Reportage
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Pestalozzi-Förderzentrum Eckernförde Schulart: Schulleitung: Adresse: Fon: Fax: E-Mail: Förderzentrum Holger Bohrman Reeperbahn 50 24340 Eckernförde 04351-71090 04351-710950 pestaeck@t-online.de Mit Musik, Tieren und Sport gegen die Last der Lebensprobleme Im Ganztagsangebot des Pestalozzi Förderzentrums Eckernförde steht die Förderung sozialer Kompetenzen obenan Eine Reportage von Esther Geißlinger hungshilfe, in der 46 Jugendliche gefördert werden. Zusätzlich betreut das Förderzentrum rund 130 Kinder, die in anderen Schulen integrativ unterrichtet werden. Der Einzugsbereich des Förderzentrums, das sich aus der 1922 gegründeten Eckernförder Hilfsschule, später Pestalozzischule, entwickelt hat, erstreckt sich über den gesamten Altkreis Eckernförde. Die Kinder, die hier unterrichtet werden, haben oft Lernschwierigkeiten, aber auch soziale und emotionale Störungen. Gut die Hälfte ist in Heimen untergebracht, viele haben Gewalt, Lieblosigkeit, Gleichgültigkeit erlebt. „Die Lebensprobleme binden fast alle ihre Energien“, heißt es im Schulprogramm. „Für das traditionelle Lernen bleibt oftmals keine Kraft mehr.“ Auch wenn die Kurse im Nachmittagsangebot „PC für Mädchen“, „Sport für Jungs“ oder „Englisch für alle“ heißen, geht es nicht in erster Linie um Vokabeln oder Judogriffe, sondern darum, „den Kindern zu zeigen, ihre Freizeit sinnvoll zu verbringen“, sagt Schulleiter Holger Bohrmann. So besuchen Gruppen die örtlichen, kostenlosen Angebote wie den Mädchentreff oder das Haus der Jugend. „Viele der Kinder haben keine Eltern, die sich um sie kümmern, sie bleiben sich selbst überlassen. Wir wollen ihnen zeigen, wie man den Nachmittag ohne Fernseher und Computerspiele gestalten kann.“ Kalle, Lola und Trotan sind die Stars auf dem Pausenhof: Die drei Hunde sind umringt von Kindern, die sie streicheln, an der Leine spazieren führen und mit Leckereien verwöhnen wollen. Einmal pro Woche kommt die Pädagogin Annine von Gerlach ins Pestalozzi Förderzentrum Eckernförde, und jedes Mal bringt sie andere Tiere mit: Kaninchen, Vögel, vielleicht sogar einen Esel. „Es soll den Kindern Spaß bringen, aber es geht auch um soziale Kompetenzen“, erklärt sie. Die Sozialpädagogin Birthe Utech, die am Förderzentrum für das Ganztagsangebot zuständig ist, bestätigt: „Das steht im Nachmittagsprogramm an erster Stelle.“ 106 Mädchen und Jungen lernen zurzeit an der Stammschule. Unter dem Dach des Förderzentrums befindet sich außerdem die Jordanschule, eine Einrichtung der Erzie- Miteinander umgehen, Konflikte vermeiden: „Etwa 80 Prozent unserer Arbeit sind geprägt vom emotionalen Hintergrund.“ Um die Kinder möglichst lange und umfassend betreuen zu können, hat die Schule im Jahr 2001 mit dem Ganztagsangebot begonnen - weit früher als viele andere in der Stadt. Gut die Hälfte der Kinder an der Stammschule besucht die Nachmittagskurse: „Eigentlich alle, die können“, sagt Bohrmann. Denn viele der Mädchen und Jungen, die in Heimen untergebracht sind, nehmen dort Nachmittagsangebote wahr, andere haben lange Fahrwege nach Hause. Ein Unterschied zu anderen Schulen ist, dass es sehr schwer fällt, Freiwillige für den Ganztagsunterricht zu gewinnen: 100 Vereine hat Bohrmann angeschrieben, nur wenige reagierten, darunter das Mädchenzentrum, mit dem heute noch eine Kooperation besteht. „Unsere Kinder sind für Vereine offenbar nicht so interessant“ , stellt Utech fest. So bieten die eigenen Lehr- und zusätzliche Honorarkräfte, viele von ihnen pädagogisch geschult, die Kurse an. Für die Kinder sind die Angebote kostenlos, bezahlt werden die Honorarkräfte aus den