Stadtbericht Witzenhausen - IHK Kassel

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Stadtbericht Witzenhausen - IHK Kassel
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„Mittelzentren in Nordhessen“
Stadtbericht Witzenhausen
1
Projektbeschreibung und Kontext
Der Bezirk der Industrie- und Handelskammer
Kassel (IHK) ist trotz leistungsfähiger Oberzentren ein ländlich geprägter Raum. Für die Attraktivität solcher Regionen für Unternehmen und
Bürger sind funktionierende und zukunftsorientierte Mittelzentren von großer Bedeutung. Aktuell stehen jedoch die Mittelzentren in Nordhessen
teilweise vor unsicheren Entwicklungsperspektiven, insbesondere wenn sie abseits der großen
Verkehrskorridore und außerhalb der Pendlerverflechtungsräume der Oberzentren liegen. Die
Industrie- und Handelskammer Kassel möchte
die Bemühungen zur Bewältigung der Herausforderungen in den Mittelstädten unterstützen
und hat zu diesem Zweck das nachfolgend beschriebene Projekt entwickelt. Bei ihrem Vorhaben wird die IHK Kassel durch das Fachgebiet
Stadt- und Regionalplanung der Universität Kassel im Sinne der vorliegenden Projektbeschreibung unterstützt.
Das Kooperationsprojekt soll dazu beitragen,
die aktuelle Situation und Perspektiven ausgewählter Mittelstädte in Nordhessen aufzuarbeiten. In enger Zusammenarbeit zwischen der IHK
Kassel und dem Fachgebiet wurden sowohl statistische Daten ausgewertet, als auch ortsspezifische Erhebungen (Begehungen, Kartierungen
und Gespräche) durchgeführt. Mit der Studie
sollen wesentliche Strukturmerkmale, Stärken
und Schwächen der nordhessischen Mittelzentren beleuchtet werden, um davon abgeleitet
mehr über die zukünftigen Herausforderungen,
Entwicklungsperspektiven und politisch-planerischen Gestaltungsmöglichkeiten der Mittelzentren zu erfahren. Ziel ist es, mit Hilfe der Untersuchungsergebnisse Impulse für die lokale
Schriftenreihe zur Region Band 8
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und regionale Diskussion zu geben, um über
einen Kommunikationsprozess zu einem positiven Entwicklungsschub in den Mittelstädten
beizutragen. Deshalb wird im Rahmen dieses
Projektes dem gemeinsamen Prozess und dem
Dialog zwischen den lokalen Politikern, den Unternehmern aus dem jeweiligen Regionalausschuss der IHK Kassel und dem Netzwerk Mittelstand sowie dem Fachgebiet besonders viel
Bedeutung beigemessen. Der vorliegende Bericht über das Mittelzentrum Witzenhausen ist
als Baustein für einen bereits angestoßenen
Kommunikationsprozess zu verstehen.
Verfasser:
Prof. Dr. Jürgen Aring (Universität Kassel),
Dr. Roswitha Wöllenstein (IHK Kassel) und
Dipl.-Geogr. Ulrich Spengler (IHK Kassel)
unter Mitwirkung von: Dipl.-Ing. Fabian Schäfer,
Dipl.-Ing. Niklas Wever (Universität Kassel)
Ansprechpartner in der IHK Kassel
Dipl.-Geogr. Ulrich Spengler (0561/7891-272),
spengler@kassel.ihk.de
Dr. Roswitha Wöllenstein (0561/7891-230),
woellenstein@kassel.ihk.de
Inhalt
Kurzprofil
4
Lage im Raum
5
Demografie
6
Wirtschaftsnahe Infrastruktur
12
DSL-Verfügbarkeit
12
Gewerbeflächen
13
Wirtschaft
15
Wirtschaft Überblick
15
Produzierendes Gewerbe / Logistik
19
Universitätstandort / Bioregion Werratal
22
Sonstige Dienstleistungen / Tourismus / Freizeitwirtschaft
24
Einzelhandel
27
Zusammenfassung: wichtige lokale Handlungsfelder
34
Witzenhausen steht nicht allein!
36
3
Kurzprofil Witzenhausen
Steckbrief
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•
4
Mittelzentrum im Werra-Meißner-Kreis
36 km bis Kassel (nächstgelegenes Oberzentrum)
126,69 km² Fläche
15.779 Einwohner (31.12.2007)
- davon ca. 5800 Ew. in der Kernstadt, ca.10000 Ew. in 16 Stadtteilen
125 Ew/km² Einwohnerdichte (zum Vgl. Deutschland ca. 230 Ew/km²)
Einwohnerentwicklung: in den letzen Jahren kontinuierlich
schrumpfend (-1 000 EW in 10 Jahren), Prognose weiter
schrumpfend
4.355 sozialversicherungspflichtig Beschäftigte (30.06.2007)
Universiätsstandort FB 11 „Ökologische Agrarwissenschaft“ der
Universität Kassel
wichtige Unternehmen/Arbeitgeber:
- SCA Packaging Containerboard Deutschland GmbH
- SCA Hygiene Products GmbH
- Rege Motorenteile GmbH & Co. KG
- Plastoreg Smidt GmbH & Co KG
- BWG Reimer GmbH & Co. KG - Spedition und Logistik
- VG-Orth GmbH & Co. KG (MultiGips)
- Polimoon GmbH / PPROMENS Packaging GmbH
- Universität Kassel
Auspendlerkommune (Pendlersaldo -129)
Nachbarkommunen: Hann. Münden, Rosdorf, Friedland,
Neu-Eichenberg, Bornhagen, Lindewerra, Bad Sooden-Allendorf,
Großalmerode, Gutsbezirk Kaufunger Wald, Staufenberg
Bürgermeister: Angela Fischer (CDU)
Verteilung in der Stadtverordnetenversammlung (2006–2011):
CDU 34,3 %, SPD 42,1 %, Grüne 11,9 %, FDP 3,7 %, FWG 8,0%
Internet: www.witzenhausen.de
Kassel
Witzenhausen
Marburg
Gießen
Wiesbaden Frankfurt
Darmstadt
Eindrücke der Stadt Witzenhausen
Lage im Raum
Witzenhausen
Gemeindegebiet
Fritzlar
Mittelzentrum
Landkreisgrenze
Bahnstrecke
Regiotramstrecke
5
Autobahn
Autobahn (in Planung)
Fu
ld a
Fluss
Flughafen Kassel-Calden
• Witzenhausen liegt im Werra-Meißner-Kreis im Werratal
• Funktionale Verflechtungen gehen vorrangig nach Kassel und nach Göttingen
• Benachbarte Oberzentren
- Kassel (193.518 Einwohner), in 36 Km Entfernung, 35 Min. Fahrzeit mit dem Pkw
- Göttingen (121.513 Einwohner.), in 30 Km Entfernung, 31 Min. Fahrzeit mit dem Pkw
• Zugang zu Autobahnen
- A 7, Auffahrt Hann. Münden-Hedemünden, in 10 km Entfernung, Anbindung über B80
- A 38, Auffahrt Friedland, in 16 km Entfernung, Anbindung über B80/B27
• Zugang zur Eisenbahn
- Witzenhausen liegt an der Strecke Kassel - Göttingen bzw. an der Strecke Kassel - Halle
- Anbindung zum ICE-Bahnhof Kassel-Wilhelmshöhe: per Regionalexpress 30 Min. Reisezeit
- Anbindung zum Bahnhof Göttingen: per Regionalbahn (Cantus) 20 Min. Reisezeit
5
Demografie
Weniger, älter, bunter – das sind die zentralen
Begriffe, mit denen derzeit in Deutschland die
absehbaren demografischen Entwicklungen diskutiert werden. Regional sind die Trends jedoch
nicht einheitlich. Mittelfristig wird es in Deutschland Bevölkerungswachstum und Bevölkerungsschrumpfung nebeneinander geben. Jede Stadt
muss sich ihre lokalen und regionalen Perspektiven vergegenwärtigen.
Der demografische Wandel stellt eine besondere Herausforderung für Mittelstädte dar.
Durch partielle Schrumpfung und den wachsenden Anteil älterer Menschen, die in den ländlich
geprägten Städten leben, verändern sich in vielen Bereichen die Verhältnisse. Die Kommunen
sind gefordert, Strategien zu entwickeln, die auf
einen Ausgleich unterschiedlicher Interessen
gerichtet sind. Es gilt zwischen den Bedürfnissen von Alt und Jung genauso abzuwägen, wie
das Verhältnis der Kernstädte zu den Ortsteilen
zu analysieren und zu bewerten. Der demografische Wandel schlägt sich nämlich oft in den
kleineren Ortsteilen einer Gemeinde viel stärker
nieder als in der Kernstadt. Dabei geht es nicht
nur um die Frage, ob neue Baugebiete in den
Ortsteilen ausgewiesen oder Bausubstanz in
den alten Dorfkernen gerettet und saniert werden sollen. In diesem Zusammenhang taucht
auch die Frage auf, wie sich die infrastrukturelle Situation in den Ortsteilen zukünftig entwickeln soll. Die finanziell angespannte Situation
der meisten Kommunen wird es nicht erlauben,
in jedem Ortsteil gleichermaßen soziale Infrastruktur aufrecht zu erhalten, die dem Gemeinwohl dient, wie beispielsweise Bürgerhäuser,
Spielplätze, Grillplätze usw. Hier ergeben sich
potenzielle Konflikte, die nur durch eine offene
Kommunikation und gemeinsame konstruktive
Zusammenarbeit aller beteiligten Akteure abgewendet werden können. Bürgerliches Engagement zur Erhaltung der Infrastruktur ist ebenso
gefragt wie eine sensible, die Interessen der Betroffenen ernst nehmende Arbeit der Kommune.
Diese Form des Interessenausgleichs ist ebenso
notwendige Voraussetzung im Dialog der Generationen. Vor dem Hintergrund der „Alterung“
der Bevölkerung fokussieren sich die kommunalpolitisch Verantwortlichen zunehmend auf
die ältere Bevölkerung und Maßnahmen, die auf
diese Zielgruppe ausgerichtet sind. Um jedoch
eine weitere Abwanderung junger Menschen zu
verhindern, kommt es darauf an, auch deren Interessen mit ins kommunalpolitische Kalkül einzubeziehen und Ziele und Maßnahmen zu entwickeln, die dazu führen, dass Mittelstädte für
jüngere Menschen attraktiv bleiben bzw. interessanter werden. Ein wohnortnahes Arbeitsplatzangebot bzw. gute verkehrstechnische Anbindung an Oberzentren sind dabei genauso
wichtige Argumente wie hohe Wohn- und Lebensqualität, soziale Infrastruktur und kulturelle
Angebote.
Hintergrund „Alterung“
Seit Jahren liegt in Deutschland die Zahl der
Geburten je Frau nur noch bei 1,4. Diese sogenannte Reproduktionsrate müsste aber bei 2,0
bis 2,1 liegen, um die Bevölkerung durch natürliche Entwicklung konstant zu halten. Solange
dieser Trend anhält, wird jede kommende Generation der deutschen Bevölkerung um etwa
ein Viertel kleiner als die vorangegangene. In
den letzten Jahren hat man in Deutschland die
Nachwirkungen des Pillenknicks aus den 1960er
Jahren gespürt. Bis Mitte der 1990er Jahre gab
es hohe Geburtenzahlen in Deutschland, weil
noch die gut besetzten Jahrgänge aus den
1960er Jahren Kinder bekamen. Die Frauen aus
diesen Jahrgängen bekamen zwar auch nicht
nennenswert mehr Kinder je Frau als die heutigen Mütter, doch es gab einfach viel mehr von
ihnen. Als dann die geburtenschwachen Jahre
6
aus den 1970er Jahren in die Phase des Kinderkriegens kamen, sank dann die Gesamtzahl der
Geburten in Deutschland als deutliches Echo
des fernen Pillenknicks rasch ab. Diesen Grundtrend spürt man allerorten. Einzelne Orte, insbesondere kleine Orte im Umland von großen
Städten, können sich von den Wirkungen des
Alterns und Schrumpfens etwas abkoppeln,
wenn sie kontinuierlich gezielt neue Baugebiete
für junge Familien anbieten und so eine stetige
Zuwanderung von potenziellen Müttern erreichen. Damit lässt sich zwar nicht das generative Verhalten der jungen Mütter ändern, aber in
der Summe kann eine Kommune so „jung bleiben“. Ewig kann diese Strategie allerdings auch
nicht fortgesetzt werden, zumal auch zwischen
den Kommunen längst ein Wettbewerb um die
„knappen“ jungen Familien eingesetzt hat.
Demografie
Die Stadt Witzenhausen an der Werra ist kleiner als gefühlt, denn die Mehrheit der Bevölkerung
der administrativen Einheit Witzenhausen lebt in den Dörfern. Witzenhausen schrumpft seit
Jahren kontinuierlich, allerdings entwickelt sich die Stadt bisher noch günstiger als der Landkreis. Die Prognosen sagen eine kontinuierliche Fortstetzung dieses Prozesses voraus. Der
Umgang mit dem demografischen Wandel stellt deshalb eine große Herausforderung dar.
Kleine Kernstadt – Viele Dörfer: Vor der Darstellung der demografische Entwicklung ist zunächst ein Blick auf die räumliche Struktur der
politischen Gemeinde Witzenhausen zu werfen.
Sie besteht neben der Kernstadt aus einer Vielzahl von Ortsteilen bzw. Dörfern. Letztere haben
eine Größe von weniger als 100 Einwohnern
(Albshausen, Neusseesen) bis zu über 1.000
Einwohnern (Ermschwerd und Hundelshausen). Nach der kommunalen Statistik zählen die
Dörfer insgesamt ca. 9.000 Einwohner, während
auf die Kernstadt gut 7.000 Einwohner entfallen
(Jahr 2009). Die Relation von Kernstadt zu Dörfern liegt also etwa bei 45 zu 55. Die Lagegunst
der Ortsteile ist sehr unterschiedlich. Teile des
Gemeindegebietes mit der Kernstadt und den
Dörfern Ermschwerd, Gertenbach, Blickershausen liegen im Werratal verkehrsgünstig zur B 80,
während andere verkehrsungünstiger lokalisiert
sind.
Im Jahr 2008 zählte die Kommunalstatistik des
Landes Hessen für Witzenhausen 15.549 Einwohner. Demgegenüber meldet die Stadt auf
ihrer Homepage 18.658 Einwohner. Die nachfolgenden Ausführungen beziehen sich auf die
Daten des Landes.
Bevölkerungsentwicklung der Stadt Witzenhausen
16,800
16,600
zählte 1998 noch 16.568 Einwohner und hat bis
2008 einen Bevölkerungsrückgang auf 15.549
Einwohner zu verzeichnen. Das entspricht einem
Verlust von etwa 1.000 Personen bzw. -6,1%. Zunächst (bis 2001) lag die Bevölkerungsentwicklung dabei im Trend des Werra-Meißner-Kreises.
Seither hat sich die Stadt Witzenhausen leicht
besser als der Landkreis entwickelt. Auch wenn
die Unterschiede über den betrachteten Zeitraum mit 2,5 bis 3%-Punkten gering erscheinen,
entspricht dies immerhin einer Differenz von 400
bis 500 Einwohnern. Wäre Witzenhausen weiter
dem Trend des Landkreises gefolgt, hätte die
Stadt heute eine um diese Differenz geringere
Einwohnerzahl, dementsprechend weniger bewohnte Wohnungen, eine leicht geringere Kaufkraft, daran gekoppelte Einzelhandelsumsätze
usw.
