Nr. 5 - DOXS eG

Transcription

Nr. 5 - DOXS eG
Magazin
01/2010
Depression
Auf dem Weg zur Volkskrankheit
Psychosomatische
Versorgung
Krankenhausabteilung
der Hardtwaldklinik II
Gegen den
demografischen Wandel
Kommunen im Schwalm-Eder-Kreis
„Wegkommen
vom Prinzip der
Sachleistungen“?
Kontroverse Diskussion um
Kostenerstattung in der GKV
Magazin Winter 2009
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Magazin
Inhalt
01/2010
Editorial 3
kurz & bündig
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Depression: auf dem Weg zur Volkskrankheit 6
DOXS im Gespräch: „Unterversorgung Depressiver wird teuer für die Gesellschaft“ 8
Leitline und Integrierte Versorgung
Hausarzt ist Vertrauensperson Nummer 1 11
Interview: Dr. Manfred Schäfer, Bündnis gegen Depression in Nordhessen e. V. 13
Kolumne: fern gesehen 15
Psychosomatische Versorgung in Nordhessen
Hardtwaldklinik II betreibt Krankenhausabteilung 16
Die DOXS in der Region, Teil 2:
Abschied von der Kirchturmpolitik im Schwalm-Eder-Kreis 18
A H1N1 – (Was) lernen wir von der „Schweinegrippe-Pandemie“? 22
Flussdiagramme in der Praxis 24
Gemeinsame, sichere und einheitliche Verträge
– Hausarztzentrierte Versorgung ab dem 1.4. in Hessen attraktiv 25
Neue Serie: Praxis & Personal
Teil 1: Konflikte nicht aussitzen 27
„Wegkommen vom Prinzip der Sachleistungen“?
Kontroverse Diskussion um Kostenerstattung in der GKV 29
Kommentare: Pro und Contra Kostenerstattung 32
Kleinanzeigen – Stellenangebote – Stellengesuche
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Impressum
Herausgeber: DOXS eG
Ständeplatz 1, 34117 Kassel
Tel.: (0561) 766 207-12, Fax: (0561) 766 207-20
info@doxs.de, www.doxs.de
Vorstand: Priv. Doz. Dr. Erhard Lang, Dr. Stefan Pollmächer
Vorsitzender des Aufsichtsrates: Dr. Detlef Sommer
Redaktion: Gundula Zeitz, info@gundulazeitz.de
Redaktionsteam: Michael Froelich, Dr. Stefan Pollmächer
Autoren dieser Ausgabe: Irene Graefe, Dr. Klaus Meyer, Dr. Ingo
Niemetz, Ralf Pasch, Dr. Stefan Pollmächer, Dr. Uwe Popert, Dr.
Manfred Schäfer, Martin Wortmann, Gundula Zeitz
Namentlich gekennzeichnete Artikel geben nicht unbedingt die
Meinung des Herausgebers wieder.
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Gestaltung: Reinhold Weber, e-bildwerke
Titelbild: „Stelzenläufer“ in Homburg/Efze, Skulpturen
von Ernst Groß, www.kunstwerkhof.de
Druck: Grafische Werkstatt GmbH
Anzeigen: DOXS eG Geschäftsstelle, Tel. (0561) 766 207-12
Erscheinungsweise: 4-mal pro Jahr / Druckauflage: 1200 Stück
Herausgeber und Redaktion haften nicht für Druck- und Satzfehler, nicht für verspätete Auslieferung durch die Druckerei und
nicht für unverlangt eingesandte Bilder und Manuskripte. Termin- und Adressagaben sind ohne Gewähr. Nachdruck nur mit
schriftlicher Genehmigung der Redaktion.
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
die Nachricht ist alarmierend: „Die nordhessische BKK B. Braun will die elektronische Gesundheitskarte ausrollen“, meldete das Fachmagazin für Telemedizin E-HEALTH-COM Mitte Februar. Danach will die Krankenkasse die E-Card bis Ende 2010 an ihre 15.000 Versicherten weitergeben. Und das trotz der ablehnenden Haltung der KV Hessen, der Landesärztekammer und der letzten Ärztetage gegenüber dem umstrittenen Projekt.
Auf Bundesebene ist die E-Card ins Stocken geraten, nachdem Bundesgesundheitsminister Philipp Rösler im November 2009 für ihre weitere Entwicklung ein „unbefristetes Moratorium“ verhängt hatte. Wenig später ruderte er zurück und kündigte die zunächst
schrittweise Einführung einer Version an, bei der neben dem Foto des Versicherten und
einem Auslandskrankenschein nur Stammdaten gespeichert sind – wie bei der bisherigen
Versichertenkarte. Doch langfristig soll die elektronische Gesundheitskarte die Ausstellung
elektronischer Rezepte und den Zugriff auf elektronische Patientenakten ermöglichen.
Derzeit wird die Karte in sieben Testregionen erprobt.
Derweil laufen immer mehr Ärzte, darunter viele DOXS-Mitglieder, aber auch Patienten
und Datenschützer Sturm gegen den ungeheuerlichen Plan, die Gesundheitsdaten von 80
Millionen Bundesbürgern zu speichern. Erklärtes Ziel ist es, die medizinische Behandlung
der Patienten dadurch zu optimieren und gleichzeitig Milliarden von Euro einzusparen.
Eine Rechnung, die nicht aufgehen wird: Inzwischen wurde nach Schätzungen aus Krankenkassenkreisen bereits fast eine halbe Milliarde Euro für die E-Card ausgegeben. Allein
die Computerbranche hat 340 Millionen Euro investiert. Insgesamt soll die Einführung der
Karte laut Gesundheitsministerium 1,5 Milliarden Euro kosten. Summen, die letztlich die
Versicherten tragen. Doch die E-Card ist vor allem deshalb abzulehnen, weil sie das Vertrauensverhältnis im Kontakt zwischen Arzt und Patient massiv untergräbt, dient sie doch
quasi als Schlüssel zur weltweit größten internetbasierten Gesundheitsplattform – mit sensiblen Daten auf einem Netzwerk aus externen Großrechnern. Und das bedeutet: gläserne
Patienten und Ärzte, gesteuerte Medizin – und Datenmissbrauch.
Dr. Stefan Pollmächer (50),
niedergelassener Facharzt für Allgemeinmedizin und Psychotherapie in
Kassel, DOXS-Vorstands- und Gründungsmitglied.
Dass hochsensible medizinische Daten schon jetzt leicht in die Hände von Unbefugten
gelangen können, hat erst kürzlich der Datenskandal bei der BKK Gesundheitskasse, mit
1,5 Millionen Versicherten die größte deutsche Betriebskrankenkasse, gezeigt: Mitte Februar berichtete das TV-Magazin Kontraste, bei der Betriebskrankenkasse habe es ein „Sicherheitsleck“ gegeben. Das Unternehmen räumte daraufhin ein, erpresst zu werden:
Hilfskräfte hätten von privaten Computern oder Laptops Daten wie medizinische Diagnosen abrufen und speichern können.
Kostengünstige Alternative zur E-Card
Fest steht: Es gibt eine kostengünstige und datenschutzrechtlich unproblematische Alternative zur E-Card: Einen von Hausärzten und Programmierern entwickelten Speicherstick.
Auf dem „maxiDoc“ der gleichnamigen Firma können dezentral Arztberichte gespeichert
werden – und der USB-Stick ist nach einem Gutachten des hessischen Datenschutzbeauftragten sicher. Auf Initiative des DOXS-Vorstands und im Auftrag der Hessischen Landesärztekammer war der Speicherstick dem Datenschutzbeauftragten zur Prüfung vorgelegt
worden.
Im Gegensatz zur E-Card verbleiben beim maxiDoc die Daten in der Hand des Patienten
und des Arztes und werden nicht über das Internet verschickt. Durch die Offline-Speicherung wird das Risiko von Datenverlust, Spionage und Datenverkauf vermindert.
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Das maxiDoc-System besteht aus einer kostenlosen Schreibsoftware für den Arzt (lediglich für
deren Installation fallen Kosten an) und einer Lesesoftware auf dem USB-Stick des Patienten.
Die Bedienung ist einfach und spart Zeit. Auf dem Stick können neben Notfalldaten sämtliche
Untersuchungsergebnisse, Verordnungen bis hin zu EKG-Ausdrucken oder Röntgenbilder gespeichert werden. So werden teure Doppeluntersuchungen unnötig.
Für DOXS-Mitglieder, die ihren Patienten den maxiDoc anbieten möchten, haben wir eine
preisgünstige Möglichkeit ausgehandelt, die erforderliche Software installieren zu können.
Newsletter zweimal im Monat
Natürlich ist die Promotion des maxiDoc nur eines unserer Projekte. Wie sie dem etwa alle 14
Tage erscheinenden Newsletter entnehmen können, gibt es weitere Projekte – ob verbilligte
„Job-Tickets“ für DOXS-Mitglieder und ihre Praxisteams, die Zusammenstellung der IV-Verträge, in die DOXS-Mitglieder eingeschrieben sind, die Weiterentwicklung der DOXS-Akademie
mit zertifizierten Veranstaltungen, das Angebot einer gemeinsamen Zertifizierung und nicht
zuletzt das Vorhaben, Krankenkassen gezielt mit eigenen Ideen zu IV-Verträgen anzusprechen.
All diese Projekte treiben wir energisch voran, allemal seit klar ist, dass Herr Dipl.-Kfm. Gernot
Ruffing, der seit dem 1.9.2009 hauptberuflich die Geschäfte der Genossenschaft geführt hat
und zum Jahresende zunächst sein Ausscheiden zugunsten einer anderen Tätigkeit angekündigt hatte, nun doch Geschäftsführer der DOXS eG bleibt. Herr Ruffing verfügt über reichlich
Erfahrung nach mehrjähriger Tätigkeit bei einem Krankenhausverband in Frankfurt und als
Verwaltungsleiter eines Frankfurter Krankenhauses. Den erforderlichen Input aus haus- und
fachärztlicher Sicht liefern mein Vorstandskollege PD Dr. Erhard Lang und ich. Im laufenden
Jahr werden wir auch vermehrt Fach- und Regionalgruppenkonferenzen einberufen, um die
Zusammenarbeit mit der Basis weiter auszubauen.
Mitgliedsbeitrag könnte sich drastisch verringern, wenn ...
Wir wissen, dass es dennoch Kolleginnen und Kollegen gibt, die trotz der Möglichkeiten, die
unsere Genossenschaft bietet, den Alleingang wählen und die DOXS eG verlassen möchten.
Sollte der Grund für solche Überlegungen der (steuerabzugsfähige!) Mitgliedsbeitrag von monatlich 75 Euro sein, so möchten wir an die Möglichkeit des Einkaufs in der – letztlich den
Mitgliedern gehörenden – DOXS Medizintechnik GmbH – erinnern. Die DOXS eG ist die einzige deutsche Ärztegenossenschaft mit einem solchen Unternehmen.
Die DOXS-Medizintechnik mit ihrem Geschäftsführer Herrn Peter Gramatzki ist in der Lage,
Ihnen jegliche Praxisartikel zu einem kompetitiven Preis zu liefern. Darüber führt die DOXS
Medizintechnik GmbH Wartungen, Reparaturen und relevante Prüfungen Ihrer Geräte durch.
Unsere Kalkulationen zeigen, dass wir in der Lage wären, den Mitgliedsbeitrag gegen null zu
setzen, wenn alle Mitglieder Praxisartikel bei ihrem eigenen Unternehmen kaufen würden –
einfacher geht es kaum.
Fest steht: Eine Genossenschaft lebt durch ihre Mitglieder – deshalb nutzen Sie die Möglichkeiten der Beteiligung zum Beispiel über die Fach- und Regionalgruppen, die Strategiekonferenzen und die Generalversammlung. Im Übrigen freuen wir uns auch über Ihre Hinweise und
Anregungen und wir nehmen Ihre Kritik ernst! Bitte sprechen Sie uns an – wir stehen jederzeit
zu Gesprächen zur Verfügung.
Mit freundlichen Grüßen,
Ihr
Stefan Pollmächer
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k u r z & bündig
Praxiszertifizierung für Mitglieder
Fast 70 DOXS-Mitglieder haben in der jüngsten Umfrage der Geschäftsstelle ihr Interesse an einer Zertifizierung bekundet. „Wir werden unseren Mitgliedern
die Zertifizierung für einen geringen Kostenbeitrag
anbieten können“, sagt DOXS-Geschäftsführer Gernot Ruffing, „derzeit prüfen wir verschiedene Angebote“. Wie im DOXS akut Nr. 6 berichtet, rechnet der
Vorstand damit, dass zur Teilnahme an Selektiv- und
Kollektivverträgen in absehbarer Zukunft eine Zertifizierungspflicht verlangt werden wird.
AOK aktiv & vital: DOXS eG
bezahlt Helferinnen-Besuch für 2010
Es ist ein Modell, das sich als ganz konkrete Antwort
auf die Probleme der ärztlichen Versorgung auf dem
Land versteht: Rund zwei Jahre lang besuchten sieben Arzthelferinnen im Werra-Meißner-Kreis chronisch kranke Patienten von 13 Gemeinschaftspraxen
– und erledigten dabei Aufgaben, für die es nicht unbedingt einen Arzt braucht: Blut abnehmen, Blutdruck und Zucker messen, Verbände wechseln. Zwar
ist das Projekt „Qualifizierter Helferinnenbesuch“ im
Rahmen des IV-Vertrages AOK aktiv&vital ausgelaufen, es kann jedoch über die DOXS eG fortgesetzt
werden: „Wir haben für das Projekt noch Geld im
Topf und werden deshalb für 2010 die Kosten für die
Helferinnenbesuche bei bereits eingeschriebenen,
aber auch bei neuen Patienten übernehmen“, so
DOXS-Geschäftsführer Gernot Ruffing. Die Ausschüttung erfolge 2011, allerdings aus genossenschaftsrechtlichen Gründen nur an diejenigen, die zu dem
Zeitpunkt DOXS-Mitglieder sind.
Umfragen zu IV-Verträgen
Die DOXS-Geschäftsstelle hat bei allen großen Krankenkassen angefragt, welche – insbesondere regionalen – IV-Verträge es aktuell gibt, die für Mitglieder
infrage kommen könnten. Überdies hat die Geschäftsstelle die Verträge ermittelt, in denen Mitglieds­
praxen eingeschrieben sind, und erstellt eine nach
Krankenkassen und Krankheitsbildern sortierte Übersicht, damit es für DOXS-Mitglieder einfacher wird,
sich an bereits bestehenden IV-Verträgen zu beteiligen. „Wir werden in diesem Jahr auch mit eigenen
Vorschlägen an die Krankenkassen herantreten“, sagt
DOXS-Vorstand PD Dr. Erhard Lang.
Sportmedizinische Untersuchungen:
Unterstützung bei Öffentlichkeitsarbeit
Wer vergibt kurzfristig Termine für sportmedizinische
Untersuchungen und Leistungsdiagnostik an Sportlerinnen und Sportler, die beim E.ON-Kassel-Marathon
am 16. Mai starten möchten, hatte die Geschäftsstelle die DOXS-Mitglieder kürzlich gefragt. 21 Praxen
aus ganz Nordhessen haben sich gemeldet und erhalten nun über die Geschäftsstelle kostenlose Unterstützung bei entsprechender Öffentlichkeitsarbeit.
Job-Ticket für DOXS-Mitglieder
Alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von DOXSMitgliedspraxen können das Job-Ticket der Kasseler
Verkehrsgesellschaft (KVG) und des Nordhessischen
Verkehrsverbundes (NVV) erhalten: 7 Prozent Rabatt
im Vergleich zu normalen Jahreskarten für Bahn, Bus,
Tram und Regio-Tram haben die DOXS eG und die
KVG vereinbart. Die Jahreskarte für Berufspendler gilt
am Arbeits- und Wohnort sowie auf allen Wegen dazwischen. Am Wochenende und nach 19 Uhr haben
mit dem Ticket-Inhaber sogar ein weiterer Erwachsener sowie bis zu drei zum Haushalt gehörende Kinder
freie Fahrt. Informationen: Angelika Niebling,
Tel.: 0561 -766207-13, a.niebling@doxs.de
Unterstützung für Forschungsprojekt
des PhysikClubs Kassel
Für die Erwärmung der Erdatmosphäre ist Kohlenstoffdioxid mitverantwortlich. Pflanzen können das
„Treibhausgas“ per Fotosythese aufnehmen und in
Sauerstoff umwandeln. Diesen biochemischen Prozess übernehmen in einer Pflanzenzelle die Chloroplasten. Wie wäre es, wenn man diese Chloroplasten
aus den Pflanzen entkoppeln, bündeln und zu einem
Filter zusammensetzen könnte, der direkt Kohlenstoffmoleküle in Sauerstoff umwandelt? Diese Frage
haben sich zwei Schüler der Jakob-Grimm-Schule in
Kassel gestellt: Cihan Sahin (19) und Tobias Hölzer
(18) entwickelten, betreut vom PhysikClub Kassel, einen „Chloroplastenfilter“. Mit ihrem Projekt, das die
DOXS eG mit der Spende eines speziellen Messgerätes unterstützt hat, nahmen die beiden Schüler kürzlich am Regionalwettbewerb Hessen-Nord von „Jugend forscht“ teil – und erreichten den dritten Platz.
Herzlichen Glückwunsch!
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D ep r ession
auf dem Weg zur
O
b Prominente oder Personen im eigenen beruflichen und privaten Umfeld: Immer häufiger ist zu erfahren, dass Menschen an Depression leiden. Das mag zum einen damit
zusammenhängen, dass die Krankheit Stückchen für Stückchen enttabuisiert wird. So bekennen sich der ehemalige Spitzenfußballer Sebastian Deisler und der Popsänger Robbie Williams
zu ihrer Depression. Die Witwe von Nationaltorwart Robert Enke, der sich das Leben genommen hatte, machte dessen Depression öffentlich. Zum anderen ist diese Ausprägung der psychischen Erkrankung auf dem Weg zur Volkskrankheit. Laut Weltgesundheitsbericht 2001 der
WHO (World Health Organization) wird die Depression im Jahr 2020 die zweithäufigste Krankheit nach den Herz-Kreislauf-Erkrankungen sein, 2030 soll sie in den Industrieländern schon
an erster Stelle stehen. Jeder fünfte in Deutschland leidet zumindest einmal in seinem Leben
an einer Depression, heißt es im Gesundheitsreport 2008 der Techniker Krankenkasse. Frauen
sind doppelt so häufig betroffen wie Männer.
