Wege zum Barock Tradition und Avantgarde um 1600
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Wege zum Barock Tradition und Avantgarde um 1600
Wege zum Barock Tradition und Avantgarde um 1600 cantando de Rore, Luzzaschi, Monteverdi, Janequin, Lejeune, Dowland und ihre Zeitgenossen Profeti della Quinta Thélème Il Zabaione musicale David Munderloh, Julian Behr Festtage Alte Musik Basel Basel, 23. bis 31. August 2013 Wege zum Barock Tradition und Avantgarde um 1600 Stationen des italienischen Madrigals – Von Cipriano bis Gesulado Profeti della Quinta Cipriano de Rore (1515–1565) 1. Anchor che col partire (Primo libro di madrigali a 4, 1550) 2. Schiet’arbuscel +2da parte (Secondo libro di madrigali a 4, 1557) Claudio Monteverdi (1567–1643) 3. Rimanti in pace +2da parte (Terzo libro di madrigali a 5, 1592) Carlo Gesualdo (1566–1613) (zum 400. Todesjahr) 4. Occhi del mio cor vita (Quinto libro di madrigali, 1611) Die Avantgarde des 16. Jahrhunderts in Frankreich – Janequin und Le Jeune Thélème Clément Janequin (ca.1485–1558) 5. L’alouette «Or sus, or sus» (Chansons a troys, 1520) 6. Le rossignol «En escoutant le chant mélodieux» (Les chansons […] par Me C. Jennequin, 1537) Claude Le Jeune (ca.1530–1600) 7. Povre cœur entourné de tant de passions (Livre de Melanges de C. Le Jeune, 1585) 8. Tout ce qui est de plus beau dans les cieux (2d livre de Meslanges de Cl. Le Jeune, 1612) 2 3'07'' 3'38'' 6'24'' 2'40'' 2'35'' 2'07'' 4'53'' 7'20'' John Dowland – Englischer Janus zwischen Renaissance und Barock David Munderloh, Tenor Julian Behr, Renaissance-Laute John Dowland (1563–1626) (zum 450. Geburtsjahr) 9. Awake, sweet love, thou art returned (First Booke of Songs or Ayres, 1597) 10. Can she excuse my wrongs (First Booke of Songs or Ayres, 1597) 11. Lachrimae Pavan (Ms. Dd5.78 der Cambridge University Library) 12 Sorrow, stay (Second Booke of Songs or Ayres, 1600) 13. A piece without title (The Euing Lute Book, R.d.43 der Glasgow University Library) 14.In darkness let me dwell (A Musical Banquet, 1610) Concerto delle dame – Solo-Madrigale am Hof von Ferrara Il Zabaione musicale Girolamo Frescobaldi (1583–1643) 15.Era l’anima mia (L’aurata Cintia armonica, 1622) Luzzasco Luzzaschi (1545–1607) 16. Aura soave (Madrigali per cantare et sonare a uno, e doi, e tre Soprani, 1601) Luzzasco Luzzaschi 17.Cor mio deh non languire Claudio Monteverdi (1567–1643) 18.Lumi miei cari lumi (Terzo libro de madrigali, 1592) Luzzasco Luzzaschi 19.T’amo, mia vita 3 2'04'' 2'48'' 4'20'' 3'21'' 2'11'' 4'12'' 2'26'' 3'09'' 2'57'' 2'40'' 3'00'' 66'08'' Au sf ühre nde I mpressu m Profeti della Quinta Doron Schleifer, David Feldman, Canto Dino Lüthy, Dan Dunkelblum, Tenor Elam Rotem, Bass Aufnahme: Karel Valter Aufgenommen in der Kirche St. Pantaleon, Solothurn, Januar 2013 Gestaltung: Buser Kommunikation GmbH, Basel Redaktion: Peter Reidemeister Fotos: Susanna Drescher, www.susannadrescher.ch Coverbild: Pieter Lastman (1583–1633), David im Tempel, Herzog Anton Ulrich-Museum Braunschweig, Kunstmuseum des Landes Niedersachsen Thélème Annie Dufresne, Superius Breno Quinderé, Haute contre Daniel Issa, Tenor Ivo Haun ,Tenor Simon McHale,Taille Jean-Christophe Groffe, Basse und Leitung Ziv Braha, Laute Dem Radio SRF danken wir vielmals für einen Produktionsbeitrag. David Munderloh, Tenor Julian Behr, Renaissance-Laute Herzlicher Dank für die Ermöglichung dieser CD gilt dem Hathor-Fonds, Basel Il Zabaione musicale Alice Borciani, Alicia Amo, Sopran Lisa Weiss, Mezzosopran Claire Piganiol, Harfe Ryosuke Sakamoto, Viola da gamba und Theorbe Ori Harmelin, Theorbe und Arciliuto Elam Rotem, Cembalo Diese CD erscheint aus Anlass der «Festtage Alte Musik Basel 2013» , Veranstalter: Verein zur Förderung Basler Absolventen auf dem Gebiet der Alten Musik, www.festtage-basel.ch cantando Musikproduktionen Peter-Christian Miest www.cantando.ch 4 W ege zu m B ar oc k Vier Ensembles mit ihren jeweiligen Repertoire-Schwerpunkten – Ein Programm mit seinen verschiedenen Facetten: Die Zeit vor und um 1600 ist so ungeheuer reich an musikalischen Neuerungen und Entwicklungen, dass jeder Programmauswahl der Makel des Unvollständigen, ja Zufälligen anhaften muss. Diese CD versucht, aus verschiedenen Per spektiven Licht auf die Vielfalt der Musik «zwischen Renaissance und Barock» zu werfen, ein Repertoire, das den Boden bereitet für einen der folgenreichsten Epochenwechsel, den die Musikgeschichte erlebt hat. zwischen Traditionellem und Aktuellem, es gibt ständig «Neue Musik». Andererseits ist aber doch die Zeit vor und um 1600 von besonders vielen avantgardistischen Aspekten geprägt: Nach Jahrhunderten der Vorherrschaft französischer Musik im Mittelalter und niederländischflämischer im 15. Jahrhundert spielen sich nun die Entwicklungen in erster Linie in Italien ab; von hier aus wird die Barockmusik nach ganz Europa ausstrahlen. Aber auch Frankreich und England leisten ihre Beiträge. Der «Konzertierende Stil» setzt sich durch, mit ihm der Generalbass, die Monodie, überhaupt das solistische Musizieren, und damit verbunden die neuen Gattungen wie Oper, Oratorium, Kantate. Etikettierungen wie «Mittelalter», «Renaissance» oder «Barock» sind einerseits immer problematisch beim Umgang mit individueller, lebendiger Musik. Schöpferische Künstler haben zu allen Zeiten ihre Vorgänger studiert, ihre Zeitgenossen beobachtet und in der Auseinandersetzung mit der Tradition Neues geschaffen, mal weiterentwickelnd, mal revolutionär, aber stets auf der Suche nach Eigenem, Unverwechselbarem, bewegt von der Hoffnung, sich damit einen Platz in der Geschichte zu sichern. Deshalb gibt es in jeder Generation, und nicht nur in Zeiten von Epochen-Zäsuren, die Spannung Aber nicht erst um 1600 beginnt das alles, wie die Stilfibeln verkünden, sondern schon zwanzig bis dreissig Jahre oder noch früher beschäftigen sich die Musiker mit Techniken und Methoden, die über das Bisherige hinausgehen: Der Weg führt von der «Prima pratica» zur «Seconda pratica» (wie Monteverdi sich ausdrückte), von der mehr im Zahlhaften, Strukturellen wurzelnden Denkweise zum verstärkten Interesse am Sprachlichen, Expressiven, d.h. von der «Alten Musik» der Renaissance zur «Neuen» des Barock. «Numerus» und «affectus» sind in Zukunft die beiden gleichwertigen 5 Komponenten der Musik. Die von der Musikwissenschaft stets strapazierte Formulierung von der «neuen Text-Musik-Beziehung» trifft die Situation der schöpferischen Musiker nur halb. Als ob nicht jeder Komponist, zu jeder Zeit, in jedem Gesangsstück diese Verbindung als Kompositionsproblem vor sich gehabt und seine individuellen Lösungen gesucht hätte! Im 16. Jahrhundert aber erhält das Streben nach musikalischem Ausdruck eine neue Dimension, wobei die Inspiration