Kinder– und Jugendorthopädie Die Wirbelsäule
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Kinder– und Jugendorthopädie Die Wirbelsäule
Kinder– und Jugendorthopädie OA Dr. Gerhard Grossbötzl Orthopäd. Abteilung AKH Linz Die Wirbelsäule Rückenform und Haltung Bei der Beurteilung der Wirbelsäule muss man zuerst die oben genannten Begriffe erläutern, da sie häufig vermischt bzw. nicht in ihrer richtigen Bedeutung gekannt werden. Bei den Rückenformen gibt es neben dem sogenannten Normalrücken (Wirbelsäule mit einer harmonischen BWS-Kyphose und gleichartige LWS-Lordose) – einige Varianten, die meist konstitutionell bedingt und primär nicht als pathologisch zu betrachten sind. Es sind dies einmal der sogenannte Flachrücken mit einer Abflachung der BWS-Kyphose und der LWS-Lordose, der sogenannte Rundrücken mit einer verstärkten BWS-Kyphose (Hyperkyphose) und der sogenannte Hohlrundrücken mit einer verstärkten BWS-Kyphose und einer vermehrten LWSLordose. Naturgemäß gibt es dabei fließende Übergänge, und es ist schwierig, eine Grenze vom noch Physiologischen zum Pathologischen zu finden. Als ungefähren Grenzwert zum Pathologischen bei der BWS-Kyphose kann man den Kyphosewinkel ab 60 Grad (nach Cobb) betrachten. Dieses Ausmaß ist aber eine Rarität, die weitaus überwiegende Anzahl bewegt sich innerhalb einer Schwankungsbreite, die als physiologisch zu bezeichnen ist. Diese hat im Allgemeinen auch keine medizinische Bedeutung, da bei einer etwas von der Norm abweichenden Rückenform auch nicht davon ausgegangen werden kann, dass dieser Mensch dazu prädestiniert ist, später eher oder vermehrte Wirbelsäulenprobleme zu haben als jemand, der eine völlig normgerechte Rückenform hat. Die einzige Einschränkung ist vielleicht die Erfahrung aus der Praxis, dass Menschen mit starker Hyperlordose durch Mehrbelastung und frühzeitige Arthrose an den kleinen Wirbelgelenken auch häufiger Kreuzschmerzen haben. Neben der sogenannten Rückenform gibt es dann noch den Begriff Haltung. Die Haltung ist sozusagen eine Momentaufnahme und dokumentiert nur den momentanen Gleichgewichtszustand zwischen der Schwerkraft und den aktiven (Muskulatur) und den passiven (Bändern) Strukturen der Wirbelsäule. Es gibt hier die Begriffe Haltungsschwäche, Haltungsverfall und Haltungsschaden. Um bei einem Kind oder Jugendlichen eine sogenannte Haltungsschwäche herauszufinden, gibt es den Haltungstest nach Matthiaß. Dieser Test ist ganz einfach in der Praxis durchzuführen. Man lässt das Kind aufrecht stehen mit nach vorne gestreckten Armen, und dieser aufrechte Stand muss mindestens 30 Sekunden aktiv eingenommen werden können. Wenn es im Verlauf dieser 30 Sekunden zu einem Absinken der Arme mit Abgleiten des Schultergürtels nach vorne kommt bzw zu einer Vertiefung der Lendenlordose, zu einem Abklappen des Oberkörpers nach hinten und Verdrehung des Beckens nach vorne, so ist dies Ausdruck einer muskulären Leistungsinsuffizienz und als Haltungsschwäche zu bezeichnen. Wenn ein Kind überhaupt nicht imstande ist, den primär beschriebenen aufrechten Stand 2 einzunehmen, spricht man von Haltungsverfall. Von einem Haltungsschaden spricht man, wenn es (meist im Verlauf von Jahren) zu einer mechanischen Schädigung der Wirbelsäule gekommen ist (vor allem zu degenerativen Veränderungen). Hier gibt es vielfältige Ursachen, wie z.B. entzündliche Veränderungen oder auch Veränderungen im Sinne einer stärkeren Skoliose, aber auch eben eine chronische Haltungsinsuffizienz, die im Laufe von Jahren z.B. zu höhergradigen degenerativen Veränderungen führen können. Ein wichtiges Ziel in der Kinder- und Jugendorthopädie ist es demnach, eine Prophylaxe von solchen Haltungsschäden zu betreiben. Dazu beitragen soll beim Schulkind die schulärztliche Untersuchung, um eben eindeutige pathologische Veränderungen herauszufinden. Auch die Teilnahme am Schulsport ist wichtig, um Haltungsschäden vorzubeugen. An manchen Schulen wird Haltungsturnen angeboten. Dies soll auch von ärztlicher Seite unterstützt werden. Des weiteren wichtig sind die körpergerechten Sitzmöbel, dh vor allem Schrägpult, aber auch die richtige Sitzhöhe der Körpergröße des Kindes angepasst. Es wird auch empfohlen, die Schultasche am Rücken zu tragen bzw darauf zu achten und zu drängen, dass nicht zuviel Gewicht in der Schultasche mitgeschleppt werden muss. Bei Jugendlichen ist es wichtig, nicht einseitigen Extremsport zu fördern, sondern generell für Ausgleichssport zu plädieren bzw diesen zu fördern. Da die Kinder und Jugendlichen einen großen Teil ihrer Zeit in der Schule bzw vor dem Computer sitzend verbringen, möchte ich noch die richtige Sitzhaltung beschreiben. Wichtig ist dabei wie schon angedeutet die richtige Sitzhöhe, dh die Beine bzw Oberschenkel sollen