17. Nds. Suchtkonferenz: Neue Drogenkonsummuster im

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17. Nds. Suchtkonferenz: Neue Drogenkonsummuster im
17. NIEDERSÄCHSISCHE SUCHTKONFERENZ
Berichte zur Suchtkrankenhilfe 10 . 2007
Diese Broschüre darf, wie alle Publikationen der Landesregierung nicht zur Wahlwerbung in Wahlkämpfen verwendet werden.
Neue
Drogenkonsummuster
im Jugendalter?
Herausgegeben vom
Niedersächsisches Ministerium
für Soziales, Frauen, Familie und Gesundheit
Hinrich-Wilhelm-Kopf-Platz 2
30159 Hannover
in Zusammenarbeit mit der
Landesvereinigung Gesundheit und
Akademie für Sozialmedizin Niedersachsen e.V.
Fenskeweg 2
30165 Hannover
Oktober 2007
Niedersächsisches Ministerium für Soziales, Frauen, Familie und Gesundheit
17. NIEDERSÄCHSISCHE SUCHTKONFERENZ
Berichte zur Suchtkrankenhilfe 10 . 2007
VORTRÄGE
Neue
Drogenkonsummuster
im Jugendalter?
Niedersächsisches Ministerium für Soziales, Frauen, Familie und Gesundheit
INHALT
VORWORT
SABINE BRÄGELMANN-TAN
Neue Drogenkonsummuster im Jugendalter?
04
Herausforderungen für zielgruppengenaue Prävention
und effektive Kooperation unterschiedlicher Hilfesysteme
VORTRÄGE
PROF. DR. MANFRED LAUCHT
Suchtprobleme im Jugendalter – Ergebnisse der Mannheimer
6
Risikokinderstudie
PROF. DR. DIETER HENKEL
Sucht und soziale Lage – Welche Risiken bestehen für welche
20
Gruppen von Kindern und Jugendlichen in Bezug auf Tabak,
Alkohol und Cannabis?
DR. BJÖRN HAGEN
Drogen in den Erziehungshilfen – Kinder und Jugendliche
30
erreichen
DORIS FREUDENSTEIN,
RAINER SCHUBERT
Alkoholkonsum in 10. Klassen in Braunschweig
38
VERZEICHNIS DER REFERENTEN
50
17. NIEDERSÄCHSISCHE SUCHTKONFERENZ | Berichte zur Suchtkrankenhilfe 2007
4
VORWORT
SABINE BRÄGELMANN-TAN
Landesdrogenbeauftragte
Neue Drogenkonsummuster im Jugendalter?
Herausforderungen für zielgruppengenaue Prävention
und effektive Kooperation unterschiedlicher Hilfesysteme
Seit Inkrafttreten des Kinder- und Ju-
Die XVII. Niedersächsische Suchtkon-
• auf der anderen Seite werden uns
gendhilfegesetzes (SGB VIII) wurde
ferenz zeigte anhand der in der Öffent-
zunehmende Trends von riskanter
zwar die rechtliche Situation von
lichkeit verstärkt diskutierten Alkohol-
werdenden Konsummustern bei
Kindern verbessert, aber die Schnitt-
problematik bei Kindern und Jugend-
Jugendlichen berichtet.
stellenprobleme zwischen den unter-
lichen (u.a. das so genannte „Flatrate“-
schiedlichen Sektoren der Kinder-
Trinken) auf, welche Vernetzungsauf-
Die Drogenaffinitätsstudien der Bun-
und Jugendpsychiatrie, Jugendhilfe,
gaben zwischen den unterschiedlichen
deszentrale für gesundheitliche Auf-
Suchthilfe und Schule nicht grund-
Fachdisziplinen in den Einrichtungen
klärung zeigen, dass es eine Vielzahl
legend behoben. Kommunikations-
der Kinder- und Jugendpsychiatrie, der
von Ursachen und Umständen gibt,
störungen und nicht ausreichende
Jugendhilfe, der Suchthilfe und dem
die den Substanzgebrauch bei Jugend-
Kooperation zwischen Institutionen
Schulbereich bestehen und welche
lichen initiieren, motivieren und auf-
und Handelnden sowie auch konkur-
erfolgreichen Beispiele Anregungs-
recht erhalten. Gleichzeitig existieren
rierende Einrichtungs- bzw. Trägerin-
charakter für eine verbesserte Versor-
aber auch Schutzmechanismen, die
teressen erschweren noch immer den
gungspraxis haben könnten. Dabei
verhindern, dass aus Probieren oder
Zugang der Betroffenen zu adäquaten
geht es nicht nur um effektive Be-
Experimentieren regelmäßiger Kon-
Hilfeangeboten.
handlung suchterkrankter Kinder und
sum wird oder die dazu führen, dass
Jugendlicher, sondern auch um die
kaum oder überhaupt nicht konsu-
Damit ist eine adäquate Versorgung
Prävention von Suchtverhalten und
miert wird.
von Kindern mit Suchtproblemen und
die Möglichkeiten, die Konsumkompe-
anderen psychischen Auffälligkeiten
tenz von Kindern und Jugendlichen
Die Zahlen und Daten verkünden so-
häufig nicht gegeben, insbesondere
positiv zu beeinflussen.
mit einerseits Erfolge;
Erfolge – die nicht zuletzt auch die Er-
auch weil unterschiedliche Kostenträger für die Finanzierung der Behand-
Wenn man sich die Entwicklungen im
folge präventiver Arbeit vieler Bera-
lung zuständig sind. Viele Kinder und
Konsum psychoaktiver Substanzen
tungsstellen, Schulen, Kliniken und
Jugendliche werden deshalb noch zu
insgesamt in Deutschland anschaut,
Jugendhilfeeinrichtungen sind. Diese
häufig zwischen den beteiligten Insti-
so zeigen sich zwei interessante und
präventive Arbeit, aber auch der ge-
tutionen der Kinder- und Jugend-
scheinbar widersprüchliche Muster:
lebte Alltag als Bürgerin und Bürger
dieser Gesellschaft berichten Dinge,
psychiatrie und Jugendhilfe hin- und
hergereicht, mit der Folge, dass sie
• auf der einen Seite sehen wir über
die die erhobenen Zahlen nicht bzw.
oftmals keine kontinuierliche Betreu-
die Jahre eher einen langsamen,
schwer zum Ausdruck bringen kön-
ung erleben oder phasenweise sogar
aber doch sichtbaren Rückgang
nen. Ich will ihnen einige Beispiele
gänzlich ohne sozialpädagogische
des Konsums, sowohl von Tabak
dafür nennen:
oder therapeutische Anbindung blei-
und Alkohol, als auch von illegalen
ben.
Drogen in der Bevölkerung
17. NIEDERSÄCHSISCHE SUCHTKONFERENZ | Berichte zur Suchtkrankenhilfe 2007
VORWORT
• der Pro-Kopf-Alkoholkonsum in der
In den Einrichtungen der Suchthilfe,
Eine Fokussierung der Veranstaltung
Bundesrepublik ging über die Jahre
der Jugendhilfe, in den Schulen aber
galt der aktuellen Datenlage zu Kon-
leicht zurück;
auch in der Kinder- und Jugendpsych-
sumtrends und dem Thema, welche
aber: die Krankenhäuser berichten
iatrie ist der Missbrauch von Drogen
sozialen Wirklichkeiten Kinder und
von einer deutlichen Zunahme der
und Suchtmitteln – und leider auch
Jugendliche in den Missbrauch und in
stationären Aufnahme von schwer –
die Abhängigkeit – in den unter-
die Abhängigkeit führen.
insbesondere mit Alkohol – intoxi-
schiedlichsten Facetten ein wichtiges
Ein weiteres Thema war, welche Fak-
kierten Jugendlichen und im laufen-
Thema.
toren verhindern, dass Kinder abhängig werden, und wie kann man diese
den Jahr verging kaum ein Monat, in
präventiv nutzen.
dem nicht auch in unserer hiesigen
Wir haben uns als Land gerade in ei-
Presse auf das so genannte „Flatrate-
nem interministeriellen Arbeitskreis
Trinken“ oder „Binge-Drinking“ bei
mit der Suchtprävention und den viel-
Nach wie vor besteht ein enormer Be-
Jugendlichen hingewiesen wurde;
fältigen Aktivitäten in Niedersachsen
darf, über Möglichkeiten einer hand-
• der Tabakkonsum geht insgesamt zu-
im Rahmen der Bearbeitung einer
lungsfähigen Kooperation von Jugend-
Landtagsentschließung befasst.
hilfe und Suchthilfe – insbesondere in
rück und die Zahl der Nichtrauchen-
der Prävention – zu diskutieren und
den steigt;
aber: das Einstiegsalter ist nach wie
Wir konnten einerseits sehen, dass in
sich über die alltäglichen Erfahrungen,
vor sehr niedrig und insbesondere
vielen Bereichen in unserem Land
die vielfältigen Hindernisse aber auch
bei jungen Mädchen gehört das
kontinuierlich und gut zum Thema
die enormen Chancen einer solchen
Rauchen zum positiven Image;
Suchtprävention und Suchtbehand-
Zusammenarbeit auszutauschen.
• der überwiegende Teil der Cannabis-
lung gearbeitet wird.
konsumierenden bleibt beim Pro-
Im Rahmen der Fachtagung konnten
Obwohl – und gerade weil – verein-
bieren und wächst mit Verantwor-
wir deshalb höchstens beispielhaft
zelt gute Kooperationen und funktio-
tungsübernahmen aus diesem Ver-
aus der Fülle der positiven Möglich-
nierende Kooperationsstrukturen be-
halten heraus;
keiten hierzu Arbeiten vorstellen.
stehen, benötigen wir diesen alten
und neuen fachlichen Austausch im
aber: die Zahl der Cannabiskonsumierenden, die Behandlung nach-
Andererseits wissen wir aber auch,
heutigen Thema, um die Herausfor-
fragen, hat sich in den letzten Jahren
dass gerade die Vernetzung zwischen
derung einer zielgruppengenauen
deutlich erhöht und die Kinder- und
den einzelnen Fachdisziplinen erheb-
Suchtprävention und Suchtbehand-
Jugendpsychiatrien und Einrichtun-
liche Probleme im Alltag bereitet –
lung durch eine effektive Kooperation
gen der Jugendhilfe und Suchthilfe
und dieses trotz gutem Willen zur Ko-
unterschiedlicher Hilfesysteme anzu-
berichten über zunehmend jüngere
operation.
nehmen.
Die XVII. Niedersächsische Suchtkon-
Allen Mitwirkenden und Teilnehmen-
ferenz sollte ein Forum der Informati-
den gilt mein besonderer Dank, weil
Als Ärztin finde ich besonders be-
on und Kommunikation schaffen, wo
sie dazu beigetragen haben, vorhan-
denklich, dass aus der medizinischen
zum Thema „Neue Drogenkonsum-
dene Defizite kritisch unter die Lupe
Fachwelt zunehmend über gleichzeiti-
muster im Jugendalter?“ die Schnitt-
zu nehmen, neue Handlungsperspek-
ge, ggf. sogar durch Cannabis ausge-
stelle Jugendhilfe und Suchthilfe
tiven aufzuzeigen und notwendige
löste psychiatrische Erkrankungen be-
durch Fachvorträge, Diskussion und
Kooperationen anzubahnen.
richtet wird.
Gespräche beleuchtet wird.
Konsumierende und auffällige Konsummuster.
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6
VORTRÄGE
PROF. DR. MANFRED LAUCHT
Suchtprobleme im Jugendalter
Ergebnisse der Mannheimer Risikokinderstudie
Jugendalter – kritische Altersperiode für die Entwicklung des Substanzkonsums
Das Experimentieren mit legalen Dro-
jedoch eher zu Exzessen (Colder et
Einstiegsdrogen für den Gebrauch ille-
gen ist unter den Jugendlichen westli-
al., 2002). Monatliche Episoden von
galer Suchtmittel gelten (Kandel & Ya-
cher Industrieländer weit verbreitet
Rauschtrinken, d.h. der Konsum von
maguchi, 1993).
(Johnston et al., 2003; Kraus et al.,
mindestens 5 (beim weiblichen Ge-
2004; Richter & Settertobulte, 2003).
schlecht 4) Standardgetränken bei
Aktuelle epidemiologische Daten zum
In aktuellen Erhebungen berichten
einer Gelegenheit, werden von fast
Tabakkonsum in Deutschland lassen
zwei Drittel der 18-jährigen Deut-
der Hälfte aller 16- bis 19-Jährigen be-
bei den jüngeren Altersgruppen eine
schen jemals geraucht zu haben und
richtet (BZgA, 2004a). Im letzten Jahr-
Trendwende erkennen (BZgA, 2004b;
mehr als 90% geben an, Alkohol ge-
zehnt nahmen in fast allen westlichen
2005; 2007a; Kraus et al., 2004; Set-
trunken zu haben. Im Verlauf des
Ländern die Prävalenzraten für den
tertobulte et al., 2001). Nach einer
Jugendalters steigt die Rate der regel-
Substanzkonsum
zu
drastischen Zunahme der Zahl jugend-
mäßig Konsumierenden von 1–2% bei
oder stagnierten auf hohem Niveau.
licher Konsumierenden in den 90er
den 12- bis 13-Jährigen auf 20–30%
Gleichzeitig zeigte sich ein Trend zu
Jahren des letzten Jahrhunderts zeigen
unter den 18- bis 19-Jährigen an
immer exzessiverem Konsum (Rausch-
jüngste Erhebungen einen Abfall der
(BZgA, 2004a; 2004b). Am Ende des
trinken, hoher Tagesverbrauch). Damit
Raucherquote. Seit dem Höchststand
Jugendalters erfüllen fast 20% die
einher ging eine Senkung des Ein-
im Jahr 2001 sank die Raucherrate
Kriterien einer Tabakabhängigkeit und
stiegsalters. Diese Entwicklung ist aus
der 12- bis 17-Jährigen kontinuierlich
17% der männlichen und 6% der
gesundheitspolitischer Perspektive in
von 28% über 23% in den Jahren
weiblichen Jugendlichen die Kriterien
doppelter Hinsicht bedenklich. Zum
2003/4 bis auf 18% in der jüngsten
von Alkoholmissbrauch oder -abhän-
einen, weil ein früher Beginn des
Erhebung im Jahr 2007. Diese Trend-
gigkeit (Nelson & Wittchen, 1998a;
Konsums das Risiko für eine spätere
umkehr war in gleicher Weise bei
1998b). Im Vergleich zu Erwachsenen
Abhängigkeit deutlich erhöht (Grant &
Jungen und Mädchen zu beobachten.
trinken
durch-
Dawson, 1997; Jackson, 1998), zum
Momentan rauchen ca. 17,8% der
schnittlich weniger Alkohol, neigen
anderen weil Tabak und Alkohol als
männlichen und 17,5% der weiblichen
Jugendliche
zwar
17. NIEDERSÄCHSISCHE SUCHTKONFERENZ | Berichte zur Suchtkrankenhilfe 2007
Jugendlicher
VORTRÄGE
ABB. 1: PROBLEME DURCH ALKOHOLKONSUM
Ergebnisse einer Befragung an US-amerikanischen Schülerinnen und Schülern (Johnston et al. 1998)
Verhalten, das man bereut
52
nicht mehr klar denken können
30
riskantes Autofahren
19
Probleme mit Freund/in
19
Probleme mit Eltern
16
Energieverlust
13
Probleme mit Freunden
12
emotionale Labilität
11
Probleme mit Polizei
9
schlechte Schulleistungen
9
Interessenverlust
9
gesundheitliche Probleme
Probleme mit Lehrern
6
4
Angaben von Schülerinnen und Schülern der 12. Klassen, die bei wenigstens 10 Gelegenheiten Alkohol konsumiert hatten (in %)
Jugendlichen. Im gleichen Zeitraum
(mit 14,0) beginnen. Besorgniserre-
15- bis 16-Jährigen gaben an, in den
verminderte sich das Einstiegsalter ab
gend ist dabei die Zunahme sowohl
letzten 30 Tagen mindestens einmal
dem Jahr 1993 kontinuierlich und
der Häufigkeit als auch der Menge
betrunken gewesen zu sein, bei 11%
liegt seit 2001 geschlechtsunabhängig
konsumierter alkoholischer Getränke:
der Jugendlichen kam dies häufiger
bei etwa 13 Jahren: Zwei Drittel aller
Von 2001 bis 2004 stieg die wöchent-
als zwei Mal vor (Kraus et al., 2004).