Die Gründe, warum ein Mensch an einer Depression erkrankt, sind vielfältig: Meist findet sich
ein Zusammenspiel zwischen eigener Veranlagung, der Umwelt und biologischer Prozesse wie
Stoffwechselstörungen im Gehirn. Stress im Beruf, Ablehnung in der Kindheit, plötzliche traumatische Ereignisse wie Tod oder das Ende einer Beziehung können Auslöser reaktiver Depressionen sein. In etwa der Hälfte der Fälle vergehen die Beschwerden wieder, doch ein Viertel
erleidet innerhalb von zwölf Monaten die nächste Depression, binnen zehn Jahren sind es drei
Viertel rezidivierende depressive Störungen. Jede fünfte depressive Erkrankung wird chronisch.
Unterschieden wird zwischen verschiedenen Formen der Depression:
• Als unipolar bezeichnet man die Krankheit, wenn sie sich auf depressive Episoden beschränkt.
• Bipolare Störunge lautet die Diagnose, wenn die Betroffenen zwischen depressiven Verstimmungen und manischen Phasen der Euphorie hin- und herschwanken. Nach Angaben
der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde (DGPPN)
durchläuft ein Fünftel der Patienten mit unipolarer Depression in den Folgejahren eine
Manie und leidet dann an einer bipolaren Depression.
• Meist schon im Jugendalter entwickelt sich die Dysthymie: eine chronische Stimmungsbeeinträchtigung über Jahre hinweg.
Das eine Patentrezept, wie eine Depression behandelt werden kann, gibt es nicht, da die Ausprägungen individuell verschieden sind. In der Regel ergänzen sich die Gabe von Psychophar-
Checkliste Symptome bei Depression
In der internationalen Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme
(ICD: International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems) sind im
ICD-10 die Symptome von psychischen und Verhaltensstörungen beschrieben. Danach werden Depressionen nach Symptomen charakterisiert.
Treffen vier oder mehr Merkmale anhaltend über mehr als zwei Wochen zu, wird je nach
Schweregrad eine leichte, mittlere oder schwere Depression diagnostiziert.
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Magazin Winter 2009
ession
r Volkskrankheit
maka und störungsspezifische psychotherapeutische Maßnahmen. Zwar sind die Symptome
der Krankheit behandelbar. Doch eine lebenslang gesteigerte Gefahr, weitere depressive Episoden zu erleiden, entsteht, wenn weitere Phasen folgen oder die Behandlung abgebrochen
wird. Je weniger Episoden bis zur Erstbehandlung durchlaufen wurden, umso besser ist die
Prognose für den Patienten.
Bei Verdacht auf eine depressive Erkrankung (Checkliste Symptome) ist eine umfangreiche
psychische und physische Befunderhebung notwendig. In einem intensiven Arzt-Patient-Gespräch werden belastende Situationen, aktuelle Beschwerden, Vorerkrankungen und eine
mögliche familiäre Veranlagung geklärt. Wichtig ist die Abgrenzung gegenüber anderen psychischen Krankheiten wie Angststörung oder Schizophrenie.
In neurologischen und internistischen Untersuchungen werden organische Krankheiten mit
ähnlichen Symptomen ausgeschlossen, zum Beispiel Schilddrüsenerkrankung, gestörte Nebennierenfunktion, Diabetes, Hirntumor, Morbus Parkinson, Multiple Sklerose, Epilepsie oder
Migräne. Geklärt wird auch, ob Medikamente wie Herz-Kreislauf-Präparate, Steroidhormone,
Antibiotika, Zytostatika oder Suchtstoffe Verursacher der depressiven Störung sind.
Ob eine ambulante oder zunächst stationäre Behandlung notwendig ist, hängt von der Art
und Schwere der Depression ab. Grundsätzlich werden drei Therapiephasen unterschieden:
Die Akuttherapie dauert meist vier bis acht Wochen, bis sich die akuten Symptome deutlich
abgemildert haben. Sie beginnt, sobald eine Krankheitsphase einsetzt. Im Mittelpunkt stehen
die Aufklärung über die Erkrankung, das passende Therapiekonzept und eine möglicherweise
notwendige Medikation.
Die Erhaltungstherapie schließt sich der Akuttherapie an. Binnen sechs bis acht Monaten wird
der Patient so weit stabilisiert, dass es nicht zu einem unmittelbaren Rückfall kommt. In dieser
sensiblen Phase kommt es relativ leicht zu einer Wiedererkrankung. Wichtig ist es, dass auch
die Patienten die Warnzeichen dafür früh erkennen und entsprechende Abwehrmechanismen
beherrschen.
Die Rezidivprophylaxe setzt ein, sobald sich die Stimmungslage des Betroffenen langfristig
verbessert hat. Ihre Dauer hängt vom individuellen Fall – Anzahl und Schwere der depressiven
Episoden – ab. Nun geht es darum, langfristig zu verhindern, dass es zu Rückfällen kommt. Ein
geregelter Alltag, die Einbeziehung der Angehörigen, die Kenntnis, wie möglichen neuerlichen Episoden zu begegnen ist, sowie eventuell eine Fortsetzung der Therapie und Medikation tragen dazu bei, die Erkrankung in den Griff zu bekommen. ig
Quelle: media.dgppn.de/mediadb/media/dgppn/pdf/aktuell/was-ist-depression.pdf
Buchtipp
Gedrückte Stimmung

Konzentrationsschwierigkeiten 
Schlafstörungen 
Heinz-Harald Abholz:
Müdigkeit, Mangel an Energie 
Praktische Psychiatrie für den Hausarzt.
Appetitlosigkeit 
Verringertes sexuelles Interesse 
132 Seiten, 29,90 Euro.
Vermindertes Selbstvertrauen 
Ausgehend davon, dass die meisten depressiven Menschen
Schuldgefühle, Gefühle von Wertlosigkeit 
Negative, pessimistische Zukunftsgedanken 
Suizidgedanken oder -versuch, Selbstverletzung 
Martin Silek, Birgit Janssen,
Hilfen für die Diagnostik und Therapie
Köln 2009, Deutscher Ärzte-Verlag,
zunächst ihren Hausarzt aufsuchen, bietet das Buch Hilfestellung für Diagnostik und Therapie von psychiatrischen Erkrankungen aus der Sicht des Allgemeinmediziners.
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„Unterversorgung Depressiver
wird teuer für die Gesellschaft“
In ihren Praxen steigen die Fallzahlen mit der Diagnose Depression: Das beobachten Dr. Peter Kramuschke (Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie), Dr. Ulrich Müller (Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut) und Dr.
Stefan Pollmächer (Facharzt für Allgemeinmedizin und Psychotherapie). Woran das liegt, ob depressive Menschen in unserem Land gut versorgt werden, wo sie Forderungen an die Politik stellen und wie die Diagnose Depression aus der Tabuzone geholt werden kann, erläuterten die drei DOXS-MitDr. Peter Kramuschke (52),
glieder in verschiedenen Gesprächen mit Autorin Irene Graefe.
niedergelassener Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie in Kassel,
DOXS-Gründungsmitglied.
Dr. Ulrich Müller (52),
niedergelassener Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut in Fulda, DOXS-Gründungsmitglied und
Sprecher
der
DOXS-Fachgruppe
Psychotherapie, Psychiatrie und Psy-
„Alle Bemühungen von Ärzten und Verbänden haben in der Aufklärung über Depression weniger gebracht als die Öffentlichkeit um Robert Enkes Suizid.“ Stefan Pollmächer misst der
Berichterstattung und Anteilnahme nach dem Freitod des Fußballnationaltorwarts im November 2009 deutlich mehr Wirksamkeit für die Bewusstseinsbildung in der Bevölkerung und in
der Politik zu als konzipierten Kampagnen. „Nein, das ist keine Eintagsfliege. Meines Erachtens bleibt das sitzen“, ist er überzeugt. Etwas vorsichtiger bewerten seine Kollegen das Phänomen. „Das war eine kurze Welle“, meint Peter Kramuschke. „Es sollte einfacher werden,
über Depression zu sprechen, sich dazu zu bekennen“, wünscht er sich und sieht insofern einen positiven Effekt: „Robert Enke wurde als Mensch sichtbar. Mit ihm konnten sich die Leute
identifizieren.“
Für Ulrich Müller war „die Diskussion doch schnell vorbei“. Enkes Vorgeschichte habe gezeigt,
dass Menschen, die ihre Schwäche eingestehen, eventuell Angst haben müssten, sich angreifbar zu machen. Es sei schwierig, so ein komplexes Thema an einer einzelnen Person festzumachen. Eher sieht er sogar die Gefahr der Nachahmung. Dass einem Vorzeigemenschen wie
Bundestrainer Joachim Löw auf der Pressekonferenz zu Enkes Tod Tränen in die Augen stiegen,
sei bemerkenswert: „Wenn wir auf dem Weg zu einer Gesellschaft sind, die es zulässt, darüber
nachzudenken, dass man so was haben kann; dass es zum menschlichen Leben dazugehört,
dass es solche Phasen geben kann“, würde das die Gesellschaft in Müllers Augen humaner
machen.
chosomatik.
Möglicherweise werden depressive Erkrankungen auch deswegen immer stärker ins öffentliche Blickfeld geraten, weil sie auf dem Vormarsch sind. Entsprechend der Einschätzung der
Weltgesundheitsorganisation (siehe „Depression: auf dem Weg zur Volkskrankheit, S. 6-7.)
sagt der Facharzt für Allgemeinmedizin und Psychotherapie Pollmächer aus seiner Erfahrung
heraus: „Ja, Depression ist eine Volkskrankheit. Sie hat die Rückenbeschwerden bereits überholt – auch in Sachen Fehltage im Job und Arbeitsunfähigkeit.“ Er verzeichnet in seiner Praxis
eine „deutliche Steigerung der Fälle“. Oft stellten sich nicht nur Probleme im psychischen,
sondern auch im körperlichen Bereich als Depression heraus. Da komme beispielsweise ein
Patient mit körperlichen Beschwerden oder Schmerzen und es zeige sich nach eingehender
Untersuchung, dass eine somatisierte Depression dahinterstecke.
Dr. Stefan Pollmächer (50),
niedergelassener Facharzt für Allgemeinmedizin und Psychotherapie in
Kassel, DOXS-Vorstands- und Gründungsmitglied.
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Der Zulauf in psychiatrische Praxen und Institutsambulanzen steige kontinuierlich, bestätigt
auch Peter Kramuschke. Wurden im ersten Quartal 2008 in Hessen 493 Fälle gezählt, waren
es ein Jahr später schon 608. Er vermutet verschiedene Gründe dafür – Hausärzte überwiesen
mehr Patienten zur Abklärung; die Hemmschwelle, einen psychotherapeutisch orientierten
Psychiater aufzusuchen, sei gesunken; der Leistungsdruck als abhängig Beschäftigter oder
Auszubildender steige bei gleichzeitigem Erleben unzureichender Möglichkeiten, auf die Arbeitsbedingungen Einfluss zu nehmen: Typisch ist für Kramuschke der 55-Jährige, der seine
Berufserfahrung plötzlich infrage gestellt sieht. Der neue, jüngere Chef macht alles anders,
Umstellungen aufs neue Computerprogramm, Arbeitsverdichtung, gleichzeitiges Nachlassen
von Denktempo und Multitasking-Fähigkeit – „die Menschen erleben sich als
ausgeliefert“. Neu seien diese Zusammenhänge nicht, „einzig neu ist, dass
man heute diese ,alten‘ Erkenntnisse beim Namen nennt.“
Der Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut Ulrich Müller sieht bei jungen
Menschen nicht unbedingt einen Anstieg der Fallzahlen. Fest stehe lediglich,
dass sich die Suizidrate unter Kindern und Jugendlichen erhöht habe (siehe
„Depression und Suizid“, S. 10). Dies müsse nicht zwingend die Folge von
Depression sein, auch Affekthandlungen seien zu berücksichtigen. Die Dia­g­
nose Depression sei derzeit „im Schwange, vieles schwappt aus dem angloamerikanischen Raum herüber“. Generell beobachtet er, „dass bei 60 Prozent
der Kinder in meiner Praxis die Eltern getrennt leben“. Dies führe nicht automatisch zu Defiziten, doch der Konflikt müsse bearbeitet werden. „Manche
schlucken’s runter, andere tun das Gegenteil und zeigen ihre Wut nach außen“, beschreibt Müller mögliche Reaktionen. Mädchen reagierten häufig mit
Essstörungen, Jungen mit körperlicher Unruhe (was oft als Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom, ADS, diagnostiziert werde). Bei vielen ADS-Kindern zeige sich
in der längeren Zusammenarbeit, dass etwas unverarbeitet geblieben sei, ein
depressiver Konflikt dahinter stecke. Müller denkt an einen Jungen aus seiner
Praxis, „der durch seine Hyperaktivität letztlich darauf aufmerksam machte“,
dass sein Vater sich zu wenig Zeit für ihn nahm.
Thomas Zipp, Psychonaut A, 2008. Courtesy: Galerie
Guido W. Baudach, Berlin und Sommer Contemporary,
Tel Aviv. Foto: Roman März
Die Kunsthalle
als psychiatrische Anstalt
Der Künstler Thomas Zipp verwandelt von März bis
Juni die Räume der Kunsthalle Fridericianum in Kassel
in seine Vision einer „psychiatrischen Anstalt“. Unter
dem Titel (WHITE REFORMATION CO-OP) MENS SA­
NA IN CORPORE SANO widmet er sich Fragen nach
Norm und Abweichung, sozialer Ausgrenzung sowie
der Einordnung des Selbst in die Gesellschaft. Mit
dem Untertitel „mens sana in corpore sano“ (ein gesunder Geist in einem gesunden Körper) verweist
Zipp auf ein Zitat des römischen Dichters Juvenal
Grundsätzlich gehen Pollmächer, Müller und Kramuschke davon aus, dass
bei der Entstehung depressiver Störungen mehrere Faktoren zusammenspielen. „Wie kommt man darauf, das zu trennen?“, fragt Kramuschke, „der
Mensch ist ein psycho-somatisch-soziales Wesen“. Deshalb fuße die Therapie (siehe „Depression: auf dem Weg zur Volkskrankheit“, S. 6-7) in der Regel auf drei Bausteinen: auf der Psychotherapie für die psychischen Faktoren,
auf der medikamentösen Behandlung für die somatischen Störungen, auf
Kontakten zu Familie, Freunden, Arbeitskollegen auf der sozialen Ebene. Wie
eng verwoben verschiedene der Faktoren sind, beschreibt der Psychiater
und Psychotherapeut am Beispiel der Antidepressiva: Rein biologisch lasse
sich im Gehirn schon nach 24 bis 48 Stunden ein veränderter Serotoninstoffwechsel erkennen. „Bis die Wirkung aber spürbar wird, vergehen zehn bis 20
Tage, denn das Gehirn muss das Ablesen genetischer Informationen erst wieder ändern“, erklärt er.
(etwa 60 bis 140 n. Chr.), der als Satiriker bereits die
Zeichen seiner Zeit kritisierte.
Zipp fasst seine Gemälde, Grafiken, Skulpturen und
Installationen immer wieder unter einem Thema zusammen. Sein aktuelles Thema „mens sana in corpore sano“ prangt in großen Lettern am Portal des Fridericianums, das Foyer wird zur Eingangshalle der
„Anstalt“. In den Hauptflügeln des Hauses verbindet
der Künstler sein skulpturales und malerisches Werk
mit Installationen. Durch Abdunkelung und den
gleich­zeitigen Einsatz grellen Neonlichts erschafft
Zipp die Illusion langer Gänge, deren Türen zu sowohl zugänglichen als auch verschlossenen Räumen
führen. Darin wird sein Thema in Gemälden oder
Plastiken, wie seine Psychonauten, aufgegriffen. An
Die Sorge vor Nebenwirkungen versucht Kramuschke seinen Patienten schon
im Vorfeld zu nehmen, indem er die häufigsten von sich aus erklärt. Allerdings dürften die Erwartungen an den Erfolg von Antidepressiva keineswegs
zu hoch gesteckt werden und es sollte klargestellt werden, dass es sich nicht
um eine kausale Therapie handelt. Pollmächer weist zusätzlich drauf hin,
„diese Medikamente machen nicht abhängig, das wird häufig mit Beruhigungsmitteln verwechselt“. Müller sieht bei schweren Depressionen den
akuten Einsatz von Medikamenten gerechtfertigt, langfristig kombiniert mit
psychotherapeutischer Behandlung, „leichte und mittelschwere Depressionen können psychotherapeutisch behandelt werden, Medikamente sind
nicht in jedem Fall angezeigt“. Er weist auf den hohen Placeboeffekt bei
Antidepressiva hin. „Dies kann ein Zeichen sein, dass der behandelnde Arzt
und Psychotherapeut als Person eine signifikante Wirkung hat“, so Müller.
„Allein die Tatsache, dass jemand im geschützten Raum zuhört, unterstützt
positive Denkprozesse und eröffnet einen Raum für Veränderungen in der
Sicht des Patienten auf sich und seine Beziehungen“, schildert Kramuschke.
die Gänge schließen sich in den Seitenflügeln die
Großinstallationen einer Gummizelle, eines Turngeräteraumes und eines Spiegelsaals an.
ig/Kunsthalle Fridericianum
(WHITE REFORMATION CO-OP)
MENS SANA IN CORPORE SANO
Kunsthalle Fridericianum, Kassel, Friedrichsplatz 18
13. 3 – 13. 6. Mi. - So., 11 - 18 Uhr, 5 Euro, Mi. frei
www.fridericianum-kassel.de
Fitte Körper, marode Verhältnisse
Mittwoch, 12. Mai, 18 Uhr
Vortrag von Prof. Dr. Ernst-Dieter Lantermann,
Persönlichkeits- und Sozialpsychologie, Uni Kassel
Eintritt frei
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Depression:
Häufigste Ursache für Suizid
Insgesamt gehört der Suizid laut Weltgesundheitsorganisation WHO weltweit zu den drei Haupttodesursachen in der Altersgruppe zwischen 15 und
34 Jahren. In Deutschland starben im Jahr 2007
laut Leibniz-Institut für Länderkunde (IfL) 9.400
Menschen durch eigene Hand. Auf jeden Suizid
kommen schätzungsweise zehn bis 15 Selbstmordversuche.
In rund 90 Prozent der Fälle liegt eine psychische
Erkrankung – in etwa 70 Prozent eine Depression
– zugrunde. Etwa zehn bis 15 Prozent der depressiven Patienten nehmen sich das Leben. Zwei von
Foto: DAK / Wigger
drei Selbsttötungen werden von Männern begangen. Frauen unternehmen häufiger Selbstmordversuche (1:3), ebenso junge Menschen. Während
Frauen häufig zu Medikamenten greifen, wählen
Männer oft gewaltvolle Methoden.
