Medikamente für Menschen
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Medikamente für Menschen
BAND 2 Medikamente für Menschen HEUTE FORSCHEN, UM MORGEN ZU HEILEN european federation of pharmaceutical industries and associations Danksagung Diese Veröffentlichung ist die deutsche Fassung der Broschüre Medicines for Mankind (Volume 2). Wir danken ihrem Autor Dr. Robert Geursen für die Erlaubnis der Übersetzung. Die deutsche Übersetzung wurde vom Sprachen-Service im Industriepark Höchst in Frankfurt am Main unter Leitung von Susanne Scheid vorgenommen. Die wissenschaftliche und medizinische Begutachtung lag bei Dr. Robert Geursen. Die Koordination der Gesamtarbeiten übernahm Marie-Claire Pickaert. Hiermit danken wir allen für die Mühe und die Zeit, die sie auf die exakte Redigierung der Texte verwandt haben. Ebenso danken wir dem Verband der forschenden Arzneimittelhersteller in Berlin und der Interpharma in Basel für ihre Unterstützung. Die Broschüre Medicines for Mankind (Volume 2) beruht auf der Publikation A to Z of British Medicines Research des Verbandes Association of the British Pharmaceutical Industry (APBPI). Die Texte wurden von Dr. Robert Geursen auf den neuesten Stand gebracht und ergänzt. Wir danken dem Erstautor, Dr. Stephen Bartlett, und dem Herausgeber, Bill Kirkness, für die Erlaubnis das vorhandene Material nutzen zu dürfen. Ebenso danken wir Dr. Jean-Marie Muschart (HCS) für seine Mitarbeit im Redaktionskomitee. Unsere Anerkennung gilt auch der Gruppe der Forschungsleiter der EFPIA unter Vorsitz von Prof. Trevor Jones (2002-2004) und Dr. Jonathan Knowles (seit 2004) für deren Beiträge zu den Abschnitten über aktuelle Fortschritte bei der Erforschung und Entwicklung zu den unterschiedlichen Erkrankungen. Ebenso wertvoll war für uns die Beratung durch spezielle Gruppen innerhalb der EFPIA, nämlich die Europäischen Impfstoffhersteller (European Vaccines Manufacturers, EVM), unter Vorsitz von Didier Hoch und die biopharmazeutischen Unternehmen (Emerging Biopharmaceutical Enterprises, EBE) unter Vorsitz von Peter Heinrich. Schließlich sind wir sowohl Kurt Vandenberghe, Kabinettsmitglied von EU-Kommissar Philippe Busquin als auch Dr. Robert Sebbag für ihre tatkräftige Unterstützung bei der Veröffentlichung dieses zweiten Bandes zu Dank verpflichtet. Unser Dank gilt auch Regina Costa und Dr. Siegfried Throm (VFA) für deren Rat bei der deutschen Übersetzung. Für die Erstellung der Abbildungen und Photos möchten wir folgenden Personen unseren herzlichen Dank ausdrücken: Lander Loeckx (Photograph), Dr. Roland Reynaert (Groupe Médical Cinquantenaire, Brüssel), Prof. Dr. José Ramet (Allgemeines Krankenhaus VUB, Brüssel), Geert Gesquiere (Zoniën Seniorencentrum, Tervuren), Kwikzilver & Ingrid Coppé (Casting), Koen de Visscher (Produktion). Unser besonderer Dank geht an alle Personen und Patienten an den verschiedenen Orten, welche sich freundlicherweise bereit erklärt haben, sich für diese Broschüre aufnehmen zu lassen. Fabienne Muylle danken wir für die sekretarielle Begleitung dieses Projektes. Die europäische Forschungsstrategie und der europäische Forschungsraum Philippe Busquin EU-Kommissar für Forschung Die Wissenschaft ist und war schon immer eines der größten und spannendsten Abenteuer der Menschheit. Sie ist Ausdruck einer Kreativität, die im Europa des 21. Jahrhunderts auf keinen Fall fehlen darf. Was müssen wir tun, um diese Kreativität nicht nur zu erhalten, sondern zu fördern? Die Bedeutung von Forschung Forschung spielt eine zentrale Rolle bei der Umsetzung wissenschaftlicher Strategien, und sie ist das Herzstück des Prozesses zur Erarbeitung von strategischen Entscheidungen. In Bereichen, wie dem Gesundheitswesen und der Medizin, müssen strategische Optionen und Entscheidungen auf fundierten wissenschaftlichen Erkenntnissen und einem genauen Verständnis der wirtschaftlichen und sozialen Aspekte im Zusammenhang mit der Fragestellung beruhen. Grundlagenforschung wird heutzutage an den verschiedensten Institutionen betrieben: an Universitäten, Forschungsinstituten, in Firmen und Konsortien. In einigen Fällen können die Ergebnisse verhältnismäßig schnell in konkrete Produkte umgesetzt werden. Dies war beispielsweise beim Durchbruch der Molekularbiologie und der Immunologie im Gesundheitswesen der Fall. Es kann jedoch auch vorkommen, dass Jahre später auf Gebieten, die wenig mit dem ursprünglichen Forschungsgebiet zu tun haben, unerwartete Anwendungsmöglichkeiten zu Tage treten. F Ü R M E N S C H E N Die europäischen Finanzmärkte haben noch nicht voll erkannt in welchem Maße Investitionen in Fachwissen von wirtschaftlicher Bedeutung sind. Zwar wird man sich dieser Tatsache zunehmend bewusst, doch das in Innovationen investierte Risikokapital hält sich in Europa noch immer in Grenzen. Investitionen dieser Art in High-Tech- M E D I K A M E N T E Die Bedeutung von Investitionen in der Forschung Private Investitionen von internationalen Konzernen in Europa befinden sich seit Jahren auf einem hohen Niveau und konnten sogar eine Steigerung verzeichnen. Aufgrund der wirtschaftlichen Globalisierung und der industriellen und technischen Zusammenschlüsse, Fusionen und Übernahmen, die in jeder Branche an der Tagesordnung sind, entwickeln diese Unternehmen ihre Forschungs- und Entwicklungsstrategien auf internationaler Ebene. Für einen Teil des privaten Sektors verzeichnet die Forschung daher auf europäischer und internationaler Ebene Zuwachsraten. Der weltweite Anstieg von Aufwendungen für Forschung und Entwicklung im privaten Sektor ist in Europa jedoch geringer als bei den größten Wettbewerbern in den USA und in Asien. Dies ist auf geringere Forschungsausgaben kleiner und mittelständischer Betriebe zurückzuführen. Europa sollte aus diesem Grund auf keinen Fall die Investitionen in diesem Bereich zurückfahren. 3 Sektoren und die Gründung neuer Unternehmen sind um ein Vielfaches geringer als in den USA. Im Großen und Ganzen muss das Forschungsklima in Europa noch verbessert werden. Verbesserung des Forschungsklimas Abkommen stellen für die Europäische Union rechtliche Grundlagen für Maßnahmen zur Förderung der europäischen Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Forschung und der technischen Entwicklung dar. Das hauptsächliche Referenzrahmenwerk für Forschungsaktivitäten in Europa gilt jedoch nur auf nationaler Ebene. Die Finanzierungen der unterschiedlichen Initiativen für die wissenschaftliche und technische Zusammenarbeit auf europäischer Ebene, auf Gemeinschaftsebene oder auf mulilateraler Ebene belaufen sich auf weniger als 1,7% der gesamten öffentlichen Aufwendungen für Forschung in Europa. Das bisher verwendete Hauptinstrument ist das Forschungsrahmenprogramm der Europäischen Union. Finanziell macht es allerdings nur 5,4% der gesamten öffentlichen Ausgaben aus. Allein hierdurch kann die Forschung in Europa nicht gefördert werden. Durch Aufteilung, Abkapselung und Abschottung nationaler Forschungsaktivitäten und die Ungleichheit regulierender und verwaltungstechnischer Abläufe wird die Tatsache suboptimaler globaler Investitionen in Fachwissen noch verstärkt. © DE., 1995-2003 Eine vernünftige europäische Forschungsstrategie muss in der Lage sein, eine bessere Integration des wissenschaftlichen und technologischen Sektors in Europa einschließlich des Gesundheitswesen und der Medizin als unerlässliche Voraussetzung für verstärkte europaweite Forschungsaktivitäten durchzusetzen. Die aktuelle statische Struktur muss zugunsten einer dynamischeren Gestaltung überwunden werden. M E D I K A M E N T E F Ü R M E N S C H E N Dafür ist ein ganzheitlicher Ansatz entscheidend, der die Maßnahmen auf den verschiedenen Ebenen berücksichtigt: die der Mitgliedsstaaten auf nationaler Ebene, die der Europäischen Union im Zuge des Rahmenprogramms und anderer möglicher Instrumente sowie die Maßnahmen zwischenstaatlicher Kooperationsgemeinschaften. Ferner müssen die Forschungsinvestitionen gemäß den Vereinbarungen des Gipfels der Staats- und Regierungschefs in Barcelona nach ihrer Priorität eingesetzt werden. Bis zum Jahr 2010 müssen wir 3% des Bruttoinlandsprodukts erreichen, damit Europa im weltweiten Vergleich zu den wettbewerbsfähigen und dynamischen Wirtschaftsräumen mit fundiertem Fachwissen zählt. 4 Der europäische Forschungsraum (EFR) 1 Die Idee besteht darin, einen europäischen Forschungsraum zu schaffen, der die folgenden Aspekte umfasst: • Die Vernetzung bereits bestehender Zentren in Europa und die Schaffung virtueller Zentren durch Einsatz neuer, interaktiver Kommunikationsmittel • Die Entwicklung eines gemeinsamen Ansatzes für die Anforderungen und den Finanzierungsbedarf großer Forschungseinrichtungen in Europa • Eine kohärentere Implementierung nationaler und europäischer Forschungsaktivitäten sowie engere Beziehungen zwischen den verschiedenen Organisationen zur wissenschaftlichen und technischen Zusammenarbeit in Europa • Eine bessere Nutzung von Instrumenten und Ressourcen zur Förderung von Investitionen in den Bereichen Forschung und Innovation: indirekte Unterstützung im Rahmen der Gemeinschaftsrichtlinien für staatliche Förderung, Patente und Risikokapital • Schaffung gemeinsamer Systeme mit wissenschaftlichen und technischen Referenzinformationen für die Implementierung von Strategien • Mehr Fachpersonal mit der Bereitschaft zu Mobilität • Höhere Mobilität der Forschungsteams und Einführung europäischer Richtlinien für wissenschaftliche Berufe • Hervorhebung der Rolle der Frau in der Forschung • Schaffung von Anreizen für junge Leute zur Besetzung von Arbeitsplätzen in Forschung und Wissenschaft • Förderung eines besseren Zusammenhalts in Europa im Bereich der Forschung, auf der Grundlage optimaler Methoden zum Wissenstransfer auf regionaler und lokaler Ebene sowie auf der Funktion der einzelnen Regionen hinsichtlich der Forschungsaktivitäten in Europa • Zusammenschluss wissenschaftlicher Gemeinschaften, Unternehmen und Forschungsteams in West- und Osteuropa • Steigerung der Attraktivität des Standorts Europa für Wissenschaftler aus anderen Ländern • Förderung gemeinsamer sozialer und ethischer Werte in wissenschaftlichen und technologischen Angelegenheiten Die Bedeutung der europäischen Forschung im medizinischen Bereich Die Biotechnologie bietet enorme Chancen für die Entwicklung neuer Medikamente. Diese Chancen entstehen aus der Notwendigkeit neuer und innovativer Ansätze für die medizinische Versorgung weltweit, damit die Bedürfnisse einer immer älter werdenden Bevölkerung, von Bevölkerungsuntergruppen sowie von Entwicklungsländern gedeckt werden können. Es gibt bereits eine wachsende Anzahl traditioneller und neuartiger Medikamente und medizinischer Leistungen. Zu den Entwicklungen, die sich in naher Zukunft abzeichnen werden, gehören präventive medizinische Eingriffe auf Basis der genetischen Veranlagung eines Menschen mit Hilfe von Pharmakogenomik und Pharmakogenetik. Daraus ergeben sich eine zielgenauere Suche sowie effektivere Diagnosen und Behandlungen. Stammzellforschung und Gentherapie ermöglichen die Übertragung von Gewebe und Organen zur Behandlung von degenerativen Krankheiten und Verletzungen infolge von Schlaganfällen, neurodegenerativen Krankheiten, Verbrennungen und Rückenmarksverletzungen. M E D I K A M E N T E Die Europäische Kommission beabsichtigt, die Führung im Bereich der Biowissenschaften und der Biotechnologie zu übernehmen. Ziel ist es, Fachwissen in neue Produkte und Dienstleistungen für die Allgemeinheit und zur Förderung der Entwicklung neuer Forschungspartnerschaften umzusetzen, die auf vielversprechenden Technologien als Grundlage für den zukünftigen Fortschritt aufbauen. Das von 2002 bis 2006 laufende 6. Gemeinschaftsrahmenprogramm für Forschung, Technische Entwicklung und Veranschaulichung2 sieht den Bereich Biowissenschaft, Genomik und Biotechnologie für die Gesundheit, insbesondere die Anwendung von Wissen und Technik, als solide Basis zur Förderung der Forschungs- und Entwicklungskapazitäten im Bereich Gesundheitswesen und als unterstützende Maßnahme zur Beseitigung der bestehenden Aufteilung der Forschungsstrategien und –aktivitäten. F Ü R M E N S C H E N Die Hauptziele sind wie folgt: • Rationale und schnellere Entwicklung von neuen, sichereren und wirksameren Arzneimitteln, einschließlich Ansätzen aus der Pharmakogenomik mit Schwerpunkt von Verwendung und Umsetzung genomischen Fachwissens und von Methoden in konkrete Anwendungen für die Entwicklung und Herstellung von Arzneimitteln 5 • Entwicklung neuer Diagnosemöglichkeiten zur Herstellung neuer Tests, Mittel und nichtinvasiver Methoden für die Frühdiagnose, die Überwachung von Krankheitsverläufen und die Auswertung von in vivo-Daten zur Verbesserung der Chancen und der Wirksamkeit bereits bestehender Therapien • Entwicklung neuer in vitro- und in silico-Tests zur Schaffung von Alternativen für Tierversuche, zur Reduzierung der Anzahl der benötigten Tiere oder zur Milderung des Leidens dieser Tiere • Entwicklung und Test neuer prophylaktischer und therapeutischer Mittel, z. B. die somatische Gentherapie und die Therapie mit Stammzellen, beispielsweise für neurologische oder neuromuskuläre Funktionsstörungen, sowie Immuntherapien • Innovative Forschung in Bereich der zweiten Ebene der Genomik, welche die Verwendung der neuen Technologie in multidisziplinärer Strategie zum Ziel hat, um Forschungsbereiche zu fördern, die von den aus der Genomik resultierenden Ergebnissen profitieren. M E D I K A M E N T E F Ü R M E N S C H E N Diese thematische Bevorzugung hebt die Bedeutung der Innovation und der Integration kleiner und mittelständischer Unternehmen zur Erreichung der Ziele von Barcelona hervor. Projektkonsortien müssen daher alle in Frage kommenden Kompetenzen integrieren, um mit der Innovation zusammenhängende Aspekte, wie Wissenstransfer, Rechte an geistigem Eigentum, klinische Tests, etc. mit Blick auf die optimale Nutzung des Fachwissens zu fördern. Innovative kleine und mittelständische Unternehmen spielen eine entscheidende Rolle bei der Ausschöpfung der Wissensdatenbank für Biotechnologie und Biowissenschaft der EU. 15 % des Budgets des sechsten Rahmenprogramms ist für die Teilnahme kleiner und mittelständischer Unternehmen vorgesehen. 6 Durch die Forschungsprogramme der Kommission wird ein entsprechendes Umfeld innerhalb des europäischen Forschungsraums für eine dynamischere Zusammenarbeit von Wissenschaftlern, Entscheidungsträgern und der Gesellschaft als Ganzem geschaffen, in der Wissenschaft für die europäischen Bürger von größter Bedeutung sein wird und strukturelle Verbindungen fördert. Dabei müssen ethische und soziale Aspekte und Verpflichtungen für die folgenden Generationen sowie der Welt gegenüber berücksichtigt werden. Forschungen, die innerhalb des sechsten Forschungsrahmenprogramms durchgeführt werden, halten daher alle ethischen Grundsätze ein einschließlich derjenigen die in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union festgelegt sind. Ethikspezialisten haben dabei die Mittel zur Überprüfung der sozialen Relevanz und Angemessenheit. Die Zukunft der Forschung in Europa Für eine entwicklungsfähige Zukunft der Forschungsaktivitäten in Europa muss der europäische Forschungsraum verstärkt und neu belebt werden.3 Die allgemeinen Schlüsse, die bis dato gezogen werden können, sind wie folgt: • Wie angesichts der Initiative für einen europäischen Forschungsraum zu erwarten, hängt der Fortschritt in direkter Weise vom Grad der Mobilisierung der Mitgliedsstaaten in den verschiedenen Themenbereichen und ihrem Engagement für damit verbundene Aktivitäten ab. • Die meisten Fortschritte wurden in eindeutig umschriebenen Bereichen erzielt, die durch klar definierte Aktionen auf nationaler Ebene gefördert werden. • Fortschritte werden dadurch erschwert, dass andere Bereiche als die Forschungsstrategie im engeren Sinn beteiligt sind. Die wahren Hindernisse bezüglich der Mobilität von Wissenschaftlern bestehen beispielsweise in den Sozialsystemen, wie Sozialversicherung und Rente, der Steuerpolitik, usw. • Häufig stehen geplante oder laufende Aktivitäten im Zusammenhang mit dem Europäischen Rahmenprogramm, inklusive ihrer Finanzierung. Dieser Trend wird sich aller Wahrscheinlichkeit nach im sechsten Rahmenprogramm fortsetzen, das den Einsatz weiterer Ressourcen für Forschungsaktivitäten vorsieht. Das Projekt des europäischen Forschungsraums kann jedoch nicht einzig und allein im Zusammenhang mit diesen Aktivitäten betrachtet werden und muss per Definition innerhalb eines breiter gesteckten Rahmens an Eigendynamik gewinnen. Insgesamt sollten die allgemeinen Ziele folgendermaßen lauten: • Wesentliche Steigerung der Beteiligung der Mitgliedsstaaten sowie der Mobilisierung nationaler Aktivitäten • Steigerung der Effizienz laufender Aktivitäten • Konsolidierung des Konzept- und Strategierahmens des Projekts. Bei neuen Initiativen muss dem Standort Europa eine stärkere öffentliche Forschungsgrundlage zugebilligt werden. Der Standort muss für private Investoren im Bereich der Forschung und Innovation attraktiver werden.4 Dadurch kann die Europäische Union die wachsende Kluft hinsichtlich der Forschungsinvestitionen zwischen Europa und seinen Haupthandelspartnern überbrücken, eine Kluft, die unsere langfristigen Innovationen, das Wachstum sowie das Beschäftigungspotential gefährdet. Ziel ist es, das im März 2002 vom Europäischen Rat in Barcelona festgesetzte Ziel zur Steigerung der durchschnittlichen Forschungsinvestitionen von derzeit 1,9 % des Bruttoinlandsprodukts auf 3 % des Bruttoinlandsprodukts bis zum Jahre 2010 zu erreichen. Zwei Drittel davon sollen aus dem privaten Sektor stammen. © European Communities, 1995-2003 M E D I K A M E N T E F Ü R M E N S C H E N Ein Plan zur Förderung der Forschung in Europa Die ersten Maßnahmen haben die Förderung der von den europäischen Ländern und Interessensgruppen durchgesetzten Schritte zum Ziel, um die Konsistenz und eine effektive Mischung strategischer Maßnahmen zu gewährleisten. Dies umfasst einen Koordinationsprozess mit und zwischen den Mitgliedsstaaten. Dies bringt ebenso die Schaffung einer bestimmten Anzahl von europäischen Technologie-Plattformen mit sich, die die wichtigsten Interessengruppen, wie Forschungsorganisationen, Industrie, Behörden, Anwendergruppen, mit Schlüsseltechnologien verbinden, um eine gemeinsame Strategie für die Entwicklung, die Bereitstellung und die Anwendung dieser Technologien in Europa festzulegen und umzusetzen. Ein Beispiel betrifft eine Europäische Technologie-Plattform für Arzneimittel, welche auf eine schnellere Entwicklung von neuen und sichereren Medikamenten abzielt. Daran sind notwendigerweise alle größeren Interessengruppen auf diesem Gebiet, seien es Wissenschaftler, Arzneimit- 7 © European Communities, 1995-2003 telhersteller, Ärzte, Patientenverbände, Geldgeber oder Aufsichtsbehörden, beteiligt, um eine europäische Forschungs- und Entwicklungsstrategie zur Beschleunigung der Verfügbarkeit innovativer Medikamente und zur Reduzierung der Kosten zu entwickeln. Gleichzeitig werden höchste Standards bezüglich der Sicherheit und der Wirksamkeit von Arzneimitteln zum Nutzen der europäischen Bürger angelegt. M E D I K A M E N T E F Ü R M E N S C H E N Eine zweite Reihe von Maßnahmen zielt auf eine wesentliche Verbesserung der öffentlichen Unterstützung der Forschung ab. Um eine Steigerung der Investitionen in Europa zu erzielen, müssen die Unternehmen hier zahlreiche und gut ausgebildete Forschungsteams, eine starke öffentliche Forschung mit guter Verbindung zur Industrie sowie effektive öffentliche finanzielle sowie fiskalische Unterstützung vorfinden. Der Plan konzentriert sich auf die Verbesserung der beruflichen Entwicklungschancen für Forscher, um die öffentliche Forschung und die Industrie stärker miteinander zu verbinden und das Potential der europäischen und nationalen öffentlichen Finanzinstrumente voll auszuschöpfen. Der Plan fordert die öffentlichen Behörden beispielsweise auf, bis zum Jahr 2005 die derzeitigen Vorschriften und Methoden zu beseitigen, welche die Zusammenarbeit und den Technologietransfer innerhalb Europas unterbinden. Dadurch werden derzeit die verfügbaren Chancen für Forschung und Innovation erheblich verringert. 8 Eine dritte Abfolge von Maßnahmen zielt auf die notwendige Aufstockung der Finanzierung von Forschungsprojekten ab. Angesichts des derzeitigen wirtschaftlichen Abschwungs ist es umso wichtiger sicherzustellen, dass die Budgetrichtlinien Investitionen begünstigen, die zu einem höheren nachhaltigen Wachstum in der Zukunft führen. In diesem Zusammenhang spielt die Forschung eine bedeutende Rolle. Die Maßnahmen konzentrieren sich auf die Förderung und die Überwachung der Neuverteilung öffentlicher Budgets und die vollständige Ausschöpfung der öffentlichen Unterstützung für die Industrie, die durch staatliche Förderungsmittel angeboten wird. Der Plan sieht beispielsweise eine klarere Definition hinsichtlich der verschiedenen Arten öffentlicher Unterstützung vor, die von den Behörden ohne Wettbewerbsverzerrung vergeben werden können. Eine vierte Reihe von Maßnahmen betrifft letztendlich eine Verbesserung der Forschungsumgebung und der technischen Innovationen in Europa: Schutz des geistigen Eigentums, Marktregulierungen und einschlägige Standards, Wettbewerbsregeln, Finanzmärkte, steuerliche Bedingungen, Betrachtung der Forschung im Management von Unternehmen sowie Berichtspraktiken. Um beispielsweise eine geeignete und not- wendige Finanzierung für Initiativen in der Biotechnologie bereitzustellen, hat das Direktorium der Europäischen Investitionsbank (EIB) die von den Finanzministern bei ihrer Jahrestagung im Juni 2000 beschlossene Initiative “Innovation 2000” befürwortet. Diesem Zweck wurde ein Kreditvergabeprogramm von 12 bis 15 Milliarden Euro über einen Zeitraum von drei Jahren beginnend im Juni 2000 gewidmet. Das Direktorium entschloss sich außerdem, die Summe des Risikokapitals der EIB für kleine und mittelständische Unternehmen auf bis zu 2 Milliarden Euro zu verdoppeln. Darüber hinaus haben die Europäische Kommission und der Europäische Verband der Börsenhändler im Jahr 1997 ein Forum für Biotechnologie und Finanzen eingerichtet, das die Verbindungen zwischen wissenschaftlichen und industriellen Verbänden sowie mit Finanzinstituten fördert, wodurch die Entwicklung der europäischen BiotechnologieIndustrie vorangebracht werden soll. Das Forum hat die Nanobiotechnologie und die Umweltbiotechnologie als Schlüsselbereiche zukünftiger Investitionen ausgemacht, inklusive der Entwicklung von Verbindungen zu den Mitgliedsländern. Der Plan hat auch zum Ziel, allen Studenten wissenschaftlicher Studiengänge, der Ingenieurswissenschaften und der wirtschaftswissenschaftlichen Studien zumindest die Vermittlung gewisser Grundlagen über den Schutz geistigen Eigentums und über Technologietransfer anzubieten. Relevanzprobleme im Bereich der Medizin umfassen eine Patentregulierung, die nach Überprüfung durch das Europäische Parlament derzeit im Europäischen Rat diskutiert wird, sowie die Direktive 98/44/EC, die nun vom Parlament und dem Europäischen Rat angenommen wurde. Dadurch wird der rechtliche Schutz, der für biotechnologische Erfindungen erforderlich ist, erleichtert und weniger kostspielig. Der Plan markiert den Beginn eines Prozesses. Der Fortschritt wird begleitet, und die Kommission und der Europäische Rat werden in Zukunft, wenn zweckdienlich, weitere Anhaltspunkte geben. Wir haben jedoch nicht viel Zeit. Die Kluft zwischen Europa und seinen Haupthandelspartnern wächst weiter. Die Umsetzung auf allen Ebenen muss sofort beginnen. Uns muss klar sein, was auf dem Spiel steht, denn es ist das Bestreben Europas, pulsierender Standort für innovationsgetriebenes Wachstum zu werden und Arbeitsplätze zu schaffen. 1 Mitteilung der Kommission an den Europäischen Rat, das Europäische Parlament, den Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: “Towards a European Research Area” COM 2000 (6) 2 Entscheidung Nr.1513/2002/EC des Europäischen Parlaments und des Europäischen Rates vom 27. Juni 2006) beiträgt. 3 Mitteilung der Kommission; “The European Research Area, Providing New Momentum – Strengthening – Reorienting – Opening Up New Perspectives”, COM(2002) 565 final M E N S C H E N stration activities”, die zur Schaffung des europäischen Forschungsraumes und zur Innovation (2002 bis F Ü R 2002 bezüglich des “Sixth framework programme for research, technological development and demon- M E D I K A M E N T E –––––––––––––––––––––––––––– 4 Mitteilung der Kommission: “Investing in Research - an action plan for Europe” COM (2003) 226 final 9 MEDIKAMENTE FÜR MENSCHEN 13 Adipositas 16 Allergie 19 Amyotrophe Lateralsklerose 22 Atherosklerose 25 Aufmerksamkeits-Defizit-Syndrom 28 Benigne Prostatahyperplasie 30 Chronisch Entzündliche Darmerkrankungen 34 Empfängnisverhütung 37 Gicht 40 Glaukom 42 Grippe 45 Hämophilie 48 Harninkontinenz 50 Herpesvirus-Infektionen 52 Malaria 54 Nierenkrankheiten 57 Osteoarthritis 59 Periphere Arterielle Verschlusskrankheit 62 Psoriasis 64 Schmerz 68 Thrombose 72 Tuberkulose 75 Unfruchtbarkeit 78 Virushepatitis 81 Wachstumsstörungen Adipositas Bei Adipositas (oder Fettsucht) besteht ein übermass an Körperfett. Die Störung kann zu ernst zu nehmenden Gesundheitsproblemen wie Diabetes und Bluthochdruck führen. Immer mehr Menschen – auch Kinder – leiden an übermässiger Fettsucht. Bisher gibt es jedoch erst zwei Medikamente zur Behandlung der Adipositas. Weitere Arzneimittel werden zurzeit von der pharmazeutischen Industrie entwickelt. Was ist Adipositas? Bei Adipositas (Fettsucht) besteht ein zu großer Anteil an Körperfett, d.h. nicht einfach nur in Form von Übergewicht, sondern es handelt sich vielmehr um ein ernst zu nehmendes Gesundheitsproblem. Bei einigen Betroffenen ist die Adipositas auf eine andere Grunderkrankung zurückzuführen, bei vielen indessen auf eine überwiegend sesshafte Lebensweise mit wenig Bewegung und zu kalorienreichen Ernährung in Verbindung mit einer genetischen Veranlagung zur Fettsucht. Als adipös bzw. fettleibig gilt, wer einen Körpermasse-Index (Body Mass Index = BMI, definiert als das Körpergewicht in kg dividiert durch das Quadrat der Körpergröße in m) von über 30 hat. Diese Menschen verfügen über eine deutlich geringere Lebenserwartung als Gleichaltrige mit Normalgewicht, da ein Zusammenhang zwischen Adipositas und dem Auftreten von Diabetes, Hypertonie, Atherosklerose, Gallenblasenleiden, Osteoarthritis und einigen Krebsarten besteht. Adipöse Frauen haben im Vergleich zu nicht übergewichtigen Frauen ein 12 Mal so hohes Risiko, einen Typ-2-Diabetes zu entwickeln, und mehr als 85% der Patienten, bei denen ein Typ-2-Diabetes diagnostiziert wird, sind adipös. F Ü R M E N S C H E N Wer ist von Adipositas betroffen? Das Erstellen von Statistiken zur Prävalenz der Adipositas in Europa ist relativ schwierig, da diese überwiegend auf Selbstangaben beruhen, die nicht in allen, sondern nur in einigen Mitgliedsstaaten jährlich erhoben werden. Nur einige Länder fragen sowohl nach Körpergröße als auch nach Körpergewicht. In den vergangenen 20 Jahren ist die Prävalenz der Adipositas in der EU gewaltig angestiegen. In den Niederlanden haben sich die Zahlen verdoppelt, und die Daten aus Dänemark, Schweden und Norwegen M E D I K A M E N T E Abgesehen vom Erkrankungsrisiko führt die Adipositas zu einer Verschlechterung der körperlichen Funktionen und einer eingeschränkten Lebensqualität. Symptome, wie chronische Kreuzschmerzen, hängen eindeutig mit massivem Übergewicht zusammen, und die negativen Folgen für die Volkswirtschaft und den Einzelnen liegen auf der Hand. Menschen mit Adipositas verursachen weitaus mehr krankheitsbedingte Arbeitsausfalltage als Normalgewichtige. 