von der zentralen Bedeutung der Sprache ausgeht, diesem genuin menschlichen Kommunikationsmittel, das von den Humanisten mit Begeisterung «entdeckt» und in den Mittelpunkt ihres Interesses gerückt worden war. Durch die Orientierung an der Sprache in Poesie und Rhetorik wird die Musik «ausdrückend», «malend», eine «Klangrede», wie man später im Barock sagen wird. Auch ohne Text, in der reinen Instrumentalmusik, wird sie dann diese Ausdrucksfähigkeit behalten. verbunden: von Cipriano de Rore, den Cesare Monteverdi (Claudios Bruder) expressis verbis als einen Vorläufer der «Seconda pratica» nennt, bis zu Gesualdo, der die Expressivität durch Verwendung von Chromatik, «Querständen» und bizarren harmonischen Führungen und Überraschungen ins Extrem steigert, was einige Forscher im 19. Jahrhundert dazu bewogen hat, Gesualdo als aristokratischen Dilettanten abzutun, weil er sich nicht an den hergebrachten Regelkodex hielt. Zwischen diesen beiden steht Claudio Monteverdi, der grosse Dramatiker unter den Komponisten dieser Epoche. Natürlich gehören auch die Solomadrigale des 4. Programmteils dieser CD für 1, 2 und 3 Soprane aus Luzzaschis Sammlung von 1601 (mit ausgeschriebenem Generalbass) in diesen Zusammenhang. In Frankreich beschäftigt man sich im 16. Jahrhundert ebenfalls mit der Frage nach dem Verhältnis von Sprache und Musik. 1570 hatte Jean Antoine de Baïf die berühmte «Académie de Poésie et de Musique» gegründet, und eines ihrer Mitglieder, Claude Le Jeune, proklamierte ein «Retour à la Nature», nämlich zur Sprache, mittels einer Methode, die damals «Musique mesurée» genannt wurde und die darin bestand, die Längen und Das wichtigste diesbezügliche Experimentierfeld der Komponistengenerationen des 16. Jahrhunderts war das Madrigal. Nach 1600 wird diese Suche nach Emotionalität ihre Fortsetzung in der Oper finden. Im 1. Programmteil dieser CD werden die Wesenszüge des Madrigals mit den Stationen seiner Entwicklung 6 Kürzen der gesprochenen Sprache so einfach und deutlich wie nur möglich, d.h. ohne zu starkes polyphones Eigenleben der Stimmen, in der rhythmischen Gestalt der Musik zum Ausdruck zu bringen, eine Methode, von der man dachte, sie ginge auf die Antike zurück. Tout ce qui est de plus beau dans les cieux ist ein Beispiel für diese «Alte Musik-Richtung» vor 450 Jahren. England ist seit den Tagen Heinrichs VIII. bekannt für seine offene Haltung gegenüber italienischer Kultur. 1588 erschien in London die berühmte Musica Transalpina, eine gedruckte Sammlung italienischer Madrigale mit unterlegtem englischem Text. Alfonso Ferrabosco der Ältere sowie sein in England geborener Sohn Ferrabosco der Jüngere sind ebenso Symbole für eine neue Italianità in England wie der Name Giovanni Coperario, den seine Freunde dem eigentlichen Englänger John Cooper wie einen Orden verliehen. Schon 50 Jahre früher, 1520, war Clément Janequins frühestes bekanntes Werk im Druck erschienen, Le chant de l’alouette. Dieses Stück verbindet den Renaissance-Komponisten mit dem Mittelalter, denn der erste Teil der Chanson ist in Tat und Wahrheit von einem Virelai des 14. Jahrhunderts übernommen. In ähnlicher Weise führt einige Jahre später Claude Le Jeune zwei Chansons von Janequin (L’alouette und Le rossignol) weiter und fügt ihnen eine Stimme, ja sogar ganze neue Abschnitte hinzu. Le Jeune nimmt dabei – wie einige seiner französischen Zeitgenossen, z.B. Guillaume Costeley oder Anthoine de Bertrand – die harmonischen Forschungen auf, die in Italien, besonders bei Nicola Vicentino, aktuell waren, und verwendet mitunter seltene chromatische Extravaganzen, etwa in Povre cœur. John Dowland begleitete in seiner Jugendzeit seinen Arbeitgeber Sir Henry Cobham nach Paris und machte sich dort mit französischer Musik und Kultur bekannt. Aus seinem First Booke of Songs or Ayres 1597 ist diese Nähe deutlich heraushörbar, wie etwa Awake, sweet love zeigt. Aber auch italienische Anregungen hat er aufgenommen. Seine Begeisterung für den Meister des italienischen Madrigals, Luca Marenzio, führte ihn 1594 auf eine Reise nach Rom, um dem grossen Italiener in dessen Heimat zu begegnen. Auch Caccinis «Le Nuove Musiche» und den neuen Stil der italienischen Monodie mit seiner prononcierten Ausdeutung des Textes durch die Musik hat er gekannt. Monodie-ähnliche Melismen und Chromatizis- 7 8 Pr ofeti della Qu in ta 9 men in Sorrow, stay lassen auf Einfluss aus dem Süden schliessen. Neben der Adaptation von diesen modernen Strömungen sind doch auch traditionelle Elemente in Melodik und Kontrapunktik in seinen Kompositionen auszumachen. Anthony Rooley bezeichnet diese Verbindung der Stile als «radikal und konservativ» und nennt Dowland folglich einen «Janus». tears, und jeder Kenner beider Fassungen würde denken, dass dies die originale Version und das Solo-Stück die Reduktion, also eine «Bearbeitung» ist. Die Quellenlage weist aber in die Gegenrichtung: Das Lautenstück – mit seinen beiden fallenden Tetrachorden, die durch eine kleine Sext, das Intervall der Trauer, miteinander verbunden sind, wobei das zweite Tetrachord mit der verminderten Quarte schmerzlich offen bleibt – war emotionell so klar definiert und hatte eine solche Intensität des Ausdrucks in sich, dass es, textlos wie es war, ohne Probleme innerhalb des herrschenden Affekts textiert werden konnte. Auch bei Dowland ist das Ringen um die Durchdringung der sprachlichen und der musikalischen Ebenen zentral. Die ursprünglich von der Vokalmusik ausgehende Suche nach Expressivität sollte auch dem wichtigsten Solo-Instrument dieser Zeit, der Laute, deren Tonproduktion ziemlich weit entfernt vom «cantabile» der menschlichen Stimme ist, die Möglichkeit verschaffen, ohne Text, nur mit den immanenten kompositorischen Mitteln, eine musikalische Bedeutung, eine Atmosphäre herzustellen. Ein besonderes Beispiel dafür ist die berühmte Lachrimae Pavane. Von ihr gibt es unzählige Fassungen, von denen zwei als «Ur-Lachrimae» gelten. Dieses Stück gibt es in Dowlands Œuvre in zwei anderen Versionen, eine für Singstimme und Laute (als «Lautenlied»), die andere für Viola da gamba-Consort. Die sich abwärts neigende Melodiefloskel des Beginns ist im Lautenlied textiert mit den Worten Flow, my Über das Concerto delle Dame gibt es eine große Menge an Zeugnissen aus dem 16. Jahrhundert. Die Besonderheit dieses Ensembles lag darin, dass es ausschließlich aus Frauen bestand, begleitet von einem einfachen, oft mit den Singstimmen colla parte gehenden Generalbass, der zu jener Zeit auch von eben diesen singenden Damen ausgeführt wurde. Das Concerto delle Dame war eine Erfindung am Hof der d’Este-Familie in Ferrara (Herzog Alfonso II. d’Este liebte es ganz besonders), wurde aber bald in ganz Italien berühmt und an anderen