14- bis 15-Jährigen berichten über er-
liche Trinkmenge reinen Alkohols bei
Diese Entwicklung hat sich – nach ei-
ste Konsumerfahrungen (die jüngsten
den 12- bis 19-Jährigen um fast die
nem kurzzeitigen Rückgang im Jahr
davon mit 7 Jahren). Ein Sechstel die-
Hälfte an (BZgA, 2004a). Der Anteil
2005 – in den aktuellen Erhebungen
ser Altersgruppe raucht regelmäßig
13- bis 15-Jähriger mit wöchentlichem
fortgesetzt (BZgA, 2007b).
und ca. 7% sind nach DSM-IV Kriterien
Alkoholkonsum erhöhte sich von
(Diagnostic and Statistical Manual of
1993 bis 2002 um zwei Drittel (Hurrel-
Mental Disorders) als nikotinabhängig
mann et al., 2003). Die Rate der Ju-
zu beurteilen (Nelson & Wittchen,
gendlichen mit mehrmaligen Rausch-
1998b).
erfahrungen stieg europaweit in den
90er Jahren deutlich an (Settertobulte
Auf eine weniger günstige Entwick-
et al., 2001). Auch in Deutschland
lung deuten die aktuellen epidemio-
wurde von 1997 bis 2004 mit einer
logischen Daten zum Alkoholkonsum
Zunahme von 13 auf 21% fast eine
bei Jugendlichen hin. Das Erstkonsum-
Verdoppelung des Anteils junger Men-
alter eines ganzen Glases Alkohol
schen mit mehr als sechs Alkohol-
liegt heute zwischen 12 und 15 Jah-
räuschen beobachtet (BZgA, 2004a).
ren, wobei weibliche Jugendliche mit
40% der im Rahmen der „Europäi-
durchschnittlich 14,2 Jahren nur mini-
schen Schülerstudie zu Alkohol und
mal später als männliche Jugendliche
anderen Drogen“ (ESPAD) befragten
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8
VORTRÄGE
ABB. 2: ALKOHOL UND STRAßENVERKEHR: FAHREN UNTER ALKOHOLEINFLUSS BEI JUGENDLICHEN
(% IM LETZTEN MONAT)
(Centers for Disease Control and Prevention, 2004)
als Fahrer
als Mitfahrer
50
50
40
40
31,0
30,2
30
30
25,6
19,5
20
26,4
weiblich
30,7 30,3
32,6
männlich
34,0
27,6
20
13,6
11,3
10
7,2
5,1
11,1
10
6,9
0
Alter
0
16
17
18
19
Alter
16
17
18
19
Folgen des Substanzkonsums im Jugendalter
Der übermäßige Konsum von Sucht-
führt wurden ferner zahlreiche soziale
Erwachsener das Aktivrauchen als To-
mitteln ist auch bei jungen Menschen
Beeinträchtigungen (z.B. Probleme
desursache unangefochten die Spit-
mit vielfältigen Gesundheitsrisiken
mit den Eltern), psychische Folgeer-
zenposition einnimmt, stehen bei Ju-
verknüpft (Perkins, 2002). Dabei sind
scheinungen (emotionale Labilität)
gendlichen und jungen Erwachsenen
den Jugendlichen die negativen Kon-
und gesundheitliche Komplikationen.
Verkehrsunfälle an erster Stelle. Weni-
sequenzen des Missbrauchs durchaus
Neben den Auswirkungen in verschie-
ger bekannt ist dabei, dass 30 – 40%
bewusst. In Abbildung 1 ist das Ergeb-
denen Lebensbereichen unterschie-
dieser Unfälle alkoholbedingt sind
nis einer in den USA durchgeführten
den die Jugendlichen zwischen aku-
(Jernigan, 2001). Fahren unter Alkohol-
Befragung zu Problemen im Zusam-
ten Konsequenzen („Verhalten, das
einfluss – mit den bekannten Beein-
menhang mit dem Konsum von Alko-
man bereut“) und solchen, die sich
trächtigungen der Fahrtüchtigkeit – ist
hol unter Schülerinnen und Schülern
langfristig manifestieren („Interessen-
bei jungen Menschen weit verbreitet.
der 12. Klassen dargestellt (Johnston
verlust“).
Einer Untersuchung in den USA (mit
Fahrerlaubnis schon ab 16 Jahren) zu-
et al., 1998). An erster Stelle nannten
die Jugendlichen riskantes oder pein-
Zu den in der Öffentlichkeit mit gro-
folge gaben ca. ein Viertel der befrag-
liches Verhalten (z.B. im Straßenver-
ßer Aufmerksamkeit registrierten ge-
ten 19-Jährigen an, im letzten Monat
kehr oder in der Sexualität) sowie kog-
sundheitlichen Konsequenzen des
alkoholisiert Auto gefahren zu sein
nitive
(„nicht
Substanzkonsums zählen Todesfolgen.
und etwa ein Drittel berichtete, bei ei-
mehr klar denken können“). Aufge-
Während in den Mortalitätsstatistiken
nem alkoholisierten Fahrer mitgefah-
Beeinträchtigungen
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VORTRÄGE
ren zu sein (s. Abbildung 2, Centers
konsumierenden. Zusätzlicher Konsum
menhang mit einer Vielzahl weiterer
for Disease Control and Prevention,
illegaler Drogen war mit einer weiteren
Beeinträchtigungen der sozial-emo-
2004). Die Folgen dieser Praxis schla-
Erhöhung der Suizidalität verknüpft.
tionalen Entwicklung, die als Scheitern
gen sich nachdrücklich in den Unfall-
In einer Untersuchung von Windle
in der Bewältigung jugendtypischer
statistiken nieder. In Deutschland
(2004) lag die Suizidversuchsrate bei
Entwicklungsaufgaben umschrieben
wies jeder 5. verunglückte Autofah-
weiblichen Jugendlichen mit starkem
und hier nur kurz erwähnt werden
rende zwischen 18 und 21 Jahren eine
Alkoholkonsum 3–4 mal höher als in
können. Dazu zählen schulische Miss-
erhöhte Blutalkoholkonzentration auf
der Vergleichsgruppe ohne Alkohol-
erfolge, instabile Ausbildungs-/Be-
(Statistisches Bundesamt, 2002). Das
konsum. Auch gewalttätiges und de-
schäftigungsverhältnisse, gescheiterte
Risiko eines tödlichen Unfalls unter
linquentes Verhalten steht bei Jugend-
Partnerbeziehungen, Gewalttätigkeit
Alkoholeinfluss war bei jüngeren Fah-
lichen in enger Verbindung mit dem
in der Beziehung, Teenage Schwanger-
rern (< 20 Jahre) mehr als doppelt so
Substanzkonsum. Dabei gilt die Regel,
schaft und „falsche“ Freunde.
hoch wie bei älteren (> 20 Jahre).
je exzessiver der Konsum desto stär-
Bemerkenswert ist dabei der Ge-
ker die Verwicklung in derartige Ver-
schlechtsunterschied: Nur 6% der
haltensmuster. Einer Studie des Natio-
jungen „Todesfahrer“ waren weibli-
nal Survey on Drug Use and Health
chen Geschlechts. Als typischer tödli-
(2005) zufolge fielen Jugendliche mit
cher Autounfall unter Jugendlichen
exzessivem Alkoholkonsum 2–4 mal
und jungen Erwachsenen gilt der
häufiger durch aggressives und delin-
„Disco-Unfall“, definiert als „schwerer
quentes Verhalten auf als ihre Alters-
‚Alleinunfall' durch Kontrollverlust, der
genossen mit „normalem“ Konsum.
sich auf einer Freizeitfahrt mit Freunden unter Alkoholeinfluss bei hoher
Nicht zuletzt geht Alkohol- und Dro-
Geschwindigkeit am Wochenende in
genkonsum bei Jugendlichen mit ris-
der Nacht ereignet“ (Limbourg et al.,
kantem Sexualverhalten einher. In ei-
2001). Weitere Kennzeichen des Disco-
ner in Großbritannien durchgeführten
Unfalls, die das Unfallrisiko zusätzlich
Studie berichtete 1/7 der befragten
erhöhen, sind die mangelnde Erfah-
16- bis 24-Jährigen von ungeschütz-
rung der Fahrzeugführenden, die Ab-
tem Geschlechtsverkehr nach dem
lenkung durch Mitfahrende sowie Im-
Konsum von Alkohol (Health Educati-
poniergehabe.
on Authority, 1997). Jede/r 10. konnte
sich nach dem Konsum von Alkohol
Übermäßiger Substanzkonsum ist bei
nicht mehr daran erinnern, ob er/sie
Jugendlichen mit einer erhöhten Sui-
in der Nacht davor Sex hatte. 40% der
zidalität assoziiert. In den letzten 30
befragten 13- bis 14-Jährigen gaben
Jahren hat der Tod durch Suizid unter
an, beim Geschlechtsverkehr “bekifft”
jungen Menschen deutlich zugenom-
oder betrunken gewesen zu sein
men und liegt inzwischen an dritter
(Wight et al., 2000). Auch vermehrte
Stelle in der Mortalitätsstatistik. Drei
sexuelle Übergriffe, insbesondere ein
mal so viele jugendliche Alkoholkon-
erhöhtes Vergewaltigungsrisiko, gelten
sumierende berichteten in einer Studie
als typische substanzbedingte Folgen
des National Household Survey on
im Zusammenhang mit Sexualität.
Drug Abuse (2002) von Suizidgedanken oder -handlungen während des
Exzessiver Substanzkonsum im Jugend-
letzten Jahres im Vergleich zu Nicht-
alter steht darüber hinaus im Zusam-
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10
VORTRÄGE
Erhöhte Anfälligkeit für Substanzwirkungen im Jugendalter
In jüngster Zeit wird intensiv disku-
massive Veränderungen in der Struk-
chen Ratten ausgeprägtere Schädi-
tiert, ob Jugendliche eine erhöhte bio-
tur und Funktion des ZNS vollziehen,
gungen im Bereich des Frontalhirns
logisch (und/oder psychologisch) be-
die mit einer erhöhten Anfälligkeit des
und stärkere Beeinträchtigungen des
dingte Anfälligkeit für die Wirkung
Gehirns durch externale Einflüsse ein-
Arbeitsgedächtnisses auf als bei er-
psychoaktiver Substanzen aufweisen.
hergehen. Zu den Gehirnarealen, die
wachsenen Tieren (Crews et al., 2000;
Für eine besondere Gefährdung Ju-
besonders ausgeprägte Veränderun-
White et al., 2000).
gendlicher sprechen Befunde, wonach
gen erfahren, zählen der präfrontale
der frühzeitige Beginn des Substanz-
Kortex, die mesolimbischen Regionen
Die Ergebnisse der tierexperimentel-
konsums einen der besten Prädikto-
des Frontalhirns und die dopaminerge
len Forschung stehen im Einklang mit
ren späterer substanzbezogener Pro-
Aktivierung dieser Regionen (Spear,
Befunden im Humanbereich. Im Ver-
bleme darstellt. Zahlreiche US-ameri-
2002). Berücksichtigt man die wichtige
gleich zu Erwachsenen sind bei Jugend-
kanische Studien haben einen engen
Rolle dieser Areale bei der Modulation
lichen Perioden exzessiven Trinkens
Zusammenhang zwischen dem Ein-
der belohnenden Wirkung psychoakti-
(„Rauschtrinken“) weiter verbreitet
stiegsalter des Tabak- und Alkohol-
ver Substanzen, lässt sich postulieren,
und der Übergang zu einer Alkoholab-
konsums und dem Auftreten einer
dass Eigenschaften des adoleszenten
hängigkeit erfolgt außergewöhnlich
Substanzabhängigkeit
Mit
Gehirns Jugendliche besonders anfällig
schnell (Clark et al., 1998). Trotz der
dem früheren Erstkonsum nahm das
machen können für die abhängig ma-
sehr viel kürzeren Dauer des Alkohol-
Risiko einer späteren Suchterkrankung
chende Wirkung von Drogen (Cham-
konsums bei Jugendlichen ist die
und körperlicher Folgeschädigungen
bers et al., 2003).
Rückfallquote bei jugendlichen und
belegt.
erwachsenen Trinkern ungefähr gleich
drastisch zu. In einer Untersuchung des
National Longitudinal Alcohol Epide-
Zahlreiche tierexperimentelle Unter-
hoch (Brown, 1993). In neueren Stu-
miology Survey an 27.000 Erwachse-
suchungen zeigen, dass sich sowohl
dien zeigten sich bei jugendlichen
nen ermittelten Grant & Dawson
akute als auch chronische Effekte des
Trinkern verschiedene kognitive Beein-
(1997), dass 40% derjenigen, die Al-
Substanzkonsums bei jugendlichen
trächtigungen in den Bereichen Lernen
kohol erstmals vor dem 14. Lebens-
und erwachsenen Tieren bedeutsam
und Gedächtnis sowie Aufmerksam-
jahr konsumiert hatten, alkoholab-
unterscheiden (Adriani et al., 2004;
keit und Visuomotorik (Brown et al.,
hängig wurden. Das Lebenszeitrisiko
Smith, 2003). Bereits eine kurzzeitige
2000; Tapert et al., 2002). So erinner-
einer Alkoholerkrankung lag damit in
Exposition mit Nikotin führte bei ado-
ten alkoholabhängige Jugendliche
dieser Gruppe viermal höher als bei
leszenten Ratten zu einer dauerhaften
Wörter und einfache geometrische Fi-
Personen mit einem ersten Alkohol-
Veränderung cholinerger Systeme in
guren nach einem 10-minütigem Inter-
konsum nach dem 20. Lebensjahr. Mit
Gehirnregionen, die im Zusammen-
vall signifikant schlechter als gesunde.
jedem Jahr, um das der Erstkonsum
hang mit der Entwicklung einer Tabak-
Die Reproduktionsleistung fiel umso
verzögert wurde, verminderte sich das
abhängigkeit stehen (Abreu-Villaca et
schlechter aus, je stärker der Miss-
Abhängigkeitsrisiko um 14% (s. Abbil-
al., 2003). Entwicklungsbedingt unter-
brauch war und je mehr Entzugssym-
dung 3).
schiedliche Reaktionen fanden sich
ptome auftraten. Wie die Autoren in
auch bei der Exposition mit Alkohol:
einer Follow-up Untersuchung 8 Jahre
Belege für einen schädlichen Effekt ei-
Adoleszente Ratten waren zum einen
später belegen konnten, blieben die
ner frühzeitigen Alkohol- oder Tabak-
empfänglicher gegenüber der beloh-
kognitiven Defizite keine temporäre
exposition auf das unreife Zentrale
nenden Wirkung des Alkohols als älte-
Erscheinung sondern bestanden bis
Nervensystem (ZNS) mit langfristigen
re Tiere, zum anderen reagierten sie
ins Erwachsenenalter fort. Beeinträch-
Folgen liefert die aktuelle neurobiolo-
weniger empfindlich auf dessen nega-
tigungen der Gedächtnisfunktion bei
gische Forschung. Nach deren Erkennt-
tive Effekte (Slawecki et al., 2001).
jugendlicher Alkoholabhängigkeit lie-
nissen ist das Jugendalter als Entwick-
Nach einer länger dauernden Exposi-
ßen sich auch mit Hilfe von Methoden
lungsperiode anzusehen, in der sich
tion mit Alkohol traten bei jugendli-
funktioneller Bildgebung nachweisen.
17. NIEDERSÄCHSISCHE SUCHTKONFERENZ | Berichte zur Suchtkrankenhilfe 2007
VORTRÄGE
ABB. 3: ALTER DES ERSTKONSUMS ALS PRÄDIKATOR EINER SPÄTEREN ALKOHOLABHÄNGIGKEIT
(nach Grant & Dawson 1997)
Lebenszeitprävalenz (%)
männlich
weiblich
60
50
40
30
20
10
0
_ 12
<
13
14
15
16
17
18
19
20
21
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24 >
_ 25
Alter beim ersten Alkoholkonsum (Jahre)
TABELLE 1: ERFASSUNG ERSTER ZEICHEN VON NIKOTINABHÄNGIGKEIT MIT DER
„HOOKED ON NICOTINE CHECKLIST“
(DiFranza et al., 2000)
1.
Have you ever tried to quit, but couldn’t?
2.
Do you smoke now because it is really hard to quit?
3.
Have you ever felt like you were addicted to tobacco?
4.
Do you ever have strong cravings to smoke?
5.
Have you ever felt like you really needed a cigarette?
6.
Is it hard to keep from smoking in places where you are not supposed to, like school?
When you tried to stop smoking (or, when you haven’t used tobacco for a while . . .)
7.
did you find it hard to concentrate because you couldn’t smoke?
8.
did you feel more irritable because you couldn’t smoke?
9.
did you feel a strong need or urge to smoke?
10. did you feel nervous, restless or anxious because you couldn’t smoke?
11. did you feel sad, blue, or depressed because you couldn’t smoke?
17. NIEDERSÄCHSISCHE SUCHTKONFERENZ | Berichte zur Suchtkrankenhilfe 2007
11
12
VORTRÄGE
TABELLE 2: KENNWERTE DES TABAK- UND ALKOHOLKONSUMS
DER 15-JÄHRIGEN DER MANNHEIMER RISIKOKINDERSTUDIE
N = 337 (m: 151, w: 176); Alter 15,0 (SD: 0,4; Range: 14,0–16,4)
Gesamt
Jungen
Mädchen
Lebenszeitprävalenz (%)
46,3
44,1
48,3
30-Tage-Prävalenz (%)
29,4
25,5
33,0
Tägliches Rauchen (%)
16,6
13,7
19,3
Erstkonsumalter (M, SD)
12,5 (1,7)
12,6 (1,6)
12,5 (1,7)
Lebenszeitprävalenz (%)
73,3
72,7
73,9
30-Tage-Prävalenz (%)
57,0
60,9
53,4
Wochenprävalenz (%)
14,2
17,4
11,4
Jemals Betrunken (%)
40,4
43,5
37,5
Jemals Rauschtrinken (%)
21,4
20,5
22,2
Erstkonsumalter (M, SD)
13,2 (1,0)
13,3 (1,1)
13,1 (1,0)
Tabakkonsum
Alkoholkonsum
So zeigten alkoholabhängige junge
von DiFranza et al. (2002) zufolge
berichteten, die schon frühzeitig auf-
Frauen in einer Studie von Tapert et
weisen einige jugendliche Rauchende
getreten waren (bei einem Fünftel der
al. (2001) bei der Bewältigung einer
bereits nach einer kurzen Raucherkar-
Anfänger bereits innerhalb eines Mo-
Gedächtnisaufgabe, die das räumliche
riere (manchmal schon nach wenigen
nats nach Rauchbeginn) und dies
Arbeitsgedächtnis beansprucht, eine
Tagen gelegentlichen Konsums) Symp-
auch dann, wenn die Jugendlichen
geringere Aktivierung verschiedener
tome einer Tabakabhängigkeit auf. Die
nicht regelmäßig geraucht hatten.