Bevölkerungsentwicklung im Vergleich
102.0
100.0
98.0
96.0
94.0
Witzenhausen
92.0
Werra-Meißner-Kreis
90.0
1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008
16,400
Quelle: HSL
16,200
16,000
15,800
15,600
15,400
15,200
Witzenhausen
15,000
1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008
Quelle: HSL
Seit Jahren Bevölkerungsrückgang: Nach
dem Abebben des Booms zu Beginn der neunziger Jahre befinden sich viele Regionen und
ihre Städte in einem demografischen Schrumpfungstrend. So hat auch Witzenhausen in den
letzten 10 Jahren Einwohner verloren. Die Stadt
Zu den Ursachen dieser leichten Entkoppelung
der Trends kann man verschiedene Hypothesen
formulieren. Zunächst einmal kann sich die Lage
von Witzenhausen (zumindest der Kernstadt
und der gut erreichbaren Dörfer im Werratal) im
Vergleich zum Rest des Landkreises als „bessere Erreichbarkeit der Oberzentren Kassel und
Göttingen“ positiv bemerkbar machen. Wurden
Ende der 90er Jahre noch Baulandangebote in
den dörflichen Ortsteilen auf den Weg gebracht,
hat sich die Stadt Witzenhausen mittlerweile von
dieser angebotsorientierten Planung verabschiedet. Nur noch im Ortsteil Gertenbach wurde in
den letzten Jahren ein Bebauungsplan mit allge7
Demografie
meinem Wohngebiet ausgewiesen. Gertenberg
gilt aufgrund der Lage und der infrastrukturellen
Vorteile als ein Ortsteil mit Entwicklungspotential. Eine weiter Baugebietsausweisung gilt als
nicht zielführend.. Nicht zuletzt könnte auch der
Standortfaktor Stadt wirken. Insbesondere dies
zuletzt genannte Argument deckt sich mit den
Bestrebungen der Stadt, die Vorteile einer historischen Innen- und Altstadt mit kurzen Wegen
künftig stärker als Entwicklungspotenzial zu
nutzen. Dennoch ist Witzenhausen eine spürbar
schrumpfende Kommune.
Die Bevölkerungsverluste von Witzenhausen
setzten sich in den meisten Jahren zusammen
aus Wanderungsverlusten und einem Sterbe
überschuss. Die Zahlen schwanken von Jahr
zu Jahr zum Teil erheblich, so dass hier ein uneinheitliches und uneindeutiges Bild entsteht.
Differenzierte Daten liegen von 2000 bis 2007
vor. Insgesamt hat die Stadt in diesem Zeitraum einen Bevölkerungsrückgang von 730
Personen zu verzeichnen, die sich in etwa zu
gleichen Teilen auf Wanderungsverluste (47%)
und auf Sterbeüberschüsse bzw. Geburtendefizite (53%) verteilen. Während das natürliche
Parameter der Bevölkerungsentwicklung
50
0
2000
2001
2002
2003
2004
2005
2006
2007
-50
-100
-150
Saldo natürliche Bevölkerungsentwicklung
Saldo Wanderungen
-200
Saldo Gesamt
Quelle: HSL
Defizit eine gewisse Kontinuität aufweist und im
Jahresdurchschnitt bei knapp 50 Personen liegt,
ist der Wanderungssaldo uneinheitlicher. Sechs
der zurückliegenden acht Jahre zeigen Wanderungsverluste und zwei Jahre (2003 und 2004)
weisen leichte Wanderungsgewinne auf.
Witzenhausen wird weiter schrumpfen: Bevölkerungsprognosen sind für kleinere Städte
nur mit großen Unsicherheiten zu erstellen, weil
lokale Effekte die großen Trends überlagern
können. Andererseits bilden die großen Trends
8
einen Rahmen, den man auch lokal zur Kenntnis nehmen muss. In regionale Prognosen auf
Landes- und Regionsebene fließen Annahmen
zur Geburten- und Sterbentwicklung, zur Zuwanderung aus dem Ausland und zu regionalen
Wanderungen zwischen Regionen ein. Vor
einem solchen Hintergrund hat das Hessische
Landesamt für Statistik für den Werra-MeißnerKreis im Rahmen einer abgestimmten Landesprognose eine Bevölkerungsvorausschätzung von 2006 bis 2030 vorgenommen und dies
sogar mit einer Trendfortschreibung bis 2050
verbunden. Ergebnis dieser jüngsten und auch
vorhergehender Prognosen ist, dass der WerraMeißner-Kreis voraussichtlich die deutlichste
Schrumpfung unter allen Kreisen in Hessen verarbeiten muss. Dies würde einen Bevölkerungsrückgang von heute rund 108.000 auf 84.000 in
2030 bedeuten. Irgendwann zwischen 2025 und
2030 läge die Bevölkerungszahl 20% unter den
heutigen Werten.
Etwas weniger dramatisch sieht die Lage in
den von der Bertelsmann-Stiftung im Wegweiser Demografie veröffentlichten Prognosen aus.
Demnach wäre bis 2025 im Werra-Meißner-Kreis
lediglich ein Bevölkerungsrückgang von knapp
12% zu erwarten. Die Bertelsmann-Stiftung
weist dabei sogar Prognoseergebnisse für einzelne Städte und gemeinden aus. Demnach
würde Witzenhausen bis 2025 „nur“ um ca. 9%
schrumpfen und sich damit besser als das Kreisgebiet behaupten.
Diese vordergründig angenehmeren Werte des
Wegweisers Demografie können jedoch nicht
darüber hinwegtäuschen, dass Witzenhausen
und der Landkreis sich bereits in der Vergangenheit vom Landestrend abgekoppelt haben.
Insofern wird es eine Hauptaufgabe sein, den
unvermeidlichen demografischen Wandel so
zu begleiten, dass Lebensqualitäten erhalten
bleiben und zumindest die Selbstverstärkungseffekte der Schrumpfung abgebremst werden
können. Für Witzenhausen bieten sich dabei
wahrscheinlich etwas bessere Ausgangsbedingungen als in den meisten anderen Gemeinden
des Werra-Meißner-Kreises. Dabei kommen die
oben bereits zur Erklärung der bisherigen Entwicklung herangezogenen Argumente erneut
zum Tragen. Witzenhausen kann von der recht
guten Anbindung zu Kassel und Göttingen profitieren. Gleichzeitig ist die Stadt das Zentrum des
nördlichen Kreisgebietes mit einer recht guten
Ausstattung an Infrastruktur (z. B. Schulen). Die
kompakte historische Altstadt hat dabei nicht nur
einen pittoresken Charme, sondern kann auch
Demografie
Quelle: HSL
Bevölkerungswirksam wird.
Vordergründig betrachtet bildet sich die Alterung in einer Erhöhung des Durchschnittsalters
ab. Gerade für die kommunale Planung der Infrastruktur ist jedoch entscheidend, wie sich die
Zusammensetzung der Altersgruppen verändert. Dabei haben sich bereits zwischen 1995
und 2007 bemerkenswerte Verschiebungen ergeben. So ist der Anteil der Kinder unter 6 Jahren von 7% auf 4,9% gesunken, was einen Rückgang von ca. 350 Kindern oder 31% (!) bedeutet.
Dies bedeutet, dass vier bis fünf Jahre später ein
Drittel der Grundschulplätze überflüssig sein
wird. Ähnlich extrem entwickelt sich das andere
Ende der Alterspyramide. Im Zeitraum von 1995
bis 2007 hat es bei den Senioren (65 Jahre und
älter) einen Zuwachs um knapp 900 Personen
oder 35% gegeben. Wissend, dass diese Menschen mit zunehmendem Alter auf mehr und andere Formen der Hilfestellung angewiesen sind,
entstehen hieraus neue Handlungsbedarfe. Ferner ist auch absehbar, dass diese Menschen bis
ins hohe Alter hinein vielfach in Altobjekten in
den dörflichen Ortsteilen leben werden. Da eine
Folgenutzung der Objekte aus heutiger Sicht
oftmals schwer vorstellbar ist, kann aus dieser
Entwicklung zukünftig ein gravierendes Leerstandsproblem mit zum Teil ortsbildprägenden
Einflüssen entstehen.
ist, die Eigentümer mehr als bisher und trotz
der schwierigen Rahmenbedingungen zu einer
neuen Investitionsbereitschaft finden. Dies kann
wahrscheinlich nur gelingen, wenn die Stadt in
einer intensiven mehrjährigen Arbeit kontinuierlich an einem Stimmungswandel arbeitet.
Witzenhausen altert! Der beschriebene
Schrumpfungsprozess ist zugleich immer auch
ein Alterungsprozess. Wesentlich ist dafür der
negative Wanderungssaldo, der insbesondere
zu einem Verlust junger Menschen führt. Der
Fortzug zur Ausbildung bildet dabei in der Regel
den Beginn einer dauerhaften Orientierung zu
stärkeren Wirtschaftsregionen mit differenzierten
Arbeitsmärkten. Ein Sonderfaktor ist jedoch die
Rolle als kleiner Hochschulstandort. Zwar gilt
generell, dass die Studenten, die nicht einpendeln, nur für einige Jahre vor Ort wohnen und
im Allgemeinen den Studienort wieder verlassen, bevor sie eine Famile gründen und in Wohneigentum investieren. Allerdings bemüht man
sich in Witzenhausen, dass Universitätsprofil
mit einem lokalen Wirtschaftsprofil zu verknüpfen (Vergleiche Kapitel Bioregion Werratal), wodurch der Hochschulstandort auch nachhaltig
Herausforderungen und Lösungsansätze:
Ein weiterer kräftiger Bevölkerungsrückgang
ist sehr wahrscheinlich, denn es ist bisher nicht
absehbar, dass der dauerhafte Sterbeüberschuss durch Zuwanderung kompensierbar ist.
Wenn der Schrumpfungsprozess nicht gestoppt,
sondern allenfalls gedämpft werden kann, so
muss die kommunale Politik den unvermeidlichen demografischen Wandel begleiten und
darauf zielen, die Lebensqualitäten und die örtliche Funktionsfähigkeit zu erhalten.
Die bisher ausgewogene Politik für Kernstadt
und Dörfer gerät unter Druck, denn das Bemühen um eine Stabilisierung der Kernstadt wird
auch zu Lasten der Dörfer gehen. Neue Konflikte sind absehbar. Auf mittlere Frist werden
nicht alle Dörfer gleich behandelt werden können. Ihre jeweiligen Zukunftsperspektiven sind
zu analysieren und zu bewerten. Teilantworten
auf die Herausforderungen liegen eventuell in
Dörferverbünden und einer noch stärkeren Eigenverantwortung für die Daseinsvorsorge in
den Dörfern. Auch das Thema „Wüstung“ sollte
auf Dauer kein Tabuthema sein.
Witzenhausen hat die Herausforderung De-
als Stadt der kurzen Wege für verschiedene Bevölkerungsgruppen attraktiv sein.
Allerdings ergeben sich hieraus Probleme in der
Interessensabwägung zwischen den dörflichen
Ortsteilen und der Altstadt von Witzenhausen.
Bisher wurden auch in den kleinen Ortsteilen der
Stadt Witzenhausen Dorfgemeinschaftshäuser,
Feuerwehrgerätehäuser und andere Infrastrukturen erhalten und Potenziale für neue Bauplätze
auf den Weg gebracht. Dies ist Ausdruck einer
bewusst auf Stabilisierung der Ortsteile gerichteten Politik. Die Stärkung der Innenstadt steht in
gewisser Konkurrenz hierzu, denn ein Erfolg der
Innenstadtentwicklung würde automatisch auch
Einwohner, Wohnungsnachfrage und Bauleistungen aus den Ortsteilen absaugen. Voraussetzung für einen Erfolg der Altstadtentwicklung
Altersstruktur in Witzenhausen im Vergleich
2007
1995
4,9%
7,0%
15,4%
8,5%
9,9% 21,6%
unter 6
6 bis 15
15 bis 65
über 65
67,7%
64,9%
•
•
•
9
Demografie
Lokales Bündnis für Familien Witzenhausen
STADTVERWALTUNG
Koordinations- und Verwaltungsaufgaben
Unterstützung bei Projektentwicklung + -umsetzung
Arbeitsgruppe 1
Familienfreundliches
Lebensumfeld
- Stadtbegehung zum
Aufspüren
kinderfeindlicher
Verkehrsflächen
- Regelmäßige Begehung
der Spielplätze (Bürger
reparieren, gärtnern +
malern selbst)
- Kinderstadtplan
- Ferienkalender
Arbeitsgruppe 2
Vereinbarkeit Familie + Beruf
-
Betreuungsnetzwerk für
Jung bis Alt +
Pflegebedürftige
(Zusammenarbeit mit
Firmen und Uni, Kiga’s
und Schulen,
Altenbetreuung,…)
mografischer Wandel in einem ersten Schritt
aufgegriffen: Ein konkreter Ansatz ist Einrichtung eines „Lokalen Bündnisses für die Familie“
(vgl. Abbildung). Es zielt darauf ab, die Lebensqualität von Familien in einem breiten, generationenübergreifenden Verständnis zu fördern.
Ein Presseartikel brachte die Herausforderung
mit der Überschrift „Auswandern muss keiner“
auf den Punkt. In Witzenhausen geht es darum,
durch einen breiten Politikansatz die Lebensund Arbeitsbedingungen so zu gestalten, dass
man in jungen Jahren nicht abwandern muss
selbst, wenn sich die beruflichen Lebensmittelpunkte Richtung Kassel oder Göttingen verlagern. Gleichzeitig gilt es auch, Witzenhausen
als Wohnstandort für die ältere Bevölkerung zu
stärken.
Die Stadt Witzenhausen sollte die Aktivitäten
des Landkreises zum demografischen Wandel
inhaltlich aufgreifen und in die kommunale Politik hineintragen. Der Landkreis hat das Thema
Demografie in Analysen, Vortragsreihen und
Projekten aufgegriffen (www.werra-meissner.de/
demografie/). U.a. hat der Werra-Meißner-Kreis
2006/2007 am Modellprojekt „Hessen 2050 – Sichere Zukunft im demografischen Wandel“ der
Hessischen Staatskanzlei teilgenommen. Der
Arbeitsgruppe 3
Generationsübergreifende
Zusammenarbeit
- Einrichtung und Betreuung
einer Tausch-/Wissensbörse für
alle privaten Personen aber auch
Zusammenarbeit zwischen
älteren Mitbürgern und
Schulen/Kiga’s
Arbeitsgruppe 4
Soziales
Dienstleistungsnetz
- Perspektive
Sozialmesse 2009
Werra-Meißner-Kreis hat in diesem Zusammenhang drei Workshops mit Bürgermeister(innen),
Mandatsträgern, Stadträten und Gemeindevorständen durchgeführt. Vier der dabei entwickelten Projekte wurden prämiert und in das
Regionale Entwicklungskonzept der Bewerbung
für das neue LEADER+-Programm aufgenommen. Im Jahre 2009 hat der Landkreis auch eine
Initiative für das Wohnen im Werra-MeißnerKreis als Alternative zum Wohnen in Ballungsräumen gestartet. Auf großen Plakaten, die auf
den Bahnhöfen vieler Großstädte (u.a. Frankfurt,
Nürnberg, Würzburg) platziert sind werden die
Qualitäten eines grünen und Kleinstädtischen
Umfeldes großstädtischen Situationen gegenüber gestellt.
•
10
Ansprechpartner in der IHK Kassel:
Dipl.-Geogr. Christine Neumann
(0561/7891-322)
christine.neumann@kassel.ihk.de
http://www.wmk.lebensraum-werra-meissner.de/
Demografie
Altersstrukturentwicklung Witzenhausen 2006-2025
xxx
6000
5000
4000
3000
2000
1000
0
2006
0-5-Jährige
6-18-Jährige
2025
19-44-Jährige
45-64-Jährige
65-79-Jährige
Über 80-Jährige
Quelle: Institut für Entwicklungsplanung und Strukturforschung GmbH; Deenst GmbH; Berechnungen Bertelsmann-Stiftung
Bertelsmann-Stiftung: Demografietyp
Die Bertelsmann-Stiftung stuft Witzenhausen als „Stadt im ländlichen Raum mit geringer Dynamik“ (Demografietyp 6) ein. Die Stiftung prognostiziert bis 2025 für Witzenhausen einen Bevölkerungsrückgang um 8,6 Prozent. Der von der Bertelsmann-Studie für Witzenhausen festgestellte Demografietyp ist eine Typisierung für ein Spektrum von 579 deutschen Städten.