ehrgeizigen italienischen Höfen nachgeahmt. Das ist schon deshalb bemer- 10 kenswert, weil Frauen in der professionellen Musikausübung zu jener Zeit beinahe keine Rolle spielten. Umso erstaunlicher ist es, welche Anforderungen in technischer und virtuoser Hinsicht Luzzaschi mit seinen Kompositionen an die höfischen Sängerinnen stellte. chen die Gattungen und Formen oft in Tradition verfestigt sind, ist in den Phasen dazwischen bei den Komponisten eine weitaus grössere Offenheit für Experiment und Wagnis anzutreffen. Weniger Regeln gibt es da zu befolgen, keine fixierten Hörerwartungen des Publikums zu befriedigen, man sucht mit aller Phantasie und Kreativität nach neuen Ausdrucksmöglichkeiten, nachdem das Bisherige abgenutzt und fragwürdig geworden ist. Lumi miei von C. Monteverdi ist ursprünglich ein Madrigal zu fünf Stimmen – drei Sopranund zwei männlichen Stimmen (Tenor und Bass): Bei den Sängerinnen des Hofes von Ferrara war es eine übliche Praxis, für die Aufführung von Stücken, die nicht explizit für sie komponiert waren, zwei männliche Sänger hinzuzuziehen. In unserer Aufführung werden die zwei fehlenden Stimmen instrumental ausgeführt und von der Generalbassgruppe übernommen. Das Duett von G. Frescobaldi schließlich ist eines der qualitätvollsten und gleichzeitig eines der unbekanntesten Stücke aus der Feder des römischen Komponisten, der in seiner Jugend bei Luzzasco Luzzaschi gelernt hatte, welcher seinerseits bei Cipriano de Rore in die Schule gegangen war. So ist dieses Programm eine doppelte Hommage: einerseits an die vielen musikalischen Köpfe im 16. Jahrhundert, die zur Entwicklung in Richtung auf die große Epochengrenze um 1600 Entscheidendes beigetragen haben – ebenso wie ein Fluss nicht «einfach da» ist, sondern zu Beginn seines Laufes von vielen kleinen Bächen und Zuflüssen gespeist wird –, andererseits ist diese CD ein Dokument von vier jungen Ensembles unterschiedlichster nationaler Prägung, das heißt auch: verschiedenster Muttersprachen, die sich nach ihrer Ausbildung an der Schola Cantorum Basiliensis in Basel zusammengefunden haben, um gerade diese Musik zu studieren und zum Leben zu erwecken. Im Mittelpunkt stehen, aus guten Gründen, die Sängerinnen und Sänger, die, sei es solistisch, sei es im Ensemble, der emotionalen Seite dieser Musik nachspüren und Musik aus Übergangszeiten zwischen zwei Stilen gehört zum Frischesten und Vielfältigsten, was in der Musikgeschichte zu finden ist. Während in den stilistisch einheitlichen Epo- 11 den neuen kompositorischen Strömungen zwischen Renaissance und Barock zum «Ausdruck» Peter Reidemeister verhelfen. Das Gemälde «David im Tempel» (79x117cm, Öl auf Eichenholz) ist signiert und mit 1618 datiert. König David sitzt, sein Symbolinstrument, die Harfe, spielend, vor dem Altar, auf dem ein Brandopfer dargeboten wird, und ist umgeben von Priestern, Sängern und Instru mentalisten. Im Hintergrund ist vermutlich die Orgel der Oude Kerk von Amsterdam zu sehen. Die Instrumente dürften wirklichkeitsgetreu wiedergegeben sein: neben dem solistisch besetzten Vokalensemble (kein «Chor») mit dem taktierenden Leiter, der mit Sicherheit auch der Musiklehrer der Kapellknaben ist, und einem die Taktierbewegung mitvollziehenden jüngeren Sänger, sichtbar die unterhalb des Schlüsselbeins gehaltene Violine, der «untergriffig» gespielte Violone, die bildwirksam umgedrehte Laute, Pommer und Posaune, das Tamburin gerade im Moment des Schlages – Spiegelbild eines Kirchenmusik-Ensembles zur Zeit des Frühbarock. Dem Herzog Anton Ulrich-Museum in Braunschweig danken wir herzlich für die Reproduktionsrechte dieses wunderschönen Bildes. Das Titelbild Pieter Lastman, David im Tempel (Braunschweig, Herzog Anton Ulrich-Museum) Wie so viele Musiker seiner Zeit, zog es auch den Maler Pieter Lastman (1583–1633) nach Abschluss seiner Ausbildung in den Süden: Um 1602 ging er nach Italien und studierte die neuesten Entwicklungen in der Kunst «vor Ort». Vermutlich war er in Venedig, und sicher besuchte er Rom, wo er in Kontakt trat mit dem ebenfalls aus dem Norden stammenden Maler Adam Elsheimer, der ab 1600 bis zu seinem Tod 1610 in der «Ewigen Stadt» lebte. Auch ein Einfluss durch die «Chiar‘-oscuro»Malerei von Caravaggio (1571–1610) ist naheliegend. 1607 kehrte Lastman nach Amsterdam zurück und begann eine umfangreiche Aktivität als Historienmaler und Darsteller biblischer Szenen und Begebenheiten aus der antiken Mythologie. Unter seinen Schülern befand sich 1625 für ca. ein halbes Jahr auch Rembrandt. 12 Paths to the Bar o qu e continually “new music.” On the other hand, the time before and around 1600 is informed by a particularly large number of avant-garde aspects. After centuries of the predominance of French music in the Middle Ages, and Netherlandish-Flemish music in the fifteenth century, the developments now predominantly took place in Italy; it was from here that Baroque music was to spread throughout Europe. France and England, too, made their contributions. The “concertante style” prevailed, and with it the basso continuo, monody, and the soloistic performance of music altogether, as well as the associated new genres of opera, oratorio, and cantata. FOUR ensembles with their respective key repertoires – ONE program with its various facets: the time before and around 1600 is so immensely rich in musical innovation and development that any program selection has to be faulted as incomplete, or indeed random. This CD attempts to shed light from different perspectives on the diversity of music “between the Renaissance and the Baroque,” a repertoire that prepared the ground for one of the most momentous epochal transitions that the history of music has ever experienced. On the one hand, labels such as “Middle Ages,” “Renaissance,” and “Baroque” are always problematic when dealing with individual, living music. Creative artists have at all times studied their predecessors, observed their contemporaries, and, in coming to terms with tradition, created new things, sometimes refining, sometimes in a revolutionary way, but always searching for something of their own, for the distinctive, driven by the hope of securing in this manner a place in history. Thus there is tension between the traditional and the modern in every generation, not only in times of epochal breaks, and there is However, all this did not start only around 1600, as the textbooks proclaim. Already twenty to thirty years before this, or even earlier, musicians occupied themselves with techniques and methods that went beyond what had existed previously: the path led from the “prima pratica” to the “seconda pratica” (as Monteverdi put it), from a way of thinking that was more rooted in numbers, in structures, to