Ärzten und Therapeuten kommt laut der Analyse
von 93 Studien zur Suizidprävention, veröffentlicht im Journal of the American Medical Association (2006), eine besondere Rolle bei der Verhinderung von Selbsttötungen zu. Etwa ein Drittel der
Werden depressive Patienten entsprechend ihrer individuell verschieden ausgeprägten Erkrankung ausreichend behandelt? „Nein, sie werden nicht adäquat
aufgefangen“, sagt Kramuschke entschieden. Bis Anfang 2005 habe er seinen
Patienten ausreichend Zeit widmen können. Mit der Honorarreform (einheitlicher Bewertungsmaßstab: EBM 2000 plus) seit 1. April 2005 hätten er und seine
vier Praxiskollegen ausgerechnet, dass sie pro Stunde drei Patienten behandeln
müssten, um wirtschaftlich arbeiten zu können. Nachdem seit Juli 2009 die Gesprächsziffern im EBM für die psychiatrischen Fächer wieder den freien Leistungen zugeordnet wurden, könnten sie nun – „bedarfsgerechter“ – pro Stunde
zwei Patienten ins Arztzimmer bitten.
Menschen, die Suizid begehen oder es versuchen,
haben in den vier Wochen zuvor noch Kontakt zu
ihren Ärzten gehabt. In Regionen, in denen Ärzte
in Präventionsprogrammen über Symptome und
Therapie von Depressionen fortgebildet wurden,
sank die Selbstmordrate um 20 bis 70 Prozent. Die
Autoren der Analyse schließen daraus, dass die geschulten Mediziner häufiger Depressionen und
Suizidgedanken erkannten und behandelten.
Ähnliche Erkenntnisse und Ergebnisse erbrachte
das 2001 gestartete Nürnberger Bündnis gegen
„Die Zeit, die ein Hausarzt braucht, um ein eingehendes Gespräch zu führen,
findet in der Honorierung keinen Widerhall“, beklagt Pollmächer. Es liege nicht
an der Ausbildung und Sensibilität der Hausärzte, dass Depressionen bei Patienten nicht erkannt oder adäquat behandelt würden, sondern an den wirtschaftlichen Zwängen. „40 Euro pro Patient im Quartal. Da ist keine Luft drin“, moniert
er. Und ebenso wie Kramuschke sieht er die Gefahr der Chronifizierung von Depression bei unzureichend versorgten Patienten. Neben dem unnötigen Leiden
der Patienten, das mit individuell abgestimmter, zeitintensiver Behandlung zu
vermeiden wäre, warnt er: „Die Versorgung chronifizierter Betroffener und ihr
Ausfall am Arbeitsplatz werden für die Gesellschaft teuerer als die zeitnahe optimale Behandlung“.
Depression. Zum Konzept gehörten Fortbildungsprogramme für Ärzte, Lehrer, Pfarrer oder Apotheker genauso wie die allgemeine Öffentlichkeit und
Selbsthilfeinitiativen für Betroffene und Angehörige. Nach einer wissenschaftlichen Auswertung ergab sich: Die Suizidversuche in der Modellregion
Nürnberg haben während der Aktivitäten (2001–
2002) um über 25 Prozent abgenommen. Heute
besteht das Bündnis gegen Depression bundesweit (siehe Interview S.13-15). ig
Journal of the American Medical Association,
JAMA 294, 2005, 2064: www.jama.ama-assn.org
Leibniz-Institut für Länderkunde (IfL):
http://aktuell.nationalatlas.de
10
10
Magazin Winter 2009
Von der Gesundheitspolitik erwarten die drei DOXS-Mitglieder, „dass die ärztliche Expertise im Vergleich zu technischen Untersuchungen besser honoriert
wird“, wie es Pollmächer formuliert. Es brauche Zeit und Mühe, die depressiven
Patienten zu behandeln und für sie die entsprechende Unterstützung zu organisieren. Kramuschke zählt verschiedene „Instrumente unseres Handwerkszeuges“
auf: Von den unterschiedlichen Psychotherapieformen über die Medikation bis
hin zu Familienhilfe, Integrationsfachdienst für die Eingliederung am Arbeitsplatz
und anderen sozialen Maßnahmen reiche das Spektrum (siehe „Leitlinie und Integrierte Versorgung“, S. 11-12). Aber: „Nur wenn das Gesundheitsministerium
die Rahmenbedingungen ändert, kann die Behandlung für depressive Patienten
besser werden. Zurzeit wird diese Gruppe an den Rand gedrängt.“
Leitlinie und Integrierte
Versorgung: Hausarzt ist
Vertrauensperson Nummer 1
F
ür knapp 90 Prozent der Patienten ist der Hausarzt
normalerweise der erste Ansprechpartner, also
vermutlich auch die wichtigste Vertrauensperson im
Gesundheitswesen. Zwar gehen innerhalb eines Jahres etwa 21 Prozent der Deutschen wegen psychischer Probleme zum Arzt oder Psychotherapeuten.
Doch im Gesundheitsmonitor 2008 der Bertelsmann
Stiftung gab nur die Hälfte der rund 1.500 Befragten
dem Kongress der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde (DGPPN)
präsentiert wurde. Die S3-Leitlinie (höchste Leitlinienstufe) wurde auf der Basis von 1.232 Publikationen
und deren wissenschaftlicher Diskussion und Bewertung erstellt. Sie enthält 107 Empfehlungen zu Prävention, Diagnostik, Psycho- und Pharmakotherapie,
Komorbidität, Suizidalität. Zur Versorgungskoordination werden Ein­weisungskriterien,
Nahtstellen, Rehabilitation und
Qualitätsmanagement b­eschrie­
ben.
(18 bis 79 Jahre) an, aus eigenem Antrieb psychische
Schwierigkeiten anzusprechen. 68 Prozent sagten, es
habe ihnen der Mut gefehlt. Jeder achte war enttäuscht, dass der Hausarzt die psychischen Beschwerden nicht thematisierte. Gerade die weniger mutigen
Patienten (30 Prozent) antworteten, mit ihrer ärztlichen Versorgung nicht zufrieden zu sein. Unter ihnen
tendieren 42 Prozent zum Arztwechsel.
Hausärzte seien grundsätzlich
durch ihr Medizinstudium auf die
Behandlung psychischer Krankheiten vorbereitet, freiwillig ergänzt durch eine Ausbildung in
psychosomatischer Grund­ver­sor­
gung, sagte der gesundheitspolitische Sprecher der DGPPN, Prof.
Dr. Jürgen Fritze, auf dem Kongress seiner Gesellschaft im November 2009. Gezielte Schulungen, so Dr. Mathias Berger (DGPPN), sollten diese Berufsgruppe
anhand der Nationalen Leitlinie
nun besser auf die Betreuung depressiver Patienten vorbereiten.
Bisher würden etwa die Hälfte
der Depressionen aufgrund ihres
vielfältigen Erscheinungsbildes vom Hausarzt nicht
erkannt. Der Gesundheitsmonitor 2008 registrierte
sogar bei nur gut acht Prozent der Patienten, die wegen psychischer Probleme einen Hausarzt aufsuchten, eine diagnostizierte psychische Krankheit. Dagegen sei bei 53 Prozent der Patienten, die deswegen
einen Spezialisten aufsuchten, die Diagnose einer
psychischen Störung gestellt worden.
Bei der Vorstellung des Gesundheitsmonitors im
Frühjahr 2009 folgerte Timo Harfst von der Bundespsychotherapeutenkammer, dass „aktives Nachfragen nach psychischen Beschwerden durch den Arzt
und die systematische Diagnostik psychischer Störungen in der Primärversorgung“ wichtige Ansätze
zu Verbesserungen seien. Dem soll unter anderem
die Verabschiedung einer Nationalen Leitlinie Depression (S3-Leitlinie zur unipolaren Depression)
Rechnung tragen, die Ende vergangenen Jahres auf
Eine weitere Verbesserung in der Behandlung psychisch kranker Patienten will die Techniker Krankenkasse (TK) anstoßen. Im Januar 2010 stellte sie ihr
Modell NetzWerk psychische Gesundheit (NWpG)
vor, das sozial- und gemeindepsychiatrische sowie
ambulante und stationäre Angebote zusammenfasst.
Basis dafür sind Verträge zur Integrierten Versorgung
(IV). Teilnehmende Ärzte und Psychotherapeuten erhalten eine extrabudgetäre Vergütung. Ziel ist es,
psychisch Kranke so zu unterstützen, dass sie in ihrem
Foto: DAK / van den Berg
Magazin Winter 2009
11
11
Foto: AOK
DOXS-Mitglieder über die
Nationale Leitlinie Depression
Dr. Peter Kramuschke: „Da steht nichts Neues
drin. Wer sich als verantwortungsbewusster Arzt
fortbildet, kennt die Inhalte ohnehin. Aber die
Leitlinie ist insofern ein Fortschritt, als sie das derzeitige Expertenwissen dokumentiert und Standards festlegt.“
Dr. Ulrich Müller: „Die Leitlinie empfiehlt Wege
und
Behandlungsmöglichkeiten
privaten und beruflichen Umfeld bleiben und stationäre Aufnahmen vermieden
werden können.
Ein multiprofessionelles Team arbeitet in geteilter Verantwortung zusammen, zugeschnitten auf den einzelnen Patienten. Ein persönlicher Ansprechpartner koordiniert unter anderem die haus- und fachärztliche Versorgung – möglichst ambulant, aber auch stationär –, die häusliche psychiatrische Fachpflege, Soziotherapie, Psychotherapie, ambulante Rehabilitation und Ergotherapie, berufliche Integration ebenso wie familiäre und nachbarschaftliche Unterstützung. Im Mittelpunkt steht die aufsuchende Betreuung zu Hause. Zur Versorgung gehören auch
Krisenpensionen. Das sind Rückzugsräume im ambulanten betreuten Wohnen,
wenn es für die Patienten doch notwendig ist, ihr Lebensumfeld für geraume Zeit
zu verlassen.
entsprechend
dem ICD-10, zum Beispiel wann psychotherapeutische Behandlung, wann Medikation oder wann
psychiatrische Versorgung empfehlenswert und
sinnvoll sind.“
Das Projekt wurde mit Pinel – Initiative für psychisch Kranke in Berlin entwickelt
und seit Anfang 2008 umgesetzt. In Bremen läuft es in Kooperation mit GAPSY
– Gesellschaft für ambulante psychiatrische Dienste. In Hessen gebe es zwar erste
Gespräche, aber noch keine konkreten Ergebnisse, sagte TK-Pressesprecherin Michaela Hombach zum DOXS-Magazin, „es ist Bewegung drin und manchmal
geht es gerade bei solchen Themen ganz schnell“. ig
Dr. Stefan Pollmächer: „Das, was in der Leitlinie
als Empfehlungen steht, bildet sich leider nicht in
der Honorierung der niedergelassenen Ärzte – insbesondere der Fachärzte, die psychosomatisch
Informationen
Nationale Leitlinie Depression:
www.dgppn.de :: siehe Kurzversion Leitlinien
und psychotherapeutisch tätig sind – ab. Wenn
sich hier nicht etwas ändert, nutzen auch Leitlinien nur wenig.“
NetzWerk Psychische Gesundheit (NWpG):
www.tk-online.de/tk/publikationen/pressemappen/pressemappe-netzwerk-fuerpsychisch-kranke/202624
Initiative für psychisch Kranke in Berlin:
www.pinel.de :: siehe Integrierte Versorgung
Gesellschaft für ambulanten psychiatrische Dienste in Bremen: www.gapsy.de
:: siehe Angebote
12
Schlechte Bezahlung der sprechenden
Medizin ist ein „Systemfehler“
Im Gespräch mit dem Vorsitzenden des
„Bündnisses gegen Depression in Nordhessen e. V.“
Das Bündnis gegen Depression ist bundesweit angetreten, die gesundheitliche Situation
depressiv Erkrankter zu verbessern und Suiziden vorzubeugen. Zahlreiche Städte und Regionen haben sich dem Deutschen Bündnis gegen Depression angeschlossen und engagieren sich auf lokaler Ebene. Seit Frühjahr 2008 ist das Bündnis gegen Depression in Nordhessen e. V. unter dem ehrenamtlichen Vorsitz von Dr. Manfred Schäfer, Ärztlicher Direktor
der Hardtwaldklinik II in Bad Zwesten, in der Region aktiv. „Unsere Aufgabe ist es, die Bevölkerung über die Krankheit Depression zu informieren und diese hierdurch zu enttabuisieren“, beschreibt Schäfer eine der Zielsetzungen.
DOXS-Magazin: Wie steht es um eine optimale Versorgung depressiver Patienten?
Schäfer: Ich sehe mehrere Hürden, die derzeit einer
optimalen Versorgung Depressiver im Wege stehen.
Ich halte es für einen Systemfehler, wenn die sprechende Medizin so schlecht bezahlt wird. Depressiv
erkrankte Menschen klagen zunächst meist über unspezifische Allgemeinsymptome, wie Schlappheit,
Müdigkeit, Kopfdruck und Schlafstörungen, und selten über diagnostisch relevante Veränderungen des
Gefühlslebens als Hauptsymptome. Die oft schambesetzten Symptome müssen vom Arzt erfragt werden, was Zeit kostet. Gerade Hausärzte, bei denen
die meisten Betroffenen zuerst Rat suchen, können
sich aufgrund der geringen Honorierung von Gesprächsleistungen oft nicht den „Luxus“ leisten, intensiv zuzuhören, nachzufragen und so einer psychischen Erkrankung auf die Spur zu kommen. Ein
Dilemma, das nicht die ärztlichen Kollegen zu verantworten haben.
Wo sehen Sie weitere Hürden?
Schäfer: Eine weitere Hürde sind die bürokratischen
Auflagen für Gruppenbehandlungen. Nicht jeder Patient braucht eine Einzelpsychotherapie. Nicht wenige Patienten profitieren sogar stärker von einer Gruppentherapie. Ärztliche und psychologische Psychotherapeuten müssen für jeden Gruppenteilnehmer
einen gesonderten Kassenantrag in Form eines ausführlichen Gutachtens stellen. Das sind dann für eine
Gruppe acht bis neun Anträge, die sehr zeitaufwendig sind und schlecht vergütet werden. Die Antragspflicht für Gruppenpsychotherapie ist eine unnötige
bürokratische Gängelung, die letztlich durch eine artifizielle Verknappung therapeutischer Ressourcen auf
dem Rücken der Patienten ausgetragen wird.
Was kann denn eine Gruppentherapie
bewirken?
Schäfer: Gruppentherapie ist natürlich kein Allheilmittel. In der Versorgung kann sie aber entscheidend
helfen, mehr Menschen in Behandlung zu nehmen und oftmals zu lange Wartezeiten deutlich zu reduzieren. Inhaltlich zeigt sich im klinischen
Alltag der Hardtwaldklinik II immer
Dr. med. Manfred Schäfer,
wieder, dass depressive Patienten
50 Jahre alt, ist Facharzt für Psychosich zunächst eine Einzeltherapie
somatische Medizin und Psychothewünschen, sie aber oft gerade durch
rapie sowie für Psychiatrie und Psydie therapeutische Gruppe entscheichotherapie mit den Zusatzbezeichdend profitieren. Wichtig ist die Ernungen Psychoanalyse, Re­ha­bili­ta­
kenntnis, nicht alleine zu sein in seitionswesen und Sozialmedizin. Er ist
nem Leid. Dies reduziert meist
Ärztlicher Direktor der HardtwaldkliScham- und Schuldgefühle und ernik II in Bad Zwesten und im Ehrenöffnet einen Weg aus dem Rückzug
amt Vorsitzender des Bündnisses geund der inneren Isolation. Im Gegen Depression in Nordhessen e. V.
spräch mit anderen Betroffenen
kann man sich partiell in deren
Schicksal und Problematik wiedererkennen, was den Prozess eigener Selbsterkenntnis enorm beschleunigen kann. Die Gruppe
kann einen Schutzraum bieten, neue antidepressive
Verhaltensweisen einzuüben. In einer therapeutischen Gruppe ist ein Erkrankter nicht auf die Patientenrolle reduziert. Er ist zwar als Patient Rat- und Hilfesuchender, kann aber zugleich anderen Rat geben
und Trost spenden.
Ein ganz großes Problem für viele Patienten ist der Übergang von der stationären in die ambulante psychotherapeutische Behandlung.
Schäfer: Ja, lange Wartezeiten bergen das Risiko, dass
13
Betroffene resignieren und letztlich nicht die fachlich indizierte ambulante Weiterbehandlung antreten. Ich rate deshalb, nicht unnötig Zeit verstreichen zu lassen.
Patienten sollten sich schon vor ihrer stationären Behandlung im heimischen Umfeld auf die Suche nach einem Therapeuten machen und mit ihm in Kontakt treten. Dann sind Termine für die Zeit nach dem Klinikaufenthalt leichter zu organisieren. Kollegen sollten ihren Patienten diesen Ratschlag mit auf den Weg geben.
I nformation
Bündnis gegen Depression in Nordhessen:
Auf der Internetseite finden sich unter „Hilfe &
Beratung“ für Patienten und Angehörige Links
zu Rat und Hilfe in akuten Krisensituationen, zu
Ärzten, therapeutischen Angeboten, Klinik-Ambulanzen, zu Kontakt- und Beratungsstellen sowie zu Selbsthilfegruppen in Kassel und Nordhessen.
www.buendnis-depression.de/depression/
nordhessen.php
Nachsorgeprogramm IRENA der Deutschen
Rentenversicherung:
DOXS-Magazin: Haben Sie Erfahrungen mit dem IRENA-Programm (intensivierte Rehabilitationsnachsorge) der Deutschen Rentenversicherung Bund?
Schäfer: Es bietet eine Unterstützung, die nach meiner Erfahrung sehr unbürokratisch in Gang gesetzt werden kann. Vollstationäre psychosomatische Behandlungen sind in Deutschland derzeit überwiegend Rehabilitationsmaßnahmen, also
über die Rentenversicherung finanziert. Die Klinik wird, bei gegebener Indikation,
noch während der Rehabilitation die Nachsorge in die Wege leiten. Das IRENAProgramm setzt zeitnah nach dem Ende der Rehabilitation ein und bietet wohnortnah für ein halbes Jahr eine Gruppentherapie an. IRENA eröffnet oftmals die
Möglichkeit, Wartezeiten auf einen ambulanten Therapieplatz zu überbrücken. Da
die Maßnahme von der Rentenversicherung finanziert wird, steht sie nicht in Konkurrenz zu kassenfinanzierten Leistungen. In Kassel werden IRENA-Gruppen seit
Jahren in Räumen der Kurhessentherme angeboten. Abendtermine gewährleisten
die berufsbegleitende Teilnahme.
http://www.deutsche-
rentenversicherung-bund.de/nn_18764/DRVB/
de/Navigation/Service/Zielgruppen/reha__einrichtungen/nachsorgeprogramm__node.html__
nnn=true
Die Kontakt- und Informationsstelle für Selbsthilfegruppen beim Gesundheitsamt der Region
Kassel, KISS, ist die zentrale Anlaufstelle in Kassel
für alle Anliegen und Fragen der gesundheitlichen und sozialen Selbsthilfe: www.selbsthilfekassel.de
Das Kompetenznetz Depression ist ein bundesweites Netz zur Forschung und Versorgung
im Bereich depressiver Störungen. Das Projekt
wird vom Bundesministerium für Bildung und
Forschung gefördert:
www.kompetenznetz-depression.de
mit Listen sortiert nach Postleitzahlen zur Krisenintervention und zu Kliniken.
