Stadtbericht Witzenhausen - IHK Kassel
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Stadtbericht Witzenhausen - IHK Kassel
XXX xxx „Mittelzentren in Nordhessen“ Stadtbericht Witzenhausen 1 Projektbeschreibung und Kontext Der Bezirk der Industrie- und Handelskammer Kassel (IHK) ist trotz leistungsfähiger Oberzentren ein ländlich geprägter Raum. Für die Attraktivität solcher Regionen für Unternehmen und Bürger sind funktionierende und zukunftsorientierte Mittelzentren von großer Bedeutung. Aktuell stehen jedoch die Mittelzentren in Nordhessen teilweise vor unsicheren Entwicklungsperspektiven, insbesondere wenn sie abseits der großen Verkehrskorridore und außerhalb der Pendlerverflechtungsräume der Oberzentren liegen. Die Industrie- und Handelskammer Kassel möchte die Bemühungen zur Bewältigung der Herausforderungen in den Mittelstädten unterstützen und hat zu diesem Zweck das nachfolgend beschriebene Projekt entwickelt. Bei ihrem Vorhaben wird die IHK Kassel durch das Fachgebiet Stadt- und Regionalplanung der Universität Kassel im Sinne der vorliegenden Projektbeschreibung unterstützt. Das Kooperationsprojekt soll dazu beitragen, die aktuelle Situation und Perspektiven ausgewählter Mittelstädte in Nordhessen aufzuarbeiten. In enger Zusammenarbeit zwischen der IHK Kassel und dem Fachgebiet wurden sowohl statistische Daten ausgewertet, als auch ortsspezifische Erhebungen (Begehungen, Kartierungen und Gespräche) durchgeführt. Mit der Studie sollen wesentliche Strukturmerkmale, Stärken und Schwächen der nordhessischen Mittelzentren beleuchtet werden, um davon abgeleitet mehr über die zukünftigen Herausforderungen, Entwicklungsperspektiven und politisch-planerischen Gestaltungsmöglichkeiten der Mittelzentren zu erfahren. Ziel ist es, mit Hilfe der Untersuchungsergebnisse Impulse für die lokale Schriftenreihe zur Region Band 8 2 und regionale Diskussion zu geben, um über einen Kommunikationsprozess zu einem positiven Entwicklungsschub in den Mittelstädten beizutragen. Deshalb wird im Rahmen dieses Projektes dem gemeinsamen Prozess und dem Dialog zwischen den lokalen Politikern, den Unternehmern aus dem jeweiligen Regionalausschuss der IHK Kassel und dem Netzwerk Mittelstand sowie dem Fachgebiet besonders viel Bedeutung beigemessen. Der vorliegende Bericht über das Mittelzentrum Witzenhausen ist als Baustein für einen bereits angestoßenen Kommunikationsprozess zu verstehen. Verfasser: Prof. Dr. Jürgen Aring (Universität Kassel), Dr. Roswitha Wöllenstein (IHK Kassel) und Dipl.-Geogr. Ulrich Spengler (IHK Kassel) unter Mitwirkung von: Dipl.-Ing. Fabian Schäfer, Dipl.-Ing. Niklas Wever (Universität Kassel) Ansprechpartner in der IHK Kassel Dipl.-Geogr. Ulrich Spengler (0561/7891-272), spengler@kassel.ihk.de Dr. Roswitha Wöllenstein (0561/7891-230), woellenstein@kassel.ihk.de Inhalt Kurzprofil 4 Lage im Raum 5 Demografie 6 Wirtschaftsnahe Infrastruktur 12 DSL-Verfügbarkeit 12 Gewerbeflächen 13 Wirtschaft 15 Wirtschaft Überblick 15 Produzierendes Gewerbe / Logistik 19 Universitätstandort / Bioregion Werratal 22 Sonstige Dienstleistungen / Tourismus / Freizeitwirtschaft 24 Einzelhandel 27 Zusammenfassung: wichtige lokale Handlungsfelder 34 Witzenhausen steht nicht allein! 36 3 Kurzprofil Witzenhausen Steckbrief • • • • • • • • • • • • • • 4 Mittelzentrum im Werra-Meißner-Kreis 36 km bis Kassel (nächstgelegenes Oberzentrum) 126,69 km² Fläche 15.779 Einwohner (31.12.2007) - davon ca. 5800 Ew. in der Kernstadt, ca.10000 Ew. in 16 Stadtteilen 125 Ew/km² Einwohnerdichte (zum Vgl. Deutschland ca. 230 Ew/km²) Einwohnerentwicklung: in den letzen Jahren kontinuierlich schrumpfend (-1 000 EW in 10 Jahren), Prognose weiter schrumpfend 4.355 sozialversicherungspflichtig Beschäftigte (30.06.2007) Universiätsstandort FB 11 „Ökologische Agrarwissenschaft“ der Universität Kassel wichtige Unternehmen/Arbeitgeber: - SCA Packaging Containerboard Deutschland GmbH - SCA Hygiene Products GmbH - Rege Motorenteile GmbH & Co. KG - Plastoreg Smidt GmbH & Co KG - BWG Reimer GmbH & Co. KG - Spedition und Logistik - VG-Orth GmbH & Co. KG (MultiGips) - Polimoon GmbH / PPROMENS Packaging GmbH - Universität Kassel Auspendlerkommune (Pendlersaldo -129) Nachbarkommunen: Hann. Münden, Rosdorf, Friedland, Neu-Eichenberg, Bornhagen, Lindewerra, Bad Sooden-Allendorf, Großalmerode, Gutsbezirk Kaufunger Wald, Staufenberg Bürgermeister: Angela Fischer (CDU) Verteilung in der Stadtverordnetenversammlung (2006–2011): CDU 34,3 %, SPD 42,1 %, Grüne 11,9 %, FDP 3,7 %, FWG 8,0% Internet: www.witzenhausen.de Kassel Witzenhausen Marburg Gießen Wiesbaden Frankfurt Darmstadt Eindrücke der Stadt Witzenhausen Lage im Raum Witzenhausen Gemeindegebiet Fritzlar Mittelzentrum Landkreisgrenze Bahnstrecke Regiotramstrecke 5 Autobahn Autobahn (in Planung) Fu ld a Fluss Flughafen Kassel-Calden • Witzenhausen liegt im Werra-Meißner-Kreis im Werratal • Funktionale Verflechtungen gehen vorrangig nach Kassel und nach Göttingen • Benachbarte Oberzentren - Kassel (193.518 Einwohner), in 36 Km Entfernung, 35 Min. Fahrzeit mit dem Pkw - Göttingen (121.513 Einwohner.), in 30 Km Entfernung, 31 Min. Fahrzeit mit dem Pkw • Zugang zu Autobahnen - A 7, Auffahrt Hann. Münden-Hedemünden, in 10 km Entfernung, Anbindung über B80 - A 38, Auffahrt Friedland, in 16 km Entfernung, Anbindung über B80/B27 • Zugang zur Eisenbahn - Witzenhausen liegt an der Strecke Kassel - Göttingen bzw. an der Strecke Kassel - Halle - Anbindung zum ICE-Bahnhof Kassel-Wilhelmshöhe: per Regionalexpress 30 Min. Reisezeit - Anbindung zum Bahnhof Göttingen: per Regionalbahn (Cantus) 20 Min. Reisezeit 5 Demografie Weniger, älter, bunter – das sind die zentralen Begriffe, mit denen derzeit in Deutschland die absehbaren demografischen Entwicklungen diskutiert werden. Regional sind die Trends jedoch nicht einheitlich. Mittelfristig wird es in Deutschland Bevölkerungswachstum und Bevölkerungsschrumpfung nebeneinander geben. Jede Stadt muss sich ihre lokalen und regionalen Perspektiven vergegenwärtigen. Der demografische Wandel stellt eine besondere Herausforderung für Mittelstädte dar. Durch partielle Schrumpfung und den wachsenden Anteil älterer Menschen, die in den ländlich geprägten Städten leben, verändern sich in vielen Bereichen die Verhältnisse. Die Kommunen sind gefordert, Strategien zu entwickeln, die auf einen Ausgleich unterschiedlicher Interessen gerichtet sind. Es gilt zwischen den Bedürfnissen von Alt und Jung genauso abzuwägen, wie das Verhältnis der Kernstädte zu den Ortsteilen zu analysieren und zu bewerten. Der demografische Wandel schlägt sich nämlich oft in den kleineren Ortsteilen einer Gemeinde viel stärker nieder als in der Kernstadt. Dabei geht es nicht nur um die Frage, ob neue Baugebiete in den Ortsteilen ausgewiesen oder Bausubstanz in den alten Dorfkernen gerettet und saniert werden sollen. In diesem Zusammenhang taucht auch die Frage auf, wie sich die infrastrukturelle Situation in den Ortsteilen zukünftig entwickeln soll. Die finanziell angespannte Situation der meisten Kommunen wird es nicht erlauben, in jedem Ortsteil gleichermaßen soziale Infrastruktur aufrecht zu erhalten, die dem Gemeinwohl dient, wie beispielsweise Bürgerhäuser, Spielplätze, Grillplätze usw. Hier ergeben sich potenzielle Konflikte, die nur durch eine offene Kommunikation und gemeinsame konstruktive Zusammenarbeit aller beteiligten Akteure abgewendet werden können. Bürgerliches Engagement zur Erhaltung der Infrastruktur ist ebenso gefragt wie eine sensible, die Interessen der Betroffenen ernst nehmende Arbeit der Kommune. Diese Form des Interessenausgleichs ist ebenso notwendige Voraussetzung im Dialog der Generationen. Vor dem Hintergrund der „Alterung“ der Bevölkerung fokussieren sich die kommunalpolitisch Verantwortlichen zunehmend auf die ältere Bevölkerung und Maßnahmen, die auf diese Zielgruppe ausgerichtet sind. Um jedoch eine weitere Abwanderung junger Menschen zu verhindern, kommt es darauf an, auch deren Interessen mit ins kommunalpolitische Kalkül einzubeziehen und Ziele und Maßnahmen zu entwickeln, die dazu führen, dass Mittelstädte für jüngere Menschen attraktiv bleiben bzw. interessanter werden. Ein wohnortnahes Arbeitsplatzangebot bzw. gute verkehrstechnische Anbindung an Oberzentren sind dabei genauso wichtige Argumente wie hohe Wohn- und Lebensqualität, soziale Infrastruktur und kulturelle Angebote. Hintergrund „Alterung“ Seit Jahren liegt in Deutschland die Zahl der Geburten je Frau nur noch bei 1,4. Diese sogenannte Reproduktionsrate müsste aber bei 2,0 bis 2,1 liegen, um die Bevölkerung durch natürliche Entwicklung konstant zu halten. Solange dieser Trend anhält, wird jede kommende Generation der deutschen Bevölkerung um etwa ein Viertel kleiner als die vorangegangene. In den letzten Jahren hat man in Deutschland die Nachwirkungen des Pillenknicks aus den 1960er Jahren gespürt. Bis Mitte der 1990er Jahre gab es hohe Geburtenzahlen in Deutschland, weil noch die gut besetzten Jahrgänge aus den 1960er Jahren Kinder bekamen. Die Frauen aus diesen Jahrgängen bekamen zwar auch nicht nennenswert mehr Kinder je Frau als die heutigen Mütter, doch es gab einfach viel mehr von ihnen. Als dann die geburtenschwachen Jahre 6 aus den 1970er Jahren in die Phase des Kinderkriegens kamen, sank dann die Gesamtzahl der Geburten in Deutschland als deutliches Echo des fernen Pillenknicks rasch ab. Diesen Grundtrend spürt man allerorten. Einzelne Orte, insbesondere kleine Orte im Umland von großen Städten, können sich von den Wirkungen des Alterns und Schrumpfens etwas abkoppeln, wenn sie kontinuierlich gezielt neue Baugebiete für junge Familien anbieten und so eine stetige Zuwanderung von potenziellen Müttern erreichen. Damit lässt sich zwar nicht das generative Verhalten der jungen Mütter ändern, aber in der Summe kann eine Kommune so „jung bleiben“. Ewig kann diese Strategie allerdings auch nicht fortgesetzt werden, zumal auch zwischen den Kommunen längst ein Wettbewerb um die „knappen“ jungen Familien eingesetzt hat. Demografie Die Stadt Witzenhausen an der Werra ist kleiner als gefühlt, denn die Mehrheit der Bevölkerung der administrativen Einheit Witzenhausen lebt in den Dörfern. Witzenhausen schrumpft seit Jahren kontinuierlich, allerdings entwickelt sich die Stadt bisher noch günstiger als der Landkreis. Die Prognosen sagen eine kontinuierliche Fortstetzung dieses Prozesses voraus. Der Umgang mit dem demografischen Wandel stellt deshalb eine große Herausforderung dar. Kleine Kernstadt – Viele Dörfer: Vor der Darstellung der demografische Entwicklung ist zunächst ein Blick auf die räumliche Struktur der politischen Gemeinde Witzenhausen zu werfen. Sie besteht neben der Kernstadt aus einer Vielzahl von Ortsteilen bzw. Dörfern. Letztere haben eine Größe von weniger als 100 Einwohnern (Albshausen, Neusseesen) bis zu über 1.000 Einwohnern (Ermschwerd und Hundelshausen). Nach der kommunalen Statistik zählen die Dörfer insgesamt ca. 9.000 Einwohner, während auf die Kernstadt gut 7.000 Einwohner entfallen (Jahr 2009). Die Relation von Kernstadt zu Dörfern liegt also etwa bei 45 zu 55. Die Lagegunst der Ortsteile ist sehr unterschiedlich. Teile des Gemeindegebietes mit der Kernstadt und den Dörfern Ermschwerd, Gertenbach, Blickershausen liegen im Werratal verkehrsgünstig zur B 80, während andere verkehrsungünstiger lokalisiert sind. Im Jahr 2008 zählte die Kommunalstatistik des Landes Hessen für Witzenhausen 15.549 Einwohner. Demgegenüber meldet die Stadt auf ihrer Homepage 18.658 Einwohner. Die nachfolgenden Ausführungen beziehen sich auf die Daten des Landes. Bevölkerungsentwicklung der Stadt Witzenhausen 16,800 16,600 zählte 1998 noch 16.568 Einwohner und hat bis 2008 einen Bevölkerungsrückgang auf 15.549 Einwohner zu verzeichnen. Das entspricht einem Verlust von etwa 1.000 Personen bzw. -6,1%. Zunächst (bis 2001) lag die Bevölkerungsentwicklung dabei im Trend des Werra-Meißner-Kreises. Seither hat sich die Stadt Witzenhausen leicht besser als der Landkreis entwickelt. Auch wenn die Unterschiede über den betrachteten Zeitraum mit 2,5 bis 3%-Punkten gering erscheinen, entspricht dies immerhin einer Differenz von 400 bis 500 Einwohnern. Wäre Witzenhausen weiter dem Trend des Landkreises gefolgt, hätte die Stadt heute eine um diese Differenz geringere Einwohnerzahl, dementsprechend weniger bewohnte Wohnungen, eine leicht geringere Kaufkraft, daran gekoppelte Einzelhandelsumsätze usw. Bevölkerungsentwicklung im Vergleich 102.0 100.0 98.0 96.0 94.0 Witzenhausen 92.0 Werra-Meißner-Kreis 90.0 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 16,400 Quelle: HSL 16,200 16,000 15,800 15,600 15,400 15,200 Witzenhausen 15,000 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 Quelle: HSL Seit Jahren Bevölkerungsrückgang: Nach dem Abebben des Booms zu Beginn der neunziger Jahre befinden sich viele Regionen und ihre Städte in einem demografischen Schrumpfungstrend. So hat auch Witzenhausen in den letzten 10 Jahren Einwohner verloren. Die Stadt Zu den Ursachen dieser leichten Entkoppelung der Trends kann man verschiedene Hypothesen formulieren. Zunächst einmal kann sich die Lage von Witzenhausen (zumindest der Kernstadt und der gut erreichbaren Dörfer im Werratal) im Vergleich zum Rest des Landkreises als „bessere Erreichbarkeit der Oberzentren Kassel und Göttingen“ positiv bemerkbar machen. Wurden Ende