waagrecht sein, dh ca. in 90 Grad zum Oberkörper gebeugt und die Füße sollen plantigrad den Boden erreichen. Bezüglich der Beckenkippung soll eine Nullstellung erreicht werden, dh mit dem Sitzen auf den Sitzknorren soll die Wirbelsäule in einer physiologischen, harmonischen Krümmung sein. Die Beine sind günstigerweise leicht abgespreizt, um diese Beckenkippung zu ermöglichen. Die Bauch- und Rückenmuskulatur soll in einer gleichmäßigen leichten Spannung beansprucht sein. Natürlich kann man eine derartige korrekte Sitzhaltung aktiv nicht sehr lange aufrecht erhalten. Zur Erleichterung ist es manchmal sinnvoll, einen kleinen Polster oder eine Rolle in den Bereich der LWS hineinzugeben. Längeres Sitzen auf den Sitzknorren kann durch Unterlegen eines kleinen Sitzkeiles erleichtert werden. Bei längerem Sitzen ist es sinnvoll, mit kleinen Drehbewegungen und kleinen Beckenkippbewegungen ein längeres Sitzen beschwerdefrei zu ermöglichen. Es ist auch sinnvoll, sehr langes Sitzen ein bis zwei Mal in der Stunde zu unterbrechen mit einer vollen Beuge- und Streckbewegung der gesamten Wirbelsäule. Erkrankungen der Wirbelsäule beim Kind und Jugendlichen Skoliosen: Es gibt eine große Anzahl verschiedener Skoliosearten, einerseits angeboren und andererseits erworben. Skoliosen gibt es schon beim Säugling und Kleinkind. Die häufigste Form, die in der Praxis und vor allem beim Schulkind relevant ist, ist die sogenannte Adoleszentenskoliose, die im 10. bis 14. Lebensjahr auftritt. Sogenannte erworbene Skoliosen bei Grundkrankheiten, z.B. Muskeldystrophien, Spina bifida und Cerebralparese sowie Systemerkrankungen oder Folgen von schwerwiegenden entzündlichen oder tumorösen Wirbelsäulenerkrankungen sind selten und der Behandlung der Spezialisten vorbehalten. Knapp 90 % aller Skoliosen betreffen die 3 sogenannte Adoleszentenskoliose. Diese beginnt meist im 10./11. Lebensjahr am Beginn des pubertären Wachstumsschubes und betrifft Mädchen mehr als Buben, im Verhältnis 6 zu 1. Die häufigste Form ist eine S-förmige Skoliose mit Hauptkrümmung thorakal. Derartige Skoliosen können oft sehr rasch progredient sein, vor allem die thorakal rechtskonvexe Form mit vermehrter Abflachung der BWS-Kyphose und starker Rotation. Es ist unabdingbar, jedes Kind im Schulalter an der Wirbelsäule klinisch zu untersuchen. Bei einer vorliegenden Skoliose erkennt man bei der Untersuchung von hinten und im Stehen häufig schon die Verkrümmung von außen mit einem oft versetzten Oberkörper. Man sagt, die Wirbelsäule ist außerhalb des Lotes, wobei das Lot gemessen wird, vom Prozessus spinosus C7 zur Rima ani (die Wirbelsäule ist zB 1 oder 2 cm aus dem Lot). Man erkennt eine asymmetrische Taille. Man beurteilt den Beckenschiefstand in Zentimeter sowie auch den Schulterhoch- oder –tiefstand. Wichtig ist der Vorneigetest, bei dem man durch die pathologische Rotation einen Lendenwulst bzw einen Rippenbuckel erkennen und auch in Zentimeter vermessen kann. Bei der Beurteilung von der Seite im Stehen ist eine Abflachung der Thorakalkyphose typisch. Weitere Untersuchungen, wie Bestimmung von Knochenalter, Sitzoder Stehgröße, werden dann vom Orthopäden vorgenommen. Bei minimalen Skoliosierungen genügen klinische Kontrollen nach einem halben oder einem Jahr. Bei Verdacht auf nicht mehr banale Skoliosierung wird ein Röntgen durchgeführt. Dieses Röntgen beinhaltet bei der Erstuntersuchung die gesamte Wirbelsäule ap. im Stehen und von der Seite, bei weiteren Kontrollen werden nur mehr ap-Aufnahmen durchgeführt. Die Aufnahmen sollten immer im Stehen gemacht werden. Weitere Aufnahmen im Mieder mit oder ohne Beinlängenausgleich und auch sogenannte Bendingaufnahmen (in Seitneigung gehalten) sind dann wieder Sache des Spezialisten. Gemessen wird die Wirbelsäule nach der Methode nach Cobb. Es wird jede Krümmung vermessen, wobei sich der Cobb-Winkel aus der Senkrechten auf die beiden Neutralwirbel ergibt. Bei einer Skoliose gibt es meist eine Hauptkrümmung und eine, zwei und manchmal sogar drei Nebenkrümmungen. Die Therapie der Skoliose richtet sich nach dem Grad der Verkrümmung (nach Cobb), aber auch nach Alter, Rigidität der Wirbelsäule, Verschlechterungstendenz und Ausmaß der Rotationsfehlstellung. Als grobe Richtlinie kann man sagen, dass bis ca. 20 bis 25 Grad Heilgymnastik ausreicht, ab 25 bis 30 Grad sollte zusätzlich zur Heilgymnastik ein Korsett gegeben werden und ab 50 Grad muss ein operatives Vorgehen diskutiert werden. Die früher durchgeführte Elektrostimulation hat sich nicht bewährt und wurde wieder verlassen. Bezüglich der Heilgymnastik gibt es verschiedene Methoden (konventionelle Methoden, Spiraldynamik, Reflextherapie nach Vojta und sogenannte Schroth-Therapie). Ich persönlich halte besonders die Schroth-Therapie