Hirnareale, insbesondere rechtsseitig
Autoren untersuchten den Einstieg in
Nach DiFranza et al. können diese
im fronto-parietalen Bereich. Zwar ist
den Tabakkonsum an einer Stichpro-
Befunde als Beleg dafür angesehen
bislang noch nicht hinreichend ge-
be von über 700 Jugendlichen im Al-
werden, dass Jugendliche besonders
klärt, auf welche Weise Alkohol das
ter von 12 bis 13 Jahren und begleite-
anfällig sind für die abhängig ma-
ZNS Jugendlicher schädigt, man ver-
ten die Jugendlichen in ihrer Entwick-
chende Wirkung von Nikotin.
mutet jedoch, dass der Hippocampus-
lung über den Zeitraum eines Jahres.
region und dem Arbeitsgedächtnis
Dabei befragten sie diejenigen, die
dabei eine wichtige Rolle zukommt.
mit dem Rauchen begonnen hatten,
ausführlich nach ersten Zeichen einer
Eine besondere Verletzlichkeit des Ju-
Abhängigkeit (s. Tabelle 1). Es zeigte
gendalters offenbart sich auch im Be-
sich, dass die Rauchnovizen über ver-
zug auf den Tabakkonsum. Studien
schiedene Abhängigkeitssymptome
17. NIEDERSÄCHSISCHE SUCHTKONFERENZ | Berichte zur Suchtkrankenhilfe 2007
VORTRÄGE
Mannheimer
Risikokinderstudie
Epidemiologie
des Substanzkonsums
im Jugendalter
Tage-Prävalenz 57,0%. Etwa ein Achtel
der Jugendlichen gab an, wöchentlich
Alkohol zu konsumieren. 40% waren
schon mal betrunken gewesen und
Vor 20 Jahren hat eine Forschergruppe am Mannheimer Zentralinstitut für
Die Untersuchung der 15-Jährigen der
ca. ein Fünftel berichteten von episo-
Seelische Gesundheit damit begon-
Mannheimer Risikokinderstudie er-
dischem Rauschtrinken. Das Erstkon-
nen, sich intensiver mit Kindern zu
brachte epidemiologische Daten über
sumalter für ein ganzes Getränk lag
beschäftigen, die in ihrer Entwicklung
eine Reihe von Merkmalen des frühen
bei 13,2 Jahren. Durchschnittlich kon-
durch frühe Belastungen wie eine
Tabak- und Alkoholkonsums (s. Tabel-
sumierten die 15-Jährigen 2,2 mal im
komplikationsreiche Geburt oder die
le 2). Knapp die Hälfte der Jugendli-
Monat Alkohol. Die männlichen Ju-
psychische Erkrankung von Mutter
chen berichtete, schon einmal eine
gendlichen tranken signifikant häufi-
oder Vater gefährdet sind (sogenann-
Zigarette probiert zu haben, 30% wa-
ger als die weiblichen Signifikanten.
te Risikokinder). Im Rahmen einer
ren aktuelle Tabakkonsumierende und
Geschlechtsunterschiede
prospektiven Längsschnittstudie zur
etwa ein Sechstel gehörte der Gruppe
sich auch beim Vergleich der durch-
langfristigen Entwicklung von Risiko-
der täglich Rauchenden an. Signifikan-
schnittlichen bzw. maximalen Trink-
kindern (Mannheimer Risikokinder-
te Unterschiede zwischen Jungen und
mengen (Hinckers et al., 2006). Ähn-
studie) wird einer Vielzahl von Frage-
Mädchen bestanden nicht, allerdings
lich wie beim Tabakkonsum bestand
stellungen nachgegangen, wie z.B.:
fanden sich unter den Mädchen ten-
in den wesentlichen Häufigkeits- und
Welche Kinder sind besonders gefähr-
denziell vermehrt aktuelle und tägliche
Mengenangaben Übereinstimmung
det? Wie und wann manifestieren sich
Konsumenten. Wer täglich rauchte,
mit aktuellen repräsentativen Erhe-
psychische Störungen? Wie dauerhaft
konsumierte durchschnittlich 10,5 Zi-
bungen zum Alkoholkonsum Jugend-
sind solche Störungen und welche
garetten, die Jungen (11,6) etwas
licher (Kraus et al., 2004).
Folgen haben sie? Zur Untersuchung
mehr als die Mädchen (9,9). Mit ca.
dieser Fragen begleitet die Mannhei-
12,5 Jahren probierten die 15-jähri-
mer Risikokinderstudie eine Kohorte
gen Rauchenden durchschnittlich zum
von 384 Kindern (199 Mädchen und
ersten Mal eine Zigarette, ein knappes
185 Jungen der Geburtsjahrgänge
halbes Jahr später folgte der erstmalige
1986–88) in ihrer psychischen Ent-
Konsum einer ganzen Zigarette und
wicklung seit der Geburt. Dazu wur-
wer zum täglich Rauchenden wurde,
den in regelmäßigen Abständen Erhe-
tat dies im Schnitt ein gutes Jahr nach
bungen durchgeführt, beginnend im
dem ersten Zigarettenzug. Wie bei
frühen Säuglingsalter über alle wichti-
den Prävalenzzahlen ergaben sich
gen Stadien der Entwicklung hinweg
keine signifikanten Geschlechtsunter-
bis zuletzt im Alter von 19 Jahren. Die
schiede bezüglich des Rauchbeginns
Stichprobe der Studie ist so zusam-
(Hohm et al., 2007). Damit stehen die
mengestellt, dass sie mit Risiken an-
für die untersuchte Stichprobe ermit-
gereichert ist: zum einen durch Kinder
telten Tabakkonsumdaten im Einklang
mit organischen Risiken (prä- und
mit den Ergebnissen vergleichbarer
perinatale Komplikationen), zum an-
Surveys (z.B. BZgA, 2004b). Im Ver-
deren durch Kinder mit psychosozia-
gleich zu den BZgA-Daten begannen
len Belastungen (ungünstige familiäre
die Jugendlichen unserer Risikostich-
Lebensverhältnisse). Nähere Angaben
probe früher mit dem Rauchen und
zur Stichprobenauswahl und zum De-
wiesen eine höhere Zahl starker Rau-
sign können verschiedenen Veröffent-
chender (> 20 Zigaretten/Tag) auf.
lichungen, u.a. Laucht et al. (2000),
Beim Alkoholkonsum betrug die Le-
entnommen werden.
benszeitprävalenz 73,3% und die 30-
ergaben
17. NIEDERSÄCHSISCHE SUCHTKONFERENZ | Berichte zur Suchtkrankenhilfe 2007
13
14
VORTRÄGE
ABB. 4: RAUCHVERHALTEN 15-JÄHRIGER IN ABHÄNGIGKEIT VON ADHS DIAGNOSE
(Lebenszeitdiagnose 8–15 Jahre)
% jemals geraucht
% tägliches Rauchen
OR = 4.39, p = .001
OR = 2.64, p = .013
100
50
85,7
80
60
40
31,4
57,8
30
40
20
14,8
20
10
0
0
nicht - ADHS (n=270)
ADHS (n=35)
Risikofaktoren für jugendlichen Substanzkonsum
Dass substanzmissbrauchende Ju-
Kinder- und Jugendpsychiatrie zählen
2007). Im Rahmen der Mannheimer
gendliche häufiger unter psychischen
Störungsbilder mit dieser Symptomatik
Risikokinderstudie ermittelten wir,
Problemen leiden, ist durch klinische
(Aufmerksamkeitsdefizit/Hyperaktivi-
dass Jugendliche, die im Verlauf ihrer
Beobachtungen und empirische Stu-
tätsstörungen [ADHS] bzw. hyperkine-
Entwicklung von 8 bis 15 Jahren exter-
dien hinlänglich bekannt. Eine Viel-
tischen Störungen [HKS] und Störun-
nale Auffälligkeiten aufwiesen, häufi-
zahl von Studien hat auf eine hohe
gen des Sozialverhaltens [SSV]) zu den
ger und intensiver rauchten als ihre
Komorbidität zwischen psychischen
am häufigsten diagnostizierten Auf-
unauffälligen Altersgenossen. Unter
Störungen und Substanzmissbrauch
fälligkeiten. Aktuelle Erhebungen in
den 15-Jährigen mit der Diagnose ei-
im Jugendalter hingewiesen (s. Über-
Deutschland berichten Prävalenzraten
ner ADHS fanden sich signifikant
sicht bei Schulz & Remschmidt, 1999).
von bis zu 15% im Jugendalter
mehr Jemals-Rauchende und mehr als
Eine Gruppe von Jugendlichen, die im
(Schmidt, 1998).
doppelt so viele täglich Rauchende als
in der Vergleichsgruppe (s. Abbildung
Hinblick auf einen frühzeitigen, regelmäßigen und abhängigen Konsum
Eigenen Untersuchungen zufolge ste-
3). Ein ähnlicher Zusammenhang be-
besonders gefährdet ist, stellen Kinder
hen externale Störungen bei Jugendli-
stand mit der Diagnose einer Störung
und Jugendliche mit sog. externalen
chen im Zusammenhang mit einem
des Sozialverhaltens (SSV): Signifikant
Störungen dar, die sich durch ver-
frühzeitigeren Beginn und einer er-
mehr Jugendliche mit dieser Diagnose
mehrtes hyperaktives, impulsives, ag-
höhten Rate des Rauchens (Laucht et
gaben an, jemals geraucht zu haben
gressives und dissoziales Problemver-
al., 2005) sowie mit einem exzessive-
bzw. täglich zu rauchen, als Jugendli-
halten auszeichnen. Im Bereich der
ren Alkoholkonsum (Blomeyer et al.,
che ohne diese Störung. Jugendliche
17. NIEDERSÄCHSISCHE SUCHTKONFERENZ | Berichte zur Suchtkrankenhilfe 2007
VORTRÄGE
15
ABB. 5: TRINKVERHALTEN 15-JÄHRIGER IN ABHÄNGIGKEIT VON ADHS/SSV
ABB. 6: RAUCHVERHALTEN 15-JÄHRIGER
DIAGNOSE (VON 8 BIS 15 JAHREN)
IN ABHÄNGIGKEIT VON RAUCHBEZOGENER
SELBSTWIRKSAMKEIT UND ANZAHL
RAUCHENDER FREUNDE.
Odds-Ratio
***
6,00
5,31
Raucherstatus
4
5,00
4,00
3
**
2,53
2,48
*
3,00
2,00
**
2,40
2
1,71
2,8
1,6
1,8
1,47
1
1,00
0,00
0
8 Jahre
11 Jahre
Betrunkenheit
Rauschtrinken
15 Jahre
* p < .05; ** p < .01; *** p < .001
1,4
hoch
niedrig
Rauchbezogene Selbstwirksamkeit
(kontrolliert für Tannerstadium)
Rauchende Freunde
wenige
viele
mit externalen Störungen zählen auch
nem der Hauptrisikofaktoren in der
empirische Unterstützung für Sucht-
zu den stärkeren Alkoholkonsumieren-
von uns untersuchten Altersgruppe.
präventionsansätze, die auf die Stär-
den. Wie aus Daten der Mannheimer
Eine besondere Rolle spielte dabei,
kung des kindlichen und jugendlichen
Risikokinderstudie hervorgeht (s. Ab-
neben dem leichteren Zugang zu
Selbstkonzepts abzielen.
bildung 4), war das Vorliegen einer
Suchtmitteln und dem erhöhten sozi-
ADHS- bzw. SSV-Diagnose ab dem
alen Druck zu konsumieren, die posi-
Zahlreiche verhaltensgenetische Stu-
Alter von 8 Jahren mit riskantem
tive Bewertung des Konsums durch
dien belegen, dass genetischen Fakto-
Trinkverhalten im Alter von 15 Jahren
die Freunde. Allerdings zeigte sich,
ren eine wichtige Rolle bei der Ent-
verknüpft. Träger dieser Diagnosen
dass der Einfluss der Peers von intra-
wicklung des Suchtverhaltens Jugend-
wiesen ein gegenüber der Vergleichs-
personalen Faktoren abhängig ist: Be-
licher zukommt. In Zwillings- und Ad-
gruppe signifikant erhöhtes Risiko für
sonders gefährdet waren Jugendliche
optionsstudien zeigte sich sowohl für
Betrunkenheit und Rauschtrinken auf.
mit einem hohen Konsum im Freun-
das Rauchen als auch für den Alkohol-
deskreis, die sich zugleich als wenig
konsum eine hohe Erblichkeit mit
Weitere Analysen unterstreichen die
selbstwirksam beschrieben (s. Abbil-
Schätzwerten von durchschnittlich
Bedeutung sozialer Einflussfaktoren
dung 5). Umgekehrt bedeutet dieser
53% für die Tabakabhängigkeit und
beim Einstieg in den Alkohol- und Ta-
Befund aber auch, dass Jugendliche
64% für die Alkoholabhängigkeit.
bakkonsum. In Übereinstimmung mit
mit hoher Selbstwirksamkeit vor den
Nicht nur die Entwicklung einer Sub-
der Literatur zählte der Kontakt zu so-
negativen Einflüssen eines rauchen-
stanzabhängigkeit unterliegt geneti-
zial auffälligen Gleichaltrigen zu ei-
den Umfelds geschützt waren – eine
schen Einflüssen, auch für das Alter
17. NIEDERSÄCHSISCHE SUCHTKONFERENZ | Berichte zur Suchtkrankenhilfe 2007
16
VORTRÄGE
ABB. 7: RAUCHVERHALTEN
ABB. 8: RAUCHVERHALTEN
15-JÄHRIGER IN ABHÄNGIGKEIT
15-JÄHRIGER IN ABHÄNGIGKEIT
VOM DRD4 GENOTYP:
VOM DRD2 GENOTYP:
WER FÄNGT AN?
WER RAUCHT WEITER?
% jemals geraucht
% monatliches Rauchen
100
100
p=.020
p=.033
80
80
70,0
62,9
60
60
53,8
41,8
40
40
20
20
0
0
n=220
Alter bei Erstkonsum
% tägliches Rauchen
14
50
p=.058
p=.035
40
13
12,4
12
37,1
30
11,8
20
19,4
11
10
0
10
n=124
DRD4 */* (n=120/66)
DRD2 C/C (n=98)
DRD4 7r */* (n=90/58)
DRD2 T/* (n=35)
Jemals Probierer (n = 133)
17. NIEDERSÄCHSISCHE SUCHTKONFERENZ | Berichte zur Suchtkrankenhilfe 2007
VORTRÄGE
bei Beginn des Konsums sowie für die
Schlussbemerkung
Häufigkeit und Menge des Konsums
wurden beträchtliche Erbeinflüsse
nachgewiesen. Allerdings hat die mo-
Die legalen Suchtmittel Tabak und
derne molekulargenetische Forschung
Alkohol zählen nach Einschätzung der
deutlich gemacht, dass sich der Ein-
Weltgesundheitsorganisation (WHO)
fluss von Erbfaktoren nicht auf einige
zu den gefährlichsten Gesundheitsrisi-
wenige Gene oder gar ein einzelnes
ken weltweit. In Deutschland sterben
Gen beschränken lässt. Vielmehr wir-
jährlich über 40.000 Menschen infolge
ken zahlreiche Gene zusammen, um
ihres
den jeweiligen Phänotyp des Sucht-
110.000 an tabakbedingten Erkran-
verhaltens hervorzubringen.
kungen. Dies zu wissen sollte Anlass
Auf der Suche nach Genen, die mögli-
genug sein, um der Vorbeugung und
chen Unterschieden im Suchtverhal-
Früherkennung von Suchtproblemen
ten zugrunde liegen (sog. Kandida-
unter Kindern und Jugendlichen ober-
tengene), haben wir uns im Rahmen
ste gesundheitspolitische Priorität ein-
der Mannheimer Risikokinderstudie
zuräumen. Wie schwer sich allerdings
mit Genen des dopaminergen Neuro-
Politik und Gesellschaft in Deutsch-
transmittersystems intensiver befasst.
land allein mit dem Nichtraucher-
Ein Grund dafür ist, dass die Aktivie-
schutz tun, konnte man in den letzten
rung dieses Systems durch Suchtmit-
Monaten verfolgen. Die Konsequen-
tel eine wichtige Rolle bei der „Ver-
zen dieser Gesundheitspolitik sind
stärkerwirkung“ psychoaktiver Sub-
auch im Kinder- und Jugendbereich
stanzen wie Tabak und Alkohol im
nicht zu übersehen. In einer kürzlich
ZNS spielt. Unsere Analysen zeigen,
veröffentlichten Studie der UNICEF
dass das Gen, das für den Dopamin
„On child well-being in rich countries“
D4 Rezeptor (DRD4) kodiert und in
schneidet Deutschland – wie schon
Hirnarealen des zentralnervösen Ver-
von PISA gewohnt – schlecht ab
stärkungssystem besonders stark ex-
(UNICEF, 2007). Unter den Jugend-
primiert ist, im Zusammenhang mit
lichen aus 21 Industrieländern neh-
dem Beginn des Tabak- und Alkohol-
men deutsche im Rauchen den letzten
konsums bei Jugendlichen steht. Trä-
Platz ein (in keinem anderen Land
ger einer Variante dieses Gens haben
rauchen so viele 11- bis 15-Jährige)
als 15-Jährige häufiger jemals ge-
und auch beim Alkoholkonsum wer-
raucht und haben früher mit dem
den deutsche Jugendliche nur von
Rauchen begonnen (s. Abbildung 7).
wenigen Ländern übertroffen. Diese
Ein anderes Gen des Dopaminsy-
Zahlen verdeutlichen, dass der Kon-
stems, das für den Dopamin D2 Re-
sum psychoaktiver Substanzen durch
zeptor (DRD2) kodiert ist, ist dagegen
junge Menschen eine wachsende
unseren Ergebnissen zufolge mit der
Herausforderung und eine dauerhafte
Fortsetzung des Konsums verknüpft.