13 zeichnen ein ähnliches Bild. In den meisten europäischen Ländern ist die Prävalenz der Adipositas sehr hoch (15-25% bei Frauen, 10-20% bei Männern) und nimmt weiterhin noch zu. In Osteuropa ist die Prävalenz der Adipositas bei Frauen mit einem Anteil von 3040% noch höher. Adipositas stellt somit überall in Europa eine erhebliche Gesundheitsgefahr dar. Sie entwickelt sich zunehmend zu einem großen Problem, da wachsender Wohlstand und mittleres Alter zusammenkommen und die Menschen sich immer weniger bewegen. Auch die zunehmende Prävalenz der Adipositas bei Kindern ist besorgniserregend. In vielen europäischen Ländern steigt die Häufigkeit der Adipositas bei Kindern im Alter von sechs Jahren am stärksten. In den einzelnen Ländern gibt es große Unterschiede zwischen der Prävalenz der Adipositas in verschiedenen Bevölkerungsgruppen. Auch die soziale Schicht und die ethnische Zugehörigkeit spielen eine Rolle: gegenüber Kindern aus Zentraleuropa ist die Prävalenz der Adipositas bei Kindern zugewanderter Eltern doppelt so hoch. Aktuelle Therapie Obwohl das Problem so weit verbreitet ist, sind in der EU bisher erst zwei Medikamente zur Behandlung der Adipositas zugelassen. Eines ist ein Lipase-Hemmer, der in Verbindung mit einer fettreduzierten Ernährung den Abbau und die Resorption von Nahrungsfett in Magen und Dünndarm verhindert. In klinischen Studien reduzierten 20% der Patienten, die das Mittel einnahmen, im Verlauf von zwei Jahren ihr Körpergewicht um mindestens 10%, während dies nur 8% der Patienten unter Placebo gelang. Das zweite verfügbare Mittel zur Behandlung der Adipositas ist ein zentral wirksamer Serotonin- und Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer. Es wird ebenfalls in Kombination mit einer fettreduzierten Ernährung eingesetzt. Das Medikament bewirkt die Gewichtsabnahme durch eine Verstärkung des Sättigungsgefühls und eine Steigerung des Stoffwechselumsatzes. Die maximale Gewichtsabnahme trat in klinischen Studien meist in den ersten sechs Monaten der Behandlung ein. Danach half der einmal täglich eingenommene Wirkstoff den Betroffenen über bis zu 18 Monate, ihr reduziertes Gewicht zu halten, während die Patienten unter Placebo rasch wieder zunahmen. M E D I K A M E N T E F Ü R M E N S C H E N Neue Wege in der Entwicklung Einige der Medikamente gegen Adipositas, die sich in der Entwicklung befinden, wirken zentral im Gehirn. Eines der bereits am weitesten fortgeschrittenen Forschungsprogramme konzentriert sich auf einen Hemmstoff der zentralen Cannabinoid-Rezeptoren, der das Hungergefühl dämpfen soll. Ein weiterer Wirkstoff, der auch zur Vorbeugung von epileptischen Anfällen eingesetzt wird, führt bei einer Behandlung über sechs Monate oder länger zu einer erheblichen Gewichtsabnahme. Diese beiden Substanzen werden derzeit in Phase 3-Studien erprobt. Eine weitere Substanz, ein selektiver Antagonist von D-1- und D-5-Dopamin-Rezeptoren, hat das klinische Entwicklungsstadium der Phase 2 erreicht. Außerdem wird ein weiterer Lipase-Hemmer ebenfalls in einer Phase-2-Studie geprüft. 14 Langzeitperspektiven Das Hunger- und das Sättigungsgefühl werden durch Peptidhormone reguliert, die vom Darm freigesetzt werden und im Gehirn ihre Wirkung entfalten. Eines dieser Hormone, das Cholezystokinin (CCK), vertreibt das Hungergefühl. In einer Phase 1-Studie wird deshalb eine Substanz geprüft, die auf die CCK-A-Rezeptoren wirkt. Auch ein natürlich vorkommendes Darmpeptid, PYY3-36, das dem Gehirn nach einer Mahlzeit signalisiert, das Hungergefühl abzustellen, könnte als neues Mittel gegen Adipositas in Frage kommen. Eine explorative Untersuchung hat gezeigt, dass die intravenöse Infusion des Peptids zu einer beachtlichen Reduktion der Kalorienaufnahme führte. Ein weiterer natürlicher Appetitzügler könnte die Fettsäure Oleylethanolamid (OEA) sein, die im Tiermodell den Hunger verringerte, die Gewichtsabnahme förderte und die Blutspiegel von Cholesterin und Triglyceriden senkte. Die Wirkung von OEA hängt von dessen Bindung an den Rezeptor PPAR-alpha ab, der damit ebenfalls als Angriffspunkt für die Entwicklung einer neuartigen Therapie dienen könnte. Ein alternativer, langfristiger Ansatz ist die Entwicklung von Medikamenten, die den Stoffwechselumsatz steigern und dadurch überschüssige Kalorien verbrennen. Zwei dieser Substanzen werden derzeit in Phase 1-Studien erprobt. 30 Jüngsten Forschungsberichten zufolge spielen neu entdeckte Mutationen des Gens für den Melanocortin-4-Rezeptor (MC4R) bei der durch übermäßiges Essen verursachten Adipositas eine Rolle, so dass MC4R als Genkandidat für die Kontrolle des Essverhaltens in Betracht gezogen werden kann. Einige Forschergruppen untersuchen MC4R bereits als Angriffspunkt für Medikamente gegen Adipositas. 20 25 15 Es sind zwar mittlerweile eine ganze Reihe von Verbindungen zur Gewichtsreduktion in der Erprobung, doch die Zulassungsbehörden nehmen auch weiterhin eine vorsichtige Haltung ein und stellen diejenigen Patienten in den Mittelpunkt, bei denen die Adipositas zu echten gesundheitlichen Risiken führt, und weniger solche, die in erster Linie aus kosmetischen Gründen abnehmen wollen. 10 5 J ap an (2 K No orea 001) rwe (20 gen 01 ) Sch ( we 1998 It iz (1 ) Fra alien 997) nkr (20 Öst eich 00) (20 er Sch reich 00) Nie wede (1999 der n (2 ) l Dä ande 001) nem (2 ark 001) Irla (200 Fin nd (1 0) nla nd 999) De Pole (200 1 uts chl n (19 ) an 9 Bel d (19 6) gie 9 6 Isla n (20 ) n 0 Spa d (2 1) Tsc 00 ni hec his Por en (2 2) che tug 0 Rep al (1 01) Slo u blik 999 wa ) kis K che ana (199 Re da ( 8) Ne publi 2001 use k ( ) ela 199 n Ver Un d (1 8) ei n igt Aust garn 997) es r Kö alien (200 0 nig reic (1999 ) Ver h ) e in igt Mex (2001 a eS taa iko (2 ) a t en 0 (19 00) 99 )a 0% Hinweis: Die Adipositas-Raten sind definiert als der Anteil der Bevölkerung mit einem Body Mass Index (BMI) über 30. (a) Für Australien, UK und USA basieren die Zahlen auf Gesundheitsuntersuchungen und nicht auf Selbstangaben. Adipositas-Raten in der Erwachsenenbevölkerung, Jahr der letzten verfügbaren Erhebung Quelle: OECD Gesundheitsdaten 2003 M E D I K A M E N T E F Ü R M E N S C H E N 15 Allergie Was ist Allergie? Allergie ist eine Überempfindlichkeit des Immunsystems unseres Körpers als Reaktion auf den Kontakt mit bestimmten Substanzen oder Antigenen, wie etwa Staub, Pollen, Speichel, Tierhaut, -federn, -haare oder -urin, Insektengifte, Inhaltsstoffe von Lebensmitteln oder Medikamenten, Kontakt mit Metallen, wie z.B. Nickel, oder Pflanzen wie Brennesseln. Die allergische Reaktion tritt beim zweiten Kontakt mit einem Antigen auf und kann dabei sofort oder verzögert ausgelöst werden. In den meisten Fällen ist die Ursache der Allergie eigentlich harmlos für den Körper. Der Begriff Allergie wurde erstmals im Jahr 1906 von dem Wiener Kinderarzt Clemens von Pirquet geprägt, nach den griechischen Bezeichnungen “allos” für veränderten Zustand und “ergon” für Reaktion oder Reaktivität. Dieser Artz hatte veränderte Reaktionen bei seinen Patienten beobachtet, die er auf den Einfluss äußerer Faktoren auf das Immunsystem zurückführte. Die schwerste Form der Allergie ist der anaphylaktische Schock, sie stellt einen medizinischen Notfall dar. M E D I K A M E N T E F Ü R M E N S C H E N Die Hauptursachen von staubbedingten Allergien sind die Ausscheidungen von Hausstaubmilben. Baum- und Gräserpollen sind die häufigste Ursache des Heuschnupfens (saisonale allergische Rhinitis). Sie können aber auch Asthma und Bronchitis verursachen. Allergien gegen Haustiere führen häufig zur Entzündungen der Augenbindehaut (Konjunktivitis) und Reaktionen der Nasenschleimhäute (Rhinitis). Der Hautkontakt mit Haustierallergenen kann zu Juckreiz und Nesselausschlag (Urtikaria) führen. Auch Medikamente, wie etwa Analgetika und Antibiotika, können Allergien hervorrufen. Allergische Reaktionen auf Insektenstiche können sehr ungünstig verlaufen und zu Symptomen wie Benommenheit, massive Gelenkschwellung, Atemnot und Unfähigkeit zu sprechen, Ohnmacht und in seltenen Fällen gar zum Tod führen. 16 Das Ekzem, das mitunter auch als atopisch bestimmten Dermatitis bezeichnet wird, tritt bei Menschen auf, die überempfindlich gegenüber Allergenen aus der Umwelt reagieren, welche für andere Menschen harmlos sind. Bei der Atopie, die vermutlich erblich ist, kommt es zu einer überschießenden Reaktion des Immunsystems mit entzündeter, gereizter und wunder Haut. Wer ist von Allergie betroffen? In Europa sind mehr als 25 Millionen Menschen von Allergien betroffen, und die Prävalenz nimmt ständig weiter zu. Bis zu 15% aller Schulkinder leiden an irgendeiner Form von Ekzem, und dazu kommen noch etwa 8% der erwachsenen Bevölkerung. Leidet bei eineiigen Zwilligen ein Zwilling an einem atopischen Ekzem, besteht eine Wahrscheinlichkeit von etwa 75%, dass auch der andere Zwilling die Erkrankung entwickelt. Bei zweieiigen Zwillingen beträgt die Wahrscheinlichkeit 30%. Es muss jedoch betont werden, dass das atopische Ekzem eine ausgesprochen individuelle Erkrankung ist, weshalb es so schwierig ist, dagegen ein “Allheilmittel” zu finden. Aktuelle Therapie Die Verabreichung zunehmender Konzentrationen von Allergenen zur Desensibilisierung bei sensibilisierten Patienten wurde in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts etabliert. Diese “Impfung” mit verschiedenen Antigenen wird seither verwendet, um Patienten mit allergischer Rhinitis, Konjunktivitis, Asthma oder Insektenstichallergien zu desensibilisieren. In den vergangenen 20 Jahren hat die Molekularbiologie mit dem Einsatz von rekombinanter DNA die Technologie zur Großproduktion von hochgereinigten Allergenen bereitgestellt. Bis vor kurzem waren die Wirkungsmechanismen der Desensibilisierung durch die “Impfung” noch völlig unklar. Inzwischen geht man allgemein davon aus, dass die klinische Besserung durch Veränderungen in der Funktion der T-Lymphozyten bewirkt wird. Zur Behandlung von allergischen Reaktionen werden häufig Analgetika eingesetzt, um die Schmerzen zu lindern, Anticholinergika und Adrenalin als abschwellende Mittel und Antihistaminika zur Linderung oder Eindämmung der histamininduzierten Entzündungsreaktionen. Beta2-Sympathomimetika werden allgemein als Bronchodilatatoren zur Behandlung von Asthma verordnet. In schwereren Fällen werden Corticosteroide entweder lokal oder systemisch angewendet. Die Entwicklung von inhalierbaren Corticosteroiden hat das Sicherheitsprofil dieser Präparate stark verbessert. Darüberhinaus können Patienten mit mastzellstabilisierenden Präparaten behandelt werden. Die Behandlung mit Theophyllin spielt eine wichtige Rolle beim exogen-allergischen Asthma, dem sogenannten extrinsic asthma. Alle diese Medikamente bewirken allein oder in Kombination zwar oftmals eine Linderung der Symptome, beseitigen aber nicht die der Allergie zugrundeliegenden Pathomechanismen. Allergen Rekrutierung verschiedener Entzündungszellen in der Haut Epidermis CKs Langerhans-Zelle Zellteilung Dermis Blutgefäß Lymphknoten T-Zellen Mechanismus der Sensibilisierung bei allergischer Dermatitis oder Kontaktdermatitis M E D I K A M E N T E Beim atopischen Ekzem umfasst die Behandlung neben der Beseitigung oder Vermeidung von Allergenen in der häuslichen Umgebung die Anwendung von feuchten Umschlägen in akuten Fällen, Cremes und Salben zur Erhaltung der Hautfeuchtigkeit sowie orale Antihistaminika und topische Steroide zur Entzündungshemmung. In schweren Fällen werden auch orale Steroide verordnet. Wenn Eltern oder Geschwister eines Säuglings an einer atopischen Allergie leiden, empfiehlt es sich, in den ersten Lebensmonaten stark allergene Lebensmittel zu meiden. Es hat sich auch gezeigt, dass das Stillen vor der Erkrankung schützen oder ihre Entwicklung verzögern kann. Für das kindliche atopische Ekzem sind mit den neuen topischen Immunmodulatoren in Form von Salben oder Cremes die ersten neuen Behandlungsmöglichkeiten seit 40 Jahren eingeführt worden. Eine Allergie liegt vor, wenn das Immunsystem des Körpers beim Kontakt mit bestimmten Substanzen wie etwa Staub, Pollen, Tierhaaren oder Metallen überreagiert. In Europa sind Millionen von Menschen betroffen. Die pharmazeutische Industrie erforscht die komplexen Mechanismen der Überempfindlichkeit, um Arzneimittel zur Linderung der durch Allergien verursachten Leiden zu entwickeln. F Ü R M E N S C H E N Neue Wege in der Entwicklung Der spezielle Rezeptor, welcher für die physiologische Funktion des Histamins verantwortlich ist, wurde in den 60er Jahren identifiziert. Nach der Entdeckung des H1Rezeptors wurden in den folgenden beiden Jahrzehnten der H2- und der H3-Rezeptor identifiziert. Im Jahr 2000 konnten Forscher ein viertes Mitglied dieser Rezeptorfami- 17 lie nachweisen. Der H4-Rezeptor spielt möglicherweise bei der histamininduzierten Chemotaxis von Mastzellen eine Rolle. Eine Reihe von H4-Histaminrezeptoren werden mit Blick auf potenzielle Anwendungen in der Behandlung von allergischen Erkrankungen einschließlich Asthma erforscht. Neue Daten über die Rolle von Interleukin 4 und Interleukin 5, die entweder die Entzündung im Gewebe fördern oder zur Bildung von Immunglobulin E erforderlich sind, haben zur Entwicklung von löslichen Interleukin-4-Rezeptoren und monoklonalen Antikörpern gegen Interleukin 5 sowie einem Antikörper gegen Immunglobulin E geführt. Außerdem haben Forschungsarbeiten die wichtige Rolle der Th2-Untergruppe von T-Zellen und ihrer entsprechenden Zytokine bei allergischen Erkrankungen aufgezeigt. Die unlängst eingeführten Leukotrien-Inhibitoren sind die erste neue Klasse von Medikamenten zur Behandlung des Asthmas in den letzten zwanzig Jahren. Eine weitere Strategie ist die Unterbindung der Migration von Effektorzellen wie z.B. Mastzellen, eosinophilen Leukozyten und Th2-Zellen durch die Blockade von Chemokinrezeptoren mit geeigneten kleinen Molekülen. Die Chemokinrezeptoren CCR3, CCR4 und CCR8 werden bevorzugt von diesen Zellen exprimiert und sind deshalb viel versprechende therapeutische Ansatzpunkte. Antagonisten hierfür können Antikörper, Antisense-Moleküle und Inhibitoren auf Eiweißbasis sein. Zur symptomatischen Behandlung der saisonalen allergischen Rhinitis konzentriert sich die Forschung auch auf Purinrezeptor-P2Y2-Antagonisten, die intranasal verabreicht werden. Die bisher verfügbaren topischen Immunmodulatoren sind noch auf die Anwendung bei Kindern ab dem zweiten Lebensjahr beschränkt. Da die meisten Fälle von atopischem Ekzem jedoch bereits vor dem Alter von zwei Jahren diagnostiziert werden, wird intensiv an der Sicherheit der Substanzen bei Säuglingen geforscht. In der Entwicklung sind außerdem Salbenformulierungen für alle Stadien von allergischen Erkrankungen, und bis zum Jahr 2006 stehen dann die Präparate hoffentlich in Tablettenform für das mittelschwere bis schwere Ekzem zur Verfügung. Für das kindliche Ekzem (atopische Dermatitis) und das Asthma werden Präparate auf der Basis von Mycobacterium vaccae bereits in der Phase 2 geprüft. Sie werden als intradermale Injektion verabreicht und sollen das Immunsystem stimulieren. M E D I K A M E N T E F Ü R M E N S C H E N Langzeitperspektiven Die Mechanismen, die bei Allergie zur überschießenden Bildung von allergenspezifischem Immunglobulin E und zur Aktivierung der Effektorzellen führen, sind hochkomplex und vielschichtig. Eine optimale Behandlungsstrategie würde die zugrundeliegenden Entzündungsprozesse dauerhaft modifizieren und damit die Symptome langfristig lindern. Die größte Herausforderung bei den Ansätzen zur Blockade von Immunglobulin E ist die Hemmung der IgE-Aktivität, ohne die Degranulierung von Mastzellen auszulösen. Inzwischen sind bereits nicht-anaphylaktogene monoklonale Antikörper entwickelt worden. 18 Zu den neuen Strategien für die immuntherapeutische “Impfung” zählen auch Methoden zur Modifikation der Allergenerkennung durch das Immunsystem des Patienten. Solche Methoden sind die Allergenmodifikation, die Immunisierung gegen Allergene, die kontrollierte Immunstimulation und die Peptid-Immuntherapie. Die spezifische Immuntherapie wird sehr wahrscheinlich durch nicht-allergenspezifische Angriffspunkte wie Rezeptoren, Zytokine und Immunoglobulin E ergänzt werden. Amyotrophe Lateralsklerose F Ü R M E N S C H E N Motoneuronen verlaufen vom Gehirn zum Rückenmark und vom Rückenmark zu den Muskeln im ganzen Körper. Wenn Motoneuronen zugrunde gehen, verliert das Gehirn die Fähigkeit, Muskelbewegungen einzuleiten und zu steuern. Die Patienten suchen zunächst wegen eines hartnäckigen Muskelzuckens, Muskelermüdung oder auch wegen Muskelschwund einen Arzt auf. Die Beschwerden beginnen meist in den Händen oder Unterschenkeln und gehen oft mit Krämpfen einher. Mit fortschreitender ALS leiden die Patienten an zunehmender Bewegungseinschränkung und sind nicht mehr fähig, sich selbst anzuziehen, selbst zu essen, sich aufzusetzen, zu gehen oder gar zu sprechen. Die Körperfunktionen, die bis zum Tod oder bis kurz davor unversehrt bleiben, sind die Kontrolle der Blasenentleerung und des Stuhlgangs, die M E D I K A M E N T E Was ist amyotrophe Lateralsklerose? Die amyotrophe Lateralsklerose (ALS) ist eine tödlich endende, fortschreitende neurodegenerative Erkrankung, die spezialisierte Nervenzellen in Rückenmark und Gehirn, so genannte Motoneuronen, befällt, die willkürliche Muskelbewegungen steuern. Die ALS wird auch als Lou-Gehrig-Krankheit, Charcot-Krankheit oder Motor Neurone Disease (MND) bezeichnet. Lou Gehrig war ein amerikanischer Baseball-Star, der an der Erkrankung starb. Dr. Jean-Martin Charcot, ein französischer Neurologe, beschrieb die ALS im Jahr 1869. Er stellte als erster einen Zusammenhang der Symptome der Krankheit mit einer bestimmten Gruppe von betroffenen Nerven her - den Motoneuronen oder motorischen Nervenzellen, die im Rückenmark entspringen. “Amyotroph” bezeichnet den Verlust von Muskelmasse, “lateral” bezieht sich auf die beiderseits des Rükkenmarks verlaufenden Nervenbahnen, in denen viele der von ALS betroffenen Neurone zu finden sind. Der Begriff “Sklerose” schließlich bezieht sich auf das Narbengewebe, das nach dem Zerfall der Nerven zurückbleibt. Die amyotrophe Lateralsklerose ist eine fortschreitende Erkrankung motorischer Nerven in Rückenmark und Gehirn. In Zuge des Krankheitsverlaufs können sich die Patienten immer weniger bewegen, bleiben aber geistig rege. Die Forschung arbeitet weiter daran, die Ursache aufzuspüren und Medikamente zu entwikkeln, die die Lebensqualität der Patienten mit dieser folgenschweren Krankheit verbessern können. 19 sexuelle Funktion, die Augenbewegung und der Intellekt. Im Allgemeinen haben die Patienten nach der Diagnose noch eine Lebenserwartung von drei bis fünf Jahren. Der Tod tritt gewöhnlich durch Atemlähmung ein. Wer ist von amyotropher Lateralsklerose betroffen? Die ALS kann zwar jeden betreffen, sie tritt aber überwiegend im Alter zwischen 40 und 70 Jahren und bei Männern um etwa 20% häufiger als bei Frauen auf. Die Ursache der Krankheit ist noch unklar. Etwa 10 % aller Fälle von ALS sind erblich bedingt. Davon wiederum werden 20% durch Mutationen in einem Gen auf dem Chromosom 21 mit der Bezeichnung SOD1 verursacht. Mehr als 60 Mutationen, bzw. Strukturfehler des Enzyms SOD (Superoxiddismutase) sind festgestellt worden. Sie alle beeinträchtigen die Fähigkeit des Enzyms, vor einer Schädigung der Motoneuronen zu schützen. Etwa 90% aller Fälle in der allgemeinen Bevölkerung sind sporadisch und haben keine bekannte Ursache. Die ALS kommt weltweit vor und kennt keine rassischen, ethnischen oder sozioökonomischen Grenzen. Die ALS ist nicht ansteckend. Bei einer Inzidenz von zwei Fällen pro 100.000 Einwohnern werden in Europa jedes Jahr schätzungsweise etwa 10.000 neue Fälle diagnostiziert. Insgesamt leiden bis zu 50.000 Europäer an der Erkrankung. M E D I K A M E N T E F Ü R M E N S C H E N Aktuelle Therapie Die Behandlung der ALS zielt bislang auf die Linderung der Symptome, die Prävention von Komplikationen und die Erhaltung einer optimalen Funktion und Lebensqualität ab. Dennoch werden die Patienten im Spätstadium der Erkrankung zum Pflegefall. Sie sind zwar geistig klar, leiden aber an Tetraplegie ohne Beeinträchtigung der sensorischen Funktionen, sind ans Bett gefesselt und wissen, dass sie sterben werden. Das erste Medikament, das den Verlauf der ALS beeinflussen kann, steht seit 1995 zur Verfügung. Der Glutamatantagonist scheint das Leben von Patienten mit ALS zu verlängern, und neuere Studien deuten darauf hin, dass die Substanz auch das Fortschreiten der Krankheit verlangsamt, so dass die Patienten länger in einem besseren Funktionszustand verbleiben. Unlängst hat ein katalytisches Antioxidans, das freie Sauerstoffradikale unschädlich macht, den Status als Orphan Drug (Arzneimittel gegen seltene Krankheiten) zur Behandlung von Patienten mit ALS erhalten. 20 Neue Wege in der Entwicklung Es ist festgestellt worden, dass transgene Mäuse mit ALS länger leben, wenn sie mit einem Tetracyclin-Antibiotikum oder dem Nahrungsergänzungsstoff Creatin behandelt werden. Forschungen haben ergeben, dass das Antibiotikum ein “Selbstmord”Programm (neuronale Apoptose) der Zellen stoppt. Im Rahmen der Apoptose werden Stickoxyd und das Enzym Caspase aktiviert. Beide Prozesse sind vermutlich auch am Krankheitsgeschehen bei ALS beteiligt. Andere Wissenschaftler haben nachgewiesen, dass das Antibiotikum besser wirkt, wenn es mit einem Kalziumkanalblocker und einem Glutamatantagonisten kombiniert wird. Deshalb werden zurzeit verschiedene Kombinationstherapien auf ihre Wirksamkeit bei Patienten mit ALS erprobt. Ein Inhibitor des neuronalen GAPDH-abhängigen programmierten Zelltods wird in Phase 3- Studien geprüft. Außerdem sind klinische Studien mit einem Antiöstrogen und einem COX-2-Hemmer begonnen worden. Langzeitperspektiven Bei Mäusen konnte gezeigt werden, dass die Einschleusung des Gens für den Nervenwachstumsfaktor “glial-derived neurotrophic factor” oder GDNF das Fortschreiten der ALS bei den Tieren verlangsamt. Gleiches gilt für die Gene, die für das GlutamatTransportprotein codieren. Die Einschleusung zusätzlicher Gene für das Protein könnte ein Ansatz sein, um den Botenstoff Glutamat des Nervensystems aus dem Bereich um die Nervenzellen zu beseitigen. Übermäßig viel Glutamat spielt vermutlich bei ALS eine Rolle. Darüber hinaus hat sich in Laborversuchen herausgestellt, dass Gendefekte in einem Zellversorgungsweg eine ähnliche Erkrankung wie die ALS beim Menschen verursachen. Diese Erkenntnis legt nahe, dass die Blockade des für den Transport von Nährstoffen und Wachstumsfaktoren in den Nervenzellen erforderlichen Versorgungswegs ein ausschlaggebender Faktor für die Entwicklung der Krankheit sein könnte. Motoneuronen unterscheiden sich von anderen Nervenzellen im Körper durch die bemerkenswerte Länge ihrer Fortsätze oder Axone von bis zu einem Meter. Deshalb sind Motoneuronen besonders stark angewiesen auf aktive axonale Transportprozesse vom Zellkörper zu den neuromuskulären Synapsen und umgekehrt. Forscher haben herausgefunden, dass der Transport weg vom Zellkörper bestimmte motorische Proteine, so genannte Kinesine, erfordert, während der Transport hin zum Zellkörper auf dem motorischen Protein Dynein und dessen Aktivator Dynactin basiert. Molekulare Abwandlungen dieser Proteine könnten in Zukunft neue Möglichkeiten zum besseren Verständnis und zur Behandlung der ALS eröffnen. Alle diese Untersuchungen haben wichtige Erkenntnisse über die Mechanismen des Zelltodes von Motoneuronen bei ALS erbracht. M E D I K A M E N T E F Ü R M E N S C H E N 21 Atherosklerose M E D I K A M E N T E F Ü R M E N S C H E N Was ist Atherosklerose? Der mitunter auch als Atheromatose oder Arteriosklerose bezeichnete Prozess ist eine Degeneration der Arterienwand, die in ihrem Frühstadium durch Fettablagerungen (Plaques) gekennzeichnet ist, an denen sich Blutgerinnsel bilden können (SIEHE ABBILDUNG 1). In den späteren Stadien kommt es dann zu einer Verdickung der Arterienwände mit eingeschränktem Blutfluss. Bei den Koronararterien des Herzens führen Plaques zu einer Funktionsstörung der Innenwand (Endothel) der Arterien und prädisponieren die Betroffenen für Herzschmerzen (Angina pectoris) und Herzinfarkt, während Plaques in den Hals- und Kopfarterien das Risiko von zerebrovaskulären Erkrankungen, wie präsenile Demenz und Schlaganfall, erhöhen. 22 In den Arterien der Gliedmaßen können Plaques eine periphere arterielle Verschlusskrankheit verursachen. Die Plaques in den Arterien sind deshalb ein Problem, weil sie den Widerstand im Blutkreislauf erhöhen, so dass das Herz mehr Arbeit leisten muss. Dies trägt zur Entwicklung von Bluthochdruck und Herzinsuffizienz bei. Die Plaques behindern außerdem die Sauerstoffversorgung lebenswichtiger Organe und verursachen dadurch schwere Kreislaufprobleme. Darüber hinaus sind die Plaques bevorzugte Stellen für die Bildung von Blutgerinnseln, die sich als Embolus ablösen und einen akuten Gefäßverschluss verursachen können. Die Plaquebildung beginnt bereits in jungen Jahren. Erste Anzeichen, so genannte ‘fatty streaks’, finden sich sogar schon in den großen Arterien von Dreijährigen, und 77% der gefallenen Soldaten mit einem Durchschnittsalter von 22 hatten ausgedehnte Plaques. Es sieht so aus, als ob jeder Mensch solche Plaques in seinen Arterien hätte, doch wichtig sind der Schweregrad und die Geschwindigkeit der Plaquebildung. Es gibt verschiedene Theorien zur Entstehung von Plaques. Eine geht davon aus, dass es sich um eine Reaktion auf Verletzungen der Gefäßwand durch erhöhtes Cholesterin, Substanzen aus Zigarettenrauch, erhöhten Blutdruck oder Diabetes handelt. Es besteht zweifellos eine enge Korrelation zwischen diesen Faktoren, dem Alter und dem Anteil der von Plaques bedeckten Gefäßwand. Wer ist von Atherosklerose betroffen? Der Verschluß von Blutgefäßen durch Plaques oder Blutgerinnsel ist eine der wichtigsten Krankheits- und Todesursachen in Europa. Kardiovaskuläre Erkrankungen sind hier für etwa 40% aller Todesfälle verantwortlich. Aktuelle Therapie Eine gesunde Lebensweise kann zur Vorbeugung der Plaquebildung beitragen, wie auch die Behandlung der damit einhergehenden Erkrankungen. Die Cholesterin- und Triglyceridspiegel lassen sich häufig durch diätetische Maßnahmen senken, doch einigen Betroffenen fällt es schwer, eine Diät einzuhalten, oder sie haben eine erbliche Veranlagung zu hohen Cholesterinspiegeln im Blut. Diese Menschen bedürfen einer aktiven Therapie. Die Hauptklassen von Medikamenten zur Senkung hoher Cholesterinspiegel sind Gallensäurebinder (Ionenaustauscherharze), Fibrate und Statine. Gallensäurebinder gibt es seit fast 30 Jahren. Sie binden Gallensäuren während der Verdauung im Darm, so dass diese vom Körper nicht verwertet werden können. Der Körper synthetisiert deshalb mehr Gallensäuren, wobei Cholesterin aus dem Blut verbraucht wird. Dadurch kann eine Cholesterinsenkung von 15 bis 30% erreicht werden. Durch diese Präparate ist jedoch auch die Resorption der fettlöslichen Vitamine A, D und K beeinträchtigt, und die im Blut zirkulierenden Spiegel vieler anderer Medikamente, die gleichzeitig verabreicht werden, können beeinflusst werden. Dies kann zu Dosierungsproblemen führen. Atherosklerose ist ein krankhafter Prozess, bei dem Fettablagerungen zur fortschreitenden Verstopfung der Arterien führen. Dies kann Herzinfarkte, Schlaganfälle, vorzeitige Demenz und andere schwere Erkrankungen nach sich ziehen. Die pharmazeutische Forschung hat Medikamente entwikkelt, die die Blutfette senken. Diese Medikamente haben Millionen von Menschenleben gerettet. Es wird erwartet, dass die Forschung zukünftig zu noch wirksameren Therapien führen wird. Fibrate bewirken offenbar eine Modulation des Lipidgleichgewichts im Blut. Über einen längeren Zeitraum konnte eine Senkung des Cholesterinspiegels von 5-15% nachgewiesen werden. Mehrere Vertreter dieser Substanzklasse werden zur Behandlung von Risikopatienten eingesetzt, deren erhöhte Lipidspiegel auf diätetische Maßnahmen und andere Medikamente nicht ansprechen. Die bekannteste Arzneimittelklasse sind die Statine. Diese Wirkstoffe blockieren einen Schlüsselschritt der Cholesterinsynthese und senken die Cholesterinspiegel um 30% oder mehr. Je mehr Erfahrungen man mit diesen Medikamenten macht, umso deutlicher wird, dass sie über ihre ursprünglichen Indikationen hinaus möglicherweise noch viele andere klinisch relevante Wirkungen haben. Jüngste Studien legen nahe, dass diese Substanzen das Risiko für eine präsenile Demenz, Schlaganfälle oder einen zweiten Herzinfarkt senken können. Die Zulassung für die neuen, erweiterten Indikationen bei kardiovaskulären Erkrankungen steht jedoch noch aus. F Ü R M E N S C H E N Inhibitoren des Enzyms Acyl-CoA:Cholesterin-Acyltransferase (ACAT) sind eine neue Klasse von antiatherosklerotischen Präparaten, die derzeit in der Entwicklung sind. Sie sind zur Prävention des Fortschreitens der Atherosklerose entwickelt worden und bewirken eine rasche Senkung der Triglyceride und des LDL-Cholesterins. Im Tiermodell hat sich gezeigt, dass eine Kombination eines Statins mit dem neuen Wirkstoff tatsächlich zu einer Rückbildung von atherosklerotischen Plaques führt. Die Studien mit anderen ACAT-Inhibitoren sind weniger weit fortgeschritten. M E D I K A M E N T E Neue Wege in der Entwicklung Die Erforschung der Statine geht weiter, und einige neue Wirkstoffe dieser Klasse sind zur Zulassung bei den Behörden eingereicht worden. Wie mehrere Vergleichsuntersuchungen gezeigt haben, bewirken die neueren Substanzen eine stärkere Senkung des Low-Density-Lipoprotein (LDL) - Cholesterins als die bisher zugelassenen Medikamente. 