Unter www.psychiatriekonsil.de bietet das Kompetenznetzwerk Informationen und CME-Fortbil-
Foto: Techniker Krankenkasse
dungen für Ärzte und psychologische Psycho-
DOXS-Magazin: Welche Rolle spielen Selbsthilfegruppen für Patienten?
Schäfer: Natürlich bieten diese Gruppen keine fachtherapeutische Behandlung,
das ist auch nicht ihr Anspruch. Doch sie sind eine wertvolle Unterstützung professioneller Hilfe und dieser in einigen Aspekten sogar überlegen. Im Gespräch mit
ebenfalls Betroffenen besteht ein besonderes gegenseitiges Verständnis: Man
muss sich nicht schämen, man muss sich nicht verstecken, man kennt, was der
andere erzählt. Sowohl für den Patienten als auch für den behandelnden Arzt ist
diese ergänzende Unterstützung entlastend. Außerdem gibt es eine ganze Reihe
Patienten, die einfach nur Menschen zum Reden suchen und nicht gleich alles
aufarbeiten wollen. Keinesfalls sind diese Gruppentreffen eine Konkurrenz zu psychotherapeutischer Behandlung: Beides kann sinnvoll sein: Selbsthilfegruppe und
Therapie zugleich.
therapeuten.
14
DOXS-Magazin: Wie wichtig sind Selbsthilfegruppen für Angehörige?
Schäfer: Es ist manchmal nicht leicht auszuhalten, wenn ein Mensch in der näheren
Umgebung depressiv erkrankt ist. So eine
Gruppe kann wichtig sein, um das durchzustehen. Es ist keine Schande, sich auszutauschen. Ohnehin werden die Angehörigen oft vergessen: sowohl als Unterstützer
in der Therapie der Erkrankten als auch mit
ihren eigenen Bedürfnissen und Belastungen.
Und wie findet man die Selbsthilfegruppe, die
zu einem passt?
Schäfer: In Kassel und Umgebung empfehle ich, bei KISS nachzufragen, der Kontaktund Informationsstelle für Selbsthilfegruppen beim Gesundheitsamt der Region Kassel. Die Mitarbeiter dort kennen die Gruppen oft aus der Gründungsphase und können daher meist an eine geeignete Gruppe
verweisen. Auf der Internetseite des Bündnisses gegen Depression in Nordhessen finden Sie ebenfalls Hinweise auf Selbsthilfegruppen in der Region. Es empfiehlt sich,
die jeweiligen Ansprechpartner zunächst
anzurufen, um grundsätzliche Fragen vorab zu klären.
Das Interview führte Irene Graefe.
Foto: ad.unger/photcase.de
Kolumne
fern gesehen von Irene Graefe
Über 30 Arztserien laufen derzeit in deutschen Fernsehprogrammen, mit
Ausnahme von „Bloch“ (Dieter Paff) in der ARD geht es bislang aber nicht
um Psychotherapeuten. Neu gestartet ist im Februar „In Treatment – Der
Therapeut“ über den Psychotherapeuten Dr. Paul Weston, dessen Darsteller Gabriel Byrne dafür einen Golden Globe erhielt. Die erste Staffel der
amerikanischen TV-Serie läuft auf 3sat. Jede 25-Minuten-Folge behandelt
einen Therapiesitzung. In den USA ist die ursprünglich fürs israelische Fernsehen konzipierte und für den Sender HBO von Rodrigo Garcia (Sohn von
Nobelpreisträger Gabriel Garcia Marquez) umgeschriebene Serie so erfolgreich, dass bereits die dritte Staffel produziert wird.
Ob und wie sich Patienten in Deutschland von der Serie beeinflussen lassen, ist noch nicht abzusehen. Dass Arztserien die Erwartungshaltung von
Patienten prägen, gilt inzwischen als unbestritten. Die Kommunikationswissenschaftlerin Dr. Constanze Rossmann von der Ludwig-MaximiliansUniversität München überlegte, ob sich TV-Serien für die Gesundheitsaufklärung der Bevölkerung eignen. Sie kam in ihrer Untersuchung zu dem
Schluss: Zuschauer von Lindenstraßen-Episoden (ARD), in denen es um die
Prävention von Aids ging, merkten sich mehr Details, wenn sie diese in
unterhaltsamer Weise präsentiert bekamen.
Dr. Dr. Kai Witzel, Chirurg und Kommunikationswissenschaftler in Hünfeld
und unter anderem Mitglied der Arbeitsgruppe Medien der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie, stellte 2008 die Ergebnisse einer Befragung von
162 seiner Patienten vor. Zum einen hatten die Fans von Ärzteserien mehr
Angst vor Operationen, wohl wegen der oft dramatischen Darstellungen.
Zum anderen waren sie unzufriedener mit den Visiten, denn in der Realität
haben Mediziner am Krankenbett weniger Zeit als ihre Fernsehkollegen.
Zuschauer von Bloch und Dr. Weston könnten möglicherweise also auch
erwarten, dass ihre Therapeuten mehr Zeit für sie haben. Witzel rät, sich
dem Bild der Fernsehärzte in deren guten Eigenschaften anzupassen. Vermutlich würde das im Fall der Diagnose und Behandlung von depressiven
Patienten so manch ein Behandelnder auch gerne tun. Nur die (honorierte)
Realität sieht anders aus.
15
Ein Teil des Teams der Krankenhausabteilung der Hardtwaldklinik II in Bad Zwesten. Von links nach rechts: Dr. Manfred Schäfer, Ärztlicher Direktor; Petra Janowski-Luedtke, Verwaltungsleiterin; Bettina Lobert-Speck, Ärztin für Psychiatrie, Psychotherapie, Oberärztin; Christiane Unger, Ärztin für Psychiatrie, Psychotherapie; Doris Kolster, Konzentrative Bewegungstherapeutin;
Veronika Helfferich, Sozialberaterin; Ralf Kadel, Pflegedienstleiter, QB; Sylvia Zimmer, Pflege, Stationsleitung; Gudrun Friedrich, Pflege; Dr. Karl-Heinz Wenz, Arzt für Allgemeinmedizin; Frank-Werner Schink, Kunst- und Gestaltungstherapeut.
Psychosomatische Versorgung in Nordhessen
Hardtwaldklinik II betreibt
Krankenhausabteilung
von Dr. Manfred Schäfer
Sie verfügt über eine mehr als 30-jährige Tradition in der psychosomatischen Rehabilitation: Die Hardtwaldklinik in Bad Zwesten (Schwalm-Eder-Kreis). Die Fachklinik mit insgesamt
330 Plätzen hat im April 2009 eine Krankenhausabteilung für Psychosomatische Medizin
und Psychotherapie eröffnet – und beim Hessischen Sozialministerium bereits einen Erweiterungsantrag gestellt. Denn der Bedarf ist da.
Mit 15 vollstationären Behandlungsplätzen ist die
Krankenhausabteilung für Psychosomatische Medizin
und Psychotherapie in den Krankenhausplan des Landes Hessen aufgenommen worden. Diese Entscheidung des Hessischen Sozialministeriums ist ein wichtiger Schritt zur Verbesserung der psychosomatischen
Versorgung in Nordhessen, wenngleich sich das ausgewiesene Bettenkontingent erwartungsgemäß nicht
annähernd als bedarfsdeckend erweist. Deshalb hat
die Klinikleitung beim Sozialministerium einen Erweiterungsantrag gestellt.
Die Weichen für eine personelle, organisatorische
und bauliche Trennung der Krankenhausabteilung
von der Rehabilitationsabteilung der Klinik wurden in
einer intensiven Vorbereitungsphase Anfang 2009
gestellt. Inszwischen sind insgesamt elf neue Arbeitsplätze in der neuen Abteilung entstanden. Das Behandlungsteam aus langjährig in der Psychosomatischen Medizin erfahrenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ist multidisziplinär besetzt: So gehören eine
angehende Doppelfachärztin für Psychosomatische
Medizin und Psychotherapie sowie für Psychiatrie als
oberärztliche Leiterin, eine weitere Fachärztin für Psy-
16
chiatrie und Psychotherapie, ein Facharzt für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, eine ärztliche Weiterbildungsassistentin, ein approbierter Diplompsychologe, eine Bewegungstherapeutin, ein
Kunst- und Gestaltungstherapeut, eine Physiotherapeutin, eine Sozialberaterin und sechs Krankenschwestern dazu.
Behandlungskonzept
der Krankenhausabteilung
Das Behandlungskonzept beruht auf einem ganzheitlichen Krankheitsbegriff und berücksichtigt körperliche, psychische und soziale Aspekte der Erkrankung.
Psychotherapeutische Behandlungsmaßnahmen stehen meist im Vordergrund. Die therapeutische
Grundausrichtung ist tiefenpsychologisch. Psychodynamische Behandlungsansätze werden fallbezogen
erweitert um Techniken der Verhaltenstherapie und
der Traumatherapie.
Um die Behandlungskapazität der neuen Krankenhausabteilung bevorzugt Menschen aus der Region
Nordhessen zur Verfügung stellen zu können, wurde
auf eine ausgrenzende Spezialisierung der Kranken-
hausabteilung bewusst verzichtet. Bisher sehr positive Behandlungsergebnisse bestätigen die Binnendifferenzierung in zwei Behandlungsstränge.
• Konfliktorientiertes Setting für Patienten, die von
niederfrequenter ambulanter Psychotherapie nicht
ausreichend profitieren: Wichtig sind hier, neben
dem Milieuwechsel, die deutliche Intensivierung
der Therapiedichte und vor allem der ambulant in
der Richtlinienpsychotherapie nicht vorgesehene
multimodale Behandlungsansatz, d. h. die sinnvolle Kombination von Einzel-, Gruppen- und Kreativtherapien.
• Stabilisierendes Setting insbesondere für Patienten
mit akuten Belastungsreaktionen und posttraumatischen Belastungsstörungen, teilweise auch für
Menschen mit Persönlichkeitsstörungen und Psychosomatosen im engeren Sinne. Ressourcenorientierte und stabilisierende Psychotherapie steht
hier im Vordergrund.
Indikation
Eine Krankenhausbehandlung ist indiziert bei einer
akuten und schweren psychosomatischen Erkrankung. Bei chronischen Erkrankungen wird meist eine
psychosomatische Rehabilitation angezeigt sein; jedoch stellt eine eingetretene oder drohende Dekompensation im Rahmen eines chronischen Krankheitsgeschehens ebenfalls eine Indikation für eine Krankenhausbehandlung dar. Bei Patienten, die eine notwendige psychotherapeutische Behandlung bislang
aus inneren Barrieren nicht aufnehmen konnten,
kann eine Krankenhausaufnahme zur Förderung eines psychosomatischen Krankheitsverständnisses sinn­
voll sein.
In Übereinstimmung mit dem vorläufigen Rahmenkonzept für die Krankenhausbehandlung in dem
Fachgebiet der Psychotherapeutischen Medizin in
Hessen (Stand 09.09.2002) stellen Erkrankungen aus
dem Kapitel F4 ICD-10 (Neurotische, Belastungs- und
somatoforme Störungen) und F5 (Verhaltensauffälligkeiten mit körperlichen Störungen und Faktoren) die
Behandlungsschwerpunkte dar. Weitere Indikationen,
im Grenzgebiet zum Fachgebiet Psychiatrie und Psychotherapie, sind depressive Episoden (F32), rezidivierende depressive Störungen (F33), anhaltende affektive Störungen (F34) und spezifische Persönlichkeitsstörungen (F60). In den genannten Grenzbereichen ist die Indikation insbesondere dann gegeben,
wenn eine Co-Morbidität mit einer Erkrankung aus
dem Bereich der Hauptindikationen vorliegt oder
wenn das Behandlungssetting der psychosomatischen
Krankenhausabteilung eher geeignet scheint, das vorliegende Krankheitsbild zu bessern. Patienten mit psychotischen Erkrankungen, Suchterkrankungen, hirnorganischen Abbauprozessen und akuter Selbstmordgefährdung können nicht behandelt werden.
Zuweisung und Aufnahmemodalitäten
Eine Krankenhausaufnahme in der Hardtwaldklinik II
kann nicht als Alternative zu einer inhaltlich indizierten psychosomatischen Rehabilitationsbehandlung
erfolgen, etwa zur Beschleunigung des Verfahrens.
Eine Umwandlung einer Krankenhaus- in eine Rehabilitationsbehandlung ist in der Regel nicht möglich,
da Anschlussheilbehandlungen im Indikationsgebiet
Psychosomatische Medizin bislang nicht vorgesehen
sind.
Die Aufnahme geschieht auf der Basis einer fachärztlichen Krankenhauseinweisung aus den Gebieten
Psychosomatische Medizin und Psychotherapie oder
Psychiatrie und Psychotherapie. Einweisen können
auch Kollegen anderer Fachrichtungen mit dem Zusatztitel Psychotherapie. Eine sehr kurz gehaltene
ärztliche bzw. psychologische Stellungnahme zur
Notwendigkeit der Krankenhausbehandlung kann
die Aufnahme unterstützen. Zudem erbitten wir im
Vorfeld um die Bearbeitung eines Patientenfragebogens, der im Internet hinterlegt
ist oder schriftlich angefordert
Unterstützung bei
werden kann. Nach Eingang alKostenübernahme-Anträgen
ler Unterlagen wird ein AufnahFür privat Krankenversicherte gestaltet
metermin vergeben und ggf.
sich der Zugang zu einer fachlich indiein Vorgespräch zur Motivatizierten stationären psychotherapeutionsüberprüfung oder zum Abschen Behandlung immer schwieriger.
bau möglicher SchwellenängsAusufernde Anforderungen an Kostente vereinbart. Aufgrund der beübernahmeanträge schrecken niedergegrenzten Bettenkapazität sind
lassene Kollegen oft ab, einen Antrag zu
Wartezeiten leider unvermeidstellen. Die Hardtwaldklinik II bietet desbar, auch Absagen müssen erhalb Unterstützung bei Kostenübernahteilt werden.
meanträgen in Form telefonischer Beratung an. Formulierungshilfen sind auch
Nachsorge
in schriftlicher Form hinterlegt und kön-
Für Patienten, deren nahtlose
nen angefordert werden. Bei Schwierigkeiten mit einer Privatkrankenversicheambulante psychotherapeutirung oder Beihilfestelle bietet die Klinik
sche Weiterbehandlung nicht
zudem ein ambulantes Vorgespräch und
gesichert ist, bietet die Klinik
die Erstellung eines ausführlichen Kosteneine poststationäre Nachsorge
übernahmeantrages an.
an. Da die Klinik nicht über eine
Ambulanz verfügt und nicht in
Konkurrenz zum ambulanten Versorgungssektor treten möchte, ist die Teilnahme an der Nachsorgegruppe auf drei Monate begrenzt.
Kontakt
Hardtwaldklinik II
Fachklinik für psychogene Erkrankungen
Werner Wicker KG
Hardtstraße 32
34596 Bad Zwesten
Tel.: 05626 - 88 17 03
Fax: 05626 - 88 18 33
E-Mail: finger@hwk2.de
www.hardtwaldklinik2.de
17
Abschied von
Die DOXS
in der Region
Im Schwalm-Eder-Kreis kämpfen
Kommunen vereint gegen den
demografischen Wandel
Die wohnortnahe ambulante medi-
Ü
zinische und psychotherapeutische
Versorgung der Bevölkerung in Nordhessen aktiv mitzugestalten ist eines
der zentralen Ziele der Ärzte- und Psychotherapeutengenossenschaft DOXS
eG. Ein weiteres Ziel: Die Genossenschaft will die freiberufliche und wirtschaftliche Existenz niedergelassener
Ärzte und Psychotherapeuten stärken
– und sich dabei konsequent an den
Interessen der Patienten orientieren.
Beides hatten sich die Initiatoren der
DOXS eG von Anfang an auf die Fahnen geschrieben. Es waren Vertreter
14 verschiedener, bis dahin teilweise
auch konkurrierender lokaler Ärztenetze aus allen Teilen Nordhessens,
die die DOXS-Gründung im November 2007 vorbereitet hatten. Bis heute
stammen die aktuell rund 500 Mitglieder aus der gesamten Region. Grund
genug für das DOXS-Magazin, einen
Blick über den Tellerrand zu werfen:
Wir stellen die Landkreise, aus denen
DOXS-Mitglieder stammen, nach und
nach vor – und das nicht nur mit Blick
auf die Gesundheitspolitik.
Teil 2: Der Schwalm-Eder-Kreis.
Von Ralf Pasch
18
Magazin Frühjahr
2010
Winter 2009
ber einen „großen Sprung im EU-Standortranking“ freute
sich kürzlich der Landrat des Schwalm-Eder-Kreises, FrankMartin Neupärtl (SPD). Die EU hatte die Entwicklungschancen von
1.000 Region untersucht, der nordhessische Kreis, der im Jahre
2007 noch auf Platz 532 lag, rückte auf Rang 460 vor. Bis an die
Spitze ist es noch ein weiter Weg. Doch offenbar hat die Region
Potenziale. Immerhin zählt sie in Hessen zu den Kreisen mit der
niedrigsten Verschuldung und die Arbeitslosenquote lag im Januar
bei 6,6 Prozent, während sie im gesamten Bundesland sieben Prozent betrug.
Allerdings steht der Kreis auch vor diversen Herausforderungen.
Wenn nicht schnell etwas getan wird, nimmt die Bevölkerung in
den nächsten Jahren rapide ab: aktuellen Schätzungen zufolge bis
2030 um 12 Prozent, bis 2050 gar um 27 Prozent. In „schrumpfenden Regionen“ leben nicht nur immer weniger Menschen, sondern auch immer mehr ältere. Bis 2025, so die Prophezeiung, werde der Anteil der Menschen im Landkreis, die älter als 65 sind, auf
fast 30 Prozent wachsen.