Aufgabe für die Gesellschaft und das
Träger einer Variante dieses Gens ge-
Gesundheitssystem in Deutschland
hören vermehrt zu denjenigen, die im
darstellt.
Alkoholkonsums
und
über
letzten Monat täglich geraucht haben
(s. Abbildung 8).
17. NIEDERSÄCHSISCHE SUCHTKONFERENZ | Berichte zur Suchtkrankenhilfe 2007
17
18
VORTRÄGE
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17. NIEDERSÄCHSISCHE SUCHTKONFERENZ | Berichte zur Suchtkrankenhilfe 2007
19
20
VORTRÄGE
PROF. DR. DIETER HENKEL
Sucht und soziale Lage
Welche Risiken bestehen für welche Gruppen von Kindern und
Jugendlichen in Bezug auf Tabak, Alkohol und Cannabis?
Vorbemerkung
Fragestellungen
• Kraus et al. 2004: ESPAD-Studie
(Europäische Schülerstudie zu Alko-
Zur Beschreibung der sozialen Lage
Bezogen auf diese Indikatoren wer-
hol und anderen Drogen), Deutsch-
bzw. sozialer Ungleichheit und Be-
den im vorliegenden Beitrag folgende
land N=11.043, 14–15 Jahre,
nachteiligung von Kindern und Ju-
drei Fragestellungen untersucht:
gendlichen werden in der Forschung
1. Unterscheiden sich sozial benach-
• Bundeszentrale für gesundheitliche
verschiedene Indikatoren verwendet:
teiligte von priviligierten Kindern und
Aufklärung (BZgA): Drogenaffini-
• Finanzielle Lage anhand des Ein-
Jugendlichen in der Prävalenz des
tätsstudie 2004, N=3.032, 12–25
kommens der Eltern: z.B. arm/
Konsums und der Abhängigkeit von
Jahre.
wohlhabend
Tabak, Alkohol und Cannabis?
Institut für Therapieforschung (IFT).
• HBSC-Studien (Health Behavior of
• Wohlstandsniveau: mehrdimensio-
2. Sind die verschiedenen Formen so-
School-aged Children),
nal, gemessen an der finanziellen
zialer Benachteiligung Risikofaktoren
Altersgruppe jeweils 11–15 Jahre;
Lage der Eltern, Anzahl der Autos,
für die Entstehung von Substanzpro-
(1) Klocke, Hurrelmann 1995:
Computer und Bücher im Haushalt,
blemen?
HBSC-Studie Nordrhein-Westfalen
Anzahl der Urlaubsreisen pro Jahr
3. Welche präventiven Maßnahmen
1995, N=2.491; (2) Becker 2002:
mit der Familie, (kein) eigenes Zim-
wären angemessen?
HBSC-Studie Hessen 2002,
N=3.614; (3) Ravens-Sieberer,
mer pro Kind
Thomas 2003: HBSC-Studie Berlin
• Erwerbsstatus von Jugendlichen:
arbeitslos/erwerbstätig
Repräsentative Studien
2005: HBSC-Studie Thüringen
• Schulform: Hauptschule/Realschule/Gymnasium
• Sozialschicht: in der Regel unterteilt
Die dazu vorgestellten empirischen
Daten stammen im Wesentlichen aus
in untere, mittlere und obere
folgenden Studien:
Sozialschicht anhand des Ein-
• Lampert, Thamm 2007: KiGGs-
kommens, Bildungsgrads und
Studie (Kinder- und Jugendgesund-
Berufsstatus der Eltern
heitssurvey) des Robert-Koch-Insti-
• Soziales Kapital: Grad und Vielfalt
2002, N=9.596; (4) Bilz, Melzer
tuts (RKI), N=6.813, 14–17 Jahre;
der Einbindung in soziale Netz-
RKI 2007: KiGGs-Studie, Modul
werke (z.B. Freunde, Nachbarn,
Schleswig-Holstein, N=1.911,
Vereine)
11–17 Jahre.
17. NIEDERSÄCHSISCHE SUCHTKONFERENZ | Berichte zur Suchtkrankenhilfe 2007
2005, N=1.800.
VORTRÄGE
TABELLE 1: HÖCHSTE RAUCHERQUOTEN (%)
STETS IN DEN UNTEREN SOZIALEN STATUSGRUPPEN
Sozialschicht
untere
obere
KiGGS 2007
Jungen
36
26
tägliches + gelegentliches Rauchen,
Mädchen
39
22
14–17 Jahre
Schulform
Hauptschule
Gymnasium
ESPAD 2004
Jungen + Mädchen
46
23
tägliches Rauchen, 14–15 Jahre
Jungen
42
18
KiGGS 2007
Mädchen
47
23
tägliches + gelegentliches Rauchen,
Wohlstandsniveau
niedrigstes
höchstes
HBSC Berlin 2003
Jungen + Mädchen
19
12
tägliches Rauchen, 11–15 Jahre
Jungen
14
10
HBSC Thüringen 2005
Mädchen
20
10
tägliches Rauchen, 11–15 Jahre
soziales Kapital
niedrigstes
höchstes
HBSC Hessen 2002
Jungen + Mädchen
14
9
tägliches Rauchen, 11–15 Jahre
14–17 Jahre
Tabakrauchen
Betrachtet man die soziale Lage nicht
Selektionsprozesse auszuschließen,
nur dichotom, wie in Tabelle 1 (z.B.
da nicht das Rauchen die Ursache ihrer
Beim Tabakrauchen sind Ergebnisse
untere vs. obere Sozialschicht), sondern
sozialen Benachteiligung (z.B. Armut)
über alle Studien und alle soziale Indi-
differenzierter, so sind beim Tabakrau-
ist, sondern die soziale Lage ihrer El-
katoren hinweg konsistent: Die höchs-
chen nahezu überall klar ausgeprägte
tern. Insofern legen die präsentierten
ten Raucherquoten findet man stets
soziale Gradienten, d.h. mit dem Grad
Daten nahe, dass das Aufwachsen in
in den unteren sozialen Statusgrup-
der sozialen Benachteiligung kontinu-
benachteiligten Lebenslagen Risiko-
pen. Das gilt für Mädchen und Jungen
ierlich ansteigende Raucherquoten,
faktoren impliziert (Kausalitätshypo-
gleichermaßen (Tabelle 1).
festzustellen, wie dies Abbildung 2
these), die bereits in einer frühen bio-
und 3 am Beispiel des Wohlstandsni-
graphischen Phase den Einstieg in das
Sozial benachteiligte Kinder und Ju-
veaus bzw. der Sozialschichtzugehö-
Rauchen und auch das starke Rau-
gendliche rauchen nicht nur häufiger,
rigkeit demonstrieren.
chen erheblich begünstigen.
fahrungen wesentlich früher: spätes-
Grundsätzlich betrachtet können die
Die konkreten Risikofaktoren können
tens mit 11 Jahren 30% der Haupt-
erhöhten Prävalenzraten der unteren
in einer Reihe von psychosozialen Pro-
schülerinnen und -schüler, hingegen
Statusgruppen darauf zurückgehen,
blemen liegen, die bei sozial schwa-
nur 17% der Gymnasiasten (ESPAD-
dass Personen mit Substanzproble-
chen, z.B. in Armut lebenden Kindern
Studie 2004). Sie unterliegen damit
men ein höheres Risiko haben, infolge
nachweislich häufiger auftreten als
viel häufiger hohen tabakbedingten
ihrer Suchtproblematik in sozial be-
bei Gleichaltrigen aus priviligierten
Gesundheits- und Abhängigkeitsrisi-
nachteiligte Lebenslagen zu geraten
Verhältnissen und wahrscheinlich zur
ken. Denn je früher mit dem Tabak-
(Selektionshypothese) oder, dass so-
stärkeren Verbreitung des Tabakrau-
rauchen begonnen wird, desto höher
ziale Benachteiligungen die Entste-
chens beitragen, unter anderem:
ist das Risiko, körperlich zu erkranken
hung von Substanzproblemen begün-
und tabakabhängig zu werden (Born-
stigen (Kausalitätshypothese). Eine
• Geringes Selbstwertgefühl und Ge-
häuser 2003; KiGGS-Studie 2007).
Prüfung dieser Hypothesen erfordert
fühle des Ausgegrenztseins: Rau-
Hinzu kommt, dass unter ihnen auch
Längsschnittstudien, die Entwicklungs-
chen zur Demonstration von Selbst-
der Anteil der stark Rauchenden über-
prozesse während eines längeren
sicherheit und zur Integration oder
proportional hoch ist. Das zeigt sich,
Zeitraums analysieren.
höheren Positionierung in peer-
wenn man nach der Schulform diffe-
Doch wendet man diese Hypothesen
groups
renziert (Abbildung 1).
auf Kinder und Jugendliche an, so sind
sie haben auch ihre ersten Raucher-
17. NIEDERSÄCHSISCHE SUCHTKONFERENZ | Berichte zur Suchtkrankenhilfe 2007
21
22
VORTRÄGE
ABB. 1: VERTEILUNG DER DURCHSCHNITTLICHEN
ANZAHL GERAUCHTER ZIGARETTEN PRO TAG IN
DEN LETZTEN 30 TAGEN NACH SCHULFORM
14- BIS 15-JÄHRIGE (AKTUELL RAUCHENDE)
Angaben in %, Säulensumme 100%, ESPAD 2004, 35
19
21
37
24
25
30
26
28
19
31
26
14
Hauptschule
> 10
Realschule
5 bis 10
1 bis 5
Gymnasium
<1
• Leistungsversagen und Stressbelas-
Zu diesem letztgenannten Zusam-
schicht (Gilman et al. 2003; Geckova
tungen in der Schule: Rauchen zur
menhang gibt es Daten zum elterli-
et al. 2005), da auch sie in Relation zu
Stressreduktion
chen Rauchen (Abbildung 4). Sie zei-
den Referenzgruppen (Gymnasium,
gen, dass Kinder in Armutsfamilien
obere Sozialschicht) weit überpropor-
• Beeinträchtigung in der Bewältigung
wesentlich häufiger Eltern – vor allem
tional häufig rauchende Eltern und
jugendtypischer Entwicklungsaufga-
Väter – haben, die rauchen. Sie unter-
zudem wesentlich häufiger Kontakt zu
ben: Rauchen zur Inszenierung eines
liegen damit einem höheren Risiko,
Gleichaltrigengruppen haben, in de-
Erwachsenenstatus, der z.B. infolge
selbst mit dem Rauchen zu beginnen.
nen das Rauchen stark verbreitet ist.
von Armut nur gebrochen und ver-
Denn das elterliche Rauchen ist einer
Zudem weist auch das Passivrauchen
zögert erreicht wird.
der stärksten Prädiktoren für den Ein-
nach sozialer Schicht eine höchst un-
stieg in das Rauchen im Kindes- und
gleiche Verteilung auf (Abbildung 5).
• Vor allem leben sozial benachteiligte
Jugendalter (Geckova et al. 2005). Zu-
Auch dies bringt zum Ausdruck, dass
Kinder und Jugendliche in einem
dem sind sie viel häufiger Gesund-
Kinder und Jugendliche aus den unte-
sozialen Umfeld, in dem das Tabak-
heitsrisiken durch das Passivrauchen
ren Statusgruppen viel häufiger in ei-
rauchen besonders weit verbreitet
ausgesetzt.
nem Tabak rauchenden sozialen Umfeld leben, was Normalisierungs- und
ist (Eltern bzw. Familie, Schule,
peers). Dadurch unterliegen sie ei-
Analoge Zusammenhänge sind nach-
Imitationsprozesse und damit den
nem höheren Konformitätsdruck
gewiesen für Hauptschülerinnen und
Einstieg in das Rauchen begünstigt.
und es erfolgt eine stärkere Norma-
-schüler (Scholz, Kaltenbach 1995;
lisierung und Imitation des Rau-
BZgA 2004) sowie für Kinder und Ju-
chens.
gendliche aus der unteren Sozial-
17. NIEDERSÄCHSISCHE SUCHTKONFERENZ | Berichte zur Suchtkrankenhilfe 2007
VORTRÄGE
ABB. 2: PRÄVALENZRATEN (%) DES TÄGLICHEN BZW.
ABB. 3: PRÄVALENZRATEN (%) DER REGELMÄßIG
MEHRMALS WÖCHENTLICHEN TABAKRAUCHENS NACH
RAUCHENDEN NACH SOZIALER SCHICHT UND
WOHLSTANDSNIVEAU, 11- BIS 15-JÄHRIGE
ALTERSGRUPPEN
HBSC NRW 1995, N=2.491, signifikant bei Adjustierung für Alter und Geschlecht
KiGGS Modul Schleswig-Holstein 2007, 49
35
17
27
25
14
10
9
7
4
3
2
14 – 17 Jahre
11 – 13 Jahre
1 höchstes Niveau
2
3
4
5 niedrigstes Niveau
obere
mittlere
untere Sozialschicht
ABB. 4: PRÄVALENZRATEN (%) DES TÄGLICHEN TABAK-
ABB. 5: PASSIVRAUCHEN (%) NACH SOZIALER SCHICHT
RAUCHENS BEI ELTERN (25-50 JAHRE, N=1.478)
11- BIS 17-JÄHRIGE
MIT KINDERN UNTER 15 JAHREN NACH ARMUT
(50%-SCHWELLE)/EINKOMMEN
Henkel 2007 (Bundesgesundheitssurvey 1998),
Passivrauchen = täglicher Aufenthalt in Räumen, in denen geraucht wird
signifikant bei Altersadjustierung (Väter)
KiGGS Modul Schleswig-Holstein 2007, 49
40
49
25
33
28
28
11
Väter
Armut
Mütter
> Durchschnittseinkommen
obere
mittlere
untere Sozialschicht
17. NIEDERSÄCHSISCHE SUCHTKONFERENZ | Berichte zur Suchtkrankenhilfe 2007
23
24
VORTRÄGE
Alkoholkonsum
Klare Unterschiede allerdings werden
rinnen und -schülern in Relation zu
erkennbar, wenn man die Prävalenz-
den Gymnasiasten erheblich erhöht,
Untersucht man, wie viele Kinder und
verteilung von riskanten Konsummu-
beim „binge drinking“ sogar um mehr
Jugendliche Alkohol konsumieren, so
stern zwischen den Schulformen be-
als das Doppelte. Vergleichbare Daten
zeigen die Lebenszeit-, 12-Monats-
trachtet und zwar bei den Alkohol-
differenziert nach sozialer Schicht, Ar-
und 30-Tage-Prävalenzraten keine we-
rauscherfahrungen und dem „binge
mut oder Wohlstandsniveau liegen
sentlichen Unterschiede, wenn man
drinking“, das als fünf oder mehr Al-
bislang nicht vor.
differenziert nach
koholeinheiten von Bier, Wein oder
Spirituosen pro Trinkepisode (z.B. 2.5
• Schulform
oder mehr Liter Bier) definiert ist und
(HBSC-Studien 1995–2005,
in der Forschung häufig als Indikator
ESPAD-Studie, BZgA-Studie 2004)
für problematischen und gesund-
• Sozialschicht
heitsschädigenden Alkoholkonsum
(KiGGs-Studien) und
verwendet wird (Abbildung 6 und 7).
• Wohlstandsniveau
Bei beiden Konsummustern sind die
(HBSC-Studien).
Prävalenzraten bei den Hauptschüle-
ABB. 6: VERTEILUNG DER FREQUENZ DER ALKOHOL-
ABB. 7: VERTEILUNG DER FREQUENZ DES
RAUSCHERFAHRUNGEN IN DEN LETZTEN 30 TAGEN
BINGE DRINKING IN DEN LETZTEN 30 TAGEN
NACH SCHULFORM
NACH SCHULFORM, 14- BIS 15-JÄHRIGE
14- BIS 15-JÄHRIGE
Angaben in %, Säulensumme 100% | ESPAD 2004, 69
Angaben in %, Säulensumme 100% | ESPAD 2004, 54
35,5
58,6
59,6
36,9
49,5
65,4
26,5
30,8
26,1
27,3
26,7
15,3
13
Hauptschule
Realschule
30,5
21
18,3
13,5
nie
1–2 mal
7,9
Gymnasium
mindestens 3 mal
17. NIEDERSÄCHSISCHE SUCHTKONFERENZ | Berichte zur Suchtkrankenhilfe 2007
16,9
14
Hauptschule
Realschule
> 6 mal
3–5 mal
6,6
1–2 mal
Gymnasium
nie
VORTRÄGE
Cannabiskonsum
und -abhängigkeit
Arbeitslosigkeit und
Substanzkonsum
Cannabis ist in allen sozialen Gruppen
Zur Frage, ob die Arbeitslosigkeit für
Substanzprobleme infolge der Arbeits-
annährend gleich stark verbreitet (Ta-
Jugendliche ein Risikofaktor für die Ent-
losigkeit. Also muss es Risikogruppen
belle 2). Allerdings zeigen sich in der
wicklung von Substanzproblemen dar-
geben, die aber bislang noch wenig
Frequenz des Konsums markante Dif-
stellt, liegen zahlreiche Längsschnitt-
untersucht sind. Bislang zeichnen sich
ferenzen: Während nur 5% der Gym-
studien aus verschiedenen Ländern vor
lediglich ab: männliche Jugendliche,
nasiasten in den letzten 30 Tagen
(Tabelle 4). Sie weisen übereinstim-
langzeitarbeitslose Jugendliche sowie
Cannabis häufiger als 40-mal konsu-
mend nach, dass für arbeitslose Ju-
Kinder und Jugendliche mit arbeitslo-
mierten, waren es bei den Schülerin-
gendliche in Relation zu Erwerbstäti-
sen Eltern (Tabelle 4).
nen und Schülern der Haupt- und
gen gleichen Alters signifikant höhere
Realschulen doppelt so viele (Abbil-
Risiken bestehen, problematische
Die Arbeitslosenforschung spricht hier
dung 8).