der 90er Jahre noch Baulandangebote in den dörflichen Ortsteilen auf den Weg gebracht, hat sich die Stadt Witzenhausen mittlerweile von dieser angebotsorientierten Planung verabschiedet. Nur noch im Ortsteil Gertenbach wurde in den letzten Jahren ein Bebauungsplan mit allge7 Demografie meinem Wohngebiet ausgewiesen. Gertenberg gilt aufgrund der Lage und der infrastrukturellen Vorteile als ein Ortsteil mit Entwicklungspotential. Eine weiter Baugebietsausweisung gilt als nicht zielführend.. Nicht zuletzt könnte auch der Standortfaktor Stadt wirken. Insbesondere dies zuletzt genannte Argument deckt sich mit den Bestrebungen der Stadt, die Vorteile einer historischen Innen- und Altstadt mit kurzen Wegen künftig stärker als Entwicklungspotenzial zu nutzen. Dennoch ist Witzenhausen eine spürbar schrumpfende Kommune. Die Bevölkerungsverluste von Witzenhausen setzten sich in den meisten Jahren zusammen aus Wanderungsverlusten und einem Sterbe überschuss. Die Zahlen schwanken von Jahr zu Jahr zum Teil erheblich, so dass hier ein uneinheitliches und uneindeutiges Bild entsteht. Differenzierte Daten liegen von 2000 bis 2007 vor. Insgesamt hat die Stadt in diesem Zeitraum einen Bevölkerungsrückgang von 730 Personen zu verzeichnen, die sich in etwa zu gleichen Teilen auf Wanderungsverluste (47%) und auf Sterbeüberschüsse bzw. Geburtendefizite (53%) verteilen. Während das natürliche Parameter der Bevölkerungsentwicklung 50 0 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 -50 -100 -150 Saldo natürliche Bevölkerungsentwicklung Saldo Wanderungen -200 Saldo Gesamt Quelle: HSL Defizit eine gewisse Kontinuität aufweist und im Jahresdurchschnitt bei knapp 50 Personen liegt, ist der Wanderungssaldo uneinheitlicher. Sechs der zurückliegenden acht Jahre zeigen Wanderungsverluste und zwei Jahre (2003 und 2004) weisen leichte Wanderungsgewinne auf. Witzenhausen wird weiter schrumpfen: Bevölkerungsprognosen sind für kleinere Städte nur mit großen Unsicherheiten zu erstellen, weil lokale Effekte die großen Trends überlagern können. Andererseits bilden die großen Trends 8 einen Rahmen, den man auch lokal zur Kenntnis nehmen muss. In regionale Prognosen auf Landes- und Regionsebene fließen Annahmen zur Geburten- und Sterbentwicklung, zur Zuwanderung aus dem Ausland und zu regionalen Wanderungen zwischen Regionen ein. Vor einem solchen Hintergrund hat das Hessische Landesamt für Statistik für den Werra-MeißnerKreis im Rahmen einer abgestimmten Landesprognose eine Bevölkerungsvorausschätzung von 2006 bis 2030 vorgenommen und dies sogar mit einer Trendfortschreibung bis 2050 verbunden. Ergebnis dieser jüngsten und auch vorhergehender Prognosen ist, dass der WerraMeißner-Kreis voraussichtlich die deutlichste Schrumpfung unter allen Kreisen in Hessen verarbeiten muss. Dies würde einen Bevölkerungsrückgang von heute rund 108.000 auf 84.000 in 2030 bedeuten. Irgendwann zwischen 2025 und 2030 läge die Bevölkerungszahl 20% unter den heutigen Werten. Etwas weniger dramatisch sieht die Lage in den von der Bertelsmann-Stiftung im Wegweiser Demografie veröffentlichten Prognosen aus. Demnach wäre bis 2025 im Werra-Meißner-Kreis lediglich ein Bevölkerungsrückgang von knapp 12% zu erwarten. Die Bertelsmann-Stiftung weist dabei sogar Prognoseergebnisse für einzelne Städte und gemeinden aus. Demnach würde Witzenhausen bis 2025 „nur“ um ca. 9% schrumpfen und sich damit besser als das Kreisgebiet behaupten. Diese vordergründig angenehmeren Werte des Wegweisers Demografie können jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass Witzenhausen und der Landkreis sich bereits in der Vergangenheit vom Landestrend abgekoppelt haben. Insofern wird es eine Hauptaufgabe sein, den unvermeidlichen demografischen Wandel so zu begleiten, dass Lebensqualitäten erhalten bleiben und zumindest die Selbstverstärkungseffekte der Schrumpfung abgebremst werden können. Für Witzenhausen bieten sich dabei wahrscheinlich etwas bessere Ausgangsbedingungen als in den meisten anderen Gemeinden des Werra-Meißner-Kreises. Dabei kommen die oben bereits zur Erklärung der bisherigen Entwicklung herangezogenen Argumente erneut zum Tragen. Witzenhausen kann von der recht guten Anbindung zu Kassel und Göttingen profitieren. Gleichzeitig ist die Stadt das Zentrum des nördlichen Kreisgebietes mit einer recht guten Ausstattung an Infrastruktur (z. B. Schulen). Die kompakte historische Altstadt hat dabei nicht nur einen pittoresken Charme, sondern kann auch Demografie Quelle: HSL Bevölkerungswirksam wird. Vordergründig betrachtet bildet sich die Alterung in einer Erhöhung des Durchschnittsalters ab. Gerade für die kommunale Planung der Infrastruktur ist jedoch entscheidend, wie sich die Zusammensetzung der Altersgruppen verändert. Dabei haben sich bereits zwischen 1995 und 2007 bemerkenswerte Verschiebungen ergeben. So ist der Anteil der Kinder unter 6 Jahren von 7% auf 4,9% gesunken, was einen Rückgang von ca. 350 Kindern oder 31% (!) bedeutet. Dies bedeutet, dass vier bis fünf Jahre später ein Drittel der Grundschulplätze überflüssig sein wird. Ähnlich extrem entwickelt sich das andere Ende der Alterspyramide. Im Zeitraum von 1995 bis 2007 hat es bei den Senioren (65 Jahre und älter) einen Zuwachs um knapp 900 Personen oder 35% gegeben. Wissend, dass diese Menschen mit zunehmendem Alter auf mehr und andere Formen der Hilfestellung angewiesen sind, entstehen hieraus neue Handlungsbedarfe. Ferner ist auch absehbar, dass diese Menschen bis ins hohe Alter hinein vielfach in Altobjekten in den dörflichen Ortsteilen leben werden. Da eine Folgenutzung der Objekte aus heutiger Sicht oftmals schwer vorstellbar ist, kann aus dieser Entwicklung zukünftig ein gravierendes Leerstandsproblem mit zum Teil ortsbildprägenden Einflüssen entstehen. ist, die Eigentümer mehr als bisher und trotz der schwierigen Rahmenbedingungen zu einer neuen Investitionsbereitschaft finden. Dies kann wahrscheinlich nur gelingen, wenn die Stadt in einer intensiven mehrjährigen Arbeit kontinuierlich an einem Stimmungswandel arbeitet. Witzenhausen altert! Der beschriebene Schrumpfungsprozess ist zugleich immer auch ein Alterungsprozess. Wesentlich ist dafür der negative Wanderungssaldo, der insbesondere zu einem Verlust junger Menschen führt. Der Fortzug zur Ausbildung bildet dabei in der Regel den Beginn einer dauerhaften Orientierung zu stärkeren Wirtschaftsregionen mit differenzierten Arbeitsmärkten. Ein Sonderfaktor ist jedoch die Rolle als kleiner Hochschulstandort. Zwar gilt generell, dass die Studenten, die nicht einpendeln, nur für einige Jahre vor Ort wohnen und im Allgemeinen den Studienort wieder verlassen, bevor sie eine Famile gründen und in Wohneigentum investieren. Allerdings bemüht man sich in Witzenhausen, dass Universitätsprofil mit einem lokalen Wirtschaftsprofil zu verknüpfen (Vergleiche Kapitel Bioregion Werratal), wodurch der Hochschulstandort auch nachhaltig Herausforderungen und Lösungsansätze: Ein weiterer kräftiger Bevölkerungsrückgang ist sehr wahrscheinlich, denn es ist bisher nicht absehbar, dass der dauerhafte Sterbeüberschuss durch Zuwanderung kompensierbar ist. Wenn der Schrumpfungsprozess nicht gestoppt, sondern allenfalls gedämpft werden kann, so muss die kommunale Politik den unvermeidlichen demografischen Wandel begleiten und darauf zielen, die Lebensqualitäten und die örtliche Funktionsfähigkeit zu erhalten. Die bisher ausgewogene Politik für Kernstadt und Dörfer gerät unter Druck, denn das Bemühen um eine Stabilisierung der Kernstadt wird auch zu Lasten der Dörfer gehen. Neue Konflikte sind absehbar. Auf mittlere Frist werden nicht alle Dörfer gleich behandelt werden können. Ihre jeweiligen Zukunftsperspektiven sind zu analysieren und zu bewerten. Teilantworten auf die Herausforderungen liegen eventuell in Dörferverbünden und einer noch stärkeren Eigenverantwortung für die Daseinsvorsorge in den Dörfern. Auch das Thema „Wüstung“ sollte auf Dauer kein Tabuthema sein. Witzenhausen hat die Herausforderung De- als Stadt der kurzen Wege für verschiedene Bevölkerungsgruppen attraktiv sein. Allerdings ergeben sich hieraus Probleme in der Interessensabwägung zwischen den dörflichen Ortsteilen und der Altstadt von Witzenhausen. Bisher wurden auch in den kleinen Ortsteilen der Stadt Witzenhausen Dorfgemeinschaftshäuser, Feuerwehrgerätehäuser und andere Infrastrukturen erhalten und Potenziale für neue Bauplätze auf den Weg gebracht. Dies ist Ausdruck einer bewusst auf Stabilisierung der Ortsteile gerichteten Politik. Die Stärkung der Innenstadt steht in gewisser Konkurrenz hierzu, denn ein Erfolg der Innenstadtentwicklung würde automatisch auch Einwohner, Wohnungsnachfrage und Bauleistungen aus den Ortsteilen absaugen. Voraussetzung für einen Erfolg der Altstadtentwicklung Altersstruktur in Witzenhausen im Vergleich 2007 1995 4,9% 7,0% 15,4% 8,5% 9,9% 21,6% unter 6 6 bis 15 15 bis 65 über 65 67,7% 64,9% • • • 9 Demografie Lokales Bündnis für Familien Witzenhausen STADTVERWALTUNG Koordinations- und Verwaltungsaufgaben Unterstützung bei Projektentwicklung + -umsetzung Arbeitsgruppe 1 Familienfreundliches Lebensumfeld - Stadtbegehung zum Aufspüren kinderfeindlicher Verkehrsflächen - Regelmäßige Begehung der Spielplätze (Bürger reparieren, gärtnern + malern selbst) - Kinderstadtplan - Ferienkalender Arbeitsgruppe 2 Vereinbarkeit Familie + Beruf - Betreuungsnetzwerk für Jung bis Alt + Pflegebedürftige (Zusammenarbeit mit Firmen und Uni, Kiga’s und Schulen, Altenbetreuung,…) mografischer Wandel in einem ersten Schritt aufgegriffen: Ein konkreter Ansatz ist Einrichtung eines „Lokalen Bündnisses für die Familie“ (vgl. Abbildung). Es zielt darauf ab, die Lebensqualität von Familien in einem breiten, generationenübergreifenden Verständnis zu fördern. Ein Presseartikel brachte die Herausforderung mit der Überschrift „Auswandern muss keiner“ auf den Punkt. In Witzenhausen geht es darum, durch einen breiten Politikansatz die Lebensund Arbeitsbedingungen so zu gestalten, dass man in jungen Jahren nicht abwandern muss selbst, wenn sich die beruflichen Lebensmittelpunkte Richtung Kassel oder Göttingen verlagern. Gleichzeitig gilt es auch, Witzenhausen als Wohnstandort für die ältere Bevölkerung zu stärken. Die Stadt Witzenhausen sollte die Aktivitäten des Landkreises zum demografischen Wandel inhaltlich aufgreifen und in die kommunale Politik hineintragen. Der Landkreis hat das Thema Demografie in Analysen, Vortragsreihen und Projekten aufgegriffen (www.werra-meissner.de/ demografie/). U.a. hat der Werra-Meißner-Kreis 2006/2007 am Modellprojekt „Hessen 2050 – Sichere Zukunft im demografischen Wandel“ der Hessischen Staatskanzlei teilgenommen. Der Arbeitsgruppe 3 Generationsübergreifende Zusammenarbeit - Einrichtung und Betreuung einer Tausch-/Wissensbörse für alle privaten Personen aber auch Zusammenarbeit zwischen älteren Mitbürgern und Schulen/Kiga’s Arbeitsgruppe 4 Soziales Dienstleistungsnetz - Perspektive Sozialmesse 2009 Werra-Meißner-Kreis hat in diesem Zusammenhang drei Workshops mit Bürgermeister(innen), Mandatsträgern, Stadträten und Gemeindevorständen durchgeführt. Vier der dabei entwickelten Projekte wurden prämiert und in das Regionale Entwicklungskonzept der Bewerbung für das neue LEADER+-Programm aufgenommen. Im Jahre 2009 hat der Landkreis auch eine Initiative für das Wohnen im Werra-MeißnerKreis als Alternative zum Wohnen in Ballungsräumen gestartet. Auf großen Plakaten, die auf den Bahnhöfen vieler Großstädte (u.a. Frankfurt, Nürnberg, Würzburg) platziert sind werden die Qualitäten eines grünen und Kleinstädtischen Umfeldes großstädtischen Situationen gegenüber gestellt. • 10 Ansprechpartner in der IHK Kassel: Dipl.