 2. Untersuchen Sie, inwiefern sich die Ideen des Briefes im Drama „Woyzeck“ spiegeln. 3. Ordnen Sie den Text literaturgeschichtlich ein und beurteilen Sie die Aktualität der Ausführungen. Aufgabenstellung