Substanzkonsummuster und Sub-
von „Opfern durch Nähe“, wenn sich
stanzabhängigkeiten zu entwickeln.
negative Effekte der Arbeitslosigkeit
Beim Cannabiskonsum ist es also of-
Das gilt für die Alkohol-, Tabak- und
im engeren sozialen Umfeld (Familie,
fensichtlich ähnlich wie bei Alkohol
Drogenproblematik. Eine ausführliche
Partnerschaft) auf Personen übertra-
und Tabak: Hochfrequente und damit
Darstellung der Forschungslage und
gen, die selbst nicht von Arbeitslosig-
für eine mögliche Abhängigkeitsent-
die Literaturangaben der in Tabelle 4
keit betroffen sind. Kinder und Ju-
wicklung hochriskante Konsummu-
aufgelisteten Studien findet man bei
gendliche aus Arbeitslosenfamilien
ster sind in den unteren sozialen Sta-
Henkel (2008).
weisen unter anderem ein geringeres
Doch nur bei einem relativ kleinen
Teil der arbeitslosen Jugendlichen
entwickeln oder intensivieren sich
tusgruppen deutlich stärker verbreitet.
Selbstwertgefühl auf, leiden häufiger
Dem entspricht der Befund von Sydow
Plausibel werden diese Befunde,
unter depressiven Verstimmungen,
et al. (2002), die in einer vierjährigen
wenn man die inzwischen gut doku-
zeigen schlechtere Schulleistungen,
Längsschnittstudie mit 2.466 Kindern
mentierten psychosozialen Folgen be-
sind einsamer und weniger in der La-
und Jugendlichen (12–24 Jahre) fest-
trachtet, die länger anhaltende Arbeits-
ge, Stress zu bewältigen (Kieselbach,
stellten, dass ein niedriger sozioöko-
losigkeit bei Jugendlichen (und Er-
Beelmann 2006). Solche Probleme
nomischer Status das Risiko einer Can-
wachsenen) hervorrufen können (Paul,
können zum Konsum psychoaktiver
nabisabhängigkeit (DSM-IV) erheblich
Moser 2001; Kieselbach, Beelmann
Substanzen motivieren, wenn andere
erhöhte (Tabelle 3). In Relation zu den
2006):
Formen der Bewältigung nicht zur
übrigen ermittelten Prädiktoren erwies
sich der soziale Status sogar als der
zweiteinflussreichste Faktor.
Verfügung stehen.
• Minderung des Selbstwertgefühls,
reduzierte soziale Wertschätzung
• Verlust sozialer Kontakte, Gefühle
des Ausgegrenztseins
• Verlust von Lebensperspektiven,
Zukunftsängste
• Abnahme der Lebenszufriedenheit
• Zunahme familiärer Konflikte
• finanzieller Stress
• Zerfall von Zeitstrukturen,
Monotoniestress sowie
• erschwerte und verzögerte Bewältigung jugendtypischer Entwicklungsaufgaben, z.B. Gewinnung von Autonomie und Festigung der Identität,
unter anderem infolge der verlängerten Abhängigkeit von den Eltern.
17. NIEDERSÄCHSISCHE SUCHTKONFERENZ | Berichte zur Suchtkrankenhilfe 2007
25
26
VORTRÄGE
ABB. 8: VERTEILUNG DER FREQUENZ DES CANNABISKONSUMS IN DEN LETZTEN 30 TAGEN
NACH SCHULFORM (30-TAGE-KONSUMENTEN) 14- BIS 15-JÄHRIGE
Angaben in %, Säulensumme 100% | ESPAD 2004, 94
73,4
71,2
7,4
9,4
8,9
8,8
10,3
10,4
Hauptschule
> 40 mal
76,9
10,7
7,4
5
Gymnasium
Realschule
20–39 mal
10–19 mal
1–10 mal
TABELLE 2: 12-MONATSPRÄVALENZRATEN (%) DES CANNABISKONSUMS
Sozialschicht
untere
obere
Jungen
14
13
KiGGS 2007
Mädchen
9
11
14–17 Jahre
Schulform
Hauptschule
Gymnasium
Jungen + Mädchen
23
25
ESPAD 2004
Jungen
16
13
14–15 Jahre
Mädchen
12
10
KiGGS 2007
Wohlstandsniveau
niedrigstes
höchstes
Jungen
6
6
HBSC Thüringen 2005
Mädchen
9
9
11–15 Jahre
14–17 Jahre
TABELLE 3: PRÄDIKATOREN DER CANNABISABHÄNGIGKEIT (DSM-IV)
BEI JUGENDLICHEN, DIE ZU UNTERSUCHUNGSBEGINN CANNABIS
KONSUMIERTEN, ABER NICHT ABHÄNGIG WAREN.
(Zeitraum 4 Jahre, 14–24 Jahre, N=2.446) von Sydow et al. 2002
OR gibt den Faktor an, um den das Risiko in Relation zur jeweiligen Referenzgruppe
* signifikant
(z.B. hoher sozioökonomischer Status) erhöht ist
Prädikatoren
Ausprägung
OR
Risikofaktoren
Geschlecht
männlich
4.3
Selbstwertgefühl
niedrig
1.9*
Sozioökonomischer Status
niedrig
24.2*
finanzielle Situation
schlecht
7.1*
Konsum anderer illegaler Drogen
ja
7.1*
SCL-90 GSI (Globalindex Schweregrad
hoch
1.7*
ja
39.7*
hoch
0.4*
psychischer Symptome)
Tod eines Elternteils vor dem 15. Lebensjahr
Schutzfaktor
Alter
17. NIEDERSÄCHSISCHE SUCHTKONFERENZ | Berichte zur Suchtkrankenhilfe 2007
VORTRÄGE
TABELLE 4: ERGEBNISSE AUS 11 LÄNGSSCHNITTSTUDIEN: JUGENDLICHE
In Relation zur Erwerbstätigkeit war die Arbeitslosigkeit mit einem signifikant höheren Risiko für die
Entwicklung folgender Substanzprobleme asoziiert:
Autoren, Land
Substanzprobleme
Risiko Männer/Frauen
Peck, Plant 1986 (Schottland)
Konsum illegaler Drogen
für M nicht F
Power, Estaugh 1990 (UK)
heavy drinking
für M nicht F
Janlert, Hammarström 1992 (Schweden)
riskanter Alkoholkonsum
für M nicht F
Hammer 1992 (Norwegen)
Cannabiskonsum
für M nicht F
Hammarström, Janlert 1994 (Schweden)
Einstieg in Tabakrauchen
für M nicht F
Fergusson et al. 1997 (Neuseeland)
Nikotinabhängigkeit DSM-IV
für M nicht F
dto
Drogenabhängigkeit DSM-IV
für M nicht F
Montgomery et al. 1998 (UK)
Alkoholprobleme CAGE-Test
Stichprobe nur M
dto
heavy drinking
Stichprobe nur M
dto
Tabakrauchen
Stichprobe nur M
Fergusson et al. 1997 (Neuseeland)
Alkoholmissbrauch/Abhängigkeit DSM-IV
M+F
dto
Drogenmissbrauch/Abhängigkeit DSM-III
M+F
Dooley, Prause 2004 (USA)
Alkoholmissbrauch/Abhängigkeit DSM-IV
M+F
Christoffersen 2000 (Dänemark)*
Missbrauch Alkohol/Drogen DSM-IV
für M > F
Unger et al. 2004 (USA)*
Einstieg in Tabakrauchen
M+F
Anmerkungen: * Risiko bei Arbeitslosigkeit der Eltern; M + F keine Geschlechterdifferenzierung
Präventive Ansätze
Aus den präsentierten Daten ist als erste Schlussfolgerung zu ziehen: Präventive Maßnahmen müssen
• der sozialepidemiologischen Vertei-
2,5 Millionen Kinder unter 15 Jah-
der unteren Bildungs- und Sozial-
ren betroffen sind,
schicht angehören, in Armut bzw. auf
• Verhinderung der Jugendarbeits-
niedrigem Wohlstandsniveau leben,
arbeitslose Eltern haben oder selbst
losigkeit,
• Ausbau der Kinder- und Jugend-
von Arbeitslosigkeit bedroht sind. Eine
arbeit vor allem in Stadtteilen und
solche Schwerpunktsetzung ist bis-
lung der Prävalenzen und Risiken
Gemeinden mit hoher sozialer
lang nicht erkennbar. Soweit über-
entsprechen, d.h. verstärkt auf die
Benachteiligungsdichte,
haupt schulbasierte Suchtprävention
sozial benachteiligten Gruppen
gerichtet sein,
• sich auf das Tabakrauchen und
riskante Alkohol- und Cannabiskonsummuster konzentrieren und
• sich daran messen lassen, ob sie
geeignet sind, die sozialen Differenzen im Substanzkonsum substantiell
zu verringern.
• Verstärkung schulbasierter Sucht-
stattfindet, ist sie zudem weitgehend
prävention, besonders in Haupt-
lebenslagenneutral, d.h. nicht an der
schulen,
je spezifischen sozialen Lage der Kin-
• effektivere Nutzung massen-
der und Jugendlichen orientiert.
medialer Prävention bei gleich-
Massenmedien, vor allem die TV-Me-
zeitiger Einschränkung der Alkohol-
dien, bieten sich deshalb an, weil
und Verbot der Tabakwerbung und
visualisierte Präventionsbotschaften
• weitere Erhöhungen der Tabak-
auch Jugendliche mit geringem Bildungsniveau gut erreichen und das
steuer.
Fernsehen für sozial benachteiligte
Präventive Effekte wären zu erwarten
Eine präventive Schwerpunktsetzung
Jugendliche (arme, arbeitslose, untere
durch
in der Hauptschule begründet sich
Sozialschicht) eine weit überdurch-
• Abbau der Kinderarmut, von der
darin, dass hier der Anteil der Risiko-
schnittlich hohe Attraktivität ausübt
derzeit in Deutschland nach ver-
gruppen überproportional hoch ist,
(Klocke 2001; Shell-Studie 2003;
schiedenen Schätzungen 1,8 bis
d.h. der Kinder und Jugendlichen, die
KiGGS-Studie 2007). Diese hohe TV-
17. NIEDERSÄCHSISCHE SUCHTKONFERENZ | Berichte zur Suchtkrankenhilfe 2007
27
28
VORTRÄGE
Medienkontaktdichte muss genutzt
Deutsches Krebsforschungszentrum
werden. Mediale Präventionskampa-
2004). Über diesen Weg wäre auch
gnen sind allerdings nur dann effektiv,
das Rauchverhalten sozial benachtei-
wenn sie mindestens drei Kriterien er-
ligter Eltern positiv zu beeinflussen
füllen: Sie müssen zielgruppengenau,
und damit auch die familiäre Tradie-
d.h. an den konkreten Bedürfnissen
rung des Rauchens und das Passiv-
sozial benachteiligter Kinder und Ju-
rauchen der Kinder zu reduzieren.
gendlicher orientiert, langfristig angelegt und alltäglich präsent sein (Schulze, Lampert 2006).
Solche Initiativen hat es hierzulande
noch nicht gegeben. Zudem werden
Zusammenfassung:
Die 5 wichtigsten Punkte
die potentiellen Effekte massenmedialer Prävention immer wieder zunichte gemacht durch die Alkohol-
• Hin zu den nach Bildung, Arbeit,
und Tabakwerbung, die eindrucksvoll
Einkommen und Wohlstand jeweils
vorführt, wie stark und nachhaltig
am stärksten benachteiligten
wirksam permanent präsente und
Kinder und Jugendlichen nehmen
zielgruppengenaue
die Risiken für die Entwicklung von
Medienkampa-
gnen sein können, und die mit ihren
Substanzproblemen deutlich zu.
suggestiven Bildern und Symbolen
• Daher besteht für sie ein entspre-
von Glück und unbeschwerter Lebensfreude, Freiheit und Abenteuer,
chend erhöhter Präventionsbedarf.
• Die epidemiologischen Daten
Erfolg und Reichtum wahrscheinlich
verweisen auf die Notwendigkeit
gerade bei jenen Bevölkerungsgrup-
einer präventiven Schwerpunkt-
pen die größte Resonanz erzeugt, die
setzung in der Hauptschule,
all dies am stärksten entbehren. Da-
• flankiert durch Ausbau der Kinder-
her erscheint es auch aus der Per-
und Jugendarbeit, massenmediale
spektive der vorliegenden Thematik
Prävention, Einschränkungen der
geboten, die Alkoholwerbung deut-
Alkohol- und Verbot der Tabak-
lich einzuschränken und die Tabak-
werbung, weitere Erhöhungen der
werbung vollständig zu verbieten.
Tabaksteuer und
Nach den meisten bislang vorliegen-
• Maßnahmen zur Verringerung der
den Studien sind deutliche Tabaksteu-
Kinderarmut und Verhinderung von
er- und damit Preiserhöhungen geeig-
Jugendarbeitslosigkeit.
net, die sozialen Differenzen im Tabakkonsum zu verringern, da sozial
Benachteiligte aufgrund ihres knappen Finanzbudgets besonders preiselastisch, d.h. konsumeinschränkend
reagieren (Hanewinkel, Ivensee 2003;
17. NIEDERSÄCHSISCHE SUCHTKONFERENZ | Berichte zur Suchtkrankenhilfe 2007
VORTRÄGE
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17. NIEDERSÄCHSISCHE SUCHTKONFERENZ | Berichte zur Suchtkrankenhilfe 2007
29
30
VORTRÄGE
DR. BJÖRN HAGEN
Drogen in den Erziehungshilfen –
Kinder und Jugendliche erreichen
„Nachdem wir im Rahmen der mobilen
Dieses Zitat ist inzwischen schon
erreichen. Das schließt das Erkennen
Betreuung ein 17jähriges Mädchen in ei-
selbst jugendlich. Mit seinen 16 Jahren
von Grenzen der eigenen Handlungs-
ner eigenen Wohnung betreuten und es
stammt es aus einer Schriftenreihe des
möglichkeiten genauso ein wie die sich
dort offensichtlich immer wieder zum
Evangelischen Erziehungsverbands von
hieraus ergebenden Konsequenzen,
Konsum von Haschisch gekommen ist
1991 „Im Mittelpunkt: Jugendliche
die als einzigen Ausweg eben nicht
und diese Wohnsituation des Mädchens
Drogenkonsumenten – Ausgrenzen
nur das Zappen zwischen verschiede-
für Jugendliche aus Wohngruppen, die
oder Handeln?“
nen Hilfeformen kennen. Ich habe zu
zu Besuch bei dem Mädchen waren, als
Heute, 16 Jahre später, haben wir die
den Fragestellungen anlässlich der
außerordentlich attraktiv erlebt wurde,
Veröffentlichung „Jugendhilfe und
XVII. Niedersächsischen Suchtkonfe-
kam es zu massivem Druck der Mitarbei-
Drogenhilfe“ mit dem Titel „Gemein-
renz „Neue Drogenkonsummuster im
ter auf die pädagogische Leitung, nun
sam Handeln“ in einem Zusammen-
Jugendalter“ Anregungen für Antwor-
doch endlich handeln zu müssen.“
schluss von drei Verbänden heraus-
ten entwickelt. Diese können die Fra-
gegeben. Sie knüpft an das 16 Jahre
gen nicht abschließen, da gerade die
Das Programm der diesjährigen Nds.
alte Zitat an, indem heute unter dem
Diskussion zu Drogen immer vor dem
Suchtkonferenz
verschiedene
Titel „Problemaufriss“ aus Sicht der
aktuellen gesellschaftlichen Hinter-
Fragestellungen aufgeworfen. So zum
Erziehungshilfe konstatiert wird: „Seit
grund zu sehen ist, wie die Eingangs-
Beispiel Fragen zur Schnittstellenpro-
zirka zehn Jahren wird die Abschiebe-
zitate unterstrichen haben.
blematik und zur Klärung der Zustän-
praxis der Erziehungshilfe in immer
digkeit für Kinder und Jugendliche mit
spezialisierteren Einrichtungen indes
Hinzu kommt: So komplex die Lebens-
Abhängigkeiten.
kritisch gesehen – nicht nur in Bezug
lagen so differenziert die Antworten.
hat
auf Drogen konsumierende Jugendli-
Die drei gezeigten Bilder verdeutlichen,
Dazu die Fortführung des Eingangs-
che. Aufgrund der Leitideen „Lebens-
wie unterschiedlich Kinder ihre Le-
zitates:
weltorientierung“ und „Entspezialisie-
benswelt betrachten. Entstanden sind
„In der Auseinandersetzung um diesen
rung“ ist ein größeres Bemühen da,
sie im EREV (Evangelischer Erziehungs-
Fall wurde deutlich, dass keiner in der
sich konkret an ihren persönlichen
verband e.V.) Malwettbewerb „Die Welt
Einrichtung eine konstruktive Lösung die-
Bedürfnissen zu orientieren und auch
mit meinen Augen“. (s. Seite 31)
ses Problems sah. Aus Ohnmacht wurde
gezielter mit den Eltern zusammenzu-
dann schlicht der Rauswurf dieses Mäd-
arbeiten.“
Aufgrund dieser Unterschiede in der
Lebenswelt und den Wirklichkeiten
chens aus der Einrichtung gefordert. Wohin sie allerdings ‚geworfen’ werden soll-
Genau hier knüpfe ich mit meinem
von Kindern ist eine differenzierte
te, war unklar. Es blieb die ‚Freie Wild-
Referat an. Es kommt in den Erzie-
Bedarfserfassung, eine Problembeob-
bahn’ und damit Obdachlosigkeit, Krimi-
hungshilfen darauf an, die Kinder un-
achtung und -beschreibung sowie eine
nalisierung, eventuell Prostitution.“
abhängig von ihren Symptomen zu
Klärung erforderlich, die in die Ent-
17. NIEDERSÄCHSISCHE SUCHTKONFERENZ | Berichte zur Suchtkrankenhilfe 2007
VORTRÄGE
Malwettbewerb „Die Welt mit meinen Augen“
17. NIEDERSÄCHSISCHE SUCHTKONFERENZ | Berichte zur Suchtkrankenhilfe 2007
31
32
VORTRÄGE
wicklung adäquater Ziele im Hilfeplan
dreijährige Stefan nur unregelmäßig
ambulante Betreuung von Stefan
und in einer Maßnahmenplanung
den Kindergarten besuchte und dort
konnte einen Kontakt zu ihm herstel-
münden.