für eine sehr effiziente Behandlung, weil hier der junge Patient lernt, aktiv selbst vor dem Spiegel seine Wirbelsäulenverkrümmung zu korrigieren. Betreffend des Korsetts gibt es verschiedene Arten. Das erste bekannte Korsett kam aus Amerika und hieß Milwaukee-Korsett. Dieses reichte weit hinauf, auch mit Abstützung des Kopfes. Dieses wurde später von Kunststoffkorsetts abgelöst, die vor allem die Rotation korrigieren und dreipunktmäßig abstützen. Das bekannteste und häufig verwendetste ist das Cheneau-Korsett, von dem es auch diverse Modifikationen gibt. Für LWS-Skoliosen mit nur geringer Beteiligung der BWS gibt es 4 das sogenannte Boston-Korsett, das damit auch nicht so hoch hinaufgehen muss wie das vorhin genannte Cheneau-Mieder. Skolioseoperationen sind wenigen Zentren vorbehalten (in Österreich sind dies Innsbruck, Stolzalpe und Wien). Auch hier gibt es verschiedene Methoden von dorsal und ventral, manchmal auch kombiniert (Operationsmethoden heißen hier z.B. nach Harrington, nach Luque, CD (Cotrell-Debussy und Ziehlke). Das häufigste Alter, in dem operiert wird, ist gegen Ende des Wachstums, im Alter von 14 bis 16 Jahren. Mb. Scheuermann (Adoleszentenkyphose bzw. juveniler Rundrücken) Der Bekanntheitsgrad dieser Erkrankung geht weit über seine tatsächliche praktische Bedeutung hinaus. Es handelt sich um eine nicht seltene Wachstumsstörung (aseptische Nekrose an den vorderen Anteilen der Wirbelkörper, wo es zum Eintritt von Bandscheibengewebe in den Wirbelkörper kommt = sogenannte Schmorl`sche Knötchen). Dies kommt am häufigsten im Bereich der BWS vor und kann hier zu Keilwirbelbildung und damit zum Rundrücken führen, deutlich seltener ist der lumbale Scheuermann. Vereinzelte derartige Veränderungen werden sehr häufig beobachtet, von einem tatsächlichen Mb.Scheuermann darf man aber nur sprechen, wenn mindestens 3 bis 4 Segmente der Wirbelsäule von diesen Veränderungen stark betroffen sind. Die Häufigkeit des tatsächlichen Mb. Scheuermann wird mit 1 % in der Bevölkerung angegeben. Ebenso eine gewisse familiäre Disposition. Diagnostiziert wird die Erkrankung meist in der Pubertät, d.h. im 11. bis 15. Lebensjahr. Interessanterweise werden auch bei deutlichen radiologischen Veränderungen von den Jugendlichen Schmerzen nur in ca. 20 % angegeben, vielfach fällt der stärkere Rundrücken auf („schlechte Haltung“). Es zeigt sich hier eine etwas bewegungseingeschränkte leicht rigide BWS mit auch verkürzter Brustmuskulatur (M.pectoralis). Dieser Rundrücken aufgrund von Keilwirbelbildungen ist klinisch schon auffällig, jedoch nur selten progredient. Von einer pathologischen BWSKyphose kann man erst ab 40 Grad (nach Cobb) sprechen. Wirkliche Langzeitprobleme sind aber erst ab einem Winkel von über 60 Grad zu erwarten. Dies ist aber sehr selten der Fall. Die klinische Differentialdiagnose des Mb. Scheuermann ist der sogenannte konstitutionelle oder idiopathische Rundrücken, der oft auch mit Haltungsschwäche vergesellschaftet ist. Ein stärkerer Rundrücken kommt aber bei vielen Menschen vor, ohne dass diese zwangsläufig Beschwerden haben. Die Diagnose des Mb. Scheuermann wird aus dem Röntgen gestellt, wo sich in mindestens 3 bis 4 Segmenten starke Unregelmäßigkeiten an den Boden- und Deckplatten der Wirbelkörper zeigen sowie eine Bandscheibenverschmälerung, die erwähnten Schmorl`schen Knötchen und manchmal auch Keilwirbelbildungen, die zu einer verstärkten BWS-Kyphose führen. Die Therapie des Mb. Scheuermann ist in erster Linie eine Heilgymnastik. Nur in seltenen Fällen bei deutlicher Progredienz der Kyphose und therapieresistenter Schmerzen wäre zusätzlich ein Reklinationsmieder indiziert. Eine Operation einer extremen BWS-Kyphose ist eine Rarität und wurde von mir persönlich noch niemals indiziert (erst ab Kyphosewinkel ab 80 Grad). Wichtig ist auch eine Sportberatung, d.h. es sollten vor allem Sportarten vermieden werden, die zu einer starken Kyphosierung der BWS führen, wie z.B. Rudern, Gewichtheben, Radfahren oder Geräteturnen. 5 Spondylolyse – Spondylolisthese – Spondyloptose Das sogenannte „Wirbelgleiten“ ist in der Bevölkerung relativ häufig und es gibt Angaben von 3 bis 5 % in der Gesamtbevölkerung. Die Lokalisation des Wirbelgleitens ist in den meisten Fällen L5 – S1, seltener L4 – 5. Bei der Spondylolyse handelt es sich um eine reine Spaltbildung im Wirbelbogen, bei der Spondylolisthese um ein Wirbelgleiten nach ventral und bei der Spondyloptose um ein komplettes Abkippen des Lendenwirbelkörpers nach ventral. Die Spondylolisthese wird eingeteilt in Grad 0 bis Grad 4 nach Meyerding, wobei Grad 0 die einfache Lyse ist und Grad 4 die Spondyloptose. Die Ätiologie der Spondylolisthese ist noch nicht ganz klar, man nimmt aber an, dass es sich um keine