Charakteristische Entwicklungen für Städte des Demografietyps 6:
• schrumpfende Bevölkerung, u.a. mit Arbeitsmarktabwanderung junger Erwachsener
• deutliche Alterungsprozesse
• wirtschaftliche Strukturschwäche mit Arbeitsplatzverlusten, niedrigen kommunalen Steuereinnahmen pro Einwohner, vorrangig lokaler Bedeutung als Arbeits-/Wirtschaftszentren
Herausforderungen für Städte des Demografietyps 6:
• konsequente Schwerpunktsetzung aufgrund finanzieller Leistungskraft
• Förderung des bürgerschaftlichen und ehrenamtlichen Engagements
• Zusammenführung aller öffentlichen und privaten Ressourcen
• kreative, zukunftsorientierte Seniorenpolitik zur Nutzung der „Potenziale des Alters“
• regionale Kooperationen zur Bündelung von Know-How und Potenzialen in der Region
Handlungsempfehlungen für Städte des Demografietyps 6:
• Anpassung der sozialen und technischen Infrastruktur, insbesondere Konzentration wichtiger
Infrastrukturangebote in den Zentren; Denken in Funktionen statt in Einrichtungen; Sicherung
und Verbesserung der verkehrlichen Erreichbarkeit der Zentren
• Förderung von Identität und bürgerschaftlichem Engagement, insbesondere Entwicklung einer
Anerkennungskultur; Aufbau von Unterstützungsstrukturen; Stärkung eines „Wir-Gefühls“ in der
Kommune; Nutzung der Potenziale des Alters; Ermöglichung eines Dialogs der Generationen
• Interkommunale und regionale Kooperation, insbesondere Aufbau fester interkommunaler Kooperationsbeziehungen für ein regionales Flächenmanagement (Ziele und Leitbilder der regionalen Siedlungsentwicklung, Aufstellung umsetzungsorientierter regionaler Siedlungskonzepte),
Entwicklung einer regionalen Baulandentwicklungstrategie, Abschluss von Zielvereinbarungen)
• Konzentration auf strategische Handlungsprioritäten und Kernfunktionen, insbesondere
Erarbeitung einer fundierten Ausgangsanalyse, Organisation von Zukunftsforen, Prioritätensetzung als Chefsache, Festlegung strategischer Handlungsprioritäten für Kernfunktionen
Die Bertelsmann-Stiftung stellt ihre Informationen Online zur Verfügung:
http://wegweiser-kommune.de/datenprognosen/demographiebericht/Demographiebericht.action
http://wegweiser-kommune.de/datenprognosen/demographietypen/download/pdf/Cl-6_lfd12.pdf
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DSL-Verfügbarkeit
Breitbandtechnologie
Der kostengünstige Zugang zu einer Breitband-Internetverbindung ist eine Grundvoraussetzung, um
in der globalisierten Wirtschaft wettbewerbsfähig zu sein. Breitband-Internet erschließt neue Märkte
und Angebote und sorgt für wirtschaftliches Wachstum sowie neue Arbeitsplätze. Darüber hinaus
verbessert Breitbandtechnik die Qualität aller über das Internet abrufbaren Service- und Unterhaltungsangebote. Für den Verbraucher bedeutet Breitband mehr Komfort, größere Vielfalt und eine
höhere Qualität der Inhalte. Unternehmen profitieren durch neue Vertriebswege, mehr Entwicklungsmöglichkeiten, Einsparpotenziale und neue Märkte. Die OECD geht davon aus, dass die BreitbandTechnologie bis zum Jahr 2011 mit einem Drittel zum Produktivitätszuwachs in den Industrieländern
beitragen wird. (www.zukunft-breitband.de/BBA/Navigation/hintergrund.html)
Bei einer Darstellung für ganze Gemeinden können daher immer nur Durchschnittswerte angegeben werden.
Bei der Primärerhebung wurden Daten von
sehr unterschiedlicher Qualität und Form zur
Verfügung gestellt. Diese sind nur eingeschränkt
vergleichbar.
Die Technik in diesem Bereich ändert sich
sehr schnell. Die Angaben stellen daher nur eine
Momentaufnahme zum Zeitpunkt der Datenerhebung dar.
Der Breitbandatlas basiert auf freiwilligen Informationen der mitwirkenden Unternehmen
und kann insofern keinen vollständigen Marktüberblick garantieren.
•
•
•
Quelle: www.zukunft-breitband.de/BBA/Navigation/breitbandatlas.html
Breitbandanbindung
von
Witzenhausen
12/2008
Der Breitbandatlas des Bundesministeriums für
Wirtschaft und Technologie veranschaulicht anhand von zahlreichen Karten, welche Techniken
in den einzelnen Gemeinden zur Verfügung stehen. Er macht ferner transparent, in welchen
Regionen noch Ausbaubedarf besteht und ist
damit ein geeignetes Mittel, Angebot und Nachfrage auch in bislang unversorgten Gebieten zusammen zu bringen.
Der Breitbandatlas kommt zu der Aussage, dass
in Witzenhausen eine DSL-Verfügbarkeit von 75
- 95 % für die Kernstadt besteht, Ortsteile jedoch
teilweise gar nicht versorgt sind. Keine Aussage
wird über die Geschwindigkeit gemacht. Es ist
jedoch davon auszugehen, dass nicht in allen
Gebieten auch hohe, für Unternehmen interessante Verbindungsgeschwindigkeiten verfügbar
sind.
Bei der Nutzung des Breitbandatlas sind folgende Einschränkungen zu beachten:
Die Versorgungsgebiete sind sehr kleinteilig.
•
12
Die Stadt Witzenhausen hat sich in den vergangenen Jahren bereits im Bereich der Breitbandtechnologie engagiert. Die Stadt hat sich
am geförderten Modellprojekt des Werra-Meißner-Kreises “Breitbandversorgung im ländlichen
Raum“ mit einem Aufwand von ca. 60.000 Euro
beteiligt.
Herausforderungen und Lösungsansätze:
Grundsätzlich sind die regionalen Akteure aufgefordert, politischen Druck aufzubauen, dass
eine flächendeckende Versorgung mit hohen
DSL-Geschwindigkeiten realisiert wird, um ländliche Standorte im Bereich der zunehmend bedeutenden Kommunikationstechnologien nicht
weiter zurück fallen zu lassen. Dies ist Voraussetzung für erfolgreiches Agieren gegen den
demografischen Wandel und für die unternehmensbezogene Standortqualität. Für besondere
räumliche Situationen und einzelne gewerbliche
Anfragen sollten auch mit anderen Infrastrukturanbietern (Gas Wasser, Strom, Schiene etc.)
alternative Möglichkeiten des Breitbandzugangs
ins Auge gefasst werden.
Weitere Informationen zu Fördermöglichkeiten:
http://www.zukunft-breitband.de/ -> Förderung
-> Downloads: Leitfaden Breitbandförderung
Ansprechpartner in der IHK Kassel:
Dipl.-Geogr. Ullrich Spengler (0561/7891-272)
spengler@kassel.ihk.de
Gewerbeflächen
Beim Blick auf eine Karte von Witzenhausen
sieht man vier Gewerbegebiete, von denen einige seit langem etabliert sind, während andere Flächen noch auf eine Nutzung warten. An
der seit Jahren ausbleibenden Entwicklung der
Gewerbegebiete Unterrieden zeigen sich die
Schwierigkeiten der gewerblichen Entwicklung
in Witzenhausen
Witzenhausens Problem ist seine Lage. Über
Jahrzehnte wirkte die Zonenrandlage als Entwicklungshemmnis. Der Vereinigungsboom
brachte einen kurzen Nachfrageschub, für den
Witzenhausen seinerzeit jedoch kein Angebot
hatte. Danach geriet Witzenhausen mit seinem
Gewerbeflächenangebot in den Windschatten
der neuen Bundesländer und kurz darauf in den
verschärften Standortwettbewerb in Folge der
Globalisierung. Deswegen prägen Konzentration, Rationalisierung und Beschäftigungsabbau seit Jahren das Bild der gewerblichen Entwicklung in Witzenhausen, während gleichzeitig
neue Impulse (z.B. Logistik) an der Stadt vorbei
gehen (vgl. Kap. Produzierendes Gewerbe / Logistik). Das inzwischen verfügbare Flächenangebot findet seit Jahren keine Nachfrager aus
dem gewerblichen Bereich, allenfalls aus dem
Berech des großflächigen Einzelhandels.
Folgende Gewerbeflächen gibt es in Witzenhausen:
„Unterrieden“: steht leer
•Gewerbegebiet
•Gewerbegebiet „Kasseler Landstr.“: Papierindustrie und anderes ; evt. Leerstände
•Gewerbegebiet „Bischhausen“: innerstädtisch
•Gewerbegebiet „In der Aue“: jenseits der
Werra, eher Einzelhandel
Gewerbegebiet Unterrieden
Gewerbegebiet „Unterrieden“
voll erschlossen, bisher keine
Flächen vermarktet
Gewerbegebiet „Bischausen“
Gebiet mit teilweiser Umstrukturierung zum Einzelhandelsstandort
Gewerbegebiet „In der Aue“
kleinteiliges Gewerbe, sukzessive
in Umstrukturierung
Industrie- / Gewerbegebiet
„Kasseler Landstraße“
gefestigter Standort, keine weiteren
Entwicklungsoptionen
Regionalplan Nordhessen 2009
13
Gewerbeflächen
Herausforderungen und Lösungsansätze
Generell gilt zwar der Satz „Gewerbeflächenpolitik ist Angebotspolitik“, doch Witzenhausen
muss sich nicht um weitere Flächenreserven bemühen. Im Vordergrund steht hingegen die Vermarktung des existierenden Angebotes sowie der
Umgang mit Brachen bzw. leerstehenden Gebäuden.
Die Kommune muss Strategien entwickeln, um
die Vorleistungskosten für Erschließung und Inwertsetzung sowie die Vorhaltekosten gering zu
halten. Letztere können z. B. durch Optionsverträge und öffentlich-private Partnerschaften (PPP)
günstig gestaltet werden.
Mit Blick auf die Nutzung gilt es, die Komplementärkosten zu den Erwerbskosten zu beachten. Dazu zählen z. B.: Kommunale Steuern, Kosten für DSL-Anschluss, Entsorgungsgebühren,
Energieversorgungskosten.
•
•
•
Gewerbegebiet Unterrieden
Ansprechpartner in der IHK Kassel:
Dipl.-Geogr. Christine Neumann
(0561/7891-322)
christine.neumann@kassel.ihk.de
14
Wirtschaft Überblick
Witzenhausen hat ein breites wirtschaftliches Profil, in dem regionale Versorgungsdienstleistungen und die Papierindustrie besondere quantitative Schwerpunkte bilden. Hinzu kommt
die Rolle als Universitätstandort mit dem Fachbereich „Ökologische Agrarwissenschaft“ aus
dem auch spin-offs hervorgegangen sind. Seit Ende der 1990er Jahre hat Witzenhausen fast
20% der Beschäftigten verloren. Auch wenn der jüngste konjunkturelle Aufschwung für eine
Entlastung sorgte, bleibt die Zukunft unsicher, zumal auch durch den demografischen Wandel
Bevölkerung und Kaufkraft verloren gehen.
Wirtschaftliches Profil
Witzenhausen liegt in einem ländlich geprägten
Raum und ist doch aufgrund der geringen Entfernungen und der Autobahnen der Teil des WerraMeißner-Kreises, der gute Anknüpfungspunkte zu
den Verflechtungsräumen von Kassel und Göttingen hat. Beide Städte sind in gut 30 Minuten
erreichbar, was auch die Pendlerverflechtungen
prägt. Die Entfernung ist jedoch zu groß, um die
Wirtschaftstruktur der Stadt Witzenhausen überwiegend aus ihrer Verflechtung mit den genannten
Oberzentren heraus zu erklären. Denn gleichzeitig ist Witzenhausen ein eigenständiges Mittelzentrum mit einer Versorgungsfunktion für den
nördlichen Werra-Meißner-Kreis. Drei Wirtschaftsbereiche sind von besonderer Bedeutung:
•
Den Industriestandort Witzenhausen prägt
die Papierherstellung. Dies verbindet sich hauptsächlich mit dem Namen des international agierenden Konzerns SCA, in den auch die vormalig zu Procter & Gamble gehörende Fabrikation
in Witzenhausen aufgegangen ist. Das ehemalige Procter & Gamble-Werk beschäftigt ca. 144
Menschen und stellt nunmehr als SCA Hygiene
GmbH u. a. Toilettenpapier her. SCA Packaging
ist mit ca. 208 Beschäftigten auf die Herstellung
von Rohwellpappe spezialisiert. Über die Papierindustrie hinaus gibt es ein differenziertes Spektrum weiterer Unternehmen in einer Spannbreite
von 50 bis 150 Mitarbeitern, wie z. B. die Firma
Rege Motorenteile. Die Firma stellt Produkte für
IHK-Bezirk Kassel - Wirtschaftsraum mit starken Mittelstädten
Für den IHK-Bezirk Kassel sind die Mittelzentren
bedeutende Wirtschaftsstandorte. In ihnen sind
ein Drittel aller sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätze (etwa 128.000) lokalisiert. Damit haben
die Mittelstädte ein genau so großes Gewicht wie
Kassel und Marburg zusammen (etwa 124.000
SVP-Arbeitsplätze). Deshalb sollte man beim Blick
nach vorn den Focus nicht allein auf die beiden
großen Städte richten, sondern auch auf die Mittelstädte in den ländlich geprägten Räumen. Sie
wurden in der Vergangenheit als Standorte industrieller Entwicklung und in ihrer Funktion als regionale Zentren gestärkt, geraten aber nun unter den
Bedingungen von Globalisierung, Zentralisierung
und demografischem Wandel zunehmend unter
Druck.
Mittelstädte sollen in ihren Standorträumen die regionalen Daseinsversorgungsangebote konzentrieren. Sie versorgen die Bevölkerung mit Waren
und Dienstleistungen und sind Schwerpunktorte
für den Arbeitsmarkt. Attraktive Arbeitsplätze sind
eine wichtige Voraussetzung, um die Abwanderung der jüngeren Bevölkerung zu vermeiden. Die
Zukunftsfähigkeit der Mittelstädte hängt mithin im
besonderen Maße von der Ausschöpfung und
Gestaltung der wirtschaftlichen Potenziale ab.
Zu den Potenzialen in den Mittelstädten zählen die
häufig engen Bindungen der Firmen an den jeweiligen Ort. Diese Identifikation und Verbundenheit
zu den ländlich geprägten Mittelstädten führt dazu,
dass auch nicht optimale Standortbedingungen,
wie z.B. schlechte Verkehrsanbindungen, in Kauf
genommen werden. Genauso bedeutsam sind jedoch engagierte und qualifizierte Mandatsträger,
die die lokale Wirtschaft fördern. Dabei kommt es
vor allem darauf an vorausschauend, zielorientiert und kreativ mit der besonderen Situation der
Wirtschaft in den Mittelstädten umzugehen. Die
„Übersichtlichkeit“ und die „kurzen Wege“ in den
Mittelstädten erweisen sich im Dialog zwischen
Wirtschaft und Politik als vorteilhaft.
In der kommunalen Wirtschaftspolitik sollten nicht
nur die konventionellen Instrumente wie Flächenausweisungen, günstige Grundstückspreise oder
die Gestaltung der steuerlichen Hebesätze zur
Anwendung kommen. Ebenso wichtig ist es, sich
als serviceorientierter Dienstleiter der lokalen Wirtschaft zu positionieren und den Unternehmen bei
Fragen und Problemen hilfreich zur Seite zu stehen. Dabei ist es genauso wichtig, den Dialog von
Politik und Wirtschaft formal zu institutionalisieren
wie auch auf informeller Ebene das Gespräch mit
der lokalen Wirtschaft zu suchen.
15
Wirtschaft Überblick
die Automobilindustrie her und wurde 1987 in Witzenhausen gegründet.
Als Mittelstadt mit Versorgungsfunktion beherbergt Witzenhausen einen hierfür typischen
Branchenmix. Hierzu gehören zum Beispiel der
Einzelhandel, Gesundheitsdienstleistungen, Finanzdienstleistungen, handwerkliche Betriebe,
Autohäuser und entsprechende Werkstätten und
vieles mehr.
In der äußeren Wahrnehmung wird die Stadt
auch als Universitätsstandort wahrgenommen,
denn die Universität Kassel unterhält hier eine
agrarwissenschaftlich orientierte Außenstelle (vgl.
Kapitel Uni-Standort Witzenhausen). Der öffentliche Sektor ist ferner durch weitere Behörden
vertreten, die teilweise mit der Funktion als ehemalige Kreisstadt in Verbindung gebracht werden
können. So findet sich in Witzenhausen die Außenstelle der Kreisverwaltung mit Teilen der Sozialverwaltung und dem Gebäudemanagement.