durch aggressives Verhalten auffiel.
len. Da die Mutter mit Stefan über-
Neben der Familienberatung wurde
haupt nicht mehr klar kam, sollte er in
Zu Beginn ein Beispiel von Stefan, an
die ambulante sozialpädagogische Fa-
eine Pflegefamilie gegeben werden
dem die Einflussfaktoren der biographi-
milienhilfe eingesetzt. Das Verhalten
und zwar zu Herrn F., der inzwischen
schen Entwicklung deutlich werden:
von Stefan änderte sich nicht. Als die
verheiratet war und in seiner Familie
Der Kontakt zum Jugendamt bestand
Mutter eine neue Partnerschaft mit
zwei Stiefkinder und ein leibliches
seit der Geburt von Stefan, da ihn die
Herrn F. einging, entstand zwischen
Kind erzog. Das enge Verhältnis von
Kindesmutter häufig allein ließ und
den beiden eine enge Bindung, fast
Herrn F. und Stefan belastete nun den
Nachbarn sich über Lärm beschwer-
als wären sie Vater und Sohn. Als
Umgang in dieser Familie sehr. Die
ten, der aus der Wohnung kam. Der
Stefan sechs war, trennte sich die
Ehefrau fühlte sich und ihre Kinder
Vater von Stefan ist unbekannt und
Mutter von Herrn F.. Die Verhaltens-
zurückgesetzt und benachteiligt. Sie
die Kindesmutter alleinerziehend mit
auffälligkeiten nahmen zu: Einnässen,
wandte sich an das Jugendamt, weil
damals Sozialhilfebezug. Der Kontakt
gelegentliches Einkoten, Streunen so-
sie das Pflegeverhältnis nicht fortset-
zur Familienhilfe kam über den Kin-
wie erste Diebstähle und Aggressionen
zen konnte.
dergarten zustande, da der damals
in der Familie und in der Schule. Die
17. NIEDERSÄCHSISCHE SUCHTKONFERENZ | Berichte zur Suchtkrankenhilfe 2007
VORTRÄGE
SOZIALÖKOLOGISCHES MODELL
MAKRO-EBENE
MESO-EBENE
MIKRO-EBENE
• Individualisierungsprozesse
• kommunale Einsparungen
• „ambulant vor stationär“ als Dogma
• Einflüsse Peer group
• negative Schulerfahrungen
Intrapersonale Einflüsse
• Misserfolgserfahrungen
• Sucht
• unzureichende Hilfeplanung
Interpersonale Einflüsse
• Verlust von Bezugspersonen
• Deprivationserfahrungen
• Familiensituation mit Brüchen
Sozial-situative Einflüsse
• schlechte Wohnbedingungen
• unzureichende finanzielle Mittel
Subjektive Einschätzung in Abhängigkeit von personalen/sozialen Resourcen
sinnhafte Tätigkeit / sozial-gesellschaftlich akzeptierte Fähigkeiten, die Identität stiften
Deviantes Verhalten
Stefan kam daraufhin im Alter von 12
An diesem Beispiel werden die Ein-
Jahren in eine stationäre Wohngrup-
flussfaktoren deutlich, von denen ich
pe. Weiterhin nässte und kotete er ein.
einige anhand des sozialökologischen
Schulschwierigkeiten und massive
Modells aufgreife (Abb. Sozialökolo-
Konflikte in der Gruppe mit Alkohol-
gisches Modell).
konsum und Cannabisgebrauch führten dazu, dass die Hilfe in der Wohngruppe beendet werden musste. Das
Jugendamt wandte sich an das Familiengericht, um eine geschlossene Unterbringung für Stefan durchzusetzen.
Die Kindesmutter willigte ein.
17. NIEDERSÄCHSISCHE SUCHTKONFERENZ | Berichte zur Suchtkrankenhilfe 2007
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34
VORTRÄGE
»Nicht gegen den Fehler, sondern für das Fehlende. Erst verstehen, dann erziehen.«
(Paul Moor) [2]
Da die gezeigten Einflüsse nicht als
Mutter und die beengte Wohnung in
ßen zuständig, die in der Nähe der
Säulen nebeneinander stehen, sind die
einem Satellitenstadtteil von Hannover
Dienststelle lagen. Das Büro befand
gegenseitigen Wechselwirkungen we-
ohne gewachsene Infrastruktur von
sich in einer Hochhauswohnung.
sentlich. Anhand Stefans Geschichte
Unterstützungssystemen wie zum
Wenn wir über den Markt gingen, sa-
wird dies besonders deutlich: erst die
Beispiel Kirchengemeinden, pädago-
hen wir die Treffpunkte der Jugend-
leibliche Mutter, dann der Lebensge-
gischem Mittagstisch oder ehrenamt-
lichen – zum Beispiel vor Edeka, wo
fährte, der Wechsel in die Pflegefamilie,
lichen Patenschaften.
sie nach der Schule (manchmal auch
stattdessen) standen und rauchten.
die Wohngruppe und die Peer-Group
mit Gewalttätigkeiten.
Erziehungshilfen können die Jugendli-
Ebenso hatten wir die Obdachlosen
chen unterstützen, einen Sinn zu fin-
im Blick, die keine Toilette hatten und
Der Gedanke des sozialökologischen
den (der gesellschaftlich akzeptiert ist).
an die Bäume auf dem Markt pinkel-
Modells knüpft an die Bundesfachta-
Hierzu können auch intensivpädago-
ten. Wie Peter Pantucek [1] formulierte,
gung des evangelischen Erziehungs-
gische Maßnahmen gehören. Zusätz-
war die Annäherung an die Kinder
verbands im Mai 2007 in Leipzig an.
lich kann die Lebenswelt mit ihren
und Jugendlichen möglich. Der Zu-
Im Mittelpunkt stand die Thematik
Ressourcen in den Blick genommen
gang zu den Wohnungen und in ihr
„Kinder erreichen! Eine Auseinander-
werden. Bei Stefan wäre so eine Res-
familiäres Leben war möglich durch
setzung mit den Lebenswelten von
source zum Beispiel der Tischler im
die Allgemeinzuständigkeit für Sozial-,
Kindern“.
Stadtteil, bei dem er hospitieren kann,
Wohnungs- und Jugendamt.
Wenn der Lebensweltbegriff nach die-
oder der Unterstand, der gemeinsam
sem Verständnis mit Leben gefüllt
gebaut wird, um einen anderen Treff-
Im Laufe der Jahre erfolgte die Spezia-
wird, muss eine Orientierung an der
punkt als die Bushaltestelle zu haben.
lisierung und damit Abkehr von der
Person und an der subjektiven Sicht-
Allgemeinzuständigkeit. Die Bezirke
weise erfolgen. Jedes Kind, jede/r
Es gilt, wie Alfred Schütz es genannt
waren nicht mehr fußläufig erreichbar
Jugendliche ist ein Experte für seine
hat, die Frage zu beantworten: Wie
– mit dem Auto sieht man nun mal
Lebenswelt. Sie haben das Wissen um
kann unter den Lebensbedingungen
nicht, was hinter der Kirche passiert.
Erfolge und Misserfolge, Gefühle, Er-
ein gelingender Alltag zustande kom-
Das Wissen um die Lebenswelten
fahrungen und Lebensschwierigkei-
men? Die Konzentration auf den All-
ging zurück und die Zugänge zu den
ten. Sie müssen mit diesen Rahmen-
tag legt pragmatische Lösungen nahe.
Alltäglichkeiten waren nicht mehr ge-
bedingungen klar kommen, das Leben
Diese Alltagsorientierung ist verknüpft
geben, weil wir nur noch für die Erzie-
gestalten und handeln. Die Rahmen-
mit der Lebensweltorientierung.
hungshilfe zuständig waren. Der All-
bedingungen können wie bei Stefan
Erlauben Sie mir in diesem Zusam-
tag der Familien wurde bestimmt
anders aussehen, als wir uns das
menhang einen kleinen Exkurs in
durch Arbeitslosigkeit, Wohnungsnot
wünschen: Die Mutter, die nicht nach
meine Zeit bei der Familienhilfe, die
und zum Teil Perspektivlosigkeit. Die
Hause kommt, das Gefühl, Verantwor-
im Laufe der Jahre in Bezirkssozialar-
Unterstützungsmöglichkeiten waren
tung für die Familie zu haben und
beit, Allgemeiner Sozialdienst und
nun eingeschränkt, weil die konkreten
doch ohnmächtig zu sein, die wirt-
Kommunaler Sozialdienst umbenannt
materiellen Hilfen nicht mehr zum
schaftlich angespannte Situation der
wurde. Am Anfang waren wir für Stra-
Aufgabenbereich des Kommunalen
17. NIEDERSÄCHSISCHE SUCHTKONFERENZ | Berichte zur Suchtkrankenhilfe 2007
VORTRÄGE
Sozialdienstes gehören. In diesem Zu-
ben hinzunehmen sowie die Hilfen
hänge zwischen Ursache und Wirkung
sammenhang ist es meiner Meinung
nicht einfach pragmatisch zuzuordnen
herstellen zu können, irrt.
nach unverständlich, warum beste-
und schließlich zu dem Ergebnis zu
hende Regelstrukturen zerschlagen
kommen, dass mit Sozialpädagogi-
„Nicht gegen den Fehler, sondern für das
werden und die Nutzung von vorhan-
scher Familienhilfe (SPFH), Einzelbe-
Fehlende. Erst verstehen, dann erziehen.“
denen Ressourcen in den Lebenswel-
treuung und Wohngruppe alles getan
(Paul Moor) [2]
ten der Kinder und Jugendlichen nur
ist.
unzureichend erfolgt. Stattdessen
Der 1977 verstorbene Schweizer Päda-
wird nun versucht, die notwendige
Um einen Zugang zu Stefan zu finden,
goge Paul Moor geht nicht vom augen-
Nähe zu den Familien mühsam in Mo-
der nicht über seinen Alltag definiert
fälligen Fehler, sondern von den Stär-
dellprojekten herzustellen. Das System
wird und durch die Lebenswelt mit
ken des Klienten aus. Wie in der heil-
der Polizei hat die Bedeutung der
ihren Einflüssen wie Freunde und
pädagogischen Behandlung werden
Kontaktbeamten erkannt, die nun
Drogen blockiert ist, kann die indivi-
Kinder, Jugendliche und Familien un-
wieder zu Fuß oder mit dem Fahrrad
duelle Hilfeplanung und Kooperation
terstützt, diese Fähigkeiten in sich zu
unterwegs sind. Soziale Arbeit muss
zwischen Jugend- und Drogenhilfe
entdecken und zu nutzen.
diese Nähe herstellen, um helfen zu
den Weg ebnen, um eine sinnhafte
Diese Erziehung setzt eine Beziehung
können. So forderte der Deutsche
Gestaltung seines Lebens voranzu-
voraus, in der der Klient vorbehaltlos
Verein anlässlich der Jugendminister-
bringen.
angenommen und in seiner Einzigar-
konferenz am 1. Juni 2007: Nur wenn
tigkeit akzeptiert und verstanden
ein niedrigschwelliges und differen-
So banal das klingt, so schwieriger ist
wird.
ziertes Netz von frühen Hilfen besteht,
es zu akzeptieren, dass es keine Pa-
Moor hat diese heilpädagogischen
kann es gelingen, den Schutz von Kin-
tentrezepte im Umgang mit Drogen-
Grundsätze nicht nur theoretisch ent-
dern nachhaltig zu verbessern. Einzel-
problematiken geben kann und ge-
wickelt, sondern auch in Fürstenwalde
ne Leuchttürme reichen hierfür nicht
ben wird.
praktisch gelebt. Er leitete ein, wie es
aus.
damals hieß, Kinderheim mit psycho-
Doch zurück auf die Alltagsorientie-
Das Sozialökologische Modell hat es
pathischen Knaben und Mädchen.
rung von Alfred Schütz. Ich meine,
verdeutlicht. Die Komplexität der Le-
Lassen Sie mich die Aussagekraft des
dass wir in den Erziehungshilfen über
benswelten erfordert individuelle Er-
oben genannten Zitats mit einem Ar-
den pragmatischen Blick auf den All-
ziehung und vor allen Dingen verläss-
tikel von Cordula Zywicki [3] verdeutli-
tag hinausgehen müssen. Es geht um
liche Pädagoginnen und Pädagogen.
chen, der in der Evangelischen Jugend-
das Recht auf Förderung der Entwick-
Lassen sie mich in diesem Zusam-
hilfe veröffentlicht wurde.
lung und auf Erziehung zu einer eigen-
menhang einen Seitenblick auf die
Unter dem Titel „Wollen Sie nicht oder
verantwortlichen und gemeinschafts-
Thematik der Wirkungsorientierung
können Sie nicht anders?“ geht sie auf
fähigen Persönlichkeit. Das bedeutet
werfen. Erziehung wird, wie unser
die Traumaforschung und die Mög-
eben für das Beispiel Stefan, sich nicht
Vorsitzender Herr Knorr es ausge-
lichkeiten der Pädagogik ein. Zu Be-
ausschließlich an den Lebensumstän-
drückt hat, ein Mysterium bleiben. Der
ginn zeichnet sie diese Kurzportraits
den zu orientieren und sie als gege-
Glaube, monokausale Zusammen-
von Kindern:
17. NIEDERSÄCHSISCHE SUCHTKONFERENZ | Berichte zur Suchtkrankenhilfe 2007
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36
VORTRÄGE
Julia ritzt.
Christiane quält andere Kinder.
Jana macht den Erzieher an und mischt die Gruppe auf.
Sonja rastet aus.
Melanie leidet unter Albträumen und Schlafstörungen.
Daniela wäscht sich nicht.
Tanja vermüllt ihr Zimmer.
Tina will nach Hause, obwohl dort die Hölle los ist.
Janine säuft und kifft.
Wollen diese Kinder nicht oder kön-
Denise hortet Lebensmittel in ihrem Zimmer.
nen sie nicht anders? Die Antwort gibt
Martina haut ständig ab.
Cordula Zywicki anhand der vollständigen Portraitierung der Kinder.
Julia ritzt.
Sie kann sich manchmal nicht spüren. Das war mal sinnvoll, aber es macht auch Angst.
Christiane quält andere Kinder.
In einer Welt, wo es nur Prügelnde und Geprügelte gibt, ist es schlau, auf der Seite der Täter zu stehen.
Jana macht den Erzieher an und mischt die Gruppe auf.
Es ist gut, die Kontrolle zu behalten. In Sachen Missbrauch und Gewalteskalationen ist sie als Opfer Fachfrau.
Sonja rastet aus.
Sonja rastet aus, wenn man zu laut mit ihr spricht. So fing es ja auch früher an, bevor ihr Vater ihre Mutter
bis zur Bewusstlosigkeit schlug.
Melanie leidet unter Albträumen und Schlafstörungen.
Nachts kommen die Bilder und außerdem ist es schlau, mitzukriegen, wenn jemand kommt.
Daniela wäscht sich nicht.
Daniela hasst ihren Körper und außerdem kriegt sie so komische Angst, wenn sie sich berührt.
Tina will nach Hause, obwohl dort die Hölle los ist.
Sie will ihre Geschwister und ihre Mutter schützen. Außerdem: Vielleicht hat sich ihr Stiefvater geändert,
dann würde sie ihm alle Jahre der Gewalt verzeihen und könnte auch noch eine normale Kindheit haben.
Janine säuft und kifft,
damit die Bilder und schlechten Gefühle weggehen.
Denise hortet Lebensmittel in ihrem Zimmer.
Es ist schlau zu hamstern, wenn man nicht weiß, ob es die nächsten Tage etwas zu Essen gibt.
17. NIEDERSÄCHSISCHE SUCHTKONFERENZ | Berichte zur Suchtkrankenhilfe 2007
VORTRÄGE
Sie haben hier in komprimiertester
ter und zweiter Stelle stehen das Ver-
Mikroebene
Form Beispiele für das Verstehen von
stehen und das Halt-geben. Ange-
• rechtzeitige Unterstützung –
Kindern. Paul Moors erster heilpäda-
sichts der Vielzahl unterschiedlicher
gogischer Grundsatz heißt: „Erst ver-
Lebenswelten und Sichtweisen kön-
stehen – dann erziehen“. Junge Men-
nen zum Beispiel freiheitsentziehende
als Dogma anwenden
schen müssen jedoch häufig genau
Maßnahmen und intensivpädagogi-
• Kontinuität der Hilfen
das Gegenteil erfahren: Erst kommt
sche Hilfen im Einzelfall die adäquaten
• Erst verstehen, dann erziehen!
die Erziehung, dann das Verstehen.