increased interest in language, in expression, that is to say, from the “old music” of the Renaissance to the “new music” of the Baroque. In the future, “numerus” and “affectus” were 13 to be the two equal components of music. The formula, continually flogged to death by musicology, of the “new text-music relationship” applies only partly to the situation of the creative musician. As if every composer, at every time, in every vocal piece, had not faced this combination as a compositional problem and sought his own individual solution! In the sixteenth century, however, the quest for musical expression received a new dimension in which inspiration emanates from the central importance of the language, from this genuine human means of communication that was “discovered” with enthusiasm by the humanists and thrust into the focus of their attention. Through the orientation on the language in poetry and rhetoric, the music becomes “expressive,” “depictive,” a “speech in sound,” as one would later put it in the Baroque era. It was then to retain this expressive ability in pure instrumental music, even without text. of its development: from Cipriano de Rore, whom Cesare Monteverdi (Claudio’s brother) explicitly names as a precursor of the “second pratica,” up to Gesualdo, who intensified the expressiveness to the extremes through the use of chromaticism, cross relations, and bizarre harmonic progressions and surprises, which led some nineteenth-century researchers to dismiss him as an aristocratic dilettante because he did not adhere to the conventional set of rules. Positioned between these two is Claudio Monteverdi, the great dramatist among the composers of this epoch. Needless to say, the solo madrigals in the fourth part of the program of this CD for one, two, and three sopranos from Luzzaschi’s 1601 collection (with written-out basso continuo) also belong in this context. In France, too, one occupied oneself in the sixteenth century with the question of the relationship of language and music. In 1570 Jean Antoine de Baïf founded the famous Académie de Poésie et de Musique, and one of its members, Claude Le Jeune, proclaimed a “retour à la nature,” namely to language by means of a method that at that time was called “musique mesurée.” Musique mesurée required that the long and short syllables of the spoken language be expressed as simply and clearly as In this regard, the most important field of experimentation for the generations of composers of the sixteenth century was the madrigal. After 1600 this search for emotionality found its continuation in the opera. In the first part of the program of this CD, the characteristics of the madrigal are associated with the stages 14 possible – that is to say, without a polyphonic independence of the voices that was too strong – in the rhythmic form of the music, a method that was thought to trace back to antiquity. Tout ce qui est de plus deau dans les cieux is an example for this “early music direction” of 450 years ago. collection of Italian madrigals provided with English texts, appeared in London in 1588. Alfonso Ferrabosco the Elder and his English-born son Alfonso Ferrabosco the Younger are just as much symbols for a new italianità in England as is the name Giovanni Coperario, which was conferred like a decoration upon the Englishman John Cooper by his friends. Already fifty years earlier, in 1520, Clément Janequin’s earliest known work appeared in print: Le chant de l’alouette. This piece links the Renaissance composer with the Middle Ages, for the first part of the chanson is in fact taken from a fourteenth-century virelai. Several years later, Claude Le Jeune appropriated two chansons by Janequin (L’alouette and Le rossignol) in a similar manner, adding a voice and, indeed, even new sections. In doing so, Le Jeune – like some of his French contemporaries, such as, Guillaume Costeley and Anthoine de Bertrand – took up the harmonic researches that were then current in Italy, especially those of Nicola Vincento, and occasionally employed unusual chromatic extravagances, as, for example, in Povre cœur. In his younger years, John Dowland accompanied his employer, Sir Henry Cobham, to Paris and became acquainted there with French music and culture. In his First Book of Songs or Ayres from 1597, this proximity is clearly audible, as shown, for example, by Awake, sweet Love. But he also assimilated Italian influences. His enthusiasm for the master of the Italian madrigal, Luca Marenzio, took him on a journey to Rome in 1594 to meet the great Italian composer in his homeland. He also knew Caccini’s Le Nuove Musiche and the new style of Italian monody with its pronounced interpretation of the text by means of the music. Monody-like melismas and chromaticism in Sorrow, stay point to influence from the south. In addition to the adaption of these modern currents, traditional elements in terms of melody and counterpoint are also be discerned in his compositions. Since the days of Henry VIII, England has been known for its openness toward Italian culture. The famous Musica Transalpina, a printed 15 16 THél ème 17 Anthony Rooley described this combination of styles as “radical and conservative,” and accordingly called Dowland a “Janus.” of sorrow, whereby the second tetrachord with the diminished fourth remains dolorously open – was so clearly defined emotionally and had such an intensity of expression on its own that, textless as it was, it would not have been difficult to underlay it with text from within the prevailing affect. In Dowland, too, the struggle for the penetration of the linguistic and musical layers is pivo tal. The search for expressiveness, originally ensuing from vocal music, was also to provide the most important solo instrument of this time, the lute, whose tone production is rather distant from the “cantabile” of the human voice, with the possibility to produce a musical meaning, an atmosphere without text, merely with the immanent compositional means. A prime example of this would be the famous Lachrimae Pavane, of which there are countless versions and two that are considered the “Ur-Lachrimae.” There are two other versions of this piece in Dowland’s œuvre: one for voice and lute (as “lute song”), the other for viol consort. The downward sloping motif of the beginning is underlaid in the lute-song version with the words “flow, my tears,” and anybody who knows both versions would think that this is the original, and the solo piece the reduction, i.e., an “arrangement.” The source situation, however, points in the other direction: the lute piece – with its two descending tetrachords linked together by a minor sixth, the interval There is an