angeborene sondern um eine erworbene Erkrankung im Kindesoder Jugendalter handelt, wobei durch mögliche chronische Stressreaktion sich im Wirbelbogen eine Pseudarthrose ausbildet. Interessanterweise werden auch nur bei 10 bis 20 % aller Kinder und Jugendlichen Schmerzen angegeben. Das Wirbelgleiten im Kindesalter ist häufig nur ein Zufallsbefund (in seltenen Fällen entdeckt man sie schon ab dem 8. bis 10. Lebensjahr). Mit zunehmendem Alter können aber schon vermehrt klinische Symptome auftreten, und zwar Kreuzschmerzen vor allem bei Belastung und auch vermehrte Hinweise auf Haltungsschwäche. Bei der klinischen Untersuchung zeigt sich im Einzelfall beim Vorneigen eine verminderte Kyphosierung der BWS mit auch manchmal schmerzhaft eingeschränkter Anteflexion, manchmal eine vermehrte Lendenlordose, bei stärkerer Listhese kann auch eine Stufe an den Dornfortsätzen tastbar sein. In seltenen Fällen kommt es zu neurologischen Symptomen, in den meisten Fällen bestehen pseudoradiculäre Ausstrahlungen in Gesäß und Oberschenkel, manchmal kann beim Kind auch eine sogenannte Hüftlendenstrecksteife verursacht werden. Die Diagnose des Wirbelgleitens wird üblicherweise im Röntgen gestellt, und zwar in einem Röntgen der LWS ap. und seitlich. Wenn in leichteren Fällen das Röntgenbild keine klaren Hinweise gibt, kann man noch eine 45 Grad gedrehte Schrägaufnahme machen, eventuell auch eine CT-Untersuchung. Spezialaufnahmen, wie bei stärkerer Instabilität, Funktionsaufnahme mit Ante- und Retroflexion und MRI-Untersuchungen sind nur für den Spezialisten sinnvoll, wenn eventuell ein operatives Vorgehen geplant ist. Therapie der Spondylolisthese beim Jugendlichen: Wenn es ein Zufallsbefund ist und das Kind oder der Jugendliche beschwerdefrei ist, ist eine Behandlung nicht erforderlich, es ist dann sinnvoll, stark kyphosierende Sportarten zu vermeiden und auch laufend orthopädische Kontrollen durchzuführen (Röntgenkontrolle nach einem halben Jahr bzw. nach einem Jahr). Falls Beschwerden auftreten, ist es sinnvoll, eine intensive Heilgymnastik durchzuführen und - solange Beschwerden bestehen - auch eine Sportpause einzuhalten. Bei progredientem Wirbelgleiten sollte im Kindes- und Jugendalter zusätzlich ein BostonMieder verordnet werden. Eine Operation ist im Kindes- und Jugendalter sehr selten erforderlich, diese ist erst nach Wachstumsabschluss indiziert, wenn dauernde therapieresistente Schmerzen bestehen und eventuell (was selten der Fall ist) auch neurologische Ausfälle hinzukommen. Generell sollte bei bekannter Spondylolisthese eine gute Sportberatung durchgeführt werden, und zwar sollen stark hyperlordosierende Sportarten vermieden werden, vor 6 allem Ballett, Boden- und Geräteturnen sowie auch Brust- und Delphinschwimmen und auch Trampolinspringen. Bei der Operation der Spondylolisthese, die üblicherweise erst nach Wachstumsabschluss erfolgt, handelt es sich um eine Versteifung des betroffenen Segmentes mit dem Versuch einer leichten Reposition (nur wenn möglich). Es gibt dazu verschiedene Methoden. Früher wurde an unserer Klinik die sogenannte LouisPlatte verwendet, in den letzten Jahren ist die Methode der Wahl nach Steffee. Wirbelsäulenschmerzen beim Kind: Da Kinder relativ selten Wirbelsäulenschmerzen haben, sollte man bei derartigen Schmerzäußerungen darauf reagieren und eine genaue klinische und auch radiologische Untersuchung vornehmen. Jugendliche haben schon deutlich häufiger Beschwerden, die, so wie beim Erwachsenen oft durch die üblichen Zivilisationsprobleme auftreten. Beim älteren Kind und Jugendlichen denkt man in erster Linie an eine Distorsion oder eine Blockierung kleiner Wirbelgelenke bzw. muskuläre Verspannungen. Natürlich muss ein Mb. Scheuermann und eine Spondylolisthese ausgeschlossen werden. Bei starken therapieresistenten Schmerzen sollte man genauere Untersuchungen machen, um einen entzündlichen Prozess (z.B. Spondylolitis) oder einen Tumor auszuschließen. Für derartige Fälle sind sowohl Szintigraphie als auch MRI die Methoden der Wahl. Prinzipiell muss auch immer an ein Trauma gedacht werden, das bei Kindern sehr häufig anamnestisch schwer herauszufinden ist. Prinzipiell sollte man bei allen Kindern, die Wirbelsäulenschmerzen von mehr als ein bis zwei Wochen angeben, ein Röntgenbild anfertigen lassen. Hüftlendenstrecksteife: Dabei handelt es sich um ein Symptom einer Nervenirritation im Spinalkanal beim Kind und Jugendlichen. Was beim Erwachsenen zu neurologischen Ausfällen und starken, ausstrahlenden Schmerzen führt, kann beim Kind zu völlig anderen Symptomen führen, und zwar zur sogenannten Hüftlendenstrecksteife. Bei der klinischen Untersuchung dieser Fälle zeigt sich, dass es beim Hochheben des Beines (Versuch des Lasegue) zu einem gestreckten