23 Eine weitere Substanz zur Hemmung der Cholesterinaufnahme aus Nahrung und Galle im Darm wurde Ende 2002 in den USA und in Europa zugelassen. Es handelt sich um einen Vertreter der ersten neuen Arzneimittelklasse zur Behandlung hoher Cholesterinspiegel seit 15 Jahren. Die Zulassung des neuen Wirkstoffs als fixe Kombination mit einem Statin für die unterstützende Behandlung neben einer Diät bei Patienten mit primärer Hypercholesterinämie steht kurz bevor. Diese Kombinationstherapie dürfte dazu führen, dass die Patienten weniger Tabletten einnehmen müssen. Ein ganz neuer Ansatz ist eine Substanz, die die Abspaltung eines Moleküls von LDL verhindert, das vermutlich den Entzündungsprozess im Frühstadium der Plaquebildung auslöst. High-Density-Lipoprotein (HDL) schützt vermutlich vor Atherosklerose, indem es Cholesterin von den Gefäßwänden zum Abbau in die Leber transportiert. Die wichtigste Proteinkomponente von HDL ist das Apolipoprotein A-1. Klinische Studien hierzu befinden sich in der Phase 2, ebenso wie ein Komplex aus einem 22-Aminosäuren-Peptid und Lipiden, der die biologischen Eigenschaften von Apo A-1 imitiert. Darüber hinaus werden so genannte ‘PPAR-Modulatoren’ erforscht. Und eine weitere neue Substanzklasse, die Inhibitoren des mikrosomalen Triglycerid-Transportproteins (MTP), wird ebenfalls in klinischen Studien der Phase 2 geprüft. Unlängst berichteten Forscher über eine Reihe von oral wirksamen Verbindungen mit zweifacher Wirkung, die sowohl LDL als auch Lipoprotein(a) senken, zwei unabhängige Risikofaktoren für kardiovaskuläre Erkrankungen. Weitere Substanzen werden entwickelt, um erniedrigte HDL-Spiegel zu erhöhen, was vermutlich ebenfalls dazu beitragen könnte, den Prozess der Atherosklerose aufzuhalten. Langzeitperspektiven Die Fortschritte beim Verständnis des Prozesses der Atherosklerose haben zur Entwicklung von zahlreichen neuen Wirkstoffen geführt, die nicht nur an den Blutfetten, sondern direkt an anderen Komponenten der Plaques angreifen. ACAT-Inhibitoren sind ein Beispiel für Substanzen, die direkt in das Geschehen der Plaquebildung eingreifen. Die Hoffnung für die Zukunft wären Medikamente, die nicht nur das Fortschreiten der Atherosklerose verlangsamen, sondern sogar zu ihrer Rückbildung führen. Endothel Mittlere Schicht der Arterienwand M E D I K A M E N T E F Ü R M E N S C H E N Innere Schicht der Arterienwand 24 Erkrankte Arterie mit entstehendem Plaque Matrix Monozyten lagern sich am geschädigten Endothel an Fettpool Freisetzung von Stickoxyd entspannt Muskelzellen und erweitert die Arterie Plaque Muskelzellen wandern zur Innenschicht Blutgerinnsel bildet sich über einem Riss im Endothel ABB. 1: Schematischer Arterie Querschnitt durch eine gesunde und eine atherosklerotisch veränderte AufmerksamkeitsDefizit-Syndrom Das AufmerksamkeitsDefizit-Syndrom (ADS) ist die häufigste psychiatrische Erkrankung bei Kindern. Sie kann die Erziehung und Entwicklung eines Kindes sehr stark beeinträchtigen. Im Rahmen der Forschung in der pharmazeutischen Industrie werden zunehmend neue und bessere Medikamente entwickelt, um das Leben der betroffenen Kinder und ihrer Eltern und Betreuer zu erleichtern. Was ist das Aufmerksamkeits-Defizit-Syndrom? Das Aufmerksamkeits-Defizit-Syndrom (ADS) ist die häufigste psychiatrische Erkrankung der Kindheit. Kennzeichnend für das ADS ist, dass es bereits in früher Kindheit auftritt. Untersuchungen haben inzwischen ergeben, dass das ADS bereits bei Kindern im Alter von vier Jahren diagnostiziert werden kann. Die Krankheit geht mit hyperaktivem, ungenügend reguliertem Verhalten einher, in Verbindung mit mangelnder Fähigkeit zur Konzentration auf eine Aufgabe. Es wird allgemein angenommen, dass Anomalien im Organsystem des Körpers eine entscheidende Rolle bei der Entwicklung des ADS spielen, doch bisher ist noch keine spezifische Ursache bekannt. F Ü R M E N S C H E N Wer ist vom Aufmerksamkeits-Defizit-Syndrom betroffen? Die Krankheit ist bei Jungen zwischen sechs und 12 Jahren sechs- bis neunmal so häufig wie bei Mädchen, kann aber sowohl bei Schulkindern als auch bei Erwachsenen auftreten. Bei Erwachsenen scheint die Störung unter Frauen und Männern gleichmäßig verteilt zu sein. Zu den Komplikationen bei Erwachsenen zählen Drogenmissbrauch, risikoreiches und antisoziales Verhalten sowie Unfälle, doch die Diagnose ist problematisch, weil es noch keine allgemein anerkannte klinische Definition der Erkrankung bei Erwachsenen gibt. Das ADS liegt Schätzungen zufolge bei etwa 1,5% der europäischen Bevölkerung vor, und die Verbreitung nimmt weiter zu. Es ist unklar, M E D I K A M E N T E Das ADS kann die Erziehung, Entwicklung und das Selbstwertgefühl eines Kindes stark beeinträchtigen. Die Patienten leiden an Unaufmerksamkeit, Hyperaktivität, Impulsivität, mangelnden schulischen Leistungen. Auch treten Verhaltensprobleme auf wie impulsive Übertretung von Grundregeln menschlichen Zusammenlebens. Die Krankheit wird verhaltensbezogen definiert und diagnostiziert. Ihre Diagnose erfordert die direkte Befragung von Eltern, Betreuern und Lehrern bezüglich der Hauptsymptome der Krankheit. 25 ob es sich dabei tatsächlich um eine zunehmende Häufigkeit des ADS handelt oder ob sich nur die Diagnosemöglichkeiten mit der Zeit verbessert haben. Es mehren sich die Hinweise darauf, dass genetische Faktoren beim ADS eine wichtige Rolle spielen. Unter den Verwandten von Jungen und Mädchen mit ADS ist die Erkrankungshäufigkeit sehr viel höher. In einer Zwillingsstudie war bei 90% der Zwillingskinder mit ADS auch der andere Zwilling betroffen. Aktuelle Therapie Die meisten Experten vertreten einen multimodalen Therapieansatz für Kinder mit ADS. Dieser umfasst die Verhaltensmodifikation, Medikamente, psychotherapeutische und schulische Therapieansätze. Ein wichtiger Aspekt der Behandlung besteht darin, die Kinder zu guten und konstanten Leistungen in der Schule anzuhalten. Was die medikamentöse Behandlung betrifft, so haben sich in kontrollierten klinischen Studien Psychostimulanzien als Mittel der Wahl beim ADS herausgestellt. Die Untersuchungen haben gezeigt, dass diese Medikamente bei etwa 70% der Patienten wirksam sind. Kurz wirksame Stimulanzien haben einen schnellen Wirkungseintritt und ihre Wirkung hält etwa vier Stunden an. Lang wirksame Stimulanzien haben einen langsameren Wirkungseintritt und werden mit kurz wirksamen Präparaten kombiniert. M E D I K A M E N T E F Ü R M E N S C H E N Darüber hinaus werden Antidepressiva mit noradrenerger Wirkung allein oder unterstützend neben Stimulanzien eingesetzt. Trizyklische Antidepressiva werden häufig als Zusatzbehandlung verordnet, um Schlaf und Appetit des Patienten zu verbessern. Wenn eine Depression vorliegt, ist eine Therapie mit einem Antidepressivum in Betracht zu ziehen. Weitere Medikamente, die in Kombination mit Psychostimulanzien verwendet werden, sind Alpha2-Blokker, um Emotionen und Verhaltensweisen zu modulieren, die mit Stimulanzien angeregt werden. Auch Betablocker und niedrige Dosen bestimmter Antikonvulsiva können eine Hilfe sein. Wenn der Patient ein extremes und aufsässiges Verhalten zeigt, sollte eine Therapie mit Beruhigungsmitteln in Erwägung gezogen werden. 26 Neue Wege in der Entwicklung Jüngste Erkenntnisse deuten darauf hin, dass das ADS wie alle normalen und krankhaften Verhaltensweisen, Gedanken und Emotionen seine Ursachen im Zentralnervensystem hat. Die neuesten Forschungsergebnisse legen nahe, dass das ADS mit einer Erkrankung der rechten Hirnhälfte im Zusammenhang steht. Untersuchungen mit bildgebenden Verfahren bei ADS-Patienten haben gezeigt, dass der präfrontale Kortex (der vermutlich die Fähigkeit des Gehirns zur Hemmung von Reaktionen reguliert) weniger aktiv im Vergleich zu einer Kontrollgruppe war. Außerdem wird vermutet, dass Bereiche im Hirnzentrum, die Befehle aus dem präfrontalen Kortex beschleunigen oder anhalten, bei ADS-Patienten möglicherweise funktionsgestört sind und die Fähigkeit der Betroffenen zur Steuerung ihrer Handlungen beeinträchtigt ist, so dass es zu dem für ADS-Patienten typischen impulsiven Verhalten kommt. Besonders intensiv wird der Neurotransmitter Dopamin erforscht. Studien haben gezeigt, dass bei Patienten mit ADS die Dopaminspiegel verändert sind, so dass die Wirkung von Dopamin in den präfrontalen Hirnlappen gehemmt wird. Auch ein Mangel des biochemischen Transmitters Noradrenalin im Gehirn könnte eine wichtige Rolle beim ADS spielen. Derzeit laufen klinische Studien mit einem Blocker des Transportsystems für Noradrenalin. Außerdem zeigen erste Untersuchungen mit einer Substanz, die ansonsten zur Behandlung von Patienten mit Narkolepsie eingesetzt wird, dass dieser Wirkstoff auch bei Erwachsenen und Kindern mit ADS helfen könnte. Darüberhinaus werden sogenannte zentrale Cholinesterasehemmer zur Behandlung des ADS untersucht. Andere Erkenntnisse legen nahe, dass Nikotin die ADS-Symptomatik verbessert. Solche Erkenntnisse sollten niemanden zum Rauchen ermutigen, zeigen aber neue Wege zur Behandlung von erwachsenen Patienten mit Raucherentwöhnungspflastern auf. Langzeitperspektiven Die Forschung und Entwicklung von Medikamenten gegen das ADS stehen noch ganz am Anfang. Das ADS ist erst seit 1998 allgemein als psychische Erkrankung anerkannt, obwohl das Krankheitsbild noch nicht vollständig und präzise beschrieben ist. Da 60% der Kinder mit ADS auch als junge Erwachsene noch Symptome zeigen und deshalb als chronisch krank zu betrachten sind, besteht ein Bedarf an neuen und besseren Medikamenten und Darreichungsformen, auch um die Therapietreue der Patienten zu verbessern. M E D I K A M E N T E F Ü R M E N S C H E N 27 Benigne Prostatahyperplasie Was ist benigne Prostatahyperplasie? Die benigne Prostatahyperplasie (BPH) ist eine Vergrößerung des Volumens der Prostata um mehr als 30 cm3 . Dadurch wird die Harnröhre eingeengt und das Wasserlassen erschwert. Die Gefahr einer Harnverhaltung nimmt zu, und diese wiederum kann zur Entwicklung einer chronischen Prostatitis durch bakterielle Infektion, vor allem mit Escherichia coli, Enterococcus faecalis und Staphylococcus epidermidis, führen. Die Entwicklung der benignen Prostatahyperplasie hängt mit der altersbedingten Abnahme der männlichen Geschlechtshormone zusammen. M E D I K A M E N T E F Ü R M E N S C H E N Wer ist von benigner Prostatahyperplasie betroffen? In Europa ist die BPH die häufigste Ursache von Miktionsbeschwerden bei Männern. Bei 75% der Männer über 50 Jahre ist eine Prostatavergrößerung erkennbar, und bei 30% der Männer in den 60ern können klinische Symptome auftreten. In der Altersgruppe der über 90-Jährigen steigt der Anteil der Männer mit klinischen Beschwerden auf nahezu 100%. Die bakterielle Prostatitis verursacht jährlich etwa zwei Millionen ambulante Arztbesuche. 28 Aktuelle Therapie Eine akute Harnverhaltung erfordert häufig eine Katheterisierung. Unter normalen Umständen bleibt der Katheter für einige Tage liegen. Wenn dies nicht zum Erfolg führt, kann eine Prostataoperation erforderlich sein. Auch wenn letztendlich ein chirurgischer Eingriff notwendig ist, gibt es wirksame Medikamente, die zunächst einmal zur Linderung der Symptome der BPH eingesetzt werden können. Die wichtigste Arzneimittelklasse für diesen Zweck sind die Alpha-Rezeptorenblocker. Sie blockieren Rezeptoren in den Muskeln, die die Blasenentleerung kontrollieren, und verbessern dadurch den Urinfluss. Selektive Alpha-Rezeptorenblocker haben einen schnellen Wirkungseintritt und sind für die symptomatische Therapie der BPH angezeigt. Sie sind allgemein gut verträglich, obwohl einige dieser Präparate Schwindel hervorrufen oder den Blutdruck beeinträchtigen können. Durch die Linderung der Symptome wird jedoch nicht die eigentliche Ursache, nämlich die Prostatavergrößerung, behandelt. Zu diesem Zweck wurde vor einigen Jahren ein erster Wirkstoff eingeführt, der den Typ 2 des Enzyms 5-Alpha-Reduktase hemmt. Dieses Enzym wandelt Testosteron, das männliche Geschlechtshormon, in das wirksamere Dihydrotestosteron (DHT) um, das die Prostatavergrößerung verursacht. Die Hemmung dieses Enzyms verringert die Bildung von DHT, so dass die vergrößerte Pro- stata wieder schrumpft. Häufig muss das Präparat jedoch sechs Monate oder länger eingenommen werden, bevor die volle Wirksamkeit beurteilt werden kann. Im März 2003 wurde ein zweiter 5-Alpha-Reductase-Hemmer in Europa zugelassen, der sowohl den Typ 1 als auch den Typ 2 des Enzyms 5-Alpha-Reductase hemmt und dadurch die Bildung von DHT besonders stark unterdrückt. Das Typ-2-Isoenzym ist die vorherrschende Form der 5-Alpha-Reduktase, während der Typ 1 lediglich 15% der Konzentration in der Prostata ausmacht. Eine bakterielle Prostatitis wird mit Antibiotika behandelt. Neue Wege in der Entwicklung Im Frühjahr 2003 wurden die Ergebnisse einer breit angelegten Studie mit einer Kombinationstherapie aus einem 5-Alpha-Reductase-Hemmer und einem Alpha-Rezeptorenblocker präsentiert. In die Studie waren Männer mit erhöhtem Risiko eines Fortschreitens der Erkrankung aufgenommen worden. Es konnte gezeigt werden, dass die Kombination wirksamer als die beiden Medikamente allein die Symptome linderte und das Risiko des Fortschreitens der Erkrankung, d.h. das Risiko einer akuten Harnverhaltung und einer BPH-bedingten Operation, verringerte. Eine weitere klinische Studie mit einer anderen Kombination dieser beiden Arzneimittelklassen begann Ende des Jahres 2003. Die benigne Prostatahyperplasie (BPH) ist eine Erkrankung der Vorsteherdrüse bei älteren Männern, die zu Beschwerden beim Wasserlassen führt. Die Erkrankung tritt sehr häufig auf. Die Forschung befasst sich damit, die Ursachen der BPH besser zu verstehen und neue Medikamente zur Linderung dieser stark beeinträchtigenden Erkrankung zu entwickeln. Eine weitere Alternative ist ein Pflanzenextrakt, der bereits in einer Phase 3-Studie geprüft wird. Es stellte sich heraus, dass dieses Präparat im Prostatagewebe die Zellwucherung hemmt und die Apoptose (programmierter Zelltod) der Zellen auslöst, doch sein Wirkungsmechanismus ist noch nicht vollständig geklärt. Die Entwicklung spezifischerer Alpha-Rezeptorenblocker, die eine besonders hohe Bindungsspezifität aufweisen, wird weiter vorangetrieben, und mehrere Wirkstoffe dieser Klasse befinden sich zur Zeit in der klinischen Forschung. Ein weiterer Schwerpunkt der klinischen Untersuchungen mit 5-Alpha-Reduktase-Hemmern ist die Prophylaxe von Prostatakrebs. Die Aufnahme von Patienten mit erhöhtem Risiko für Prostatakrebs (erhöhte Spiegel von prostataspezifischem Antigen und negative Biopsie innerhalb von sechs Monaten nach Aufnahme) in groß angelegte Phase 3-Studien hat bereits begonnen. Diese Studien werden mindestens vier Jahre dauern. Niere Hauptbereich der Prostata, in dem häufig Tumoren entstehen Linker und rechter Samenstrang aus dem Hoden Wirbelsäule Harnleiter Ductus deferens Aufgeklappte Prostatakapsel Blase Bereich der Schleimdrüsen Penis Rektaler Zugang Prostata Hoden Harnröhre Hodensack Durch die Prostata verlaufende Harnröhre F Ü R Lage und Aufbau der Prostata beim Mann Kapsel M E D I K A M E N T E Langzeitperspektiven Die weitere Erforschung der Biologie der Prostata und ihrer Wachstumsregulation sowie die Entwicklung noch selektiverer und wirksamerer Medikamente dürften zu einer weiteren Verbesserung der Behandlung der benignen Prostatahyperplasie führen - einer Erkrankung, die mit der zunehmenden Alterung der männlichen Bevölkerung Europas in den kommenden beiden Jahrzehnten noch häufiger auftreten wird. Nebenniere M E N S C H E N 29 Chronisch Entzündliche Darmerkrankungen Was sind chronisch entzündliche Darmerkrankungen? Die zwei Hauptformen von chronisch entzündlichen Darmerkrankungen sind die Colitis ulcerosa und der Morbus Crohn. Die Hauptunterschiede zwischen diesen beiden Erkrankungen sind in der Tabelle zusammengefasst, wobei eine sichere Unterscheidung allerdings nicht immer möglich ist. Das Hauptkennzeichen von chronisch entzündlichen Darmerkrankungen ist die Entzündung der Darmschleimhaut, die zu Geschwüren, Schmerzen, Durchfall (bei Colitis ulcerosa blutig) und Darmverschluss (beim Morbus Crohn) führt. Beide Erkrankungen nehmen in der Regel einen unvorhersehbaren schubweise-chronischen Verlauf mit Anämierisiko, Mangelernährung, Störung des Salzhaushalts und erhöhtem Risiko der Entwicklung von Darmkrebs. M E D I K A M E N T E F Ü R M E N S C H E N Hauptunterschiede zwischen Colitis ulcerosa und Morbus Crohn 30 COLITIS ULCEROSA MORBUS CROHN Betroffene Darmabschnitte Nur Dickdarm und Rektum Beliebiger Abschnitt des Verdauungstrakts vom Mund bis zum Rektum Entzündete Bereiche Nur die Schleimhaut des Darms ist entzündet Alle Wandschichten des Verdauungstraktes können entzündet sein Mittlerweile geht man davon aus, dass chronisch entzündliche Darmerkrankungen dadurch verursacht werden, dass das Zusammenspiel von drei Schlüsselfaktoren gestört ist, wobei möglicherweise auch die Ernährung eine bestimmte Rolle spielt. Diese drei Faktoren sind 1.) unsere individuellen Gene, 2.) das Immunsystem und 3.) die Bakterien, die unseren Darm besiedeln. Die bisher im Verdacht stehenden Gene liegen auf verschiedenen Chromosomen verstreut, vor allem auf den Chromosomen 3, 5, 6, 7, 12 und 16. Im Jahr 2001 wurde festgestellt, dass eine Mutation in einem Gen mit der Bezeichnung NOD2 auf dem Chromosom 16 die Anfälligkeit für den Morbus Crohn, nicht jedoch für die Colitis ulcerosa, deutlich erhöht. Ein Eiweißprodukt dieses Gens spielt eine Rolle bei der Erkennung eines Bestandteils der Bakterienzellmembran, des sogenannten Lipopolysaccharids, durch Darmzellen. Eine fehlgeleitete Immunreaktion auf Darmbakterien mit Einwanderung von entzündungsfördernden Leukozyten in das Epithel wird als ursächlicher Mechanismus beim Morbus Crohn vermutet. Mycobacterium Paratuberculosis, welches in Kuhmilch vorkommen kann und eine ähnliche Krankheit bei Schafen und Rindern verursacht, kommt als möglicher Krankheitserreger in Frage. Wenn sich dieses Krankheitsmodell bestätigen sollte, wäre dies eine erstaunliche Parallele zur Verursachung von Magengeschwüren durch Helicobacter pylori. Wer ist von Colitis ulcerosa und Morbus Crohn betroffen? An Colitis ulcerosa leiden etwa 500.000 Menschen in Europa, und jährlich kommen 30.000 neu diagnostizierte Fälle hinzu. Etwa 250.000 Menschen leiden an Morbus Crohn, und jedes Jahr werden etwa 18.000 neue Fälle diagnostiziert. Weil bei weitem nicht alle Fälle erfasst werden, gehen Gesundheitsexperten davon aus, dass die tatsächliche Anzahl der Menschen in Europa, die an chronisch entzündlichen Darmerkrankungen leiden, möglicherweise fast eine Million beträgt. Das Manifestationsalter beider Erkrankungen liegt zwischen 15 und 30-35 Jahren, und es sind Männer wie Frauen gleichermaßen betroffen. Mikrovilli Nervenfaser Epithelzelle Kapillare Kleine Arterie Darmdrüse (Krypte) Kleine Vene Lamina propria Arterie Nervenfaser Vene Lymphgefäß Muscularis mucosae F Ü R Schematischer Querschnitt durch den menschlichen Dünndarm M E N S C H E N Bei chronisch entzündlichen Darmerkrankungen kommt es zu einer Überproduktion von entzündungsfördernden Zytokinen, wie Tumornekrosefaktor alpha (TNF-alpha), Interferon gamma und Interleukin 1. Diese können zu lokalen Gewebeschädigungen führen. Wenn es gelänge, diese Zytokine unter Kontrolle zu bringen, könnte man die Krankheit selbst möglicherweise eindämmen oder Bürstensaum M E D I K A M E N T E Aktuelle Therapie Die Behandlung der akuten Phase von chronisch entzündlichen Darmerkrankungen umfasst in der Regel die Linderung der Symptome mit Medikamenten gegen Durchfallerkrankungen, durch Ernährungsumstellung und Anwendung von entzündungshemmenden Steroiden, die in etwa 80% der Fälle eine komplette oder partielle Remission bewirken. In schweren Fällen können immunsuppressive Medikamente erforderlich sein. Wenn die akuten Symptome unter Kontrolle sind, kann die Remission normalerweise durch die Anwendung von 5-Aminosalicylsäure-Derivaten aufrechterhalten werden. Alle Präparate sind für die Anwendung bei Colitis ulcerosa zugelassen, jedoch nur ein Wirkstoff ist auch für den Morbus Crohn angezeigt. Salicylate wirken durch Hemmung der 5-Lipoxygenase sowie verschiedener entzündungsfördernder Botenstoffe (Zytokine) und können auch zur Akutbehandlung bei leichter bis mittelschwerer Colitis ulcerosa eingesetzt werden, sind jedoch tendenziell weniger wirksam als Steroide. Wenn die Erkrankung auf das Rektum und den unteren Abschnitt des Dickdarms beschränkt ist, können die Medikamente auch in Form von Zäpfchen oder Einläufen verabreicht werden. Chronisch entzündliche Darmerkrankungen sind Erkrankungen des Dünnoder Dickdarms. Sie verursachen starke Schmerzen und eine Reihe anderer Beschwerden. Moderne Medikamente machen das Leben von Menschen mit chronisch entzündlichen Darmerkrankungen zwar erträglicher, doch es bedarf weiterhin intensiver Forschung, um Millionen von Menschen ein normaleres Leben zu ermöglichen. 31 gar eliminieren. Mehrere Forschergruppen haben diese Möglichkeiten erkannt, und der beliebteste Angriffspunkt für mögliche Behandlungen war in den letzten Jahren der TNF-alpha. Seit 1999 gibt es in Europa Anti-TNF-alpha-Präparate zur Erhaltungstherapie bei schwerem aktivem und fistelbildendem Morbus Crohn. Bei schwerer Darmerkrankung, die nicht auf Medikamente anspricht, kann eine chirurgische Entfernung des erkrankten Darmabschnitts erforderlich sein. Etwa 75% aller Patienten mit Morbus Crohn müssen schließlich operiert werden, gegenüber lediglich etwa 20% bei Colitis ulcerosa. Die chirurgische Entfernung von größeren Darmabschnitten kann ein Kurzdarmsyndrom - eine schwere und potenziell lebensbedrohliche Komplikation - nach sich ziehen. Seit Dezember 2003 ist ein rekombinantes Somatotropin-Präparat zur Anwendung in dieser Indikation zugelassen. Neue Wege in der Entwicklung Weitere Anti-TNF-alpha-Präparate werden in klinischen Studien der Phase 3 bei Morbus Crohn geprüft, um zu demonstrieren, dass diese Substanzen das Absetzen von Steroiden in der Remissionsphase der Erkrankung ermöglichen, während eine andere Studie die Anwendung in der akuten Phase untersucht. Ferner wird ein pegylierter, monoklonaler Antikörper gegen TNF-alpha in Phase 3-Studien geprüft. Dieser wird nicht als intravenöse Infusion verabreicht, sondern einmal monatlich subkutan injiziert. Andere Therapieansätze sind ein weiterer Anti-TNF-alpha-Wirkstoff in einer abgeschlossenen Phase 2-Studie, Untersuchungen mit einem rekombinanten TNF-bindenden Protein in einer Phase 2-Studie bei Morbus Crohn, und die Entwicklung eines Inhibitors des Enzyms, das TNF-alpha produziert. Interferon beta-1a wird in Phase 2-Studien bei Colitis ulcerosa geprüft, und ein hämatopoetischer Wachstumsfaktor für weiße Blutzellen wird in Phase 3-Studien bei Morbus Crohn untersucht. Bürstensaum Mikrovilli Nervenfaser Epithelzelle Kapillare Kleine Arterie Darmdrüse (Krypte) Alpha-4-Integrine spielen eine wichtige Rolle bei der Adhäsion von Leukozyten an Blutgefäßwände und bei ihrer anschließenden Einwanderung in angrenzendes Gewebe, wie etwa des Darmes, wo sie die Entzündungsreaktion fördern. Deshalb werden Untersuchungen mit einem humanisierten monoklonalen Antikörper durchgeführt, der Alpha-4-Integrin hemmt. Die bisherigen klinischen Ergebnisse bei Patienten mit Morbus Crohn zeigten eine deutliche Abnahme der Krankheitsaktivität, doch die Ergebnisse weiterer klinischer Prüfungen müssen noch abgewartet werden. Kleine Vene Lamina propria M E N S C H E N Lymphgefäß M E D I K A M E N T E Nervenfaser F Ü R Arterie 32 Vene Muscularis mucosae Detallierte Darstellung, einer Darmzotte mit Blutgefäßen, Nerven und Lymphbahnen in der darunter liegenden Lamina propria Auch Steroid-Derivate werden weiterhin zur Behandlung von chronisch entzündlichen Darmerkrankungen entwickelt. Dabei konzentriert sich die Forschung auf ein orales Steroid, das zwar lokal im Darm wirksam ist, aber nur zu niedrigen Blutspiegeln führt, so dass mit weniger Nebenwirkungen zu rechnen ist. Eine weitere Forschergruppe arbeitet an der Darreichungsform eines Einlaufs, um ein Corticosteroid lokal im Dickdarm freizusetzen. Dadurch sollen ebenfalls Nebenwirkungen verringert werden. Einläufe mit epidermalem Wachstumsfaktor (EGF) sind ein weiterer Therapieansatz bei Colitis ulcerosa. Der Wirkstoff kann nicht oral verabreicht werden, weil das Eiweiß im oberen Gastrointestinaltrakt abgebaut würde. Forschungsergebnisse lassen vermuten, dass EGF möglicherweise die Reparatur von geschädigten Darmzellen begünstigt und auf diese Weise der Reizung der Dickdarmschleimhaut entgegenwirkt. Es gibt noch eine ganze Reihe weiterer Signalwege und Pathomechanismen, die eine wichtige Rolle bei chronisch entzündlichen Darmerkrankungen spielen und ebenfalls als potenzielle Angriffspunkte für neue Medikamente in Betracht gezogen werden. Zum Beispiel der CD40-Signalweg, der sowohl bei Antikörperreaktionen als auch bei Zell-Zell-Kontakten im entzündeten Darm eine Rolle spielt. Derzeit werden neue Antikörper erforscht, die diesen Signalweg blockieren. Darüber hinaus werden kleine Moleküle untersucht, die ein Entzündungsenzym imitieren, das dazu beiträgt, reaktive Formen von Sauerstoff unschädlich zu machen. Langzeitperspektiven Einige weitere Ansätze zur Therapie von chronisch entzündlichen Darmerkrankungen sind in der Entwicklung, unter anderem die Behandlung mit einem Anti-Interferongamma-Antikörper beim Morbus Crohn. Das Zelladhäsionsmolekül ICAM-1, ein an der Entzündungsreaktion beteiligtes Glykoprotein und Zellerkennungsmolekül, ist der Ansatzpunkt für einen Antisense-Inhibitor, der sich bereits in einer Phase 2-Studie bei Colitis ulcerosa als klinisch wirksam erwiesen hat. Eine Einlauf-Darreichungsform des Antisense-Präparates ist mittlerweile bereits verfügbar. PPAR-gamma, ein nukleärer Rezeptor, der in der Diabetesforschung von großem Interesse ist, kann Gewebeschädigungen im Zusammenhang mit der Aktivierung des Immunsystems verhindern und könnte somit ein künftiger Ansatzpunkt bei chronisch entzündlichen Darmerkrankungen darstellen; ebenso wie der Transkriptionsfaktor Kernfaktor-B. Angesichts der großen Zahl von Botenstoffen, die sowohl bei Colitis ulcerosa als auch bei Morbus Crohn am Krankheitsgeschehen beteiligt sind, besteht kein Mangel an potenziellen Ansatzpunkten für künftige neue Medikamente, und es dürften auch in Zukunft erhebliche Forschungsanstrengungen auf diesem Gebiet unternommen werden. Viele Symptome von chronisch entzündlichen Darmerkrankungen beeinträchtigen die Lebensqualität erheblich, so dass Medikamente gegen diese Symptome auch weiterhin das Leben der Betroffenen sehr viel erträglicher gestalten können. M E D I K A M E N T E F Ü R M E N S C H E N 33 Empfängnisverhütung M E D I K A M E N T E F Ü R M E N S C H E N Was ist Empfängnisverhütung? Empfängnisverhütung (Kontrazeption) ist die Prävention der Empfängnis durch mechanische Mittel, bestimmte Verhaltensweisen oder Medikamente. 