Landrat Neupärtl und seine Mitarbeiter in der Homberger Kreisverwaltung haben inzwischen eingesehen, dass es nicht genügt,
den demografischen Wandel zu beklagen. Eine Leitstelle „Älter
werden“ soll eingerichtet werden, die Dezernate wollen ressortübergreifend zusammenarbeiten, in einem „Leerstandskataster“
will die Bauaufsicht die Gebäude und Grundstücke erfassen, um
gezielt nach einer neuen Nutzung zu suchen.
Gemeinsame Gewerbegebiete
Viele Kommunen im Kreis scheinen schon einen Schritt weiter zu
sein: Immerhin 18 der 27 Städte und Gemeinden pflegen eine
rege „interkommunale Kooperation“. Felsberg, Melsungen, Spangenberg, Malsfeld und Morschen setzten sich schon Ende der
90er Jahre an einen Tisch, um gemeinsam das Gewerbegebiet
Mittleres Fuldatal direkt an der Autobahn A 7 zu planen und auszuweisen. Die Flächen gehören Malsfeld, die anderen Mitglieder
im Verband beteiligten sich entsprechend ihrer Einwohnerzahl an
den Erschließungskosten und den übrigen Ausgaben. Im Gegenzug profitieren sie von den Gewerbesteuern, die die sich ansiedelnden Unternehmen zahlen. Die anfangs vorgesehenen 24 Hektar sind nach den Angaben von Geschäftsführer Klaus Stiegel verkauft und belegt, inzwischen sei eine Verdopplung der Fläche genehmigt. Stiegel spricht dann auch von einer „Erfolgsgeschichte“.
Die vier Kommunen beließen es nicht bei einem gemeinsamen
Gewerbegebiet und schlossen sich zu einem Zweckverband zusammen, was Schule machte, denn inzwischen gibt es drei weitere solcher Bündnisse im Kreis.
der Kirchturmpolitik
Auch andere Zweckverbände seien entstanden, weil
den beteiligten Kommunen klar wurde, dass es leichter ist, Gewerbegebiete gemeinsam statt in Konkurrenz zueinander zu entwickeln, so der Leiter des Amtes für Wirtschaftsförderung in der Kreisverwaltung,
Hans-Georg Korell. Inzwischen kümmern sich diese
Verbände aber auch um andere Themen, laut Korell
sind zum Beispiel alle vier in das hessische Stadtumbau-Programm aufgenommen worden – ebenfalls
ein Versuch, den demografischen Wandel in den Griff
zu bekommen. Bis 2013 fördern das Land Hessen
und der Bund unter dem Motto „Stadtentwicklung
ohne Wachstum“ Konzepte und Projekte, die die
Schrumpfung zwar nicht aufhalten, aber deren Folgen mildern könnten. Städte und Gemeinden müssen sich Gedanken darüber machen, was sie mit leer
stehenden Gebäuden tun oder wie sie für immer weniger und immer mehr ältere Einwohner ihre Infrastruktur in Gang halten.
Vorreiter beim Stadtumbau:
Zweckverband Schwalm-Eder-West
Vorreiter beim Stadtumbau – nicht nur in Hessen,
sondern bundesweit – war der Zweckverband
Schwalm-Eder-West, in dem sich 2003 Bad Zwesten,
Borken, Jesberg, Neuental und Wabern zusammenschlossen. Die Region hatte mit dem Strukturwandel
bereits Erfahrungen, musste sie doch Ende der 80er
Jahre nach dem Zusammenbruch des Braunkohlebergbaus in Borken neue Wege gehen.
Dass Problem schrumpfender Städte schien im Westen zunächst nicht zu existieren. Deshalb gab es lediglich den „Stadtumbau Ost“. Mit Fördergeldern
des Bundes und der Länder wurden in den neuen
Bundesländern unter anderem leer stehende Plattenbausiedlungen abgerissen oder umgebaut. Dann
meldeten auch die alten Bundesländer Bedarf an, sodass ein Programm „Stadtumbau West“ aufgelegt
wurde. Die Region Schwalm-Eder-West gehörte zu
den 16 Pilotprojekten. Mit fünf Millionen Euro wurden in den Mitgliedskommunen diverse Projekte realisiert oder zumindest angeschoben.
Zum Beispiel ging es um die 38 Dorfgemeinschaftshäuser im Zweckverband. Ausgaben und Einnahmen
standen nicht mehr im Verhältnis, weil einige Häuser
kaum noch genutzt wurden. Und so wurden in
Großenenglis, einem Ortsteil von Borken, ungenutzte Teile des Dorfgemeinschaftshauses abgerissen, in
Neuental-Bischausen übernahmen die Vereine die
Nutzung des kommunalen Gebäudes. Ein anderes
„Impulsprojekt“ war eine Datenbank für leer stehende Bauten und Flächen. Der Zweckverband stimmt
inzwischen mit den Eigentümern ab, wie leer stehende Immobilien genutzt werden können, und übernimmt die Vermarktung.
Masterplan für die kommenden Jahre
2007 war das Stadtumbau-Programm in den SchwalmEder-West-Kommunen beendet, doch viele Projekte
mussten noch realisiert oder weiterentwickelt werden. Deshalb wurde ein Masterplan mit Ideen und
Konzepten aufgestellt, die in den nächsten Jahren realisiert werden sollen. So haben die Kommunen ambitionierte Pläne in Sachen Tourismus: Flüsse und die
Restlöcher des ehemaligen Braunkohlebergbaus sollen als Bestandteile einer „WasserWelt Schwalm Eder
West“ Touristen anlocken. In Sachen Fremdenverkehr
und Wasser schauen die Zweckverbands-Kommunen
inzwischen über den Tellerrand und arbeiten in der
Besuch im Dom
Foto: Touristik Service Kurhessisches Bergland
Fritzlar ist zwar kein Bischofssitz, trotzdem hat die Stadt einen Dom.
Die Kirche neben dem Kloster, das heute noch einen Mönchsorden
beherbergt, verdient diese Bezeichnung nicht nur wegen der beeindruckenden Architektur, sondern auch wegen ihrer historischen Bedeutung: Dort fanden Synoden und Reichtage statt, auf denen außer
kirchlichen auch politische Entscheidungen getroffen wurden. Im Jahre 2004 kürte Johannes Paul II. das Bauwerk zur Päpstlichen Basilika.
Das Dommuseum bewahrt unter anderem Gemälde, Skulpturen und
liturgische Geräte auf, außerdem gibt es einen Klosterladen.
Informationen: www.basilika-dom-fritzlar.de
Magazin Winter 2009
19
Schwalm-Eder-Kreis
In den 27 Kommunen des Kreises leben rund 188.000 Einwohner
auf einer Fläche von etwa 1.500 Quadratkilometern. Gegenwärtig
gibt es im Landkreis vier Zweckverbände, in denen Kommunen ko­
ope­rieren:
• Mittleres Fuldatal mit Felsberg, Melsungen,
Spangenberg, Malsfeld, Morschen
• Schwalm-Eder West mit Bad Zwesten, Borken,
Jesberg, Neuental, Wabern
• Mitte mit Homberg, Knüllwald, Schwarzenborn
• Schwalm mit Frielendorf, Gilserberg, Schrecksbach, Schwalmstadt, Willingshausen
Die Zahl der niedergelassenen Ärzte im Schwalm-Eder-Kreis ist von
218 im Jahr 2005 auf 199 im Februar dieses Jahres gesunken. Rund
1.000 Betten bieten die Asklepios-Kliniken in Melsungen, Homberg
und Schwalmstadt, das von der katholischen Kirche betriebene Heilig Geist Hospital in Fritzlar, die Hephata Kliniken in Schwalmstadt
und die Hardtwaldkliniken der Wicker-Gruppe in Bad Zwesten.
Touristischen Arbeitsgemeinschaft Erlebnisregion
Edersee auch mit anderen Orten zusammen. Die Brücke zum benachbarten Zweckverband Schwalm wird
in der LEADER-Region Schwalm Aue geschlagen. Mit
dem LEADER-Programm fördert die EU „benachteiligte Regionen“ in ländlichen Gebieten. Brüssel stellt
Foto: Stefan Pollmächer
Alte Pfarrei Niederurff, ArtGarten und Landrosinen
In der Alten Pfarrei aus dem Jahr 1445 organisieren Dr. Stefan Pollmächer
und seine Frau Dr. Alexandra Urbas seit 1997 Ausstellungen mit internationalen und heimischen Künstlern, Musikveranstaltungen, Diavorträge
oder Thea­terabende. Regelmäßig findet der „Niederurffer Salon“ mit Vorträgen zu Themen aus Politik, Kultur und Wissenschaft statt.
Wer den Weg nach Niederurff gefunden hat, sollte auch den ArtGarten
besuchen, den Dr. Pollmächer mit Unterstützung der Gemeinde Bad
Zwesten betreibt. Der Artgarten lädt Künstler zu Workshops ein und
Anfänger und Fortgeschrittene zu Steinbildhauerkursen.
Nicht zuletzt lohnt sich ein Blick in den Veranstaltungskalender der
„Landrosinen“, das Kulturnetzwerk Schwalm-Eder. Künst­lerinnen und
Künstler, Kulturinitiativen, Theater- und Musikgruppen haben sich zu
diesem Netzwerk zusammengeschlossen und bieten ein vielfältiges
Spektrum von Ausstellungen, Konzerten, Theater- und Kabarett-Abenden, Vorträgen und Lesungen.
Informationen: www.alte-pfarrei-niederurff.de,
www.art-garten.de, www.landrosinen.de
20
Magazin Winter 2009
den Kommunen an der Schwalm bis 2013 rund 1,6
Millionen Euro zur Verfügung. Mit diesen Geldern soll
unter anderem der Schwalm-Radweg finanziert werden, ein Projekt, an dem sich elf Kommunen beteiligen, die auch aus dem benachbarten Vogelsbergkreis
kommen.
Der Borkener Bürgermeister und Vorsitzende des
Zweckverbandes Schwalm Eder West, Bernd Heßler,
stellt selbstbewusst fest, „dass wir die interkommunale Kooperation erfunden haben“. Zwar war sein Verband nicht der erste, doch so umfassend und intensiv
wie in seiner Region sei die Zusammenarbeit zunächst
nirgendwo gewesen. Für Heßler steht fest, „dass es
künftig nur noch so funktionieren wird“. Mit Blick auf
die leeren Kassen und die immer schlechter werdende Finanzlage der Kommunen sei eine solche Zusammenarbeit regelrecht zwingend.
Die Schwalm Eder-West Kommunen betreiben auch
in wirtschaftlichen Fragen keine Kirchturmpolitik
mehr. Der Verband mietete für ein gemeinsames Existenzgründerzentrum bei einem Borkener Logistikunternehmen 1.500 Quadratmeter an, die er zu günstigen Konditionen an Gründer vermietet. Von den fünf
Mietern, die nach dem Aufbau des Zentrums dort
ihre Zelte aufschlugen, stehen inzwischen drei auf eigenen Beinen.
Investoren stehen hier nicht Schlange
Doch nicht in allen Fragen herrscht in der Region
Schwalm-Eder-West Einigkeit. Das hehre Ziel, ein interkommunales Gewerbegebiet einzurichten, kam
bisher über erste Schritte nicht hinaus. In Wabern
fand sich zwar eine geeignete Fläche, doch bisher
konnten sich die Kommunen im Verband nicht darauf einigen, welche Unternehmen sich dort ansiedeln
können, eher kleinere oder auch große, zum Beispiel
aus der Logistikbranche. Doch eine große Auswahl
haben die Kommunen nicht, „die Investoren stehen
hier nicht Schlange“, sagt Borkens Bürgermeister
chen Vereinigung Hessen im Schwalm-Eder-Kreis 199
niedergelassene Ärzte. Vor fünf Jahren waren es zum
selben Zeitpunkt 218. „Diese Entwicklung zeigt, dass
es immer schwieriger wird, frei werdende Praxissitze
wieder zu besetzen“, so KV-Sprecherin Silvia Herzinger. „Der Abmarsch in die Zentren“ sei auch bei den
Ärzten zu beobachten. Allerdings will sie im SchwalmEder-Kreis nicht von einer Unterversorgung sprechen.
Foto: Touristik Service Kurhessisches Bergland
Bergbaugeschichte erleben
Der Braunkohlebergbau hat Borken und seine Umgebung geprägt, die Restlöcher des Tagebaus sind ein
anschauliches Beispiel. Die Geschichte dieser Branche, deren Tradition in Hessen etwa 400 Jahre zurückreicht, wird im Borkener Braunkohlebergbaumuseum dokumentiert. In der Stadt endete der Abbau des Bodenschatzes nach einem Grubenunglück
im Jahre 1988. Das Museum ist auf mehrere Standorte verteilt, sein Herzstück ist ein über drei Hektar großer Themenpark mit Schaufelradbaggern, Lokomotiven und einem Miniaturkraftwerk. Ein Naturschutzzentrum informiert über die artenreiche Flora und
Fauna, die sich an den Tagebauseen entwickelt.
Informationen:
www.braunkohle-bergbaumuseum.de
Heßler. Potente Unternehmen wie der Medizinproduktehersteller B. Braun, nach wie vor größter Arbeitgeber im Schwalm-Eder-Kreis, sind rar. Auch für die
derzeit in der Region ansässigen Unternehmen könnte der demografische Wandel zum Problem werden,
weil ihnen damit ein Mangel an Fachkräften droht.
Qualifizierte junge Leuten zieht es immer stärker in
die Ballungszentren.
Die medizinische Versorgung
sicherzustellen wird schwieriger
Damit geht ein weiteres „Zukunftsproblem“, wie es
Landrat Neupärtl nennt, einher: Vor allem in den kleineren Gemeinden wird es zunehmend schwieriger,
die medizinische Versorgung sicherzustellen. Anfang
Februar gab es nach den Angaben der Kassenärztli-
Das Problem scheint erst allmählich zu
wachsen: „Einen erheblichen Mangel“
sieht DOXS-Mitglied Dr. Meinhard Rudolff, der mit einer Kollegin eine Praxis in
Felsberg betreibt, in den nächsten fünf
bis zehn Jahren auf die Region zukommen. Er beobachtet, dass viele Landärzte
nach und nach das Alter erreichen, in
dem sie sich zur Ruhe setzen. Nachfolger
Dr. Meinhard Rudolff, Arzt in
zu finden, sei schwierig. Rudolff bekommt Felsberg und DOXS-Mitglied
den Mangel schon zu spüren, denn er
sucht für eine aufgekaufte Nachbarpraxis bisher vergeblich einen Kollegen.
Bevor ein junger Arzt in eine Landpraxis einsteigt,
stellt er meist die Frage, wie oft er Bereitschaftsdienste leisten muss. Anders als in Städten mit Kliniken, die
auch im Schwalm-Eder-Kreis Notdienstzentralen eingerichtet haben, vertreten sich Ärzte im ländlichen
Raum üblicherweise gegenseitig. Und so muss auch
Rudolff durchschnittlich ein Mal im Monat ein ganzes
Wochenende dafür einplanen. Diese „kollegiale
Dienstregelung“ wird darüber hinaus auch an Wochentagen praktiziert. Um die hohe Belastung zu reduzieren, sind Gespräche mit angrenzenden Notdienstbezirken in der Umgebung im Gange. Außer
der mangelnden Bereitschaft junger Ärzte, den Schritt
aufs Land zu wagen, sieht Rudolff jedoch noch ein anderes Problem: „Die bürokratischen Hürden sind sehr
hoch, fehlt einem Kollegen auch nur eine Teilqualifikation, wird er nicht für eine Praxis zugelassen“.
Auch sein Kollege Dr. Ulrich Herzberger,
der gemeinsam mit seiner Frau in Felsberg
eine Praxis betreibt, sieht den Mangel an
Nachwuchs als Hauptproblem der Zukunft.
Das betrifft ihn ganz persönlich: Der 60Jährige muss sich in absehbarer Zeit über
die Nachfolge Gedanken machen. Zwar
hat er einen Sohn, der ebenfalls Mediziner
wurde. Doch der arbeitet gegenwärtig in
Dr. Ulrich Herzberger, Arzt in
einer Klinik und „überlegt sich gut, ob er Felsberg und DOXS-Mitglied
hierher kommt“, weiß der Vater. Aus seiner
Sicht ist ein Hinderungsgrund für den Nachwuchs die
derzeit offene Frage, wie sich das deutsche Gesundheitswesen weiterentwickelt. Er befürchtet, dass sich
die niedergelassenen Praxen künftig immer stärker
großen Klinikketten unterordnen müssen und die
Ärzte damit ihre Freiberuflichkeit einbüßen.
21
(Was)
lernen
wir von der
„SchweinegrippePandemie“?
Die Influenza-Barometer sind wieder fast auf null gesunken; wahrscheinlich ist die „Neue Influenza“ für diese Saison vorbei. Jetzt ist es Zeit, ein
Resumee zu ziehen.
Von Dr. Uwe Popert
Die „Schweinegrippe“-Infektion ist zumeist unbemerkt oder völlig harmlos verlaufen – fast
die Hälfte der Kinder weisen Antikörpertiter1 auf. Statt der von einem BILD-„Experten“ vorhergesagten „mindestens 35.000 Toten“ hat es in Deutschland nur 216 nachgewiesene
Influenza A-H1N1-Todesfälle gegeben. Damit liegt Deutschland im internationalen Vergleich von vorrangig mit „Weißen“ bevölkerten Ländern extrem niedrig (siehe Tabelle).
Das „german miracle“ ist noch nicht entschlüsselt.
Durchschnittliche A/H1N1-Mortalität nach Wintersaison
(Stand 13.2.2010) Quelle: Wikipedia
Land
Einwohner Argentinien
A/H1N1-
Tote pro
Tote 100.000 Einw.
39.400.000
617
1,566
USA
308.241.000
3.127
1,014
Mexiko
109.960.000
1.006
0,915
Chile
16.763.470
150
0,895
Australien
21.360.000
191
0,894
Brasilien
195.100.000
1.632
0,836
England
50.431.700
411
0,815
Neuseeland
4.143.279
20
0,483
Frankreich
65.073.482
303
0,466
Ukraine
45.994.287
213
0,463
Österreich
8.376.761
24
0,287
Schweden 9.269.986
26
0,280
81.882.342
216
0,263
Deutschland RKI 81.882.342
8.200 10,000
„Exzess“ 1995-2006 (82 bis 31.160)
(0,1 bis 38)
Deutschland 22
Kann die niedrige Sterberate in
Deutschland an der A-H1N1-Impfung liegen?