Hochheben des gesamten Beckens kommt. Die Ursache ist die erwähnte Irritation oder auch Raumeinengung im Spinalkanal. Dies kann durch einen Bandscheibenvorfall verursacht sein, der auch schon im Kindesalter - sehr selten, aber doch - möglich ist. Es kann sich auch um eine Spondylitis oder einen Tumor handeln. Auch eine Spondylolisthese, Grad 3 oder 4, kann dieses Symptom verursachen. In manchen Fällen findet man keine Ursache, manche vermuten einen starken Wachstumsschub als Auslöser für diese Symptomatik. Was die Therapie von Wirbelsäulenproblemen beim Kind und Jugendlichen betrifft, so zeigt sich, dass der wesentliche Eckpfeiler die Heilgymnastik ist. Zusammengefasst kann man sagen, dass Heilgymnastik indiziert ist bei auffälliger Haltungsschwäche, bei einem auffälligen Rundrücken oder Hohlrundrücken, bei bestehenden Beschwerden, deren Ursache muskuläre Verspannungen oder Fehlhaltung sind sowie bei Skoliose, Mb. Scheuermann und Spondylolisthese. 7 Zusammenfassung der klinischen Untersuchung der kindlichen Wirbelsäule: Die Untersuchung erfolgt zuerst im Stehen von hinten. Dabei wird im aufrechten Stand und vor allem dann im Vorneigetest versucht, eine Skoliose zu diagnostizieren. Es wird besonders auch der Beckenschiefstand festgehalten und in Zentimeter dokumentiert. Bei Verdacht auf anatomische Beinlängendifferenz kann gleich im Stehen versucht werden, mit einseitig unterlegtem Brettchen die vermutete Differenz auszugleichen. Die klinische Untersuchung der kindlichen Wirbelsäule beinhaltet auch die Beurteilung der sogenannten Beckenbeinstatik, denn jeder Beckenschiefstand führt auch zu einer skoliotischen Fehlhaltung und eine Hüftbeugekontraktur verursacht konsekutiv eine Hyperlordose. Das heißt, es ist gleichzeitig auch notwendig, vor allem die Hüftgelenke mit zu untersuchen. Die skoliotische Fehlhaltung wird auch als „statische Skoliose“ bezeichnet und hat zum Unterschied von der echten Skoliose keine Rotationsfehlstellung der Wirbelsäule. Die Ursache der skoliotischen Fehlhaltung ist am häufigsten ein Beckenschiefstand durch Beinlängendifferenz, aber auch durch eine Hüfterkrankung mit bestehender Abduktionskontraktur. Auch andere seltene Ursachen, wie z.B. ein Zustand nach Oberarmamputation können eine derartige skoliotische Fehlhaltung bedingen. Es gibt viele Ursachen von Beinlängendifferenzen. Am häufigsten handelt es sich um die sogenannte idiopathische Beinlängendifferenz, wo eine Ätiologie nicht gefunden werden kann. Es zeigt sich in der Praxis, dass fast 30 % aller Menschen eine Beinlängendifferenz von unter 1 cm haben. Weitere Ursachen können sein: eine angeborene Missbildung, ein Trauma, eine Infektion oder eine Lähmung z.B. Polio oder Zerebralparese. Eine Beinlängendifferenz wird ab 1 cm als pathologisch betrachtet. Bei jahrelang bestehender Beinlängendifferenz kann beim Kind die erwähnte statische Skoliose mit Wirbelsäulenbeschwerden die Folge sein, bei extremer Beinlängendifferenz wird in seltenen Fällen auch eine sekundäre Hüftdysplasie beschrieben. Prinzipiell kann aber nicht davon ausgegangen werden, dass eine Beinlängendifferenz mit Sicherheit einen Hüftschaden zur Folge hat. Die Folgen einer stärkeren Beinlängendifferenz beim Jugendlichen und Erwachsenen sind häufig Wirbelsäulenschmerzen bedingt durch die später auch auftretende unilaterale Spondylarthrose im LWS-Bereich, manchmal kann es auch bei sportlich aktiven Menschen zu Überlastungsschmerzen der Hüftmuskulatur mit Ansatztendopathie am Trochanter major (Bursitis trochanterica) kommen. Die Diagnose der Beinlängendifferenz erfolgt klinisch im Liegen und Stehen. Im Stehen wie erwähnt mit Beurteilung des Beckenschiefstandes und zusätzlichem Unterlegen von Ausgleichsbrettchen. Im Liegen wird bei gerader Lagerung des Beckens die Beinlänge am Abstand zwischen Spina Iliaca anterior superior und dem Unterrand des Innenknöchels gemessen. Die Anfertigung eines Röntgenbildes im Stehen ist nicht unbedingt erforderlich, zumal hier keine genauere zusätzliche Information geliefert wird. Zum Ausschluss einer Hüfterkrankung und um einen zusätzlichen Mosaikstein in der Ausmessung der Beinlängendifferenz zu bekommen, ist es manchmal aber doch sinnvoll, ein Röntgen anzufertigen. Das Röntgen ist üblicherweise ein Beckenübersichtsröntgen ap. im Stehen (wenn möglich mit Raster). Zum genauen Ausmessen einer stärkeren anatomischen 8 Beinlängendifferenz werden vom Spezialisten auch Aufnahmen der unteren Extremitäten vom Becken bis Fuß durchgeführt. Als Richtlinie für die Therapie der Beinlängendifferenzen kann gesagt werden, dass unter 3 cm Differenz üblicherweise konservativ vorgegangen wird, d.h. mit Schuhausgleich, bei Beinlängendifferenz ab 3 cm wird ein operatives Vorgehen überlegt. Dies kann sowohl