abundance of evidence from the sixteenth century concerning the “Concerto delle Dame.” The special feature of this ensemble was that it was made up entirely of women accompanied by a simple, often “colla parte” basso continuo that at this time was also performed by precisely these same lady singers. The “Concerto delle Dame” was invented at the court of the d’Este family in Ferrara (Duke Alfonso II d’Este was especially taken by it), but soon famous throughout Italy and imitated at other ambitious Italian courts. It is particularly remarkable because women played almost no role in the professional music life of the time. All the more astonishing are the technical and virtuoso demands that Luzzasco Luzzaschi made on the courtly singers in his compositions. Lumi miei by Claudio Monteverdi was originally a madrigal for five voices – three soprano 18 and two male voices (tenor and bass): for the women singers of the Ferrara court, it was common practice, for the performance of pieces that were not explicitly composed for them, to bring in two male singers. In our performance, the two missing voices are rendered instrumentally, being taken over by the basso continuo group. The duet by Girolamo Frescobaldi, finally, is one of the highest quality and, simultaneously, one of the least known pieces from the quill of the Roman composer who as a young man had studied with Luzzaschi, who in turn had studied with Cipriano de Rore. This program is thus a double homage: on the one hand to the many musical minds of the sixteenth century, who contributed decisively to the development in the direction of the great epochal boundary around 1600 – just as a river is not “simply there,” but rather is fed at the beginning of its course by many small streams and tributaries – on the other hand, this CD is a document of four young ensembles of diverse national character, which also means of diverse mother tongues, that came together after training at the Schola Cantorum Basiliensis in Basel in order to study exactly this music, and to bring it to life again. It is with good reason that the focus is on the singers, who, be it as soloists, be it in ensemble, explore the emotional side of this music and help the new compositional currents between the Renaissance and the Baroque find “expression.” Peter Reidemeister (Translation: Howard Weiner) Music from transitional periods between two styles belongs to the freshest and most widely varied that is to be found in musical history. While during the stylistically homogeneous epochs the genres and forms are often solidified in tradition, during the phases between them a far greater openness for experimentation and venture is encountered among the composers. There are fewer rules to be followed, no fixed expectations on the part of the audience that have to be satisfied, one seeks new means of expression with all of one’s imagination and creativeness after that which existed previously has become hackneyed and questionable. 19 Co ver P icture are likely to be realistically depicted; besides the vocal ensemble – made up of soloists (not a “choir”) with the time being beat by the director, who is undoubtedly also the choirboys’ music teacher, and a young singer conducting along – are visible a violin held below the collarbone, a violone played with an underhand grip, a lute (reversed for pictorial effectiveness), a bass shawm, a trombone, and a tambourine just as it is being struck: a reflection of a church music ensemble at the time of the early Baroque. Pieter Lastman, David in the Temple (Brunswick, Herzog Anton Ulrich Museum). Like many musicians of his time, after his training the artist Pieter Lastman (1583–1633) felt the urge to go south: in 1602 he went to Italy and studied the latest developments in art “in the field.” He was presumably in Venice, and certainly visited Rome, where he came into contact with the painter Adam Elsheimer, who also came from the north and lived from 1600 until his death in 1610 in the “eternal city.” Also obvious is the influence of the “chiar oscuro” painting of Caravaggio (1571–1610). In 1607 Lastman returned to Amsterdam and began extensive activities as historical painter and portrayer of biblical scenes and episodes from ancient mythology. Among his pupils, in 1625 for about a half a year, was Rembrandt. We would like to thank the Herzog Anton Ulrich Museum, Brunswick, for permission to reproduce this beautiful picture. The painting David in the Temple (79 x 117 cm, oils on oak wood) is signed and dated 1618. King David is seated, playing his symbol instrument, the harp, before the altar on which a burnt offering is being made, and surrounded by priests, singers, and instrumentalists. In the background is presumably to be seen the organ of Amsterdam’s Oude Kerk. The instruments 20 DI E AU S FÜH R E ND E N T HE PE RFOR ME R S Lamentationes (1600) (Live- Übertragung auf DRS2 im April 2011) und Salomone Rossis Hashirim asher li’Shlomo (1623), der ersten mehrstimmigen Veröffentlichung in Hebräisch, die sie für Pan Classics unter großem Beifall der Kritik auf CD eingespielt haben. Das Ensemble war bei verschiedenen Festivals (Oude Muzieks Utrecht, Festival von Vlaanderen, Biennale Alter Musik Berlin u.a) und Spielorten in Europa und Israel zu Gast. Im Sommer 2011 gewann es den Wettbewerb «York young artists early music competition» und verbrachte eine Woche in Mantua, wo es für die Aufnahme eines Dokumentarfilms über Salomone Rossi engagiert war (HEBREO: The Search for Salomone Rossi, 2012). www.quintaprofeti.com Profeti della Quinta Das Ensemble Profeti della Quinta hat es sich zur Aufgabe gemacht, für ein heutiges Publikum lebendige und ausdrucksstarke Aufführungen von Musik des 16. und 17. Jahrhunderts zu gestalten. Dieses Ziel verfolgen die Sänger auf der Grundlage der historischen Aufführungspraxis, insbesondere in Fragen der musikalischen Stimmungen, der Verwendung von Faksimile-Ausgaben, überlieferter Improvisations- und Diminutionsweisen sowie Verzierungen. Im Kern besteht das a cappella-Ensemble aus fünf männlichen Sängern, die aber – wenn erforderlich – auch mit Instrumentalisten und weiteren Sängern zusammenarbeiten. Das Ensemble wurde in der Region Galiläa (Israel) durch den Basssänger und Cembalisten Elam Rotem gegründet. Zurzeit ist es in der Schweiz ansässig, wo seine Mitglieder weiterführende Studien an der Basler Schola Cantorum absolvieren. Sie alle leben und wirken weiterhin in Basel. Die Profeti della Quinta widmen sich in Forschung und Aufführung einem bisher vernachlässigten Repertoire, wie Emilio de Cavalieris The ensemble Profeti della Quinta has set itself the task of fashioning lively and expressive performances of sixteenth- and