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VOM
HIMMEL
ABENTEUER ALLTAG
HOCH
… da kommen sie her und was jetzt folgt, ist eine gute Mär:
Der WIENER an Bord des Christophorus 9. Keine Story
über Gelbe Engel, sondern ein Report über den ganz
normalen Alltag der Flugretter vom ÖAMTC.
Fliegende Intensivstation
Im Helicopter hat Dr. Polz das volle Programm medizinischer Notfalltechnik zur Hand,
draußen an der Unfallstelle geht’s vor allem darum, schnell Entscheidungen zu treffen
und rasch das Richtige zu tun.
Text: Martin Swoboda / Fotos: Homolka
arl Polz überlässt den gerade im
heißen Wasser versenkten Teebeutel
seinem Schicksal. Es ist eine Minu­
te nach 9. Soeben haben die Flug­
retter ihren ersten Einsatzbefehl erhalten.
Sie müssen zu einem Verkehrsunfall ins
burgenländische Deutsch Jahrndorf: drei
Verletzte, Multitrauma. Notarzt Polz klet­
tert in den seit den frühen Morgenstun­
den einsatzbereiten Eurocopter 135. Robert
Holzinger, Kapitän des EC135 und Dienst­
stellenleiter von Christophorus 9 in Wien
Aspern, hakt routiniert den Pre-flightCheck Punkt für Punkt ab, die Turbinen
kommen auf Touren, 1.500 Pferdestärken
heben uns knapp 90 Sekunden nach der
Alarmierung mühelos in den nebelver­
hangenen Himmel. In einer eleganten
Kurve ziehen wir scharf Richtung Osten.
K
Schneechaos auf den Straßen
Aus dem Nebel heraus beginnt es über der
Donau leicht zu schneien. Je weiter wir
nach Osten kommen, desto dichter wird
die Schneedecke, die Fahrbahn der Ostau­
tobahn ist bereits durchgehend weiß. Über
die Felder laufen aufgeschreckt Rehe, Ha­
sen schlagen ihre Haken. Die grauen Mas­
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ten der Windräder sind schwer zu sehen.
Sobald Glück einen entdeckt hat, meldet er
dies an den Piloten. Immerhin heben sich
die Starkstrommasten dunkel vom grauen
Himmel ab. Wir fliegen meist parallel zu
ihnen, müssen wir über einen drüber, dann
immer bei den Masten, „die können sich
nicht bewegen“, sagt Holzinger.
Jetzt meldet sich die Polizei über Han­
dy von der Unfallstelle, ein Beamter be­
schreibt den Landeplatz auf der Bundes­
straße zutreffend als „mittels Blaulicht
wahr­
nehmbar“. Noch im Landeanflug
verschafft sich Notarzt Polz einen ersten
Überblick. Er sieht einen Mercedes be­
schädigt in einem Feld etwa zehn Meter
neben der Straße stehen, ein zweiter Wa­
gen – arg gestaucht – steht noch auf der
Fahrbahn. Zwei Feuerwehrfahrzeuge, ein
Notarztwagen und drei Funkstreifen sind
auch schon da. Wir landen trotz des star­
ken Windes sanft und millimetergenau in
der Fahrbahnmitte.
Elf Minuten nach der Alarmierung
schlittert Notarzt Polz über die Böschung
zu dem Mercedes im Feld. Die Fahrerin,
noch leicht benommen, den erschlafften
Airbag auf dem Schoß, sitzt im Wagen. Sie
scheint keine schweren Verletzungen er­
litten zu haben. Polz stellt Routinefragen,
erkundigt sich, ob sie angeschnallt gewe­
sen sei, „dann weiß ich gleich, wo ich
nach­schauen muss. Ohne Gurt muss man
immer von schweren Verletzungen des
Brustkorbes oder schlimmer ausgehen!“
Nichts davon hier, ein paar Prellungen,
eine kleine Platzwunde. Eine Kleinigkeit
für die bereits anwesenden Sanitäter aus
dem Rettungswagen.
Ganz anders die Situation der beiden
Insassen in dem alten Ford Escort, der
quer auf der Fahrbahn steht. Die Unfall­
ursache wird einem schlagartig klar, wenn
man auf die Fahrbahn tritt. Sie ist so glatt,
dass man sich selbst zu Fuß kaum sicher
fortbewegen kann. Sehr schnell können
auch die Autos nicht gewesen sein, und
doch hat der relativ moderne Mercedes
den alten Ford auf der Beifahrerseite
mächtig deformiert. Das Bein des Fahrers
wird bereits vom Sanitäter behandelt. Aus
einer tiefen Platzwunde tropft das Blut in
den Schnee auf der Straße.