-Geogr. Christine Neumann (0561/7891-322) christine.neumann@kassel.ihk.de http://www.wmk.lebensraum-werra-meissner.de/ Demografie Altersstrukturentwicklung Witzenhausen 2006-2025 xxx 6000 5000 4000 3000 2000 1000 0 2006 0-5-Jährige 6-18-Jährige 2025 19-44-Jährige 45-64-Jährige 65-79-Jährige Über 80-Jährige Quelle: Institut für Entwicklungsplanung und Strukturforschung GmbH; Deenst GmbH; Berechnungen Bertelsmann-Stiftung Bertelsmann-Stiftung: Demografietyp Die Bertelsmann-Stiftung stuft Witzenhausen als „Stadt im ländlichen Raum mit geringer Dynamik“ (Demografietyp 6) ein. Die Stiftung prognostiziert bis 2025 für Witzenhausen einen Bevölkerungsrückgang um 8,6 Prozent. Der von der Bertelsmann-Studie für Witzenhausen festgestellte Demografietyp ist eine Typisierung für ein Spektrum von 579 deutschen Städten. Charakteristische Entwicklungen für Städte des Demografietyps 6: • schrumpfende Bevölkerung, u.a. mit Arbeitsmarktabwanderung junger Erwachsener • deutliche Alterungsprozesse • wirtschaftliche Strukturschwäche mit Arbeitsplatzverlusten, niedrigen kommunalen Steuereinnahmen pro Einwohner, vorrangig lokaler Bedeutung als Arbeits-/Wirtschaftszentren Herausforderungen für Städte des Demografietyps 6: • konsequente Schwerpunktsetzung aufgrund finanzieller Leistungskraft • Förderung des bürgerschaftlichen und ehrenamtlichen Engagements • Zusammenführung aller öffentlichen und privaten Ressourcen • kreative, zukunftsorientierte Seniorenpolitik zur Nutzung der „Potenziale des Alters“ • regionale Kooperationen zur Bündelung von Know-How und Potenzialen in der Region Handlungsempfehlungen für Städte des Demografietyps 6: • Anpassung der sozialen und technischen Infrastruktur, insbesondere Konzentration wichtiger Infrastrukturangebote in den Zentren; Denken in Funktionen statt in Einrichtungen; Sicherung und Verbesserung der verkehrlichen Erreichbarkeit der Zentren • Förderung von Identität und bürgerschaftlichem Engagement, insbesondere Entwicklung einer Anerkennungskultur; Aufbau von Unterstützungsstrukturen; Stärkung eines „Wir-Gefühls“ in der Kommune; Nutzung der Potenziale des Alters; Ermöglichung eines Dialogs der Generationen • Interkommunale und regionale Kooperation, insbesondere Aufbau fester interkommunaler Kooperationsbeziehungen für ein regionales Flächenmanagement (Ziele und Leitbilder der regionalen Siedlungsentwicklung, Aufstellung umsetzungsorientierter regionaler Siedlungskonzepte), Entwicklung einer regionalen Baulandentwicklungstrategie, Abschluss von Zielvereinbarungen) • Konzentration auf strategische Handlungsprioritäten und Kernfunktionen, insbesondere Erarbeitung einer fundierten Ausgangsanalyse, Organisation von Zukunftsforen, Prioritätensetzung als Chefsache, Festlegung strategischer Handlungsprioritäten für Kernfunktionen Die Bertelsmann-Stiftung stellt ihre Informationen Online zur Verfügung: http://wegweiser-kommune.de/datenprognosen/demographiebericht/Demographiebericht.action http://wegweiser-kommune.de/datenprognosen/demographietypen/download/pdf/Cl-6_lfd12.pdf 11 DSL-Verfügbarkeit Breitbandtechnologie Der kostengünstige Zugang zu einer Breitband-Internetverbindung ist eine Grundvoraussetzung, um in der globalisierten Wirtschaft wettbewerbsfähig zu sein. Breitband-Internet erschließt neue Märkte und Angebote und sorgt für wirtschaftliches Wachstum sowie neue Arbeitsplätze. Darüber hinaus verbessert Breitbandtechnik die Qualität aller über das Internet abrufbaren Service- und Unterhaltungsangebote. Für den Verbraucher bedeutet Breitband mehr Komfort, größere Vielfalt und eine höhere Qualität der Inhalte. Unternehmen profitieren durch neue Vertriebswege, mehr Entwicklungsmöglichkeiten, Einsparpotenziale und neue Märkte. Die OECD geht davon aus, dass die BreitbandTechnologie bis zum Jahr 2011 mit einem Drittel zum Produktivitätszuwachs in den Industrieländern beitragen wird. (www.zukunft-breitband.de/BBA/Navigation/hintergrund.html) Bei einer Darstellung für ganze Gemeinden können daher immer nur Durchschnittswerte angegeben werden. Bei der Primärerhebung wurden Daten von sehr unterschiedlicher Qualität und Form zur Verfügung gestellt. Diese sind nur eingeschränkt vergleichbar. Die Technik in diesem Bereich ändert sich sehr schnell. Die Angaben stellen daher nur eine Momentaufnahme zum Zeitpunkt der Datenerhebung dar. Der Breitbandatlas basiert auf freiwilligen Informationen der mitwirkenden Unternehmen und kann insofern keinen vollständigen Marktüberblick garantieren. • • • Quelle: www.zukunft-breitband.de/BBA/Navigation/breitbandatlas.html Breitbandanbindung von Witzenhausen 12/2008 Der Breitbandatlas des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie veranschaulicht anhand von zahlreichen Karten, welche Techniken in den einzelnen Gemeinden zur Verfügung stehen. Er macht ferner transparent, in welchen Regionen noch Ausbaubedarf besteht und ist damit ein geeignetes Mittel, Angebot und Nachfrage auch in bislang unversorgten Gebieten zusammen zu bringen. Der Breitbandatlas kommt zu der Aussage, dass in Witzenhausen eine DSL-Verfügbarkeit von 75 - 95 % für die Kernstadt besteht, Ortsteile jedoch teilweise gar nicht versorgt sind. Keine Aussage wird über die Geschwindigkeit gemacht. Es ist jedoch davon auszugehen, dass nicht in allen Gebieten auch hohe, für Unternehmen interessante Verbindungsgeschwindigkeiten verfügbar sind. Bei der Nutzung des Breitbandatlas sind folgende Einschränkungen zu beachten: Die Versorgungsgebiete sind sehr kleinteilig. • 12 Die Stadt Witzenhausen hat sich in den vergangenen Jahren bereits im Bereich der Breitbandtechnologie engagiert. Die Stadt hat sich am geförderten Modellprojekt des Werra-Meißner-Kreises “Breitbandversorgung im ländlichen Raum“ mit einem Aufwand von ca. 60.000 Euro beteiligt. Herausforderungen und Lösungsansätze: Grundsätzlich sind die regionalen Akteure aufgefordert, politischen Druck aufzubauen, dass eine flächendeckende Versorgung mit hohen DSL-Geschwindigkeiten realisiert wird, um ländliche Standorte im Bereich der zunehmend bedeutenden Kommunikationstechnologien nicht weiter zurück fallen zu lassen. Dies ist Voraussetzung für erfolgreiches Agieren gegen den demografischen Wandel und für die unternehmensbezogene Standortqualität. Für besondere räumliche Situationen und einzelne gewerbliche Anfragen sollten auch mit anderen Infrastrukturanbietern (Gas Wasser, Strom, Schiene etc.) alternative Möglichkeiten des Breitbandzugangs ins Auge gefasst werden. Weitere Informationen zu Fördermöglichkeiten: http://www.zukunft-breitband.de/ -> Förderung -> Downloads: Leitfaden Breitbandförderung Ansprechpartner in der IHK Kassel: Dipl.-Geogr. Ullrich Spengler (0561/7891-272) spengler@kassel.ihk.de Gewerbeflächen Beim Blick auf eine Karte von Witzenhausen sieht man vier Gewerbegebiete, von denen einige seit langem etabliert sind, während andere Flächen noch auf eine Nutzung warten. An der seit Jahren ausbleibenden Entwicklung der Gewerbegebiete Unterrieden zeigen sich die Schwierigkeiten der gewerblichen Entwicklung in Witzenhausen Witzenhausens Problem ist seine Lage. Über Jahrzehnte wirkte die Zonenrandlage als Entwicklungshemmnis. Der Vereinigungsboom brachte einen kurzen Nachfrageschub, für den Witzenhausen seinerzeit jedoch kein Angebot hatte. Danach geriet Witzenhausen mit seinem Gewerbeflächenangebot in den Windschatten der neuen Bundesländer und kurz darauf in den verschärften Standortwettbewerb in Folge der Globalisierung. Deswegen prägen Konzentration, Rationalisierung und Beschäftigungsabbau seit Jahren das Bild der gewerblichen Entwicklung in Witzenhausen, während gleichzeitig neue Impulse (z.B. Logistik) an der Stadt vorbei gehen (vgl. Kap. Produzierendes Gewerbe / Logistik). Das inzwischen verfügbare Flächenangebot findet seit Jahren keine Nachfrager aus dem gewerblichen Bereich, allenfalls aus dem Berech des großflächigen Einzelhandels. Folgende Gewerbeflächen gibt es in Witzenhausen: „Unterrieden“: steht leer •Gewerbegebiet •Gewerbegebiet „Kasseler Landstr.“: Papierindustrie und anderes ; evt. Leerstände •Gewerbegebiet „Bischhausen“: innerstädtisch •Gewerbegebiet „In der Aue“: jenseits der Werra, eher Einzelhandel Gewerbegebiet Unterrieden Gewerbegebiet „Unterrieden“ voll erschlossen, bisher keine Flächen vermarktet Gewerbegebiet „Bischausen“ Gebiet mit teilweiser Umstrukturierung zum Einzelhandelsstandort Gewerbegebiet „In der Aue“ kleinteiliges Gewerbe, sukzessive in Umstrukturierung Industrie- / Gewerbegebiet „Kasseler Landstraße“ gefestigter Standort, keine weiteren Entwicklungsoptionen Regionalplan Nordhessen 2009 13 Gewerbeflächen Herausforderungen und Lösungsansätze Generell gilt zwar der Satz „Gewerbeflächenpolitik ist Angebotspolitik“, doch Witzenhausen muss sich nicht um weitere Flächenreserven bemühen. Im Vordergrund steht hingegen die Vermarktung des existierenden Angebotes sowie der Umgang mit Brachen bzw. leerstehenden Gebäuden. Die Kommune muss Strategien entwickeln, um die Vorleistungskosten für Erschließung und Inwertsetzung sowie die Vorhaltekosten gering zu halten. Letztere können z. B. durch Optionsverträge und öffentlich-private Partnerschaften (PPP) günstig gestaltet werden. Mit Blick auf die Nutzung gilt es, die Komplementärkosten zu den Erwerbskosten zu beachten. Dazu zählen z. B.: Kommunale Steuern, Kosten für DSL-Anschluss, Entsorgungsgebühren, Energieversorgungskosten. • • • Gewerbegebiet Unterrieden Ansprechpartner in der IHK Kassel: Dipl.-Geogr. Christine Neumann (0561/7891-322) christine.neumann@kassel.ihk.de 14 Wirtschaft Überblick Witzenhausen hat ein breites wirtschaftliches Profil, in dem regionale Versorgungsdienstleistungen und die Papierindustrie besondere quantitative Schwerpunkte bilden. Hinzu kommt die Rolle als Universitätstandort mit dem Fachbereich „Ökologische Agrarwissenschaft“ aus dem auch spin-offs hervorgegangen sind. Seit Ende der 1990er Jahre hat Witzenhausen fast 20% der Beschäftigten verloren. Auch wenn der jüngste konjunkturelle Aufschwung für eine Entlastung sorgte, bleibt die Zukunft unsicher, zumal auch durch den demografischen Wandel Bevölkerung und Kaufkraft verloren gehen. Wirtschaftliches Profil Witzenhausen liegt in einem ländlich geprägten Raum und ist doch aufgrund der geringen Entfernungen und der Autobahnen der Teil des WerraMeißner-Kreises, der gute Anknüpfungspunkte zu den Verflechtungsräumen von Kassel und Göttingen hat. Beide Städte sind in gut 30 Minuten erreichbar, was auch die Pendlerverflechtungen prägt. Die Entfernung ist jedoch zu groß, um die Wirtschaftstruktur der Stadt Witzenhausen überwiegend aus ihrer Verflechtung mit den genannten Oberzentren heraus zu erklären. Denn gleichzeitig ist Witzenhausen ein eigenständiges Mittelzentrum mit einer Versorgungsfunktion für den nördlichen Werra-Meißner-Kreis. Drei Wirtschaftsbereiche sind von besonderer Bedeutung: • Den Industriestandort Witzenhausen prägt die Papierherstellung. Dies verbindet sich hauptsächlich mit dem Namen des international agierenden Konzerns SCA, in den auch die vormalig zu Procter & Gamble gehörende Fabrikation in Witzenhausen aufgegangen ist. Das ehemalige Procter & Gamble-Werk beschäftigt ca. 144 Menschen und stellt nunmehr als SCA Hygiene GmbH u. a. Toilettenpapier her. SCA Packaging ist mit ca. 208 Beschäftigten auf die Herstellung von Rohwellpappe spezialisiert. Über die Papierindustrie hinaus gibt es ein differenziertes Spektrum weiterer Unternehmen in einer Spannbreite von 50 bis 150 Mitarbeitern, wie z. B. die Firma Rege Motorenteile. Die Firma stellt Produkte für IHK-Bezirk Kassel - Wirtschaftsraum mit starken Mittelstädten Für den IHK-Bezirk Kassel sind die Mittelzentren bedeutende Wirtschaftsstandorte. In ihnen sind ein Drittel aller sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätze (etwa 128.000) lokalisiert. Damit haben die Mittelstädte ein genau so großes Gewicht wie Kassel und Marburg zusammen (etwa 124.000 SVP-Arbeitsplätze). Deshalb sollte man beim Blick nach vorn den Focus nicht allein auf die beiden großen Städte richten, sondern auch auf die Mittelstädte in den ländlich geprägten Räumen. Sie wurden in der Vergangenheit als Standorte industrieller Entwicklung und in ihrer Funktion als regionale Zentren gestärkt, geraten aber nun unter den Bedingungen von Globalisierung, Zentralisierung und demografischem Wandel zunehmend unter Druck. Mittelstädte sollen in ihren Standorträumen die regionalen Daseinsversorgungsangebote konzentrieren. Sie versorgen die Bevölkerung mit Waren und Dienstleistungen und sind Schwerpunktorte für den Arbeitsmarkt. Attraktive Arbeitsplätze sind eine wichtige Voraussetzung, um die Abwanderung der jüngeren Bevölkerung zu vermeiden. Die Zukunftsfähigkeit der Mittelstädte hängt mithin im besonderen Maße von der Ausschöpfung und Gestaltung der wirtschaftlichen Potenziale ab. Zu den Potenzialen in den Mittelstädten zählen die häufig engen Bindungen der Firmen an den jeweiligen Ort. Diese Identifikation und Verbundenheit zu den ländlich geprägten Mittelstädten führt dazu, dass auch nicht optimale Standortbedingungen, wie z.B. schlechte Verkehrsanbindungen, in Kauf genommen werden. Genauso bedeutsam sind jedoch engagierte und qualifizierte Mandatsträger, die die lokale Wirtschaft fördern. Dabei kommt es vor allem darauf an vorausschauend, zielorientiert und kreativ mit der besonderen Situation der Wirtschaft in den Mittelstädten umzugehen. Die „Übersichtlichkeit“ und die „kurzen Wege“ in den Mittelstädten erweisen sich im Dialog zwischen Wirtschaft und Politik als vorteilhaft. In der kommunalen Wirtschaftspolitik sollten nicht nur die konventionellen Instrumente wie Flächenausweisungen, günstige Grundstückspreise oder die Gestaltung der steuerlichen Hebesätze zur Anwendung kommen. Ebenso wichtig ist es, sich als serviceorientierter Dienstleiter der lokalen Wirtschaft zu positionieren und den Unternehmen bei Fragen und Problemen hilfreich zur Seite zu stehen. Dabei ist es genauso wichtig, den Dialog von Politik und Wirtschaft formal zu institutionalisieren wie auch auf informeller Ebene das Gespräch mit der lokalen Wirtschaft zu suchen. 