seventeenth-century music for today’s audience. The performers pursue this goal on the basis of historical performance practice, particularly in questions of musical tunings, of the use of facsimile editions, and of surviving sources concerning improvisation, diminution, and ornamentation. The core of the a cappella ensemble consists 21 of five male singers, who however also collaborate – when necessary – with instrumentalists and other singers. The ensemble was founded in the Galilee region of Israel by the bass and harpsichordist Elam Rotem. It is currently based in Switzer land, where its members are completing graduate studies at Basel’s Schola Cantorum Basiliensis. All the members live and are active in Basel. Thélème Die Abtei Thélème ist eine von François Rabelais am Ende seines Romans Gargantua beschriebene Utopie. Thélème ist ein hexagonales Renaissanceschloss mit fünf Etagen, aus wertvollen Materialien gebaut. Thélème hat keine Umfassungsmauer, keine Uhren. Weshalb sollte man sich um die Zeit scheren, wenn man nicht von der Zeit abhängig ist, wenn man selbst entscheidet, wann man aufstehen, essen, arbeiten oder sich der Freude der Konversation widmen möchte? Der Name selbst ist Programm: «thelo» kommt aus dem Griechischen und bedeutet «ich will», so kann man Thélème mit «freier Wille» übersetzen. The Profeti della Quinta dedicate themselves to the research and performance of hitherto neglected repertoire, such as Emilio de Cavalieri’s Lamentationes (1600) (broadcast live on Swiss Radio DRS2 in April 2011) and Salomone Rossi’s Hashirim asher li’Shlomo (1623), the first polyphonic publication in Hebrew, which the ensemble recorded on CD for Pan Classics to great critical acclaim. The ensemble has made guest appearances at various festivals (including Oude Muziek Utrecht, Festival von Vlaanderen, and the Biennale Alter Musik Berlin) and venues in Europe and Israel. In the summer of 2011 the Profeti won the York Young Artists Early Music Competition and spent a week in Mantua, where they were engaged for the filming of a documentary about Salomone Rossi (HEBREO: The Search for Salomone Rossi, 2012). www.quintaprofeti.com Das Ensemble Thélème stellt die Stimme ins Zentrum seiner Arbeit und hinterfragt im szenischen Dialog die Beziehung zwischen Sänger und Publikum. Thélème verwendet Alte Musik als Rohmaterial zur Reflexion über die Rolle der Musiker in der Gesellschaft. Thélème möchte mit anderen Sängern, Instrumentalisten, Komponisten, Autoren, Tänzern, Choreographen, Schauspielern, Regisseuren, Forschern und Kreativen in jeglichen Bereichen zusammenwirken, ganz dem Leitsatz von Rabelais getreu: «Tu, was du willst». www.theleme.ch 22 The Abbey of Thélème is a utopia described by François Rabelais at the end of his novel Gargantua. Thélème is a hexagonal Renaissance castle with five floors, built of valuable materials. Thélème has neither an enclosing wall, nor clocks. Why should one care about the time, if one is not dependent on the time? If one decides oneself when one wants to get up, eat, work, or devote oneself to the joys of conversation? The name itself reflects the program: it derives from “thelo”, a word of Greek origin that means “I will.” Thus, “thélème” can be translated as “free will.” The ensemble Thélème places the voice in the focus of its work, and questions in scenic dialogue the relationship between the singer and the audience. Thélème uses early music as raw material for the reflection about the role of the musician in society. David Munderloh David Munderloh’s Repertoire umfasst Werke aus den unterschiedlichsten Epochen, von englischen Lautenliedern der Renaissance bis hin zu Liedern des 19. Jahrhunderts. Auch in der zeitgenössischen Musik ist er zu Hause; dies belegt u.a. die Grammy-Auszeichnung seiner CD mit Chanticleer im Jahre 2000. Ein Fulbright-Stipendium ermöglichte ihm eine 3-jährige Weiterbildung und Masterstudium zur Vertiefung der Kenntnisse in historischer Aufführungspraxis an der Schola Cantorum Basiliensis. Er studierte bei Gerd Türk und bei Hans-Joachim Beyer (Leipzig). Wertvolle Anregungen zur Gestaltung des englischen Lautenlieds gab vor allem Anthony Rooley. Auf der Opernbühne erhielt er u.a. Beifall als The Madwoman in Benjamin Brittens Kammer oper Curlew River, sowie als Acis und als Damon in Händels Acis und Galatea, Don Ottavio (Don Giovanni) und als Pilade in Händels Pasticcio Orest. David Munderloh ist auf zahlreiche Aufnahmen zu hören. Es erfolgten Radio- und Fernsehübertragungen; Konzertreisen führten den Tenor in die USA, in die meisten europäischen Länder und oft nach Fernost. Thélème wants to collaborate with other singers, instrumentalists, composers, authors, dancers, choreographers, actors, stage directors, researchers, and creatives in any field, true to Rabelais’s motto: “Do what you want.” www.theleme.ch 23 24 D avid M un derloh , J ulian B ehr 25 David Munderloh’s repertoire encompasses works from diverse epochs, from English lute songs of the Renaissance to nineteenth-century art songs. He is also at home in contemporary music, as documented by the Grammy Award for his CD with Chanticleer in 2000. A Fulbright Scholarship made it possible for him to undertake a further three years of training and a masters degree program at the Schola Cantorum Basiliensis to deepen his knowledge of historical performance practice. He studied with Gerd Türk and Hans-Joachim Beyer (Leipzig). Valuable ideas for the performance of English lute songs were provided above all by Anthony Rooley. On the opera stage, he has been acclaimed as The Madwoman in Benjamin Britten’s chamber opera Curlew River, as Acis and as Damon in Handel’s Acis and Galatea, as Don Ottavio (in Don Giovanni), and as Pilade in Handel’s pasticcio Orest. David Munderloh can be heard on numerous recordings. He has appeared in radio and television broadcasts, and concert tours have taken him to the USA, most European countries, and often to the Far East. www.davidmunderloh.com Julian Behr J ulian Behr absolvierte zunächst ein Studium in klassischer Gitarre und Laute bei Mario Sicca und Robert Barto an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Stuttgart. Nach einem Aufbaustudium in Laute bei Joachim Held am Hamburger Konservatorium studierte Julian Behr Alte Musik und Lauteninstrumente an der Schola Cantorum Basiliensis in Basel bei Hopkinson Smith. Bis 2011 war er Dozent an der Musikhochschule Nürnberg. Es erfolgten Auftritte bei Festivals in den meisten Ländern Europas und in Südamerika mit u.a. dem belgischen Ensemble Ausonia, mit der Akademie für Alte Musik Berlin, mit Al Ayre Espagnol, Peter Kooj und sette voci sowie mit den Altisten Franz Vitzthum und Andreas Scholl. Zusammen mit dem Tenor David Munderloh widmet Julian Behr sich dem englischen Lautenlied im 17. Jahrhundert. Neben solistischen- und kammermusikalischen Projekten ist die Mitwirkung an BarockopernProduktionen ein Bestandteil seiner Arbeit, u.a. an den Opernhäusern in Hamburg, Berlin, Amsterdam und Brüssel. Seine Tätigkeit ist dokumentiert auf CDs bei Alpha, Harmonia Mundi, ORF Alte Musik und Capriccio. 