Daneben betreiben auch die Arbeitsagentur und
die Finanzverwaltung entsprechende Dienststellen in Witzenhausen.
•
•
Nachgeordneter Beschäftigungsschwerpunkt
im regionalen Kontext:
In Witzenhausen arbeiteten im Jahr 2007 knapp
4.400 sozialversicherungspflichtig Beschäftigte
(die Zahl der insgesamt Erwerbstätigen liegt erfahrungsgemäß ca. 20% höher). Das sind immerhin
fast 17% des Werra-Meißner-Kreises insgesamt.
Damit ist die Stadt nach der Kreisstadt Eschwege
(knapp 8.200 SVP-Beschäftigte) der bedeutendste
Wirtschaftsstandort im Werra-Meißner-Kreis. Hes-
sisch Lichtenau folgt auf dem dritten Rang mit
rund 3.700 SVP-Beschäftigten. Insgesamt ist die
Beschäftigungsdichte des Werra-Meißner-Kreises
mit 239 Beschäftigten pro 1.000 Einwohner fast so
hoch wie im Landkreis Kassel (250) und genau so
hoch wie im Schwalm-Eder-Kreis. Allerdings kann
Witzenhausen sich in seiner Beschäftigungsdichte (276) kaum vom Durchschnitt des Kreises
absetzen. Rechnet man jedoch die Städte Eschwege und Witzenhausen aus dem Kreisgebiet
heraus, ergibt sich für das restliche Kreisgebiet
eine Beschäftigungsdichte von nur noch 162 Beschäftigten pro 1.000 Einwohner. Dennoch zeigt
sich, dass die Stadt als Wirtschaftsstandort relativ zu ihrer Größe nur eine reduzierte Bedeutung
hat. Im Vergleich der nordhessischen Mittelstädte
markiert Witzenhausen in dieser Hinsicht die Untergrenze.
Differenzierte Wirtschaftsstruktur
Insbesondere die Großbetriebe der Papierherstellung führen dazu, dass Witzenhausen über einen
starken produzierenden Sektor verfügt. Mit fast
1.600 Beschäftigten und 36% ist die Industrie bzw.
das produzierende Gewerbe jeweils bedeutender
als die Teilbereiche der Dienstleistungswirtschaft.
Rechnet man jedoch die Bereiche „Finanzierung,
Vermietung,
Unternehmensdienstleistungen“
(580 Beschäftigte oder 13%) mit den anderen öffentlichen und privaten Dienstleistungen (1280
Beschäftigte oder 30%) zusammen, wird der
Dienstleistungssektor auch in Witzenhausen zur
dominanten Größe. Auf ihn entfallen dann rund
1.860 Beschäftigte und 43% Beschäftigungsan-
Beschäftigungsstruktur 2007
SVP-Beschäftigte am Arbeitsort (absolut)
Landwirtschaft
Produzierendes Gewerbe
Handel, Gastgewerbe, Verkehr
Finanzierung, Vermietung, Unternehmensdienstleister
öffentliche und andere private Dienstleister
Gesamt
SVP-Beschäftigte am Arbeitsort (in %)
Landwirtschaft
Produzierendes Gewerbe
Handel, Gastgewerbe, Verkehr
Finanzierung, Vermietung, Unternehmensdienstleister
öffentliche und andere private Dienstleister
Gesamt
Einwohner
SVP-Beschäftigte am Arbeitsort (je 1.000 Einwohner)
Landwirtschaft
Produzierendes Gewerbe
Handel, Gastgewerbe, Verkehr
Finanzierung, Vermietung, Unternehmensdienstleister
öffentliche und andere private Dienstleister
Gesamt
16
Hess.
Lichtenau
LK ohne
Eschwege,
Hess. Licht.,
Witzenhaus.
Witzenhausen
145
2.109
1.914
946
3.053
8.167
95
1.257
666
467
1.246
3.731
288
4.083
1.853
551
2.633
9.408
53
1.565
874
580
1.283
4.355
0,4
22,1
23,4
19,7
34,4
100,0
1,8
25,8
23,4
11,6
37,4
100,0
2,5
33,7
17,9
12,5
33,4
100,0
3,1
43,4
19,7
5,9
28,0
100,0
1,2
35,9
20,1
13,3
29,5
100,0
107.156
193.803
20.372
12.937
58.068
15.779
5
84
50
24
77
239
2
102
108
91
158
460
7
104
94
46
150
401
7
97
51
36
96
288
5
70
32
9
45
162
3
99
55
37
81
276
WerraMeißnerKreis
Stadt
Kassel
Eschwege
(Kreisstadt)
581
9.014
5.307
2.544
8.215
25.661
396
19.730
20.862
17.540
30.678
89.206
2,3
35,1
20,7
9,9
32,0
100,0
Quelle: Gemeindestatistik Hessen 2008
Wirtschaft Überblick
teil. Auf der Schnittstelle zwischen Industrie und
Dienstleistungswirtschaft ist der Wirtschaftsbereich „Handel, Gastgewerbe und Verkehr“ angesiedelt. Mit fast 800 Beschäftigten oder 13%
erreicht er in Witzenhausen eine nennenswerte
Größenordnung. Die innere Struktur dieses Wirtschaftsbereichs dürfte dabei etwas weniger vom
Speditionsgewerbe und etwas mehr von den Betrieben der Tourismuswirtschaft geprägt sein.
Ein ungewöhnlicher Auspendlerüberschuss
Von den knapp 4.400 Arbeitsplätzen (SVP) in Witzenhausen werden rund 55% bzw. 2.400 von Einpendlern eingenommen. Gleichzeitig haben mehr
als 2.500 Personen aus Witzenhausen als Auspendler eine Beschäftigung außerhalb der Stadt.
Damit hat die Stadt ein leicht negatives Pendlersaldo. Dies bestätigt noch einmal die relativ geringe Bedeutung der Stadt als Wirtschaftsstandort. Denn fast alle Mittelstädte in Nordhessen
erzielen auf der Basis einer höheren Arbeitsplatzausstattung einen Einpendlerüberschuss.
Die wichtigsten Zielorte der Auspendler sind die
Großstädte und Wirtschaftszentren der Region.
Den ersten Rang nimmt dabei Kassel (630 AusEinpendler von:
Kassel
Eschwege
Göttingen
Großalmerode
Bad SoodenAllendorf
145
154
234
232
270
Auspendler nach:
Kassel
Göttingen
Hann. Münden
Eschwege
HessischLichtenau
Quelle: Agentur für Arbeit 2007
Pendlerverflechtungen
630
291
279
134
129
pendler) ein. Göttingen und Hann. Münden folgen mit knapp 300 Auspendlern aus Witzenhausen auf den folgenden Rängen. Während andere
Mittelstädte Einpendler insbesondere aus den
ländlichen und kleinstädtischen Nachbargemeinden generieren, kann Witzenhausen jedoch auch
Arbeitskräfte in nennenswerter Zahl aus den konkurrierenden Wirtschaftsstandorten (z. B. Kassel,
Göttingen, Eschwege) gewinnen. Dies muss insbesondere in Verbindung mit einzelnen großen
Arbeitsgebern mit hochwertigen und attraktiven
Arbeitsplätzen gesehen werden. Hierzu zählen
einerseits die größeren Industriebetriebe und insbesondere auch die Außenstelle der Universität
Kassel. Für diese hochwertigen und spezialisierten Arbeitsplätze werden zum Teil auch längere
Pendeldistanzen in Kauf genommen.
Beschäftigungsentwicklung
Im Jahr 1995 hatte Witzenhausen rund 1.200 Beschäftigte mehr als heute. Dies entspricht einem
Verlust von fast 20%. Von einem in der Folge des
Vereinigungsboom erreichten hohen Plateau aus
kommend hat sich dabei ein fast kontinuierlicher
Beschäftigungsrückgang eingestellt, der erst im
Jahr 2005 eine Umkehrung erfuhr. Davon ausgehend konnten zunächst wieder leichte Beschäftigungszuwächse beobachtet werden, die in der
Folge der neuen Weltwirtschaftskrise jedoch aktuell wieder ausbleiben dürften. Wie in den meisten
anderen Städten und Regionen auch, so hat der
Beschäftigungsrückgang vor allem im industriellgewerblichen Bereich stattgefunden. So ist der
Anteil des produzierenden Gewerbes von über
42% in 2000 auf 36% zurückgefallen. Die anderen
Sektoren konnten ihre Bedeutung erhalten oder
sogar leicht erhöhen. Im Vergleich zum WerraMeißner-Kreis insgesamt hat Witzenhausen zunächst eine leicht unterdurchschnittliche Entwicklung durchlaufen. Im Aufschwung seit 2005
konnte der zwischenzeitlich eingetretene Rückstand jedoch fast wieder aufgeholt werden.
SVP Beschäftigte
105,0
Witzenhausen
100,0
95,0
90,0
85,0
Witzenhausen
80,0
Werra-Meißner-Kreis
75,0
1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007
Quelle: HSL
Quelle: BBR Raumordnungsbericht 2005
17
Wirtschaftliche Perspektiven
Prognos-Studie: Zukunftsatlas 2007
Der Zukunftsatlas 2007 „Deutschlands Regionen im Zukunftswettbewerb“ gibt Auskunft über die Zukunftschancen der 439 Kreise und Kreisfreien Städte in Deutschland. Der aus 29 Indikatoren gebildete Zukunftsindex (Gesamtranking) zeigt dabei die regionale Verteilung der Zukunftschancen und
-risiken innerhalb Deutschlands auf. Die Zukunftsperspektiven von Regionen werden in Anlehnung
an zahlreiche Erkenntnisse aus Wissenschaft und Forschung insbesondere durch vier Determinantengruppen (Themenbereiche) bestimmt: Demografie, Arbeitsmarkt, Wettbewerb & Innovation sowie
Wohlstand & Soziale Lage.
Thesen
• Die demografische Entwicklung hat einen „Wettkampf um Fachleute und Top-Performern“ in
allen Regionen Deutschlands zur Folge.
• Die Bedeutung der Kreativwirtschaft und der Kreativen Klasse für die Zukunftsfähigkeit wächst.
Dynamische Regionen und insbesondere Hot Spots in Ostdeutschland schließen zu den etablierten Wachstumszentren in Westdeutschland auf.
• In der Liga der wachsenden Global Cities spielen die deutschen Großstädte weiterhin
keine Rolle. Sie müssen als schlagkräftige Metropol-Regionen eine Strategie entwickeln – oder
werden zurückfallen.
• Regionen, die sich auf strategische Cluster konzentrieren, liegen beim Wachstum vorn. Nur sie
entwickeln genug Ausstrahlungskraft, um auch das Umfeld profitieren zu lassen.
Das Prognos-Forschungsinstitut stellt seine Infomationen Online zur Verfügung:
http://www.prognos.com/Zukunftsatlas-2007-Regionen.173.0.html
Werra-Meißner-Kreis
Zukunftsrisiken
Rang
2007
(von 439)
Zukunftsfähigkeit
(Gesamtrang)
375
Dynamik
386
Stärke
364
Demografie
386
Soziale Lage & Wohlstand
297
Arbeitsmarkt
357
Wettbewerb & Innovation
379
Regionen
mit......
Regionen mit
Top-Zukunftschancen
sehr hohe Zukunftschancen
hohen Zukunftschancen
Zukunftschancen
ausgeglichenem Chancen-Risiko-Mix
Zukunftsrisiken
hohen Zukunftsrisiken
sehr hohen Zukunftsrisiken
18
Produzierendes Gewerbe / Logistik
In den 1970er und 1980er Jahren hat die Zonenrandförderung trotz der damaligen Randlage
industrielle Investitionen in Witzenhausen unterstützt. Nach 1990 haben sich die Standort- und
Wettbewerbsbedingungen in Folge der Deutschen Einheit und der Globalisierung enorm verändert und Konzentrationsprozesse, Rationalisierungen und Übernahmen nach sich gezogen. Ein
erheblicher Teil der gewerblichen Arbeitsplätze ging verloren, und dennoch ist Witzenhausen
auch heute noch mit einem Anteil von mehr als einem Drittel an allen Beschäftigten ein Standort
mit starker industrieller Prägung.
Entwicklungsgeschichte, Entwicklungsbedingungen und Perspektiven
Bis 1990 war der Werra-Meißner-Kreis und damit
auch Witzenhausen Zonenrandgebiet. Das bedeutet einerseits eine totale Randlage in Deutschland, andererseits aber auch Unterstützung durch
die Zonenrandförderung. In Folge dieser Förderung kam u. a. in den 1970er Jahren die Papierproduktion nach Witzenhausen. 1990 nach dem
Fall der Grenze rückte Witzenhausen in eine Mittelpunktlage. Im Vereinigungsboom der frühen
1990er Jahre kam es kurzfristig zu einer verstärkten Flächennachfrage, für die es in der Stadt
jedoch keine Angebote gab. Die vorhandenen
Unternehmen erhöhten jedoch ihre Produktion.
Schon wenige Jahre später wirkten die Integration des neuen ostdeutschen Marktes und die
veränderte Förderkulisse. Witzenhausener Unternehmen engagierten sich in den neuen Ländern
und in Osteuropa mit neuen Werken, während
der Standort Witzenhausen relativ an Bedeutung
verlor. Der folgende Globalisierungsschub hat
den Standortwettbewerb noch einmal verschärft.
In dessen Folge gaben Produktionsunternehmen
den Standort Witzenhausen auf oder rationalisierten dort die Produktion.
Die örtlichen Zellulose- und Papierproduktion war
immer schon in Konzerne eingebunden, die nicht
in Witzenhausen ansässig sind. In den letzten Jahren kam es auch bei anderen Betrieben zu Vereinigungen und Übernahmen, wodurch die Unternehmenssitze Witzenhausen verließen. Mehr und
mehr hängt deshalb die Zukunft der großen Betriebe in Witzenhausen von Entscheidungen ab,
die fernab von Witzenhausen in Konzernzentralen
getroffen werden.
Witzenhausen konnte den Konzentrations- und
Deindustrialisierungsprozessen nicht entgehen,
gleichzeitig aber von neuen gewerblichen Entwicklungen nicht profitieren. Der Boom der Logistikunternehmen, der rechts und links der Autobahnen in Nordhessen für Impulse gesorgt hat,
ging an Witzenhausen vorbei. Ein neuer großer
Logistikstandort wird im benachbarten Neu-Eichenberg an der A 38 entwickelt.
Profil
Das Profil des Produzierenden Sektors wird in
Witzenhausen durch wenige große Unternehmen
bestimmt: Die meisten Arbeitsplätze finden sich in
der Zellulose- und Papierproduktion bei SCA. Der
Bereich Automotive wird durch die Firma Rege
vertreten. Bürobedarf liefern Platoreg und AZ
Buchstaben. Schließlich gibt es in WitzenhausenHundelshausen den Gipsproduktionsbetrieb VGOrth, früher Kurhessische Gipswerke, der lokale
Gipsvorkommen nutzt.
Entwicklungen in Zahlen
Der produzierende Sektor hatte in Witzenhausen
nach den Daten der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung von 2007 Zehn Betriebe mit fast
1.200 Beschäftigten. (Achtung: Die VG-Statistik
arbeitet mit einer anderen Systematik als die SVPStatistik). Der bereits erwähnte Arbeitsplatzabbau hat dabei zu einer spürbaren Vergrößerung
der durchschnittlichen Betriebsgröße geführt. Im
Jahr 2000 wies die VG-Statistik noch 29 Betriebe
mit 1728 Arbeitsplätzen aus. Im Jahr 2006 waren
nur noch ein Drittel der Betriebe übrig, aber zwei
Drittel der Arbeitsplätze (Zehn Betriebe mit 1.200
Arbeitsplätzen). Demzufolge ist die mittlere Betriebsgröße von 60 auf über 110 gestiegen.