Fördermitteln des Landes und der Stadt. Regelmäßig treffen sich alle Beteiligten, sprechen über ihre Arbeit, über einzelne Kinder und deren Probleme. „Man muss die Kinder schon sehr genau kennen, um richtig mit ihnen umzugehen“, weiß Birthe Utech. Die Nachmittagsangebote am Förderzentrum stehen für andere Kinder offen: Beliebt ist unter anderem der Mofa-Unterricht, an dem neben den Stammschülern Jugendliche aus der Hauptschule und von der Schule für geistig Behinderte teilnehmen. Aber „dies ist nicht die Schulart, zu der man gern offen hingeht“, bedauert der Rektor: „Es ist auf jeden Fall die älteste Insel in Schleswig-Holstein, vielleicht die älteste in Deutschland“, sagt Birthe Utech. Eine Förderschule zu besuchen, sei immer noch ein Stigma. Rosa Wände, eine Kuschelecke mit bunten Kissen, Bücher, Puppen, Spiele, daneben ein mit Matten ausgelegter Toberaum: „Für die Kinder ist es immer eine Belohnung, hierher zu kommen.“ Alle Mädchen und Jungen der Unter- und Mittelklasse gehen regelmäßig auf die Insel, und wer wegen eines Streits oder einer Krise mehr Unterstützung braucht, darf ebenfalls im dem gemütlichen Raum eine Auszeit nehmen. Aber er hält es dennoch für richtig, dass – obwohl immer mehr Kinder integrative beschult werden – die Stammschule erhalten bleibt. „Es gibt einige, die hier besser gefördert werden können.“ Ein Beispiel sei die Schulband: „In der Hauptschule spielt von 50 Integrationskindern kein einziges in der Band mit. Hier haben wir eine eigene.“ Zu den festen Bestandteilen des Nachmittagsangebots zählen Hausaufgabenbetreuung und warmes Mittagessen. Da die Schule über zwei große Küchen verfügt, werden die Kinder in die Arbeit einbezogen: In der „Profiküche“, die mit Fördermitteln ausgebaut wurde, kochen Achtund Neunklässler mit. Die probt im Musikraum des Schulgebäudes unter Leitung des Musiklehrers Siegfried Lauren. Er steht am modernen Mischpult und gibt den Kindern ihren Einsatz. Rock, Pop, Coverversionen: Die Schulband feiert Erfolge bei ihren Auftritten, die Probestunden sind fester Bestandteil des Nachmittagsangebots. Das Förderzentrum ist in einem Haus untergebracht, das schon lange Schule war: Früher gab es hier ein Gymnasium und eine Wirtschaftsschule. Der Backsteinbau im Zentrum der Stadt ist innen mit freundlichen Farben gestaltet, gelb und grün in einem Teil, blau in einem anderen. Neben den Klassenräumen gibt es mehrere Zimmer, in denen Kinder sich ausruhen und von der lärmenden Umwelt zurückziehen können. Der wichtigste davon ist die Insel. Heute gibt es so einen Raum in fast jeder Schule, doch die Eckernförder haben dieses Konzept vor fast 25 Jahren entwickelt: Das mache Spaß, berichten Jasmin, Christina und Katharina, die an diesem Tag Küchendienst haben. Selbst bergeweise Kartoffeln schälen sei nicht langweilig: „Das geht doch ganz schnell.“ Für die Arbeit im Küchenteam müssen sich die Jugendlichen bewerben, meist gibt es mehr Interessenten als freie Plätze an den Töpfen. Die Schule sieht diesen Teil des Nachmittagsprogramms als Berufsförderung. Schulleiter Holger Bohrmann kann sich gut eine stärkere Kooperation mit anderen Schulen der Stadt vorstellen: „So könnten Gymnasiasten unseren Kindern vielleicht Kurse geben, Skaten etwa.“ Bisher sei es zu dieser Zusammenarbeit aber nicht gekommen. Als Referenzschule will das Pestalozzi Förderzentrum zeigen, dass Ganztagsangebote auch und gerade für Kinder dieser Schulen sinnvoll sind: „Wahrscheinlich sind wir zu besonders, als dass alle Schulen sich bei uns etwas abschauen können“, sagt Holger Bohrmann. „Aber andere Förderschulen sind herzlich eingeladen, sich bei uns umzuschauen.“ Fotos: Esther Geißlinger