Was tut Vermeers Milchmagd im Internet?

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Was tut Vermeers Milchmagd im Internet?
38 KULTUR
BASEL | BASELLANDSCHAFTLICHE
MITTWOCH, 22. APRIL 2015
Was tut Vermeers Milchmagd im Internet?
Public Domain An einer Tagung in Basel tauschten sich Manager, Netzexperten und Archivare über Gratiskultur aus
VON SUSANNA PETRIN
70 Jahre müssen nach dem Tod eines
Künstlers verstreichen. Dann läuft das
schweizerische Urheberrecht auf sein
Werk ab. Was er geschaffen hat, gehört
niemandem mehr – und allen. Vom Gilgamesch-Epos bis zu Stefan Zweigs Schachnovelle, von der Venus von Willendorf bis
zu Egon Schiele. Bücher, Bilder, Skulpturen – sie werden Teil der Public Domain,
des öffentlichen Grunds. Ab sofort ist der
Zugang zu Ihren Werken frei. Jahr für Jahr
kommen neue Werke hinzu; derzeit von
Verfassern, die 1945 gestorben sind.
Mit der Digitalisierung, mit dem Internet und den sozialen Medien, bieten sich
nun neue Möglichkeiten, diese Inhalte bereitzustellen und zu nutzen. Bibliotheken,
Archive und Museen stellt das vor neue
Herausforderungen. Welche Bilder und
Inhalte aus Ihren Schätzen stellen sie wie,
für wen und in welcher Qualität ins Internet? Diese Frage stand im Zentrum der
Arbeitstagung «Public Domain – Gratiskultur für alle?», die am Montag im Haus der
elektronischen Künste in Basel stattgefunden hat. Mit rund 120 Teilnehmern und
einem guten Dutzend Referenten: Direktoren, Kuratoren, Archivare, Bibliothekare, Juristen, Internetspezialisten, Kulturschaffende und viele mehr. Die Organisatorin war Migros-Kulturprozent.
Basler Museen sollen mitziehen
«Noch nie war unser kulturelles Erbe so
leicht zugänglich», sagte Dominik Landwehr, Leiter der Abteilung Pop und Neue
Medien bei der Direktion Kultur und Soziales des Migros-Genossenschafts-Bunds
und Leiter dieser Tagung: «Offene Daten
sind eine Chance für eine offene Gesellschaft.» Doch «wenn alles so einfach wäre, dann wären wir alle nicht hier».
Denn noch wissen viele Institutionen
nicht, ob und wie sie diese digitale Chance nutzen sollen – und ob es für sie eine
ist. In der Schweiz, in Basel, hinken im internationalen Vergleich vor allem die Museen hinterher. Während grosse Archive
und Büchereien – allen voran die Nationalbibliothek – seit Jahren daran sind, ihre
Bestände zu digitalisieren und öffentlich
zu machen, zögern die Museen und Galerien. In Basel hat einzig die Fondation Beyeler Bilder ihrer Bestände weitgehend in
hoher Auflösung bereitgestellt - in Zusammenarbeit mit dem «Google Art Project».
Philippe Bischof, Leiter Abteilung Kultur des Kantons Basel-Stadt, führt in einer
Tagungspause auf seinem Instagram-Account vor, was es bedeutet, hier dabei zu
sein – oder nicht. «#fondationbeyeler ergibt 14-mal mehr Treffer (2624) als #Kunstmuseum Basel (190). #Tate Modern wiederum ergibt rund tausend Mal mehr Einträge (141 000). Ein kleines Beispiel, welches das Problem gut illustriert: Wer digital nicht mitzieht, wird international
abgehängt. Wer in Suchmaschinen und
sozialen Medien nicht schnell gefunden
wird, existiert virtuell nicht. Denn die Präsenz der eigenen Bilder im Netz, das sagen alle Befürworter, «bringt den Museen
mehr Menschen, die Kenntnis davon haben». Das Original wolle man sich trotzdem weiterhin ansehen. «Dieses Selbstbewusstsein dürfen die Museen behalten.»
«Digitalisierung in ihrer ganzen Bandbreite» sei das nächste grosse kulturpolitische Projekt, das er in Basel anstossen
wolle, sagt Bischof. Die Kulturabteilung ist
übergeordnet für die strategische Entwicklung der staatlichen Museen verantwortlich, eines davon ist das Kunstmuseum Basel. «Die Chancen, die sich durch
die Digitalisierung ergeben, sind vielfältig
und überwiegen die Gefahren eindeutig»,
«Digitalisierung in
ihrer ganzen Bandbreite ist das nächste grosse kulturpolitische Projekt, das
ich in Basel anstossen will.»
Philippe Bischof Leiter Abteilung Kultur, Basel-Stadt
sagt Bischof. Wichtig dabei sei, «die Gestaltung und den Umgang mit digitalisierten Daten bewusst einzusetzen und zu
steuern». Natürlich koste die digitale Aufbereitung die Museen viel Geld und erfordere grosses Know-how: «Dafür müssen
auch private Mittel gefunden werden».