Methoden und der Lebenssituation
Wenn die Fremdunterbringung in ei-
des jungen Menschen angemessen
„Dem zu Erziehenden das Erlebnis zu
ner Einrichtung über Tag und Nacht
sein.
geben, ich sorge für Dich und ich sor-
oder in einer intensivpädagogischen
Analog zum sozialökologischen Mo-
ge mich um Dich. Sich um einen Men-
Maßnahme das Ergebnis einer Kon-
dell hier auszugsweise Gesichtspunkte
schen Sorge machen, ist die erste Vor-
fliktentladung oder mindestens eines
zum Erreichen von jungen Menschen:
aussetzung, die uns die Berechtigung
frühzeitige Intervention
• ambulante Erziehungshilfen nicht
gibt, zu erziehen.“
Konfliktmanagements ist, wird es umso wichtiger, dass sich diese Erfah-
Makroebene
Ich denke dieser Satz, den Schwester
rung nicht wiederholt und wiederholt
• Förderung einer suchtmittelfreien
Ingeborg Prigge vor 40 Jahren in einer
und wiederholt. Das wichtigste Erziehungsziel ist die Vermittlung des Ge-
Schrift des EREV veröffentlicht hat,
Entwicklung
• Umdenken, d.h. z.B. das Gefähr-
passt abschließend zu dem gestellten
fühls, angenommen und verstanden
dungspotential von Cannabis- und
Referatstitel: „Kinder- und Jugendli-
zu sein – nicht das Erzielen eines be-
Mischkonsum hervorheben
che erreichen.“
stimmten Verhaltens oder das Erreichen eines Schulbesuchs etc..
Die JULE-Studie (Studie zu Leistungen
(Stw. Sensitisierung)
• Hilfen für seelisch Behinderte,
SGB VIII
und Wirkungen der Jugendhilfe des
• Hilfen für junge Volljährige, SGB VIII
Evangelischen Erziehungsverbandes)
• durchlässige Finanzierungsformen
hat gezeigt, dass die Wahrscheinlich-
für die Jugend- und Drogenhilfe
keit für ein gelingendes Leben nach
[1] Pantucek, Peter: Lebensweltbezogene Methoden
in der Kinder- und Jugendarbeit als Handlungsorien-
dem Ende der Erziehungshilfe im Ver-
Mesoebene
tierung und -anleitung in: „Handbuch Methoden
hältnis von 1:5 steigt, wenn es nicht
• nachbarschaftliche Unterstützungs-
der Kinder- und Jugendarbeit“, Hrsg. von Karl-Heinz
mehr als drei Stationen in der Erziehungshilfe gegeben hat.
systeme: Hinschauen statt Umwege
• Kooperation der Helfersysteme:
Braun, Bernd Dobesberger, Konstanze Wetzel u.a.,
LIT-Verlag, Münster/Wien, 2005
Hier kann ich die Frage „Wie werden
Jugendhilfe, Schule, Justiz,
[2] Moor, Paul: Heilpädagogik. Ein pädagogisches
Kinder und Jugendliche mit Drogen-
Psychiatrie, Medizin, Drogenhilfe
Lehrbuch. Huber, Bern [u.a.], 1974
problemen erreicht?“ zusammenfas-
• soziale Bindungen
[3] Zywicki, Cordula: Wollen sie nicht oder können
send beantworten: Die Methoden
• unentgeltlicher Zugang zu
sie nicht anders. In: Zeitschrift Evangelische Jugend-
kommen erst an dritter Stelle. An ers-
Beratungsstellen
hilfe, 1/2006, S. 57–61
17. NIEDERSÄCHSISCHE SUCHTKONFERENZ | Berichte zur Suchtkrankenhilfe 2007
37
38
VORTRÄGE
DORIS FREUDENSTEIN, RAINER SCHUBERT
Alkoholkonsum in 10. Klassen in Braunschweig
Im Herbst 2006 wurden 554 Schüle-
Braunschweiger Werte unterscheiden
• Deutlich mehr Jungen (32,2%)
rinnen und Schüler (20% Stichprobe)
sich nur unwesentlich: 40,6% trinken
als Mädchen (15,4%) haben
aus den 10. Klassen aller Braun-
regelmäßig mit 15 Jahren! England
einen riskanten Alkoholkonsum
schweiger Schulformen zu ihrem Alko-
nahm den Spitzenplatz mit dem
(= 5 oder mehr Getränke an
holkonsum befragt. Beteiligt waren
höchsten Wert von 52% ein.
einem Nachmittag oder Abend).
Hauptschulen, Realschulen, Gymnasien, integrierte Gesamtschulen, FörDas heißt: Jeder dritte Junge und
derschulen und Berufsschulen (Berufsvorbereitungsjahr-Klassen). Die Stich-
Zusammenfassung
rigen und 16-jährigen Jugendlichen.
• Mädchen trinken seltener regelmä-
Die Befragung erfolgte anonym mit-
ßig (d.h. jede Woche oder häufiger)
hilfe eines vierseitigen Fragebogens in
Alkohol als Jungen (Mädchen 38%;
den Schulen durch Mitglieder des Ar-
Jungen 53%), was immerhin einen
beitskreises Suchtprävention. Es wur-
Unterschied von 15% ausmacht.
de darauf geachtet, dass die Schülerinnen und Schüler ihre Bögen eigen-
• Bier wird am häufigsten getrunken,
ständig und anonym ausfüllen konn-
gefolgt von anderen alkoholischen
ten. Die Teilnahme war ausdrücklich
Getränken (z.B. eigene Mixgeträn-
freiwillig. Der Rücklauf betrug 100%.
ke). Jungen trinken mehr Bier als
Der Fragebogen animierte in vielen
Mädchen. Süße Mixgetränke sind
Fällen zu einer weitergehenden Aus-
bei Mädchen beliebter.
einandersetzung mit dem Thema im
Nachgang zur Befragung.
• Jedes 10. Mädchen (10,5%) und
jeder 6. Junge (16,5%) besuchen
Eine Studie von Dr. Settertobulte
1 mal bis mehrmals die Woche
(Health behaviour in school-aged
private Partys, wobei regelmäßig
children, 2002) weist Deutschland in
Alkohol konsumiert wird (90%).
Bezug auf regelmäßigen Alkoholkonsum bei 15-Jährigen im europäischen
jedes sechste Mädchen praktiziert
Rauschtrinken mindestens einmal
probe besteht je zur Hälfte aus 15-jäh-
• Typische Anlässe für Alkohol:
Vergleich (24 Länder) den 4. Rang zu.
Geburtstagsfeiern, Diskobesuche,
Demnach konsumieren 39,3% der
Freunde treffen sowie Familien-
15-jährigen Jungen und Mädchen in
feiern, aber auch „Abhängen“
Deutschland regelmäßig Alkohol; die
(noch 41%).
17. NIEDERSÄCHSISCHE SUCHTKONFERENZ | Berichte zur Suchtkrankenhilfe 2007
in der Woche.
VORTRÄGE
ABB. 1: AUSWIRKUNGEN DER SCHULLEISTUNGEN FÜR DIE LEBENSZUFRIEDENHEIT
Alkoholkonsum in den 10. Klassen
Zusammenhang von Schulleistung,
– 20% Stichprobe an allen Schulformen (N=554)
Lebenszufriedenheit und
Alkoholkonsum
(Hauptschule, Realschule, Gymnasium, Förderschule, IGS, Berufsschule BVJ)
– Anonyme Befragung durch Teilnehmende des Ak Suchtprävention
Die Abbildung 1 zeigt den Zusam-
– 100% Rücklauf
menhang zwischen LebenszufriedenLebenszufriedenheit
heit und Schulleistungen. Demnach
2,5
sind mit ihren Schulleistungen eher
2
zufriedene Schülerinnen und Schüler
auch eher mit ihrem Leben insgesamt
1,5
1,39
1
1,67
1,99
zufrieden. Daraus lässt sich vorsichtig
2,41
verallgemeinern, dass Schulerfolg einen nicht zu unterschätzenden Ein-
0,5
fluss auf die Lebenszufriedenheit ins-
0
zufrieden
eher zufrieden
eher unzufrieden
unzufrieden
gesamt und auch Auswirkungen auf
die Menge und die Häufigkeit von Al-
Ich bin mit meinen Schulleistungen …
koholkonsum hat (s. Abb. 1 und 9).
Die Auswirkungen der Schulleistungen für die Lebenszufriedenheit
(Mittelwerte) 1 = zufrieden bis 4 = unzufrieden
ABB. 2: DAS ERSTE MAL GERAUCHT, GETRUNKEN, BETRUNKEN …
Alkoholkonsum nach Alter
(alle Schüler der 10. Klasse)
Mädchen (13,6 Jahre) und Jungen
(13,4 Jahre) sind beim ersten Alkohol-
Alter in Jahren
konsum nahezu gleich alt. Die erste
Trunkenheitserfahrung liegt bei beiden
14
Geschlechtern exakt acht Monate später (14,4 und 14,2 Jahre) (s. Abb. 2).
13
13,1
13,6
14,4
13,1
13,4
14,2
Wenn nur 8 Monate zwischen erstem
Konsum und ersten Missbrauchserfahrungen (betrunken) liegen, sollte die
12
Erhöhung des Einstiegsalters ein Ziel
von Präventionsmaßnahmen sein.
Die Bundeszentrale für gesundheitli-
11
che Aufklärung empfiehlt einen völligen Alkoholverzicht bis zum 16. Lebensjahr, da das Zellgift Alkohol für im
10
Raucherquote:
42,2%
Raucherquote:
43,8%
Wachstum befindliche Körper (insbesondere
das
Gehirn)
besonders
schädlich ist.
geraucht
Alkohol getrunken
betrunken
Auch steigt die Suchtgefahr je jünger
Alkohol regelmäßig konsumiert wird.
17. NIEDERSÄCHSISCHE SUCHTKONFERENZ | Berichte zur Suchtkrankenhilfe 2007
39
40
VORTRÄGE
ABB. 3: REGELMÄßIGER ALKOHOLKONSUM NACH ALTERSGRUPPEN
100 %
3,8
3,9
(N=554)
90 %
Die Abbildung 3 zeigt die prozentuale
Verteilung regelmäßigen Alkoholkon-
80 %
55,6
70 %
sums nach den beiden Alterstufen 15
45,6
und 16 Jahre. Der Unterschied von ei-
60 %
nem Jahr im Alter beträgt 10%.
50 %
Während das Einstiegsalter bei 13,5
40 %
40,6
30 %
Jahren liegt, konsumieren 50% der
50,6
16-Jährigen bereits jede Woche und
20 %
häufiger Alkohol!
10 %
Der Anteil nie Alkohol konsumieren-
0%
der Jugendlicher bleibt in beiden Al15 Jahre
16 Jahre
tersstufen gleich. Nur 1 bis 2 Schüler
Alkohol
bzw. Schülerinnen pro Klasse trinken
demnach nie (3,8% bzw. 3,9%)!
jede Woche oder häufiger
mehrmals im Monat oder seltener
nie
ABB. 4: REGELMÄßIGER ALKOHOLKONSUM NACH GESCHLECHT
100 %
5,4
2,4
56,4
44,4
(N=553)
Alkoholkonsum nach Geschlecht
90 %
80 %
70 %
Mädchen (38%) trinken seltener regelmäßig (jede Woche und häufiger)
60 %
als Jungen (53%); der Unterschied
50 %
zwischen den Geschlechtern beträgt
40 %
38,2
30 %
53,2
15%. Auch bei den Abstinenten gibt
es deutliche Geschlechtsunterschiede
20 %
(Mädchen 5,4% und Jungen 2,4%).
10 %
Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund trinken weniger häu-
0%
Mädchen
Jungen
fig regelmäßig Alkohol (42%) als jene
ohne Migrationshintergrund (47,3%)
Alkohol
(s. Abb. 4).
jede Woche oder häufiger
mehrmals im Monat oder seltener
Geringer Unterschied:
ohne Migrationshintergrund: 47,3 %
mit Migrationshintergrund: 42,0 %
nie
17. NIEDERSÄCHSISCHE SUCHTKONFERENZ | Berichte zur Suchtkrankenhilfe 2007
VORTRÄGE
ABB. 5: ANSTRENGUNGSBEREITSCHAFT: ANTEIL DER JUNGEN UND MÄDCHEN, DIE REGELMÄßIG ALKOHOL KONSUMIEREN differenziert nach Anstrengungsbereitschaft* (gesamt = 538)
70,0
60,0
50,0
40,0
30,0
24,3
20,0
38,1
29,1
51,9
54,5
36,2
53,8
55,3
58,5
66,7
10,0
0,0
Anzahl zutreffender Kriterien
4
3
2
1
0
* Index aus: Sportverein, Gesundheitsengagement, Schulleistungsbereitschaft, Belastungsempfindung Schule
„Anstrengungsbereitschaft“
Dieser summatorische Index legt fol-
und Alkoholkonsum
gende Aussage nahe: Jugendliche
Mädchen und Jungen, die ….
Mit der Frage nach der „Anstrengungsbereitschaft“ wurde der Versuch unter-
• in einem Sportverein Mitglied sind,
nommen, mehrere Variablen zusam-
• sehr auf die eigene Gesundheit ach-
menzufassen (Mitglied in einem Sportverein, Bedeutung der eigenen Gesundheit, Zufriedenheit mit den eigenen Schulleistungen, Belastung durch
Schule), um unter dem Stichwort „An-
ten,
• zufrieden mit den Schulleistungen
sind,
• Schule nicht als Belastung empfinden,
strengungsbereitschaft“ eine Korrelation zum Alkoholkonsum herzustellen
trinken zu 30% seltener regelmäßig
(s. Abb. 5).
Alkohol als Jugendliche für die keine
der Aussagen zutreffen!
17. NIEDERSÄCHSISCHE SUCHTKONFERENZ | Berichte zur Suchtkrankenhilfe 2007
41
VORTRÄGE
ABB. 6: REGELMÄßIG* KONSUMIERTE ALKOHOLIKA DER 15- UND 16-JÄHRIGEN
* regelmäßig = einmal pro Woche oder öfter
15 Jahre
16 Jahre
60
Bier
Schnaps/Likör
30
20
41,9
24,8
51,5
25,9
10
Alkopops
40
Andere alkoholische Getränke
= eigene Mixgetränke
50
Wein/Sekt
42
0
Mädchen 15 J.
Bier
Wein/Sekt
Jungen 15 J.
Schnaps/Likör
Mädchen 16 J.
Alkopops
Jungen 16 J.
Andere alkoholische Getränke
= eigene Mixgetränke
Riskanter Alkoholkonsum
und Rauscherfahrungen
Bier wird von den Jugendlichen am
häufigsten getrunken, gefolgt von anderen alkoholischen Getränken (worunter meist selbst gemixte Getränke
aus Hochprozentigem und Limonaden
zu verstehen sind). Jungen bevorzugen deutlich das Bier, während bei
Mädchen süße Mixgetränke beliebter
sind. Jungen liegen auch beim Schnaps
deutlich vor den Mädchen. Deutlich
wird der Anstieg des Konsums insgesamt zwischen dem 15. und dem 16.
Lebensjahr. Wein und Sekt spielen in
dieser Altersgruppe eine eher untergeordnete Rolle (s. Abb. 6).
17. NIEDERSÄCHSISCHE SUCHTKONFERENZ | Berichte zur Suchtkrankenhilfe 2007
VORTRÄGE
ABB. 7: RAUSCHERFAHRUNGEN VON 15-JÄHRIGEN
ABB. 8: RISKANTER ALKOHOLKONSUM
JUGENDLICHEN
Wie oft trinkst du 5 oder mehr alkoholische
Getränke an einem Nachmittag oder Abend?
Antwort: Wöchentlich oder öfter!
35 %
100 %
90 %
30 %
43,6
80 %
46,2
34,4
44,3
25 %
70 %
60 %
20 %
50 %
40 %
38,5
30 %
39,3
45,0
15 %
40,9
15,4
20 %
32,2
23,8
10 %
10 %
Mädchen in BS Jungen in BS
Mädchen in D
Jungen in D
5%
0%
nie
einmal
2-3mal und öfter
Quelle Deutschland: Health behaviour in school-aged children / HBSC 2002,
Jugendliche mit Migrationshintergrund: 19,3%
Jugendliche ohne Migrationshintergrund: 25,3%
Dr. Settertobulte
43,6% der Mädchen sowie 46,2% der
erfragen. Beim Konsum von 5 alkoho-
Werden die Daten auf alle 15- und 16-
Jungen hatten mit 15 Jahren bereits
lischen Getränken – egal welcher Sor-
jährigen Schülerinnen und Schüler in
öfter einen Alkoholrausch. Das ist fast
te – wird auf jeden Fall eine Menge
Braunschweig hochgerechnet, ist von
jede/r zweite 15-Jährige! Mindestens
erreicht, die körperlich schädigend ist
etwa 210 Mädchen und 445 Jungen
einmal betrunken waren 83,8% der
und die das Risiko einer Suchterkran-
in den 10. Klassen auszugehen.
15-jährigen Schülerinnen und Schüler
kung deutlich erhöht. Im Englischen
in Braunschweig. Starke Abweichungen
spricht man ab dieser Alkoholmenge
Bei dieser Gruppe Jugendlicher mit
ergeben sich hier bei den Mädchen
(5 Getränke) von „binge drinking“,
riskantem Alkoholkonsum (5 Getränke
der Braunschweiger Studie: 43,6%
was man ungefähr mit „Rauschtrin-
pro Abend) liegt das Einstiegsalter mit
waren öfter betrunken, während es
ken“ übersetzen kann.
12,96 Jahren ein halbes Jahr vor dem
des durchschnittlichen Einstiegsalters
bei der deutschlandweiten Studie
(Dr. Settertobulte) im Jahr 2002 nur
Die Abbildung 8 zeigt, dass jedes 6.
(13,5 Jahre). Hingegen sind Jugend-
34,4% waren (s. Abb. 7).
Mädchen (15,4%) und jeder 3. Junge
liche, die niemals 5 Getränke pro
(32,2%) in der 10. Klasse wöchentlich
Abend zu sich nehmen, ein halbes
und öfter Rauschtrinken praktiziert!
Jahr später als der Durchschnitt, erst
Mit der Frage „Wie oft trinkst du 5
mit 14,02 Jahren, eingestiegen.
oder mehr alkoholische Getränke an
einem Abend oder Nachmittag?“
Diese Gruppe von Schülerinnen und
wurde versucht, missbräuchlichen
Schülern muss als sehr gefährdet an-
und schädlichen Alkoholkonsum zu
gesehen werden.