15 Wirtschaft Überblick die Automobilindustrie her und wurde 1987 in Witzenhausen gegründet. Als Mittelstadt mit Versorgungsfunktion beherbergt Witzenhausen einen hierfür typischen Branchenmix. Hierzu gehören zum Beispiel der Einzelhandel, Gesundheitsdienstleistungen, Finanzdienstleistungen, handwerkliche Betriebe, Autohäuser und entsprechende Werkstätten und vieles mehr. In der äußeren Wahrnehmung wird die Stadt auch als Universitätsstandort wahrgenommen, denn die Universität Kassel unterhält hier eine agrarwissenschaftlich orientierte Außenstelle (vgl. Kapitel Uni-Standort Witzenhausen). Der öffentliche Sektor ist ferner durch weitere Behörden vertreten, die teilweise mit der Funktion als ehemalige Kreisstadt in Verbindung gebracht werden können. So findet sich in Witzenhausen die Außenstelle der Kreisverwaltung mit Teilen der Sozialverwaltung und dem Gebäudemanagement. Daneben betreiben auch die Arbeitsagentur und die Finanzverwaltung entsprechende Dienststellen in Witzenhausen. • • Nachgeordneter Beschäftigungsschwerpunkt im regionalen Kontext: In Witzenhausen arbeiteten im Jahr 2007 knapp 4.400 sozialversicherungspflichtig Beschäftigte (die Zahl der insgesamt Erwerbstätigen liegt erfahrungsgemäß ca. 20% höher). Das sind immerhin fast 17% des Werra-Meißner-Kreises insgesamt. Damit ist die Stadt nach der Kreisstadt Eschwege (knapp 8.200 SVP-Beschäftigte) der bedeutendste Wirtschaftsstandort im Werra-Meißner-Kreis. Hes- sisch Lichtenau folgt auf dem dritten Rang mit rund 3.700 SVP-Beschäftigten. Insgesamt ist die Beschäftigungsdichte des Werra-Meißner-Kreises mit 239 Beschäftigten pro 1.000 Einwohner fast so hoch wie im Landkreis Kassel (250) und genau so hoch wie im Schwalm-Eder-Kreis. Allerdings kann Witzenhausen sich in seiner Beschäftigungsdichte (276) kaum vom Durchschnitt des Kreises absetzen. Rechnet man jedoch die Städte Eschwege und Witzenhausen aus dem Kreisgebiet heraus, ergibt sich für das restliche Kreisgebiet eine Beschäftigungsdichte von nur noch 162 Beschäftigten pro 1.000 Einwohner. Dennoch zeigt sich, dass die Stadt als Wirtschaftsstandort relativ zu ihrer Größe nur eine reduzierte Bedeutung hat. Im Vergleich der nordhessischen Mittelstädte markiert Witzenhausen in dieser Hinsicht die Untergrenze. Differenzierte Wirtschaftsstruktur Insbesondere die Großbetriebe der Papierherstellung führen dazu, dass Witzenhausen über einen starken produzierenden Sektor verfügt. Mit fast 1.600 Beschäftigten und 36% ist die Industrie bzw. das produzierende Gewerbe jeweils bedeutender als die Teilbereiche der Dienstleistungswirtschaft. Rechnet man jedoch die Bereiche „Finanzierung, Vermietung, Unternehmensdienstleistungen“ (580 Beschäftigte oder 13%) mit den anderen öffentlichen und privaten Dienstleistungen (1280 Beschäftigte oder 30%) zusammen, wird der Dienstleistungssektor auch in Witzenhausen zur dominanten Größe. Auf ihn entfallen dann rund 1.860 Beschäftigte und 43% Beschäftigungsan- Beschäftigungsstruktur 2007 SVP-Beschäftigte am Arbeitsort (absolut) Landwirtschaft Produzierendes Gewerbe Handel, Gastgewerbe, Verkehr Finanzierung, Vermietung, Unternehmensdienstleister öffentliche und andere private Dienstleister Gesamt SVP-Beschäftigte am Arbeitsort (in %) Landwirtschaft Produzierendes Gewerbe Handel, Gastgewerbe, Verkehr Finanzierung, Vermietung, Unternehmensdienstleister öffentliche und andere private Dienstleister Gesamt Einwohner SVP-Beschäftigte am Arbeitsort (je 1.000 Einwohner) Landwirtschaft Produzierendes Gewerbe Handel, Gastgewerbe, Verkehr Finanzierung, Vermietung, Unternehmensdienstleister öffentliche und andere private Dienstleister Gesamt 16 Hess. Lichtenau LK ohne Eschwege, Hess. Licht., Witzenhaus. Witzenhausen 145 2.109 1.914 946 3.053 8.167 95 1.257 666 467 1.246 3.731 288 4.083 1.853 551 2.633 9.408 53 1.565 874 580 1.283 4.355 0,4 22,1 23,4 19,7 34,4 100,0 1,8 25,8 23,4 11,6 37,4 100,0 2,5 33,7 17,9 12,5 33,4 100,0 3,1 43,4 19,7 5,9 28,0 100,0 1,2 35,9 20,1 13,3 29,5 100,0 107.156 193.803 20.372 12.937 58.068 15.779 5 84 50 24 77 239 2 102 108 91 158 460 7 104 94 46 150 401 7 97 51 36 96 288 5 70 32 9 45 162 3 99 55 37 81 276 WerraMeißnerKreis Stadt Kassel Eschwege (Kreisstadt) 581 9.014 5.307 2.544 8.215 25.661 396 19.730 20.862 17.540 30.678 89.206 2,3 35,1 20,7 9,9 32,0 100,0 Quelle: Gemeindestatistik Hessen 2008 Wirtschaft Überblick teil. Auf der Schnittstelle zwischen Industrie und Dienstleistungswirtschaft ist der Wirtschaftsbereich „Handel, Gastgewerbe und Verkehr“ angesiedelt. Mit fast 800 Beschäftigten oder 13% erreicht er in Witzenhausen eine nennenswerte Größenordnung. Die innere Struktur dieses Wirtschaftsbereichs dürfte dabei etwas weniger vom Speditionsgewerbe und etwas mehr von den Betrieben der Tourismuswirtschaft geprägt sein. Ein ungewöhnlicher Auspendlerüberschuss Von den knapp 4.400 Arbeitsplätzen (SVP) in Witzenhausen werden rund 55% bzw. 2.400 von Einpendlern eingenommen. Gleichzeitig haben mehr als 2.500 Personen aus Witzenhausen als Auspendler eine Beschäftigung außerhalb der Stadt. Damit hat die Stadt ein leicht negatives Pendlersaldo. Dies bestätigt noch einmal die relativ geringe Bedeutung der Stadt als Wirtschaftsstandort. Denn fast alle Mittelstädte in Nordhessen erzielen auf der Basis einer höheren Arbeitsplatzausstattung einen Einpendlerüberschuss. Die wichtigsten Zielorte der Auspendler sind die Großstädte und Wirtschaftszentren der Region. Den ersten Rang nimmt dabei Kassel (630 AusEinpendler von: Kassel Eschwege Göttingen Großalmerode Bad SoodenAllendorf 145 154 234 232 270 Auspendler nach: Kassel Göttingen Hann. Münden Eschwege HessischLichtenau Quelle: Agentur für Arbeit 2007 Pendlerverflechtungen 630 291 279 134 129 pendler) ein. Göttingen und Hann. Münden folgen mit knapp 300 Auspendlern aus Witzenhausen auf den folgenden Rängen. Während andere Mittelstädte Einpendler insbesondere aus den ländlichen und kleinstädtischen Nachbargemeinden generieren, kann Witzenhausen jedoch auch Arbeitskräfte in nennenswerter Zahl aus den konkurrierenden Wirtschaftsstandorten (z. B. Kassel, Göttingen, Eschwege) gewinnen. Dies muss insbesondere in Verbindung mit einzelnen großen Arbeitsgebern mit hochwertigen und attraktiven Arbeitsplätzen gesehen werden. Hierzu zählen einerseits die größeren Industriebetriebe und insbesondere auch die Außenstelle der Universität Kassel. Für diese hochwertigen und spezialisierten Arbeitsplätze werden zum Teil auch längere Pendeldistanzen in Kauf genommen. Beschäftigungsentwicklung Im Jahr 1995 hatte Witzenhausen rund 1.200 Beschäftigte mehr als heute. Dies entspricht einem Verlust von fast 20%. Von einem in der Folge des Vereinigungsboom erreichten hohen Plateau aus kommend hat sich dabei ein fast kontinuierlicher Beschäftigungsrückgang eingestellt, der erst im Jahr 2005 eine Umkehrung erfuhr. Davon ausgehend konnten zunächst wieder leichte Beschäftigungszuwächse beobachtet werden, die in der Folge der neuen Weltwirtschaftskrise jedoch aktuell wieder ausbleiben dürften. Wie in den meisten anderen Städten und Regionen auch, so hat der Beschäftigungsrückgang vor allem im industriellgewerblichen Bereich stattgefunden. So ist der Anteil des produzierenden Gewerbes von über 42% in 2000 auf 36% zurückgefallen. Die anderen Sektoren konnten ihre Bedeutung erhalten oder sogar leicht erhöhen. Im Vergleich zum WerraMeißner-Kreis insgesamt hat Witzenhausen zunächst eine leicht unterdurchschnittliche Entwicklung durchlaufen. Im Aufschwung seit 2005 konnte der zwischenzeitlich eingetretene Rückstand jedoch fast wieder aufgeholt werden. SVP Beschäftigte 105,0 Witzenhausen 100,0 95,0 90,0 85,0 Witzenhausen 80,0 Werra-Meißner-Kreis 75,0 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 Quelle: HSL Quelle: BBR Raumordnungsbericht 2005 17 Wirtschaftliche Perspektiven Prognos-Studie: Zukunftsatlas 2007 Der Zukunftsatlas 2007 „Deutschlands Regionen im Zukunftswettbewerb“ gibt Auskunft über die Zukunftschancen der 439 Kreise und Kreisfreien Städte in Deutschland. Der aus 29 Indikatoren gebildete Zukunftsindex (Gesamtranking) zeigt dabei die regionale Verteilung der Zukunftschancen und -risiken innerhalb Deutschlands auf. Die Zukunftsperspektiven von Regionen werden in Anlehnung an zahlreiche Erkenntnisse aus Wissenschaft und Forschung insbesondere durch vier Determinantengruppen (Themenbereiche) bestimmt: Demografie, Arbeitsmarkt, Wettbewerb & Innovation sowie Wohlstand & Soziale Lage. Thesen • Die demografische Entwicklung hat einen „Wettkampf um Fachleute und Top-Performern“ in allen Regionen Deutschlands zur Folge. • Die Bedeutung der Kreativwirtschaft und der Kreativen Klasse für die Zukunftsfähigkeit wächst. Dynamische Regionen und insbesondere Hot Spots in Ostdeutschland schließen zu den etablierten Wachstumszentren in Westdeutschland auf. • In der Liga der wachsenden Global Cities spielen die deutschen Großstädte weiterhin keine Rolle. Sie müssen als schlagkräftige Metropol-Regionen eine Strategie entwickeln – oder werden zurückfallen. • Regionen, die sich auf strategische Cluster konzentrieren, liegen beim Wachstum vorn. Nur sie entwickeln genug Ausstrahlungskraft, um auch das Umfeld profitieren zu lassen. Das Prognos-Forschungsinstitut stellt seine Infomationen Online zur Verfügung: http://www.prognos.com/Zukunftsatlas-2007-Regionen.173.0.html Werra-Meißner-Kreis Zukunftsrisiken Rang 2007 (von 439) Zukunftsfähigkeit (Gesamtrang) 375 Dynamik 386 Stärke 364 Demografie 386 Soziale Lage & Wohlstand 297 Arbeitsmarkt 357 Wettbewerb & Innovation 379 Regionen mit...... Regionen mit Top-Zukunftschancen sehr hohe Zukunftschancen hohen Zukunftschancen Zukunftschancen ausgeglichenem Chancen-Risiko-Mix Zukunftsrisiken hohen Zukunftsrisiken sehr hohen Zukunftsrisiken 18 Produzierendes Gewerbe / Logistik In den 1970er und 1980er Jahren hat die Zonenrandförderung trotz der damaligen Randlage industrielle Investitionen in Witzenhausen unterstützt. Nach 1990 haben sich die Standort- und Wettbewerbsbedingungen in Folge der Deutschen Einheit und der Globalisierung enorm verändert und Konzentrationsprozesse, Rationalisierungen und Übernahmen nach sich gezogen. Ein erheblicher Teil der gewerblichen Arbeitsplätze ging verloren, und dennoch ist Witzenhausen auch heute noch mit einem Anteil von mehr als einem Drittel an allen Beschäftigten ein Standort mit starker industrieller Prägung. Entwicklungsgeschichte, Entwicklungsbedingungen und Perspektiven Bis 1990 war der Werra-Meißner-Kreis und damit auch Witzenhausen Zonenrandgebiet. Das bedeutet einerseits eine totale Randlage in Deutschland, andererseits aber auch Unterstützung durch die Zonenrandförderung. In Folge dieser Förderung kam u. a. in den 1970er Jahren die Papierproduktion nach Witzenhausen. 1990 nach dem Fall der Grenze rückte Witzenhausen in eine Mittelpunktlage. Im Vereinigungsboom der frühen 1990er Jahre kam es kurzfristig zu einer verstärkten Flächennachfrage, für die es in der Stadt jedoch keine Angebote gab. Die vorhandenen Unternehmen erhöhten jedoch ihre Produktion. Schon wenige Jahre später wirkten die Integration des neuen ostdeutschen Marktes und die veränderte Förderkulisse. Witzenhausener Unternehmen engagierten sich in den neuen Ländern und in Osteuropa mit neuen Werken, während der Standort Witzenhausen relativ an Bedeutung verlor. Der folgende Globalisierungsschub hat den Standortwettbewerb noch einmal verschärft. In dessen Folge gaben Produktionsunternehmen den Standort Witzenhausen auf oder rationalisierten dort die Produktion. Die örtlichen Zellulose- und Papierproduktion war immer schon in Konzerne eingebunden, die nicht in Witzenhausen ansässig sind. In den letzten Jahren kam es auch bei anderen Betrieben zu Vereinigungen und Übernahmen, wodurch die Unternehmenssitze Witzenhausen verließen. Mehr und mehr hängt deshalb die Zukunft der großen Betriebe in Witzenhausen von Entscheidungen ab, die fernab von Witzenhausen in Konzernzentralen getroffen werden. Witzenhausen konnte den Konzentrations- und Deindustrialisierungsprozessen nicht entgehen, gleichzeitig aber von neuen gewerblichen Entwicklungen nicht profitieren. Der Boom der Logistikunternehmen, der rechts und links der Autobahnen in Nordhessen für Impulse gesorgt hat, ging an Witzenhausen vorbei. Ein neuer großer Logistikstandort wird im benachbarten Neu-Eichenberg an der A 38 entwickelt. Profil Das Profil des Produzierenden Sektors wird in Witzenhausen durch wenige große Unternehmen bestimmt: Die meisten Arbeitsplätze finden sich in der Zellulose- und Papierproduktion bei SCA. Der Bereich Automotive wird durch die Firma Rege vertreten. Bürobedarf liefern Platoreg und AZ Buchstaben. Schließlich gibt es in WitzenhausenHundelshausen den Gipsproduktionsbetrieb VGOrth, früher Kurhessische Gipswerke, der lokale Gipsvorkommen nutzt. Entwicklungen in Zahlen Der produzierende Sektor hatte in Witzenhausen nach den Daten der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung von 2007 Zehn Betriebe mit fast 1.200 Beschäftigten. (Achtung: Die VG-Statistik arbeitet mit einer anderen Systematik als die SVPStatistik). Der bereits erwähnte Arbeitsplatzabbau hat dabei zu einer spürbaren Vergrößerung der durchschnittlichen Betriebsgröße geführt. Im Jahr 2000 wies die VG-Statistik noch 29 Betriebe mit 1728 Arbeitsplätzen aus. Im Jahr 2006 waren nur noch ein Drittel der Betriebe übrig, aber zwei Drittel der Arbeitsplätze (Zehn Betriebe mit 1.200 Arbeitsplätzen). Demzufolge ist die mittlere Betriebsgröße von 60 auf über 110 gestiegen. Die mit einer anderen statistischen Systematik arbeitende Statistik der Sozialversicherungspflichtig Beschäftigten zeichnet den Rückgang der Beschäftigten im Produzierenden Gewerbe ebenfalls nach. Danach ist die Zahl der Beschäftigten von knapp 2.300 im Jahr 2000 auf fast 1.500 im Jahr 2006 gefallen. Im nachfolgenden konjunkturellen Aufschwung kam es dann zu einem leichten Anstieg der Beschäftigtenzahlen. Dies ist jedoch nicht als Trendwende sondern als konjunkturell bedingte Atempause zu deuten. Die Wirtschaftskrise 2008/2009 dürfte zu weiteren Arbeitsplatzverlusten im produzierenden Sektor führen. Trotz dieser Entwicklung ist Witzenhausen immer noch ein bedeutender Industriestandort im WerraMeißner-Kreis. Dies zeigt die Liste der am Ort tätigen Betriebe des produzierenden Gewerbes. Mit 99 SVP-Besch. je 1.000 