26 Julian Behr initially completed studies in classical guitar and lute with Mario Sicca and Robert Barto at the Stuttgart Hochschule für Musik und Darstellende Kunst. After graduate studies in lute with Joachim Held at the Hamburg Conservatory, Julian Behr studied early music and lute instruments with Hopkinson Smith at the Schola Cantorum Basiliensis in Basel. Until 2011 he taught at the Nuremberg Musikhochschule. Julian Behr has appeared at festivals throughout Europe and in South America with the Belgian ensemble Ausonia, the Akademie für Alte Musik Berlin, Al Ayre Espagnol, Peter Kooj, sette voci, and the countertenors Franz Vitzthum and Andreas Scholl, among others. Together with the tenor David Munderloh, Julian Behr has devoted himself to the seventeenth-century English lute song. In addition to solo and chamber music projects, an important part of his work is the participation in productions of Baroque operas, including at the opera houses in Hamburg, Berlin, Amsterdam, and Brussels. His activities are documented on CDs released on the Alpha, Harmonia Mundi, ORF Alte Musik, and Capriccio labels. Il Zabaione musicale Il Zabaione musicale ist nach der gleichnamigen Sammlung fünfstimmiger Madrigale von Adriano Banchieri benannt, die im Jahr 1604 in Mailand veröffentlicht wurde. Entstanden aus der Begegnung zwischen der Sopranistin Alice Borciani, dem Theorbisten Ryosuke Sakamoto und dem Cembalisten Elam Rotem, konzentriert sich die Formation auf das italienische Repertoire des «primo barocco». In dieser Besetzung hat das Ensemble 2011 und 2012 Konzerte in Italien und der Schweiz aufgeführt. Im Sommer 2013 erfolgt ein Gastspiel mit dem Programm O dolcezze amarissime d’amore bei den bekannten Studientagen der Medieval and Renaissance Music Conference in Certaldo (Toskana). Die Besetzung der Gruppe ist variabel und erlaubt – je nach Programm – das Hinzuziehen weiterer Musiker und Sänger, um komplexere Repertoires erschliessen und die Ausführung mit den passenden Farben und Nuancen bereichern zu können. Il Zabaione musicale is named after Adriano Banchieri’s collection of five-part madrigals of the same name, which was published in Milan 27 in 1604. Having come into being as a result of the encounter between soprano Alice Borciani, theorbist Ryosuke Sakamoto, and harpsichor dist Elam Rotem, the ensemble concentrates on the Italian repertoire of the “primo barocco.” The ensemble performed concerts in this formation in Italy and Switzerland in 2011 and 2012. In the summer of 2013 it is to make a guest appearance with the program O dolcezze amarissime d’amore at the well-known Medieval and Renaissance Music Conference in Certaldo (Tuscany). The group’s formation is variable and allows – depending on the program – the participation of additional instrumentalists and singers in order to access more complex repertoires and to enrich the performance with suitable colors and nuances. D ie T e x te Cypriano de Rore 1 Anchor che col partire, Io mi sento morire, Partir vorrei ogn‘ hor, ogni momento: Tant‘ il piacer ch‘io sento De la vita ch‘acquisto nel ritorno. E così mill‘e mille volt il giorno Partir da voi vorrei: Tanto son dolci gli ritorni miei. A. d’Avalos (zugeschrieben) 2 Schiet’arbuscel, di cui ramo ne foglia Non mosser mai gli ardenti miei sospiri E di cui sempr’ovunque l'aura spiri Sento l’odor ch’a lagrimar m'invoglia: S'un giorno a l’ombra tua sì'accesa voglia Temprar potessi, e sì caldi desiri Dolci le pene mie, dolci martiri, Dolce saria’ogni mal, dolce’ogni doglia. Ma poi che ria fortuna mi disdice Stanco posar sotto’i bei verdi rami Ch'in mezzo del mio cor han la radice, Convien ch’io arda e mi lamenti’e brami Finir la vita misera infelice. In tale stella presi l’esca'e gli’hami. F. Petrarca 28 Claudio Monteverdi 3 Rimanti in pace, alla dolente e bella Fillida, Tirsi, sospirando, disse: «Rimanti; io me ne vò, tal mi prescrisse Legge, empio fato e sorte aspra e rubella.» Ed ella, hora da l‘una e l’altra stella Stillando amaro umore, i lumi affisse Nei lumi del suo Tirsi, e gli traffisse Il cor di pietosissime quadrella. Clément Janequin 5 Or sus vous dormez trop madame joliette. Il est jour levez sus. Escoutez l’alouette. Il est jour, petite, que dit Dieu. Qu’on tue ce faulx vilain jaloux cornu, tout malheureux, Tout malautru, tout farcineux Qui ne vault mye les brayes d’ung pendu, cocu Qu’il soit pendu, qu’il soit bruslé ce malautru, cocu Ho, ho, qu’il est laid, fy de ly, ce vilain cocu cornu Tuez, frappez, battez ce faulx vilain comme ung cocu Qu’il soit pris, lié, battu, serré, troussé incontinent pendu. Seny, seny, souffre cocu. Ond’ei, di morte la sua faccia impressa, Disse: «ahi, come n’andrò senza il mio Sole Di martir in martir, di doglie in doglie?» Ed ella, da singhiozzi e pianti oppressa, Fievolmente formò queste parole: «Deh, cara anima mia, chi mi vi toglie?» L. Celiano Carlo Gesualdo 4 Occhi del mio cor vita, Voi mi negate, oimè, l’usata aita! Tempo è ben di morire, a che più tardo? A che serbate il guardo? Forse per non mirar come v‘adoro. Mirate almen ch’io moro! Ou aultrement qu’il souffre que sa femme on s’offre De la baiser, de l’embrasser, de l’acoller sans kotter, Ou aultrement va mourir. 29 Clément Janequin 6 En escoutant le chant mélodieux De ses plaisans et tant doux rossigneulx Qui vont disant ainsy, ainsy, ainsy L’ung d’eux me dit « Par cy, par cy, passez par cy Et vous orrez qui chantera le mieulx. » Tous veuillez estre songneulx D’amour servir loyaulement en tous lieux Et luy crier mercy, mercy, mercy En escoutant. Fuyez, fuyez gens merencolieulx Suyve les dames en tous lieux Et de soucy dites « fy, fy, fy » Retournez cy mardi, mardi, mardi Et vous serez plus que devant joyeulx. En escoutant. Et quel autre salut voulons nous d’avantage ? Nostr’aide, nostre espoir, nostre Dieu, nostre port, Nos feux, nostre salut sont ores en la mort. Claude Le Jeune 8 Tout ce qui est de plus beau dans les cieux Tout ce qui est de plus divin au monde, Soit parmy l’air, sur la terre ou dans l’onde, N’egale point le soleil de mes yeux Ce beau Phebus qui se pense immortel, Nourrit les corps des humains par ses flammes : Mais mon soleil va nourrissant les ames D’un past si doux qu’il n’en est point de tel. Claude Le Jeune 7 Povre cœur entourné de tant de passions, De tant de nouveautez, de tant de fictions, Outré de tant de maux que je sens en mes veines, Quelle fin aurons nous un jour à tant de peines ? Quelle aide maintenant, quel espoir de guerir ? Quel bon Dieu qui vint à ce coup secourir ? Quel port en ceste mer, quelz feux en cet orage ? 