Die mit einer anderen statistischen Systematik arbeitende Statistik der Sozialversicherungspflichtig Beschäftigten zeichnet den Rückgang der Beschäftigten im Produzierenden Gewerbe ebenfalls
nach. Danach ist die Zahl der Beschäftigten von
knapp 2.300 im Jahr 2000 auf fast 1.500 im Jahr
2006 gefallen. Im nachfolgenden konjunkturellen
Aufschwung kam es dann zu einem leichten Anstieg der Beschäftigtenzahlen. Dies ist jedoch
nicht als Trendwende sondern als konjunkturell
bedingte Atempause zu deuten. Die Wirtschaftskrise 2008/2009 dürfte zu weiteren Arbeitsplatzverlusten im produzierenden Sektor führen.
Trotz dieser Entwicklung ist Witzenhausen immer
noch ein bedeutender Industriestandort im WerraMeißner-Kreis. Dies zeigt die Liste der am Ort tätigen Betriebe des produzierenden Gewerbes. Mit
99 SVP-Besch. je 1.000 Einwohner ist das pro-
19
Produzierendes Gewerbe / Logistik
duzierende Gewerbe immer noch ähnlich intensiv vertreten wie in Kassel (102) und Eschwege
(97). Da in Witzenhausen die komplementären
Dienstleistungen nicht so stark ausgeprägt sind,
erreicht der Beschäftigtenanteil des Produzierenden Gewerbes noch 35,9% (Zum Vergleich:
Kassel 22,1%, Eschwege 25,8%, Werra-MeißnerKreis 35,1%).
SVP Beschäftigte im prod. Gewerbe 2000-2007
2.400
2.200
2.000
1.800
1.600
1.400
1.200
1.000
Produzierendes Gew erbe
2000
2001
2002
2003
2004
2005
2006
2007
Quelle: HSL
Wichtige Unternehmen:
Die skandinavische Firma SCA (=Svenska Cellulosa Aktiebolaget) produziert in Witzenhausen
Wellpappenrohpapiere für die Herstellung von Verpackungen (SCA Packaging Containerboard
GmbH) und Hygienepapiere wie Toilettenpapier oder Küchenkrepp (SCA Hygiene Products
GmbH). Seit 1995 gehört das 1975 erbaute Papierwerk in Witzenhausen zum schwedischen Konzern SCA. Heute werden mit derzeit 208 Mitarbeitern ca. 300.000 Tonnen Wellenstoff und Testliner pro Jahr hergestellt. Im Jahr 2007 hat SCA die Hygienepapiersparte von Procter & Gamble am
Standort Witzenhausen übernommen und die SCA Hygiene Products GmbH gegründet. Derzeit
sind etwa 144 Mitarbeiter im Unternehmen beschäftigt.
Rege Motorenteile GmbH & Co. KG: Automobilzulieferer, Produktion von Bauteilen wie Pumpengehäuse, Zylinderköpfe, Getriebgehäuse; 1987 in Witzenhausen gegründet; drei Standorte in Witzenhausen, Eisenach, Brasov (RO); (www.rege.de/)
Plastoreg Smidt GmbH & Co KG: Sonderanfertigung von Registern zur Büroablage (Offsetdruck
und Mylarabteilung). Das Unternehmen wurde 1970 als startup in Frankfurt gegründet und in Witzenhausen erweitert. Seit 1992 weiterer Standort in Kirchganderm/Thüringen; 2008 von Asia File
Corporation Bhd. aus Penang/Malaysia aufgekauft, 150 Beschäftigte an beiden Standorten, davon
ca. 56 in Witzenhausen.
BWG Reimer GmbH & Co. KG - Spedition und Logistik: Internationale Spedition mit umfangreichem Angebot an Fachlogistik (Automobile Logistik, Paketservice, Zweiradlogistik, Medialogistik,
Termin-Express, Logistik für Lebensmittel, Maschinen, Papier, Holz und Güter des täglichen Bedarfs). Das seit 1925 bestehende mittelständische Familienunternehmen betreibt zahlreiche Niederlassungen in Norddeutschland u. a. eine in Witzenhausen.
VG-Orth GmbH & Co. KG (MultiGips): Gipsproduktion, Gipsputzsystemen und Gips-Wandbauplatten, seit dem 19. Jh. Abbau von Gips am östlichen Rand des Dorfes Hundelshausen durch die
Kurhessischen Gipswerken Orth; 2004 Zusammenschluss der Kurhessischen Gipswerke Peter Orth
aus Witzenhausen und der Vereinigten Gipswerke Stadtoldendorf zur VG-Orth GmbH & Co. KG mit
Sitz in Stadtoldendorf; vier Standorte in Deutschland (www.orth-gipse.de/)
Polimoon GmbH / PPROMENS Packaging GmbH (Ehemals Rosti Verpackungen GmbH, davor
Grimm & Triepel Kruse Kautabak GmbH): Seit 1961 werden in Unterrieden Kunststoff-Flaschen
produziert. Derzeit sind 54 Personen am Standort Unterrieden beschäftigt.
20
Produzierendes Gewerbe / Logistik
Herausforderungen/Lösungsansätze
Trotz des stetigen Rückgangs an Beschäftigten
im Produzierenden Gewerbe soll sich Witzenhausen darum bemühen, eine industrielle Basis zu
behalten, da Folgeeffekte (indirekte und induzierte
Effekte) besonders hoch sind. Allerdings sind die
Einflussmöglichkeiten der Stadt sehr begrenzt.
Die Kommune soll sich dauerhaft als Servicepartner der Wirtschaft verstehen, denn Kommune
und Unternehmen haben eine Schnittmenge gemeinsamer Interessen. Die Kommune möchte florierende Unternehmen vor Ort als Arbeitgeber und
Gewerbesteuerzahler, während die Unternehmen
sich betrieblich entwickeln wollen. Dafür ist es
u. a. erforderlich, die standortgebundenen Produktionsbedingungen effizient und kostengünstig
zu gestalten. Als Servicepartner muss die Kommune die eigenen Verwaltungsabläufe transparent, effizient und zügig gestalten. Gleichzeitig
kann sie Schnittstellenfunktionen zu übergeordneten Behörden auf Kreis und Regierungsbezirksebene wahrnehmen.
Die Bürgermeisterin ist überall „erste/r Wirtschaftsförderer/in“, insbesondere in kleinen Städten – natürlich in enger Kooperation mit der Wirtschafsförderung des Landkreises. Im Interesse
der Stadt Witzenhausen sollte die Bürgermeisterin zu den Unternehmen genauso regelmäßigen
Kontakt halten wie zu Bürgern, Vereinen und gesellschaftlichen Gruppen. Problematisch ist hier
allerdings, dass es immer weniger Unternehmen
mit Sitz in Witzenhausen gibt, sondern zunehmend
nur Standorte von international tätigen Unternehmen ohne Führungsebene in Witzenhausen. Die
Vielzahl an informellen Kontakten, die das Amt
des Bürgermeisters mit sich bringt, ermöglicht
ein frühzeitiges Aufspüren von wirtschaftlichen
Friktionen und Hindernissen, die dann in Politik
und Verwaltung thematisiert werden können. Die
•
•
•
Bürgermeisterin muss vermitteln, dass der „gute
Draht“ von Unternehmen zur Bürgermeisterin für
die kommunale Verwaltung wie ein Seismograph
wirkt, nicht jedoch als Abkürzung zur Umgehung
von Verwaltungsabläufen.
Die Kommune soll die ortsgebundenen Abgabelasten der Unternehmen im Blick behalten.
Dazu zählen einerseits Gebühren und Steuern,
die die Kommune selbst festsetzt (wie z. B. die
Gewerbesteuerhebesätze). Es zählen dazu aber
auch die Kostenstrukturen von anderen Versorgungs-, Entsorgungs- und Energieanbietern mit
Gebietsmonopolen. Hier kann die Kommune das
Interesse der Unternehmen an niedrigen Kosten
auch zu einem eigenen Interesse machen.
Kommunale Gewerbeflächenpolitik richtet sich
in Witzenhausen auf die bestehenden Flächen im
Sinne einer Nachnutzung oder Erstvermarktung.
(vgl. Kapitel Gewerbeflächen).
Fachkräftemangel ist jetzt schon in vielen Unternehmen spürbar. Angesichts des demografischen Wandels dürfte das Thema weiter an Bedeutung gewinnen. Im Rahmen der kommunalen
Wirtschaftspolitik kann Fachkräftemangel zu
einem Thema gemacht werden und mit anderen
Politikfeldern der Kommune (Wohnungs-, Familien, Frauen- Kulturpolitik) verknüpft werden.
•
•
•
Ansprechpartner in der IHK Kassel:
Dipl.-Geogr. Ullrich Spengler (0561/7891-272)
spengler@kassel.ihk.de
Investitionszuschuss von bis zu 35 % im Rahmen der GRW
Durch die Gemeinschaftsaufgabe zur Förderung der regionalen Wirtschaftsstruktur können Unternehmensentwicklungen in Witzenhausen unterstützt werden. Gefördert werden kleine Unternehmen
(bis 35 %), mittlere Unternehmen (bis 25 %) und große Unternehmen (bis 15 %) bei der Errichtung
einer Betriebsstätte, der Erweiterung einer Betriebsstätte (15 % mehr Arbeitsplätze), der Diversifizierung der Produktion in neue, zusätzliche Produkte sowie bei einer grundlegenden Änderung des
Gesamtproduktionsverfahrens einer bestehenden Betriebsstätte.
Neben der GRW-Förderung können Unternehmen in Witzenhausen auch weitere thematische (und
nicht raumbezogene) Förderprogramme des Landes Hessen, des Bundes sowie der Europäischen
Union zugreifen
http://www.wfg-werra-meissner.de/foerderpr.html
21
Universitätsstadt Witzenhausen
Universitätsstadt Witzenhausen – „Ökologische Agrarwissenschaft“
Witzenhausen ist auch Universitätsstandort. Die Stadt beherbergt an zwei Standorten (Campus Steinstr. und Campus Nordbahnhofstr.) den Fachbereich 11 „Ökologische Agrarwissenschaft“ der Universität Kassel mit 700 Studierenden und 23 Fachgebieten.
Zum Fachgebiet gehört auch ein Gewächshaus für tropische Nutzpflanzen, das auch öffentliche Führungen anbietet.
Campus Nordbahnhofstraße
Campus Steinstraße
Witzenhausen war bereits im deutschen Kaiserreich Standort einer international ausgerichteten
Agrarausbildung. In der Deutschen Kolonialschule für Landwirtschaft, Handel und Gewerbe konnte
man bis 1944 eine praxisorientierte Ausbildung zum Tropenlandwirt absolvieren. 1957 wurde dann
unter der Trägerschaft des Deutschen Instituts für Tropische und Subtropische Landwirtschaft GmbH
(DITSL, der Nachfolgeeinrichtung der ehemaligen Kolonialschule), die Lehranstalt für Tropische und
Subtropische Landwirtschaft gegründet. Sie bot ein einjähriges Aufbaustudium für künftige Tropenlandwirte an. 1964 fiel die Entscheidung, unter der Regie von Bund und Land, aus dem Angebot der
Lehranstalt einen sechssemestrigen Ingenieurstudiengang für tropische und subtropische Landwirtschaft zu entwickeln. 1971 wurde die Deutsche Ingenieurschule für Ausländische Landwirtschaft als
Organisationseinheit „Internationale Agrarwirtschaft“ Teil der neu gegründeten Universität Gesamthochschule Kassel.
Die Profilierung hin zur ökologischen Agrarwissenschaft wurde ab Anfang der 1980er Jahre betrieben. 1981 konnte bundesweit erstmalig eine Professur für Ökologischen Landbau eingerichtet werden. Wahlfächer wurden für Studierende angeboten und ein ökologischer Lehr- und Versuchshof für
die Forschung aufgebaut. 1993 wurde ein eigener Studienschwerpunkt mit dem Anspruch auf ganzheitliche und partizipative Lehr- und Lernkonzepte angeboten. 1996 wurde dann der universitäre Diplomstudiengang „Ökologische Landwirtschaft“ eingerichtet. Parallel dazu wurden neue Professuren
ausgeschrieben, die zur Festigung des Profiles in Lehre und Forschung beitragen. 2005 erfolgte die
Umstellung und Akkreditierung aller Studiengänge auf Bachelor und Master.
Die Forschung und Lehre in Witzenhausen ist stark international orientiert. Es gibt viele Forschungsvorhaben in den Tropen und Subtropen sowie Partnerschaften und persönliche Kontakte zu dortigen
Universitäten und Institutionen. Seit 2002 gibt es einen englischsprachigen Masterstudiengang „International Organic Agriculture“, seit 2006 einen englischsprachigen Masterstudiengang „International
Food Business and Consumer Studies“.
Quellen:
http://www.uni-kassel.de/agrar/?c=63
http://www.agrar.uni-kassel.de/ink/?c=28
22
BioRegion Werratal – Cluster „ökologischer Landbau“
BioRegion Werratal – Cluster „ökologischer Landbau“
Der Universitätsstandort Witzenhausen mit seinem Fachbereich „Ökologische Agrarwissenschaften“
ist neben Lehre und Forschung bei der Absolventenbetreuung besonders engagiert. Die Gründung
und Pflege von Netzwerken sowie ein Monitoringsystem zur Analyse der Chancen von Studierenden
für den Berufsstart sind die zentralen Elemente der Nachwuchsförderung.
Dieses Engagement hat sich ausgezahlt. Der Fachbereich Ökologische Agrarwissenschaften und
dessen Vorgängereinrichtung haben zahlreiche erfolgreich am Markt operierende Firmen, Unternehmen und Freiberufler hervorgebracht.
Quelle: Website Universität Kassel Fachbereich 11 Ökologische Agrarwissenschaften
Im Rahmen eines Clusters „ökologischer Landbau“ haben sich zahlreiche am Markt etablierte Unternehmen entwickelt, die gleichzeitig mit Know-how den Start-ups zur Seite stehen können. Folgende
Schwerpunkte lassen sich dabei innerhalb der Region erkennen:
• Ingenieurbüros (Abfallwirtschaft, Bioenergie, Umweltmanagement, uvm.)
• Produzierendes Gewerbe und Handel (ökologische Kräuter, Tee und Gewürze,
Arzneipflanzen sowie Pflanzenöl und Technik)
• Landwirtschaftliche Unternehmen (Biohöfe u. a. Milch, Getreide und Tierhaltung)
• Unternehmen mit Schwerpunkt Verkauf – Beratung (Vertrieb von ökologischen Produkten)
• Weitere Dienstleistungsunternehmen (Management, Markting, Bildung und
Informationsdienstleistungen)
Die Website des Fachbereichs „Ökologische Agrarwissenschaften“ listet 68 Unternehmen von Absolventen auf. Geht man davon aus, dass in jedem Unternehmen durchschnittlich vier Personen beschäftigt sind ergibt sich eine Zahl von mindestens 275 Arbeitsplätzen.
Neben den Förder- und Alumnivereinen des Fachbereichs wurde eine Jobbörse für Absolventen eingerichtet, sodass der Nachwuchs für den Wirtschaftscluster „ökologischer Landbau“ gesichert ist
und zielgerichtete Kontakte zwischen Absolventen und Unternehmen entstehen können.
Gleichzeitig befragt der Fachbereich Ökologische Agrarwissenschaften regelmäßig seine Absolventen und Absolventinnen zu ihrem beruflichen Erfolg und Verbleib um die Nachhaltigkeit des Studiums sicherzustellen.
Dieses Engagement der Universität sowie der Alumna zeigt ein vorbildlich verzahntes regionales Bildungs- und Wirtschaftssystem, dass gerade in kleineren Mittelstädten für eine positive wirtschaftliche
Entwicklung sorgen kann.
Weitere Informationen finden sich unter: http://www.uni-kassel.de/agrar/?c=26
23
Sonstige Dienstleistungen / Tourismus / Freizeitwirtschaft
Dienstleistungen
In Witzenhausen arbeiteten im Jahr 2007 rund
2.700 sozialversicherungspflichtige Beschäftigte im Dienstleistungssektor. Dies entspricht
einem prozentualen Anteil von knapp 63 %, was
in etwa dem Durchschnitt des Landkreises entspricht. Mit insgesamt nur 173 Beschäftigten je
1.000 Einwohner im Dienstleistungsbereich unterscheidet sich Witzenhausen deutlich vom benachbarten Eschwege (290) das als Kreisstadt
und Einkaufsstadt im Werra-Meißner-Kreis eine
viel stärkere Dienstleistungsprofilierung zeigt.