34 Wer gehört zur Zielgruppe für Empfängnisverhütung? Bei allen sexuell aktiven Frauen im Alter von 13 bis 50 Jahren besteht die Möglichkeit einer ungewollten Schwangerschaft. Mit dem weltweit steigenden durchschnittlichen Heiratsalter verlängert sich der Zeitraum der sexuellen Aktivität vor der Hochzeit. Die Rate der Schwangerschaften bei Teenagern ist weltweit immer noch viel zu hoch. Dem Bericht “World Population Monitoring” der Bevölkerungsabteilung der Vereinten Nationen zufolge betrug im Jahr 2000 der Anteil der Geburten durch Frauen unter 20 in Westeuropa 4,1%, in Osteuropa 14.5% und in Nordamerika 13.5%. In den Vereinigten Staaten enden 14% aller Schwangerschaften bei Teenagern mit Fehlgeburten und 31% mit Schwangerschaftsabbrüchen. Wie aus dem UN-Bericht hervorgeht, sind fast alle diese Schwangerschaften bei Teenagern ungewollt. Die Pearl-Schwangerschaftsrate ist das Standardverfahren zur Bestimmung der Wirksamkeit von empfängnisverhütenden Methoden. Der Index misst die Anzahl der auftretenden Schwangerschaften, wenn eine empfängnisverhütende Methode von 100 Frauen im gebärfähigen Alter für die Dauer von einem Jahr angewandt wird. Ohne Empfängnisverhütung liegt der Pearl-Index im Bereich von 85, d.h. während eines Jahres werden 85 von 100 Frauen schwanger. Die Pille hat einen Pearl-Index von weniger als 0,5. Sie gilt bei korrekter Anwendung als zu 99% wirksame Empfängnisverhütung. Mittlerweile vertrauen weltweit 70 Millionen Frauen auf orale Kontrazeptiva. Dies sind etwa zwei Prozent der weiblichen Bevölkerung der Welt. Aktuelle Präparate Am wirksamsten ist weiterhin die “Pille”, die es in drei Hauptformen gibt: die Gestagen-Monopille, das Kombinationspräparat mit einer festen Dosis eines Östrogens und eines Gestagens (gebräuchlichster Typ) sowie Mehrphasenpillen, bei denen jeden Monat zwei oder drei verschiedene Arten von Tabletten nacheinander eingenommen werden müssen. Es bestehen zwar weiterhin gewisse Bedenken bezüglich der mit ihrer Anwendung verbundenen kardiovaskulären und Krebsrisiken, doch diese Risiken sind bei den modernen Kontrazeptiva sehr niedrig und müssen gegen die mit einer Schwangerschaft verbundenen Risiken und den Schutz vor Eierstock- und Gebärmutterkrebs, den orale Kontrazeptiva bieten, abgewogen werden. Ungewollte Schwangerschaften haben weltweit ernstzunehmende gesundheitliche und soziale Auswirkungen. Die qualifizierte Forschung durch die pharmazeutische Industrie hat zur Entwikklung von hochspezifischen Medikamenten zur Prävention ungewollter Schwangerschaften geführt. Dennoch wird die Erforschung empfängnisverhütender Medikamente (in jüngster Zeit auch für Männer) fortgesetzt. Seit kurzem gibt es in Europa ein einmal wöchentlich anzuwendendes empfängnisverhütendes Pflaster, das eine Kombination aus Norelgestromin und Ethinylöstradiol enthält. Das Pflaster gibt kontinuierlich eine bestimmte Menge von Wirkstoffen in das Blut ab. Es wird eine Woche lang getragen und über drei Wochen jeweils am selben Tag durch ein neues ersetzt; die vierte Woche ist pflasterfrei. Eine bessere Therapietreue gilt als der Vorteil dieser neuen Form der Darreichung. Neue Wege in der Entwicklung Es werden auch weiterhin Fortschritte auf dem Gebiet der Empfängnisverhütung durch die Frau gemacht, obwohl die bisher verfügbaren Präparate bereits hochspezifisch sind. Neue Kombinationspräparate mit einem Gestagen sowie eine Zweier-Kombination mit Drospirenon sind in der EU zugelassen worden. Drospirenon, ein Spironolacton-Analogon, verhindert die mit Östrogenen verbundene Wassereinlagerung, die bei Anwendung von oralen Kontrazeptiva häufig zur Gewichtszunahme führt. Weitere neue Ansätze der Forschung sind Östradiol-Verbindungen. Diese werden nach oraler Einnahme in der Leber zu Östradiol und dem entsprechenden Salz abgebaut. Östradiol ist das wichtigste Östrogen des menschlichen Körpers und könnte das synthetische Ethinylöstradiol in oralen Kontrazeptiva möglicherweise vollständig ersetzen. Die Entwicklung neuer Verbindungen für die Empfängnisverhütung durch den Mann ist noch weitgehend ungenutzt. Die Herausforderung besteht darin, eine Methode zu entwickeln, die zuverlässig, reversibel und für Anwender akzeptabel ist. Ein Implantat, das Etonorgestrel enthält, hat bereits das Stadium der Studienphase 3 erreicht. Es wird mit lang wirksamen, d.h. dreimonatlichen, Injektionen des männlichen Geschlechtshormons Testosteron kombiniert. Die Injektion ist nötig, weil in Form von Tabletten eingenommenes Testosteron in der Leber sofort zu unwirksamen Bruchstücken abge- Region Afrika südlich der Sahara 18,1 Nordafrika 9,6 Südliches Zentralasien 18,6 Restliches Asien Lateinamerika und Karibik M E D I K A M E N T E 5,1 16,5 Nordamerika 13,5 Osteuropa 14,7 Restliches Europa 4,1 F Ü R Ozeanien 5,9 5 10 15 Anteil der Geburten durch Frauen unter 20 Jahren nach Regionen der Welt 20 M E N S C H E N 0 Quelle: Vereinte Nationen, Population Division, 2000. World Population Monitoring, 2000: Population, Gender and Development. 35 baut wird. Die Substanz Etonorgestrel unterbindet die Spermienproduktion, während das Testosteron verabreicht wird, um die niedrigeren natürlichen Hormonspiegel, die der Körper produziert, auszugleichen. Langzeitperspektiven Oberstes Ziel ist es, eine Fertilitätskontrolle zu entwickeln, die die Hormonproduktion des Körpers nicht beeinflusst. In diesem Sinne werden neue Substanzen untersucht, die die Reifung der Eizelle verhindern. Im Gegensatz zu Geschlechtshormonen wirken die neuen Substanzen nicht über den Rückkopplungsmechanismus der Hypophyse, sondern direkt auf die Eizelle, bzw. die Gebärmutter. M E D I K A M E N T E F Ü R M E N S C H E N Neue Erkenntnisse, wie etwa die kürzliche Entdeckung eines Schlüsselproteins, welches die Spermienbeweglichkeit steuert, könnten Ansatzpunkte für die Entwicklung eines Kontrazeptivums für den Mann liefern und die künftigen Chancen einer sicheren Emfängnisverhütung erhöhen. Ein Forschungsschwerpunkt ist die Aktivität der Spermien nach ihrer Synthese im Hoden. Anstatt die Spermienproduktion zu beeinflussen, wird versucht, ihre Funktion zu beeinflussen. Zu diesem Zweck müssen die Forscher in den Reifungsprozess der Spermien eingreifen, der in einem bisher weitgehend unerforschten männlichen Organ stattfindet, nämlich im Nebenhoden (Epididymis). Ein weiterer Ansatzpunkt ist der Prozess der Verschmelzung von Ei- und Samenzelle, welcher mindestens 24 Stunden dauert, und über den man noch sehr wenig weiß, und der möglicherweise wichtige Möglichkeiten zur Empfängnisverhütung eröffnet. 36 Gicht Die Gicht verursacht bei den Betroffenen extreme Schmerzen. Sie wird durch Harnsäurekristalle ausgelöst, die sich in den Gelenken ablagern. Die Behandlung der Gicht ist eine Erfolgsgeschichte der pharmazeutischen Forschung. Mittlerweile gibt es so wirksame Medikamente gegen die Gicht, dass die Patienten eine nahezu ungetrübte Lebensqualität haben. Was ist Gicht? Gicht ist die klinische Manifestation der Hyperurikämie, d.h. erhöhte Harnsäurespiegel im Blut. Da der Körper die vermehrt gebildete Harnsäure nicht in ausreichendem Maße ausscheiden kann, führt dies zu akuter Gelenkentzündung und/oder Gichtknoten. Bei fast allen betroffenen Patienten wird die Erkrankung durch einen isolierten Defekt in der Ausscheidung der Harnsäure über die Nieren verursacht. Die Harnsäure, die zu den Purinstoffwechselprodukten gehört, ist in Körperflüssigkeiten nur schwach löslich. Eine verminderte Ausscheidung in Verbindung mit purinreicher Ernährung führt zur Erhöhung der Harnsäure-Blutspiegel bis zur Grenze der Löslichkeit von Mononatriumurat, so dass sich die Verbindung schließlich in Gelenken und den Nieren ablagert und zu Arthritis und Nierensteinen führt. Durch Reizung von Nervenendigungen in den entzündeten Arealen kommt es zu extrem starken Schmerzen. Die Harnsäure-Ablagerungen bilden sich vor allem in den kühleren Bereichen des Körpers, wie etwa den Fingergelenken und der Großzehe sowie im Rand der Ohrmuschel. M E D I K A M E N T E F Ü R M E N S C H E N Wer ist von Gicht betroffen? Die Gicht und eine erbliche Veranlagung für das Leiden sind seit Jahrhunderten bekannt. Berühmtheiten wie Alexander der Große, Karl der Große, Leonardo da Vinci, Isaac Newton, Voltaire und Charles Darwin litten an der Erkrankung. Die Beschreibung der Zeichen und Symptome der Gicht durch den englischen Arzt Thomas Sydenham gilt heute noch genauso wie im 17. Jahrhundert: “Die Betroffenen gehen bei guter Gesundheit zu Bett und schlafen gut. Gegen zwei Uhr morgens wachen sie durch starke Schmerzen in der Großzehe auf, mitunter auch in Ferse, Knöchel oder Rist. Diese Schmerzen sind so stark wie bei einer Verrenkung.... Dann folgen Schüttelfrost, Zittern und leichtes Fieber. Die zunächst mäßigen Schmerzen werden stärker.... Das Gefühl im betroffenen Gelenk ist mittlerweile so extrem und ausgeprägt, dass allein schon das Gewicht der Bettdecke oder die Erschütterung durch eine im Zimmer umhergehende Person nahezu unerträglich ist....” 37 In Mitteleuropa leiden etwa 30% der Männer und 3% der Frauen an Hyperurikämie, d.h. erhöhten Harnsäurespiegeln im Blut. Bei Frauen vor den Wechseljahren tritt die Gicht selten auf. Die Betroffenen können zunächst über viele Jahre von klinischen Krankheitszeichen verschont bleiben. Je nach Dauer und Ausmaß der Störung entwickeln etwa 10% der Betroffenen im Laufe der Zeit eine Gicht in den Gelenken sowie eine Arthritis. Akute Gichtanfälle äußern sich meist in Form von Schmerzen in der Großzehe, können aber auch jedes andere Gelenk betreffen. Eine chronische Gicht entwickelt sich bei langjähriger Hyperurikämie und wiederholt auftretenden Gichtanfällen. Sie führt schließlich zu Gelenkdeformierungen, Ablagerungen von Mononatriumurat, Nierensteinen oder einer Nierenschädigung. Es hat sich gezeigt, dass auch ein beschleunigter Zelltod oder ein massiver Zellumsatz eine vorübergehende Hyperurikämie verursachen können, weil nach dem Absterben von Zellen die Nukleinsäure und lösliche Purine in Harnsäure umgewandelt werden. Dies ist beispielsweise nach einer Krebschemotherapie oder -bestrahlung, bei Psoriasis oder bei hämolytischer Anämie zu beobachten. Bei diesen Patienten entwickelt sich jedoch selten eine Gicht. Aktuelle Therapie Die Ziele der Behandlung sind: 1.) akute Anfälle zum Abklingen zu bringen, 2.) weiteren Anfällen vorzubeugen und 3.) die chronische Hyperurikämie zu behandeln. Zur Behandlung akuter Gichtanfälle werden Colchicin, ein Alkaloid aus der Herbstzeitlosen Colchicum autumnale, Steroide oder nichtsteroidale Antirheumatika eingesetzt. Der chronischen Gicht kann durch Anwendung von harnsäuresenkenden Mitteln vorgebeugt werden, wie z.B. mit Urikostatika aus der Klasse der Xanthinoxidase-Hemmer zur Blockade der Harnsäuresynthese, oder mit Urikosurika zur Steigerung der Harnsäureausscheidung über die Nieren. Eine gute Therapietreue lässt sich durch eine Kombination in niedriger Dosierung erreichen. M E D I K A M E N T E F Ü R M E N S C H E N Da praktisch alle in der Nahrung enthaltenen Purine in Harnsäure umgewandelt und ausgeschieden werden, sollten Patienten mit Gicht ihre Ernährung auf purinarme Kost umstellen, d.h. zum Beispiel weniger Fleisch, Fisch, und Hülsenfrüchte. Es sollten mindestens drei Liter Flüssigkeit am Tag aufgenommen werden (kein Alkohol!), und in einigen Fällen ist eine Alkalisierung des Urins mittels oral eingenommenem Natri- 38 Gichtknoten im Gewebe beider Hände eines 49-jährigen männlichen Patienten mit chronischer Gicht. Quelle: Deutsches Ärzteblatt, Jg. 100, 44, 2235; mit freundlicher Genehmigung durch Prof. Ursula Gresser, Sauerlach/München. Röntgenaufnahme der linken Hand mit typischen chronischen Gelenkveränderungen umbikarbonat oder Trinatriumcitrat zu empfehlen. Der Konsum von Alkohol ist zu vermeiden. Bei richtiger Behandlung erfreuen sich Patienten mit Gicht einer ungetrübten Lebensqualität, sie können normal arbeiten und haben eine normale Lebenserwartung. Neue Wege in der Entwicklung Da die Dosierung der Xanthinoxidase-Hemmer bis zu 600 mg täglich betragen kann und die Präparate unter Umständen lebenslang eingenommen werden müssen, werden neue Wirkstoffe dieser Klasse erforscht, um die Menge der täglich einzunehmenden Medikamente zu reduzieren. Die Erforschung von urikosurischen und urikostatischen Substanzen wird mittlerweile weniger intensiv vorangetrieben. Seit den 50er Jahren wurden Medikamente entwikkelt, die biochemischen Grundlagen der Purinbiosynthese aufgeklärt, und in den vergangenen Jahren konnten einige Ursachen der Gicht auf molekularer Ebene entschlüsselt werden. Die Forscher Dr. Trudy Elion und Dr. George Hitchins erhielten als Anerkennung für ihre Grundlagenforschung auf dem Gebiet des Purinstoffwechsels den Nobelpreis für Medizin. Trotz dieser Erfolge sind die grundlegenden metabolischen und genetischen Pathomechanismen der Gicht bei den meisten Patienten weiterhin unklar. Dies ist unter anderem auch darauf zurückzuführen, dass es keine Tiermodelle gibt, in denen der Stoffwechsel von Mononatriumurat durch die Nieren gleich wie beim Menschen abläuft. Die Weiterentwicklung dieser Techniken und der molekularen Genetik wird dazu beitragen, die der Gicht zugrunde liegenden Störungen besser zu verstehen und zu erklären. Langzeitperspektiven In den vergangenen Jahren wurden auf dem Gebiet der Gicht durch die Entwicklung neuer Medikamente eindeutige Erfolge bei den Behandlungsergebnissen erzielt. Angesichts der Verbesserungen, die sich mit den heute verfügbaren Medikamenten erreichen lassen, rechtfertigt der bisherige Erfolg das etwas geringere Tempo bei den Neuentwicklungen. M E D I K A M E N T E F Ü R M E N S C H E N 39 Glaukom Was ist das Glaukom? Das Glaukom ist eine Augenerkrankung, bei der der Sehnerv geschädigt wird. Dies führt zu einem allmählichen Ausfall des peripheren Gesichtsfeldes. Unbehandelt kann das Glaukom zum Tunnelblick und schließlich zur Erblindung führen. Die Ursache ist ein erhöhter Flüssigkeitsdruck im Augapfel, der sogenannte Augeninnendruck. Die häufigste Form des Glaukoms, das akute oder chronische Engwinkelglaukom, ist besonders gefährlich, da gewöhnlich keine Anzeichen für eine Erkrankung vorliegen, bis plötzlich ein erheblicher und irreversibler Verlust an Sehvermögen eintritt. M E D I K A M E N T E F Ü R M E N S C H E N Die Flüssigkeit im Auge wird ständig vom sogenannten Ziliarkörper gebildet. Etwa 80% fließen durch kleine Filterkanälchen, das sogenannte Trabekelwerk, in den Schlemm’schen-Kanal ab, der Rest wird von der inneren Augenwand aufgenommen (SIEHE ABBILDUNG 1). Wenn der Abfluss durch erhöhten Druck der hinteren Augenkammer oder durch Ablagerungen in den Filterkanälchen behindert wird, steigt der Augeninnendruck. 40 Wen betrifft das Glaukom? Das Glaukom betrifft etwa 2% aller über 40-Jährigen in Europa, und diese Rate steigt mit zunehmendem Alter auf 7% aller 80-Jährigen. Erhebungen zufolge leiden etwa 1,5 Millionen Menschen am Glaukom, und nur bei der Hälfte ist die Erkrankung diagnostiziert. Eine genetische Veranlagung zur Entwicklung der Erkrankung scheint eine Rolle zu spielen. Das primäre Engwinkelglaukom zeigt unterschiedliche Prävalenzen in verschiedenen ethnischen Gruppen, wobei die Inzidenz unter Asiaten und Eskimos in Kanada besonders hoch ist. In der weißen Bevölkerung ist das Risiko der Entwicklung der Erkrankung um das Sechsfache höher, wenn ein naher Verwandter davon betroffen ist. Das Glaukom ist als alleinige Ursache oder mitursächlich für 10 bis 15% aller Erblindungen in Europa verantwortlich. Aktuelle Therapie Bei den meisten Glaukompatienten ist eine Langzeitbehandlung mit Medikamenten zur Senkung des Augeninnendrucks, normalerweise in Form von Augentropfen oder Augengelen, erforderlich. Eine Laseroperation zur Eröffnung der Abflusskanäle oder die chirurgische Schaffung eines neuen Abflusskanals kann schließlich notwendig sein, doch diese Methoden sind nicht für alle Fälle geeignet. Es sind verschiedene Medikamente zur Senkung des Augeninnendrucks entwickelt worden. Die Carboanhydrasehemmer und die Betablocker beeinflussen den Druck durch Verminderung der Flüssigkeitssekretion im Auge. Die 'Miotika' hingegen stimulieren die Muscarinrezeptoren im Ziliarmuskel und bewirken dadurch eine Entspannung und Öffnung des Trabekelwerks, während Prostaglandinanaloga den Flüssigkeitsabfluss aus dem Auge steigern. Eine weitere Medikamentenklasse, die Alpha-2Rezeptoragonisten, wirken auf Nervenendigungen und vermindern nicht nur die Flüssigkeitssekretion, sondern steigern auch den Abfluss des Kammerwassers. Neue Wege in der Entwicklung In jüngster Zeit sind Kombinationspräparate mit verbesserter, augeninnendrucksenkender Wirksamkeit zugelassen worden. In diesen Präparaten sind feste Dosen eines Carboanhydrasehemmers und eines Betablockers oder eines Prostaglandinanalogons mit einem Betablocker kombiniert. Diese Präparate sind einfacher anzuwenden, und man verspricht sich eine bessere, langfristige Therapietreue. Das Glaukom ist eine Augenerkrankung, bei der ein erhöhter Augeninnendruck langfristig den Sehnerv schädigt. Die Erkrankung kann zur Erblindung führen. Im Laufe der Jahre sind viele Medikamente entwickelt worden, die den Augeninnendruck senken und den Betroffenen die Angst vor der Erblindung nehmen. Die operative Behandlung des Glaukoms, um einen neuen Abflusskanal zu schaffen (Trabekulotomie) bietet die Möglichkeit, den Augeninnendruck langfristig zu senken. Das Verfahren ist jedoch oftmals nur vorübergehend erfolgreich, weil die Abflusskanäle durch Fibrosierung wieder verstopfen. Die Ursache dafür ist eine natürliche Substanz, der sogenannte transformierende Wachstumsfaktor beta (TGF-beta). Ein monoklonaler Anti-TGF-beta2-Antikörper, der zurzeit in einer Phase 3-Studie geprüft wird, soll die Versagerrate der Glaukomoperation verringern und den Kammerwasserabfluss verbessern. Langzeitperspektiven Heutzutage steht ein sehr viel breiteres Spektrum an Medikamenten und operativen Verfahren zur Behandlung des Glaukoms zur Verfügung als früher. Deshalb muss nun im Sinne einer verbesserten Gesundheitsfürsorge dringend das Bewusstsein dafür geschärft werden, dass mehr Vorsorgeuntersuchungen nötig sind. Der Test auf erhöhten Augeninnendruck oder Engwinkelglaukom ist ein einfaches und schmerzloses Verfahren, das problemlos im Rahmen einer routinemäßigen Augenuntersuchung durchgeführt werden kann. Bei allen über 40-Jährigen und in Fällen, in denen ein naher Verwandter am Glaukom erkrankt ist, sollte der Test unbedingt durchgeführt werden. Hornhaut Iris Abflussweg des Kammerwassers Schlemm’scher-Kanal M E D I K A M E N T E F Ü R Im Juli 2003 berichteten Forscher über die Entdeckung von Genen, die mit der Veranlagung für das primäre Engwinkelglaukom in Zusammenhang stehen könnten. Diese Entdekkung, die jedoch noch nicht endgültig bestätigt ist, könnte frühzeitigen Gentests und einer Frühdiagnose den Weg ebnen. Ziliarkörper Zonulafasern ABB. 1: Abflussweg M E N S C H E N Ziliarmuskel des Kammerwassers im menschlichen Auge 41 Grippe M E D I K A M E N T E F Ü R M E N S C H E N Was ist Grippe? Das Grippevirus (SIEHE ABBILDUNG 1) verursacht potenziell schwere Infektionen im Bereich von Nasenwegen, Rachen, Kehlkopf und Lungen und führt regelmäßig zu Epidemien oder gar Pandemien, d.h. weltweiten Epidemien. Das Virus gehört zur Gruppe der Orthomyxoviren, deren typische Kennzeichen eine Hülle und ein Virusgenom aus einzelsträngiger RNA sind. Die Influenza oder Virusgrippe wird durch Husten, Niesen oder auch beim Sprechen übertragen. Die Infizierten schleudern hierbei mikroskopisch kleine Tröpfchen mit den Influenzaviren in die Luft, die dann von anderen Menschen eingeatmet werden. Die alljährliche Grippesaison dauert in den nördlichen Breiten in der Regel von November bis April. 42 Die Oberfläche eines Influenzavirus trägt Hämagglutininmoleküle, die es dem Virus ermöglichen, sich an Zellen in den Atemwegen des Menschen anzuheften, sowie das Enzym Neuraminidase, das an der Freisetzung neuer Viruspartikel beteiligt ist. Bisher sind 15 verschiedene Typen von Hämagglutininmolekülen und neun verschiedene Variationen der Neuraminidase bekannt. Die möglichen Kombinationen in der Zusammensetzung dieser Makromoleküle führen zu verschiedenen Influenza-Familien des Typs A, B oder C und einer Vielzahl verschiedener Virusstämme. Aufgrund der schnellen Mutationen der viralen Oberflächenmoleküle und der resultierenden Veränderung der vorherrschenden Stämme ist fast jedes Jahr ein neu zusammengesetzter Impfstoff erforderlich. Um genügend Zeit für die Herstellung von etwa 300 Millionen Impfdosen in Europa zu haben, wird alljährlich bereits im Frühsommer die Zusammensetzung des neuen Impfstoffs festgelegt. Grundlage hierfür sind von einem weltweiten Netz von Virologen unter der Koordination der Weltgesundheitsorganisation gesammelte epidemiologische Überwachungsdaten. Wer ist von Grippe betroffen? Jeder kann an Influenza erkranken. Die meisten Erkrankten erholen sich innerhalb von ein bis zwei Wochen wieder davon, doch bei einigen kommt es zu lebensbedrohlichen Komplikationen. Menschen ab 65 Jahren, chronisch Kranke jeden Alters, wie z.B. Asthmatiker oder Patienten mit Herzinsuffizienz, und Kleinkinder sind besonders gefährdet und anfällig für die möglichen Komplikationen. Diese Gruppen gelten als Risikopersonen und sollten geimpft werden. Jeder Mensch kann übrigens mehrmals an Influenza erkranken. Pro Jahr erkranken etwa 120 Millionen Menschen in den USA, Europa und in Japan an Grippe. Etwa alle zehn Jahre taucht ein hochansteckender und ausgesprochen virulenter Stamm von Influenzaviren auf und führt zu einer weltweiten Epidemie, einer so genannten Pandemie. Die letzten beiden Pandemien traten 1957 und 1968 auf. Damals starben mehr als fünf Millionen Menschen an Influenza. Die große InfluenzaPandemie von 1918/19 forderte weltweit mehr als 20 Millionen Menschenleben. Sie gilt als die verheerendste Epidemie der jüngeren Weltgeschichte. Aktuelle Therapie Rezeptfreie Medikamente wie Acetylsalicylsäure und abschwellende Mittel lindern nur die Symptome der Erkrankung und haben keinen Einfluss auf die Übertragung und Verbreitung des Virus. Die beste Methode, sich vor einer Infektion mit dem Influenzvirus zu schützen, ist die Impfung im Herbst, vor Beginn der Grippesaison. Bei Grippeerkrankungen können rezeptfreie Medikamente die Symptome lindern und das Fieber senken, doch es gibt keine Medikamente, die die Grippe heilen. Antivirale Medikamente können ebenfalls zur Vorbeugung und Behandlung der Influenza beitragen. So stehen beispielsweise Substanzen aus der Gruppe der zyklischen Amine zur Prophylaxe und Behandlung der Grippe zur Verfügung. Sie werden in erster Linie bei immungeschwächten Patienten oder anderen Risikopersonen eingesetzt, da der Nutzen für eine generelle Anwendung zu gering ist. Zyklische Amine wirken nur gegen Influenzaviren des Typs A, die für etwa 65% aller Grippewellen verantwortlich sind. Die Grippe wird durch ein Virus verursacht. Sie betrifft jedes Jahr Millionen von Menschen – und sie kann tödlich verlaufen. Die Entwicklung von Impfstoffen spielt eine wichtige Rolle beim Schutz vor der Krankheit. Da sich jedoch die Virulenz des Erregers laufend verändert, sind weitere Forschungsanstrengungen unverzichtbar, um neue Wege zur Bekämpfung dieser bedrohlichen Infektion zu finden. Vor kurzem ist ein inhalierbarer Neuraminidase-Hemmer zur Behandlung der symptomatischen Influenza vom Typ A und B zugelassen worden. Studien haben gezeigt, dass die Behandlung mit dem Wirkstoff die Dauer der Symptome um etwa einen Tag verkürzt. Da die Substanz inhaliert wird, ist sie bei Patienten, die bereits an einer Lungenerkrankung leiden, allgemein nicht zu empfehlen. Eine weitere antivirale Substanz wird hingegen oral verabreicht. Dieses Medikament ist zur Vorbeugung und Behandlung der Influenzatypen A und B zugelassen. M E D I K A M E N T E F Ü R M E N S C H E N Neue Wege in der Entwicklung Die Vorbeugung der Grippe ist von der schnellen Herstellung maßgeschneiderter Impfstoffe gegen den jeweiligen Stamm bei den ersten Anzeichen einer Epidemie abhängig. Daher ist der Jahr für Jahr hergestellte Impfstoff eigentlich immer wieder ein neues Präparat. Zudem ist die Tatsache, dass jederzeit mit einer Influenza-Pandemie gerechnet werden muss, eine ständige Herausforderung für Forschung, Entwicklung und Produktion. Auch neue Arten von ImpfABB. 