30 De l’œil de l’un le beau printemps se fait Et par six moix s’engendrent les fleurettes Mais en tout tems naissent les amourettes Des yeux du mien plus que l’aultre parfaict, L’un par saison fait refleurir les lys Les aubépins, les œillets & les roses Mais du mien beau les deux levres encloses Font pour tousjours en terre un paradis. L’un excessif en ardeur fait perir L’espéré fruit de la terre altérée Mais du mien beau la chaleur tempérée D’un doux trespas en vivant fait mourir Il sçait si bien assaisonner la mort Qu’en la donnant il y mesle la vie, Et lors qu’on croit du corps l’ame ravie C’est justement alors qu’on est moins mort. Now live forever in her eyes, Whence came my first annoy. Only herself hat seemed fair: She only I could love, She only drave me to despair, When she unkind did prove. Despair did make me wish to die, That I my joys might end: She only, which did make me fly, My state may now amend. O doux trespas meslé de resconfort O belle mort qui redonne la vie Si pleine d’heur que l’on perd tout’ envie Et tout desir de vivre qu’en la mort O vivre doux attaché au trespas, O belle vie ou la mort est prochaine, Et toutefois de tant de bonheur plaine Que plus vivre on ne souhaite pas. If she esteem thee now aught worth, She will not grieve thy love henceforth, Which so despair hath proved. Despair hath proved now in me, That love will not unconstant be, Though long in vain I loved. If she at last reward thy love, And all thy harms repair, Thy happiness will sweeter prove, Raised up from deep despair. And if that now thou welcome be, When thou with her dost meet, She all this while but played with thee, To make thy joys more sweet. Puisse à jamais mon cœur vivre & mourir, Si doucement en ces morts si vivantes Puisse mon ame en vies si mourantes Tousjours revivre & tousjours remourir Et le soleil qui fait ces douces morts, Et cause en moy tant d’agréables vies Puisse tousjours en si douces folies Entretenir ses discordans accors. John Dowland 9 Awake, sweet love, thou art returned: My heart, which long in absence mourned Lives now in perfect joy. Let love, which never absent dies, 10 Can she excuse my wrongs with virtue’s cloak? shall I call her good when she proves unkind? 31 32 Il Z abai o n e m usicale 33 Are those clear fires which vanish into smoke? must I praise the leaves where no fruit I find? 12 Sorrow stay, lend true repentant tears To a woeful wretched wight, Hence, despair with thy tormenting fears: Do not, O do not my poor heart affright Pity, help now or never Mark me not to endless pain, Alas I am condemned ever No hope, no help there doth remain But down I fall, And arise I never shall. No, no: where shadows do for bodies stand, thou may’st be abused if thy sight be dim. Cold love is like to words written on sand, or to bubbles which on the water swim. Wilt thou be thus abused still, seeing that she will right thee never? if thou canst not overcome her will, thy love will be thus fruitless ever. 14 In darkness let me dwell, the ground shall sorrow be, The roof Despair to bar all cheerful light from me, The walls of marble black that moistened still shall weep, My music hellish jarring sounds to banish friendly sleep. Thus wedded to my woes, and bedded to my Tomb, O let me living die, till death do come. Was I so base, that I can not aspire Unto those high joys which she holds from me? As they are high, so high is my desire: If she this deny what can granted be? If she would yield to that which reason is, It is reasons will that love should be just. Dear make me happy still by granting this, Or cut off delays if that I die must. Girolamo Frescobaldi 15 Era l’anima mia Già presso all’ultim’hore, E languia come langue alma che more. Quando anima più bella e più gradita Volse lo sguardo in sí pietoso giro Better a thousand times to die, then for to live like still tormented: Dear but remember it was I Who for thy sake did die contented. 34 Chi vivo tien ne l’altrui pett’il core. G.B. Guarini Che mi mantiene in vita. Parean dir quei bei lumi: »Deh perchè ti consumi? Non m’è sí caro il cor, ond’io respiro, come sei tu, cor mio; se mori, ahimè, non mori tu, mor’io.” G.B. Guarini Claudio Monteverdi 18 Lumi, miei cari lumi, che lampeggiate un sì veloce sguardo ch’a pena mira e fugge e poi torna sì tardo che ‘l mio cor se ne strugge; volgete a me, volgete quei fuggitivi rai, ch’oggetto non vedrete in altra parte mai con sì giusto desio, che tanto vostro sia quanto son io. G.B. Guarini Luzzasco Luzzaschi 16 Aura soave di segreti accenti, che penetrando per l’orecchie al core svegliasti là dove dormiva Amore; per te respiro e vivo da che nel petto mio spirasti tu d’Amor vital desio. Vissi di vita privo, mentre amorosa cura in me fu spenta, hor vien che l’alma senta virtù di quel tuo spirito gentile. Felice vita oltre l’usato stile. Anonym Luzzascho Luzzaschi 19 T’amo, mia vita, la mia cara vita dolcemente mi dice, e ‘n questa sola sí soave parola par che trasformi lietamente il core, per farmene signore. O voce di dolcezza e di diletto! Prendila tosto, Amore, stampala nel mio petto. Spiri solo per lei l’anima mia. «T’amo, mia vita», la mia vita sia. G.B. Guarini 17 Cor mio, deh, non languire, che fai teco languir l’anima mia. Odi i caldi sospiri: a te gl’invia La pietat’e ‘l desire. S’io ti potessi dar morend’aita, Morrei per darti vita. Ma vivi ohimè, ch’ingiustamente more 35 cantando 2021 Wege zum Barock Tradition und Avantgarde um 1600 Stationen des italienischen Madrigals 1. Cipriano de Rore, Anchor che col partire 2. Cipriano de Rore, Schiet’arbuscel 3. Claudio Monteverdi, Rimanti in pace 4. Carlo Gesualdo, Occhi del mio cor vita Profeti della Quinta 3'07'' 3'38'' 6'24'' 2'40'' Französische Avantgarde im 16. Jahrhundert 5. Clément Janequin, L’alouette 6. Clément Janequin, Le rossignol 7. Claude Le Jeune, Povre cœur 8. Claude Le Jeune, Tout ce qui est de plus beau Thélème 2'35'' 2'07'' 4'53'' 7'20'' John Dowland – Englischer Janus 9. Awake, sweet love 10.Can she excuse my wrongs 11.Lachrimae Pavan 12.Sorrow, stay 13.A piece without title 14.In darkness let me dwell David Munderloh, Tenor | Julian Behr, Laute 2'04'' 2'48'' 4'20'' 3'21'' 2'11'' 4'12'' Concerto delle dame 15.Girolamo Frescobaldi, Era l’anima mia 2'26'' 3'09'' 16.Luzzasco Luzzaschi, Aura soave 17.Luzzasco Luzzaschi, Cor mio deh non languire2'57'' 18.Claudio Monteverdi, Lumi miei cari lumi 2'40'' 19.Luzzasco Luzzaschi, T’amo, mia vita 3'00'' Il Zabaione musicale 66'08''