Omi beißt die Zähne zusammen
Schlimmer hat es seine Schwester erwischt,
mit 70 immerhin neun Jahre jünger als ihr
unglücklicher Chauffeur, offensichtlich aus
der Gegend, die Männer der Freiwilligen
Feuerwehr nennen sie Omi. Sie liegt hinter
dem Beifahrersitz auf der Bank im Fond, ist
„sicherheitshalber“, wie sie meint, hinten
gesessen, war nicht angeschnallt. Polz diag­
nostiziert einen Bruch des Oberschenkels,
möglicherweise auch des ­Beckens. Wäh­
rend er sie für die Bergung aus dem engen,
gestauchten Wagenfond vorbereitet, ihr ein
Schmerzmittel verabreicht und sie auf wei­
tere mögliche Verletzungen untersucht, or­
ganisiert der Pilot schon die Übernahme
durch ein Krankenhaus. „Meidling ist be­
reit“, lautet seine knappe Meldung an Polz,
der auch überlegt, wie und wo die anderen
Patienten am besten zu versorgen sind.
Wir laden die Omi behutsam in den Heli­
copter, sie beißt die Zähne zusammen,
das kann man deutlich erkennen. Wir he­
ben in dichtem Schneetreiben ab, die Wol­
kenuntergrenze ist auch wieder gesunken,
man erkennt gerade noch die Spitzen der
Strommasten, die Flügel der Windräder
verschwinden bei jeder Umdrehung im
w i e n e r 037
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Nebel. Der Wind hat beträchtliche Stärke
erreicht, Arzt und Sanitäter haben fast
eineinhalb Stunden ohne wärmende
Handschuhe gearbeitet, Infusionen ge­
setzt, Wunden versorgt, Sensoren für ihre
Diagnosegeräte angesetzt. Im Kopfhörer
sprechen wieder gleichzeitig sechs Stim­
men, die Crew tauscht Informationen un­
tereinander aus, Leitstelle und Unfallkran­
kenhaus Meidling werden informiert. Polz
hält die Hand s­ einer Patientin, „das hilft
oft mehr, als ein Beruhigungsmittel!“
„Verdacht auf Herzversagen!“
Wir landen auf dem Dach des UKH, von
oben sieht es aus wie ein Flugplatz. Die
Pfleger, die hier auf die Übernahme war­
ten, kennen das Procedere ganz genau,
alles läuft wie am Schnürchen. Kaum, dass
Polz mit ihnen im Lift verschwindet, der
nächste Alarm: „Wien 17, Czartoryskigas­
se, Verdacht auf Herzversagen!“ Man
kann unser nächstes Ziel gut erkennen,
voraussichtliche Flugzeit: zwei Minuten,
keine Masten, keine Stromleitungen. Der
Rotor läuft auf Einsatzdrehzahl, als Polz in
den Helicopter springt. Wir heben ab wie
ein Expressfahrstuhl, drehen uns aber
gleichzeitig um 180 Grad in Zielrichtung.
Keine zehn Sekunden später meldet eine
der krächzenden Stimmen aus dem Äther
etwas mir Unverständliches, gleichzeitig
bemächtigen sich G-Kräfte aus allerlei
Richtungen meiner Gleichgewichtsorga­
ne, Planänderungen werden im Helicopter
in Echtzeit in Richtungsänderungen umge­
setzt, und aus dem Seitenfenster habe ich
großartige Sicht auf den Westbahnhof.
„Einsatz storniert!“, warum wird nicht
weiter hinterfragt. „Fehl­
alarm, Versor­
gung ist bereits erfolgt.“
Es ist 11.12 Uhr, als wir wieder auf der
kleinen hölzernen Plattform landen, auf
der wir das Fluggerät in der Früh aus der
Halle gerollt haben. Beim Aussteigen
muss man achtgeben, nicht daneben
zu steigen, so knapp ist sie bemessen, und
zwar wieder haargenau auf der Markie­
rung. Scheinbar mühelose Millimeter­
arbeit bei zwanzig Knoten Seitenwind!
Mittagessen aus dem Tiefkühler, die
Auswahl ist groß, doch als der Klingelton
der Mikrowelle den pawlowschen Reflex
auslöst, kommt der nächste Marschbefehl.
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Eine Patientin ist in der Ordination der
Gemeindeärztin von Wallern im Seewin­
kel bewusstlos zusammengebrochen. Nach
rascher Untersuchung besänftigt Polz den
Vater des 17-jährigen Mädchens, kein
Grund zur Beunruhigung. Der Neusied­
lersee, hinter dem das Landeskranken­
haus Eisenstadt mit seinen neurolo­
gischen Einrichtungen liegt, wirkt heute
wie ein Ozean auf die Bewohner dieser
abgelegenen Gegend. Mit dem Helicopter
hingegen ist es ein Katzensprung, zwei
Minuten dauert der Flug ungefähr, der
Krankentransportwagen hätte bei diesem
Wetter viel, viel mehr Zeit benötigt.