Nein. Weniger als 7 % der Bevölkerung wurden geimpft;
bei angenommenem idealen 100%-igem Impfschutz wäre
die Sterberate ohne Impfung um 7 % höher gewesen –
weiterhin ein sensationell niedriger Wert.
Wie ist die Influenza-Sterblichkeit
im Vergleich zu den Vorjahren?
Die Influenza-Todesfälle der letzten Jahre wurden nicht so
häufig untersucht, sondern vom RKI mit einer zweifelhaften Methode hochgerechnet2; dabei ergaben sich zwischen 1995 bis 2006 Deutschland durchschnittlich 8.200
(82 bis 31.160) Tote/Jahr. Experten schätzen, dass diese
Zahlen absichtlich um den Faktor 10 (!) übertrieben dargestellt wurden, um den Absatz der Influenza-Impfung zu
fördern3. Aber selbst wenn man das berücksichtigt, ist die
Sterblichkeit immer noch um den Faktor 4 niedriger als im
RKI-Vorjahresdurchschnitt (siehe Tabelle).
Warum sind weniger Senioren an Influenza gestorben als sonst?
Man nimmt an, dass diese durch vorherige Infektionen oder Impfungen mit A-H1N1 gut geschützt waren4. (Allerdings wiesen nur maximal 30 % Antikörpertiter auf. Es ist also anzunehmen, dass der Schutz durch die zelluläre Abwehr (T-Lymphozyten) eine mindestens ebenso
wichtige Rolle spielt. Das macht die Aussagekraft von Serumtitern zur Kontrolle von Impferfolg
und Ansteckungen fraglich.)
Wie gut hilft Oseltamivir (Tamiflu®)?
Nach ersten Studienergebnissen wurde behauptet, Oseltamivir (Tamiflu®) bewirke im Durchschnitt eine Krankheitsverkürzung um 0,5 bis 1 Tag und könne vor Komplikationen schützen.
Allerdings wird die Aussagekraft der – meist firmengesponserten – Studien inzwischen bezweifelt. Die US-amerikanische Arzneimittelbehörde FDA sieht derzeit keine Belege mehr für einen
Schutz vor Grippekomplikationen durch Oseltamivir – weder für Gesunde noch für chronisch
Kranke5.
Schadet die H1N1-Impfung?
Die Einführung der Pandemrix®-Massenimpfung wurde leider nicht mit einer systematischen
Studie zur Erfassung von Nebenwirkungen begleitet. Zur Häufigkeit von leichten und mittelschweren Nebenwirkungen lässt sich deswegen derzeit nichts Sicheres sagen. Im zeitlichen
Zusammenhang traten bei Geimpften in Deutschland 48 Todesfälle auf; das PEI teilte mit, dass
bisher nur in der Hälfte der Fälle eine andere Todesursache gefunden werden konnte6.
Nützt die H1N1-Impfung?
Zu einem tatsächlichen Schutzeffekt durch eine A-H1N1-Impfstoff gibt es bisher weltweit keine veröffentlichten Studienergebnisse. Ein Effekt wird lediglich durch den meist nachweisbaren Antikörper-Anstieg postuliert.
Abschätzung eines möglichen Nutzens: Bei 82 Millionen Deutschen sind bisher 216 Todesfälle durch A-H1N1 nachgewiesen worden. Bei Annahme eines 100%-igen Impfschutzes müssten also 379.000 Personen geimpft werden, um einen Todesfall zu verhüten.
Andererseits sind von den 4,6 Millionen Geimpften möglicherweise etwa 20 an Impffolgen
verstorben. Es ist also bei der Impfung von 230.000 Personen ein zusätzlicher Todesfall zu
befürchten – der mögliche Schaden ist also fast doppelt so hoch wie die erhoffte (aber bisher
noch nie real nachgewiesene) Schutzwirkung.
Dr. med. Uwe Popert
ist seit 20 Jahren als Arzt für Allge-
Fazit:
meinmedizin in Kassel niedergelas-
Die derzeitigen Erkenntnisse sollten eine Reihe von Diskussionen, Umdenkprozesse und Korrekturen in Gang setzen. Insbesondere folgende Fragen stellen sich:
• Hat sich die Aufweichung der WHO-Definition für eine „Pandemie“ (Infektiös statt Infektiös
+ letal) wirklich bewährt? (Isolationsmaßnahen wurden nirgendwo wirksam durchgehalten;
Impfungen spielten weltweit keine entscheidende Rolle.)
• Wieso wurden bisher keine aussagekräftigen Studien zu dem wahrscheinlich meistverkauften Grippe-Impfstoff der Welt (Pandemrix®) veröffentlicht?
• Wie kann man verhindern, dass die Bundesländer/der deutsche Steuerzahler wieder von
der Pharmaindustrie so über den Tisch gezogen werden? (Stichwort: je Impfdosis 1 € für
die Wirksubstanz, aber 6 € für ein umstrittenes Adjuvans.)
• Kann man die Pandemrix®-Impfung derzeit noch guten Gewissens empfehlen?
• Können wir uns weiterhin einen Kreis von Politik-Beratern/eine Ständige Impfkommission
(STIKO) leisten, die zu einem großen Teil pharmaabhängig sind/ist?
sen. Er ist Gründungsmitglied der
Ärzte- und Psychotherapeutengenossenschaft DOXS eG, 1. Vorsitzender des „Gesundheitsnetz Nordhessen e. V.“ und Lehrbeauftragter
an der Abteilung für Allgemeinmedizin der Universität Göttingen. Außerdem ist er als Beauftragter des
KV-Bezirksausschusses beratend für
die Organisation der Bereitschaftsdienste zuständig – und damit auch
für die Koordination bei Pandemiefällen.
1 www.thelancet.com/journals/lancet/article/PIIS0140-6736%2809%2962126-7/
fulltext#article_upsell
2 www.rki.de; epidemiolog. Bulletin 35_07; Influenza-assoziierte Mortalität in Deutschland 1985–2006
3 www.wissen.spiegel.de/wissen/dokument/dokument.html?id=66133688&top=SPIEGEL
4 www.aerztezeitung.de/medizin/krankheiten/infektionskrankheiten/schweinegrippe/
article/585281/schweinegrippe-jedes-dritte-kind-h1n1-virus-traeger.html?sh=1&h=-1365123692
5 www.arznei-telegramm.de/abo/b091222.php3?&knr=028790/303178
6 Ärzte Zeitung online, 28.01.2010
23
Flussdiagramme in der Praxis
Für die Bewältigung neuer Routineaufgaben kann es sich lohnen, Flussdiagramme zu erstellen, um sich über
die beste Verfahrensweise zu verständigen und diese jederzeit abrufbar zu haben. Gerade bei der zunehmenden Vernetzung von Praxen wird dies in Zukunft immer wichtiger werden. Dr. Uwe Popert hat (ohne Gewähr
für Richtigkeit und Vollständigkeit) einen Ablauf bei Influenza-Verdacht entworfen. Das entsprechende Flussdiagramm hat der Arzt für Allgemeinmedizin dem DOXS-Magazin zum Abdruck zur Verfügung gestellt.
Neue Influenza A (H1N1 09)
Empfehlungen zu Diagnostik und Therapie
(Stand 10.02.2010)
Dieses Flussdiagramm gilt unter folgenden Bedingungen:
• Influenza H1N1-Pandemie
• hohe Infektionsrate
• > 99,9 % harmloser Verlauf bei Nicht-Risikopersonen
• Hochrisikopatienten sind zu schützen
Patient kommt in die Praxis ggf. Telefontriage: kann Patient in die Praxis kommen? (Hausbesuch?)
Symptome
Hat Patient* mindestens zwei der folgenden
• Fieber > 38° C
• Husten
• Schmerzen (Hals-, Kopf, -Glieder-)
• plötzlicher Infektbeginn
NEIN
* Alter < 5 Jahre: s. spez. Empfehlung www.dgpi.de
Anderer Beratungsanlass
Ggf. zusätzlich klären, ob InfluenzaHochrisikopatient (Def. siehe unten)
JA
JA
Beratung von Hochrisikopatienten
Diagnose „pandemische Influenza“ = J09.und Ziffer 88200 eintragen
(bei Kontakt/Recall)

Impfung Influenza

Impfung Pneumokokken

Infektprävention
JA
Patient mit schwerem Krankheitsbild,
gekennzeichnet u. a. durch
• Atemnot und/oder
• Sauerstoffmangel und/oder
• Kreislauf-Schock und/oder
• Verwirrtheit
Klinik-Einweisung
Klinik telefonisch informieren
Ja
NEIN
• (Ungeimpfter) Hochrisikopatient, z. B.
• Schwangerschaft, inbesondere 3.Trimenon
• Krankhafte Adipositas (BMI > 30)
• symptomatische Lungenerkrankung (z. B. COPD, Asthma)
• Immunsuppression (z. B. HIV/AIDS, behand. rheumat. Arthritis, onkolog./hämatologische Krankheiten, Trans-
plantation, Medikamente)
• schwere Nierenerkrankung
• Diabetes mellitus, insbes. bei HbA1c > 8%
• chron. Stoffwechselkrankheit
• Herzerkrankung (nicht: einfache Hypertonie)
• Chron. neurologische Erkrankung
• Chronische Lebererkrankung, …
Engmaschig beobachten
Klinik-Einweisung erwägen
Oseltamivir anbieten, wenn < 48 h Erkrankung
Ja
Pneumonie? => ggf. Antibiotika
JA
Symptomatische Diagnostik, insbes.
• Inspektion/Auskultation
• ggf. EKG bei Hinweisen auf Myokarditis
• ggf. CRP/BSG bei Hinweisen auf bakt. Erkrankung
• ggf. Influenza-Abstriche, wenn ungeimpfte Risikoper sonen in engem Kontakt stehen und therapeutische
Konsequenzen sinnvoll sind
Ggf. Influenza-Abstriche
(wenn ggf. therapeutische Konsequenzen
sinnvoll sind)
Symptomatische Therapie
AU-Bescheinigung
Ja
Vermeidung von Kontakt zu Hochrisikopersonen
Wiedervorstellung bei Verschlechterung
kein ASS für Patienten < 16 Jahren
Im Regelfall sind Influenza-Abstriche nicht sinnvoll!
Im Regelfall ist Behandlung mit Antibiotika bzw. Oseltamivir nicht sinnvoll!
Im Regelfall ist eine medikamentöse Prophylaxe bei Kontaktpersonen nicht sinnvoll!
24
Gemeinsame,
sichere und
einheitliche
Verträge
Hausarztzentrierte Versorgung
ab dem 1. April auch in
Hessen attraktiv
Der baden-württembergische Hausärzteverband und
MEDI als regionaler Verbund von Ärztenetzen entwickeln derzeit neuartige Verträge zwischen Krankenkassen und Spezialisten (Kardiologen, Gastroenterologen und Rheumatologen). Die Besonderheit: Diese
Verträge nach § 73c und § 140 werden an die 73bHausarzt-Verträge gekoppelt.
Solche Vertragskombinationen zwischen Hausärzten
und Spezialisten sind zukunftsträchtig, denn einige
der bisherigen Verträge nach § 140 sind Fehlkonstruk­
tionen, die den kollegialen Frieden gefährden. Wenn
zum Beispiel Operateure IV-Verträge abschließen und
darauf vertrauen, dass beteiligte Hausärzte die angeforderte „präoperative Diagnostik“ dann im Rahmen
der KV-Ziffern abrechnen, dann ist dies problematisch, denn der Hausarzt hat gegenüber der KV ja gar
keinen Anspruch auf Erstattung seiner Leistungen.
Außerdem werden Leistungen im Rahmen der IVVerträge meist (deutlich besser) nach GOÄ vergütet.
Um die für unsere Zukunft so wichtige gute Kooperation der Fachgruppen weiter zu gewährleisten, hat
das Gesundheitsnetz Nordhessen e. V. Formulare entwickelt (zu finden auf www.g-n-n.de), mit denen die
Vertragsform und der Vergütungsweg bei Operationen schnell und unbürokratisch geklärt werden kann.
Für Ärzte gilt unter anderem ein Zuweisungsverbot
(vgl. hessische Berufsordnung, § 31). Unter bestimmten Bedingungen gilt dies bei gemeinsamen Verträgen z. B. nach § 140 nicht. Insbesondere bei Gemeinschaftspraxen muss zusätzlich darauf geachtet werden, dass durch die Verträge keine BGB-Gesellschaft
entsteht, die dann ggf. durch „Infektiosität“ ein erhöhtes Risiko für eine Gewerbesteuerpflicht birgt.
Deswegen sind diese Kooperations-Verträge besonders sorgfältig zu verfassen und mit der Landesärztekammer abzustimmen.
Verträge nach § 73 bzw. 140 sind laut aktueller KVHSatzung (§ 5) mit dem KV-Honorar zu bereinigen
bzw. in der EHV zu berücksichtigen. Entsprechend
müssen all diese Verträge der KVH mitgeteilt werden.
Dies ist bei dem derzeitigen Vertragschaos in Hessen
allerdings kaum umsetzbar – immerhin verteilt inzwi-
In Baden-Württemberg, Bayern und Bremen gibt es inzwischen zum Teil flächendeckend Krankenkassen, die eine hausarztzentrierte Versorgung (HZV) nach § 73b anbieten. Nach der AOK sind auch IKK und BKKs
und RVO-Kassen beteiligt – nachdem zahlreiche Patienten die Kasse gewechselt hatten, um sich einschreiben zu können. Ab
dem 1. April gibt es auch attraktive HZVVerträge in Hessen.
Von Dr. Uwe Popert
schen fast jede operative Großpraxis eigene IV-Verträge. Aber wie soll man so viele unterschiedliche Verträge kennen und beurteilen? Deswegen sind regional
einheitliche und rechtlich überprüfte Vertragskons­truk­
tionen wichtig.
Welche Verträge gibt es in Hessen?
IV-Verträge (Integrierte Versorgung nach
§ 140 SGB V)
Es gibt zahlreiche solcher Verträge, manchmal gemanagt über Fachgesellschaften, die KV Hessen, viele
über Vertriebsgesellschaften wie zum Beispiel medicalnetworks. Angeblich wurden die meisten IV-Verträge wegen mangelnder Umsetzung vor etwa einem
Jahr gekündigt. Bei den restlichen ist der Markt völlig
unübersichtlich; bisher scheint kaum jemand die Anzeigepflicht bei der KV beachtet zu haben.
Hausarztzentrierte Versorgung
Laut Gesetz müssen die Kassen eine HZV anbieten. In
Schiedsverfahren werden derzeit die meisten Krankenkassen zur Verhandlung entsprechender Verträge
mit dem hessischen Hausärzteverband gezwungen.
Für zukünftige HZV-Verträge in Hessen ist das BadenWürttemberger Modell maßgeblich – und auch von
den Kassen bevorzugt, weil sie sich von der regionalen Kooperation die Möglichkeiten einer effektiveren
Gesundheitsversorgung versprechen.
Ab dem 1.4.2010 werden die bereits unterzeichneten HZV-Verträge mit der IKK Signal Iduna starten.
Die Verhandlungen zu § 73c- und 140er-Verträgen
sind dann der nächste Schritt. Patienten, die in das
HZV-Modell der Signal-Iduna wechseln, können bis
zu 136,- € pro Jahr an Krankenkassenkosten sparen.
Das motiviert zusätzlich.
Mit der AOK Hessen läuft ein Schiedsverfahren; dieses wird wohl bis Ende März entschieden werden.
Vermutlich werden die Verträge zur Jahresmitte anlaufen – wohl als Bereinigungsvertrag, d. h. nicht
25
über die KVH. Weitere Verhandlungen/Schiedsverfahren z. B. mit den bundesweit agierenden Ersatzkassen bzw. BKKs laufen noch zentral in Berlin.
Ärztenetze und Ärztegenossenschaften sollten sich
nicht die Chance entgehen lassen, an den sich entwickelnden Strukturen teilzuhaben. Nur wenn sie ihre
Stärke ausspielen und „ambulant vor stationär“ umsetzen, können sie die eigentlichen Effektivitätsreserven heben. Nur mit der Kombination 73b plus73c/­
140er-Verträge können Netze und Genossenschaften
ihre Kooperationsfähigkeiten ausspielen. Und nur
wenn wir genügend Patienten in die Hausarztzentrierte Versorgung (§ 73b) einschreiben, können wir
haus- und fachärztliche Verträge nach § 73c/140 verhandeln und umsetzen.
drei. Alle weiteren Kassen sorgen wegen der Vielzahl
von Sonderwünschen und Sonderwegen z. B. bei Rabattverträgen nur für hinderliche Bürokratie – es sei
denn, die Kassen sind bereit, sich auf die bisher bestehenden Verträge einzulassen.
Jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, den Krankenkassen und der Politik deutlich zu machen, dass sich der
Patient eher für seinen Arzt als für seine Krankenkasse
entscheidet! Zumal er dabei noch Geld sparen kann
und eine bessere Versorgung erhält.
Schaffen wir das nicht, wird das deutsche Gesundheitswesen weiter in ein Chaos nach US-amerikanischem Vorbild steuern. Und wir brauchen nicht mehr
lange nach dem nächsten Gesundheitskonzern Ausschau zu halten.
Letztlich braucht man von den derzeit etwa 160
Krankenkassen aber regional wohl nur noch maximal
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16.02.10 11:54
Arbeit in der Arztpraxis ist immer auch Teamarbeit. Chef oder Chefin und ihre
Mitarbeiterinnen – in den meisten Fällen sind es Frauen – ziehen im Idealfall an
einem Strang. Das ist gut fürs Betriebsklima, das ist aber vor allem auch gut im
Umgang mit den Patienten. Nur wenn die Umgangsformen im Team stimmen,
ist auch der Ton gegenüber den Patienten der richtige. Nicht immer ist es einfach, so eine Mannschaftsleistung hinzubekommen. In der Serie Praxis & Personal gibt Dr. Heidemarie Krüger,
Diplom-Soziologin und Personalberaterin, im DOXS-Magazin Tipps für die Spielregeln
speziell in der Arztpraxis.