Witzenhausen ist hingegen in viel stärkerem
Maße Wohnstandort bzw. Auspendlerstadt. Im
Einzelnen zeigen sich folgende Strukturen:
SVP-Beschäftigte am Arbeitsort nach Branchen
1.600
öffentliche und andere private
Dienstleister
1.400
1.200
Handel, Gastgew erbe, Verkehr
1.000
800
Finanzierung, Vermietung,
Unternehmensdienstleister
600
400
200
2000
2001
2002
2003
2004
2005
2006
2007
Quelle: HSL
•
Mit einer Anzahl von 55 Beschäftigten je
1.000 Einwohnern im Bereich „Handel, Gastgewerbe, Verkehr“ ist Witzenhausen mit dem
Durchschnitt des Landkreises vergleichbar, liegt
jedoch weit hinter dem benachbarten Mittelzentrum Eschwege (94).
Knapp über dem Durchschnitt des Landkreises liegt die Stadt mit dem Bereich „Finanzierung, Vermietung, Unternehmensdienstleister“, in welchen 37 Beschäftigten je 1.000
Einwohner registriert sind. Allerdings bleibt die
Stadt auch hier hinter dem Niveau von Eschwege (46) zurück
Auch im Bereich „öffentliche und andere private Dienstleister“ liegt Witzenhausen mit 81
Beschäftigten je 1.000 Einwohnern knapp über
dem Durchschnitt des Landkreises (77), jedoch
weit hinter Eschwege (150).
•
•
Große Arbeitgeber aus dem Dienstleistungssektor sind zum einem der Fachbereich Ökologische
Agrarwissenschaften der Universität Kassel (vgl.
Kapitel „Universitätsstandort Witzenhausen“
24
SVP-Beschäftigte in Dienstleistungsbrachen
In Witzenhausen 2007
öffentliche und
andere private
Dienstleister;
1.283
Handel,
Gastgewerbe,
Verkehr; 874
Finanzierung,Vermietung,
Unternehmensdienstleister; 580
Quelle: HSL
sowie weitere Behörden (die teilweise mit der
Funktion als ehemalige Kreisstadt in Verbindung
gebracht werden können) gegeben. Die Außenstelle der Kreisverwaltung mit Teilen der Sozialverwaltung sowie dem Gebäudemanagement
ist in Witzenhausen angesiedelt. Darüber hinaus
sind auch die Arbeitsagentur und die Finanzverwaltung in Witzenhausen vertreten.
Die IHK-Statistik weist in Witzenhausen 84 gewerbliche Betriebe aus, die dem Dienstleistungssektor zuzuordnen sind. Über die genannten größeren Betriebe hinaus kommt darin
eine für Mittelstädte dieser Größenordnung typische Struktur zum Ausdruck. Dies umfasst
insbesondere Dienstleistungen zur Versorgung
der Bevölkerung in Witzenhausen und seinem
Einzugsbereich. Hierzu gehören insbesondere
haushaltsnahe Dienstleistungen sowie der kleinteilige Gesundheitssektor (z. B. Arztpraxen). Die
IHK-Statistik weist einige Unternehmensberatungen auf, die sich auf den Bereich Naturwissenschaften / Technik und Umwelt spezialisiert
haben. Hier spiegelt sich der Einfluss der Universität und der dortigen Fachbereiche auf das
Gründungsgeschehen wider.
Sonstige Dienstleistungen / Tourismus / Freizeitwirtschaft
Tourismus- und Freizeitwirtschaft
Tourismus- und Freizeitwirtschaft sind mancherorts auch abseits der wichtigen Destinationen
von einem Strohhalm der Wirtschaftpolitik zu
einem veritablen wirtschaftlichen Standbein geworden. In Witzenhausen lassen sich diesbezüglich Potenziale und Bestrebungen erkennen.
Witzenhausen präsentiert sich selbstbewusst als
Kirschen- und Universitätsstadt – eingebettet im
romantischen Werratal.
Folgendes touristisches Profil ergibt sich für Witzenhausen:
Die attraktive Altstadt mit ihrem wertvollen
Fachwerkbestand prägt den Charakter der
kleinsten Universitätsstadt Deutschlands.
Die zahlreichen Kirschenplantagen und bewaldeter Hügelketten werden als idealer Ausgangspunkt für Aktivurlaube mit erlebnisreichen
Wanderungen in die Umgebung beworben (z.
B. zum Aussichtsturm „Bilstein“ oder Jahreszeiten abhängige Wanderungen auf den speziell ausgewiesenen Kirschblütenwegen). Der Kirschenerlebnispfad bietet vor allem für Familien
auf 4,5 Kilometern und mit 17 Stationen spielerische Informationsmöglichkeiten über die rote
Frucht.
Die Bandbreite der Angebote für Aktivurlauber ist besonders groß: Hierzu gehören neben
Wanderwegen auch mehrere gut markierte Radwege (z. B. der „Werratal-Radweg“), Boottouren
auf der Werra und vielfältige Angebote aus dem
Bereich Sport und Fitness (u. a. Mineralwasser
Freibad, Segelfliegen)
•
•
•
•
Die Kirsche ist das Symbol der Stadt und rund
um dieses Symbol werden verschiedene Feste
in Witzenhausen im jährlichen Turnus angeboten. Zur Kirschenernte findet am zweiten Juliwochenende das große Kirschen- und Altstadtfest statt. Außerdem wird auf der Kesperkirmes
die Kirschenkönigin gekrönt und es finden die
Meisterschaften im „Kirschsteinspucken“ statt.
Auch das gastronomische Angebot passt sich
mit Weinproben des vor Ort produzierten Sauerkirschenweins in dies thematische Profil von
Witzenhausen ein.
Witzenhausen bietet darüber hinaus für in-
•
teressierte Besucher vier Museen an (das Völkerkundliche Museum, das Automuseum Ziegenhagen, die Tabakmanufaktur und das
Tabakmuseum sowie das Gewächshaus für tropische Nutzpflanzen). Ebenso bietet der Erlebnispark Ziegenhagen ein familiengerechtes Angebot.
Die Informationsmöglichkeiten für Touristen sind
im Internet umfassend vorhanden. Auf der Internetseite www.kirschenland.de sind die verschiedenen Angebote aufgeführt. Diesbezüglich sind
auf dieser Internetseite auch Zimmerangebote
und Reservierungen, sowie Gruppen- und Pauschalangebote ausgewiesen. Des Weiteren ist
es möglich Informationsbroschüren zu bestelEntwicklung Übernachtungen
(Index 2000 = 100%)
110
Witzenhausen
Werra-Meißner-Kreis
100
90
80
70
2000
2001
2002
2003
2004
2005
2006
2007
Quelle: HSL
len. Das Bettenangebot in Witzenhausen hat in
den letzen Jahren von 613 Betten im Jahr 2003
auf 727 Betten im Jahr 2007 kontinuierlich zugenommen. Die jährlichen Übernachtungszahlen schwankten in den letzen Jahren (77.282
Übernachtungen im Jahr 2005), haben im Jahr
2007 mit 93.823 Übernachtungen jedoch deutlich zugenommen. Für das Jahr 2007 ergibt sich
eine rechnerische Bettenauslastung von 35 %.
Die Aufenthaltsdauer hat sich seit 2003 (durchschnittlicher Aufenthalt von 2,2 Tagen) kontinuierlich gesteigert und liegt im Jahr 2007 bei
durchschnittlich 2,9 Tagen. Mit diesen Werten
hebt sich Witzenhausen positiv von anderen
Standorten und Mittelstädten in Nordhessen
ab.
Herausforderungen und Lösungsansätze
Witzenhausen verfügt über ein adäquates
Angebot haushaltsnaher Dienstleistungen. Die
Möglichkeiten moderne, innovative, wissensorientierte Dienstleister in Witzenhausen anzusiedeln sind, aufgrund der Tatsache, dass Witzen-
•
25
Sonstige Dienstleistungen / Tourismus / Freizeitwirtschaft
hausen ein Universitätsstandort ist, besser als in
den meisten anderen Mittelstädten. Dieses Potenzial muss noch besser genutzt werden. Es ist
für die Zukunftsfähigkeit der Stadt sehr wichtig,
dass dieser Standortvorteil offensiv vermarktet
wird.
Das Angebot im Bereich Tourismus und Freizeitwirtschaft ist gut ausgebaut und Witzenhausen ist es gelungen eine gute Profilierung und
somit ein „eigenes Gesicht“ der Stadt zu erhalten. Allerdings ist es wichtig, dass die Stadt
nicht für sich alleine steht, sondern sich aktiv in
die Region eingliedert. Anzustreben ist dementsprechend eine weitere Stärkung der Vernetzung
und Integration in den regionalen Verbund.
Es liegt auf der Hand, dass die Region und
mit ihr Witzenhausen gerade in einer interessanten Mischung von Kultur und Natur, bevorzugt Aktivurlauber ansprechen kann. Von daher
ist es auch eine Daueraufgabe Wander- und
Radwanderwege und vergleichbare Angebote
weiter auszubauen und beständig zu pflegen.
Dabei sollte auch weiter an der Verknüpfung mit
den anderen Angeboten der Region gearbeitet
werden.
•
•
26
Ansprechpartner in der IHK Kassel:
Melanie Amert (0561/7891-320)
amert@kassel.ihk.de,
Dieter Lehmann (0561/7891-285)
lehmann@kassel.ihk.de
Einzelhandel
Mittelzentraler Einkaufsstandort: Als ehemalige
Kreisstadt hat Witzenhausen traditionell eine zentrale Funktion für das Umland. Dies spiegelt sich
auch in seiner Rolle als mittelzentraler Einkaufsstandort. Die Werrastadt ist das Versorgungszentrum für die städtische Bevölkerung und auch für
die umliegenden Ortschaften, sowohl auf Witzenhausener Gemeindegebiet als auch darüber hinaus. Dabei bilden laut Regionalplanung Witzenhausen, Neu-Eichenberg, Bad Sooden-Allendorf
und der Gutsbezirk Kaufunger Wald den mittelzentralen Verflechtungsbereich. Mit etwa 26.000
Einwohnern liegt die Bevölkerungszahl in diesem
Gebiet schon unter der Schwelle von 35.000 Einwohnern, die von den Experten beim Bundesamt
für Bauwesen und Raumordnung als Tragfähigkeitsgrenze für ein Mittelzentrum angesehen werden. Die Regionalplanung in Hessen geht hingegen in ländlichen Räumen von 20.000 Einwohnern
als Mindestgröße aus. Nominal liegt die Größe
des Mittelbereichs von Witzenhausen zwischen
diesen beiden Schwellenwerten. Bedenkt man
jedoch, dass Bad Sooden-Allendorf als Kurort
auch eigene Einzelhandelsgeschäfte vorhält und
zudem auch teilweise auf Eschwege ausgerichtet
ist, so reduziert sich das Bevölkerungspotenzial
im Mittelbereich von Witzenhausen beträchtlich.
Allerdings zeigt die Karte mit der entfernungsabhängigen Skizzierung des Verflechtungsbe-
reiches, dass Witzenhausen als Einkaufsstandort
auch für Ortschaften in Thüringen von Interesse
ist. Dennoch muss man eindeutig festhalten, dass
das Bevölkerungspotenzial im Mittelbereich und
damit die Kaufkraft sehr begrenzt ist. Im demographischen Wandel mit dem absehbaren Rückgang der Bevölkerung werden sich die quantitativen Bedingungen für den Einzelhandel weiter
verschlechtern.
Regionale Wettbewerbssituation: Offensichtlich ist die regionale Wettbewerbssituation mit
den umliegenden Ober- und Mittelzentren. Von
Witzenhausen benötigt man mit dem Auto jeweils etwa eine halbe Stunde Fahrzeit, um in die
Oberzentren Kassel oder Göttingen zu kommen.
Von den westlich gelegenen Ortsteilen und von
Neu-Eichenberg geht es noch schneller. Von hier
mag in vielen Situationen das mittelzentrale Zentrum übersprungen und gleich ein Oberzentrum
angesteuert werden. Zusätzlich wirken die relativ
starken Konkurrenten Eschwege, Heiligenstadt
und Hannoversch-Münden als Konkurrenten,
deren Einzugsbereiche sich mit dem von Witzenhausen überschneiden. Einwohner von Dörfern
zwischen den Zentren erhöhen ihre Wahlmöglichkeiten beim Einkaufen, in dem sie situationsbezogen verschiedene Zentren ansteuern.
Göttingen
44
Duderstadt
Hofgeismar
Warburg
Hann.Münden
Brilon
Marsberg
38
Lein e
Vellmar
Bad Arolsen
44
Kassel
Heilbad Heiligenstadt
Witzenhausen
Un
Wolfhagen
Korbach
Baunatal
W
rg
err
a
Hessisch Lichtenau
49
Eschwege
Fritzlar
Melsungen
Bad Wildungen
Frankenberg
7
Allendorf
Battenberg
Sontra
Fu
ld a
Homberg
Rotenburg
Schwalmstadt
opf
benachbarte Zentren mit hoher
Bedeutung
für Witzenhausen
Bebra
Eisenach
potentieller mittelzentraler
Heringen
Verflechtungsbereich
4
10 km
Bad Hersfeld
W
er
ra
Borken
Kirchhain
Mittelzentraler Verflechtungsbereich
27
Einzelhandel
Einzelhandelskaufkraft und -umsatz: Bei einer
Einzelhandelskaufkraft von 5 447 Euro je Einwohner, was einem Niveau von 97,2% des Bundesdurchschnittes entspricht, errechnet sich für Witzenhausen eine einzelhandelsrelevante Kaufkraft
von 86,4 Mio. Euro . Für den regionalplanerisch
definierten mittelzentralen Verflechtungsbereich
errechnen sich gut 142 Mio. Euro. Demgegenüber lag der Umsatz des Einzelhandels im Gemeindegebiet von Witzenhausen bei knapp 78,1 Mio.
Euro. (Quelle: IHK Kassel: Statistik auf den Punkt,
Fakten 1: Einzelhandel in Nordhessen 2009)
GfK Kaufkraft für den Einzelhandel
Witzenhausen
5.447 Euro je Einwohner
Deutschland
5.602 Euro je Einwohner
GfK Kaufkraft für den EH 2008 - Index (D=100)
Witzenhausen
97,2
Deutschland
100,0
GfK-Zentralitätskennziffer 2008
Witzenhausen
96,0
Quelle: GfK / IHK Kassel
Mäßige Kaufkraftbindung: Auch wegen der regionalen Wettbewerbssituation erreicht Witzenhausen nur eine mäßige Kaufkraftbindung. Die GfK
Kaufkraftkennziffer liegt bei 96,1. D. h. der örtlich
erwirtschaftete Einzelhandelsumsatz lag unter der
örtlich verfügbaren Einzelhandelskaufkraft. Das
benachbarte Eschwege erreichte hingegen laut
IHK 2009 bzw. GFK einen Wert von 192,3.
Umsatz räumlich auf mehrere Standorte verteilt: Die statistischen Daten zum Umsatz gelten
für Witzenhausen als Ganzes. Wie in vielen vergleichbaren kleinen Städten mit beengter Innenstadt wurden dezentrale Ergänzungsstandorte
geschaffen. In Witzenhausen ist dies der Bereich
nördlich der Werra, der inzwischen durch die neue
B 80 sehr gut erreichbar ist. Dort findet sich u. a.
der Lebensmitteleinzelhandel mit Ergänzungssortimenten (Herkules-E-Markt, Aldi, Lidl, tegut). Das
hat den entsprechenden Geschäften zeitgemäße
Entwicklungsmöglichkeiten geschafft, gleichzeitig
jedoch zu einer räumlichen Entflechtung von Magneten (Lebensmittelgeschäfte) und innerstädtischen Fachgeschäften geführt. Der Innenstadt
gehen so Laufkundschaft und Kopplungsgeschäfte verloren. Neben der geringen Kaufkraftbindung hat Witzenhausen zusätzlich ein Innenstadtproblem.