1: Elektronenmikroskopische Aufnahme des stoffen werden erforscht. Ein abgeschwächter LebendimpfGrippevirus stoff zur intranasalen Verabreichung wird gegenwärtig in einer Phase 3-Studie geprüft. Dieser Impfstoff enthält ein Influenzavirus, das so verändert worden ist, dass es keine Grippe mehr hervorrufen kann. Er könnte künftige Impfungen vereinfachen und dazu beitragen, dass sich auch Personen eher impfen lassen, die vor Spritzen zurückscheuen. Andere Forschergruppen untersuchen einen proteosomalen Influenza-Impfstoff. Diese Art von Impfstoff besteht aus einem kleinen Teil des genetischen Codes des Influenzavirus. Die Integration dieses Materials in einige Körperzellen führt zur Synthese eines Teils des Virus, das wiederum den Körper dazu stimuliert, hohe Spiegel schützender Antikörper zu 43 produzieren. Darüberhinaus arbeitet man daran, neue Herstellungsverfahren mit Zellkulturen zu entwickeln, die die herkömmlichen Verfahren auf der Basis von Hühnereiern ergänzen sollen. Langzeitperspektiven Wissenschaftler suchen weiter nach neuen Medikamenten zur Prävention oder Behandlung der Influenza. Langwirksame Neuraminidase-Hemmer, die nur einmal wöchentlich verabreicht werden müssen, sind noch im Stadium der vorklinischen Entwicklung. Ein anderer Ansatz, der untersucht wird, ist die Anwendung von Immunglobulin-Fusionsproteinen, die gezielt an einem Rezeptormolekül auf der Oberfläche von aktivierten weißen Blutzellen, bzw. T-Lymphozyten angreifen. Man vermutet, dass sich damit die Immunantwort des menschlichen Körpers auf die Virusinfektion dämpfen und die Entzündung der geschwächten Lunge vermeiden lässt. M E D I K A M E N T E F Ü R M E N S C H E N Neue wirksame Mittel gegen die Grippe wären zweifellos sehr zu begrüßen. Ob es aber jemals möglich sein wird, die Infektion anzuhalten, wenn sie erst einmal ausgebrochen ist, bleibt unklar, doch eine Behandlung, die den tödlichen Ausgang bei älteren Menschen und anderen Risikopatienten verhindern könnte, wäre sicherlich ein echter klinischer Fortschritt, wenn, wie einige Experten meinen, jederzeit mit der nächsten Pandemie gerechnet werden muss. 44 Hämophilie Die Hämophilie ist eine erbliche Blutgerinnungsstörung. Nur Männer sind davon betroffen. Zur Behandlung dieses Leidens, das früher zu erheblichen Behinderungen führen oder gar tödlich verlaufen konnte, hat die pharmazeutische Industrie mittlerweile Präparate eingeführt, mit denen die Blutungen unter Kontrolle gebracht werden können, so dass viele Patienten ein nahezu normales Leben führen. Was ist Hämophilie? Die Hämophilie ist eine erbliche Blutgerinnungsstörung. Bei Hämophilen ist die Blutungszeit aufgrund eines Defekts oder eines Mangels an den normalerweise im Blut vorhandenen Gerinnungsfaktoren verlängert. Die Hämophilie A, die häufigste Form, an der etwa 80% aller Hämophilen leiden, wird durch den Mangel an Faktor VIII verursacht. Die Ursache der Hämophilie B dagegen ist ein Mangel an Faktor IX. Die Schwere der Hämophilie variiert stark, und diese Variabilität hängt mit der Menge an Gerinnungsfaktoren im Blut zusammen. Je schwerer die Störung ist, desto früher sind die auffälligen Blutergüsse und Blutungen bei den Betroffenen zu beobachten. Bereits kleinere Verletzungen können zu starken Gewebeblutungen führen. Neben Blutergüssen sind Gelenkeinblutungen das häufigste Merkmal der Erkrankung. Aber auch Einblutungen in die Muskulatur sind häufig zu beobachten. Sie können nach Verletzungen oder spontan auftreten. Wenn diese Blutungen nicht fachgerecht behandelt werden, führen sie zu stark behindernden Deformitäten des Stütz- und Bewegungsapparates. F Ü R M E N S C H E N Aktuelle Therapie Die Hämophilie ist eine lebenslange Erkrankung, die bisher nicht heilbar ist. Die Entwicklung einer umfassenden Versorgung und die Bereitstellung von Präparaten mit Gerinnungsfaktoren ermöglicht es jedoch sogar Betroffenen mit schweren Formen der M E D I K A M E N T E Wer ist von Hämophilie betroffen? Da sich die Gene für die Blutgerinnungsfaktoren VIII und IX beide auf dem X-Chromosom befinden, das beim Menschen auch das Geschlecht bestimmt, betrifft die Hämophilie A und B nahezu ausschließlich Männer. Die Hämophilie tritt bei etwa einem von 5.000 männlichen Neugeborenen auf und kommmt in allen Bevölkerungsgruppen vor. Dies bedeutet, dass in Europa jährlich etwa 400 Jungen mit Hämophilie geboren werden. Insgesamt gibt es in Europa mehr als 22.000 Patienten mit Hämophilie A oder B. Bei Frauen, die das veränderte Gen tragen, treten normalerweise keine Blutungsstörungen auf. Durch Spontanmutationen im Faktor-VIII- und im Faktor-IX-Gen nimmt die Zahl der Patienten und Träger des Gendefekts laufend zu. 45 Hämophilie (Faktor-VIII- oder Faktor-IX-Spiegel von weniger als einem Prozent des Durchschnittswertes gesunder Menschen), die Blutungen zu beherrschen und ein nahezu normales Leben zu führen. Die Behandlung muss möglichst bald nach Beginn einer Blutung eingeleitet werden. Faktorenkonzentrate werden auch regelmäßig prophylaktisch eingesetzt, um das Wiederauftreten von Blutungen zu verhindern, beispielsweise vor einer Physiotherapie oder anderen körperlichen Trainingsprogrammen. Heutzutage erfolgt die Transfusion von Faktor-VIII-Konzentraten entweder unter ärztlicher Aufsicht im Krankenhaus oder Hämophilie-Zentrum oder zu Hause durch die Eltern, welche die betroffenen Kinder behandeln, oder durch die Patienten selbst. Im Januar 2004 erteilte die Europäische Kommission die Zulassung für ein aus Blutplasma hergestelltes Faktor-IX-Konzentrat zur intravenösen Dauerinfusion, das dazu beiträgt, bei den Patienten einen bestimmten Mindestspiegel an Faktor IX aufrechtzuerhalten. M E D I K A M E N T E F Ü R M E N S C H E N Faktorenkonzentrate werden entweder aus dem Plasma von Blutspenden oder synthetisch durch gentechnische Veränderung von Zellen hergestellt, die dadurch den Faktor VIII oder Faktor IX produzieren. Bei der Hämophilie A ist entweder hochgereinigtes, virusinaktiviertes Präparat aus Blutplasma oder rekombinantes Faktor-VIII-Konzentrat das Mittel der Wahl. Die verschiedenen Produkte lassen sich in drei Kategorien einteilen: 1.) rekombinante Produkte, 2.) mit Hilfe monoklonaler Antikörper gereinigte Plasmaprodukte und 3.) intermediäre und hochgereinigte Plasma-Faktor-VIII-Präparate, die auch zur Behandlung einer seltenen Blutgerinnungsstörung, des sogenannten von-WillebrandSyndroms, eingesetzt werden. Bei der Hämophilie B ist ein hochgereinigtes, virusinaktiviertes Faktor-IXKonzentrat das Mittel der Wahl. Bis in die frühen 80er Jahre stellte die Übertragung von Infektionen durch die Präparate ein enormes Problem dar. Mittlerweile sind eine Reihe von Inaktivierungsverfahren, wie beispielsweise die Erhitzung sowie die Ultrafiltration in den Herstellungsprozess eingeführt worden, die das Risiko der Übertragung von Infektionskrankheiten, wie Hepatitis B und HIV, wesentlich verringert haben. Heutzutage ist dieses Risiko minimal. 46 Etwa 20 bis 30% der Patienten mit schwerer Hämophilie A und etwa drei bis fünf Prozent der Patienten mit Hämophilie B entwickeln Hemmkörper gegen den Faktor VIII bzw. den Faktor IX. Die Ursache ist eine Reaktion des Immunsystems der Patienten, das die verabreichten Gerinnungsfaktoren als Fremdstoffe einstuft und hemmende Antikörper dagegen bildet. Solche Hemmkörper erschweren die Behandlung von Blutungen. Es gibt verschiedene Behandlungsmethoden, mit denen bei den meisten Patienten mit Hemmkörpern die Therapieresistenz überwunden werden kann. In solchen Fällen erfolgt die Behandlung normalerweise in spezialisierten HämophilieZentren. Bei leichten (Faktor-VIII-Spiegel zwischen sechs und 50%) oder mittelschweren (Faktor-VIII-Spiegel von eins bis fünf prozent) Formen der Hämophilie A kann das synthetische Vasopressin-Analogon DDAVP als hochkonzentriertes Nasenspray verwendet werden, das körpereigene Faktor-VIII-Speicher freisetzt. Auch Antifibrinolytika können verordnet werden. Sie verlangsamen den natürlichen Abbau von Blutgerinnseln und helfen besonders bei Mund- und Zahnfachblutungen. Patienten mit neu diagnostizierter Hämophilie sollten gegen Hepatitis A und B geimpft werden. Neue Wege in der Entwicklung Der weltweite Gesamtbedarf an Faktor VIII beträgt zwischen 250 und 500 Gramm Protein jährlich. Die Forschung konzentriert sich vor allem auf die Entwicklung eines Herstellungsverfahrens für Faktor-VIII- und Faktor-IX-Präparate, das nicht auf menschliches Blutplasma angewiesen ist. Neue Herstellungsmethoden in Zellkulturen von genveränderten Hefen und Bakterien werden derzeit erforscht. Die Forschung sucht außerdem verstärkt nach neuen Behandlungsansätzen für Hämophile mit Hemmkörpern. Das Ziel besteht darin, bei den betroffenen Patienten eine Toleranz zu entwickeln und ihr Immunsystem entsprechend zu beeinflussen. Diese intensiven und kooperativen Forschungsanstrengungen werden schließlich die benötigten neuen Erkenntnisse hervorbringen, um dieses Problem wirksamer behandeln zu können und letztendlich sogar ganz zu vermeiden. Langzeitperspektiven Das eigentliche Ziel der Forschung auf dem Gebiet der Hämophiliebehandlung besteht darin, völlig unabhängig von Blutplasmaspenden zu werden. Die Gentherapie soll Hämophile in die Lage versetzen, dauerhaft ein körpereigenes normales Protein zur Behebung des Mangels zu synthetisieren. Eine solche Proteinsynthese käme einer Heilung der Krankheit gleich. Verschiedene Ansätze zur Übertragung von Genen für die Faktoren VIII und IX werden derzeit erforscht. Bisher hat sich noch keines der Verfahren als überlegen erwiesen, doch es sind bereits wesentliche Fortschritte in der Faktoren-Expression erzielt worden, so dass mittlerweile Überlegungen zu klinischen Prüfungen für beide Hämophilie-Typen angestellt werden. In den letzten Jahren haben neu entwickelte Vektoren, d.h. Genfähren, zu vielversprechenden Ergebnissen geführt, die klinische Prüfungen am Menschen gerechtfertigt erscheinen lassen. M E D I K A M E N T E F Ü R M E N S C H E N 47 Harninkontinenz Was ist Harninkontinenz? Inkontinenz ist die Unfähigkeit, die Blase zu kontrollieren, so dass es zum unwillkürlichen Harnabgang kommt. Häufige Formen sind die Stressinkontinenz (unkontrollierter Harnabgang beim Husten, Lachen, körperlicher Anstrengung) infolge von erhöhtem abdominalem Druck und die Dranginkontinenz infolge von Krämpfen. Letztere spricht am besten auf Medikamente an. Die Mechanismen, die die normale Blasenentleerung steuern, sind komplex und schließen das Gehirn, das Nervensystem und die verschiedenen Blasenmuskeln ein. Bei der Behandlung der Inkontinenz sollten nach Möglichkeit auch eventuelle organische Ursachen für den Kontrollverlust über die Blase berücksichtigt werden. M E D I K A M E N T E F Ü R M E N S C H E N Wer ist von Harninkontinenz betroffen? In Europa leiden mehr als 16% der Männer und Frauen über 40 Jahren an Symptomen einer überaktiven Blase. Dies sind insgesamt 25 Millionen Menschen. Die Patienten klagen meist über mehrmaliges Auftreten einer Inkontinenz in den letzten vier Wochen und dass sie nachts mehrmals zum Wasserlassen aufstehen müssen (Nykturie). Der Anteil der Menschen mit Inkontinenzzeichen, immer häufigerem Wasserlassen pro Tag und verminderter durchschnittlicher Menge an ausgeschiedenem Harn bei jedem Wasserlassen, nimmt mit steigendem Alter zu. Zerebrovaskuläre Erkrankungen, wie Schlaganfall oder Demenz, eingeschränkte Mobilität und die Einnahme vieler Medikamente sind bei älteren Menschen mit Inkontinenz assoziiert. Die Inkontinenz ist bei älteren Menschen der häufigste Grund für die Einweisung in ein Pflegeheim. 48 Die Inkontinenz bleibt ein Tabuthema, und Schätzungen zufolge werden nur 10-20% der Betroffenen mit instabiler oder überaktiver Blase in irgendeiner Weise behandelt; lediglich ein Fünftel davon erhält Medikamente. Aktuelle Therapie Bisher sind die Behandlungsmöglichkeiten begrenzt. Ein Training der Muskelkontrolle und der Blase in Form von Beckenbodenübungen hilft einigen Betroffenen. Zusätzlich können Medikamente, die auf die Blase wirken, hilfreich sein. Einige Arzneimittel, sogenannte Anticholinergika, wirken auf den Kontraktionsmuskel der Blase (den Detrusor) und verringern Muskelspasmen durch selektive Blockade der Muscarinrezeptoren vom Subtyp M3. Ein anderes Cholinergikum wirkt selektiv auf Muscarinrezeptoren, die die Blasenentspannung regulieren (M2-Rezeptoren). Neue Wege in der Entwicklung Einige weitere M3-Rezeptor-spezifische Substanzen zur Behandlung der überaktiven Blase, d.h. sowohl Drang- als auch Stressinkontinenz, befinden sich im Spätstadium der klinischen Entwicklung. Im März 2003 wurde in der EU ein durchsichtiges Pflaster zur zweimal wöchentlichen Applikation zugelassen, das eine Alternative zu den bisherigen oralen Medikamenten darstellt. Das Produkt soll ein geringeres anticholinergisches Nebenwirkungsprofil haben. Unerwünschte Wirkungen, wie etwa Mundtrockenheit, verschwommenes Sehen und Obstipation, sind häufige Gründe für das Absetzen der Behandlung mit älteren Anticholinergika. Da ein hoher Anteil der Betroffenen mit Harninkontinenz ältere Menschen sind, wäre ein verbessertes Nebenwirkungsprofil besonders für diese Patienten, die oft mehrere Medikamente einnehmen müssen, vorteilhaft. Während mittlerweile sehr intensiv an Medikamenten zur Behandlung einer überaktiven Blase geforscht wird, sind noch keine Medikamente für die andere häufige Form der Inkontinenz, die Stressinkontinenz, zugelassen. Deshalb untersuchen Forscher zurzeit eine Substanz, die im Zentralnervensystem die Wiederaufnahme von Serotonin und Norepinephrin in die Nerven hemmt, die an der Steuerung der Blasenfunktion beteiligt sind. Ebenfalls in der Entwicklung ist eine Substanz, die vermutlich ein Hemmstoff für C-Nervenfasern ist, mit einem neuartigen Wirkungsmechanismus zur Behandlung der Inkontinenz. Harninkontinenz bedeutet unkontrollierter Harnabgang. Die Tatsache, dass das Leiden vielen Betroffenen ungemein peinlich ist, führt dazu, dass viele Patienten nicht behandelt werden. Forschende Pharmaunternehmen entwickeln zurzeit viel versprechende Medikamente, die die Lebensqualität von Menschen mit Inkontinenz stark verbessern dürften. Langzeitperspektiven Der Spielraum für die Verbesserung der klinischen Ergebnisse durch die Entwicklung noch spezifischerer Muscarinrezeptorenblocker, die auf den Muskel selbst wirken, scheint begrenzt zu sein. Weitere Fortschritte dürften sich vielmehr aus der Erforschung alternativer Wirkungsmechanismen ergeben. So erregen beispielsweise Substanzen, die auf die Neurokinin-(NK-)Rezeptoren wirken, gegenwärtig größtes Interesse. Die am weitesten fortgeschrittene Substanz mit diesem Wirkungsmechanismus, die gezielt auf die NK-1-Rezeptoren im Zentralnervensystem wirkt, hat bereits die Phase 2 der klinischen Prüfung erreicht. Der Vorteil dieses Ansatzes ist, dass das Medikament auf die Nerven wirkt, die die Blasenentleerung steuern, und nicht die Funktion des DetruHarnleiter sors selbst hemmt, so dass das Risiko einer Harnverhaltung geringer sein dürfte. Bauchfellüberzug Detrusor Trigonum Innere Muskelschicht Prostata Äußerer Blasenschließmuskel Quergestreifter Beckenbodenmuskel F Ü R M E N S C H E N Anatomie der Blase beim Mann. Durch Kontraktion des Detrusors wird der Urin aus der Blase ausgetrieben. Die Engstellung des Blasenschließmuskels verhindert, dass Urin aus der Blase austritt. M E D I K A M E N T E Weitere Neurokinin-Antagonisten sind in der Entwicklung, entweder in Phase 1-Studien oder noch im vorklinischen Stadium. Unter anderem befinden sich Inhibitoren der zentralnervösen Alpha-1-Adrenozeptoren für die Stressinkontinenz in der vorklinischen Entwicklung sowie ein Kaliumkanalöffner zur Behandlung der überaktiven Blase in einer Phase 2-Studie. Die Modulation schwach und mittelstark leitfähiger Kaliumkanäle von Nerven, die den Blasenmuskel steuern, könnte ein viel versprechender Ansatz sein. Wirkstoffe mit diesem Profil haben gezeigt, dass sie die Zeitabstände zwischen dem Wasserlassen und die Menge an Urin in der Blase vergrößern könnten. Darüber hinaus befasst sich die Forschung mit der vorübergehenden Einschränkung der Urinproduktion. Sie würde es den Patienten ermöglichen, diese für eine bestimmte Dauer praktisch “abzuschalten”, damit die Betroffenen die Möglichkeit hätten, sich unbeschwert mit anderen Menschen zu treffen oder ins Kino zu gehen. 49 Herpesvirus-Infektionen Was sind Herpesvirus-Infektionen? Es gibt acht bekannte humane Herpesviren, die in drei Gruppen eingeteilt werden. Lippenherpes, der die meisten von uns irgendwann betrifft, wird durch Herpes simplex (HSV) Typ 1 verursacht (SIEHE ABBILDUNG 1). Genitalherpes, eine der häufigsten Geschlechtskrankheiten, ist normalerweise die Folge einer Infektion mit HSV-2 (in Einzelfällen auch mit HSV-1), und die Windpocken sowie die Gürtelrose sind Krankheitsbilder der Varicella-Zoster-Infektion. M E D I K A M E N T E F Ü R M E N S C H E N Abgesehen davon, dass ihr Genom aus doppelsträngiger Desoxyribonukleinsäure (DNA) besteht, haben die verschiedenen Herpesviren die gemeinsame Eigenschaft, dass sie sich nach der Erstinfektion in bestimmte Körperzellen (im Falle von HSV-1, -2 und -3 in Nervenzellen) zurückziehen und dort ruhend verharren. Von dort können sie spontan oder bei geschwächtem Immunsystem reaktiviert werden, wobei das Krankheitsbild unter Umständen schwerer als bei der Erstinfektion verlaufen kann. Herpesviren vom Gamma-Typ werden mit der Entwicklung verschiedener Krebsarten in Zusammenhang gebracht. 50 Wer ist von Herpesvirus-Infektionen betroffen? Die meisten Menschen kommen irgendwann im Leben mit HSV-1 in Kontakt, und nach Auftreten von Herpesbläschen werden viele der Betroffenen zu Virusträgern, bei denen die Symptome immer wieder auftreten. Herpesbläschen sind normalerweise harmlos, doch bei Menschen unter immunsuppressiver Therapie oder mit Krebs oder AIDS können sie lebensbedrohlich sein. Auch bei Neugeborenen können Infektionen infolge eines Genitalherpes der Mutter sehr gravierend sein. Bei 50% der Neugeborenen, die einen neonatalen Herpes überleben, kommt es zu langwierigen, bleibenden neurologischen Folgen. Bevor es Impfstoffe gegen Varicella-Zoster gab, waren die Windpocken eine weit verbreitete Infektion im Kindesalter. Die Gürtelrose, die häufig bei älteren Menschen auftritt, geht oftmals mit schweren, hartnäckigen neuropathischen Schmerzen einher. Bei Empfängern von Nierentransplantaten kann eine Infektion mit dem Cytomegalievirus zur Abstoßung des Transplantats führen. Eine immunsuppressive Behandlung im Zusammenhang mit einer Chemotherapie oder Transplantation kann dazu führen, dass sich Windpocken zu einer überschießenden Allgemeininfektion mit tödlichem Ausgang entwickeln. Aktuelle Therapie Im latenten Zustand sind die Herpesviren in Zellen verborgen, wo sie für das Immunsystem unsichtbar sind. Im Falle von Lippenherpes sind dies Nervenzellen in Kopf und Hals, während das Virus beim Genitalherpes in den Nervenganglien der unteren Wirbelsäule verharrt. Das Varicella-Zoster-Virus, das die Windpocken verursacht, verbirgt sich in Nervenknoten entlang der Wirbelsäule. Die medizinische Behandlung bekämpft zwar die Symptome, vermag aber nichts gegen die latente Virusinfektion Die humanen Herpesviren und die Krankheiten, die sie hervorrufen Typ Gängiger Name Mit dem Virus verbundene Erkrankung HHV-1 Alpha Herpes simplex, Typ 1 Lippenherpes HHV-2 Alpha Herpes simplex, Typ 2 Genitalherpes HHV-3 Alpha Varicella-Zoster (VZV) Windpocken, Gürtelrose HHV-4 Gamma Epstein-Barr (EBV) Infektiöse Mononukleose, Burkitt-Lymphom HHV-5 Beta Cytomegalovirus (CMV) Retinitis, Pneumonie (bei Immunschwäche) HHV-6 Beta Human Herpesvirus 6 Dreitagefieber HHV-7 Beta Human Herpesvirus 7 Unbekannt HHV-8 Gamma Human Herpesvirus 8 Kaposi-Sarkom (bei Immunschwäche) auszurichten. Leichtere Ausbrüche von Lippen- oder Genitalherpes werden oft mit rezeptfreien, lokal anwendbaren Präparaten behandelt, während schwerere oder häufiger auftretende Fälle einer systemischen Behandlung bedürfen. Infektionen durch Herpesviren verursachen erhebliche Beschwerden, wie z.B. Herpesbläschen an den Lippen. Die Infektion tritt u. a. in Form von Genitalherpes, Windpocken und Gürtelrose auf. Trotz der außerordentlichen Fortschritte bei der Entwicklung entsprechender Medikamente wird weiter intensiv an Impfstoffen und anderen Mitteln zur Bekämpfung dieser weit verbreiteten Viren geforscht. Als Antiherpes-Präparate stehen eine Reihe von Nukleosidanaloga zur Verfügung, die die Replikation der Virus-DNA blockieren und auf diese Weise die Bildung neuer infektiöser Partikel verhindern. Es gibt sie als Tabletten oder als lokal anwendbares Präparat. Außerdem steht für schwere systemische Infektionen auch eine Darreichungsform zur intravenösen Infusion zur Verfügung. Drei DNA-Polymerasehemmer werden zur Behandlung von Cytomegalievirus-Infektionen bei AIDS-Patienten und immungeschwächten Patienten eingesetzt. Die Nachteile all dieser Antiherpes-Präparate sind die Regelmäßigkeit, mit der sie angewendet werden müssen, und die Tatsache, dass sie das latente Virus nicht eliminieren. F Ü R M E N S C H E N Langzeitperspektiven Die Elimination des Virus aus den Nerven bleibt das oberste Ziel für neue Behandlungen von Herpesvirus-Infektionen, das jedoch noch in weiter Ferne liegt. In der Zwischenzeit dürften eine wirksamere Prävention und die Entwicklung von weniger toxischen, antiviralen Wirkstoffen, die das symptomfreie Intervall verlängern können, realistischere Ziele darstellen. ABB. 1: Elektronenmikroskopische Aufnahme des Herpes-simplex-Virus Typ 1 (HSV-1) M E D I K A M E N T E Neue Wege in der Entwicklung Die zunehmende Häufigkeit von sexuell übertragenen Krankheiten hat die Notwendigkeit einer wirksamen Prävention von HSV-Infektionen verstärkt aufgezeigt. Darauf konzentriert sich gegenwärtig auch der größte Teil der Entwicklungsanstrengungen. Eines der erwähnten antiviralen Präparate ist unlängst zur Prävention der Übertragung von HSV-Infektionen zwischen heterosexuellen, monogamen Paaren zugelassen worden. Es laufen Forschungsarbeiten zur Prüfung eines Impfstoffs für die Prävention von genitalen Herpesinfektionen, und auch die Entwicklung eines prophylaktischen Impfstoffs geht weiter. Eine andere Forschergruppe hat ein Lipopeptid aus einem Meerespilz isoliert, das HSV-1 und HSV-2 mindestens genauso wirksam wie die bisher verfügbaren DNA-Nukleosidanaloga zu hemmen scheint, und diese Substanz wird nun zur Prüfung in der klinischen Praxis weiterentwickelt. 51 Malaria Was ist Malaria? Die Malaria ist eine parasitäre Infektionskrankheit. Sie wird durch den Stich von blutsaugenden Anopheles-Mücken übertragen, durch den sich das Opfer mit einer der vier Plasmodium-Arten infiziert, die die Krankheit verursachen, wobei Plasmodium falciparum die gefährlichste Form der Malaria hervorruft. Der Name der Krankheit leitet sich von den italienischen Wörtern “mala” und “aria” für “schlechte Luft” ab. Malaria ist bereits seit Jahrtausenden bekannt. Die Analyse archäologischer Überreste auf einem Friedhof in Süditalien mit Hilfe modernster DNA-Techniken hat gezeigt, dass es etwa 450 n. Chr. eine besonders virulente Form der Malaria gab, was die Hypothese untermauert, dass ein weit verbreiteter Ausbruch der Krankheit mit zum Untergang des Römischen Reichs beitrug. Die erste wirksame Behandlung der Malaria auf der Basis von Chinin stand für Europäer bereits Anfang des 17. Jahrhunderts zur Verfügung. M E D I K A M E N T E F Ü R M E N S C H E N In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts war die Malaria in allen Regionen der Welt, auch in großen Teilen Europas und Nordamerikas, ein großes Gesundheitsproblem. Gegen Ende der 50er Jahre glaubte man, die Malaria vollständig ausrotten zu können. Durch eine Kombination von sozialen und wirtschaftlichen Fortschritten, schnelle und wirksame Behandlung sowie die Bekämpfung der Steckmücken, vor allem durch Sprühen von DDT in Häusern, wurde die Malaria bis 1970 aus Europa, Nordamerika und weiten Teilen des Nahen Ostens verdrängt. Spärlicher fließende finanzielle Mittel, die zunehmenden Resistenzen gegen die eingesetzten Insektizide und Umweltprobleme im Zusammenhang mit DDT führten dazu, dass die Kampagne zur Ausrottung der Malaria 1972 abgebrochen wurde. Seitdem ist die Malaria wieder auf dem Vormarsch. In einigen Ländern, in denen sie bereits ausgerottet war, greift die Krankheit mittlerweile wieder um sich. 52 Wer ist von Malaria betroffen? Zwischen 300 und 500 Millionen neue Fälle treten jedes Jahr auf, und mehr als eine Million Menschen - überwiegend Kinder unter fünf Jahren in Afrika südlich der Sahara - sterben daran. Die Malaria tritt vor allem in den am wenigsten entwickelten Ländern auf, doch 1999 wurden auch in Europa mehr als 12.000 Fälle bei Reisenden festgestellt, und auch der Klimawandel könnte zur weiteren Verbreitung beitragen. Aktuelle Therapie Chininderivate, wie z.B. Chloroquin, Primaquin, Mefloquin oder Amodiaquin, und andere Antiprotozoenmittel werden seit Jahrzehnten zur Prophylaxe und Behandlung der Malaria eingesetzt, doch aus vielen Ländern wird inzwischen über stark zunehmende Resistenzen gegen diese Präparate berichtet. Die Gesundheitsbehörden sind deshalb dazu übergegangen, die Kombination Sulfadoxin/Pyrimethamin - bestehend aus einem Sulfonamid und einem Hemmer des Parasitenenzyms DihydrofolsäureReduktase - als Therapie der Wahl zu empfehlen, doch auch die Resistenz gegen diese Kombination breitet sich aus. Die Weltgesundheitsorganisation drängt die Entwicklungsländer, das Problem der zunehmenden Resistenzentwicklung gegen Antimalariamittel anzugehen, insbesondere durch die Anwendung von Kombinationstherapien auf der Basis von Artemisinin. Der Wirkstoff Artemisinin stammt aus dem chinesischen Beifuß (Artemisia annua). In der chinesischen Medizin waren Extrakte dieser Pflanze schon seit Jahrhunderten zur Fiebersenkung eingesetzt worden. Kombinationen auf der Basis von Artemisinin bestehen aus zwei verschiedenen Wirkstoffen, z.B. Artesunat plus Mefloquin oder Dihydroartemisinin plus Piperaquin, die beide auf unterschiedliche Weise wirken, so dass eine Resistenzentwicklung der Malariaparasiten gegen diese Kombinationen unwahrscheinlicher ist. Die Hauptmaßnahmen gegen die Malaria in Afrika, wo 90% der Morbidität und Mortalität konzentriert sind, bestehen aus: 1.) Prävention der Infektion des Menschen durch parasitentragende Anopheles-Mücken, indem Insektizide versprüht oder mit Insektiziden behandelte Moskitonetze verwendet werden, ergänzt durch Versprühen von Insektiziden in Innenräumen, Abtöten der Larven und Umweltmanagement; 2.) schnelle Behandlung zu Hause oder nicht weit weg von zu Hause; 3.) intermittierende vorbeugende Therapie, d.h. Gabe von Antimalariamitteln an asymptomatische schwangere Frauen in Gegenden mit hohen Übertragungsraten zum Schutz von werdender Mutter und Neugeborenem; 4.) Unterstützung und Verbesserung der Vorhersage, Kartierung von Risikogebieten und Bereitstellung technischer Hilfe zur Prävention von und Reaktion auf Malariaausbrüche. Die Malaria ist eine parasitäre Infektionskrankheit, die durch Stechmükken verbreitet wird. Mehr als eine Million Menschen sterben alljährlich daran. Es sind bereits viele Mittel zur Bekämpfung der Malaria entwickelt worden. Da die Parasiten jedoch Resistenzen gegen die verfügbaren Medikamente entwickeln, muss ständig weitergeforscht werden. Dies ist eine Herausforderung, der sich die pharmazeutische Industrie mit grossem Engagement stellt. Neue Wege in der Entwicklung Neue Kombinationsbehandlungen mit Antibiotika und Chloroquin werden zurzeit in großen klinischen Phase 2-Studien erprobt. Ermutigende frühere Daten haben gezeigt, dass die Kombination mit einem Makrolid dreimal wirksamer ist als Chloroquin allein. Für Kinder im Alter von ein bis vier Jahren ist ein neuer MalariaImpfstoff entwickelt worden. Dieses Projekt befindet sich gegenwärtig in Phase 2-Studien. Neue Erkenntnisse, nach denen die Artemisinin-Verbindungen dadurch wirken, dass sie das Enzym ATP6 des Parasiten blockieren, haben die Suche nach weiteren Schlüsselmolekülen angeregt, die in das Enzymsystem von Plasmodium eingreifen können. F Ü R M E N S C H E N Den jüngsten Berichten zufolge verwendet der Parasit beim Befall der roten Blutkörperchen in seiner Merozoitenform sogenannte Gs-Rezeptoren. Diese gehören zur Gruppe der betaadrenergen Rezeptoren, die durch Betablocker gehemmt werden können. Wenn dieser Ansatz realisierbar wäre, könnte dadurch das Resistenzproblem überwunden werden, weil er gegen einen Bestandteil des menschlichen Körpers und nicht des Parasiten gerichtet ist. M E D I K A M E N T E Langzeitperspektiven Jüngste Forschungsergebnisse zeigen, dass die Infektion der Leberzellen oder Hepatozyten der erste Schritt der Malariainfektion durch Plasmodium ist. Der Parasit wandert in seiner Sporozoitenphase durch das Organ und schädigt dabei Leberzellen, die Elektronenmikroskopische Aufnahme von Plasmodium sp. wiederum den Hepatozyten-Wachstumsfaktor (HGF) produzieren. Auf diese Weise werden andere Zellen in der Leber anfällig für die Plasmodium-Infektion. Diese Erkenntnisse erklären auch, warum die Malaria bei Patienten mit Hepatitis B, die mehr HGF als normal bilden, schwerer verlaufen kann. HGF und sein Rezeptor könnten zwei neue potenzielle Ansatzpunkte für innovative Behandlungsstrategien sein. 53 Nierenkrankheiten M E D I K A M E N T E F Ü R M E N S C H E N Was sind Nierenkrankheiten? Nierenkrankheiten haben viele Ursachen und treten in vielen Formen zutage, doch jede Störung, die zu einer eingeschränkten Durchblutung der Niere führt, kann das Nierengewebe schädigen. Auch einige Medikamente können toxisch für die Nieren sein. Ein akutes Nierenversagen ist eine plötzliche Verschlechterung der Nierenfunktion, die zu einem Anstieg der Konzentrationen von Harnstoff, Creatinin und anderen Stoffen führt, die normalerweise über die Nieren aus dem Körper ausgeschieden werden. Ein akutes Nierenversagen ist zwar oft reversibel und kann von selbst wieder abklingen, doch unbehandelt kann es tödlich verlaufen. Eine chronische Niereninsuffizienz führt zu einer erheblichen Einschränkung einer Reihe von wichtigen Funktionen der Niere. Die Hauptursachen sind Diabetes, Hypertonie, lang andauernde Entzündungen und Vernarbung (Pyelo- und Glomerulonephritis) nach bakteriellen Infektionen. Harnwegsobstruktionen und erbliche Störungen, wie z.B. Zystennieren, sind weniger häufige Ursachen einer chronischen Niereninsuffizienz. 