Praxis & Personal
Neue Serie
Tipps von Personalberaterin Dr. Heidemarie Krüger
Konflikte nicht aussitzen
„Vorhin bin ich von Ihrer Sprechstundenhilfe ganz schön angepflaumt worden“: Der
Hinweis des Patienten versetzt einem erst mal einen kleinen Stich. Doch dann erinnert
die Situation an das eigene Bauchgefühl –„irgendwie ist das Klima in meiner Praxis auch
schon mal besser gewesen.“
Wenn so etwas vorkommt, rät Personalberaterin Dr. Heidemarie Krüger aus Kassel zum
zügigen Handeln. „Denn je länger etwas nicht gut läuft, desto mehr schleift es sich ein“,
ist ihre Erfahrung. Natürlich weiß sie auch: Chef oder Chefin sein, das kam im Medizinstudium nicht vor. „Die Kernkompetenz liegt ganz klar auf ärztlichem Gebiet. Aber die
Führung ist ein Teil der Rolle, die man als Arzt und Unternehmer in der eigenen Praxis
spielt. Und die sollte man aktiv annehmen.“
Was tun, wenn das Klima nicht so ist wie gewünscht? „Einfach mal einen Moment beobachten. Schauen, wie gehen die Mitarbeiterinnen miteinander um? Daran kann man
messen, wie zufrieden sie sind“, sagt Krüger. Wenn hier schon so etwas wie dicke Luft,
Stress, Unfreundlichkeit zu spüren ist, dann ist eines auch klar: Das strahlt auf den Umgang mit den Patienten ab. Weitere Indikatoren für unzufriedene Mitarbeiter können ein
hoher Krankenstand, häufige Fluktuation im Team und die Leistungen der Azubis sein.
Nächster Schritt sollte sein zu schauen, wer „informeller“ Führer unter den Mitarbeiterinnen ist. Mit dieser und mit einer anderen Person aus dem Team wird jetzt das Gespräch gesucht: „Kurz mal am Rande einbauen, zügig auf beide jeweils einzeln zugehen
und sie gerade heraus ansprechen“, empfiehlt die Beraterin, „keine langen Reden und
Antworten, zehn Minuten“. Das Problem, das gelöst werden soll, ist klar zu benennen.
Ein kurzer Austausch darüber und dann für sich zusammenfassen, wo die Ursachen liegen: in den einzelnen Personen im Team, in der Organisation der Praxisabläufe, in der
Qualifikation?
Dr. Heidemarie Krüger
Nach ihrem Studium der Soziologie in
Bielefeld führte Krüger als Wissenschaftliche Mitarbeiterin über zehn Jahre lang
Forschungsprojekte zu den Themen Personal und Organisation durch und promovierte 1987 an der Universität Bielefeld
zum Thema „Anforderungen an außerfachliche Qua­lifikationen“. Bei der deutschen
Personalberatungsgruppe
Stein­
bach&Partner be­gann sie 1989 als Personalberaterin. Inzwischen ist sie Partnerin
und führt seit 20 Jahren das von ihr aufgebaute Büro als Inhaberin in Kassel.
Ihr Schwerpunkt liegt darin, mittelständi-
„Wichtig ist, dass nach diesen Kurzgesprächen sofort deutlich gemacht wird, es gibt einen nächsten Schritt – zum Beispiel schon bald ein Gespräch im Team, in dem der Chef
oder die Chefin und die Mitarbeiter Lösungsvorschläge unterbreiten“, schildert Krüger,
wie es weitergeht. Aus diesem Zusammentreffen werden dann Regeln abgeleitet, die
das Klima in der Praxis wieder angenehm machen, damit die Patienten sagen: „Vorhin
bin ich von ihrer Sprechstundenhilfe richtig nett empfangen worden“. ig
sche, Klein- und inhabergeführte Unternehmen in allen Fragen des Personalmanagements und insbesondere in der Beschaffung von Fach- und Führungskräften
zu unterstützen. Zunehmend wird sie
auch bei Fragen der Organisationsanalyse
von kleinen Einheiten eingeschaltet. ig
Zahlen & Fakten:
Nur 13 Prozent der Beschäftigten arbeiten gerne für ihr Unternehmen und fühlen sich
diesem verpflichtet. Das war im vergangenen Jahr ein Ergebnis der regelmäßig wiederholten Umfrage des Gallup-Institutes zur Arbeitnehmerzufriedenheit. Zwei Drittel der
Arbeitnehmer fühlen sich ihrem Arbeitgeber nicht verbunden, jeder fünfte hat bereits
innerlich gekündigt. Lustlose Mitarbeiter fehlen bis zu vier Tagen mehr im Jahr als engagierte. Laut der Studie kritisieren viele Beschäftigte, dass ihre Meinung im Unternehmen
nicht zähle. Sie wünschen sich mehr Anerkennung.
27
Checkliste für ein Mitarbeitergespräch
Zügig agieren
Tritt ein Ereignis auf, sollte kurz darauf das Gespräch mit
dem/der Mitarbeiter/in gesucht werden. Bitten Sie am selben Tag noch zu einem Gespräch.
Auf den Punkt bringen
Sprechen Sie das „Problem“ direkt und konkret mit Fakten
an; erläutern Sie die Folgen für das Klima, die Praxis etc. Fassen Sie sich kurz.
Reaktion anhören
Lassen Sie den/die Mitarbeiter/in Stellung nehmen.
Den eigenen Standpunkt klar formulieren
Diskutieren Sie nicht, formulieren Sie die Notwendigkeit der
Veränderung.
Keine Ausschweifungen
Das Gespräch sollte nicht länger als zehn Minuten dauern.
Veränderung einfordern
Fragen Sie nach, wie sich der/die Mitarbeiter/in die Veränderung selbst vorstellt, was er/sie dazu tun will.
Das Ziel gemeinsam benennen
Setzen Sie einen Zeitpunkt, bis wann eine Veränderung umgesetzt sein muss.
Gesprächsergebnisse fixieren
Am Ende des Gespräches sollten die wesentlichen Absprachen nochmals benannt werden, um Missverständnisse zu
vermeiden und positive Veränderungen als Erwartung zu fixieren.
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26.05.2009
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„Wegkommen
vom Prinzip der
Sachleistungen“?
Kontroverse Diskussion
um Kostenerstattung
in der GKV
Für die einen ist sie das Ende der solidarischen Krankenversicherung, für die
anderen eine große Chance für mehr
Transparenz, sachgerechte Behandlung
der Patienten und ein gerechtes ArztHonorar: die Kostenerstattung in der
Gesetzlichen Krankenversicherung.
Auch in der Ärzte- und Psychotherapeutengenossenschaft DOXS eG wird das
Thema kontrovers diskutiert.
Von Martin Wortmann
P
atienten- und Verbraucherverbände sind kritisch,
die Krankenkassen dagegen. Die KBV ist skeptisch, aber offen und will Patienten wie Ärzten die
Wahl lassen. Hartmannbund und „Freie Ärzteschaft“
sind dafür, ebenso eine klare Mehrheit der Ärzte, die
sich an einer Umfrage der KV Rheinland-Pfalz beteiligt haben. „Das ist im Moment kein Thema für uns,
das steht auch nicht an“, heißt es dagegen beim
Deutschen Hausärzteverband. In Internet-Foren argumentieren einzelne Hausärzte skeptisch, praktikabel und wirtschaftlich sei die Kostenerstattung wohl
nur für Facharztpraxen.
Die Befürworter bekamen nun Unterstützung von
Gesundheitsminister Philipp Rösler (FDP): „Wir müssen stärker wegkommen vom Prinzip der Sachleistungen und hinkommen zur Kostenerstattung“, sagte
Rösler laut „Die Welt“ auf dem Neujahrsempfang der
FDP-Fraktion im niedersächsischen Landtag. Es sei
sinnvoll, wenn Patienten per Rechnung erführen,
wieviel einzelne Behandlungen kosten.
Wahlrecht und Patientenquittung
Laut ARD-DeutschlandTrend Februar 2010 wünschen
sich das auch 91 Prozent der befragten Bürger. Wohl
die wenigsten wissen, dass sie darauf auch in der gesetzlichen Krankenversicherung schon seit 2004 einen gesetzlichen Anspruch haben. Laut Sozialgesetzbuch müssen Ärzte, Zahnärzte und Krankenhäuser
auf Verlangen des Patienten eine sogenannte Patientenquittung ausstellen, die in verständlicher Form
über die erbrachten Leistungen und ihre voraussichtlichen Kosten informiert. Dabei können die Patienten
zwischen einer „Tagesquittung“ und – gegen einen
Euro plus Versandkosten – einer Quartalsquittung
wählen (siehe Kasten § 305 SGB V).
Genutzt wird diese Möglichkeit wohl nur von wenigen, Zahlen liegen allerdings weder dem GKV-Spitzenverband noch der KBV vor. Bei einem Modellversuch der früheren KV Rheinhessen 2002/2003 lag die
Inanspruchnahme immerhin bei durchschnittlich 15
Prozent, nahm innerhalb von vier Quartalen allerdings von 21,9 auf 8,1 Prozent ab. Insbesondere bei
den zu Beginn deutlich engagierteren Fachärzten
sackte die Beteiligung von zunächst 27,6 (Hausärzte
16,4) auf 8,3 (Hausärzte 7,9) Prozent. „Die Hemmschwelle ist groß“, meint Christian Zimmermann,
Präsident des Allgemeinen Patienten-Verbandes in
Marburg. Funktionieren könne die Sache nur, „wenn
der Arzt verpflichtet ist, dem Patienten eine Rechnung in die Hand zu geben“.
Ebenfalls nach der ARD-Umfrage wollen fast Dreiviertel der Bürger am gegenwärtigen Gesundheitssystem
festhalten. Ob sie damit auch das Sachleistungsprinzip gemeint haben, geht aus den Anfang Februar veröffentlichten Ergebnissen nicht hervor. Doch seit
2004 können gesetzlich Versicherte sich auch für die
Kostenerstattung entscheiden, 2007 wurden die
Wahlmöglichkeiten nachgebessert. Hierzu legte der
GKV-Spitzenverband im März 2009 einen Bericht vor.
Danach haben nur 0,19 Prozent der Versicherten die
Kostenerstattung gewählt. Dabei liegt der Anteil bei
den Ersatz- (0,34) und Betriebskrankenkassen (0,30
Prozent) deutlich höher, in der AOK-Familie ist er dagegen mit 0,02 Prozent um den Faktor zehn geringer
als im GKV-Durchschnitt.
Gegner der Kostenerstattung sehen sich durch diese
Zahlen bestätigt, Befürworter dagegen verweisen auf
die bisherigen gesetzlichen Bedingungen (siehe Kasten § 13 SGB V): Abgerechnet wird mit dem einfachen Satz der GOÄ. Die Kasse erstattet den Patienten
aber höchstens den Betrag, den die gleiche Behandlung als Sachleistung gekostet hätte, zudem kann sie
noch Abschläge machen. In Wahltarifen dürfen die
Kassen seit 2007 gegen zusätzliche Prämien die Eigenbeteiligung reduzieren, ebenso gibt es private
Zusatzversicherungen. Im regulären Erstattungs-Tarif
müssen die Ärzte über das Kostenrisiko aufklären.
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Transparenz
Wichtigstes Argument für die Kostenerstattung ist die
Transparenz. Gemeint ist damit – ganz im Sinne Röslers – meist die Kostentransparenz. „Der Patient wird
endlich befähigt, die Abrechnung bei Erhalt zu prüfen oder prüfen zu lassen, wie in anderen Lebensbereichen üblich“, heißt es etwa in einem Positionspapier der Freien Ärzteschaft zur Bundestagswahl 2009.
Der Hartmannbund Nordrhein erwartet so ein verstärktes Kostenbewusstsein der Patienten. Ilka Enger,
Vorsitzende des Bayerischen Fachärzteverbandes,
wundert sich nicht, dass die Patientenquittung bislang nur selten angefordert wird. „Da der Patient seine Rechnung nicht selbst bezahlen muss, ist das Interesse an diesem Rechnungsausdruck nahe Null“,
schreibt sie im Internet auf „fachartz.de“. Das könnte
sich ändern, wenn der Patient die Rechnung selbst
bezahlen muss.
Kehrseite der Kostentransparenz ist für die Ärzte die
Transparenz ihres Honorars. Allerdings hatte die KBV
schon in einem ausführlichen „Argumentationspa-
So steht es im Gesetz
SGB V, § 13 Kostenerstattung
(1) [...]
(2) Versicherte können anstelle der Sach- oder Dienstleistungen Kostenerstattung wählen. Hierüber haben sie ihre Krankenkasse vor Inanspruchnahme der
Leistung in Kenntnis zu setzen. Der Leistungserbringer hat die Versicherten vor
Inanspruchnahme der Leistung darüber zu informieren, dass Kosten, die nicht
von der Krankenkasse übernommen werden, von dem Versicherten zu tragen
sind. Der Versicherte hat die erfolgte Beratung gegenüber dem Leistungserbringer schriftlich zu bestätigen. Eine Einschränkung der Wahl auf den Bereich der
ärztlichen Versorgung, der zahnärztlichen Versorgung, den stationären Bereich
Foto: AOK
pier“ im Juli 2006 darauf hingewiesen, dass mehr
Transparenz für die Ärzte nicht die Kostenerstattung
voraussetzt, sondern lediglich eine Abkehr vom budgetierten Punkte-System. Dabei ist die KBV von ihrer
damaligen Forderung nach Pauschalierungen abgerückt. „Eine Einzelleistungsvergütung ist der sinnvollere Weg“, erklärte Sprecher Roland Stahl auf Anfrage.
Für die Patienten wichtig wäre sicher auch die sprachliche Transparenz: Bislang seien die Patientenquittungen in diesem Punkt noch recht unzulänglich, diagnostiziert Enger. Die Kostenerstattung, so hier die
Hoffnung der Befürworter, würde die Ärzte zwingen,
ihre Rechnung und damit letztlich auch die Behandlung so zu erklären, dass die Patienten sie verstehen.
Patienten-Verbands-Präsident Zimmermann ist freilich skeptisch. „Es wird für die Patienten oft zu schwierig sein, die Rechnung zu überprüfen“, meint er. Das
sei auch bislang bei vielen Privatpatienten schon so.
Und auch die KBV schrieb 2006: „Mancher Kranke
wäre damit überfordert.“
oder auf veranlasste Leistungen ist möglich. […] Anspruch auf Erstattung besteht höchstens in Höhe der Vergütung, die die Krankenkasse bei Erbringung als
Sachleistung zu tragen hätte. Die Satzung hat das Verfahren der Kostenerstat-
Bürokratie, Verwaltung, Arzt und Patient
tung zu regeln. Sie hat dabei ausreichende Abschläge vom Erstattungsbetrag
für Verwaltungskosten und fehlende Wirtschaftlichkeitsprüfungen vorzusehen
sowie vorgesehene Zuzahlungen in Abzug zu bringen. Die Versicherten sind an
ihre Wahl der Kostenerstattung mindestens ein Jahr gebunden. [...]
SGB V, § 305 Auskünfte an Versicherte
(1) […]
(2) Die an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Ärzte, Einrichtungen und medizinischen Versorgungszentren haben die Versicherten auf Verlangen schriftlich in verständlicher Form, direkt im Anschluss an die Behandlung
oder mindestens quartalsweise spätestens vier Wochen nach Ablauf des Quartals, in dem die Leistungen in Anspruch genommen worden sind, über die zu
Lasten der Krankenkassen erbrachten Leistungen und deren vorläufige Kosten
(Patientenquittung) zu unterrichten. […] Der Versicherte erstattet für eine quartalsweise schriftliche Unterrichtung nach Satz 1 eine Aufwandspauschale in
Höhe von 1 Euro zuzüglich Versandkosten. Das Nähere regelt die Kassenärztliche Bundesvereinigung. [...]
30
Äußerst umstritten sind die Auswirkungen, die es hätte, würde die Kostenerstattung von der Ausnahme
zur Regel. Mengensteuerung und Verwaltung sind
hier die Stichworte. Ganze Behörden würden überflüssig, etwa die Prüfgremien und zumindest weite
Teile der KVen. Die KV Rheinland-Pfalz, die seit Veröffentlichung ihrer Umfrageergebnisse am 25. Januar
die Kostenerstattung unterstützt, nennt denn auch
eher bescheidene Aufgabenfelder für die Zukunft:
Abrechnungswesen, Qualitätssicherung und Schlichtungsstelle. Die Freie Ärzteschaft hofft auf ein Ende
von „Bürokratie und Selbstbedienung in den ‚Selbstverwaltungen‘ von Kassen und Kassenärztlichen Vereinigungen“ und auch „die planwirtschaftliche Bedarfsplanung verliert so ihren Sinn“. Doch ob die
Ärzte so wirklich ihrem Traum von Freiheit und Freiberuflichkeit näher kämen, bezweifelte 2006 die KBV:
Die „Ordnungsfunktion“ des KV-Systems würde nicht
entfallen, sie würde wohl an Behörden und Krankenkassen übergehen. „Letztlich würde das einer weiteren Verstaatlichung des Systems den Weg ebnen.“
Auch Arzt und Patient bekämen ganz neue Aufgaben:
Die einen müssten Einzelrechnungen schreiben, die
anderen müssten sie genau überprüfen. Eventuell
müssten beide sogar den Preis aushandeln, ein Streit
landete vor Gericht. Kosten und Risiken kämen auf
die Ärzte auch durch das Inkasso zu. Die Gebühren
ärztlicher Verrechnungsstellen bezifferte die KBV
2006 auf sechs Prozent, das Inkassorisiko bei Privatversicherten auf stolze 28 Prozent.
Mit Blick auf bereits bestehende Internet-Gebote für
Zahnmedizin warnt die KBV in ihrem Argumentationspapier 2006 gar vor einer „e-bay-isierung“ medizinischer Leistungen. „Bisher hat die Ärzteschaft diese
Ökonomisierung des Arzt-Patienten-Verhältnisses immer abgelehnt.“ Auch die Verbraucherzentralen halten wenig von der Kostenerstattung: Ohne wesentliche Vorteile müssten die Patienten in Vorleistung
treten „und einen zusätzlichen Verwaltungsaufwand
auf sich nehmen“, schreibt die Verbraucherzentrale
Hamburg in einer 2007 herausgegebenen „Patientenberatung“. Mehrarbeit käme schließlich auch auf
die Krankenkassen durch die Prüfung jeder einzelnen
Rechnung zu. Die Kostenerstattung würde „durch erhöhten Verwaltungsaufwand die medizinische Versorgung nur verteuern“, erklärte der GKV-Spitzenverband auf Anfrage.
Mengeneffekte
Als Folge erhöhter Transparenz und direkter Kontrolle
erwarten Befürworter der Kostenerstattung eine Verringerung von Doppelbehandlungen und Abrechnungsbetrug. Gewünschte Leistungen außerhalb des
GKV-Katalogs könnten die Patienten einfach zuzahlen, argumentiert etwa Facharzt-Funktionärin Enger.
Auch nach Überzeugung der Freien Ärzteschaft und
des Hartmannbundes würden weniger unnötige Behandlungen in Anspruch genommen. Dagegen
warnte die KBV 2006, eine Kostenbeteiligung könnte
Patienten vom Arztbesuch abhalten; sie würden entweder auf stationäre Angebote ausweichen oder
Krankheiten verschleppen – und so oder so die Kosten nach oben treiben.