Einwohner ist das pro- 19 Produzierendes Gewerbe / Logistik duzierende Gewerbe immer noch ähnlich intensiv vertreten wie in Kassel (102) und Eschwege (97). Da in Witzenhausen die komplementären Dienstleistungen nicht so stark ausgeprägt sind, erreicht der Beschäftigtenanteil des Produzierenden Gewerbes noch 35,9% (Zum Vergleich: Kassel 22,1%, Eschwege 25,8%, Werra-MeißnerKreis 35,1%). SVP Beschäftigte im prod. Gewerbe 2000-2007 2.400 2.200 2.000 1.800 1.600 1.400 1.200 1.000 Produzierendes Gew erbe 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 Quelle: HSL Wichtige Unternehmen: Die skandinavische Firma SCA (=Svenska Cellulosa Aktiebolaget) produziert in Witzenhausen Wellpappenrohpapiere für die Herstellung von Verpackungen (SCA Packaging Containerboard GmbH) und Hygienepapiere wie Toilettenpapier oder Küchenkrepp (SCA Hygiene Products GmbH). Seit 1995 gehört das 1975 erbaute Papierwerk in Witzenhausen zum schwedischen Konzern SCA. Heute werden mit derzeit 208 Mitarbeitern ca. 300.000 Tonnen Wellenstoff und Testliner pro Jahr hergestellt. Im Jahr 2007 hat SCA die Hygienepapiersparte von Procter & Gamble am Standort Witzenhausen übernommen und die SCA Hygiene Products GmbH gegründet. Derzeit sind etwa 144 Mitarbeiter im Unternehmen beschäftigt. Rege Motorenteile GmbH & Co. KG: Automobilzulieferer, Produktion von Bauteilen wie Pumpengehäuse, Zylinderköpfe, Getriebgehäuse; 1987 in Witzenhausen gegründet; drei Standorte in Witzenhausen, Eisenach, Brasov (RO); (www.rege.de/) Plastoreg Smidt GmbH & Co KG: Sonderanfertigung von Registern zur Büroablage (Offsetdruck und Mylarabteilung). Das Unternehmen wurde 1970 als startup in Frankfurt gegründet und in Witzenhausen erweitert. Seit 1992 weiterer Standort in Kirchganderm/Thüringen; 2008 von Asia File Corporation Bhd. aus Penang/Malaysia aufgekauft, 150 Beschäftigte an beiden Standorten, davon ca. 56 in Witzenhausen. BWG Reimer GmbH & Co. KG - Spedition und Logistik: Internationale Spedition mit umfangreichem Angebot an Fachlogistik (Automobile Logistik, Paketservice, Zweiradlogistik, Medialogistik, Termin-Express, Logistik für Lebensmittel, Maschinen, Papier, Holz und Güter des täglichen Bedarfs). Das seit 1925 bestehende mittelständische Familienunternehmen betreibt zahlreiche Niederlassungen in Norddeutschland u. a. eine in Witzenhausen. VG-Orth GmbH & Co. KG (MultiGips): Gipsproduktion, Gipsputzsystemen und Gips-Wandbauplatten, seit dem 19. Jh. Abbau von Gips am östlichen Rand des Dorfes Hundelshausen durch die Kurhessischen Gipswerken Orth; 2004 Zusammenschluss der Kurhessischen Gipswerke Peter Orth aus Witzenhausen und der Vereinigten Gipswerke Stadtoldendorf zur VG-Orth GmbH & Co. KG mit Sitz in Stadtoldendorf; vier Standorte in Deutschland (www.orth-gipse.de/) Polimoon GmbH / PPROMENS Packaging GmbH (Ehemals Rosti Verpackungen GmbH, davor Grimm & Triepel Kruse Kautabak GmbH): Seit 1961 werden in Unterrieden Kunststoff-Flaschen produziert. Derzeit sind 54 Personen am Standort Unterrieden beschäftigt. 20 Produzierendes Gewerbe / Logistik Herausforderungen/Lösungsansätze Trotz des stetigen Rückgangs an Beschäftigten im Produzierenden Gewerbe soll sich Witzenhausen darum bemühen, eine industrielle Basis zu behalten, da Folgeeffekte (indirekte und induzierte Effekte) besonders hoch sind. Allerdings sind die Einflussmöglichkeiten der Stadt sehr begrenzt. Die Kommune soll sich dauerhaft als Servicepartner der Wirtschaft verstehen, denn Kommune und Unternehmen haben eine Schnittmenge gemeinsamer Interessen. Die Kommune möchte florierende Unternehmen vor Ort als Arbeitgeber und Gewerbesteuerzahler, während die Unternehmen sich betrieblich entwickeln wollen. Dafür ist es u. a. erforderlich, die standortgebundenen Produktionsbedingungen effizient und kostengünstig zu gestalten. Als Servicepartner muss die Kommune die eigenen Verwaltungsabläufe transparent, effizient und zügig gestalten. Gleichzeitig kann sie Schnittstellenfunktionen zu übergeordneten Behörden auf Kreis und Regierungsbezirksebene wahrnehmen. Die Bürgermeisterin ist überall „erste/r Wirtschaftsförderer/in“, insbesondere in kleinen Städten – natürlich in enger Kooperation mit der Wirtschafsförderung des Landkreises. Im Interesse der Stadt Witzenhausen sollte die Bürgermeisterin zu den Unternehmen genauso regelmäßigen Kontakt halten wie zu Bürgern, Vereinen und gesellschaftlichen Gruppen. Problematisch ist hier allerdings, dass es immer weniger Unternehmen mit Sitz in Witzenhausen gibt, sondern zunehmend nur Standorte von international tätigen Unternehmen ohne Führungsebene in Witzenhausen. Die Vielzahl an informellen Kontakten, die das Amt des Bürgermeisters mit sich bringt, ermöglicht ein frühzeitiges Aufspüren von wirtschaftlichen Friktionen und Hindernissen, die dann in Politik und Verwaltung thematisiert werden können. Die • • • Bürgermeisterin muss vermitteln, dass der „gute Draht“ von Unternehmen zur Bürgermeisterin für die kommunale Verwaltung wie ein Seismograph wirkt, nicht jedoch als Abkürzung zur Umgehung von Verwaltungsabläufen. Die Kommune soll die ortsgebundenen Abgabelasten der Unternehmen im Blick behalten. Dazu zählen einerseits Gebühren und Steuern, die die Kommune selbst festsetzt (wie z. B. die Gewerbesteuerhebesätze). Es zählen dazu aber auch die Kostenstrukturen von anderen Versorgungs-, Entsorgungs- und Energieanbietern mit Gebietsmonopolen. Hier kann die Kommune das Interesse der Unternehmen an niedrigen Kosten auch zu einem eigenen Interesse machen. Kommunale Gewerbeflächenpolitik richtet sich in Witzenhausen auf die bestehenden Flächen im Sinne einer Nachnutzung oder Erstvermarktung. (vgl. Kapitel Gewerbeflächen). Fachkräftemangel ist jetzt schon in vielen Unternehmen spürbar. Angesichts des demografischen Wandels dürfte das Thema weiter an Bedeutung gewinnen. Im Rahmen der kommunalen Wirtschaftspolitik kann Fachkräftemangel zu einem Thema gemacht werden und mit anderen Politikfeldern der Kommune (Wohnungs-, Familien, Frauen- Kulturpolitik) verknüpft werden. • • • Ansprechpartner in der IHK Kassel: Dipl.-Geogr. Ullrich Spengler (0561/7891-272) spengler@kassel.ihk.de Investitionszuschuss von bis zu 35 % im Rahmen der GRW Durch die Gemeinschaftsaufgabe zur Förderung der regionalen Wirtschaftsstruktur können Unternehmensentwicklungen in Witzenhausen unterstützt werden. Gefördert werden kleine Unternehmen (bis 35 %), mittlere Unternehmen (bis 25 %) und große Unternehmen (bis 15 %) bei der Errichtung einer Betriebsstätte, der Erweiterung einer Betriebsstätte (15 % mehr Arbeitsplätze), der Diversifizierung der Produktion in neue, zusätzliche Produkte sowie bei einer grundlegenden Änderung des Gesamtproduktionsverfahrens einer bestehenden Betriebsstätte. Neben der GRW-Förderung können Unternehmen in Witzenhausen auch weitere thematische (und nicht raumbezogene) Förderprogramme des Landes Hessen, des Bundes sowie der Europäischen Union zugreifen http://www.wfg-werra-meissner.de/foerderpr.html 21 Universitätsstadt Witzenhausen Universitätsstadt Witzenhausen – „Ökologische Agrarwissenschaft“ Witzenhausen ist auch Universitätsstandort. Die Stadt beherbergt an zwei Standorten (Campus Steinstr. und Campus Nordbahnhofstr.) den Fachbereich 11 „Ökologische Agrarwissenschaft“ der Universität Kassel mit 700 Studierenden und 23 Fachgebieten. Zum Fachgebiet gehört auch ein Gewächshaus für tropische Nutzpflanzen, das auch öffentliche Führungen anbietet. Campus Nordbahnhofstraße Campus Steinstraße Witzenhausen war bereits im deutschen Kaiserreich Standort einer international ausgerichteten Agrarausbildung. In der Deutschen Kolonialschule für Landwirtschaft, Handel und Gewerbe konnte man bis 1944 eine praxisorientierte Ausbildung zum Tropenlandwirt absolvieren. 1957 wurde dann unter der Trägerschaft des Deutschen Instituts für Tropische und Subtropische Landwirtschaft GmbH (DITSL, der Nachfolgeeinrichtung der ehemaligen Kolonialschule), die Lehranstalt für Tropische und Subtropische Landwirtschaft gegründet. Sie bot ein einjähriges Aufbaustudium für künftige Tropenlandwirte an. 1964 fiel die Entscheidung, unter der Regie von Bund und Land, aus dem Angebot der Lehranstalt einen sechssemestrigen Ingenieurstudiengang für tropische und subtropische Landwirtschaft zu entwickeln. 1971 wurde die Deutsche Ingenieurschule für Ausländische Landwirtschaft als Organisationseinheit „Internationale Agrarwirtschaft“ Teil der neu gegründeten Universität Gesamthochschule Kassel. Die Profilierung hin zur ökologischen Agrarwissenschaft wurde ab Anfang der 1980er Jahre betrieben. 1981 konnte bundesweit erstmalig eine Professur für Ökologischen Landbau eingerichtet werden. Wahlfächer wurden für Studierende angeboten und ein ökologischer Lehr- und Versuchshof für die Forschung aufgebaut. 1993 wurde ein eigener Studienschwerpunkt mit dem Anspruch auf ganzheitliche und partizipative Lehr- und Lernkonzepte angeboten. 1996 wurde dann der universitäre Diplomstudiengang „Ökologische Landwirtschaft“ eingerichtet. Parallel dazu wurden neue Professuren ausgeschrieben, die zur Festigung des Profiles in Lehre und Forschung beitragen. 2005 erfolgte die Umstellung und Akkreditierung aller Studiengänge auf Bachelor und Master. Die Forschung und Lehre in Witzenhausen ist stark international orientiert. Es gibt viele Forschungsvorhaben in den Tropen und Subtropen sowie Partnerschaften und persönliche Kontakte zu dortigen Universitäten und Institutionen. Seit 2002 gibt es einen englischsprachigen Masterstudiengang „International Organic Agriculture“, seit 2006 einen englischsprachigen Masterstudiengang „International Food Business and Consumer Studies“. Quellen: http://www.uni-kassel.de/agrar/?c=63 http://www.agrar.uni-kassel.de/ink/?c=28 22 BioRegion Werratal – Cluster „ökologischer Landbau“ BioRegion Werratal – Cluster „ökologischer Landbau“ Der Universitätsstandort Witzenhausen mit seinem Fachbereich „Ökologische Agrarwissenschaften“ ist neben Lehre und Forschung bei der Absolventenbetreuung besonders engagiert. Die Gründung und Pflege von Netzwerken sowie ein Monitoringsystem zur Analyse der Chancen von Studierenden für den Berufsstart sind die zentralen Elemente der Nachwuchsförderung. Dieses Engagement hat sich ausgezahlt. Der Fachbereich Ökologische Agrarwissenschaften und dessen Vorgängereinrichtung haben zahlreiche erfolgreich am Markt operierende Firmen, Unternehmen und Freiberufler hervorgebracht. Quelle: Website Universität Kassel Fachbereich 11 Ökologische Agrarwissenschaften Im Rahmen eines Clusters „ökologischer Landbau“ haben sich zahlreiche am Markt etablierte Unternehmen entwickelt, die gleichzeitig mit Know-how den Start-ups zur Seite stehen können. Folgende Schwerpunkte lassen sich dabei innerhalb der Region erkennen: • Ingenieurbüros (Abfallwirtschaft, Bioenergie, Umweltmanagement, uvm.) • Produzierendes Gewerbe und Handel (ökologische Kräuter, Tee und Gewürze, Arzneipflanzen sowie Pflanzenöl und Technik) • Landwirtschaftliche Unternehmen (Biohöfe u. a. Milch, Getreide und Tierhaltung) • Unternehmen mit Schwerpunkt Verkauf – Beratung (Vertrieb von ökologischen Produkten) • Weitere Dienstleistungsunternehmen (Management, Markting, Bildung und Informationsdienstleistungen) Die Website des Fachbereichs „Ökologische Agrarwissenschaften“ listet 68 Unternehmen von Absolventen auf. Geht man davon aus, dass in jedem Unternehmen durchschnittlich vier Personen beschäftigt sind ergibt sich eine Zahl von mindestens 275 Arbeitsplätzen. Neben den Förder- und Alumnivereinen des Fachbereichs wurde eine Jobbörse für Absolventen eingerichtet, sodass der Nachwuchs für den Wirtschaftscluster „ökologischer Landbau“ gesichert ist und zielgerichtete Kontakte zwischen Absolventen und Unternehmen entstehen können. Gleichzeitig befragt der Fachbereich Ökologische Agrarwissenschaften regelmäßig seine Absolventen und Absolventinnen zu ihrem beruflichen Erfolg und Verbleib um die Nachhaltigkeit des Studiums sicherzustellen. Dieses Engagement der Universität sowie der Alumna zeigt ein vorbildlich verzahntes regionales Bildungs- und Wirtschaftssystem, dass gerade in kleineren Mittelstädten für eine positive wirtschaftliche Entwicklung sorgen kann. Weitere Informationen finden sich unter: http://www.uni-kassel.de/agrar/?c=26 23 Sonstige Dienstleistungen / Tourismus / Freizeitwirtschaft Dienstleistungen In Witzenhausen arbeiteten im Jahr 2007 rund 2.700 sozialversicherungspflichtige Beschäftigte im Dienstleistungssektor. Dies entspricht einem prozentualen Anteil von knapp 63 %, was in etwa dem Durchschnitt des Landkreises entspricht. Mit insgesamt nur 173 Beschäftigten je 1.000 Einwohner im Dienstleistungsbereich unterscheidet sich Witzenhausen deutlich vom benachbarten Eschwege (290) das als Kreisstadt und Einkaufsstadt im Werra-Meißner-Kreis eine viel stärkere Dienstleistungsprofilierung zeigt. Witzenhausen ist hingegen in viel stärkerem Maße Wohnstandort bzw. Auspendlerstadt. Im Einzelnen zeigen sich folgende Strukturen: SVP-Beschäftigte am Arbeitsort nach Branchen 1.600 öffentliche und andere private Dienstleister 1.400 1.200 Handel, Gastgew erbe, Verkehr 1.000 800 Finanzierung, Vermietung, Unternehmensdienstleister 600 400 200 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 Quelle: HSL • Mit einer Anzahl von 55 Beschäftigten je 1.000 Einwohnern im Bereich „Handel, Gastgewerbe, Verkehr“ ist Witzenhausen mit dem