54 Wer ist von Nierenkrankheiten betroffen? Schätzungen zufolge werden in Europa etwa 200.000 Menschen wegen einer Nierenerkrankung behandelt. 50 % von ihnen hatten bereits eine Nierentransplantation und erhalten eine Behandlung, um eine Abstoßungsreaktion zu vermeiden. Viele andere müssen regelmäßig zur Dialyse, wobei die eine Hälfte sich einer Peritonealdialyse unterzieht und die andere einer Hämodialyse. Die Hämodialyse zur Blutreinigung bei Nierenversagen wird normalerweise dreimal wöchentlich im Krankenhaus durchgeführt, während die Peritonealdialyse oft vom Patienten selbst zu Hause vorgenommen werden kann. Im Jahr 2001 wurden in der Europäischen Union 10.644 Nierentransplantationen durchgeführt, und mehr als 50.000 Patienten stehen noch auf den Wartelisten. Eine eingeschränkte Nierenfunktion ist bei älteren Menschen häufiger und wird im Frühstadium oftmals nicht erkannt. Aktuelle Therapie Bei akutem Nierenversagen muss der Salzhaushalt aufrechterhalten und die Restfunktion der Niere mit Diuretika und Vasodilatatoren unterstützt werden, damit das geschädigte Organ sich wieder erholen kann. Ein nachgewiesenes akutes Nierenversagen erfordert eine strenge Überwachung, um auftretende Störungen des Elektrolytgleichgewichts, wie etwa erhöhte Kaliumwerte und eine zunehmende Gewebeübersäuerung, sofort behandeln zu können. Die Patienten sollten auch auf mögliche Infektionen und Ernährungsstörungen hin überwacht werden. Unter Umständen ist eine Dialyse erforderlich, die jedoch wieder beendet werden kann, sobald sich die Nierenfunktion erholt hat. Viele Patienten mit chronischem Nierenversagen leiden an Bluthochdruck und sollten entsprechend behandelt werden. Durch eine eiweißreduzierte Ernährung können die Harnstoffspiegel gesenkt werden, und Anämie wird durch regelmäßige Injektionen von Erythropoetin jeden zweiten Tag behandelt. Vor kurzem ist eine länger wirksame Variante von Erythropoetin zugelassen worden, die einmal wöchentlich verabreicht werden kann. Das chronische Nierenversagen führt außerdem zum sekundären Hyperparathyreoidismus mit gestörten Blutspiegeln von Phosphor, Kalzium, Parathormon und Kalziumphosphat. Um eine Störung der Knochenbildung zu vermeiden, werden Phosphatbinder zur Reduktion der Phosphatresorption in Kombination mit Vitamin-D-Sterolen verabreicht, welche die Kalzium- und Phosphatspiegel im Blut beeinflussen. Seit März 2004 steht ein orales Kalzium-Mimetikum zur Behandlung des sekundären Hyperparathyreoidismus zur Verfügung. Das Medikament erhöht die Empfindlichkeit von Kalziumrezeptoren der Nebenschilddrüse für die Kalziumspiegel im Blut und senkt dadurch die Spiegel von Parathormon, Phosphor, Kalzium und Kalziumphosphat. Bei terminalem Nierenversagen ist eine regelmäßige Dialyse oder eine Transplantation erforderlich, da die Krankheit sonst tödlich verläuft. Die Transplantation ist durch Medikamente, die das körpereigene Immunsystem Position unterdrücken, um eine Abstoßung des Transplantats zu verhindern, wesentlich vorangebracht worden. 1 Es hat sich gezeigt, dass die blutdrucksenkenden ACE-Hemmer das Fortschreiten der Nierenerkrankung bei Patienten mit Diabetes und Hypertonie verlangsamen können, und viele dieser Präparate sind für diesen Zweck zugelassen. Neue Wege in der Entwicklung Einige neue Medikamente zur Anwendung bei Nierentransplantationen sind in der klinischen Entwicklung oder vor kurzem eingeführt worden. Darunter befinden sich monoklonale Antikörperpräparate, die den an der Transplantatabstoßung beteiligten IL-2-Rezeptor blokkieren, sowie ein neues Myriocin-Analogon, das in einer Reihe von Phase 3-Studien geprüft wird. Neue Patienten 173 163 155 143 131 126 121 116 115 112 99 98 87 84 82 80 77 75 69 68 44 33 26 Neue Dialysepatienten in verschiedenen europäischen Ländern (1995, pro 1 Million Einwohner) M E N S C H E N Griechenland Deutschland Luxemburg Tschechische Republik Italien Portugal Spanien Belgien Österreich Frankreich Schweden Dänemark Vereinigtes Königreich Bulgarien Niederlande Norwegen Ungarn Schweiz Irland Finnland Polen Island Rumänien F Ü R Zu den Projekten, die sich noch in früheren Entwicklungsstadien befinden, zählen Studien über Immunsuppressiva bei Lupusnephropathie, einer Autoimmunkrankheit der Nieren, und die Untersuchung Land M E D I K A M E N T E Es ist bekannt, dass ACE-Hemmer das Fortschreiten der Nierenerkrankung verlangsamen können, und nun hat sich in unlängst durchgeführten, großangelegten Studien auch eine andere Klasse von blutdrucksenkenden Medikamenten, die Angiotensin-2-Rezeptorantagonisten (ARB) als ähnlich wirksam erwiesen. Diese neue Klasse von Medikamenten senkt die Mikroalbuminämie, das Zeichen des Frühstadiums einer Nierenerkrankung, und verhindert dadurch das Fortschreiten der Nierenerkrankung bei Patienten mit Diabetes. 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 Nierenkrankheiten können dazu führen, dass die Patienten eine regelmäßige Dialyse oder gar eine Transplantation benötigen. Die Forschung durch pharmazeutische Unternehmen hat viele Medikamente hervorgebracht, die Nierenschäden vermeiden helfen und Transplantationen sicherer machen. European Dialysis and Transplant Association 55 eines Adenosin-A1-Rezeptorantagonisten bei Nierenerkrankung. Auch ein EndothelinRezeptorantagonist wird bei akutem Nierenversagen untersucht. Langzeitperspektiven Die Niere ist ein komplexes und empfindliches lebenswichtiges Organ. In Ruhe nimmt es etwa ein Viertel des vom Herzen ausgeworfenen Blutes auf und ist deshalb eng verbunden mit der Gesundheit des kardiovaskulären Systems. Wie sich bei der Therapie mit ACE-Hemmern und ARB gezeigt hat, können Medikamente, die die Herzfunktion normalisieren, auch günstige Wirkungen auf die Niere entfalten. An der Prävention von anderen Ursachen von Nierenkrankheiten, wie etwa der Zystenniere, wird ebenfalls gearbeitet. Ein Ansatz ist hier die Anwendung von Antisense-Oligonukleotiden, die gezielt auf das Onkogen c-myc wirken. M E D I K A M E N T E F Ü R M E N S C H E N Nierenkrankheiten stellen in allen europäischen Ländern eine erhebliche Belastung des Gesundheitsbudgets dar. So liegen beispielsweise die jährlichen Kosten der Hämodialyse bei etwa € 30.000 pro Patient, und die reinen Kosten einer Transplantation bewegen sich in derselben Größenordnung. Aus wirtschaftlicher wie auch aus humanitärer Sicht ist es deshalb höchst wünschenswert, Möglichkeiten zu entwickeln, um das Auftreten und Fortschreiten von Nierenerkrankungen zu verhindern und Nierenkrankheiten frühzeitig zu diagnostizieren. Angesichts der intensiven Forschung zur Entwicklung neuer Medikamente auf diesem Gebiet dürften sich die künftigen Aussichten für die Behandlung von Nierenkrankheiten weiter verbessern, was den Druck hin zu Transplantationen und die kostenintensive Versorgung bei terminaler Niereninsuffizienz durch Dialyse verringern sollte. 56 Osteoarthritis Was ist Osteoarthritis? Der Begriff Osteoarthritis (OA) steht für eine Gruppe von Erkrankungen mit Degeneration von Gelenkknorpel und Proliferation von neuem Knochen und Bindegewebe, die im Spätstadium deutlich sichtbare Unebenheiten und Furchen rund um die Gelenke verursacht. Die OA kann die meisten Gelenke betreffen, auch die Wirbelsäule, tritt jedoch am häufigsten in Knien, Hüften, Händen und Füßen auf. Die nodale OA der Fingergelenke betrifft vorwiegend Frauen mittleren Alters und unterscheidet sich klinisch von anderen Formen der Osteoarthritis, wie etwa der OA des Knies, die oft mit starken, Übergewicht in Zusammenhang steht und gleichmäßiger auf beide Geschlechter verteilt ist. Die Symptome hängen davon ab, welche Gelenke betroffen sind, doch Schmerzen, Gelenksteifigkeit und Funktionseinbußen sind typisch. Die Schmerzen können im Spätstadium der OA sehr stark werden. F Ü R M E N S C H E N Aktuelle Therapie Die Behandlung der OA beschränkt sich bisher auf die Linderung der Symptome, wie etwa der Schmerzen. Viel Bewegung zur Kräftigung der Muskeln hilft bei den Betroffenen, die noch aktiv sind, einfache Analgetika oder nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR) werden gegen die Schmerzen verordnet, und Corticosteroid-Injektionen in das Gelenk können im Akutstadium helfen. Darüberhinaus gibt es verschiedene Präparate zur Injektion, um die elasto-viskösen Eigenschaften der Gelenkflüssigkeit zu verbessern, was den Verlauf der Krankheit jedoch nicht beeinflusst. M E D I K A M E N T E Wer ist von Osteoarthritis betroffen? Im Alter von 65 Jahren haben 80% der Menschen radiologische Zeichen einer OA, doch nur bei etwa 25% treten Symptome auf. Jüngste Schätzungen setzen die Zahl der Menschen in Europa, die an OA leiden, mit fast 15 Millionen an, doch diese Zahl könnte sogar noch untertrieben sein. Die Osteoarthritis verursacht Schmerzen und Steifigkeit in den Gelenken. Im Laufe der Jahre sind viele Medikamente entwickelt worden, die die Schmerzen der Patienten lindern und den Menschen helfen, mobil und unabhängig zu bleiben. Ein besseres Verständnis des Krankheitsprozesses verspricht zukünftig noch bessere Medikamente. 57 NSAR hemmen das Enzym Cyclooxygenase (COX) und blockieren dadurch die Bildung von entzündungsfördernden Prostaglandinen. Es gibt zwei Formen der COX, die COX1 und die COX-2. Von der COX-2 gebildete Prostaglandine sind entzündungsfördernd und schädigen den Magen-Darm-Trakt, indem sie Magengeschwüre und MagenDarm-Blutungen verursachen, während die durch COX-1 gebildeten Prostaglandine eine schützende Wirkung haben. Einige der älteren NSAR hemmen zwar vorzugsweise das Enzym COX-2, sind aber nicht gänzlich selektiv. Sie haben generell ein niedrigeres Risiko der Bildung von Magengeschwüren als NSAR, die vorzugsweise das Enzym COX1 hemmen. Seit einigen Jahren gibt es in Europa einige wirklich COX-2-selektive NSAR. Sie sollten bevorzugt Patienten mit erhöhtem Risiko der Entwicklung von Magenschwüren und anderen Komplikationen verabreicht werden, die bei älteren NSAR auftreten können. Neue Wege in der Entwicklung Derzeit werden weitere selektive COX-2-Hemmer für die Anwendung bei OA untersucht. Hierbei handelt es sich um Verbindungen der zweiten Generation mit noch spezifischeren pharmakologischen Eigenschaften. Von ganz besonderem Interesse sind injizierbare Darreichungsformen als Vorstufen bereits vorhandener COX-2-Moleküle. Ein anderer Typ von NSAR, der zurzeit in Phase 3-Studien geprüft wird, hemmt nicht nur die Cyclooxygenase sondern auch das Enzym 5-Lipoxygenase, das die Bildung von Leukotrienen katalysiert, welche Schmerzen und Entzündungen vermitteln. Acetylsalicylsäure, die Schmerzen lindert und die Thrombozytenaggregation hemmt, hat sich sowohl bei rheumatoider Arthritis als auch bei OA als nützlich erwiesen. Die Möglichkeit, das Fortschreiten der Krankheit zu modifizieren, wird in einer Phase 3-Studien mit einem Bisphosphonat untersucht. Mikroskopisch kleine Knochenfrakturen an der Gelenkoberfläche werden als mögliche Ursache der OA in Betracht gezogen, und in fortgeschrittenen Stadien der Krankheit werden Knochenzysten und Sklerose beobachtet. Da Bisphosphonate bei Osteoporose nachweislich den Knochenumbau verhindern, besteht die Hoffnung, dass sie auch bei OA das Fortschreiten der Krankheit aufhalten könnten. M E D I K A M E N T E F Ü R M E N S C H E N Langzeitperspektiven Medikamente, die das Fortschreiten der Krankheit modifizieren, müssen das langfristige Ziel der Forschung auf dem Gebiet der OA sein. Zurzeit sucht man unter anderem nach Inhibitoren des Enzyms Aggrecanase, das Aggrecan, einen Hauptbestandteil von gesundem Knorpel, abbaut. Dieses Forschungsprogramm befindet sich jedoch noch in einem frühen vorklinischen Stadium. In anderen Untersuchungen werden Hemmstoffe von Matrix-Metalloprotease-Enzymen erforscht, die ebenfalls am Abbau von Gelenkmembranen bei arthritischen Erkrankungen beteiligt sind. 58 Außerdem hat sich herausgestellt, dass auch der Nahrungsergänzungsstoff Glucosaminsulfat, der bei der natürlichen Bildung von Knorpel eine Rolle spielt, eine gewisse Wirkung hat und leichte bis mittelstarke Schmerzen bei Patienten mit OA des Knies lindert. Es ist jedoch gegenwärtig noch nicht sicher, ob diese Substanz bis zur offiziellen Zulassung weiter entwickelt wird. Periphere Arterielle Verschlusskrankheit Bei der peripheren arteriellen Verschlusskrankheit (pAVK) ist die Durchblutung der Beine behindert oder blockiert. Patienten mit pAVK können nicht weit gehen, ohne dass Schmerzen in den Beinen auftreten. Neue Medikamente zur Behandlung der pAVK werden zurzeit erforscht. Diese Forschungen dürften eine sehr willkommene Linderung für die Patienten bringen, deren Leben durch die pAVK sehr stark eingeschränkt ist. Was ist die periphere arterielle Verschlusskrankheit? Die periphere arterielle Verschlusskrankheit (pAVK) ist eine Atherosklerose der unteren Extremitäten, die die Durchblutung der Beine und Füße behindert oder blockiert. Das typische Symptom, die so genannte Claudicatio intermittens (CI, intermittierendes Hinken), sind Schmerzen im Bein, die beim Gehen aufkommen und beim Ruhen wieder nachlassen. Diese Schmerzen haben dieselbe Ursache, nämlich die unzureichende Versorgung der Muskeln mit Sauerstoff und Nährstoffen aufgrund von Atherosklerose, wie die Angina-pectoris-Schmerzen bei Menschen mit Herzkreislauf-Erkrankungen. Patienten mit CI haben in der Regel eine doppelt bis dreifach so hohe Sterblichkeit durch Herzinfarkt oder Schlaganfall wie gesunde Gleichaltrige. M E D I K A M E N T E F Ü R M E N S C H E N Die CI kann rasch fortschreiten, das Leben der Betroffenen stark beeinträchtigen und schließlich zu einer kritischen Durchblutungsstörung der Extremitäten führen, die eine Notfallbehandlung erfordert, wie z.B. eine Thrombolysebehandlung oder aber eine Angioplastie zur Eröffnung oder Erweiterung der blockierten Arterie, eine Gefäßoperation, um einen Abschnitt der blockierten Arterie zu ersetzen, oder gar eine Amputation. Erhöhte Triglyceridspiegel im Blut, Rauchen und Diabetes sind wichtige Risikofaktoren für das Fortschreiten der Krankheit. Diabetiker mit angiographisch nachgewiesener pAVK haben ein doppelt so hohes Risiko für eine Amputation wie Nichtdiabetiker, und in einer weiteren Studie hatten Raucher eine elf Mal so hohe Amputationsrate wie Nichtraucher. Dennoch ist eine Amputation nur bei zwei bis vier Prozent der Patienten mit pAVK erforderlich, und bei den meisten Patienten nimmt die Erkrankung einen relativ gutartigen Verlauf, der medizinisch behandelt werden kann. 59 Wer ist von peripherer arterieller Verschlusskrankheit betroffen? Die pAVK ist bei Personen unter 50 Jahren ungewöhnlich, doch ihre Prävalenz nimmt mit steigendem Alter zu. In einer Erhebung bei Männern und Frauen im Alter von 5574 Jahren im Vereinigten Königreich betrug die Gesamtprävalenz der CI 4,5%. Die Zahl der Menschen mit asymptomatischer pAVK ist jedoch weitaus höher. Fast zwei Drittel aller Menschen in dieser Altersgruppe sind betroffen. Aktuelle Therapie Die konventionelle Behandlung der pAVK umfasst zwei Aspekte: Therapie der Symptome, die die Lebensqualität beeinträchtigen, und Ausschalten der Risikofaktoren für den zugrundeliegenden atherosklerotischen Prozess. Eine nachhaltige Änderung der Lebensweise, wie z.B. Einstellen des Rauchens und Gewichtsabnahme, sowie Maßnahmen zur Behandlung eines vorliegenden Diabetes sowie die Senkung eines Bluthochdrucks und erhöhter Blutfettwerte sind wesentliche Voraussetzungen, um das weitere Fortschreiten der Krankheit zu verhindern. Fettablagerungen in der Arterienwand M E D I K A M E N T E F Ü R M E N S C H E N Eine Verengung oder Verstopfung einer größeren Beinarterie ist die Ursache der Claudicatio intermittens. 60 Bislang sind erst relativ wenige Medikamente speziell für die symptomatische Behandlung der pAVK zugelassen. Gefäßerweiternde Medikamente (Vasodilatatoren) werden verabreicht, um den peripheren arteriellen Gefäßwiderstand zu senken. Diese verbessern auch die Fließeigenschaften, indem sie die Viskosität des Blutes herabsetzen und die Elastizität der roten Blutkörperchen steigern. Eine andere Substanz verbessert die Verwertung von Glukose und Sauerstoff durch die Muskeln und sorgt auf diese Weise dafür, dass das verfügbare Angebot an Blutflüssigkeit besser ausgenutzt wird. Die mit diesen Medikamenten erreichte Verbesserung der schmerzfreien Gehstrecke ist meist relativ bescheiden (40-50%), kann jedoch im häuslichen Umfeld entscheidend sein, um die dort anfallenden Gehstrecken schmerzfrei zu bewältigen. Bei körperlich aktiven Patienten sollte ein regelmäßiges Bewegungstraining die medikamentöse Therapie begleiten und kann mitunter sogar wirksamer sein. Neue Wege in der Entwicklung Die Entwicklung von neuen Medikamenten für die pAVK musste in der Vergangenheit Rückschläge hinnehmen, denn neue Substanzen erbrachten nur eine begrenzte Verbesserung des Hauptindikators für Wirksamkeit: die länge der schmerzfreien Gehstrecke. Zurzeit wird jedoch in Europa ein neuer 5HT2A-Rezeptorantagonist in einer Phase 3-Studie geprüft. 5HT2A-Rezeptoren sind an der Thrombozytenaggregation und der Relaxation von glatten Muskeln beteiligt. Deshalb könnte diese antithrombozytäre Therapie sowohl die mögliche Bildung von Blutgerinnseln reduzieren als auch die Arterien entspannen und dadurch den Blutfluss verbessern. Eine weitere thrombozytenhemmende Substanz wird zurzeit in Phase 3-Studien erforscht. Zwei Plaquebildungshemmer werden ebenfalls für die Anwendung bei pAVK untersucht, und zwar ein Lipidsenker und ein neuer ACAT-Hemmer, beide bereits in Phase 3. Langzeitperspektiven Die pAVK ist ein Gebiet, auf dem die Gentherapie zum Einsatz kommen könnte. Es laufen bereits mehrere separate Initiativen zur Anwendung dieser Technik zur Förderung der Angiogenese, d.h. des Wachstums neuer Blutgefäße, zur Umgehung einer blockierten Arterie. In Phase 1- und Phase 2-Studien wird derzeit überprüft, ob diese therapeutischen Ansätze halten, was sie versprechen. Diese Medikamente würden lokal in den Muskelzellen ein die Angiogenese förderndes Protein produzieren, das nicht in den Blutkreislauf sezerniert wird. In Europa haben die ersten klinischen Studien mit einem Vektor begonnen, der das Gen für den Fibroblastenwachstumsfaktor 4 (FGF-4), ein angiogenes Eiweiß, einschleust. Ein weiteres Prinzip stellt der Plazentawachstumsfaktor (PIGF) dar als mögliches Mittel zur Behandlung von ischämischen Krankheiten, da präklinische Ergebnisse gezeigt haben, dass die Substanz gezielt am Ort der Ischämie wirkt. In den USA haben klinische Studien der Phase 2 mit einem gentechnisch veränderten hepatischen Wachstumsfaktor (HGF) begonnen, der die Regeneration von Blutgefäßen induziert. Dieser gentherapeutische Ansatz beseitigt zwar nicht die Blockade, die die Symptome verursacht, könnte aber eine relativ einfache Möglichkeit eröffnen, um den Funktionsstatus (schmerzfreies Gehen) zu verbessern. Das wäre eine sehr willkommene Linderung bei Patienten, deren Leben durch die pAVK stark eingeschränkt ist. M E D I K A M E N T E F Ü R M E N S C H E N 61 Psoriasis Was ist Psoriasis? Psoriasis ist eine chronisch entzündliche Hautkrankheit, die oft in Schüben verläuft. Sie ist durch rötliche, scheibenförmige, erhabene Läsionen mit trockener, silberner Schuppung gekennzeichnet, die bevorzugt an Ellbogen, Knien und behaarter Kopfhaut auftreten. Sie sind darauf zurückzuführen, dass die Zellteilungsrate der Keratinozyten der Haut bei Psoriasis sehr viel höher als normal ist. Die meisten Fälle verlaufen relativ leicht, doch mitunter können die Hautveränderungen sehr ausgedehnt und entstellend sein. Die Psoriasis ist nicht ansteckend. Ihre Ursache ist noch nicht bekannt. Bis in die 80er Jahre hielt man eine abnormal hohe Zellteilungsrate für die Ursache der Krankheit. Nachdem die Wissenschaft jedoch die Psoriasis zunehmend als immunologische Störung erkannt hatte, konzentrierte sich die Forschung auf die Rolle von entzündungsfördernden Botenstoffen oder Zytokinen sowie T-Lymphozyten (eine Untergruppe der weißen Blutkörperchen) und auf genetische Faktoren. Im November 2003 berichteten Forschergruppen in Europa und den USA unabhängig voneinander über die Beteiligung von drei Genen auf dem menschlichen Chromosom 17 und des Regulationsgens RUNX 1 an der Entwicklung der Psoriasis. Die Krankheit ist zwar nicht heilbar, doch die Behandlung kann die Symptome zeitweise lindern und sowohl das Aussehen als auch die psychische Verfassung der Betroffenen verbessern. M E D I K A M E N T E F Ü R M E N S C H E N Wer ist von Psoriasis betroffen? In Europa hat die Plaque-Psoriasis eine geschätzte Prävalenz von etwa 0,8%. Dies bedeutet, dass etwa 3,7 Millionen Europäer von der Krankheit betroffen sind, von denen etwa 2,4 Millionen an einer mittelschweren bis schweren Form der Krankheit leiden. Die Psoriasis tritt meist bei jungen Erwachsenen zwischen dem 15. und dem 40. Lebensjahr mit einem mittleren Manifestationsalter von 33 Jahren auf, wobei Männer und Frauen gleichermaßen betroffen sind. 62 Aktuelle Therapie Leichte bis mittelschwere Hautplaques werden bisher mit lokalen Präparaten behandelt, die entweder Dithranol oder Steinkohlenteer und kolloidalen Schwefel enthalten. Salben mit Vitamin-D- oder Vitamin-A-Derivaten werden ebenfalls zur Behandlung chronischer Plaques eingesetzt. Häufig werden auch Steroide als Mittel der Wahl auf die Haut aufgetragen, doch die Entzündung kann erneut auftreten, sobald die Präparate abgesetzt werden. Außerdem gibt es eine Kombinationscreme, die sowohl ein Vitamin-D-Derivat als auch ein Steroid enthält. Antibakterielle und antimykotische Lösungen können eine Infektion der entzündeten Haut verhindern. Die Anwendung bestimmter Wellenlängen von UV-Licht bei gleichzeitiger Einnahme von Psoralen und eines Vitamin-A-Derivats (Retinoid) kann in einigen Fällen vorteilhaft sein. Bei schwerer Psoriasis sind immunsuppressive Medikamente wirksam. Keine der vielen Behandlungsoptionen für Psoriasis ist bisher wirklich zufriedenstellend. Viele lokale Präparate sind unästhetisch in der Anwendung, und die Wirkung tritt nur langsam ein, nach etwa vier bis sechs Wochen. Und keines der Präparate heilt das Leiden, d.h. mit weiteren Schüben muss immer gerechnet werden. Oral verabreichte Retinoide persistieren lange Zeit im Körper und können embryonale Fehlbildungen verursachen. Deshalb dürfen Frauen im gebärfähigen Alter zwei Jahre nach einer Therapie mit diesen Medikamenten nicht schwanger werden. Ein erweitertes Verständnis der Pathomechanismen der Krankheit hat zur Entwicklung einer neuen Generation von Präparaten geführt, die die ersten neuen Therapieansätze seit 40 Jahren darstellen. In Europa wird demnächst ein humanes Fusionsprotein zur Verfügung stehen, das in den USA bereits zugelassen ist. Dieses Protein, das durch Injektion verabreicht wird, besteht aus zwei verschiedenen Teilen. Durch seine doppelte Funktion hemmt das Fusionsprotein sogenannte Gedächtnis-Effektor-T-Lymphozyten, denen man eine Schlüsselrolle bei der Psoriasis zuschreibt. Effektor-T-Lymphozyten sind auch der Angriffspunkt eines injizierbaren monoklonalen Anti-CD11a-Antikörpers, der sich gegenwärtig in den USA im fortgeschrittenen Stadium der klinischen Prüfung befindet. Im September 2003 empfahl das Advisory Committee der FDA für dermatologische und ophthalmologische Medikamente einstimmig die Zulassung dieses neuen Medikaments in den USA. Beide Produkte sind für die Anwendung bei mittelschwerer bis schwerer Psoriasis vorgesehen. Mit jeweils etwa 35% der Patienten, die eine Reduktion der Symptome von mindestens 75% erreichen, scheint ihre Wirksamkeit vergleichbar zu sein. Psoriasis verursacht eine Entzündung der Haut. Sie ist nicht ansteckend, doch schwere Formen können den Betroffenen das Leben zur Qual machen. Die pharmazeutische Industrie hat mit den Jahren zahlreiche Medikamente zur Behandlung der Psoriasis entwickelt. Die aktuelle Forschung dürfte zukünftig zu noch besseren Therapien führen. Außerdem sind einige neue Substanzen gegen den Entzündungsmediator Tumornekrosefaktor alpha (TNF-a) in der Erprobung. Ein monoklonaler Anti-TNF-a-Antikörper ist in den USA und in der EU bereits für die Behandlung der Psoriasis zugelassen. Einige weitere monoklonale Anti-TNF-a-Antikörper haben die Phase 3 der klinischen Prüfung erreicht. Alle diese gegen TNF-a gerichteten Substanzen werden in erster Linie in den USA entwickelt. Neue Wege in der Entwicklung Das Spektrum der biologischen Präparate zur Behandlung der Psoriasis wird sich bald erweitern. Neu entwickelt wird unter anderem ein monoklonaler Anti-IL-2-Antikörper. Dieses bereits zur Prävention der Transplantatabstoßung zugelassene Präparat wird zurzeit in Phase 3-Studien erprobt, um festzustellen, ob es das krankheitsfreie Intervall nach initialem Ansprechen auf die immunsuppressive Behandlung mit einem Calcineurin-Hemmer verlängern kann. Das Zytokin IL-8, ein potenter Keratinozytenwachstumsfaktor, dessen Konzentration bei Psoriasis stark erhöht ist, ist der Angriffspunkt für einen spezifischen monoklonalen Antikörper, der gegenwärtig in den USA in Phase 3-Studien geprüft wird. Ein anderer monoklonaler Antikörper in Phase 2-Studien in den USA und in Europa richtet sich gegen das CD2-Antigen auf den bei Psoriasis aktivierten T-Lymphozyten. Das IL-18-bindende Protein, ein humanes rekombinantes Molekül gegen den Entzündungsmediator Interleukin-18, ist unlängst in die Phase 2 der klinischen Prüfung eingetreten. Ein Analogon eines Calcineurin-Inhibitors befindet sich ebenfalls in der klinischen Prüfung der Phase 2. M E D I K A M E N T E F Ü R Eine Hautplaque vor und nach 2-, 4und 8-wöchiger Behandlung mit einem topischen Retinoid, das gut auf die Behandlung anspricht M E N S C H E N Langzeitperspektiven Während man immer noch nicht sehr viel über die Ursachen und Pathomechanismen der Psoriasis weiß, richten sich alle in der Entwicklung befindlichen neuen biologischen Substanzen gegen Moleküle, von denen man annimmt, dass sie bei der Psoriasis eine Rolle spielen. Sie haben eine spezifischere Wirkung als die älteren Medikamente, wie beispielsweise Steroide, Immunsuppressiva, Vitamine und Teerpräparate. Es bestehen deshalb berechtigte Hoffnungen auf Präparate, die eine bessere Linderung der Symptome mit weniger lästigen Nebenwirkungen und mehr Anwenderfreundlichkeit versprechen. 