eine Verlängerung der zu kurzen als auch eine Verkürzung der zu langen Seite sein. Zusammenfassung der Wirbelsäuleninspektion im Stehen beim Kind und Jugendlichen: Skoliose, Schulterstand, Beckenstand, Scapulastand (es gibt seltene Fälle der sogenannten Scapula alata), Rückenform, Thoraxdeformierungen (Kielbrust, Trichterbrust, Thoraxdeformierungen mit Asymmetrien, einseitigen Eindellungen oder auch Auftreibungen der unteren Rippen). Die noch genauere klinische Untersuchung der Wirbelsäule beim Kind und Jugendlichen beinhaltet dann die Beurteilung und Dokumentation der Beweglichkeit mit Fingerbodenabstand, Seitneigung und Rotation, die Beurteilung der harmonischen Krümmung mit eventueller Gibbusbildung oder auch Stufenbildung an der Wirbelsäule, Diagnose einer Lendenstrecksteife. Weitere Untersuchungen, wie Diagnose muskulärer Verspannungen, Gelenksblockierungen, Diagnose einer Beckenverwringung sind der Übergang zur manualmedizinischen Untersuchung der Wirbelsäule, und erst beim älteren Kind oder Jugendlichen in der Praxis relevant. Das kindliche Hüftgelenk Die häufigsten Hüfterkrankungen im Kindes- und Jugendalter sind die Coxitis fugax, der Mb. Perthes und die Epiphysiolysis capitis femoris. Coxitis fugax: Dabei handelt es sich um eine, wie der Name schon sagt, flüchtige Hüftgelenksentzündung (Synovitis). Diese Erkrankung ist nicht selten, sie kommt zwischen dem 2. bis 11. Lebensjahr vor. Die Kinder geben Schmerzen an, meist lokalisiert in der Leiste, aber auch im Oberschenkel, manchmal besteht ein leichtes und manchmal auch ein starkes Hinken. Es gibt auch nicht selten Kinder, vor allem wenn sie jünger sind, die heftige Beschwerden angeben und dann sogar gar nicht auf das Bein steigen wollen. Bei der klinischen Untersuchung zeigt sich eine mehr oder weniger ausgeprägte Bewegungseinschränkung des Hüftgelenkes. Fieber ist eher selten und wenn, dann nur sehr gering, die Laboruntersuchung zeigt eventuell einen leicht erhöhten BSG, eventuell auch eine Erhöhung des CRP, jedoch nicht sehr ausgeprägt. Das Röntgenbild zeigt einen Normalbefund und im Ultraschall findet man meist, aber nicht immer, einen geringen oder etwas stärkeren Gelenkserguss. Die Diagnose dieser Erkrankung wird eigentlich aus dem Verlauf gestellt, da durch Bettruhe und Gabe von Antiphlogistika (z.B. Kinder-Voltaren oder Aspirin) üblicherweise nach einigen Tagen die Beschwerden wieder völlig abklingen. Differentialdiagnostisch muss man natürlich immer an einen inzipienten Mb. Perthes denken bzw. auch an eine bakterielle Coxitis. Bei einer bakteriellen Coxitis sind sehr heftige Schmerzen und alle Zeichen eines septischen Zustandsbildes mit hohem 9 Fieber und hohen Entzündungszeichen gegeben. Es empfiehlt sich bei der Coxitis fugax, die Kinder für zwei bis vier Tage im Bett liegen zu lassen; wenn nach drei bis fünf Tagen wieder Beschwerdefreiheit vorliegt und auch sonographisch kein Erguss mehr vorhanden ist, darf wieder normal belastet werden, es sollte aber mindestens für ein Monat kein Sport betrieben werden. Mb. Perthes (kindliche aseptische Hüftkopfnekrose) Diese Erkrankung ist für den Kinderorthopäden nicht selten, es sind Knaben vier Mal häufiger betroffen als Mädchen. Was die Hüften betrifft, so kommt diese Erkrankung in 10 bis 20 % auf beiden Seiten vor. Es gibt zwei Altersgruppen, und zwar einerseits die kleineren Kinder im Vorschulalter zwischen 3. bis 5. Lebensjahr und die zweite Gruppe der Schulkinder zwischen 6. bis 8. Lebensjahr. Beim Mb. Perthes handelt es sich um eine lokale Durchblutungsstörung in der Hüfte, wahrscheinlich in Kombination mit einer statisch-mechanischen Überbelastung. Die eigentliche Ätiologie ist aber auch heute noch unklar. Die Kinder geben mehr oder weniger ausgeprägte Schmerzen im Bereich der Hüfte, Leiste, Oberschenkel oder Knie an, es ist häufig auch ein Hinken vorhanden, jedoch wechselhaft, eventuell auch rascheres Ermüden. Bei der klinischen Untersuchung der Hüfte findet man immer einen pathologischen Befund, und zwar eine schmerzhafte Bewegungseinschränkung vor allem in der Abduktion und in der Innenrotation. Die Diagnose wird auch heute noch mit dem Röntgen gestellt. In einzelnen Fällen ist es möglich, mittels des MRI den Perthes zu erkennen, bevor radiologische Veränderungen auftreten. In diesen Fällen handelt es sich scheinbar primär um eine progredient verlaufende Coxitis fugax. Radiologisch werden verschiedene Stadien beschrieben, wobei sozusagen der Kopf in ein Sklerosierungs- und Fragmentationsstadium zerfällt und sich später dann wieder in einem Reparationsund Regenerationsstadium aufbaut. Die bekannteste und auch heute noch häufig verwendete Einteilung erfolgt nach Caterall. Hier werden vier Stadien beschrieben, je nach Lokalisation und