Durchschnitt des Landkreises vergleichbar, liegt jedoch weit hinter dem benachbarten Mittelzentrum Eschwege (94). Knapp über dem Durchschnitt des Landkreises liegt die Stadt mit dem Bereich „Finanzierung, Vermietung, Unternehmensdienstleister“, in welchen 37 Beschäftigten je 1.000 Einwohner registriert sind. Allerdings bleibt die Stadt auch hier hinter dem Niveau von Eschwege (46) zurück Auch im Bereich „öffentliche und andere private Dienstleister“ liegt Witzenhausen mit 81 Beschäftigten je 1.000 Einwohnern knapp über dem Durchschnitt des Landkreises (77), jedoch weit hinter Eschwege (150). • • Große Arbeitgeber aus dem Dienstleistungssektor sind zum einem der Fachbereich Ökologische Agrarwissenschaften der Universität Kassel (vgl. Kapitel „Universitätsstandort Witzenhausen“ 24 SVP-Beschäftigte in Dienstleistungsbrachen In Witzenhausen 2007 öffentliche und andere private Dienstleister; 1.283 Handel, Gastgewerbe, Verkehr; 874 Finanzierung,Vermietung, Unternehmensdienstleister; 580 Quelle: HSL sowie weitere Behörden (die teilweise mit der Funktion als ehemalige Kreisstadt in Verbindung gebracht werden können) gegeben. Die Außenstelle der Kreisverwaltung mit Teilen der Sozialverwaltung sowie dem Gebäudemanagement ist in Witzenhausen angesiedelt. Darüber hinaus sind auch die Arbeitsagentur und die Finanzverwaltung in Witzenhausen vertreten. Die IHK-Statistik weist in Witzenhausen 84 gewerbliche Betriebe aus, die dem Dienstleistungssektor zuzuordnen sind. Über die genannten größeren Betriebe hinaus kommt darin eine für Mittelstädte dieser Größenordnung typische Struktur zum Ausdruck. Dies umfasst insbesondere Dienstleistungen zur Versorgung der Bevölkerung in Witzenhausen und seinem Einzugsbereich. Hierzu gehören insbesondere haushaltsnahe Dienstleistungen sowie der kleinteilige Gesundheitssektor (z. B. Arztpraxen). Die IHK-Statistik weist einige Unternehmensberatungen auf, die sich auf den Bereich Naturwissenschaften / Technik und Umwelt spezialisiert haben. Hier spiegelt sich der Einfluss der Universität und der dortigen Fachbereiche auf das Gründungsgeschehen wider. Sonstige Dienstleistungen / Tourismus / Freizeitwirtschaft Tourismus- und Freizeitwirtschaft Tourismus- und Freizeitwirtschaft sind mancherorts auch abseits der wichtigen Destinationen von einem Strohhalm der Wirtschaftpolitik zu einem veritablen wirtschaftlichen Standbein geworden. In Witzenhausen lassen sich diesbezüglich Potenziale und Bestrebungen erkennen. Witzenhausen präsentiert sich selbstbewusst als Kirschen- und Universitätsstadt – eingebettet im romantischen Werratal. Folgendes touristisches Profil ergibt sich für Witzenhausen: Die attraktive Altstadt mit ihrem wertvollen Fachwerkbestand prägt den Charakter der kleinsten Universitätsstadt Deutschlands. Die zahlreichen Kirschenplantagen und bewaldeter Hügelketten werden als idealer Ausgangspunkt für Aktivurlaube mit erlebnisreichen Wanderungen in die Umgebung beworben (z. B. zum Aussichtsturm „Bilstein“ oder Jahreszeiten abhängige Wanderungen auf den speziell ausgewiesenen Kirschblütenwegen). Der Kirschenerlebnispfad bietet vor allem für Familien auf 4,5 Kilometern und mit 17 Stationen spielerische Informationsmöglichkeiten über die rote Frucht. Die Bandbreite der Angebote für Aktivurlauber ist besonders groß: Hierzu gehören neben Wanderwegen auch mehrere gut markierte Radwege (z. B. der „Werratal-Radweg“), Boottouren auf der Werra und vielfältige Angebote aus dem Bereich Sport und Fitness (u. a. Mineralwasser Freibad, Segelfliegen) • • • • Die Kirsche ist das Symbol der Stadt und rund um dieses Symbol werden verschiedene Feste in Witzenhausen im jährlichen Turnus angeboten. Zur Kirschenernte findet am zweiten Juliwochenende das große Kirschen- und Altstadtfest statt. Außerdem wird auf der Kesperkirmes die Kirschenkönigin gekrönt und es finden die Meisterschaften im „Kirschsteinspucken“ statt. Auch das gastronomische Angebot passt sich mit Weinproben des vor Ort produzierten Sauerkirschenweins in dies thematische Profil von Witzenhausen ein. Witzenhausen bietet darüber hinaus für in- • teressierte Besucher vier Museen an (das Völkerkundliche Museum, das Automuseum Ziegenhagen, die Tabakmanufaktur und das Tabakmuseum sowie das Gewächshaus für tropische Nutzpflanzen). Ebenso bietet der Erlebnispark Ziegenhagen ein familiengerechtes Angebot. Die Informationsmöglichkeiten für Touristen sind im Internet umfassend vorhanden. Auf der Internetseite www.kirschenland.de sind die verschiedenen Angebote aufgeführt. Diesbezüglich sind auf dieser Internetseite auch Zimmerangebote und Reservierungen, sowie Gruppen- und Pauschalangebote ausgewiesen. Des Weiteren ist es möglich Informationsbroschüren zu bestelEntwicklung Übernachtungen (Index 2000 = 100%) 110 Witzenhausen Werra-Meißner-Kreis 100 90 80 70 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 Quelle: HSL len. Das Bettenangebot in Witzenhausen hat in den letzen Jahren von 613 Betten im Jahr 2003 auf 727 Betten im Jahr 2007 kontinuierlich zugenommen. Die jährlichen Übernachtungszahlen schwankten in den letzen Jahren (77.282 Übernachtungen im Jahr 2005), haben im Jahr 2007 mit 93.823 Übernachtungen jedoch deutlich zugenommen. Für das Jahr 2007 ergibt sich eine rechnerische Bettenauslastung von 35 %. Die Aufenthaltsdauer hat sich seit 2003 (durchschnittlicher Aufenthalt von 2,2 Tagen) kontinuierlich gesteigert und liegt im Jahr 2007 bei durchschnittlich 2,9 Tagen. Mit diesen Werten hebt sich Witzenhausen positiv von anderen Standorten und Mittelstädten in Nordhessen ab. Herausforderungen und Lösungsansätze Witzenhausen verfügt über ein adäquates Angebot haushaltsnaher Dienstleistungen. Die Möglichkeiten moderne, innovative, wissensorientierte Dienstleister in Witzenhausen anzusiedeln sind, aufgrund der Tatsache, dass Witzen- • 25 Sonstige Dienstleistungen / Tourismus / Freizeitwirtschaft hausen ein Universitätsstandort ist, besser als in den meisten anderen Mittelstädten. Dieses Potenzial muss noch besser genutzt werden. Es ist für die Zukunftsfähigkeit der Stadt sehr wichtig, dass dieser Standortvorteil offensiv vermarktet wird. Das Angebot im Bereich Tourismus und Freizeitwirtschaft ist gut ausgebaut und Witzenhausen ist es gelungen eine gute Profilierung und somit ein „eigenes Gesicht“ der Stadt zu erhalten. Allerdings ist es wichtig, dass die Stadt nicht für sich alleine steht, sondern sich aktiv in die Region eingliedert. Anzustreben ist dementsprechend eine weitere Stärkung der Vernetzung und Integration in den regionalen Verbund. Es liegt auf der Hand, dass die Region und mit ihr Witzenhausen gerade in einer interessanten Mischung von Kultur und Natur, bevorzugt Aktivurlauber ansprechen kann. Von daher ist es auch eine Daueraufgabe Wander- und Radwanderwege und vergleichbare Angebote weiter auszubauen und beständig zu pflegen. Dabei sollte auch weiter an der Verknüpfung mit den anderen Angeboten der Region gearbeitet werden. • • 26 Ansprechpartner in der IHK Kassel: Melanie Amert (0561/7891-320) amert@kassel.ihk.de, Dieter Lehmann (0561/7891-285) lehmann@kassel.ihk.de Einzelhandel Mittelzentraler Einkaufsstandort: Als ehemalige Kreisstadt hat Witzenhausen traditionell eine zentrale Funktion für das Umland. Dies spiegelt sich auch in seiner Rolle als mittelzentraler Einkaufsstandort. Die Werrastadt ist das Versorgungszentrum für die städtische Bevölkerung und auch für die umliegenden Ortschaften, sowohl auf Witzenhausener Gemeindegebiet als auch darüber hinaus. Dabei bilden laut Regionalplanung Witzenhausen, Neu-Eichenberg, Bad Sooden-Allendorf und der Gutsbezirk Kaufunger Wald den mittelzentralen Verflechtungsbereich. Mit etwa 26.000 Einwohnern liegt die Bevölkerungszahl in diesem Gebiet schon unter der Schwelle von 35.000 Einwohnern, die von den Experten beim Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung als Tragfähigkeitsgrenze für ein Mittelzentrum angesehen werden. Die Regionalplanung in Hessen geht hingegen in ländlichen Räumen von 20.000 Einwohnern als Mindestgröße aus. Nominal liegt die Größe des Mittelbereichs von Witzenhausen zwischen diesen beiden Schwellenwerten. Bedenkt man jedoch, dass Bad Sooden-Allendorf als Kurort auch eigene Einzelhandelsgeschäfte vorhält und zudem auch teilweise auf Eschwege ausgerichtet ist, so reduziert sich das Bevölkerungspotenzial im Mittelbereich von Witzenhausen beträchtlich. Allerdings zeigt die Karte mit der entfernungsabhängigen Skizzierung des Verflechtungsbe- reiches, dass Witzenhausen als Einkaufsstandort auch für Ortschaften in Thüringen von Interesse ist. Dennoch muss man eindeutig festhalten, dass das Bevölkerungspotenzial im Mittelbereich und damit die Kaufkraft sehr begrenzt ist. Im demographischen Wandel mit dem absehbaren Rückgang der Bevölkerung werden sich die quantitativen Bedingungen für den Einzelhandel weiter verschlechtern. Regionale Wettbewerbssituation: Offensichtlich ist die regionale Wettbewerbssituation mit den umliegenden Ober- und Mittelzentren. Von Witzenhausen benötigt man mit dem Auto jeweils etwa eine halbe Stunde Fahrzeit, um in die Oberzentren Kassel oder Göttingen zu kommen. Von den westlich gelegenen Ortsteilen und von Neu-Eichenberg geht es noch schneller. Von hier mag in vielen Situationen das mittelzentrale Zentrum übersprungen und gleich ein Oberzentrum angesteuert werden. Zusätzlich wirken die relativ starken Konkurrenten Eschwege, Heiligenstadt und Hannoversch-Münden als Konkurrenten, deren Einzugsbereiche sich mit dem von Witzenhausen überschneiden. Einwohner von Dörfern zwischen den Zentren erhöhen ihre Wahlmöglichkeiten beim Einkaufen, in dem sie situationsbezogen verschiedene Zentren ansteuern. Göttingen 44 Duderstadt Hofgeismar Warburg Hann.Münden Brilon Marsberg 38 Lein e Vellmar Bad Arolsen 44 Kassel Heilbad Heiligenstadt Witzenhausen Un Wolfhagen Korbach Baunatal W rg err a Hessisch Lichtenau 49 Eschwege Fritzlar Melsungen Bad Wildungen Frankenberg 7 Allendorf Battenberg Sontra Fu ld a Homberg Rotenburg Schwalmstadt opf benachbarte Zentren mit hoher Bedeutung für Witzenhausen Bebra Eisenach potentieller mittelzentraler Heringen Verflechtungsbereich 4 10 km Bad Hersfeld W er ra Borken Kirchhain Mittelzentraler Verflechtungsbereich 27 Einzelhandel Einzelhandelskaufkraft und -umsatz: Bei einer Einzelhandelskaufkraft von 5 447 Euro je Einwohner, was einem Niveau von 97,2% des Bundesdurchschnittes entspricht, errechnet sich für Witzenhausen eine einzelhandelsrelevante Kaufkraft von 86,4 Mio. Euro . Für den regionalplanerisch definierten mittelzentralen Verflechtungsbereich errechnen sich gut 142 Mio. Euro. Demgegenüber lag der Umsatz des Einzelhandels im Gemeindegebiet von Witzenhausen bei knapp 78,1 Mio. Euro. (Quelle: IHK Kassel: Statistik auf den Punkt, Fakten 1: Einzelhandel in Nordhessen 2009) GfK Kaufkraft für den Einzelhandel Witzenhausen 5.447 Euro je Einwohner Deutschland 5.602 Euro je Einwohner GfK Kaufkraft für den EH 2008 - Index (D=100) Witzenhausen 97,2 Deutschland 100,0 GfK-Zentralitätskennziffer 2008 Witzenhausen 96,0 Quelle: GfK / IHK Kassel Mäßige Kaufkraftbindung: Auch wegen der regionalen Wettbewerbssituation erreicht Witzenhausen nur eine mäßige Kaufkraftbindung. Die GfK Kaufkraftkennziffer liegt bei 96,1. D. h. der örtlich erwirtschaftete Einzelhandelsumsatz lag unter der örtlich verfügbaren Einzelhandelskaufkraft. Das benachbarte Eschwege erreichte hingegen laut IHK 2009 bzw. GFK einen Wert von 192,3. Umsatz räumlich auf mehrere Standorte verteilt: Die statistischen Daten zum Umsatz gelten für Witzenhausen als Ganzes. Wie in vielen vergleichbaren kleinen Städten mit beengter Innenstadt wurden dezentrale Ergänzungsstandorte geschaffen. In Witzenhausen ist dies der Bereich nördlich der Werra, der inzwischen durch die neue B 80 sehr gut erreichbar ist. Dort findet sich u. a. der Lebensmitteleinzelhandel mit Ergänzungssortimenten (Herkules-E-Markt, Aldi, Lidl, tegut). Das hat den entsprechenden Geschäften zeitgemäße Entwicklungsmöglichkeiten geschafft, gleichzeitig jedoch zu einer räumlichen Entflechtung von Magneten (Lebensmittelgeschäfte) und innerstädtischen Fachgeschäften geführt. Der Innenstadt gehen so Laufkundschaft und Kopplungsgeschäfte verloren. Neben der geringen Kaufkraftbindung hat Witzenhausen zusätzlich ein Innenstadtproblem. Die Altstadt / innerstädtische Einkaufslagen: Die Altstadt von Witzenhausen hat ein typisch nordhessisches Gepräge mit engen Straßen, dicht stehenden Häusern und einem hohen Anteil an Fachwerkhäusern. Die Lage „mit dem Rücken zur Werra“ bei gleichzeitiger innerer Ausrichtung der Stadt auf die Werrabrücke gibt der Altstadt ihre Struktur. Die prägenden Straßen Brückenstraße, Markt, Teile der Ermschwerder Str. und Marktgasse bilden heute als Fußgängerbereiche den Kern der innerstädtischen Einkaufslagen. Hinzu kommen Teile der Walburger Straße sowie der Steinstraße, die auch von Autos befahren werden können. Imponierend für den Besucher ist sowohl das Ensemble am Markt mit dem wuchtigen steinernen Rathaus sowie die durch Fachwerkhäuser geprägten Bereiche der Ermschwerder Str. und Stärken-Schwächen Einschätzung der Altstadt von Witzenhausen 28 Quelle: Studienprojekt von Studenten der Universität Kassel, unter Ltg. von Gastprof. S. Trommer (2008) Einzelhandel der Marktgasse. Die Geschäftsstruktur im innerstädtischen Bereich ist in Analogie zur Baustruktur sehr