Die Altstadt / innerstädtische Einkaufslagen:
Die Altstadt von Witzenhausen hat ein typisch
nordhessisches Gepräge mit engen Straßen, dicht
stehenden Häusern und einem hohen Anteil an
Fachwerkhäusern. Die Lage „mit dem Rücken zur
Werra“ bei gleichzeitiger innerer Ausrichtung der
Stadt auf die Werrabrücke gibt der Altstadt ihre
Struktur. Die prägenden Straßen Brückenstraße,
Markt, Teile der Ermschwerder Str. und Marktgasse bilden heute als Fußgängerbereiche den
Kern der innerstädtischen Einkaufslagen. Hinzu
kommen Teile der Walburger Straße sowie der
Steinstraße, die auch von Autos befahren werden
können. Imponierend für den Besucher ist sowohl
das Ensemble am Markt mit dem wuchtigen steinernen Rathaus sowie die durch Fachwerkhäuser
geprägten Bereiche der Ermschwerder Str. und
Stärken-Schwächen Einschätzung der Altstadt von Witzenhausen
28
Quelle: Studienprojekt von Studenten der Universität
Kassel, unter Ltg. von Gastprof. S. Trommer (2008)
Einzelhandel
der Marktgasse. Die Geschäftsstruktur im innerstädtischen Bereich ist in Analogie zur Baustruktur sehr kleinteilig, wobei sich in der Walburger Str.
noch die größten Geschäfte befinden. Vor allem in
der Brückenstraße fallen Leerstände ins Auge.
Einzelhandelsstruktur in der Innenstadt:
Bei einer Erhebung in der Innenstadt im Sommer 2008 wurden 107 Geschäftslokale erfasst.
Davon standen 7 Geschäftslokale leer. Zusätz-
lich gibt es auch noch in den Übergangszonen
zu den Wohnnutzungsbereichen Leerstände. In
toto ist dieser Leerstand noch nicht dramatisch,
doch sobald sich lokale Häufungen abzeichnen
und sie in Kombination mit Einfachnutzungen
und Billiggeschäften auftreten, beginnen sie
den Charakter einer Raumsituation zu prägen.
Am deutlichsten spürt man solche „schwierigen
Verhältnisse derzeit in der Brückenstraße. Von
den 100 genutzten Geschäftslokalen entfielen
3-polige
Zentrenstruktur
Einkaufscenter
Lebensmittelmärkte
Kleinteiliger Einzelhandel
Einkaufszone „Fußgängerorientiert“
Geschäftsstaße
Übergangszone
Großflächiger Lebensmitteleinzelhandel
Kartengrundlage: Amt für Bodenmanagement Homberg (Efze)
29
Einzelhandel
etwa zwei Drittel auf Einzelhandel im eigentlichen Sinne und ein Drittel auf Dienstleistungen
und Gastronomie. Die Geschäfte sind überwiegend inhabergeführt. Die Daten enthalten keine
besonderen Auffälligkeiten, sie können jedoch
die Qualität des Angebotes und wichtige Lücken nicht abbilden. Wie auch in anderen Mittelzentren fand sich in der Innenstadt kein Platz für
einen attraktiven größeren Lebensmittelmarkt,
der als Magnet wirken kann. Textilgeschäfte fokussieren sich auf Nischen statt auf Angebotsbreite. Innerstädtische Kaufhäuser sind längst
verschwunden (und schließen auch in größeren Städten zunehmend ihre Pforten). Billiggeschäfte stoßen in die Lücken vor. Man kann die
These aufstellen, dass sich der Schwerpunkt
des Einzelhandels in der Innenstadt verlagert.
Während die Brückenstraße und auch Bereiche
Am Markt bzw. in der Marktgasse derzeit keine
attraktiven Einkaufslagen darstellen, wirkt die
Walburger Str. durchaus vital.
City-Bereich und Einkaufszone: Fakten
• Länge der Einkaufszone
Fußgängerorientiert: ca. 350 m
Geschäftsstraße und Ergänzungsbereich:
ca. 370m
• Anzahl der aufgenommenen Geschäfte: 100
• Filialisierungsgrad: 11,5 %
• Anteil der inhabergeführten Geschäfte:
88,5 %
• Leerstände: 6,5 %
Einzelhandelsstruktur in der Innenstadt
Bücher und Schreibwaren
Uhren, Schmuck, Foto
und Optik
Warenhäuser, Verbrauchermärkte
Nahrungsmittel
Textilien
Schuh und Lederwaren
Möbel und Hausrat
Elektrische HH-Geräte, Hifi,
Musikinstrumente
Apotheken, Sanitätsbedarf
und Drogerien
sonstiger Einzelhandel
Finanzen/Versicherungen
öffentliche Dienstleitungen
personenbezogene Dienstleistungen
Gastronomie/Restaurant/Verpflegung
Andere Nutzung
0
4
Quelle: Eigene Erhebung
30
8
12
16
20
Altstadt von Witzenhausen
Einzelhandel
Herausforderungen und Lösungsansätze
Die Witzenhäuser Innenstadt steht unter einem
starken Wettbewerbsdruck. Konkurrenten sind
die dezentralen Einkaufsstandorte in Witzenhausen wie auch die benachbarten Zentren. Damit
einher geht eine niedrige Kaufkraftbindung. Ein
weiteres Probleme sind die Investitionsstaus in
den alten Fachwerkgebäuden. Räumlich scheint
der Bereich Brückenstraße / Am Markt / Marktgasse das Sorgenkind zu sein, weil hier ein identitätsprägender Teil der Altstadt besonders unter
Druck steht. Auf Dauer sind zwei Entwicklungspfade denkbar. Entweder wird die Witzenhäuser
Altstadt als Einkaufsstandort weiter an Bedeutung verlieren und so auch die touristisch Interessante Kulisse gefährden, oder aber es gelingt die Altstadt neu zu positionieren. Letzteres
sollte das Ziel sein, doch es ist objektiv schwierig. Standortentscheidungen für den Einzelhandel außerhalb der Altstadt sind längst gefallen,
der demografische Wandel lässt die Bevölkerungszahl im mittelzentralen Verflechtungsbereich schrumpfen und die Finanzkrise reduziert
die Spielräume für öffentliche und private Investionen weiter. Insofern wäre es vermessen, einige typische Handlungsfelder zu benennen
(Parkplätze, Qualität des öffentlichen Raumes,
Bespielung des öffentlichen Raumes, stärkere
Abstimmung der Einzelhändler, bessere Werbung u. dgl.) und dazu aufzufordern, diese abzuarbeiten.
Es bietet sich an, die vielen bekannten Problembeschreibungen und Handlungsvorschläge in
den Blick zu nehmen und sie im Sinne einer
SWOT-Analyse (Stärken, Schwächen, Chancen, Risiken) zu sortieren. Dabei würde man bei
der Stärken-Schwächen-Analyse selbst-reflexiv
ansetzen („Was sind unsere spezifischen Stärken und Schwächen?), während die Chancen
und Risiken kontextbezogen diskutiert würden
(Was können wir in der Wettbewerbssituation
anders machen, um erfolgreich zu sein? Was
müssen wir vermeiden, um erfolglos zu sein?).
Ein solcher Ansatz würde zeigen, (a) dass man
selbst Möglichkeiten in der Hand hat, (b) dass
ein breiter Ansatz erforderlich ist und (c) dass
viele Akteure eingebunden werden müssen.
Es gibt keine Erfolg versprechende Einzelmaßnahme, sondern Chancen entstehen nur durch
ein Paket von Maßnahmen, das mit einem langen Atem umgesetzt wird.
Diese Überlegungen verweisen darauf, einen
starken City-Manager oder eine City-Managerin zu etablieren. Er/sie sollte nicht ausschließlich von der Stadt finanziert, sondern vom innerstädtischen Einzelhandel co-finanziert werden.
Ein solcher Finanzierungsmechanismus zeigt,
dass der Einzelhandel ein Interesse an der Position des City-Managers hat und dass er von ihm
etwas erwarten darf. Die Anforderungen an das
City-Management und die Einschränkungen gegenüber einem weiteren Stadtmarketing wurden
bereits oben dargestellt. Vom City-Management
sind keine schnellen Ergebnisse zu erwarten.
Gleichzeitig sollte es nicht ohne weiteres als
Dauereinrichtung etabliert werden, sondern
eher als Projekt über 3-5 Jahre.
Der endgültige Aufgabenbereich des City-Managements muss nach der SWOT-Analyse bestimmt werden. Folgende Punkte können jedoch sofort auf die Agenda gesetzt werden:
„Ansiedlung neuer Magnetbetriebe (insbes.
eines hochwertigen Lebensmittelmarktes am
Rande der Altstadt),
Schaffung eines zeitgemäßen Verkehrs- und
Parkkonzeptes (u.a. unter Berücksichtigung des
Engpasses „Werraberücke“)
Optimierung der Altstadtatmosphäre (reicht
von baulichen Maßnahmen bis zur „Bespielung“
des öffentlichen Raumes)
Bündelung der Interessen der Einzelhändlerschaft mit dem gleichzeitigen Ziel einer besseren Abstimmung des Auftritts (Öffnungszeiten,
Werbung, u.a.m.),
Einbindung der Hauseigentümer (Anpassung
Mietpreiserwartungen, Auflösung von Sanierungsstaus, Umgang mit Denkmalschutz),
Einbindung der Maßnahme in ein integriertes
Einzelhandelskonzept für Witzenhausen (oder
eventuell sogar in ein regionales Einzelhandelskonzept).
Sehr wichtig ist die Anlage des Prozesses. Ein
City-Manager ist kein „Wunderheiler“, der neue
Lösungen mitbringt, um sie dann vor Ort zu realisieren. Er oder Sie ist vielmehr gleichermaßen Moderator wie kreativer Kopf, der Probleme
identifizieren kann und die Akteure zusammenbringt, die zur Lösung beitragen können. Dabei
sollte auch geprüft werden, inwieweit die verschiedenen Landes- und Bundesprogramme
(vgl. Kasten) für Witzenhausen genutzt werden
können.
•
•
•
•
•
•
Ansprechpartner in der IHK Kassel:
Dipl.-Geogr. Christine Neumann
(0561/7891-322)
christine.neumann@kassel.ihk.de
31
Strategien für den Einzelhandel in Mittelstädten
Charakteristische Problemlagen in Klein- und Mittelstädten:
•
Der Fach- und Einzelhandel in Mittelstädten konkurriert nicht nur mit den regionalen Oberzentren, sondern auch mit den Angeboten anderer Mittelzentren sowie Einkaufzentren auf der „grünen
Wiese“.
Durch Geschäftsaufgaben, die nicht selten das Ergebnis von Nachfolgeproblemen bei Inhabergeführten Geschäften und Betrieben sind, kommt es in Innenstadtlagen vermehrt zu Leerständen.
Leerstehende Ladenflächen lassen sich aufgrund überhöhter Preisvorstellungen der Eigentümer
schlecht vermieten / verkaufen.
Schlechte Bausubstanz, nicht optimale Raumaufteilungen und die Auflagen der Denkmalpflege
führen dazu, dass Leerstände in den für Nordhessen charakteristischen Fachwerkhäusern zum Problem der innerstädtischen Einzelhandelsentwicklung werden.
Lebensmitteleinzelhandelsgeschäfte siedeln sich aufgrund der Flächenbedarfe außerhalb der „Innenstadtkerne“ an und fungieren nicht mehr als Frequenzbringer für den Einzelhandel im eigentlichen Zentrum.
Mittelzentren werden in den ländlich geprägten Regionen mit dem PKW angefahren. Damit muss
bei der Entwicklung der Innenstadtkerne immer zwischen den Ansprüchen der Kunden bezüglich
individueller Mobilität (insbesondere Parkplatzangeboten) und verkehrsberuhigten- oder Fußgängerzonen vermittelt werden.
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Programme zur Unterstützung der Kommunen
Ab in die Mitte: Mit dem Wettbewerb „Ab in die Mitte! Die Innenstadt-Offensive“ setzt das Land
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Hessen gemeinsam mit Partnern aus dem öffentlichen Bereich und der privaten Wirtschaft ein Zei-
chen, um neue Impulse für die Stadtentwicklung einzufordern und damit das Augenmerk auf die Attraktivität der Zentren zu lenken.
Inhaltliche Schwerpunkte sollten sein:
- Erhaltung der Multifunktionalität der Innenstädte
- Sicherung eines breiten Angebotes für alle Bevölkerungsgruppen
- Stärkung der kulturellen Identität der Städte
- Vernetzung von Handel, Gastronomie und Kultur
- Schaffung neuer Impulse für Erlebnisqualität und Verweildauer
Die Bewerbung erfolgt durch die Kommune beim hessischen Ministerium für Wirtschaft, Verkehr und
Landesentwicklung. Die von der Jury ausgewählten Städte und Gemeinden erhalten für die Umsetzung der Projekte eine finanzielle Unterstützung.
Weitere Informationen: www.abindiemitte-hessen.de
Aktive Kernbereiche: Mit dem neuen Förderprogramm werden die hessischen Kommunen intensiver dabei unterstützt, die Funktionen der Innenstädte zu stärken und neue Qualitäten in den Kernbereichen zu entwickeln. Zentrale Kriterien für eine Förderung sind die Kooperation zwischen den
unterschiedlichen innerstädtischen Akteuren - privater Sektor, Zivilgesellschaft und öffentlicher Sektor
- und der integrierte Ansatz der Stadt. Auch interkommunale Partnerschaften werden gefördert. Interessierte Kommunen können sich beim hessischen Ministerium für Wirtschaft, Verkehr und Landesentwicklung bewerben. Weitere Informationen: www.aktive.kernbereiche-hessen.de
INGE- / BID-Initiativen: Mit dem Gesetz zur Stärkung von innerstädtischen Geschäftsquartieren
(INGE)wird das nordamerikanische Konzept der Business Improvement Districts (BIDs) auf Hessen
übertragen. In INGE-/BID-Initiativen finden sich Hauseigentümer und weitere Innenstadt-Akteure mit
dem Ziel der Aufwertung Ihres Quartiers zusammen. Maßnahmen zur Quartiersentwicklung und das
dafür erforderliche Budget werden von den Grundeigentümern und Gewerbetreibenden selbst festgelegt und verwaltet. Mögliche Projekte in solchen BIDs gehen von einem verbesserten Marketing,
gemeinsamen Veranstaltungen, Straßenraumgestaltung bis hin zu baulichen Maßnahmen im öffentlichen Raum. www.wirtschaft.hessen.de -> Bauen/Wohnen -> Städtebau -> Downloads
Stadtumbau: Unter dem Bundesprogramm Stadtumbau West wurden in der Vergangenheit Städte
gefördert, die durch den Strukturwandel in Schwierigkeiten geraten waren. Aktuell wird über eine
Neustrukturierung des Programms nachgedacht.
www.bmvbs.de ->Stadtentwicklung,Wohnen -> Stadtentwicklung -> Statumbau
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Zusammenfassung: wichtige lokale Handlungsfelder
Demografie: Die Bewältigung des demografischen Wandels stellt für Witzenhausen eine große Herausforderung dar, denn die die Prognosen sagen deutliche Schrumpfungs- und Alterungsprozesse
voraus. Daran ändert auch die Rolle als kleiner Hochschulstandort nichts Wesentliches. Überregional gibt es viele Initiativen (z.B. Bertelsmann-Stiftung, Bund, Land Hessen, Landkreis), in denen die
Herausforderungen und Handlungsmöglichkeiten intensiv diskutiert werden. Witzenhausen hat erste
Initiativen ergriffen. So wirbt die Stadt überregional für ihre Qualitäten als Wohnstandort und hat auch
ein „Lokales Bündnis für Familien“ initiiert. Diese Ansätze gilt es, weiter auszubauen und ihre Wirkung
zu evaluieren. Dabei sollte die Stadt Witzenhausen die Aktivitäten des Landkreises zum demografischen Wandel inhaltlich aufgreifen und in die kommunale Politik hineintragen. Die Bewältigung des
demografischen Wandels ist eine komplexe Daueraufgabe, die von Dämpfungsbemühungen, über
die Sicherung der Funktionsfähigkeit der Kernstadt und einer Generationenpolitik bis hin zum einem
neuen Austarieren der Entwicklungsperspektiven für Kernstadt und Dörfer reicht. Am Anfang geht es
darum, die Herausforderungen transparent zu machen und trotz aller dabei sichtbar werdenden Probleme positive Handlungsansätze zu vermitteln.