17. NIEDERSÄCHSISCHE SUCHTKONFERENZ | Berichte zur Suchtkrankenhilfe 2007
43
44
VORTRÄGE
ABB. 9: UNZUFRIEDENHEIT MIT DEN EIGENEN SCHULLEISTUNGEN
IN ABHÄNGIGKEIT VON TRINKMENGE UND HÄUFIGKEIT
Wie zufrieden bist Du mit den eigenen Schulleistungen?
Jugendliche mit riskantem Alkoholkonsum
Unzufriedenheit
mit Schulleistung
in %
50 %
40 %
30 %
47,0
36,8
30,1
20 %
10 %
0%
wöchentlich
oder öfter
mehrmals im Monat
oder weniger
Nie
Riskanter Alkoholkonsum
Lebenszufriedenheit und
Einfluss von Rauchen und
Auffällig ist, dass von den Jugendli-
riskanter Alkoholkonsum
Konsum anderer Rauschmittel
chen, die niemals 5 Getränke Alkohol
Jugendliche mit riskantem Alkohol-
Jugendliche mit riskantem Alkohol-
nabis in dieser Häufigkeit geraucht
konsum sind nicht unzufriedener mit
konsum rauchen deutlich häufiger re-
haben (s. Abb.11).
ihrem Leben.
gelmäßig oder gelegentlich (70,5%).
Sie geben aber häufiger an, aus Stress
Das heißt, nur ein Drittel der Jugend-
Fazit: Von den Jugendlichen, die ris-
zu trinken. Jede/r Zweite ist unzufrie-
lichen mit riskantem Konsum ist
kant Alkohol konsumieren, rauchen 2
den mit ihren bzw. seinen Schulleis-
Nichtraucher! Der Anteil an regelmä-
Drittel Zigaretten und fast die Hälfte
tungen (47%). Von denen, die niemals
ßig und gelegentlich Rauchenden
hat mehrfach bis regelmäßig Canna-
5 alkoholische Getränke an einem
liegt im Gesamtdurchschnitt bei 43,2%
bis genommen!
Abend trinken, sind 30% unzufrieden
(s. Abb. 10).
mit ihren Schulleistungen (s. Abb. 9).
Ebenso ist eine Korrelation zwischen
Ein Zusammenhang zwischen der Mit-
riskantem Alkoholkonsum und Kon-
gliedschaft in einem Sportverein und
sum von Cannabis festzustellen: Von
riskantem Alkoholkonsum konnte nicht
den Alkohol-Risikokonsumierenden
festgestellt werden.
haben 44,2% in ihrem Leben 3 bis 40
am Stück konsumieren, nur 2% Can-
mal Cannabis genommen.
17. NIEDERSÄCHSISCHE SUCHTKONFERENZ | Berichte zur Suchtkrankenhilfe 2007
VORTRÄGE
ABB. 10: RAUCHEN IN ABHÄNGIGKEIT VON RISKANTEM
ABB. 11: CANNABISKONSUM UND RISKANTER
ALKOHOLKONSUM (5 GETRÄNKE)
ALKOHOLKONSUM
Rauchst Du?
Hast Du jemals Marihuana, Haschisch oder Cannabis
genommen?
Hoher Cannabis-Konsum = 3 bis 40 mal (im gesamten Leben)
in Abhängigkeit von Trinkmenge (5 Gläser) und Häufigkeit
Raucher
in %
75,8 %
Cannabis in %
50 %
60,6 %
40 %
45,5 %
30 %
70,5
44,2
30,3 %
20 %
29,5
12,5
15,2 %
10 %
2,0
0%
regelmäßig/
gelegentlich
0%
gar nicht
mehrmals im
Monat oder öfter
wöchentlich
oder öfter
Riskanter Alkoholkonsum
Nie
Riskanter Alkoholkonsum
ABB. 12: ZUSAMMENHANG ALKOHOLKONSUM UND PARTYBESUCH
The show must go on …
Ich bin mehrmals die Woche oder täglich auf Party (N=541)
Regelmäßiger Alkoholkonsum
der regelmäßigen Partygänger (N=74)
100
18
90
16
16,5
80
14
70
12
60
10
88,9
91,5
Mädchen
Jungen
50
10,5
8
40
6
30
4
20
2
10
0
0
Mädchen
Jungen
17. NIEDERSÄCHSISCHE SUCHTKONFERENZ | Berichte zur Suchtkrankenhilfe 2007
45
VORTRÄGE
ABB. 13: KANNST DU DIR
EINE PARTY OHNE ALKOHOL
VORSTELLEN? (N=550)
ABB. 14: ANLÄSSE ZUM ALKOHOLTRINKEN (N=2205) (Mehrfachantworten)
80,0
79,9
70,0
100 %
90 %
63,2
80 %
79,8
60,0
56,4
beim Treffen mit Freunden
50,0
60 %
56,1
am Wochenende
57,5
70 %
52,1
50 %
40,0
41,8
40 %
30 %
30,0
36,8
20 %
20,2
10 %
20,0
0%
6,9
7,2
8,3
10,7
im Verein
Geburtstagsfeier
in der Disko
Familienfeier
Chillen / Abhängen
0,0
Sonstiges
eher nicht
14,1
10,0
in der Woche
Jungen
bei jedem Anlass
Mädchen
sportl. Aktivitäten
46
Die Liste der Antworten auf die Frage
Positiv bewerten wir, dass nur 6,9%
„Bei welchem Anlass trinkst Du Alko-
sportliche Aktivitäten als Anlass zum
Jedes 10. Mädchen (10,5%) und jeder
hol?“ wird unangefochten angeführt
Trinken sehen.
6. Junge (16,5%) geht mehrmals wö-
von der Situation „Geburtstagsfeier“,
Jeder 14. Jugendliche (7,2%) trinkt bei
chentlich bis täglich auf Party. Wie er-
gefolgt mit einem 20-prozentigem
jedem Anlass!
wartet, wird in diesem Kontext viel
Abstand von „in der Disko“, „beim
Alkohol getrunken: Rund 90% der
Treffen mit Freunden“ und „am Wo-
Partygänger konsumieren regelmäßig
chenende“ (s. Abb. 14).
Anlässe für das Trinken
(s. Abb. 12).
Jedes 3. Mädchen und jeder 5. Junge
Diskussionswürdig bleibt der Punkt
kann sich eine Party ohne Alkohol
„Chillen/Abhängen“, der mit 41,8%
vorstellen. Das Gros der Befragten
Häufigkeit genannt wird. Im Gespräch
kann dies jedoch nicht (63,2% der
mit zahlreichen Jugendlichen wurde
Mädchen und 79,8% der Jungen) (s.
deutlich, dass es sich hierbei vorran-
Abb. 13).
gig um eine Situation handelt, die
man mit Freunden verlebt, die „Chillen“ aber auch „Nichtstun ganz für
sich allein“ bedeuten kann.
17. NIEDERSÄCHSISCHE SUCHTKONFERENZ | Berichte zur Suchtkrankenhilfe 2007
VORTRÄGE
ABB. 15: GRÜNDE FÜR DAS TRINKEN (N=1277)
ABB. 16: GRÜNDE WENIGER ZU TRINKEN … (N=1101)
(Mehrfachantworten)
(Mehrfachantworten)
60 %
70 %
65,4
59
50 %
60 %
45,4
39,5
40 %
50 %
29,3
40 %
10 %
30 %
8,2
13,3
22,4
27,8
27,8
28,5
Filmriss
20 %
Verteuerung
33,7
21,5
Peinlichkeit / Erlebnisse
mit Alkohol
30 %
23,5
20 %
5,5
10,2
0%
nach Alkoholvergiftung
wenn Freunde mich
auf Konsum ansprechen
schlechte schulische Leistungen
s §, s ffig, saftig = Dank Alkopops und Biermischungen etc.
schlechte sportl. Leistung
0%
wenn meine Freunde aufhören
es schmeckt
macht locker
ist lustig
gehört zum Weggehen
denke darüber nicht nach
fühle mich gut
wegen Stress
weil es viele machen
10 %
fach nicht darüber nach. 13,3% fühlen
ihr Trinkverhalten ändern würden. Be-
sich dadurch gut. 8,2% tun es wegen
kannt ist, dass das Trinkverhalten der
„Ich trinke Alkohol, weil er schmeckt“,
Stress. Nur 5,5% tun es, weil es viele
Freunde einen großen Einfluss auf das
sagen 59% der Jugendlichen und
machen. Hier haben wir unsere Zwei-
eigene Verhalten hat. Für ein Viertel
bringen damit zum Ausdruck, dass
fel. Vermutlich ist schon die Fragestel-
der Befragten sind die Antwortmög-
Alkohol, insbesondere durch gekaufte
lung so, dass eine Aussage selbst bei
lichkeiten „schlechte sportliche Leis-
oder selbstgemischte Alkopops und
Anonymität nicht ohne Gesichtsver-
tung“ und „wenn Freunde mich auf
andere Mischgetränke, durchaus zu
lust angekreuzt werden darf.
meinen Konsum ansprechen“ von Be-
Gründe für das Trinken
deutung (s. Abb. 16).
einem Genussfaktor geworden ist (s.
Abb. 15). Hier haben die industriellen
Nach einer Alkoholvergiftung würden
und geschickt vermarkteten Angebote
65,4% der Befragten weniger trinken.
die Geschmackswünsche der Jugend-
Rund ein Drittel gibt an, dass schlech-
lichen zielgenau aufgegriffen und ju-
te schulische Leistungen, „Filmriss“,
gendgerecht in Szene gesetzt.
Verteuerung und auch peinliche Er-
45% trinken gerne Alkohol, weil er
lebnisse mit Alkohol ein Grund für ei-
„locker macht“, 39,5%, weil es lustig
ne Alkoholreduktion wären. „Wenn
ist und einfach zum Weggehen dazu-
meine Freunde aufhören“ ist eine Ant-
gehört (29,3%). 21,5 % denken ein-
wortkategorie, bei der lediglich 10,2%
17. NIEDERSÄCHSISCHE SUCHTKONFERENZ | Berichte zur Suchtkrankenhilfe 2007
47
48
VORTRÄGE
Auswirkungen der Studie und weitere geplante Aktionen in Braunschweig
1. Schritt: Pressekonferenz
Auch wenn die Überschriften eine
Die Gespräche mit den Schulen ha-
einseitige Schuldzuweisung nahele-
ben wichtige Impulse für künftige Prä-
Die Ergebnisse wurden im März 2007
gen, wurden die Ergebnisse weitest-
ventionsstrategien erbracht.
der Presse vorgestellt. Zur Pressekon-
gehend differenziert dargestellt. Die
ferenz erschienen 14 verschiedene
mediale Resonanz hat die Diskussion
Medienvertreter: mehrere Tageszei-
angeregt, hat die kommunale Ausein-
tungen, der deutsche Pressedienst,
andersetzung um das Thema Alkohol
das Fernsehen mit dem NDR sowie
befördert, durchaus zum Nachdenken
mehrere Radiosender! Dieses große
über den eigenen Konsum angeregt
Im Arbeitskreis Suchtprävention wurden
Interesse hat uns überrascht. Es zeigt,
sowie inhaltlich die Problematiken
zu den bereits bestehenden praxiser-
welchen hohen gesellschaftlichen
des Rauschtrinkens aufgezeigt.
probten Konzepten weitere Bausteine
3. Schritt: Präventionsbausteine
Stellenwert das Thema im Augenblick
zur Alkoholprävention entwickelt und
hat.
auf den Weg gebracht.
Eine Auswahl der Schlagzeilen:
2. Schritt: Diskussion der Ergebnisse
• Trinken bis zum Vollrausch:
Studie unter Zehntklässlern (Braunschweiger Zeitung, 20.3.2007)
• „Hart am Limit“: Der Anteil Jugendlicher mit Alkoholvergiftung soll
• Allen an der Studie mitwirkenden
reduziert werden! Erziehungs- und
Schulen haben wir angeboten,
Drogenberatungsstellen, Feuerwehr,
die Ergebnisse vor Ort vorzustellen,
Krankenhaus und Gesundheitsamt
sich dumm zu trinken
zu diskutieren und mögliche
versuchen Jugendliche mit Ver-
(Die Welt, 20.3.2007)
weitere Schritte zur Prävention zu
giftung im Nachgang zu einer
• Viele Jugendliche sind in Gefahr,
• Jeder dritte Junge trinkt zu viel
besprechen. Lehrerkonferenzen,
Beratung und einem Risiko-Check
Alkohol (Hannoversche Allgemeine,
Schulleitungsgremien, Fach-
zu motivieren.
21.3.2007)
konferenzen und Elterngremien
• Einmal pro Woche betrunken
waren unsere Ansprechpartner.
(Hamburger Abendblatt, 20.3.2007)
• Braunschweiger Jugendliche trinken
• Aktion „Shake it“ und „Alles im
Griff?“: Das Gesundheitsamt bietet
• Allen 10. Schulklassen haben wir
in größerem Umfang Präventions-
immer mehr Alkohol (NDR 1,
angeboten, die Ergebnisse in einer
veranstaltungen mit Schulklassen
Regionalnachrichten)
Doppelstunde altersgerecht zu
zum Thema Alkohol an. Spiele
präsentieren, zu diskutieren und
zur Auseinandersetzung mit dem
ger Jugendlichen trinkt zuviel
Problematiken des frühen und
eigenen Konsum, das Alkohol-Quiz
Alkohol (Radio Okerwelle)
intensiven Alkoholgenusses an-
mit zahlreichen Infos, Erfahrungen
• Knapp ein Viertel der Braunschwei-
zusprechen.
17. NIEDERSÄCHSISCHE SUCHTKONFERENZ | Berichte zur Suchtkrankenhilfe 2007
VORTRÄGE
mit der Rauschbrille sowie das
Herstellen leckerer alkoholfreier
Getränke sind im Angebot.
• Elterntalk: Hier geht es um die
Stärkung der Erziehungskompetenz
der Eltern. Wie beim „Tuppermodell“ finden im häuslichen Rahmen
unter Anleitung von Moderatorinnen und Moderatoren niedrigschwellige Themenabende statt
(z.B. Fernsehen / Alkohol / Grenzen setzen / Familienausflüge, …)
• Flyer: „Risk and Fun“ (Erlebnispädagogische Angebote in und um
Braunschweig):
Die eigenen Grenzen austesten,
Abenteuer erleben, Mut und Spaß
am Risiko sind Themen, die für
Jugendliche lebensnotwendig sind.
Jugendlichen Erlebnismöglichkeiten
hierfür zu geben, stellt einen wichtigen Baustein der Alkoholprävention
dar. Der Flyer soll pädagogischen
Fachkräften die Auswahl vor Ort erleichtern und zu Aktionen motivieren.
17. NIEDERSÄCHSISCHE SUCHTKONFERENZ | Berichte zur Suchtkrankenhilfe 2007
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17. NIEDERSÄCHSISCHE SUCHTKONFERENZ | Berichte zur Suchtkrankenhilfe 2007
REFERENTEN
Verzeichnis der Referenten
SABINE BRÄGELMANN-TAN
Landesdrogenbeauftragte
Niedersächsisches Ministerium für Soziales, Frauen, Familie und Gesundheit
Postfach 1 41, 30001 Hannover
PROF. DR. MANFRED LAUCHT
Zentralinstitut für Seelische Gesundheit,
Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters
Postfach 12 21 20, 68072 Mannheim
PROF. DR. DIETER HENKEL
Fachhochschule Frankfurt a.M., University of Applied Sciences,
Fachbereich Soziale Arbeit und Gesundheit, Institut für Suchtforschung ISFF,
Nibelungenplatz 1, 60318 Frankfurt a.M.
DR. BJÖRN HAGEN
Evangelischer Erziehungsverband e.V.
Flüggestraße 21, 30161 Hannover
DORIS FREUDENSTEIN
Stadt Braunschweig
Fachbereich Soziales und Gesundheit
Hamburger Str. 226, 38114 Braunschweig
RAINER SCHUBERT
Gesundheitsamt Stadt Braunschweig
Gesundheitsplanung
Hamburger Str. 226, 38114 Braunschweig
17. NIEDERSÄCHSISCHE SUCHTKONFERENZ | Berichte zur Suchtkrankenhilfe 2007
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Impressum
Herausgegeben vom
Niedersächsisches Ministerium
für Soziales, Frauen, Familie und Gesundheit
Hinrich-Wilhelm-Kopf-Platz 2
30159 Hannover
in Zusammenarbeit mit der
Landesvereinigung für Gesundheit und
Akademie für Sozialmedizin Niedersachsen e.V.
Fenskeweg 2
30165 Hannover
Redaktion:
Sabine Hillmann, Kerstin Utermark,
Sabine Brägelmann-Tan, Thomas Altgeld
Layoutkonzept und Gestaltung:
Homann Güner Blum,
Visuelle Kommunikation,
Hannover
Druck:
Unidruck
Windhorststraße 3–4
30167 Hannover
17. NIEDERSÄCHSISCHE SUCHTKONFERENZ
Berichte zur Suchtkrankenhilfe 10 . 2007
Diese Broschüre darf, wie alle Publikationen der Landesregierung nicht zur Wahlwerbung in Wahlkämpfen verwendet werden.
Neue
Drogenkonsummuster
im Jugendalter?
Herausgegeben vom
Niedersächsisches Ministerium
für Soziales, Frauen, Familie und Gesundheit
Hinrich-Wilhelm-Kopf-Platz 2
30159 Hannover
in Zusammenarbeit mit der
Landesvereinigung Gesundheit und
Akademie für Sozialmedizin Niedersachsen e.V.
Fenskeweg 2
30165 Hannover
Oktober 2007
Niedersächsisches Ministerium für Soziales, Frauen, Familie und Gesundheit