kleinteilig, wobei sich in der Walburger Str. noch die größten Geschäfte befinden. Vor allem in der Brückenstraße fallen Leerstände ins Auge. Einzelhandelsstruktur in der Innenstadt: Bei einer Erhebung in der Innenstadt im Sommer 2008 wurden 107 Geschäftslokale erfasst. Davon standen 7 Geschäftslokale leer. Zusätz- lich gibt es auch noch in den Übergangszonen zu den Wohnnutzungsbereichen Leerstände. In toto ist dieser Leerstand noch nicht dramatisch, doch sobald sich lokale Häufungen abzeichnen und sie in Kombination mit Einfachnutzungen und Billiggeschäften auftreten, beginnen sie den Charakter einer Raumsituation zu prägen. Am deutlichsten spürt man solche „schwierigen Verhältnisse derzeit in der Brückenstraße. Von den 100 genutzten Geschäftslokalen entfielen 3-polige Zentrenstruktur Einkaufscenter Lebensmittelmärkte Kleinteiliger Einzelhandel Einkaufszone „Fußgängerorientiert“ Geschäftsstaße Übergangszone Großflächiger Lebensmitteleinzelhandel Kartengrundlage: Amt für Bodenmanagement Homberg (Efze) 29 Einzelhandel etwa zwei Drittel auf Einzelhandel im eigentlichen Sinne und ein Drittel auf Dienstleistungen und Gastronomie. Die Geschäfte sind überwiegend inhabergeführt. Die Daten enthalten keine besonderen Auffälligkeiten, sie können jedoch die Qualität des Angebotes und wichtige Lücken nicht abbilden. Wie auch in anderen Mittelzentren fand sich in der Innenstadt kein Platz für einen attraktiven größeren Lebensmittelmarkt, der als Magnet wirken kann. Textilgeschäfte fokussieren sich auf Nischen statt auf Angebotsbreite. Innerstädtische Kaufhäuser sind längst verschwunden (und schließen auch in größeren Städten zunehmend ihre Pforten). Billiggeschäfte stoßen in die Lücken vor. Man kann die These aufstellen, dass sich der Schwerpunkt des Einzelhandels in der Innenstadt verlagert. Während die Brückenstraße und auch Bereiche Am Markt bzw. in der Marktgasse derzeit keine attraktiven Einkaufslagen darstellen, wirkt die Walburger Str. durchaus vital. City-Bereich und Einkaufszone: Fakten • Länge der Einkaufszone Fußgängerorientiert: ca. 350 m Geschäftsstraße und Ergänzungsbereich: ca. 370m • Anzahl der aufgenommenen Geschäfte: 100 • Filialisierungsgrad: 11,5 % • Anteil der inhabergeführten Geschäfte: 88,5 % • Leerstände: 6,5 % Einzelhandelsstruktur in der Innenstadt Bücher und Schreibwaren Uhren, Schmuck, Foto und Optik Warenhäuser, Verbrauchermärkte Nahrungsmittel Textilien Schuh und Lederwaren Möbel und Hausrat Elektrische HH-Geräte, Hifi, Musikinstrumente Apotheken, Sanitätsbedarf und Drogerien sonstiger Einzelhandel Finanzen/Versicherungen öffentliche Dienstleitungen personenbezogene Dienstleistungen Gastronomie/Restaurant/Verpflegung Andere Nutzung 0 4 Quelle: Eigene Erhebung 30 8 12 16 20 Altstadt von Witzenhausen Einzelhandel Herausforderungen und Lösungsansätze Die Witzenhäuser Innenstadt steht unter einem starken Wettbewerbsdruck. Konkurrenten sind die dezentralen Einkaufsstandorte in Witzenhausen wie auch die benachbarten Zentren. Damit einher geht eine niedrige Kaufkraftbindung. Ein weiteres Probleme sind die Investitionsstaus in den alten Fachwerkgebäuden. Räumlich scheint der Bereich Brückenstraße / Am Markt / Marktgasse das Sorgenkind zu sein, weil hier ein identitätsprägender Teil der Altstadt besonders unter Druck steht. Auf Dauer sind zwei Entwicklungspfade denkbar. Entweder wird die Witzenhäuser Altstadt als Einkaufsstandort weiter an Bedeutung verlieren und so auch die touristisch Interessante Kulisse gefährden, oder aber es gelingt die Altstadt neu zu positionieren. Letzteres sollte das Ziel sein, doch es ist objektiv schwierig. Standortentscheidungen für den Einzelhandel außerhalb der Altstadt sind längst gefallen, der demografische Wandel lässt die Bevölkerungszahl im mittelzentralen Verflechtungsbereich schrumpfen und die Finanzkrise reduziert die Spielräume für öffentliche und private Investionen weiter. Insofern wäre es vermessen, einige typische Handlungsfelder zu benennen (Parkplätze, Qualität des öffentlichen Raumes, Bespielung des öffentlichen Raumes, stärkere Abstimmung der Einzelhändler, bessere Werbung u. dgl.) und dazu aufzufordern, diese abzuarbeiten. Es bietet sich an, die vielen bekannten Problembeschreibungen und Handlungsvorschläge in den Blick zu nehmen und sie im Sinne einer SWOT-Analyse (Stärken, Schwächen, Chancen, Risiken) zu sortieren. Dabei würde man bei der Stärken-Schwächen-Analyse selbst-reflexiv ansetzen („Was sind unsere spezifischen Stärken und Schwächen?), während die Chancen und Risiken kontextbezogen diskutiert würden (Was können wir in der Wettbewerbssituation anders machen, um erfolgreich zu sein? Was müssen wir vermeiden, um erfolglos zu sein?). Ein solcher Ansatz würde zeigen, (a) dass man selbst Möglichkeiten in der Hand hat, (b) dass ein breiter Ansatz erforderlich ist und (c) dass viele Akteure eingebunden werden müssen. Es gibt keine Erfolg versprechende Einzelmaßnahme, sondern Chancen entstehen nur durch ein Paket von Maßnahmen, das mit einem langen Atem umgesetzt wird. Diese Überlegungen verweisen darauf, einen starken City-Manager oder eine City-Managerin zu etablieren. Er/sie sollte nicht ausschließlich von der Stadt finanziert, sondern vom innerstädtischen Einzelhandel co-finanziert werden. Ein solcher Finanzierungsmechanismus zeigt, dass der Einzelhandel ein Interesse an der Position des City-Managers hat und dass er von ihm etwas erwarten darf. Die Anforderungen an das City-Management und die Einschränkungen gegenüber einem weiteren Stadtmarketing wurden bereits oben dargestellt. Vom City-Management sind keine schnellen Ergebnisse zu erwarten. Gleichzeitig sollte es nicht ohne weiteres als Dauereinrichtung etabliert werden, sondern eher als Projekt über 3-5 Jahre. Der endgültige Aufgabenbereich des City-Managements muss nach der SWOT-Analyse bestimmt werden. Folgende Punkte können jedoch sofort auf die Agenda gesetzt werden: „Ansiedlung neuer Magnetbetriebe (insbes. eines hochwertigen Lebensmittelmarktes am Rande der Altstadt), Schaffung eines zeitgemäßen Verkehrs- und Parkkonzeptes (u.a. unter Berücksichtigung des Engpasses „Werraberücke“) Optimierung der Altstadtatmosphäre (reicht von baulichen Maßnahmen bis zur „Bespielung“ des öffentlichen Raumes) Bündelung der Interessen der Einzelhändlerschaft mit dem gleichzeitigen Ziel einer besseren Abstimmung des Auftritts (Öffnungszeiten, Werbung, u.a.m.), Einbindung der Hauseigentümer (Anpassung Mietpreiserwartungen, Auflösung von Sanierungsstaus, Umgang mit Denkmalschutz), Einbindung der Maßnahme in ein integriertes Einzelhandelskonzept für Witzenhausen (oder eventuell sogar in ein regionales Einzelhandelskonzept). Sehr wichtig ist die Anlage des Prozesses. Ein City-Manager ist kein „Wunderheiler“, der neue Lösungen mitbringt, um sie dann vor Ort zu realisieren. Er oder Sie ist vielmehr gleichermaßen Moderator wie kreativer Kopf, der Probleme identifizieren kann und die Akteure zusammenbringt, die zur Lösung beitragen können. Dabei sollte auch geprüft werden, inwieweit die verschiedenen Landes- und Bundesprogramme (vgl. Kasten) für Witzenhausen genutzt werden können. • • • • • • Ansprechpartner in der IHK Kassel: Dipl.-Geogr. Christine Neumann (0561/7891-322) christine.neumann@kassel.ihk.de 31 Strategien für den Einzelhandel in Mittelstädten Charakteristische Problemlagen in Klein- und Mittelstädten: • Der Fach- und Einzelhandel in Mittelstädten konkurriert nicht nur mit den regionalen Oberzentren, sondern auch mit den Angeboten anderer Mittelzentren sowie Einkaufzentren auf der „grünen Wiese“. Durch Geschäftsaufgaben, die nicht selten das Ergebnis von Nachfolgeproblemen bei Inhabergeführten Geschäften und Betrieben sind, kommt es in Innenstadtlagen vermehrt zu Leerständen. Leerstehende Ladenflächen lassen sich aufgrund überhöhter Preisvorstellungen der Eigentümer schlecht vermieten / verkaufen. Schlechte Bausubstanz, nicht optimale Raumaufteilungen und die Auflagen der Denkmalpflege führen dazu, dass Leerstände in den für Nordhessen charakteristischen Fachwerkhäusern zum Problem der innerstädtischen Einzelhandelsentwicklung werden. Lebensmitteleinzelhandelsgeschäfte siedeln sich aufgrund der Flächenbedarfe außerhalb der „Innenstadtkerne“ an und fungieren nicht mehr als Frequenzbringer für den Einzelhandel im eigentlichen Zentrum. Mittelzentren werden in den ländlich geprägten Regionen mit dem PKW angefahren. Damit muss bei der Entwicklung der Innenstadtkerne immer zwischen den Ansprüchen der Kunden bezüglich individueller Mobilität (insbesondere Parkplatzangeboten) und verkehrsberuhigten- oder Fußgängerzonen vermittelt werden. • • • • • Programme zur Unterstützung der Kommunen Ab in die Mitte: Mit dem Wettbewerb „Ab in die Mitte! Die Innenstadt-Offensive“ setzt das Land • Hessen gemeinsam mit Partnern aus dem öffentlichen Bereich und der privaten Wirtschaft ein Zei- chen, um neue Impulse für die Stadtentwicklung einzufordern und damit das Augenmerk auf die Attraktivität der Zentren zu lenken. Inhaltliche Schwerpunkte sollten sein: - Erhaltung der Multifunktionalität der Innenstädte - Sicherung eines breiten Angebotes für alle Bevölkerungsgruppen - Stärkung der kulturellen Identität der Städte - Vernetzung von Handel, Gastronomie und Kultur - Schaffung neuer Impulse für Erlebnisqualität und Verweildauer Die Bewerbung erfolgt durch die Kommune beim hessischen Ministerium für Wirtschaft, Verkehr und Landesentwicklung. Die von der Jury ausgewählten Städte und Gemeinden erhalten für die Umsetzung der Projekte eine finanzielle Unterstützung. Weitere Informationen: www.abindiemitte-hessen.de Aktive Kernbereiche: Mit dem neuen Förderprogramm werden die hessischen Kommunen intensiver dabei unterstützt, die Funktionen der Innenstädte zu stärken und neue Qualitäten in den Kernbereichen zu entwickeln. Zentrale Kriterien für eine Förderung sind die Kooperation zwischen den unterschiedlichen innerstädtischen Akteuren - privater Sektor, Zivilgesellschaft und öffentlicher Sektor - und der integrierte Ansatz der Stadt. Auch interkommunale Partnerschaften werden gefördert. Interessierte Kommunen können sich beim hessischen Ministerium für Wirtschaft, Verkehr und Landesentwicklung bewerben. Weitere Informationen: www.aktive.kernbereiche-hessen.de INGE- / BID-Initiativen: Mit dem Gesetz zur Stärkung von innerstädtischen Geschäftsquartieren (INGE)wird das nordamerikanische Konzept der Business Improvement Districts (BIDs) auf Hessen übertragen. In INGE-/BID-Initiativen finden sich Hauseigentümer und weitere Innenstadt-Akteure mit dem Ziel der Aufwertung Ihres Quartiers zusammen. Maßnahmen zur Quartiersentwicklung und das dafür erforderliche Budget werden von den Grundeigentümern und Gewerbetreibenden selbst festgelegt und verwaltet. Mögliche Projekte in solchen BIDs gehen von einem verbesserten Marketing, gemeinsamen Veranstaltungen, Straßenraumgestaltung bis hin zu baulichen Maßnahmen im öffentlichen Raum. www.wirtschaft.hessen.de -> Bauen/Wohnen -> Städtebau -> Downloads Stadtumbau: Unter dem Bundesprogramm Stadtumbau West wurden in der Vergangenheit Städte gefördert, die durch den Strukturwandel in Schwierigkeiten geraten waren. Aktuell wird über eine Neustrukturierung des Programms nachgedacht. www.bmvbs.de ->Stadtentwicklung,Wohnen -> Stadtentwicklung -> Statumbau • • • 32 Zusammenfassung: wichtige lokale Handlungsfelder Demografie: Die Bewältigung des demografischen Wandels stellt für Witzenhausen eine große Herausforderung dar, denn die die Prognosen sagen deutliche Schrumpfungs- und Alterungsprozesse voraus. Daran ändert auch die Rolle als kleiner Hochschulstandort nichts Wesentliches. Überregional gibt es viele Initiativen (z.B. Bertelsmann-Stiftung, Bund, Land Hessen, Landkreis), in denen die Herausforderungen und Handlungsmöglichkeiten intensiv diskutiert werden. Witzenhausen hat erste Initiativen ergriffen. So wirbt die Stadt überregional für ihre Qualitäten als Wohnstandort und hat auch ein „Lokales Bündnis für Familien“ initiiert. Diese Ansätze gilt es, weiter auszubauen und ihre Wirkung zu evaluieren. Dabei sollte die Stadt Witzenhausen die Aktivitäten des Landkreises zum demografischen Wandel inhaltlich aufgreifen und in die kommunale Politik hineintragen. Die Bewältigung des demografischen Wandels ist eine komplexe Daueraufgabe, die von Dämpfungsbemühungen, über die Sicherung der Funktionsfähigkeit der Kernstadt und einer Generationenpolitik bis hin zum einem neuen Austarieren der Entwicklungsperspektiven für Kernstadt und Dörfer reicht. Am Anfang geht es darum, die Herausforderungen transparent zu machen und trotz aller dabei sichtbar werdenden Probleme positive Handlungsansätze zu vermitteln. Wirtschaftsnahe Infrastruktur: Die Optimierung der wirtschaftsnahen Infrastruktur ist als Element kommunaler Wirtschaftsförderung eine Daueraufgabe. Die Anbindung an das überregionale Straßennetz ist in den letzten Jahren durch den Bau der B 80 neu im Stadtgebiet von Witzenhausen sowie und den Bau der A 38 deutlich verbessert worden. Ein Engpass bleibt die Werraquerung und die Straßenführung im Innenstadtbereich. Das DSL-Netz (Breitbandanbindung) ist in den letzten Jahren stark ausgebaut worden, doch bevorzugt in den Ballungsräumen. Insofern besteht für ländlich geprägte Räume, wie den Werra-MaißnerKreis noch ein Ausbaubedarf. Die Kernstadt Witzenhausen ist schon jetzt relativ gut