Doch letztlich beginne es «mit dem Willen
und dem Interesse, nicht mit dem Geld».
Auch Dominik Landwehr sieht «nur
Vorteile». Es gebe keinen guten Grund dafür, dass die Bibliotheken schneller mit
der Digitalisierung vorangehen als die Museen. «Moderne Museen wollen, dass Leute Fotos machen, wollen im Netz mit ihrer
Sammlung vielfach präsent sein.» Für ihn
stelle sich nicht die Frage ob, das gemacht
werden wird, sondern wann. «In der
Schweiz hat man erst gerade begonnen,
sich mit dem Thema zu befassen, das ist
ein Prozess», sagt Landwehr. Jeder Generationenwechsel, etwa in Museumsleitungen, beschleunige diesen Prozess.
Neue Kunstform namens Remix
Die Vorreiterrolle in Europa hat das
Rijksmuseum in Amsterdam übernommen. Es nutzte eine zehnjährige Umbauphase, um seinen Bestand in Topqualität
aufbereitet aufs Netz zu stellen: 400 000
Bilder zum kostenlosen Download. Die
Philosophie dahinter: Es kursieren ohnehin viele Bilder ihres Bestandes im Internet, etwa Vermeers Milchmagd. Da ist es
dem Museum lieber, wenn die Nutzer die
Abbildungen in guter Qualität sehen und
teilen – nicht in miserabler.
Für eine solche Grossoffensive fehlt den
meisten Museen das Budget. Aber dass es
auch mit weniger Geld und umso mehr
Enthusiasmus geht, zeigte Merete Sanderhoff, Kunsthistorikerin und Kuratorin am
«Statens Museum for Kunst» in Kopenhagen, in ihrem Vortrag. Ihr Haus begann
2012 damit, 160 hochaufgelöste Bilder
freizugeben – mithilfe des Google Art Projects. Gleichzeitig ermuntert es Publikum
und Künstler, mit den Werken zu spielen.
Unter anderem stellte es nach einem
Wettbewerb Neuinterpretationen alter
Werke neben den Originalen aus. Eine
neue Kunstform ist auch dank solcher Initiativen entstanden: «Remix».
Urheberrecht ist veraltet
Richtig kompliziert wird es, wenn das
Urheberrecht noch nicht abgelaufen ist,
wenn Werke nicht Teil der Public Domain
sind. Im Gegensatz zu den USA, die das
«Fair Use»-Prinzip kennen, wird in Europa
nicht unterschieden, ob ein künstlerisches Werk nur zu privaten oder zu kommerziellen Zwecken genutzt wird. Praxis
und Theorie klaffen auseinander: Täglich
verstossen Millionen von Anwendern gegen Urheberrecht, indem sie Bilder posten oder teilen, ohne die Rechtslage abgeklärt zu haben. Der ständige Einsatz von
Bildern sei heute Teil der Kommunikation, sagte Kulturwissenschafter Wolfgang
Ullrich. Er plädierte dafür, das Urheberrecht der Praxis anzupassen – in der
Schweiz ist es derzeit in Vernehmlassung.
Die Stimmen für eine Lockerung des
Rechts überwogen an der Tagung. Doch
das Gebiet ist riesig, und jede Abzweigung
mündet in weitere Verästelungen. Maler
sind in einer anderen Situation als Musiker oder Schriftsteller. Wie sollen letztere
von ihrem geistigem Eigentum leben? Und
ein kritischer Einwand der Staatsarchivarin des Kantons Basel-Stadt, Esther Baur,
lautet: «Wer übernimmt die Verantwortung für all diese Informationen? Wir können das nicht einfach Google überlassen.»
Sicher ist einzig, was Sanderhoff gegen
Ende sagte: «Wir sind alle etwas überwältigt von den Herausforderungen vor uns.»
So cool wie er ist, soll auch sein Theater sein
Fussballtheater Ahilan Ratnamohan erzählt, wie er den Fussball auf die Bühne brachte
stand nur ganz knapp das Studium. Seine
Mutter war enttäuscht.
«Ich war ein Versager», sagt Ratnamohan rückblickend. Er hatte keine Aussicht
auf Arbeit, da er während des Studiums
keine Praktika absolvieren wollte. In seiner Freizeit hatte nur Fussball Platz. Er
begann, als Trainer Kindern das Kicken
beizubringen. Am Ende des Jahres fand er
eine Stelle in einem professionellen Verein in Schweden. Dort lief aber alles
schief: Er wurde nach Saaldorf, in ein kleines Dorf in Oberbayern, versetzt. Dort
lernte er Deutsch — und Ballett zu tanzen.