63 Schmerz Was ist Schmerz? Seit Urzeiten wird die Menschheit vom Schreckgespenst des Schmerzes heimgesucht, und es gibt viele Zeugnisse aus frühzeitlichen Kulturen, die vom Kampf der Menschen gegen den Schmerz künden. Im Laufe der Jahrhunderte ist der Schmerz verschiedentlich auf Dämonen, böse Körpersäfte oder tote Geister zurückgeführt oder als Strafe für die Schlechtigkeit des Menschen betrachtet worden. Tatsächlich leiten sich das englische Wort “pain” und das deutsche Wort “Pein“ vom lateinischen Wort “poena” für Strafe ab. M E D I K A M E N T E F Ü R M E N S C H E N Unter normalen Umständen ist der akute Schmerz ein Schutzmechanismus - eine Warnung an den Körper, dass etwas nicht in Ordnung ist oder dass die Gefahr einer Verletzung droht. Die äußerst selten vorkommenden Menschen, die ohne Schmerzempfindung geboren werden, haben normalerweise eine kurze Lebenserwartung und erleiden viele Verletzungen, weil ihnen das Warnsignal des Schmerzes fehlt. Chronische Schmerzen erfüllen jedoch nicht diesen Zweck. Chronische Schmerzen können durch direkte Gewebsverletzung und –entzündung, wie z.B. arthritische muskuloskelettale Schmerzen, krankheitsbedingte Schädigungen oder durch das Nervensystem selbst, beispielsweise neuropathische Schmerzen bei Diabetes, verursacht werden. 64 Wer ist von Schmerz betroffen? Fast zwei Drittel aller Erwachsenen in der EU leiden irgendwann in ihrem Leben an Rückenschmerzen, und jedes Jahr suchen 35 Millionen Menschen aus diesem Grund ihren Hausarzt auf. Darüberhinaus sind chronische Schmerzen ein häufiges Merkmal des Spätstadiums von Krankheiten, wie Osteoarthritis, rheumatoide Arthritis, Osteoporose, Diabetes und Krebs, und können zu erheblichen Behinderungen führen. Deshalb verwundert es nicht, dass man den Schmerz auch als "stille Epidemie" bezeichnet. Aktuelle Therapie Die moderne Behandlung chronischer Schmerzen zielt darauf ab, die Schmerzen nach Möglichkeit vollständig zu beseitigen und ein Behandlungsschema zu etablieren, das ein Minimum an Medikamenten einsetzt, um dem Wiederauftreten der Schmerzen vorzubeugen, anstatt zu warten, bis die Schmerzen wiederkehren, und sie dann erneut zu behandeln. Die Schmerzempfindung besteht aus drei Elementen: 1.) Reizerkennung durch Rezeptoren, 2.) Übertragung durch Nervenbahnen und 3.) Wahrnehmung/ Interpretation im Gehirn. Dementsprechend wirkt das breite Spektrum von Medikamenten, die zur Schmerzbekämpfung eingesetzt werden, an verschiedenen Wirkorten im menschlichen Körper. Einige wirken im peripheren Gewebe am Ort der Schädigung. Andere wiederum entfalten ihre Wirkung im Rückenmark, während wieder andere im Gehirn wirken. Die Therapie muss oft auf die individuellen Bedürfnisse des Patienten zugeschnitten werden, doch generell richtet sich eine Schmerztherapie nach dem von der Weltgesundheitsorganisation im Jahr 1990 etablierten dreistufigen 'Stufenplan der Schmerztherapie'. Dieser sieht zunächst die Anwendung von Nicht-Opioid-Analgetika oder nichtsteroidalen Antirheumatika (NSAR) vor. Wenn diese Therapie nicht ausreicht, wird stattdessen oder zusätzlich ein schwaches Opioid gegeben. Zusätzlich können Steroide, Lokalanästhetika, Antiemetika oder Beruhigungsmittel gegeben werden, um die Wirksamkeit dieser Analgetika zu steigern. Bei schweren, hartnäckigen Schmerzen werden schließlich starke Opioide eingesetzt. Hierzu zählen transdermale Pflaster mit Opioiden und verzögert freigesetztem Morphin, die eine gleichmäßigere und längere Wirkung als einige injizierte oder orale Präparate haben. Trotz dieser Möglichkeiten leiden viele Menschen an hartnäckigen chronischen Schmerzen oder neuropathischen Schmerzen, die nur schwer zu lindern sind, oder es kommt zu Durchbruchschmerzen, wenn die Wirkung der Medikamente nachlässt. Schmerz ist der wichtigste Schutzmechanismus des Körpers. Verletzungen bzw. Krankheiten verursachen in vielen Fällen Schmerzen. Es wird sehr viel und gezielt geforscht, um neue Schmerzmittel zu entwickeln und die bereits verfügbaren zu verbessern. Die Aussichten für schmerzgeplagte Menschen dürften sich in den kommenden Jahren wesentlich verbessern. Neue Wege in der Entwicklung Die Arzneimittelforschung auf dem Gebiet der Schmerztherapie ist hochspezialisiert, und es gibt bereits viele Analgetika. Dennoch ist eine beträchtliche Zahl von Unternehmen aktiv auf diesem Gebiet tätig. Die Schmerzempfindung ist ausgesprochen komplex aufgebaut (SIEHE ABBILDUNG 1), und dies bietet ein breites Feld für die Entwikklung von Medikamenten, die über neue Mechanismen oder auf unterschiedliche Teile des Nervensystems wirken. Limbisches System Cortex (Großhirnrinde) Thalamus Hypothalamus Mittelhirn Cerebellum (Kleinhirn) Medulla Hirnstamm M E N S C H E N ABB. 1: Dieser Querschnitt durch das menschliche Gehirn zeigt viele der Strukturen, die an der Schmerzverarbeitung und -wahrnehmung beteiligt sind. F Ü R Pons (Brücke) M E D I K A M E N T E Ein Beispiel für einen solchen Wirkungsmechanismus ist die Fähigkeit von Adenosin, die Schmerzwahrnehmung zu modulieren. Mehrere Forschergruppen haben gezeigt, dass der Adenosin-A1-Rezeptor, der bekanntlich eine wichtige Rolle bei der Signalübertragung in Nerven spielt, an neuropathischen Schmerzen beteiligt ist, und dass Adenosin selbst, welches natürlich im Körper vorkommt, analgetische Eigenschaften hat. Mehrere Modulatoren dieses Rezeptors werden bereits in Phase 2Studien auf ihre Wirksamkeit bei neuropathischen Schmerzen untersucht. Andere Mittel, die sich in der Entwicklung befinden, wirken auf die Signalübertragung durch Glutamat. Ein weiteres Prinzip der Behandlung neuropathischer und chronischer Schmerzen besteht darin, an neuronalen Rezeptoren anzugreifen, die auf den Neurotransmitter Acetylcholin ansprechen. 65 Die NSAR stellen zwar keinen neuen Wirkungsmechanismus dar, doch neue Präparate dieser Klasse mit weniger Nebenwirkungen werden ebenfalls untersucht. Für eine Gruppe von COX-2-Hemmern der zweiten Generation ist vor kurzem die Zulassung erteilt oder beantragt worden. Außerdem wird zurzeit ein ungewöhnlicher COX-2Hemmer erforscht, der Stickoxid an Entzündungsorten freisetzt. Es ist bekannt, dass Stickoxid eine entspannende Wirkung auf die Gefäßwände von Kapillaren entfaltet und dies zur Verringerung des Entzündungsgeschehens führt. Eine synthetische Version eines natürlichen Peptids aus Schlangengift, das Kalziumkanäle vom N-Typ blockiert, hat interessante Ergebnisse in klinischen Phase 3-Studien bei schweren, chronischen neuropathischen Schmerzen gezeigt. Das Medikament wird mittels subkutaner Pumpe verabreicht. Ein Antrag auf Zulassung in Europa wurde im Mai 2003 eingereicht. Einen anderen Ansatz verfolgen Forscher, die in drei Projekten schmerzlindernde Präparate auf der Basis von Cannabinoiden entwickeln. Ein als Spray verabreichtes Präparat (Tetrahydrocannabinol) wird bei Krebsschmerzen erprobt (Phase 3-Studien), während ein anderes, eine Kombination aus Tetrahydrocannabinol und Cannabidiol, ebenfalls in Phase 3-Studien bei Schmerzen infolge Rückenmarksverletzungen und bei neurogenen Schmerzen geprüft wird. Auch neue Arten und Formulierungen von Opioiden werden entwickelt. Die Wirksamkeit eines Opioids in der Form eines transdermalen Pflasters, das bisher für tumorbedingte Schmerzen zugelassen ist, wird in einer Phase 3-Studie bei chronischen Rükkenschmerzen untersucht. Das Pflaster gibt das Medikament langsam über 72 Stunden ab. Eine andere Forschergruppe entwickelt ein neues synthetisches Opiat-Fumarat für mittelstarke bis starke Schmerzen, das sich im Stadium der Phase 3 befindet. Auch die Wirkung von Morphin selbst wird in der Zwischenzeit weiter erforscht, unter ande- Dorsalwurzelganglion Dorsalwurzel Rückenmark Hemmendes kommissurales Interneuron Sensorische Neuronen von der Haut Erregendes kommissurales Interneuron Reiz Vorderwurzel Motorneuron zum Beugemuskel M E D I K A M E N T E F Ü R M E N S C H E N Motorneuron zum Streckmuskel 66 Motorneuron zum Beugemuskel Erregter Beugemuskel Gehemmter Streckmuskel Nerven- und Rückenmarkverbindungen, die an der Reaktion auf einen Schmerzreiz, wie beispielsweise einen Nadelstich, beteiligt sind. Der sensorische Nerv verläuft über die Dorsalwurzel zum Rückenmark und gibt seine Signale über Interneurone an die Motorneurone weiter, die über die Vorderwurzel aus dem Rückenmark zum Muskel verlaufen und dort eine reflektorische Reaktion auslösen. rem mit einer retardierten Form (Phase 2 bei postoperativen Schmerzen) und dem Metaboliten Morphin-6-glucuronid, der weniger unerwünschte Wirkungen als die Muttersubstanz hat (ebenfalls in Phase 2 zur Schmerzlinderung nach Hüftgelenkersatz). Langzeitperspektiven Es wird sehr viel geforscht auf dem Gebiet der Schmerztherapie, und die komplexen Mechanismen der Schmerzwahrnehmung werden immer mehr verstanden. Da nicht nur nach wirksameren Schmerzmitteln, sondern gleichzeitig auch nach Möglichkeiten zur Verringerung von Nebenwirkungen gesucht wird, dürften sich die Aussichten für die medikamentöse Behandlung vor allem von chronischen Schmerzen in einigen Jahren wesentlich verbessern. Durch molekulares Klonieren und Anwendung spezieller Schmerzmodelle haben mehrere Forschergruppen spezifische Ionenkanäle, Rezeptoren und Neurotransmitter identifiziert, die möglicherweise bei Schmerzen eine Rolle spielen. Anhand solcher Untersuchungen konnte gezeigt werden, dass eine Gruppe von Natriumkanälen spezifisch für Nervenzellen und die zentrale Schmerzregulation ist. Andere Ansatzpunkte der Forschung sind Kalziumionenkanäle, die für die Behandlung von neuropathischen Schmerzen von Interesse sein könnten. Das Klonieren von NeurotransmitterRezeptoren hat damit bereits neue Möglichkeiten eröffnet. Von großem Interesse ist die Struktur und Funktion des NDMA-Rezeptors. Es wird vermutet, dass ein bestimmter Teil dieses Rezeptors in der Erhaltungstherapie bei chronischen Schmerzen eine wichtige Rolle spielt. Ein anderer Rezeptor-Angriffspunkt ist der so genannte Vanilloid (VR1)-Rezeptor. VR1 ist ein nicht-selektiver Kationenkanal, der an den peripheren und zentralen Endigungen einiger Arten von Nervenzellen exprimiert wird. Man nimmt an, dass dieser Rezeptor ein zentraler Integrator von Schmerzsignalen im Nervensystem ist. Außerdem hat sich gezeigt, dass Capsicain, der Stoff, der dafür sorgt, dass Peperoni scharf schmecken, an diesen Rezeptor bindet. Ferner befasst sich die Forschung mit Bradykinin, einem Peptid, das kleine Blutgefäße stark erweitern kann, da man annimmt, dass es in peripheren Geweben die durch Gewebeschädigungen und Entzündung verursachten Schmerzen verstärkt. Ein anderes natürlich vorkommendes Protein, Artemin, könnte ein wirksamer neuer Ansatz zur Behandlung von neuropathischen Schmerzen sein, da sein Rezeptor nur auf sensorischen Nervenzellen zu finden ist. M E D I K A M E N T E Ein weiterer langfristig zu verfolgender Ansatz zur Schmerzbekämpfung könnte die Anwendung von monoklonalen Antikörpern sein, die mit hoher Selektivität an Ionenkanäle, Membranrezeptoren oder Neurotransmitter binden. F Ü R M E N S C H E N 67 Thrombose M E D I K A M E N T E F Ü R M E N S C H E N Was ist eine Thrombose? Eine Thrombose liegt vor, wenn ein Blutgerinnsel in einem Gefäß den Blutfluss behindert oder blockiert. Damit das Blut nicht gerinnt, bedarf es komplexer Wechselwirkungen zwischen den Blutplättchen, den Endothelzellen, die die Blutgefäße auskleiden, und bestimmten Substanzen im Blut. Diese verhindern normalerweise die Gerinnung, fördern sie aber dann, wenn sie erforderlich ist. Der Gerinnungsprozess wird zum Beispiel durch Verletzungen, Einwirkung von Luft und Kollagenfasern am Schädigungsort ausgelöst. Kollagen ist ein Faserprotein und ein Hauptbestandteil von Knorpel, Knochen und Bindegewebe. Die Blutplättchen oder Thrombozyten verkleben miteinander, und es bildet sich ein Netz von Fibrinfasern, das das Gerinnsel zusammenhält und dadurch die Blutung stillt. 68 Bei einigen Krankheitsbildern ist dieses Gleichgewicht gestört, und es bilden sich Gerinnsel in den Arterien. Dies kann zu einem Herzinfarkt oder Schlaganfall führen. Wenn sich in einer tief im Gewebe liegenden Vene ein Gerinnsel bildet, besteht die Gefahr, dass sich ein Teil dieses Gerinnsels als Embolus ablöst und in das Herz, die Lungen oder das Gehirn gespült wird, wo es eine sogenannte Thromboembolie mit schwerwiegenden Folgen verursachen kann. Die Gerinnselbildung (tiefe Venenthrombose, TVT) nach größeren Operationen, bei denen Kollagen eine Rolle spielt (z.B. ein Hüftgelenksersatz oder eine Knieoperation), oder durch längere Immobilisation, wie Bettruhe bei einer Intensivpflege oder eine lange Flugreise, kann lebensgefährlich sein. Ein Blutgerinnsel in einer oberflächlichen Vene kann eine Entzündung hervorrufen, eine so genannte Phlebitis, bei der jedoch die Gefahr des Ablösens eines Gerinnselteils weniger hoch ist und die bei ausreichender Ruhe normalerweise rasch wieder abklingt. Die Gerinnsel- und Plaquebildung werden durch Risikofaktoren, wie Rauchen, erhöhten Cholesterinspiegel, Bluthochdruck und Diabetes, gefördert. Wer ist von einer Thrombose betroffen? Weltweit sterben jedes Jahr etwa zehn Millionen Menschen an einem Schlaganfall oder Herzinfarkt. Damit ist die Thrombose eine der Haupttodesursachen auf der Erde. Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass einer von 12 EU-Bürgern eine Genmutation trägt, die zu einer erblichen Veranlagung für eine Thrombose führt. Damit hätte man einen erfolgversprechenden Angriffspunkt für die Prophylaxe, wenn wirksame Medikamente entwickelt werden könnten. Bei Patienten, die ohne medikamentöse Prophylaxe einer Kniegelenkersatz-Operation unterzogen wurden, treten in bis zu 85% aller Fälle tiefe Venenthrombosen (TVT) auf. Eine Thrombose liegt vor, wenn ein Blutgerinnsel in einem Gefäß den Blutfluss behindert oder blockiert. Sie kann zu einem Herzinfarkt oder Schlaganfall führen. Durch umfangreiche Forschungsarbeiten haben pharmazeutische Unternehmen Medikamente entwickelt, die Blutgerinnsel auflösen oder deren Entstehung verhindern können. Diese Medikamente haben schon viele Menschenleben gerettet. Aktuelle Therapie Aus medizinischer Sicht gibt es zwei separate Zielsetzungen, die sich jedoch teilweise überlappen. Erstens die Prävention von Blutgerinnseln. Diese kann nach einer Operation oder einem Unfall vorübergehend erforderlich werden oder im Rahmen der Langzeitprophylaxe nach Herzinfarkt oder einem anderen kardiovaskulären Ereignis angezeigt sein. Und zweitens die Beseitigung oder Auflösung von Gerinnseln, die sich bereits gebildet haben. Diese Zielsetzungen stellen unterschiedliche Herausforderungen dar und erfordern unterschiedliche Medikamente. Zur Thromboseprophylaxe werden Thrombozytenaggregationshemmer oder Antikoagulanzien eingesetzt, die bestimmte Komponenten der Gerinnungskaskade hemmen, die zur Bildung der Fibringeflechte in Blutgerinnseln führt. Der bekannteste Thrombozytenfunktionshemmer ist Acetylsalicylsäure, das die Plättchenklebrigkeit verringert und das Risiko eines Herzinfarktes oder Schlaganfalls bei Personen, die bereits einen solchen hatten, oder bei Patienten mit instabiler Angina pectoris deutlich senkt. Andere Verbindungen mit unterschiedlicher molekularer Struktur aber ähnlicher Wirkung werden ebenfalls für diesen Zweck eingesetzt, oft auch in Kombination mit Acetylsalicylsäure. Ein erst in jüngster Zeit eingeführter Thrombozytenfunktionshemmer blokkiert den ADP-Rezeptor auf den Thrombozyten und verhindert deren Verklumpung. Die Substanz zeigt eine schützende Wirkung, die über den Effekt von Acetylsalicylsäure und anderen Medikamenten, wie ACE-Hemmern und cholesterinsenkenden Statinen, hinausgeht, und ist wie diese für die Langzeitprophylaxe angezeigt. Auch Cumarinderivate sind zur Langzeitprophylaxe von wiederholten venösen Thromboembolien geeignet. Sie wirken als Vitamin-K-Antagonisten und verhindern die Biosynthese von Gerinnungsfaktoren in der Leber. Es hat sich gezeigt, dass diese Medikamente in niedriger Dosierung das Risiko von TVT-Rezidiven stark senken können. Verdickung an Gabelung Fettablagerungen in fibrösem Plaque Erstes Zeichen eines “Fettstreifens” Thrombus aus Fibrin und Thrombozyten Sich ablösender Embolus Gefäßverengung Verkalkung Blutung in der Gefäßwand Entzündung und Nekrose Embolie mit Verstopfung eines Gefäßastes Plaque Stadien der Entwicklung von atherosklerotischen Plaques und der Bildung von Embolie M E N S C H E N Verdickung und ‘verhärtete’ Arterienwand F Ü R Ulzeration der Gefäßinnenwand M E D I K A M E N T E Verschleppter Embolus Heparin und niedermolekulare Heparinderivate sind die wichtigsten Mittel zur kurzfristigen Prophylaxe der Blutgerinnung in den Stunden unmittelbar nach einem Herzinfarkt oder Schlaganfall und bei Operationen, wie z.B. einer Angioplastie. Auch die vor kurzem eingeführten Hemmstoffe des Glykoprotein-2b/3a-Rezeptors, der an der Thrombozytenaggregation beteiligt ist, werden zu diesem Zweck eingesetzt. 69 Darüberhinaus stehen ein zyklisches Heptapeptid, ein Tyrosinderivat und ein monoklonaler Antikörper zur Verfügung, die normalerweise unter Aufsicht eines Facharztes zusätzlich zu Acetylsalicylsäure und Heparin oder niedermolekularen Heparinderivaten intravenös injiziert werden. Kopfhaut Schädel Flüssigkeitgefüllter Raum zwischen Schädel und Gehirn Arteria basilaris Arteria carotis interna Halswirbelknochen Wirbelarterie Die Behandlung von bereits gebildeten Blutgerinnseln erfolgt vor allem mit gerinnselauflösenden Medikamenten, wie dem Enzym Streptokinase oder den spezifischeren rekombinanten Formen des natürlich vorkommenden Gewebeplasminogenaktivators (TPA). Diese Medikamente verwandeln das natürliche Plasminogen im Blut zu Plasmin, einem Enzym, das Fibrinnetze spaltet und vorhandene Blutgerinnsel auflöst. Die Plasminogenaktivatoren müssen alle intravenös unter der Hirnarterien Aufsicht eines Facharztes und innerhalb von drei bis sechs Stunden nach einem GEHIRN Infarktverdacht gegeben werden, wenn die Patienten davon profitieren sollen. Gesichts- und Niedermolekulare Heparine sind ebenNasenarterie falls für die Behandlung von Blutgerinnseln bei Lungenembolie und tiefer Venenthrombose angezeigt. Sie werden durch subkutane Injektion verabreicht. Als Nebenwirkungen der Heparine können Blutungen und eine erniedrigte Thrombozytenzahl auftreten, so dass eine sorgfältige Überwachung erforderGabelung der lich ist, um eine Überdosierung zu verKarotis, eine der meiden. häufigsten Stellen der Plaquebildung M E D I K A M E N T E F Ü R M E N S C H E N Neue Wege in der Entwicklung Erste Rippe Rechte Arteria Die neuen Medikamente in der Entcarotis communis wicklung sind überwiegend Antikoagulantien. Eine Gruppe von Substanzen Aorta vom Herzen hemmt den aktivierten Faktor X, eine andere Gruppe hemmt das Thrombin. Erst kürzlich ist in der EU ein synthetischer Pentasaccharid-Faktor-Xa-Inhibitor Die wichtigsten Gefäße für die Blutversorgung des Gehirns für verschiedene Anwendungsgebiete zugelassen worden. Dieselben wissenschaftlichen Partner prüfen derzeit ein weiteres Pentasaccharid in Phase 3-Studien für die TVT-Prophylaxe. Andere Forschergruppen arbeiten ebenfalls an Faktor-Xa-Hemmern. Ein monoklonaler Antikörper gegen Faktor VIII zur Behandlung von Thromboembolien ist noch in der vorklinischen Entwicklung. 70 Die am weitesten fortgeschrittene Substanz in der Kategorie der neuen Thrombinhemmer wird gegenwärtig in Phase 3-Studien zur Prophylaxe und Behandlung von venösen Thromboembolien und zur Postinfarktprophylaxe geprüft. Zwei weitere neue Thrombinhemmer werden in der frühen klinischen Phase untersucht. Der Vorteil dieser neuen Klasse von Medikamenten ist ihre festgelegte orale Dosis. Ein weiteres Projekt ist ein Antagonist der ADP-Bindung an Thrombozyten in der klinischen Phase 3. Noch im vorklinischen Stadium untersuchen Forscher eine Substanz, die den Plasminogenaktivator-Inhibitor (PAI-1) hemmt, und eine andere Forschergruppe beginnt bereits klinische Studien mit einem thrombolytischen und gleichzeitg antithrombotischen Wirkstoff bei akutem Herzinfarkt. Zur Thrombolysetherapie nach akutem Myokardinfarkt wird eine pegylierte rekombinante Staphylokinase-Variante in einer klinischen Phase 2-Studie geprüft. Ein weiterer neuer Ansatz ist Microplasmin, eine niedermolekulare Form des natürlichen Plasminogens. Die Phase 1-Studien mit dieser Substanz zur Behandlung des ischämischen Schlaganfalls, der peripheren arteriellen Verschlusskrankheit und Einblutungen in den Glaskörper des Auges sind bereits abgeschlossen. Langzeitperspektiven Die Thrombose bleibt auch weiterhin ein wichtiges Forschungsgebiet, da die bisher verfügbaren Medikamente wesentliche Nachteile haben. Auch weiterhin müssen die Ärtze bei der Dosierung von Antikoagulantien so lange einen Balanceakt vollführen, bis eine antithrombotische Therapie gefunden ist, die spezifisch und gezielt auf die lebensbedrohlichen Gefäßverschlüsse wirkt. Es sind zwar ständig Fortschritte zu verzeichnen, doch diese führen meist zu schrittweisen Verbesserungen. Die Biotechnologie ermöglicht es mittlerweile, durch das sogenannte Wirkstoffdesign neue Medikamente zu entwickeln, die ganz gezielt in bestimmte Schritte der Bildung oder des Abbaus von Blutgerinnseln eingreifen. Davon erhofft man sich eine klinisch signifikante Verbesserung der Therapieergebnisse bei den bisher so lebensbedrohlichen Manifestationen der Thrombose. MEDIZINISCHE BEHANDLUNG VON THROMBOSEN PROPHYLAXE VON THROMBOSEN Postoperative Prophylaxe (Heparin, niedermolekulare Heparine und andere Substanzen zur Hemmung der Thrombozytenaggregation) THROMBOLYSE - AUFLÖSUNG VON GERINNSELN Langzeitprophylaxe bei Patienten mit Thromboseneigung Gerinnselauflösende Medikamente (Aspirin und andere Substanzen zur Hemmung der Thrombozytenaggregation) (Streptokinase, rekombinante Gewebsplasminogenaktivatoren, auch niedermolekulare Heparine) Medizinische Strategien zur Prophylaxe und Behandlung von Thrombosen M E D I K A M E N T E F Ü R M E N S C H E N 71 Tuberkulose M E D I K A M E N T E F Ü R M E N S C H E N Was ist Tuberkulose? Tuberkulose ist eine bakterielle Infektionskrankheit, die durch das Bakterium Mycobacterium tuberculosis verursacht wird. Sie ist durch die Bildung von Granulomen gekennzeichnet und befällt vor allem die Lunge. Die Symptome sind unter anderem ein mehr als 3 Wochen anhaltender Husten, Brustschmerzen, Müdigkeit und Erschöpfung, Nachtschweiß, Bluthusten und Gewichtsverlust. Die Tuberkulose wird durch Husten, Spucken oder Niesen übertragen. Die Infizierten schleudern hierbei mikroskopisch kleine Tröpfchen mit den Bakterien in die Luft, die dann von anderen Menschen eingeatmet werden. Die Infektion kann aber auch über Körperflüssigkeiten von Patienten, wie z.B. Speichel, Blut oder Urin, übertragen werden. Die Tuberkulose breitet sich in ärmlichen und beengten Wohnverhältnissen besonders schnell aus. Eine infizierte Person mit aktiver Tuberkulose kann pro Jahr durchschnittlich 15 Menschen anstecken. 72 Nicht jeder, der sich infiziert, wird auch krank. Ein Drittel der Weltbevölkerung, also etwa zwei Milliarden Menschen, haben eine latente Tuberkulose-Infektion, doch bei nur etwa zehn Prozent davon bricht die Krankheit aus. Bei Patienten mit geschwächtem Immunsystem kann sich die Krankheit auf den ganzen Körper ausbreiten und zu Abszessen in verschiedenen Organen, wie etwa im Gehirn und im Skelettsystem, führen. Wer ist von Tuberkulose betroffen? Jedes Jahr erkranken etwa 8 Millionen Menschen neu an Tuberkulose, und 2 Millionen sterben daran. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) schätzte vor kurzem, dass vom Jahr 2000 bis zum Jahr 2020 fast eine Milliarde Menschen neu infiziert, 200 Millionen erkranken und 35 Millionen an der Tuberkulose sterben werden. Dies ist vor allem auf die Ausbreitung von HIV in Afrika und die wirtschaftlichen Probleme der mittlerweile unabhängigen Staaten in Osteuropa und Zentralasien zurückzuführen. Etwa 80% aller Tuberkulose-Fälle finden sich in 22 stark betroffenen Ländern, wobei die höchste Zahl an Fällen in Afrika und Südostasien auftritt. Aktuelle Therapie Bis vor etwa 50 Jahren gab es noch keine Medikamente gegen die Tuberkulose. Seit den 50er Jahren haben verschiedene neue Therapien dazu geführt, dass TuberkuloseEpidemien rasch unter Kontrolle gebracht werden konnten. Eine der Schwierigkeiten bei der Behandlung besteht darin, dass die Tuberkulosebakterien gegen bestimmte Medikamente resistent geworden sind, obwohl die Gefahr der Resistenzentwicklung geringer ist, wenn zwei oder vier Medikamente gleichzeitig verabreicht werden. Einige Bakterienstämme sind gegen einzelne Präparate oder sogar gegen Kombinationen verschiedener Präparate resistent. Diese Mehrfachresistenz wird durch eine nicht konsequente oder unvollständige Behandlung verursacht, wenn die Patienten ihre Medikamente nicht regelmäßig über die erforderliche Zeit einnehmen. Eine Infektion mit multiresistenten Tuberkulosebakterien erfordert eine Behandlungsdauer von mindestens 18 bis 24 Monaten und hat schlechtere Heilungschancen. Ein weiteres Problem der Tuberkulosetherapie besteht darin, dass sie langwierig und kompliziert ist. Zur Heilung der Tuberkulose wird eine Kombination aus vier Wirkstoffen (Isoniazid, Rifampicin, Pyrazinamid und Ethambutol), vorzugsweise in einer Tablette, über einen Behandlungszeitraum von 6-9 Monaten empfohlen. Die Therapie muss unter strenger Überwachung verabreicht werden, weil die Therapietreue der Patienten entscheidend für den Therapieerfolg ist. Fälle mit multiresistenten Erregern können auch mit Rifapentin, einer 1998 eingeführten Substanz, behandelt werden. Die Tuberkulose ist eine bakterielle Infektionskrankheit, die bevorzugt die Lungen, aber auch andere Organe befällt. Bis vor 50 Jahren gab es keine wirksame Behandlung dagegen. Mittlerweile existieren viele Medikamente, doch weitere Forschungsanstrengungen sind notwendig, um aufkommende Resistenzen zu überwinden und diese jahrhundertealte Geissel der Menschheit auszurotten. Die von der WHO für die Diagnose und Behandlung der Tuberkulose empfohlene Strategie ist unter der Bezeichnung DOTS (Directly Observed Treatment Short-course) bekannt. DOT (Directly Observed Therapy = Einnahme von Medikamenten im Beisein einer medizinischen Fachkraft) ist ein System zur Überwachung der Therapietreue von Tuberkulose-Patienten und ihrer Therapieschemata. Das gesamte System stützt sich auf entsprechend geschulte Freiwillige, aber auch viele medizinische Fachkräfte in Gesundheitseinrichtungen beteiligen sich daran. Die WHO hat sich zum Ziel gesetzt, 70% aller neuen infektiösen Tuberkulose-Fälle zu erkennen und 85% aller diagnostizierten Fälle zu heilen. Sechs Länder erreichten 1998 diese Ziele, und alle 22 der am meisten betroffenen Länder haben inzwischen das DOTS-System übernommen. Zurzeit haben 43% der Weltbevölkerung Zugang zu DOTS, d.h. doppelt so viele wie noch 1995. Außerdem erhalten 21% der geschätzten Zahl an Tuberkulose-Patienten und damit ebenfalls doppelt so viele wie 1995 im Rahmen des DOTS-Systems eine Behandlung. Weitere Maßnahmen sind die BCG-(Bacille-Calmette-Guerin) Impfung von Neugeborenen oder jungen Menschen zur Tuberkuloseprophylaxe. Bei Kindern ist BCG zwar gegen schwere Formen der Krankheit wirksam, doch bei Erwachsenen variiert der Impfschutz stark. M E D I K A M E N T E F Ü R Mikroskopische Aufnahme von Mycobacterium tuberculosis M E N S C H E N Neue Wege in der Entwicklung Eine Reihe von neuen Impfstoffkandidaten gegen Tuberkulose ist im Rahmen eines EU-Projekts unter Beteiligung von öffentlichen und privaten Forschungseinrichtungen und Pharmaunternehmen in präklinischen Studien gerpüft worden. Das Projekt mit dem Namen TB Vaccine Cluster wurde innerhalb des fünften Forschungsrahmenprogramms 19982002 in die Wege geleitet und hat 15 Millionen Euro für die Impfstoff-Forschung bereitgestellt. TBVac hat zur Gründung eines von akademischen Einrichtungen und der Industrie gemeinsam getragenen Konsortiums geführt, das in der 73 Lage ist, Tuberkulose-Impfstoffkandidaten von den ersten Laborversuchen bis zu den Phase 1-Studien zu entwickeln. Es umfasst 38 führende europäische Forschungsgruppen aus 12 Ländern, darunter auch zwei große pharmazeutische Unternehmen. Darüberhinaus unterstützt die Europäische Union zusätzliche Impfstoffprojekte, von denen zwei die Möglichkeiten der intranasalen oder oralen Impfung als Alternative zur Injektion untersuchen. In den USA hat im Januar 2004 eine Phase 1-Studie begonnen worden, um einen rekombinanten Impfstoff zu prüfen, der zwei Proteine von Mycobacterium tuberculosis enthält. Erst vor kurzem ist eine neue Leitsubstanz auf der Basis des Naturstoffs Thiolactomycin entdeckt worden. Diese Substanz hat sich sowohl in vitro als auch in vivo als wirksam gegen Tuberkulose erwiesen, und man hat inzwischen begonnen, eine Verbindung mit verbesserter Wirkstärke zu entwickeln. Es wird allerdings wahrscheinlich noch einige Jahre dauern, bis diese Substanzen in die klinische Entwicklung gelangen. Ebenfalls in präklinischen Studien befindet sich ein Nitroimidazopyran-haltiges Mittel, das gegen Mycobacterium tuberculosis wirkt und dessen bakterizide Wirkung mit der von Isoniazid vergleichbar ist. Da es auch gegen Keime zu wirken scheint, die sich nicht im Vermehrungszyklus befinden, könnte es als wirkungsvolles Mittel zur Abtötung der Bakterien in Frage kommen, das die Behandlungsdauer bei Tuberkulose erheblich verkürzen dürfte. Auch neue Krankheitsmodelle werden zurzeit erforscht. Wissenschaftler haben ein Goldfisch-Modell der Tuberkulose entwickelt, mit dessen Hilfe sie sich die Entwicklung eines abgeschwächten Mycobacterium-tuberculosis-Lebendimpfstoffs erhoffen. Goldfische sind der Wirt von Mycobacterium marinum, einer eng mit Mycobacterium tuberculosis verwandten Bakterienart. Das Krankheitsbild der Mycobacterium marinumInfektion im Modell ähnelt mit der Bildung von Riesenzellen und Granulomen dem der Tuberkulose-Infektion beim Menschen. Langzeitperspektiven Die künftige wissenschaftliche Forschung auf dem Gebiet der Tuberkulose wird weitgehend von einem verbesserten Verständnis des Genoms von Mycobacterium tuberculosis abhängen. Dieses ist jedoch noch sehr lückenhaft. Besonders dringend benötigt werden neue Medikamente, die bei latenter Tuberkulose wirken und die Behandlungsdauer wesentlich verkürzen. M E D I K A M E N T E F Ü R M E N S C H E N Die wissenschaftliche Fachwelt erwartet, dass bis 2010 mindestens ein neues Medikament gegen Tuberkulose zugelassen und bis 2012 in den am meisten betroffenen Regionen der Welt verfügbar sein wird. Um dieses Ziel zu erreichen, müssen bis 2005 fünf neue Medikamente gegen die Krankheit die vorklinischen Prüfungen abgeschlossen haben. 