angebunden, während es auf den Dörfern noch Defizite gibt. Im Zuge der Diskussion über die Konjunkturpakete des Bundes ist auch die Breitbandanbindung in ländlichen Räumen als Investitions- und Handlungsfeld identifiziert worden. Bei den Gewerbeflächen symbolisiert das seit Jahren leer stehende Gewerbegebiet Unterrieden die Lage von Witzenhausen. Eine Nachfrage von außerhalb nach Gewerbeflächen gibt es derzeit nicht. Herausforderungen liegen deshalb in der Bestandsentwicklung. Generell sind die Komplementärkosten zu den Erwerbskosten zu beachten (kommunale Steuern, DSL-Anschlusskosten, Entsorgungsgebühren, Energieversorgungskosten). Wirtschaftliches Profil: Witzenhausen hat ein breites wirtschaftliches Profil, in dem regionale Versorgungsdienstleistungen und die Papierindustrie besondere quantitative Schwerpunkte bilden. Hinzu kommt die Rolle als Universitätsstandort mit dem Fachbereich „Ökologische Agrarwissenschaft“ der Universität Kassel, aus dem auch spin-offs hervorgegangen sind. Seit Ende der 1990er Jahre hat Witzenhausen fast 20% der Beschäftigten verloren. Auch wenn der jüngste konjunkturelle Aufschwung für eine Entlastung sorgte, bleibt die Zukunft unsicher, zumal auch durch den demografischen Wandel Bevölkerung und Kaufkraft verloren gehen. In Anbetracht dieser Situation muss sich Witzenhausen wirtschaftspolitisch breit aufstellen und versuchen, auch kleine Potenziale zu nutzen. Wirtschaftsfreundliche Politik und Verwaltung: Die Stadt Witzenhausen sollte generell das Ziel einer wirtschaftsfreundlichen Politik und Verwaltung verfolgen. Probleme und Fragestellungen, die die Unternehmen vor Ort tangieren, sollten frühzeitig aufgegriffen und entsprechende Hilfestellungen geleistet werden. Ziel muss ein „kurzer Draht“ zwischen Wirtschaft und Verwaltung sein. Zur Kontaktund Beziehungspflege eignen sich auch gemeinsame Projekte von Wirtschaft und Stadt Witzenhausen, z. B. zu Themen wie Führungskräftemangel, Leerstandsmanagement etc. Produktion / Logistik: Witzenhausen ist ein typischer spätindustrialisierter Ort, in dem seit den 1970er Jahren im Zuge der Zonenrandförderung Industriebeschäftigung geschaffen wurde (Papierindustrie). Diese Entwicklung wirkt nach, auch wenn sich die Rahmenbedingungen (Wegfall der Grenzlage, veränderte Förderkulisse, Globalisierung) grundlegend verändert haben. Witzenhausen konnte den Konzentrations- und Deindustrialisierungsprozessen nicht entgehen, gleichzeitig aber von neuen gewerblichen Entwicklungen nicht profitieren. Der Boom der Logistikunternehmen, der rechts und links der Autobahnen in Nordhessen für Impulse gesorgt hat, ging an Witzenhausen vorbei. Ein neuer gro33 Zusammenfassung: wichtige lokale Handlungsfelder ßer Logistikstandort wird im benachbarten Neu-Eichenberg an der A 38 entwickelt. Trotz dieser Entwicklungen sollte Witzenhausen sich dafür engagieren, die industrielle Basis zu erhalten. Dienstleistungsstandort: Die Mehrzahl der Beschäftigten arbeitet in Witzenhausen (wie nahezu überall) im Dienstleistungssektor. In diesem Bereich ist das Witzenhausener Profil differenziert, jedoch nicht besonders profiliert, wie ein Vergleich mit der Kreisstadt Eschwege zeigt. Eine Ausnahme ist jedoch die Rolle als Universitätsstandort. Fachbereich „Ökologische Agrarwissenschaft“ / Bioregion Werratal: Witzenhausen ist auch Universitätsstandort. Die Stadt beherbergt an zwei Standorten (Campus Steinstr. und Campus Nordbahnhofstr.) den Fachbereich 11 Ökologische Agrarwissenschaft“ der Universität Kassel mit 700 Studierenden und 23 Fachgebieten. Zum Fachgebiet gehört auch ein Gewächshaus für tropische Nutzpflanzen, das auch öffentliche Führungen anbietet. Wirtschaftlich besonders interessant sind neben den ökonomischen Primäreffekten (Universität als Arbeitgeber, Universität als Nachfrager lokaler Leistungen) die spin-offs aus der Universität, die zu einer Vielzahl kleiner Unternehmen mit unterschiedlichsten Leistungsprofilen geführt haben. Unter dem Label „Bioregion“ Werratal wird der Fokus gezielt auf diese Entwicklungen gelegt. Tourismus / Freizeitwirtschaft: Angesichts der Erfordernis, wirtschaftspolitisch jedes Potenzial zu nutzen, sind Tourismus und Freizeitwirtschaft für Witzenhausen keine Randthemen. Dabei gilt der Satz: „Das Ganze ist mehr als die Summe der Teile“. Deswegen müssen Tourismus und Freizeitwirtschaft in regionalen Dimensionen gedacht werden. Dabei muss Witzenhausen seine örtlichen Potenziale in Wert setzen, um sie dann regional zu vernetzen und zu vermarkten. Diesen schon zu beobachtenden Ansatz, gilt es fortzusetzen und ggfs. zu optimieren. Witzenhausen ist bereits in regionale Tourismusstrukturen (Märchenstraße, Fachwerkstraße) eingebunden. Das ist richtig und sollte konsequent weiter verfolgt werden. Die Region mit ihrem Profil aus Flusstal, Mittelgebirge und Fachwerkstädten spricht Aktivurlauber an. Die Analyse zeigt, dass das Angebot in Witzenhausen und der Region schon dementsprechend orientiert ist. Die Herausforderung liegt so vor allem in der Pflege und Modernisierung des Angebotes sowie des Marketings. Gleichzeitig steht Witzenhausen aber auch in der Verantwortung – um im Bild zu bleiben – seine Teile für das Ganze (z.B. Innenstadt, Gastronomie, Sehenswürdigkeiten) aufzuwerten und attraktiv zu machen. Einzelhandel: Witzenhausen steht als Einzelhandelsstandort in einem starken regionalen Wettbewerb mit den benachbarten Mittelzentren Eschwege und Heiligenstadt sowie den Oberzentren Kassel und Göttingen. Das Bevölkerungspotenzial im mittelzentralen Bereich ist gering und schrumpft. Schon jetzt ist die Kaufkraftbindung mit einer Zentralitätskennziffer von 96,0 relativ gering. Mit den jüngeren Einkaufsstandorten Herkules-Center und dem Lebensmittelmarktclusternördlich der Werra hat Witzenhausen sich eine solide Grundversorgung gesichert. Gleichzeitig entsteht durch die Dreipoligkeit eine innerstädtische Konkurrenzsituation. Folglich steht die Witzenhäuser Altstadt unter einem mehrfachen Konkurrenzdruck, die durch innere Strukturen (Enge, begrenzte Flächen in alten Fachwerkhäusern) verstärkt wird. Räumlich scheint der Bereich Brückenstraße / Am Markt / Marktgasse das Sorgenkind zu sein. Insgesamt ist die Problemlage komplex, und einfache schnelle Lösungen lassen sich nicht versprechen. Man kann aber anstreben, in einem Zeitraum von drei bis fünf Jahren zumindest auf einen positiven Pfad einzuschwenken. Zentral könnte dabei ein von Stadt und Kaufmannschaft finanzierten City-Management sein, das sich gleichzeitig um Kommunikationsprozesse wie um inhaltliche Lösungen bemüht und dabei auch die Programme des Landes und Bundes für Witzenhausen nutzbar macht. 34 Witzenhausen steht nicht allein! Rolle und Chancen der Mittelstädte im IHK Kammerbezirk Nordhessen Die Stadt Witzenhausen ist ein Individuum mit eigener Geschichte, Gestalt und Struktur. Gleichzeitig steht Witzenhausen aber auch für einen bestimmten Typus von Stadt, den man im IHK-Bezirk Kassel häufig antrifft. Gemeint ist die Mittelstadt mit etwa 10.000 bis 20.000 Einwohnern, einem schmucken historischen Kern, einigen in ihren Märkten bestens etablierten Industrieunternehmen mit zum Teil globalen Verflechtungen, sowie Handels-, Verwaltungs-, Bildungs- und Gesundheitseinrichtungen, die die Mittelstadt auch zu einem zentralen Ort für ihren mittelzentralen Verflechtungsbereich machen. Gemeinsam sind den Städten aber auch manche Probleme, z.B. die Sorgen um die Zukunft des örtlichen Einzelhandels, die Zukunft der historischen Bausubstanz, die Sicherstellung einer zeitgemäßen Infrastruktur, absehbare Schrumpfungs- und Alterungsprozesse aufgrund des demografischen Wandels, und je nach wirtschaftlicher Situation die Sorgen um die Zukunft der lokalen Unternehmen oder die Mobilisierung von Facharbeitskräften. Die Mittelstädte mit ihren Ortsteilen prägen den IHK-Bezirk gemeinsam mit den großen Städten Kassel und Marburg. Eine Auflistung aller wichtigen Unternehmen in Mittelstädten würde eine erstaunliche Zahl an bekannten bzw. „hidden champions“ liefern und eine gemeinsame Betrachtung der Bildungsund Gesundheitseinrichtungen würde ebenfalls Masse und Qualität zeigen. Dieses Ergebnis ist gar nicht so überraschend. Einerseits reflektiert es die deutsche Industriegeschichte, bei der viele Industrieunternehmen aus kleinen Handwerks- und Handelsunternehmen im ländlichen Raum hervorgegangen sind. Auch Bildungs- und Gesundheitseinrichtungen haben zum Teil weit zurückreichende Wurzeln. Zum anderen spiegelt die aktuelle Struktur aber auch die Erfolge einer ausgleichs- und entwicklungsorientierten Regionalpolitik und Raumordnung in Deutschland. Sie hat die ländlich geprägten Räume und die Mittelstädte über Jahrzehnte gefördert und gestärkt und ihnen so erfolgreich durch viele Umbrüche geholfen. Derzeit durchläuft Deutschland wieder intensive wirtschaftliche und demografische Veränderungen mit starken räumlichen Auswirkungen, die die gewohnte Rolle der Mittelstädte in Frage stellen können. Die zugehörigen ökonomischen Schlüsselbegriffe lauten „Globalisierung“ und „Wissensgesellschaft“. Der Abbau von Industrie in Deutschland aufgrund von Standortverlagerungen seit Mitte der 1990er Jahre steht für diesen Prozess. Ökonomische Entwicklung ist aber kein räumliches Nullsummenspiel, sondern immer auch ein kreativer Prozess der Entwicklung und Vermarktung neuer Produkte und Dienstleistungen. Es stellt sich nun die Frage, ob die Chancen zum Heranwachsen des Neuen räumlich gleichmäßig verteilt sind, so dass davon auch die Mittelstädte partizipieren. Diese Frage ist noch nicht abschließend beantwortet, doch es gibt einige kritische Indizien. Es erscheint heute wenig wahrscheinlich, dass neue life science Unternehmen aus lokalen Apotheken, neue Fahrzeugbauunternehmen aus Fahrradwerkstätten oder Maschinenbauunternehmen aus ländlichen Schmieden hervorgehen. Innovation ist heute noch viel stärker als früher an bestehende große Unternehmen angedockt und auf Bildungs- und Forschungseinrichtungen und den Zugang zu internationalem Wissensaustausch angewiesen. Hier haben die großen Städte und Agglomerationen einen klaren Standortvorteil, weshalb in ihnen die dynamischen Räume gesehen werden. Insofern ist es raumordnerisch sinnvoll, Metropolregionen und Regiopolen – sozusagen ihre kleineren Schwestern – zu stärken und zu vernetzten. Die kleineren Städte müssen in dieser Situation zum einen auf die Diffussionsprozesse setzen, denn Produktion und Logistik müssen Kostenvorteile ausnutzen und die Fläche erschließen. Sie müssen aber auch ihre spezifischen Potenziale pflegen, wozu vor allem auch die ansässigen Unternehmen mit ihren Wissensbeständen zählen. Wenn Industrietraditionen abreißen und damit das kreative Wissen am Ort verloren geht, wie es in Ostdeutschland bei der Transformation nach der Wende vielfach zu beobachten war, dann ist das fatal. Nun darf man die Möglichkeiten kommunaler Politik nicht überschätzen, denn die Entwicklung von Unternehmen liegt in der Hand von Unternehmern oder Geschäftsführern. Aber die Kommunen können sich wandelnden Bedingungen der Raumentwicklung Rechnung tragen, in dem sie sich mit den veränderten Bedingungen auseinandersetzen, ihre Vernetzung untereinander und mit den starken Wirtschaftsräumen forcieren und sich ihrer spezifischen Potenziale bewusst sind. 35 Witzenhausen steht nicht allein! Witzenhausen steht in den aktuellen Veränderungen nicht allein, denn Witzenhausen ist eine von über zwanzig interessanten Mittelstädten im Kammerbezirk. Die anderen Mittelstädte sind weder „weit weg“ noch vorrangig „Konkurrenten um Ansiedlungen“. Sie können vielmehr Partner sein, wenn es darum geht die Rolle und Entwicklungsperspektive von Mittelstädten im Prozess der aktuellen räumlichen Restrukturierung mit ihrer Fokussierung auf Metropolregionen zu definieren und zu gestalten. Dabei geht es nicht um einen einfachen Lobbyismus nach dem Motto „jetzt ist auch der arme, benachteiligte ländliche Raum wieder an der Reihe“. In Deutschland gibt es andere Chancen. Zum einen haben die Mittelstädte historisch bedingt ein enormes Produktions- und Innovationspotenzial außerhalb der großen Ballungsräume. Zum anderen ist Deutschland im internationalen Vergleich infrastrukturell sehr gleichmäßig ausgestattet und verkehrsmäßig bestens vernetzt. Es ist also vor allem eine mentale Herausforderung, die Mittelstädte in Deutschland nicht als Peripherie des 21. Jahrhunderts sondern als integrierte Teile eines urbanen Netzwerkes zu begreifen. Und natürlich müssen die entsprechenden Verkehrsverbindungen und Kommunikationsverbindungen ausgebaut, gestärkt und im Falle der Bahnstrecken auch „bespielt“ werden. Witzenhausen steht nicht allein. Im Verbund mit den anderen Mittelstädten sollte es den Austausch suchen, um so Anschluss an die Entwicklungsdiskussion in den Metropolregionen und den Regiopolen zu finden. Für eine einzelne Mittelstadt ist das angesichts der begrenzten Personalkapazitäten und des geringen eigenen Gewichts eine kaum lösbare Aufgabe. Im Verbund mit den anderen Mittelstädten und moderiert und unterstützt durch die IHK Kassel sind die Perspektiven für eine Entwicklungs- und Verantwortungsgemeinschaft mit den großen Städten Kassel und Marburg und auch darüber hinaus gegeben. Mit der vorliegenden Broschüre möchte die IHK einen Impuls für eine solch nach vorn gerichtete kommunale Entwicklungspolitik geben. 36 37