Wirtschaftsnahe Infrastruktur: Die Optimierung der wirtschaftsnahen Infrastruktur ist als Element
kommunaler Wirtschaftsförderung eine Daueraufgabe.
Die Anbindung an das überregionale Straßennetz ist in den letzten Jahren durch den Bau der B 80
neu im Stadtgebiet von Witzenhausen sowie und den Bau der A 38 deutlich verbessert worden. Ein
Engpass bleibt die Werraquerung und die Straßenführung im Innenstadtbereich.
Das DSL-Netz (Breitbandanbindung) ist in den letzten Jahren stark ausgebaut worden, doch bevorzugt in den Ballungsräumen. Insofern besteht für ländlich geprägte Räume, wie den Werra-MaißnerKreis noch ein Ausbaubedarf. Die Kernstadt Witzenhausen ist schon jetzt relativ gut angebunden,
während es auf den Dörfern noch Defizite gibt. Im Zuge der Diskussion über die Konjunkturpakete
des Bundes ist auch die Breitbandanbindung in ländlichen Räumen als Investitions- und Handlungsfeld identifiziert worden.
Bei den Gewerbeflächen symbolisiert das seit Jahren leer stehende Gewerbegebiet Unterrieden die
Lage von Witzenhausen. Eine Nachfrage von außerhalb nach Gewerbeflächen gibt es derzeit nicht.
Herausforderungen liegen deshalb in der Bestandsentwicklung. Generell sind die Komplementärkosten zu den Erwerbskosten zu beachten (kommunale Steuern, DSL-Anschlusskosten, Entsorgungsgebühren, Energieversorgungskosten).
Wirtschaftliches Profil: Witzenhausen hat ein breites wirtschaftliches Profil, in dem regionale Versorgungsdienstleistungen und die Papierindustrie besondere quantitative Schwerpunkte bilden. Hinzu
kommt die Rolle als Universitätsstandort mit dem Fachbereich „Ökologische Agrarwissenschaft“ der
Universität Kassel, aus dem auch spin-offs hervorgegangen sind. Seit Ende der 1990er Jahre hat Witzenhausen fast 20% der Beschäftigten verloren. Auch wenn der jüngste konjunkturelle Aufschwung
für eine Entlastung sorgte, bleibt die Zukunft unsicher, zumal auch durch den demografischen Wandel Bevölkerung und Kaufkraft verloren gehen. In Anbetracht dieser Situation muss sich Witzenhausen wirtschaftspolitisch breit aufstellen und versuchen, auch kleine Potenziale zu nutzen.
Wirtschaftsfreundliche Politik und Verwaltung: Die Stadt Witzenhausen sollte generell das Ziel
einer wirtschaftsfreundlichen Politik und Verwaltung verfolgen. Probleme und Fragestellungen, die
die Unternehmen vor Ort tangieren, sollten frühzeitig aufgegriffen und entsprechende Hilfestellungen
geleistet werden. Ziel muss ein „kurzer Draht“ zwischen Wirtschaft und Verwaltung sein. Zur Kontaktund Beziehungspflege eignen sich auch gemeinsame Projekte von Wirtschaft und Stadt Witzenhausen, z. B. zu Themen wie Führungskräftemangel, Leerstandsmanagement etc.
Produktion / Logistik: Witzenhausen ist ein typischer spätindustrialisierter Ort, in dem seit den 1970er
Jahren im Zuge der Zonenrandförderung Industriebeschäftigung geschaffen wurde (Papierindustrie).
Diese Entwicklung wirkt nach, auch wenn sich die Rahmenbedingungen (Wegfall der Grenzlage,
veränderte Förderkulisse, Globalisierung) grundlegend verändert haben. Witzenhausen konnte den
Konzentrations- und Deindustrialisierungsprozessen nicht entgehen, gleichzeitig aber von neuen gewerblichen Entwicklungen nicht profitieren. Der Boom der Logistikunternehmen, der rechts und links
der Autobahnen in Nordhessen für Impulse gesorgt hat, ging an Witzenhausen vorbei. Ein neuer gro33
Zusammenfassung: wichtige lokale Handlungsfelder
ßer Logistikstandort wird im benachbarten Neu-Eichenberg an der A 38 entwickelt. Trotz dieser Entwicklungen sollte Witzenhausen sich dafür engagieren, die industrielle Basis zu erhalten.
Dienstleistungsstandort: Die Mehrzahl der Beschäftigten arbeitet in Witzenhausen (wie nahezu
überall) im Dienstleistungssektor. In diesem Bereich ist das Witzenhausener Profil differenziert, jedoch nicht besonders profiliert, wie ein Vergleich mit der Kreisstadt Eschwege zeigt. Eine Ausnahme
ist jedoch die Rolle als Universitätsstandort.
Fachbereich „Ökologische Agrarwissenschaft“ / Bioregion Werratal: Witzenhausen ist auch Universitätsstandort. Die Stadt beherbergt an zwei Standorten (Campus Steinstr. und Campus Nordbahnhofstr.) den Fachbereich 11 Ökologische Agrarwissenschaft“ der Universität Kassel mit 700
Studierenden und 23 Fachgebieten. Zum Fachgebiet gehört auch ein Gewächshaus für tropische
Nutzpflanzen, das auch öffentliche Führungen anbietet. Wirtschaftlich besonders interessant sind
neben den ökonomischen Primäreffekten (Universität als Arbeitgeber, Universität als Nachfrager lokaler Leistungen) die spin-offs aus der Universität, die zu einer Vielzahl kleiner Unternehmen mit unterschiedlichsten Leistungsprofilen geführt haben. Unter dem Label „Bioregion“ Werratal wird der
Fokus gezielt auf diese Entwicklungen gelegt.
Tourismus / Freizeitwirtschaft: Angesichts der Erfordernis, wirtschaftspolitisch jedes Potenzial zu
nutzen, sind Tourismus und Freizeitwirtschaft für Witzenhausen keine Randthemen. Dabei gilt der
Satz: „Das Ganze ist mehr als die Summe der Teile“. Deswegen müssen Tourismus und Freizeitwirtschaft in regionalen Dimensionen gedacht werden. Dabei muss Witzenhausen seine örtlichen
Potenziale in Wert setzen, um sie dann regional zu vernetzen und zu vermarkten. Diesen schon zu
beobachtenden Ansatz, gilt es fortzusetzen und ggfs. zu optimieren. Witzenhausen ist bereits in
regionale Tourismusstrukturen (Märchenstraße, Fachwerkstraße) eingebunden. Das ist richtig und
sollte konsequent weiter verfolgt werden. Die Region mit ihrem Profil aus Flusstal, Mittelgebirge und
Fachwerkstädten spricht Aktivurlauber an. Die Analyse zeigt, dass das Angebot in Witzenhausen
und der Region schon dementsprechend orientiert ist. Die Herausforderung liegt so vor allem in der
Pflege und Modernisierung des Angebotes sowie des Marketings. Gleichzeitig steht Witzenhausen
aber auch in der Verantwortung – um im Bild zu bleiben – seine Teile für das Ganze (z.B. Innenstadt,
Gastronomie, Sehenswürdigkeiten) aufzuwerten und attraktiv zu machen.
Einzelhandel: Witzenhausen steht als Einzelhandelsstandort in einem starken regionalen Wettbewerb mit den benachbarten Mittelzentren Eschwege und Heiligenstadt sowie den Oberzentren Kassel und Göttingen. Das Bevölkerungspotenzial im mittelzentralen Bereich ist gering und schrumpft.
Schon jetzt ist die Kaufkraftbindung mit einer Zentralitätskennziffer von 96,0 relativ gering. Mit den
jüngeren Einkaufsstandorten Herkules-Center und dem Lebensmittelmarktclusternördlich der Werra
hat Witzenhausen sich eine solide Grundversorgung gesichert. Gleichzeitig entsteht durch die Dreipoligkeit eine innerstädtische Konkurrenzsituation. Folglich steht die Witzenhäuser Altstadt unter
einem mehrfachen Konkurrenzdruck, die durch innere Strukturen (Enge, begrenzte Flächen in alten
Fachwerkhäusern) verstärkt wird. Räumlich scheint der Bereich Brückenstraße / Am Markt / Marktgasse das Sorgenkind zu sein. Insgesamt ist die Problemlage komplex, und einfache schnelle Lösungen lassen sich nicht versprechen. Man kann aber anstreben, in einem Zeitraum von drei bis fünf
Jahren zumindest auf einen positiven Pfad einzuschwenken. Zentral könnte dabei ein von Stadt und
Kaufmannschaft finanzierten City-Management sein, das sich gleichzeitig um Kommunikationsprozesse wie um inhaltliche Lösungen bemüht und dabei auch die Programme des Landes und Bundes
für Witzenhausen nutzbar macht.
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Witzenhausen steht nicht allein!
Rolle und Chancen der Mittelstädte im IHK Kammerbezirk Nordhessen
Die Stadt Witzenhausen ist ein Individuum mit eigener Geschichte, Gestalt und Struktur. Gleichzeitig
steht Witzenhausen aber auch für einen bestimmten Typus von Stadt, den man im IHK-Bezirk Kassel
häufig antrifft. Gemeint ist die Mittelstadt mit etwa 10.000 bis 20.000 Einwohnern, einem schmucken
historischen Kern, einigen in ihren Märkten bestens etablierten Industrieunternehmen mit zum Teil
globalen Verflechtungen, sowie Handels-, Verwaltungs-, Bildungs- und Gesundheitseinrichtungen,
die die Mittelstadt auch zu einem zentralen Ort für ihren mittelzentralen Verflechtungsbereich machen.
Gemeinsam sind den Städten aber auch manche Probleme, z.B. die Sorgen um die Zukunft des örtlichen Einzelhandels, die Zukunft der historischen Bausubstanz, die Sicherstellung einer zeitgemäßen
Infrastruktur, absehbare Schrumpfungs- und Alterungsprozesse aufgrund des demografischen Wandels, und je nach wirtschaftlicher Situation die Sorgen um die Zukunft der lokalen Unternehmen oder
die Mobilisierung von Facharbeitskräften.
Die Mittelstädte mit ihren Ortsteilen prägen den IHK-Bezirk gemeinsam mit den großen Städten Kassel
und Marburg. Eine Auflistung aller wichtigen Unternehmen in Mittelstädten würde eine erstaunliche
Zahl an bekannten bzw. „hidden champions“ liefern und eine gemeinsame Betrachtung der Bildungsund Gesundheitseinrichtungen würde ebenfalls Masse und Qualität zeigen. Dieses Ergebnis ist gar
nicht so überraschend. Einerseits reflektiert es die deutsche Industriegeschichte, bei der viele Industrieunternehmen aus kleinen Handwerks- und Handelsunternehmen im ländlichen Raum hervorgegangen sind. Auch Bildungs- und Gesundheitseinrichtungen haben zum Teil weit zurückreichende
Wurzeln. Zum anderen spiegelt die aktuelle Struktur aber auch die Erfolge einer ausgleichs- und
entwicklungsorientierten Regionalpolitik und Raumordnung in Deutschland. Sie hat die ländlich geprägten Räume und die Mittelstädte über Jahrzehnte gefördert und gestärkt und ihnen so erfolgreich
durch viele Umbrüche geholfen.
Derzeit durchläuft Deutschland wieder intensive wirtschaftliche und demografische Veränderungen
mit starken räumlichen Auswirkungen, die die gewohnte Rolle der Mittelstädte in Frage stellen können. Die zugehörigen ökonomischen Schlüsselbegriffe lauten „Globalisierung“ und „Wissensgesellschaft“. Der Abbau von Industrie in Deutschland aufgrund von Standortverlagerungen seit Mitte der
1990er Jahre steht für diesen Prozess. Ökonomische Entwicklung ist aber kein räumliches Nullsummenspiel, sondern immer auch ein kreativer Prozess der Entwicklung und Vermarktung neuer Produkte und Dienstleistungen. Es stellt sich nun die Frage, ob die Chancen zum Heranwachsen des
Neuen räumlich gleichmäßig verteilt sind, so dass davon auch die Mittelstädte partizipieren. Diese
Frage ist noch nicht abschließend beantwortet, doch es gibt einige kritische Indizien. Es erscheint
heute wenig wahrscheinlich, dass neue life science Unternehmen aus lokalen Apotheken, neue
Fahrzeugbauunternehmen aus Fahrradwerkstätten oder Maschinenbauunternehmen aus ländlichen
Schmieden hervorgehen.
Innovation ist heute noch viel stärker als früher an bestehende große Unternehmen angedockt und auf
Bildungs- und Forschungseinrichtungen und den Zugang zu internationalem Wissensaustausch angewiesen. Hier haben die großen Städte und Agglomerationen einen klaren Standortvorteil, weshalb
in ihnen die dynamischen Räume gesehen werden. Insofern ist es raumordnerisch sinnvoll, Metropolregionen und Regiopolen – sozusagen ihre kleineren Schwestern – zu stärken und zu vernetzten.
Die kleineren Städte müssen in dieser Situation zum einen auf die Diffussionsprozesse setzen, denn
Produktion und Logistik müssen Kostenvorteile ausnutzen und die Fläche erschließen. Sie müssen
aber auch ihre spezifischen Potenziale pflegen, wozu vor allem auch die ansässigen Unternehmen
mit ihren Wissensbeständen zählen. Wenn Industrietraditionen abreißen und damit das kreative Wissen am Ort verloren geht, wie es in Ostdeutschland bei der Transformation nach der Wende vielfach
zu beobachten war, dann ist das fatal. Nun darf man die Möglichkeiten kommunaler Politik nicht
überschätzen, denn die Entwicklung von Unternehmen liegt in der Hand von Unternehmern oder Geschäftsführern. Aber die Kommunen können sich wandelnden Bedingungen der Raumentwicklung
Rechnung tragen, in dem sie sich mit den veränderten Bedingungen auseinandersetzen, ihre Vernetzung untereinander und mit den starken Wirtschaftsräumen forcieren und sich ihrer spezifischen
Potenziale bewusst sind.
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Witzenhausen steht nicht allein!
Witzenhausen steht in den aktuellen Veränderungen nicht allein, denn Witzenhausen ist eine von
über zwanzig interessanten Mittelstädten im Kammerbezirk. Die anderen Mittelstädte sind weder
„weit weg“ noch vorrangig „Konkurrenten um Ansiedlungen“. Sie können vielmehr Partner sein, wenn
es darum geht die Rolle und Entwicklungsperspektive von Mittelstädten im Prozess der aktuellen
räumlichen Restrukturierung mit ihrer Fokussierung auf Metropolregionen zu definieren und zu gestalten. Dabei geht es nicht um einen einfachen Lobbyismus nach dem Motto „jetzt ist auch der arme,
benachteiligte ländliche Raum wieder an der Reihe“. In Deutschland gibt es andere Chancen. Zum
einen haben die Mittelstädte historisch bedingt ein enormes Produktions- und Innovationspotenzial
außerhalb der großen Ballungsräume. Zum anderen ist Deutschland im internationalen Vergleich infrastrukturell sehr gleichmäßig ausgestattet und verkehrsmäßig bestens vernetzt. Es ist also vor allem
eine mentale Herausforderung, die Mittelstädte in Deutschland nicht als Peripherie des 21. Jahrhunderts sondern als integrierte Teile eines urbanen Netzwerkes zu begreifen. Und natürlich müssen die
entsprechenden Verkehrsverbindungen und Kommunikationsverbindungen ausgebaut, gestärkt und
im Falle der Bahnstrecken auch „bespielt“ werden.
Witzenhausen steht nicht allein. Im Verbund mit den anderen Mittelstädten sollte es den Austausch
suchen, um so Anschluss an die Entwicklungsdiskussion in den Metropolregionen und den Regiopolen zu finden. Für eine einzelne Mittelstadt ist das angesichts der begrenzten Personalkapazitäten
und des geringen eigenen Gewichts eine kaum lösbare Aufgabe. Im Verbund mit den anderen Mittelstädten und moderiert und unterstützt durch die IHK Kassel sind die Perspektiven für eine Entwicklungs- und Verantwortungsgemeinschaft mit den großen Städten Kassel und Marburg und auch
darüber hinaus gegeben. Mit der vorliegenden Broschüre möchte die IHK einen Impuls für eine solch
nach vorn gerichtete kommunale Entwicklungspolitik geben.
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