74 Unfruchtbarkeit Unfruchtbarkeit bedeutet die Unfähigkeit eines Paares, Kinder zu zeugen. Es gibt eine ganze Reihe möglicher Ursachen für Infertilität. Durch intensive Forschung bemüht sich die pharmazeutische Industrie, Elternschaft für die Betroffenen möglich zu machen und damit zu echtem Familienglück beizutragen. Was ist Unfruchtbarkeit? Unfruchtbarkeit ist definiert als ‘das Unvermögen eines Paares, nach mindestens einem Jahr ungeschützten Geschlechtsverkehrs ein Kind zu zeugen oder eine Schwangerschaft auszutragen’. Wer ist von Unfruchtbarkeit betroffen? Sehr viele verschiedene Faktoren können eine Unfruchtbarkeit verursachen, wie mehr als zehn Prozent aller Paare weltweit aus eigener leidvoller Erfahrung nur zu gut wissen. In Europa ist eines von sechs Paaren in irgendeiner Weise vom Problem der Infertilität betroffen. Ausschließliche Störungen beim Mann oder bei der Frau machen jeweils 35% aller Fälle aus, 25% entfallen auf Störungen bei beiden Partnern und 5% aller Fälle sind unerklärbar. Die Fortschritte auf dem Gebiet der Infertilitätsbehandlung haben dazu geführt, dass mittlerweile etwa die Hälfte dieser ungewollt kinderlosen Paare mit Erfolg behandelt werden können. F Ü R M E N S C H E N Heutzutage werden rekombinante Arzneimittel bei verschiedenen Ursachen eingesetzt, z.B. wenn eine Hormonstörung vorliegt, die den Eisprung hemmt. Bei zu niedrigen Spiegeln von natürlichen Hormonen kann der betroffenen Frau ein Östrogenantagonist für mehrere Tage jedes Monatszyklus verordnet werden. Dieses Präparat regt die Hypophyse dazu an, ein Gonadotropin auszuschütten, das wiederum den Eisprung stimuliert. Wenn diese Behandlung versagt oder nicht ausreicht, kann rekombinantes follikelstimulierendes Hormon (rFSH) und rekombinantes humanes Choriongonadotropin (rhCG) verabreicht werden. Diese Hormone imitieren den natürlichen Hormonzyklus und bereiten die Frau für einen Eisprung und die darauffolgende Einnistung der befruchteten Eizelle in die Gebärmutter vor. M E D I K A M E N T E Aktuelle Therapie Die biotechnologische Forschung hat in den vergangenen zehn Jahren eine ganze Bandbreite von Fertilitätsmedikamenten für jedes Stadium des weiblichen Fortpflanzungszyklus, vom Eisprung bis zur Frühschwangerschaft, hervorgebracht. 75 Wenn die Unfruchtbarkeit nicht durch eine Ovulationsstörung verursacht ist, sondern durch andere Ursachen, wie etwa eine Eileiter-Funktionsstörung, eine Endometriose, Antikörper gegen Spermien oder eine verminderte Spermienzahl oder -beweglichkeit, besteht die Möglichkeit einer Befruchtung außerhalb des Körpers, der so genannten in-vitro-Fertilisation (IVF). Die verschiedenen Verfahren der IVF bezeichnet man auch als assistierte Reproduktionstechnik. Bei diesen Verfahren wird mit einem Östrogenantagonisten und einem rhCG eine Hyperstimulation der Eierstöcke herbeigeführt, um anschließend Oozyten (reife Eizellen) zu entnehmen und in vitro (im Reagenzglas) zu befruchten. Die entstehenden Embryonen werden dann in die Gebärmutter implantiert. Die Erfolgsraten des Verfahrens liegen bei etwa 25%. Eine weitere Störung, die eine Infertilität verursachen kann, ist die Hyperprolaktinämie, bei der die Ovulation durch erhöhte Spiegel des Hormons Prolaktin unterdrückt wird. In diesem Fall wird die betroffene Frau mit einem Prolaktinhemmer behandelt. Die männliche Infertilität kann durch Erektionsstörungen, die sogenannte erektile Dysfunktion, zu geringe Spermienproduktion oder Störungen der Spermienbeweglichkeit oder der Spermienreifung bedingt sein. Eine Unterfunktion der Hoden (Hypogonadismus) führt zu einer erniedrigten Konzentration von Testosteron im Blut mit resultierender Beeinträchtigung der Sexualfunktion, Lethargie und verminderter Knochenmasse. Es stehen transdermale Testosteronpräparate zur Steigerung der erniedrigten Hormonspiegel im Blut zur Verfügung. Ein neues Präparat mit einer langsam freisetzenden Depotformulierung eines Androgens hat die Behandlung stark verbessert, da bereits vier Injektionen jährlich ausreichen. Die erektile Dysfunktion tritt häufig im höheren Alter auf und ist oftmals auf körperliche Ursachen, wie etwa eine fortschreitende Atherosklerose oder eine venöse Insuffizienz zurückzuführen, doch auch Medikamente kommen als Ursache in Frage. Die Einführung eines oralen Phosphodiesterase5-Inhibitors hat die Aussichten der Behandlung der erektilen Dysfunktion verbessert, obwohl das Präparat nicht in allen Fällen wirksam ist. Eine zu geringe Spermienproduktion kann mit Hilfe von rFSH gesteigert werden. M E D I K A M E N T E F Ü R M E N S C H E N Die Forschung in Krankenhäusern und Spezialeinrichtungen in Europa hat wertvolle Beiträge zur Infertilitätsbehandlung geleistet. So ist zum Beispiel im Vereinigten Königreich, Frankreich und Deutschland Pionierarbeit auf dem Gebiet der IVF geleistet worden. 76 Neue Wege in der Entwicklung Die Forschung zur Verbesserung der IVF und der Fertilitätsbehandlung wird fortgesetzt. So sind z.B. rekombinante Präparate des humanen luteinisierenden Hormons (LH) und von humanem Choriongonadotropin (hCG) zugelassen worden. Man geht zunehmend davon aus, dass eine Kombinationsbehandlung mit rFSH und rLH möglicherweise therapeutische Vorteile bietet, wie eine erhöhte Schwangerschaftsrate bei einigen Patientengruppen beweist. Derzeit werden so genannte "chimäre" Gonadotropine entwickelt, die die Wirkungen von FSH und LH in einem Eiweißmolekül vereinen. Diese Verbindungen, die vor kurzem in die präklinische Phase der Entwicklung eingetreten sind, könnten hochwirksame Stimulatoren der menschlichen FSH- und LH-Rezeptoren sein. Der rekombinante Leukämie-Inhibitionsfaktor (rLIF) wird in einer Phase 2-Studie zur Behandlung von Störungen der Einnistung des Embryos in die Gebärmutter geprüft, ebenso wie eine mikroverkapselte Form von rFSH. Das Protein LIF spielt vermutlich eine wichtige Rolle bei der Anlagerung des Embryos an der Uteruswand. Unlängst ist ein Gonadotropin-Releasing-Hormon-Antagonist zur Anwendung in der IVF auf den Markt gebracht worden, der die Anzahl der notwendigen Injektionen zur Stimulation der Eierstöcke verringert. Etwa zehn Prozent aller Schwangerschaften enden vorzeitig. Die Herabsetzung der Uterusaktivität beim Eintritt vorzeitiger Wehen könnte den Ausgang der Schwangerschaft verbessern. Ein Ansatz wäre, vorzeitige Uteruskontraktionen zu unterbinden. Die Forschung auf diesem Gebiet konzentriert sich auf Oxytocin-Rezeptor- und Prostaglandin-Rezeptor-Antagonisten. Neue Wirkstoffe für die erektile Dysfunktion und ähnliche Zustände sind mittlerweile in Europa zugelassen worden. Zwei weitere orale Phosphodiesterase-5-Inhibitoren haben sich bei älteren Männern und bei Diabetikern als wirksam erwiesen. Bei beiden Patientengruppen kann es vermehrt zu Erektionsstörungen kommen. Und schließlich arbeitet die Forschung an der Untersuchung des Nutzens eines selektiven 5HT1ARezeptorantagonisten gegen den bei einigen Patienten unter Antidepressiva beobachteten Verlust der Libido. Langzeitperspektiven Die Aussichten für eine erfolgreiche Behandlung der Unfruchtbarkeit verbessern sich weiter, und neue Erkenntnisse, wie etwa die Entdeckung eines Schlüsselproteins, das die Spermienbeweglichkeit beeinflusst, könnten zu einem besseren Verständnis der verschiedenen Ursachen der Infertilität beitragen. M E D I K A M E N T E F Ü R M E N S C H E N 77 Virushepatitis Was ist Virushepatitis? Die Virushepatitis ist eine Infektion der Leber, die durch verschiedene Viren verursacht werden kann. Drei dieser Viren führen zu schweren Erkrankungen: Die Infektion mit Hepatitis A Virus (HAV), das durch verunreinigtes Wasser, Lebensmittel oder Schmierinfektion übertragen wird, ist in der Regel eine akute Krankheit, die nur selten tödlich verläuft, doch die Infektion mit Hepatitis B Virus (HBV) und Hepatitis C Virus (HCV), die beide über Blut und andere Körperflüssigkeiten übertragen werden, können zu chronischen Infektionen führen, die ein großes Gesundheitsproblem darstellen. Es gibt bereits Impfstoffe zur Vorbeugung vor Hepatitis A und B, jedoch noch nicht für Hepatitis C. M E D I K A M E N T E F Ü R M E N S C H E N Wer ist von Virushepatitis betroffen? Die tatsächliche Inzidenz der Virushepatitis A in Europa wird erheblich unterschätzt, weil viele Fälle, vor allem bei Kleinkindern (mit mehr als 70%), asymptomatisch verlaufen. Dagegen sind mehr als 75% aller mit HBV oder HCV infizierten Patienten zwischen 15 und 44 Jahren alt. Weltweit leiden mehr als 400 Millionen Menschen an Virushepatitis B und etwa 170 Millionen an Virushepatitis C. 78 Mit HBV infizierte Erwachsene entwickeln in den meisten Fällen eine akute Infektion und werden anschließend wieder gesund, doch etwa 10% entwickeln eine chronische Infektion, die bis zur Leberzirrhose oder zum Hepatom, einem Leberkrebs, fortschreiten kann. Die schlechteste Prognose der Krankheit geht mit Genmutationen im Bereich der Core-Promoter- bzw. Prä-CoreRegion des Virusgenoms einher. Diese treten 10-20 Jahre nach Beginn der Infektion auf und sind gekennzeichnet durch den Verlust des HBe-Antigens (Ag). Eine HBeAgnegative chronische Hepatitis B - die auch als “variante” oder “prä-Core-mutante” Hepatitis B bezeichnet wird - spricht bisher weniger gut auf die Therapie an und schreitet schneller zur Zirrhose fort. In den vergangenen zehn Jahren ist ein dramatischer Anstieg der Prävalenz dieser Form der Krankheit beobachtet worden. Man schätzt, dass in Südeuropa HBeAg-negative HBV-Infektionen 80% aller Fälle ausmachen. Eine chronische HCV-Infektion ist die häufigste Ursache einer Lebertransplantation in Europa. Die Anzahl der chronisch mit HBV oder HCV Infizierten in Europa ist nicht genau bekannt, wird jedoch auf drei Fälle pro 10.000 Einwohner geschätzt, wobei die Prävalenz in Südeuropa etwas höher ist. Insgesamt wären damit 12 Millionen Menschen betroffen. Aktuelle Therapie Die Therapie der Wahl bei chronischer HBV- oder HCV-Infektion ist seit einiger Zeit die Behandlung mit einem rekombinanten Alfa-Interferon-Präparat. Die Kombination mit einem antiviralen Medikament hat sich bei chronischer HCV-Infektion als wirksamer erwiesen als die Monotherapie. Das neuere, lang wirksame, pegylierte Interferon alfa2a, das einmal wöchentlich verabreicht wird, dürfte die Behandlung der chronischen Hepatitis B wesentlich verbessern. Die Ergebnisse klinischer Studien vom Oktober 2003 bei Patienten mit der am schwersten zu behandelnden Infektionsvariante, der HBeAg-negativen chronischen Hepatitis B, waren im Hinblick auf Behandlungsdauer und Resistenzentwicklung ermutigend. Weitere Zulassungsanträge werden im Jahr 2004 erwartet. Zur Senkung der Viruslast bei HBV stellt die Monotherapie mit Nukleotidanaloga eine Alternative zur Behandlung mit Interferon dar. Etwa ein Viertel aller Patienten werden damit innerhalb eines Jahres virusfrei. Leider entwickelt sich bei etwa 40% aller Fälle innerhalb von zwei Jahren eine Therapieresistenz. Im März 2003 wurde ein neues Nukleotidanalogon in Europa zugelassen. Das Präparat blockiert ebenfalls die HBVDNA-Polymerase, ein an der Virusvermehrung in menschlichen Zellen beteiligtes Enzym. Der Wirkstoff ist für die Behandlung von Erwachsenen mit stabiler HBV-Infektion und Zeichen einer aktiven Virusreplikation, anhaltend erhöhten Serum-Alaninaminotransferase-Spiegeln und histologischem Nachweis einer aktiven Lebererkrankung zugelassen. Neue Wege in der Entwicklung Es laufen Phase 3-Studien, um die Anwendung von Nukleotidanaloga bei HBV auf Kinder im Alter von 2-16 Jahren zu erweitern, die sich die Krankheit möglicherweise durch Übertragung von ihren Müttern zugezogen haben. Ein weiterer antiviraler HBVDNA-Polymerase-Hemmerr wird in einer Phase 3-Studie zur Behandlung von Patienten mit chronischer HBV geprüft, die auf andere Nukleotidanaloga nicht ansprechen. Die Virushepatitis ist eine Infektion der Leber, die durch verschiedene Viren verursacht werden kann. Wenn sie in ein chronisches Stadium übergeht, kann sie zu Leberkrebs oder zum Leberversagen führen. Die Pharmaindustrie erforscht viele Möglichkeiten, um neue Medikamente und Impfstoffe zu finden, damit dieses ernstzunehmende weltweite Gesundheitsproblem noch besser bekämpft werden kann. Elektronenmikroskopische Aufnahme des Elektronenmikroskopische Aufnahme des F Ü R M E N S C H E N Hepatitis-A-Virus Hepatitis-B-Virus Zwei interessante Projekte laufen derzeit auf dem Gebiet der Impfstoffe. Das erste ist ein DNA-Impfstoff zur Prophylaxe der HBV. Man nimmt an, dass die Impfung mit DNA, die für HBV-Antigene codiert, eine wirksame Alternative zu den bisher gebräuchlichen Impfstoffen auf der Basis von rekombinanten Proteinen darstellt und möglicherweise sowohl eine zelluläre als auch eine humorale Immunität mit Antikörpern induziert. Das zweite Projekt ist ein therapeutischer Impfstoff zur Behandlung der chronischen HBV. In Europa ist mittlerweile die Marktzulassung für den kombinierten HAV+HBV-Impfstoff und für zwei Kombinationsimpfstoffe für Kinder zur M E D I K A M E N T E Auch die Entwicklung von Interferonen wird in internationalen Studien mit pegyliertem Alfa-Interferon und Beta-Interferon bei chronischer HCV weiter vorangetrieben. Patienten, bei denen trotz einer Kombination von pegyliertem Interferon mit einem Nukleosidanalogon weiterhin HCV RNA im Serum nachweisbar ist, könnten von einer Begleittherapie mit einem neuen Inosinmonophosphatdehydrogenase-Inhibitor profitieren, der gegenwärtig in klinischen Phase 2-Studien geprüft wird. Ein weiterer Proteasehemmer für HCV mit gezielter Wirkstofffreisetzung in der Leber ist ebenfalls in der Entwicklung. Ein oral zu verabreichender Caspase-Enzyminhibitor wird in einer klinischen Studie der Phase 2 geprüft. Es hat sich gezeigt, dass Caspase-Enzyme die Apoptose oder den programmierten Zelltod vermitteln und bei Leberkrankheiten eine Rolle spielen. Der Ansatz könnte deshalb auch für Patienten mit Fettleber oder hepatobiliärer Erkrankung von Nutzen sein. 79 Impfung gegen HBV und einige Kinderkrankheiten erteilt worden. Zwei DNA-Impfstoffe, die für genetisch veränderte Proteine von der Oberfläche des HCV codieren, sind gerade in die klinische Prüfung der Phase 1 eingetreten. Sie sollen eine Immunantwort auslösen, um einer Infektion mit HCV vorzubeugen. Langzeitperspektiven Zu den Ansätzen, die sich noch im Frühstadium der Entwicklung befinden, zählt die vorklinische Prüfung eines Inhibitors eines HCV-Schlüsselenzyms, der so genannten Helicase. Außerdem wird ein Antisense-Präparat erforscht, das möglicherweise die Virusreplikation hemmt. In den Vereinigten Staaten werden damit bereits erste klinische Untersuchungen zur Behandlung der chronischen HCV-Infektion durchgeführt. Die Forschung arbeitet auch an der Entwicklung von neuen Thiophen-2-carbonsäureDerivaten zur Hemmung des HCV-NS5B-Proteins. Dies ist das wichtigste katalytische Enzym des HCV-Replicase-Komplexes, einer RNA-abhängigen RNA-Polymerase, die vermutlich für die Genomreplikation von HCV verantwortlich ist. Jüngste Forschungsergebnisse darüber, wie HCV sich vor dem menschlichen Immunsystem versteckt, könnten neue Möglichkeiten für die medikamentöse Behandlung von chronischen Infektionen eröffnen. Das Virus nutzt offenbar die Protease NS3/4A, um das menschliche Enzym Interferon-Regulationsfaktor 3 (IRF-3) zu neutralisieren, das unter physiologischen Bedingungen das Zusammenspiel der vielfältigen Gegenmaßnahmen des menschlichen Körpers gegen Virusinfektionen koordiniert. M E D I K A M E N T E F Ü R M E N S C H E N Im Januar 2004 wurde eine Entwicklungskooperation bekannt gegeben, bei der zwei Forschergruppen ihre Zusammenarbeit auf dem Gebiet von HCV erweitern, um gemeinsam einen therapeutischen Impfstoff zu entwickeln. Die Entwicklung eines wirksamen und preisgünstigen Impfstoffs gegen HCV ist sehr zu wünschen. Das Virus verändert sich, genauso wie HIV, durch häufige Mutationen laufend. Daher bleibt die Entwicklung eines therapeutischen Impfstoffs eine ständige Herausforderung. 80 Wachstumsstörungen Was sind Wachstumsstörungen? Wachstumsstörungen treten entweder als Wachstumsverzögerung oder als übermäßiges Wachstum zutage. Es gibt jedoch viele Faktoren, die das Wachstum eines Kindes beeinflussen können, ohne dass das Kind an einer Wachstumsstörung leidet. Als Ursachen kommen sowohl Umwelteinflüsse wie auch erbliche Faktoren oder längere Krankheitszeiten in Frage. Eine Wachstumsverzögerung wird in den meisten Fällen durch eine ungenügende Sekretion des menschlichen Wachstumshormons Somatotropin verursacht. Ohne Behandlung bleiben Kinder mit Wachstumshormonmangel zu klein für ihr Alter und erreichen ein maximales Körpermaß von etwa 40 cm unterhalb der sonst zu erwartenden Größe. Der Hormonmangel kann bereits bei der Geburt bestehen oder irgendwann im Laufe des Säuglings- oder Kindesalters beginnen. Unter den Betroffenen finden sich auch Kinder mit Turner-Syndrom, chronischer Niereninsuffizienz und Prader-Willi-Syndrom. M E D I K A M E N T E F Ü R M E N S C H E N Die Gehirnregion Hypothalamus schüttet das Wachstumshormon-Releasing-Hormon (GHRH) aus. Das GHRH wiederum bewirkt die Freisetzung von Wachstumshormon durch die Hypophyse. Wachstumsstörungen sind in den meisten Fällen darauf zurückzuführen, dass die Hypophyse nicht genügend Wachstumshormon produziert. Der Mangel bleibt jedoch nicht immer bis ins Erwachsenenalter bestehen, was möglicherweise mit der Reifung der Strukturen im Gehirn zusammenhängt. Deshalb müssen Kinder bis zum Erreichen ihrer maximalen Körpergröße regelmäßig untersucht und getestet werden. Bei vielen Patienten bleibt die Ursache des Hormonmangels ungeklärt. Es gibt jedoch mehrere bekannte Ursachen, wie etwa ein Tumor im Bereich der Hypo- Übermäßiges oder ungenügendes Wachstum ist auf gestörte Hormonspiegel zurückzuführen und kann die Lebensqualität der Betroffenen stark beeinträchtigen. Die pharmazeutische Forschung hat zur Entwicklung von synthetischen Hormonen und anderen Medikamenten geführt, die das gestörte Hormongleichgewicht beheben können. Dies hilft wiederum den Patienten, ein altersgemässes Leben zu führen. 81 physe, die Behandlung eines Gehirntumors, eine genetische Störung oder ebenso eine schwere Kopfverletzung. Das Wachstumshormon spielt auch im Erwachsenenalter noch eine wichtige Rolle, wie etwa bei der Regulation von Stoffwechsel und Körperbau, und es verbessert dadurch die allgemeine Lebensqualität. Eine Überproduktion von Wachstumshormon führt zum klinischen Bild der Akromegalie. Dieser Begriff leitet sich von den griechischen Substantiven “akron” (für hoch, oben oder Extremität) und “mega” (für groß) ab und steht für das klinische Bild der Patienten mit gröber werdenden Gesichtszügen und der Vergrößerung von Händen, Füßen und Unterkiefer. Die Akromegalie wird durch eine vermehrte Sekretion von Wachstumshormon ausgelöst, die oftmals durch einen Hypophysentumor bedingt ist, und führt selbst wiederum zur Überproduktion des insulinähnlichen Wachstumsfaktors (IGF-1). Wer ist von Wachstumsstörungen betroffen? Die Prävalenz des Wachstumshormonmangels in der Kindheit liegt bei etwa drei von 10.000 Kindern. Für Europa bedeutet dies etwa 110.000 Betroffene. Einige Kinder, die an der Störung leiden, produzieren noch genügend eigenes Wachstumshormon, so dass sie nach Erreichen ihrer Körpergröße die Behandlung absetzen können. Bei einigen jedoch bleibt der Wachstumshormonmangel auch im Erwachsenenalter bestehen. Sie müssen die Behandlung lebenslang fortsetzen. Ein Wachstumshormonmangel bei Erwachsenen kann auch die Folge einer verminderten Produktion von Wachstumshormon im Hypophysenvorderlappen sein. Sie tritt normalerweise infolge einer strukturellen Hypophysenerkrankung oder einer Läsion im Bereich der Hypophyse, wie etwa einem Hypophysenadenom, oder infolge einer Behandlung, wie beispielsweise einer Schädelbestrahlung oder –operation, auf. Die Prävalenz des im Erwachsenenalter auftretenden Wachstumshormonmangels liegt Schätzungen zufolge bei 1 van 10.000 Erwachsene. M E D I K A M E N T E F Ü R M E N S C H E N Die Akromegalie hat eine Inzidenz von vier bis sechs Fällen pro eine Million Einwohner und betrifft in Europa etwa 15.000 Menschen. In einigen europäischen Ländern sind nationale Datenbanken eingerichtet worden, um alle diagnostizierten Fälle zu registrieren. Die britische Datenbank begann 1997 und hat mittlerweile die Daten von etwa 1.600 Betroffenen erfasst. Neben den oben erwähnten Symptomen leiden die betroffenen Patienten außerdem an Kopfschmerzen, übermäßigem Schwitzen, Weichteilschwellungen und Gelenkbeschwerden. 82 Aktuelle Therapie Wachstumshormon wurde erstmals im Jahr 1956 isoliert und therapeutisch eingesetzt. Seine genaue Struktur wurde 1972 identifiziert. Bis Mitte der 1980er Jahre waren jedoch Hypophysen von Verstorbenen die einzige verfügbare Quelle für Wachstumshormon. Synthetisches Wachstumshormon wurde 1985 erstmals mittels molekularbiologischer Verfahren hergestellt. Das heute produzierte, gentechnisch Wachstumshormon ist zu 100 Prozent identisch mit dem vom Körper hergestellten, natürlichen Wachstumshormon. In Europa stehen mittlerweile mehrere humane rekombinante Wachstumshormon-Präparate verschiedener Hersteller für die Langzeitbehandlung von Minderwuchs bei Kindern und Erwachsenen infolge verminderter oder fehlender Sekretion von hypophysärem Wachstumshormon zur Verfügung. Um ihr Wachstum zu normalisieren, muss den betroffenen Kindern über viele Jahre entweder täglich oder mehrmals wöchentlich Wachstumshormon gespritzt werden. Es gibt aber auch Präparate zur einmal monat- lichen Anwendung. Zur einfacheren Anwendung sind nadellose Verabreichungssysteme entwickelt und im Juni 2002 in der EU zugelassen worden. Außerdem sind Wirkstoffe für die erweiterte Indikation der Behandlung von Wachstumsstörungen bei kleinwüchsigen Kindern zugelassen worden, die als Mangelgeborene zur Welt kamen und den Wachstumsrückstand bis zum Alter von vier Jahren oder später noch nicht aufholt haben. Die aktuellen Therapien der Akromegalie umfassen operative Eingriffe zur Entfernung des Hypophysentumors, Strahlentherapie sowie Medikamente wie Dopaminagonisten und Somatostatinanaloga. Seit November 2002 gibt es in Europa eine neue Klasse von Medikamenten, die Wachstumshormonrezeptor-Antagonisten, zur Behandlung von Wachstumsstörungen. Da seit längerem bekannt ist, dass die übermäßige Sekretion von Wachstumshormon die Ursache der Insulinresistenz ist, wirkt das neue Medikament, das durch Injektion verabreicht wird, indem es die Wirkungen des Wachstumshormons blockiert und die IGF-1-Spiegel normalisiert. Es wird bei AkromegaliePatienten eingesetzt, die ungenügend auf eine Operation, Bestrahlung oder andere Medikamente ansprechen oder für die andere Therapien nicht geeignet sind. Neue Wege in der Entwicklung Pegylierte Moleküle von Somatotropin sind synthetisiert worden, um die Halbwertszeit von rekombinantem Wachstumshormon im menschlichen Körper zu verlängern. Diese Präparate werden derzeit in klinischen Phase 1-Studien geprüft. Auch die Forschung zur Entwicklung weiterer anwendungsfreundlicher Verabreichungssysteme zur Vereinfachung der Anwendung für Kinder und Eltern und zur Verbesserung der Therapietreue geht weiter. Langzeitperspektiven Die Forscher arbeiten weiter daran, das Phänomen des Wachstums auf zellulärer und genetischer Ebene besser zu verstehen. Besondere Aufmerksamkeit gilt dem IGF-1System, das den Zellen signalisiert, zu wachsen, sich zu differenzieren und zu überleben. Eine zentrale Rolle spielt dabei der IGF-1-Rezeptor. Die Transduktion von Signalen über dieses Molekül führt zu mehreren Kaskaden von intrazellulären Ereignissen und zur Aktivierung von weiteren Signalwegen. Langfristig dürfte auch die Gentherapie neue Möglichkeiten für eine bessere Behandlung von Wachstumsstörungen eröffnen. M E D I K A M E N T E F Ü R M E N S C H E N 83 © Geursen-Consulting Heiligenbergstrasse 3 D – 69121 Heidelberg Deutschland Tel.: +49 6221 5860 570 e-mail: robert.geursen@geursen-consulting.de url: www.geursen-consulting.de Herausgeber: Dr. rer. nat., Dr. med. Robert G. 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