Sozialverträglichkeit
„Die Gefahr, dass vor allem sozial Schwache ihren
Arzt überhaupt nicht aufsuchen, ist im Sachleistungssystem deutlich geringer“, heißt es im Argumentationspapier der KBV von 2006. Enger kontert mit der
Möglichkeit, Rechnungen ohne Vorleistung des Patienten innerhalb der Zahlungsfrist direkt an die Kran-
kenkasse weiterzureichen. Und schon heute gebe es
Patienten, die sich die Zuzahlungen nicht leisten
könnten – ein Problem, das daher politisch zu lösen
sei. Ergänzend argumentiert der Hartmannbund,
eine Selbstbeteiligung mache niedrigere Kassenbeiträge möglich. „Eigenverantwortung, Selbstbestimmung und Autonomie der Patienten“ würden gestärkt.
Foto: AOK
Blick auf die Details
Die Debatte mit guten Argumenten auf beiden Seiten zeigt, wie wichtig ein Blick auf die Details ist. Nur
ein geschlossenes Gesamtkonzept der Kostenerstattung lässt sich brauchbar mit dem bestehenden
Sachleistungssystem vergleichen. Der Konflikt zwischen Mengensteuerung und Sozialverträglichkeit
macht dies exemplarisch besonders deutlich.
Nach dem Erfahrungsbericht der KV Rheinhessen zur
Patientenquittung „bewirkte die Kostenkenntnis der
Patienten keine signifikante Veränderung des Nachfrageverhaltens“. So erwarten Befürworter der Kostenerstattung eine kostenbewusste und verringerte
Nachfrage auch vorrangig durch „eine sozialverträgliche Selbstbeteiligung der Versicherten“, wie die Vorsitzende des Hartmannbundes Nordrhein, Angelika
Haus, formuliert. Doch soziale Abfederungen durch
Ausnahmen von einer prozentualen Kostenbeteiligung oder das schlichte Durchreichen der Rechnung
an die Kasse würden die gewünschten Steuerungseffekte zumindest teilweise aufheben. Gleiches gilt, wie
die KBV 2006 feststellte, für private Zusatzversicherungen, zu denen unter anderem der Hartmannbund
zumindest gegen „existenziell bedrohliche Kostenrisiken“ rät.
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Pro Kostenerstattung:
„Der einzige Weg aus der Misere ist die
Direktabrechnung mit dem Patienten“
Kommentar
Von Dr. Ingo Niemetz
Ich hatte einen Traum!
Es ist Montag, der 4.1.2010. Nachdem ich auf meinem Konto überprüft habe, dass der monatliche Beitrag von € 42,- an meine Werkstattkasse überwiesen
worden ist, fahre ich zu meiner Autowerkstatt, zahle
die Eigenbeteiligung von € 10,-, die alle drei Monate
fällig ist, lasse meine Werkstattkassenkarte durchziehen und nehme den neuen Scheibenwischer mit,
denn die Kosten trägt ja meine Werkstattkasse. Bei
dieser Gelegenheit teilt mir mein Automechaniker
mit, dass die jährliche Inspektion für mein Auto fällig
ist, selbstverständlich auch „auf Kasse“, sodass ich
gleich einen Termin vereinbare. Auf der
Rückfahrt fängt mein Auto an zu stottern, plötzlich stirbt der Motor ab – ich
habe doch glatt vergessen zu tanken.
Kein Problem, ich rufe meinen Automechaniker an. Nach einer halben Stunde
kommt er vorbei und schleppt mich zur
nächsten Tankstelle, die Kosten übernimmt wieder meine Werkstattkasse.
Gut, dass es sie gibt, sonst wäre dies
Dr. med. Ingo Niemetz ist doch teuer geworden.
hausärztlicher Internist mit diabe- Unmöglich? – Keinesfalls, denn so artologischer Schwerpunktpraxis in beiten wir Ärzte jeden Tag. Eine Autoeiner Praxisgemeinschaft in Kassel. werkstatt, die sich auf diese BedingunEr ist Aufsichtsrat der DOXS eG gen einlässt, findet sich indes nicht –
und engagiert sich im Vorstand offensichtlich aus gutem Grund. Aber
des Gesundheitsnetzes Nordhessen warum arbeiten wir immer noch nach
e. V. (GNN) und des Hartmann- dem Sachleistungsprinzip, obwohl uns
bundes Landesverband Hessen.
unsere Kollegen in Europa zeigen, wie
es besser geht?
Eigenverantwortung
Überall wird der mündige Bürger propagiert, nur bei
der Krankenversicherung ist er der Willkür der Kassen
ausgesetzt. Wir sind doch Ärzte und schulden dem
Patienten eine Behandlung nach aktuellem Stand der
Medizin, dürfen aber aufgrund des Sachleistungssystems nur „WANZ“-Medizin durchführen: „wirtschaftlich, ausreichend, notwendig, zweckmäßig“. Im Rahmen der Kostenerstattung ergibt sich ein echter
Wettbewerb unter den Kassen, denn der Patient kann
sich ja jetzt sein gewünschtes Leistungspaket zusammenstellen und nach Wegfall jeglicher Umverteilungsmaßnahmen (Morbi-RSA) erfährt er jetzt auch,
welche Kasse das Geld der Versicherten optimal
nutzt.
Steuerungsfunktion
Durch Kenntnis der Behandlungskosten und Einführung einer prozentualen Selbstbeteiligung statt einer
pauschalen Kassengebühr von € 10,- wird es zum gewünschten Rückgang der Kontaktfrequenz kommen,
weil nicht mehr wegen jeder Bagatellerkrankung ein
Arzt aufgesucht wird. Dann bliebe endlich auch genügend Zeit für die chronisch kranken Patienten.
Morbiditätsrisiko
Das Morbiditätsrisiko geht durch die Kostenerstattung endlich auf die Kassen über. Da keine Umverteilung zwischen den Kassen mehr erfolgt, entfällt auch
der Wettbewerb um „gesunde Kranke“, dies spart
Hunderte Millionen Werbungskosten!
Transparenz
Der einzige Weg aus der Misere ist die Direktabrechnung mit dem Patienten und bis dahin als Übergangslösung die Kostenerstattung, denn: Nur mit einer echten Rechnung erfährt der Patient, wie teuer
seine Behandlung war (und wie wenig Geld im Vergleich zur Bürokratie in die Patientenbehandlung
fließt). Außerdem kann er am besten überprüfen, ob
Leistungen abgerechnet wurden, ohne erbracht worden zu sein. Die bisherige Variante einer Rechnung
nach EBM ist eine Luftnummer zur Desinformation
der Patienten, denn welcher Anteil der in Rechnung
gestellten Leistungen wird denn erstattet?
Foto: AOK
32
Angleichung an Europa
Früher oder später wird im Rahmen der Harmonisierung ohnehin auch in Deutschland das Sachleistungssystem abgeschafft werden müssen. Was hält uns
also von einer radikalen Veränderung ab?
Finanzielle Belastung des Patienten? Nein!
Der Patient erhält ein Zahlungsziel oder kann bei Bedarf eine Abtretung unterzeichnen. Außerdem, wie
hoch ist der Rechnungsbetrag nach GOÄ? Eine 1 und
eine 5 = € 20,- Euro sind unzumutbar?
Finanzielle Belastung
der Versichertengemeinschaft? Nein!
Im europäischen Ausland ist trotz Kostenerstattung
der Anteil der Gesundheitskosten am Bruttoinlandsprodukt geringer als in Deutschland – und das bei
besserem Gesundheitsstatus.
Kostenerstattung ist unsozial? Nein!
Sinn der Gesundheitsversorgung ist es, dass niemand
durch eine schwere gesundheitliche Störung verarmt.
Unsozial ist die augenblickliche Situation, in der durch
„WANZ“-Medizin alle gesetzlichen Patienten unterversorgt sind und aufgrund der Rationierung nicht
mehr jeder Kranke alle medizinisch benötigten Leistungen erhält.
Kostenerstattung birgt ein
hohes Inkassorisiko? Nein!
Die Berechnung unserer aktuellen Gebührenordnung beruht auf einem Punktwert von 5,11 Cent
bei Annahme eines Oberarztgehaltes (sind wir in
unseren Praxen etwa nicht Chef?), wobei hier sicherlich zehn Jahre Inflationsausgleich noch nicht
berücksichtigt wurden. Aktuell liegt der Punktwert
bei 3,5 Cent, also bei etwa der Hälfte des betriebswirtschaftlich notwendigen Honorars. Mit vernünftiger Buchführung und konsequentem Mahnwesen
sollte der Honorarausfall bei Kostenerstattung sicherlich unter 50 % liegen.
Letztlich ist die Kostenerstattung auch ein Beispiel für
ärztliches Selbstverständnis und Selbstbewusstsein.
Die einzige Möglichkeit einer gerechten Honorierung
besteht in der korrekten Bezahlung jeder einzelnen
erbrachten Leistung, so wie es auch in jedem anderen Beruf der Fall ist.
Ich habe einen Traum!
– Also worauf warten wir noch?
Contra Kostenerstattung
„Kostenerstattung erschwert ärmeren
Patienten den Zugang zum Gesundheitswesen“
Kommentar
Von Dr. Klaus Günther Meyer
D
as Thema Kostenerstattung muss aus zwei Blickwinkeln betrachtet werden: Dem des Arztes und
dem der Patienten. Meine Überzeugung: Durch das
System der Kostenerstattung wird der Arzt keinen
Gewinn erzielen können – und für Patienten aus ärmeren Bevölkerungsschichten wird der Zugang zum
Gesundheitswesen erschwert.
Von Ärzten kommt immer wieder der Vorwurf, dass
das KV-System intransparent sei. Doch immerhin: Im
jetzigen System wird das Honorar sehr zuverlässig
vier Monate nach Abgabe der Abrechnung gezahlt.
Wenn auch um etwa 30 % gekürzt, denn obwohl es
eine Euro-Gebührenordnung gibt, wird bei der Berechnung an diversen Stellschrauben – wie Rückstellung, Regelleistungsvolumen etc. – gedreht. Die Verwaltungskosten sind mit drei Prozent im Vergleich
zum Aufwand der privatärztlichen Verrechnungsstellen niedrig. Und das KV-System kennt keine säumigen Zahler.
Viele Kolleginnen und Kollegen
erhoffen sich durch die Kostenerstattung eine transparente
und überprüfbare, gerechtere
und letztlich sicherere Leistungsvergütung. Doch wer die Gebührenordnung kennt und als
Privatpatient Rechnungen erhält, hat sich bisweilen verwundert die Augen gerieben über
das Maß an Ausdehnung der
ärztlichen Leistung. Die Kostenerstattung scheint also dem zu
nützen, der eine Leistungsausweitung betreiben möchte.
Dr. Klaus Günther Meyer ist
niedergelassener Allgemeinmediziner und Sportmediziner in Kassel. Der Aufsichtsrat der DOXS eG
hat die Genossenschaft mit gegründet und ist auch im Vorstand
Diejenigen, die Kostenerstattung
fordern, erwarten eine Umstellung des jetzigen Sachleistungsprinzips in das GOÄ-System der
des Gesundheitsnetz Nordhessen
e. V. (GNN).
33
die bei einem früheren Arztbesuch zu vermeiden gewesen wären. Gesundheit und deren Abwesenheit –
sprich Krankheit – ist nicht vergleichbar mit materiellen Werten. Ein Mensch mit körperlicher Not oder
psychischer Bedrängnis muss sich ohne Ansehen des
Geldbeutels an den Arzt seines Vertrauens wenden
können.
Dem Patienten ist es nicht möglich, die Plausibiliät
medizinischer Leistungen zu überprüfen. Er wird immer dem Ratschlag des Arztes für weitere Maßnahmen zur Absicherung der Diagnose folgen. Damit ist
die Tür geöffnet für unnötige medizinische Untersuchungen aus pekuniären Motiven. Der Lösungsansatz: Wie bereits in vielen Ländern Europas umgesetzt
Foto: AOK
privatärztlichen Abrechnung mit Einzelleistungsvergütung. Die Frage ist aber: Wie werden die GOÄ und
die Vergütung dann aussehen? Seit Jahren wird eine
neue GOÄ verhandelt, die statt Einzelleistungsvergütung eine pauschalierte Systamatik vorsieht, ähnlich
den DRGs der Krankenhäuser.
Die Abschläge, die Apotheken und Heilmittelerbringer für gesetzlich Versicherte zahlen müssen, zeigen,
dass eine Umstellung auf Kostenerstattung nicht
ohne Weiteres zu einem ungedeckelten GOÄ-System führen wird, insbesondere solange die Politik
den Niedergelassenen nur eine fixe Summe der Gesundheitsausgaben zur Verfügung stellt. Im Übrigen: Was ist mit den Außenständen säumiger Zahler
(in der Schweiz sind das 30 %!). Mit anderen Worten: Das neue System würde nicht mehr Jahresumsatz bedeuten.
Ein Grundprinzip, das sich seit der Einführung der
Krankenkassen durch die Sozialgesetzgebung von
Reichskanzler Bismarck entwickelte, war einerseits die
Einbindung möglichst aller Bürger in die Versicherung mit andererseits ungehindertem Zugang zu den
Leistungen. Dieses Kriterium hat die WHO aufgenommen, indem sie sich für den barrierefreien Zugang zur ärztlichen Versorgung ausspricht. Dieses
Grundprinzip wurde erst in den letzten 20 Jahren
durch Einführung von Zuzahlungen und Praxisgebühr ausgehebelt. Die Einführung der Praxisgebühr
hat dazu geführt, dass Menschen, die sich die Gebühr nicht mehr leisten konnten, dem Gesundheitswesen fernblieben. Ich kann eine Handvoll Personen
aufzählen, die sich genau mit diesen Worten mir gegenüber von der medizinischen Versorgung zurückzogen und „sozialverträglich“ in den nächsten Jahren
verstarben. Genauso wie die Selbstbeteiligungen und
„Eintrittsgebühren“ würde die Kostenerstattung die
Teilhabe armer Bevölkerungsschichten am Gesundheitswesen verhindern – mit der Gefahr, dass die Kosten noch steigen, wenn Komplikationen auftreten,
34
Foto: AOK
und wie von der WHO empfohlen, sollte der Zugang
zur primärärztlichen Versorgung ohne Barriere möglich sein. Die ersten Schritte zu einer solchen Versorgung hat der Gesetzgeber durch die § 73 b und c des
SGB V geebnet.
Nicht jeder Schnupfen muss zum HNO-Arzt, nicht
jeder banale Rückenschmerz geröntgt werden. Der
Zugang zur fachärztlichen Ebene sollte nach medizinischen Kriterien erfolgen. Schnittstellen hierzu müssen definiert werden – unter anderem dies ist Aufgabe der DOXS eG in den kommenden Jahren.
Die zukünftige gesundheitspolitische Landschaft wird
sich ändern. Die Hoffnung, dass es ein Zurück zur
Einzelleistungsvergütung und damit zur Kostenerstattung geben wird, ist in Wahrheit ein Rückblick in
die Vergangenheit.
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(E 172), Lactose-Monohydrat, Mg-stearat, Maisstärke, Macrogol. Anw.: Essent. Hypertonie, wenn diese d. eine Monother. m. Candesartancilexetil od. Hydrochlorothiazid
nicht ausreich. kontrolliert werden kann. Gegenanz.: Überempfindl. geg. einen d. Wirkstoffe, einen d. sonst. Bestandteile od. geg. Sulfonamidderivate (Hydrochlorothiazid).
Schwangersch. u. Stillzeit, schw. Einschränk. d. Nierenfunkt., schw. Einschränk. d. Leberfunkt. u./od. Cholestase,
therapieresist. Hypokaliämie u. Hyperkalzämie, Gicht. Nebenw.: Aus Erfahrungen n. Markteinführung sehr selt. unter Candesartancilexetil: Leukopenie, Neutropenie, Agranulozytose, Hyperkaliämie, Hyponatriämie, Schwindel,
Kopfschm., Übelk., erhöhte Leberenzymwerte, Leberfunktionsstör., Hepatitis, Angioödem, Hautausschlag, Urtikaria,
Pruritus, Rückenschm., Arthralgie, Myalgie, Einschränk. d.
Nierenfunkt. einschl. Nierenversagen b. anfäll. Pat. Unter
Hydrochlorothiazid-Monother. traten auf: häufig: Hyperglykämie, Hyperurikämie, Stör. d. Elektrolythaushalts (einschl. Hyponatriämie u. Hypokaliämie), Benommenh.,
Schwindel, Schwäche, Glukosurie, Cholesterin- u. Triglyceridanstieg. Gelegentl.: Orthostat. Hypotonie, Anorexie, Appetitvermind., Magenreiz., Diarrhoe, Obstipation, Hautausschlag, Urtikaria, Photosensibilität. Selt.: Leukopenie,
Neutropenie/Agranulozytose, Thrombozytopenie, aplast.
u. hämolyt. Anämie, Knochenmarkdepress., anaphylakt.
Reakt., Schlafstör., Depress., Ruhelosigkeit, Parästhesie,
vorübergeh. unscharfes Sehen, Herzrhythmusstör., nekrot.
Angiitis (Vaskulitis, kutane Vaskulitis), Atemnot (einschl.
Pneumonitis u. Lungenödem), tox. epiderm. Nekrolyse,
Reakt. ähnlich einem kut. Lupus erythematodes bzw. Wiederauftr. eines kutanen Lupus erythematodes, Pankreatitis, Ikterus (intrahepat. cholestat. Ikterus), Muskelkrämpfe,
Nierenfunktionsstör., interstit. Nephritis, Fieber, Blut-Harnstoff-Stickstoff- (BUN) u. Serum-Kreatinin-Anstieg. Mögliche Laborwertveränd.: Abnahme d. Hämoglobin- od. Natriumwerte, Erhöhung der ALAT (S-GPT), Kreatinin-, Harnstoff-, Kalium-, Harnsäure- und Glukosewerte, sowie der
ASAT (S-GOT). Hinw.: Beeinträchtigung b. Führen v. Kraftfahrzeugen od. b. Bedienen v. Maschinen mögl., da während einer Behandl. Schwindel od. Müdigkeit auftreten
können. In Verbind. m. Anästhesie u. chirurg. Eingriffen Hypotonie mögl. Sehr selt. Einsatz intraven. Flüssigk. u./od.
Vasopressoren b. starker Ausprägung d. Hypotonie erforderl. Wechselw. sowie sonst. Hinw.: siehe Fachinfo. Handelsformen: N1/28 Tabl., N2/56 Tabl., N3/98 Tabl. Verschreibungspflichtig.
Stand: Februar 2009
Takeda Pharma GmbH
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