Ausdehnung der Nekrose, wobei z.B. im Stadium 1 nur ein minimaler Anteil der Hüftkopfkalotte betroffen ist, während im Stadium 4 der gesamte Hüftkopf betroffen ist und auch eine ausgeprägte metaphysäre Veränderung besteht. Der Zerfall und Wiederaufbau des Kopfes dauert immer drei bis vier Jahre und ist durch keine Therapie abzukürzen. Entscheidend ist aber nicht, ob sich der Hüftkopf gerade im Fragmentations- oder im Reparationsstadium befindet, sondern ob er vor allem im ersten Jahr der vulnerablen Phase aus der Hüftpfanne hinausgequetscht wird. Entscheidend ist also, ob es zu einem sogenannten Containmentverlust kommt. Das Ziel jeder Therapie, sei es konservativ oder operativ, ist es, den Verlust des Containments zu verhindern oder das Containment wieder herzustellen. Primär erfolgt eine konservative Behandlung mit Heilgymnastik und Entlastung (d.h. beim älteren Kind Krückengehen). Es gibt eine Reihe von Entlastungsapparaten (z.B. Atlanta-Schiene oder Thomas-Splint). Die Entlastungsapparate haben sich meiner Erfahrung nach aber nicht wirklich bewährt. Ich selbst verwende nur beim kleineren Kind teilweise die Atlanta-Schiene. Sehr viele Kinder, vor allem wenn sie älter sind, müssen dann operiert werden, um das Containment wiederherzustellen. Die Entscheidung, ob eine Operation indiziert ist oder man konservativ verbleiben kann, trifft man meist ungefähr ein halbes Jahr nach Erkrankungsbeginn. Das Standardverfahren bei der Operation ist die sogenannte Varisationsosteotomie, wobei durch eine intertrochantere Osteotomie der Hüftkopf wieder zentriert wird. Manchmal ist es zusätzlich sinnvoll, auch im Pfannenbereich die Überdachung zu verbessern, hier ist die beste Methode die Salter-Osteotomie. In schwierigen 10 Spezialfällen beim älteren Kind gibt es noch andere operative Möglichkeiten, wie z.B. die Beckenosteotomie nach Chiari oder auch die Entfernung dezentrierter Hüftkopfanteile (Cheilektomie). Epiphysiolysis capitis femoris: Dabei handelt es sich um eine Erkrankung in der Pubertät bzw. knapp vor der Pubertät. Vermutlich durch ein Missverhältnis zwischen Wachstums- und Geschlechtshormon kommt es zu einer verminderten Resistenz der Wachstumsfuge gegenüber Scherkräften und damit zu einem Abgleiten des Hüftkopfes meist nach hinten unten. Das Erkrankungsalter ist zwischen dem 11. bis 17. Lebensjahr, das männliche Geschlecht ist zwei bis drei Mal häufiger betroffen als das weibliche. An der Tatsache, dass in 30 bis 50 % dieser Abrutsch an beiden Hüftgelenken vorkommt, bestätigt sich auch die These einer hormonellen Erkrankung. Sehr häufig handelt es sich um dicke Kinder mit teilweise Hypogonadismus. Was den Verlauf der Erkrankung betrifft, so gibt es in 90 % den chronischen Gleitprozess und in 10 % den akuten Abrutsch, wobei ein großer Teil dieser akuten Abrutsche aufgepfropft ist auf ein vorher bestehendes chronisches Abrutschen. Die Epiphysiolysis capitis femoris in ihrem chronischen Verlauf ist die am häufigsten übersehene orthopädische Erkrankung. Der akute Abrutsch ist nicht zu übersehen, da hier starke Schmerzen bei Belastung und ausgeprägtes Hinken auftreten, manchmal auch völlige Gehunfähigkeit. Dabei zeigt sich klinisch ein stark verkürztes und schmerzhaft in Außenrotation und Abduktion fixiertes Bein, auch die einfache Hüftflexion ist dann schmerzhaft massiv eingeschränkt. Der chronische Abrutsch ist klinisch deutlich schwieriger zu diagnostizieren. Kinder geben intermittierende Schmerzen an, im Hüftbereich, insbesondere am Oberschenkel, häufig auch nur am Knie. Es kommt schon auch zu leichtem Hinken und eventuell leichter Außendrehung des Beines. Bei der klinischen Untersuchung findet man aber immer dann eine schmerzhaft eingeschränkte Abduktion, Innenrotation und Flexion sowie auch das positive Drehmannzeichen. Dabei wird eine einfache Flexion in der betroffenen Hüfte in Neutralstellung durchgeführt. Bei einem Hüftkopfabrutsch kommt es zu einem starken Ausweichen des Beines in Richtung Abduktion. Die Diagnose der Epiphysenlösung muss durch eine gewissenhafte klinische Untersuchung der kindlichen Hüfte gestellt werden, und dann durch ein Röntgenbild in beiden Ebenen. In der ap.