Heimweh hatte er nie. Dieses Gefühl
kennt er erst, seit er verheiratet ist und
zwei Kinder hat. Seine Mutter wohnt immer noch in Australien, er mittlerweile in
Belgien mit seiner Familie. Dass die Kinder ihre Grossmutter deswegen so selten
sehen, bedauert er.
VON ELENA MANUEL
«Ich habe mich geschämt», gesteht er.
Fussball und Performance musste er lange
Zeit strikt getrennt voneinander halten.
«Ich wollte nicht, dass meine Fussballkollegen von meinen Ballettstunden erfahren.»
Am Morgen vor dem täglichen Fussballtraining übte der angehende Profi-Kicker
Pliés Pirouetten und Jetés vor dem Fernseher. Die Ballettlehrerin war überrascht,
wie schnell er Fortschritte machte — die
Elevinnen amüsiert. Von ihrer Belustigung liess sich Ahilan Ratnamohan aber
nicht stören. Auch wenn er anfangs grosse
Mühe hatte, seinen Körper in alle möglichen Richtungen zu biegen: Er trotzte der
Herausforderung.
Aufgewachsen ist der 31-jährige Ratnamohan in Sydney. Ursprünglich stammt er
aus dem Inselstaat Sri Lanka im Indischen
Ozean. In den 70er-Jahren verliessen seine
Eltern die Insel, kurz bevor der Krieg ausbrach. In Australien machte er keine
schlechten Erfahrungen mit Rassismus. Er
wurde nie aussen vor gelassen, war bestens integriert in die multikulturelle Gesellschaft.
Cooles Theater
Niederländisches Gras ist ein Segen
Nach der obligatorischen Schulzeit
schrieb er sich gleich bei der Universität
für Film in Sydney ein. Bereits im zweiten
Semester war er mit der Kamera unterwegs. Nebenbei arbeitete er als Schauspieler. Eine Zukunft als Filmstar sah er für
sich jedoch nicht: «Ich spielte immer nur
den Inder. Als Schwarzer hattest du
damals keine andere Perspektive.» So
stemmte er am Morgen jeweils Gewichte
und kickte gegen das Garagentor. Am
Nachmittag bastelte er an seinen eigenen
Aufnahmen in der Uni, schnitt Filmsequenzen auseinander und legte Ton- über
Bildspuren.
Er konnte seine Mutter überreden, einen Studienaustausch in Amsterdam zu
machen — er schwor, sich dort nur auf das
Performance-Künstler Ahilan Ratnamohan ist 2015 in Basel gleich zweimal zu sehen.
«Ich spielte immer
nur den Inder. Als
Schwarzer hattest
du damals keine andere Perspektive.»
Filmen zu konzentrieren. Von wegen.
Kaum war er in der Grachtenstadt angekommen, rannte er zum Fussballklub.
Noch heute blitzen seine Augen freudig
auf, wenn er von dieser Zeit erzählt. Die
im Verhältnis zur australischen Spielart
unterschiedliche Taktik der Niederländer
faszinierte ihn. Auf dem niederländischen
Grasteppich kickte er sich in den siebten
Himmel. Das ebene, solide Gras: Ein Segen für die australischen Füsse, die nur
dürre, spröde Spielflächen kannten.
DANIEL NUSSBAUMER
Nachtschichten fürs Diplomprojekt
Zurück in Sydney machte sich Ratnamohan das Leben an der Uni schwer. Alles
musste durch seine Finger gehen. Unterstützung lehnte er ab. Für sein Diplomprojekt übernachtete er daher oft in der
Uni. Um von Sicherheitsleuten und Putzfrauen nicht geweckt zu werden, schlief er
im «Queer Room», dem gesonderten
Raum für Studenten, die sexuell gesehen
von der heteronormativen Regel abweichen. Der Film wurde nicht fertig, er be-
Heute muss sich Ahilan Ratnamohan
nicht mehr schämen. Er hat Wege gefunden, seine beiden Leidenschaften – Kicksport und Performance – zu vereinen: auf
der Bühne. Seine Methode: das Fussballtheater. Er wolle Performances zeigen, die
auch seine künstlerisch-konservativen
Freunde, also die kickenden Kunstbanausen, ansprechen. Cooles Theater für Leute, die keine Theatererfahrung haben.
Und das gelingt ihm ziemlich gut. Ratnamohans Stücke sind international gefragt.
Basel hat das Glück, ihn in dieser Spielsaison gleich mit zwei Vorstellungen zu
sehen. Das Fussball-Tanztheater «Drill» ist
diese Woche im Theater Roxy zu sehen.
Im Juni eröffnet Ratnamohans mit dem
sozial-politischen Stück «Star Boy Productions» das Wildwuchs-Festival.
Wann gibts was:
«Drill»: 22. und 23. April jeweils um 20 Uhr
im Theater Roxy.
«Star Boy Productions»: 4. Juni, 20 Uhr im
Theater Roxy