Erstaunlich viel Papierkram
12.55 Uhr: Auftrag erledigt, das Essen
steht am Tisch, und das Leithagebirge
kennt Robert wie seine Westentasche. Er
hat dort als Bundesheerpilot Trainingsflüge
absolviert und an Manövern teilgenommen,
entsprechend spektakulär gestaltet er den
Rückflug. Kurz nach ein Uhr Mittag
„schlagen wir auf “, wie der kontrollierte
Bodenkontakt von den Fliegenden offen­
sichtlich genannt wird. Die Kasspätzle sind
kalt, aber ihr Geruch hängt im Hangar
und verursacht sofortigen Heißhunger bei
der gesamten Crew. Doch erst wird aufge­
tankt, verbrauchtes Material und Medika­
mente nachgefüllt, das Fluggerät sorgfäl­
tig gesäubert, sowie eine erstaunliche
Menge Papierkram erledigt.
Wettlauf gegen die Zeit
„Typisch – wenn man den Heli mal so rich­
tig sauber hat, schicken sie einen ­wieder
los!“ Es ist 15.23 Uhr, Verdacht auf Herzin­
farkt bei einem Arbeiter auf einer Baustelle
der ÖMV in der Nähe von Gänserndorf,
lautet die Diagnose des Notarztes vor Ort.
Beim Anflug in zunehmender Dunkelheit
wird die weitere Vorgehensweise bespro­
Menschen zu helfen,
ist ein fantastischer
Beruf, und unser
­Arbeitsplatz ist auch
ziemlich privilegiert.
Dr. Karl Polz
chen. Der Pilot schildert, wohin er in der
knappen Zeit noch fliegen kann, laut Polz
scheidet das Krankenhaus Mistelbach aus,
weil dort die Chirurgie nur bis 14 Uhr be­
setzt ist, und der Patient einen Herzkathe­
ter benötigt. Bleibt Lainz, das heute das für
solche Fälle diensthabende Spital in Wien.
Neun Minuten später: Der Patient wur­
de von den Ersthelfern bereits für den
Transport vorbereitet, liegt auf der Trage,
ist ansprechbar, 46 Jahre alt. „Wenn’s Lainz
wird, müssen wir einen Krankentransport
organisieren“, ruft der Pilot dem Sanitäter
zu, der wieder am Telefon hängt. Das
Krankenhaus Lainz verfügt zwar über
einen Landeplatz, der ist jedoch längst
­
­zugewachsen, deshalb müsste man am Ro­
senhügel landen. Unser Problem: Wenn
wir nach Lainz müssen, schaffen wir den
Rückflug wegen der hereinbrechenden
Nacht nicht mehr, um fünf vor halbfünf ist
heute der so genannte bürgerliche Sonnen­
untergang, nach dem der Hubschrauber
nicht mehr fliegen darf. Während des Flu­
ges nehmen wir Kontakt mit dem AKH
auf, der Pilot schildert unsere Situation,
ersucht in Polz’ Namen um die Übernah­
me unseres Patienten. Die Antwort kommt
unverzüglich: „Wir sind bereit!“
Jetzt zählt jede Minute
Der Donauturm ist im Vorbeiflug nur
mehr bis zur Hälfte sichtbar, die Spitze ver­
schwindet in den Wolken, unten auf der
Tangente stockender Abendverkehr. Ein
Transport mit dem Rettungswagen hätte
wohl Stunden gedauert, so schweben wir
nach sieben Minuten zwischen den Betten­
türmen auf den Landeplatz direkt neben
der Notaufnahme am Alsergürtel. Polz
springt hinaus, um dem übernehmenden
Arzt wichtige Informationen mit­zuteilen,
Robert ruft ihm nach: „Vier Minuten, dann
bin i weg!“ Kurz darauf fliegen wir über
den romantisch beleuchteten Rat­haus­platz,
knapp am Riesenrad und der unbeleuchte­
ten Spitze des neuen Messeturms vorbei
retour zum Flugfeld Aspern. Das hell er­
leuchtete „H“ ist schon von weitem aus­
nehmbar, den Zaun neben dem Lande­platz
markiert zusätzlich eine an Weihnachtsbe­
leuchtung erinnernde Licht­girlande. „Auf­
schlag, sechzehn Uhr vier­
und­
zwanzig!“
Geschafft. Souverän wie immer.
Starkes Team
Reibungslose Notfallversorgung funktioniert dank einer hoch professionellen
Menschenkette, die ohne jede Hektik, in gegenseitigem Vertrauen,
täglich Präzisionsarbeit liefert.