-Aufnahme ist der Abrutsch nur für den Erfahrenen zu erkennen, in der Axialaufnahme kommt dies üblicherweise deutlicher zum Ausdruck und kann auch in Winkelgraden vermessen werden. Nur ganz selten ist die Diagnose mit dem Röntgenbild nicht zu stellen, dann ist eine MRI-Untersuchung hilfreich. Es ist erforderlich, diese Diagnose frühzeitig zu stellen, da das chronische Gleiten unaufhörlich weiterschreitet und sich die Beschwerden nicht von selbst bessern. Die Therapie ist eine sofortige Operation an beiden Seiten. Beim hochgradigen akuten Abrutsch kann eine gedeckte Sofortreposition und Transfixation versucht werden. Bei einem chronischen Abrutsch bis 50 Grad ist das Standardvorgehen eine Transfixation in situ mit Drähten oder Schrauben. Es ist international üblich, die nicht (oder noch nicht) betroffene kontralaterale Seite mit zu operieren und prophylaktisch zu transfixieren. Bei einem hochgradigen akuten oder chronischen Abrutsch, der sich gedeckt nicht reponieren lässt, gibt es Operationsmethoden, die dreidimensional im Schenkelhals oder Intertrochanterbereich korrigieren (zB Imhäuser-Osteotomie). Diese Eingriffe sind sehr kompliziert und müssen von einem sehr erfahrenen Kinderorthopäden durchgeführt werden. 11 Die sofortige Operation der Epiphysenlösung ist erforderlich, weil der chronische Abrutsch immer weiter fortschreitet und auch ein akuter Abrutsch jederzeit passieren kann. Hüftdysplasie beim Kind und Jugendlichen: Die Ursache einer Hüftdysplasie im Kindes- und frühen Jugendalter ist eine unbehandelte oder schlecht behandelte oder nicht zur Ausheilung gebrachte Hüftdysplasie beim Säugling. Im Kindes- und frühen Jugendalter macht eine auch stärker ausgeprägte Hüftdysplasie keine Schmerzen. Nur bei deutlicher Subluxation oder kompletter Luxation zeigt sich ein Insuffizienz- oder auch ein Verkürzungshinken. Eine konservative Abspreizbehandlung ist nur bis zum 1. Lebensjahr sinnvoll und möglich, nach dem 1. Lebensjahr kann eine Hüftdysplasie nur mehr mittels einer Operation zur Ausheilung gebracht werden. Die Standardverfahren im Kindesalter sind Operationen direkt an der Pfanne. Es gibt eine Reihe von sogenannten Acetabulo-Plastiken (z.B. nach Pemperton oder nach Dega, auch Beckenosteotomien im Kindesalter, wie die Salterosteotomie, werden häufig durchgeführt. Im Einzelfall bei bestehenden Coxa valga kann zusätzlich eine Varisationsosteotomie mit leichter Derotation und Verkürzung indiziert sein. Beim Jugendlichen gibt es sehr aufwendige und komplizierte Verfahren, insbesonders sogenannte Dreifachosteotomien (z.B nach Tönnies oder nach Ganz). Bei stärkerem inkongruenten Gelenkspalt ist im Einzelfall auch die Beckenosteotomie nach Chiari indiziert, wenngleich diese heutzutage viel seltener durchgeführt wird als früher. Diagnose einer möglichen kindlichen Hüfterkrankung: Da anamnestische Angaben von Kindern generell oft sehr schwer einzuordnen sind, sind auch Hüfterkrankungen bei Kindern nicht einfach zu diagnostizieren. Mögliche Symptome einer derartigen Erkrankung können Schmerzen sein. Die Lokalisierung dieser Schmerzen ist beim Kind aber häufig kaum möglich. Die typischen Schmerzen im Bereich der Leiste wie beim Erwachsenen sind hier seltener, häufig werden Schmerzen nur am Oberschenkel und nicht selten auch nur im Kniegelenk angegeben. Auch ein unklares Hinken ohne Trauma-Anamnese kann auf eine Hüfterkrankung hindeuten. Bei jeglichem anamnestischen Knieschmerz muss sofort das Hüftgelenk untersucht werden, ein gängiger Ausdruck im angloamerikanischen Raum ist: Knieschmerzen beim Kind sind so lange als Hüftschmerzen zu betrachten, bis das Gegenteil bewiesen ist. Ganz wichtig ist die klinische Untersuchung des kindlichen Hüftgelenkes, wo in den allermeisten Fällen pathologische Auffälligkeiten erkannt werden. Üblicherweise zeigt sich bei einer kindlichen Hüfterkrankung eine meist schmerzhafte Einschränkung der Beweglichkeit, und zwar vor allem der Abduktion (diese wird untersucht bei 90 Grad flektierten Hüftgelenken), anschließend ist auch die Innenrotation und zuletzt auch die Flexion mehr oder weniger schmerzhaft eingeschränkt. Weitere klinische Untersuchungen sind der Thomas`sche Handgriff (Untersuchung einer Hüftbeugekontraktur durch Maximalflexion der kontralateralen Seite) und das schon erwähnte Drehmannzeichen. Die kindliche Hüftuntersuchung beinhaltet auch die Untersuchung der Beckenbeinstatik und der Wirbelsäule (Diagnose des Beckenstandes, der Beinlängendifferenz und z.B. der (schon früher erwähnten) Lendenstrecksteife. Bei jeder über zwei bis drei Wochen bestehenden Schmerzsymptomatik sollte auf jeden Fall ein Röntgen angefertigt werden. Man muss immer auch an die Möglichkeit einer okkulten Fraktur oder eines Knochentumors denken. Da Kinder sich oft an stattgefundene Traumen nicht erinnern, sind manche Beschwerden sicherlich als 12 Distorsion oder Kontusion einzuordnen. In diesen Fällen klingen die Beschwerden zumeist nach einigen Wochen wieder völlig ab. Das Kniegelenk: Genu varum: Das O-Bein ist vom Säuglingsalter bis zum 2. bis 3. Lebensjahr normal mit einer doch relativ großen physiologischen Schwankungsbreite. Von einem pathologischen O-Bein kann man erst ab einem femoro-tibialen Winkel von 20 bis 25 Grad sprechen. Es können aber auch verschiedene andere Krankheiten dahinter stecken. Dazu gehören z.B. der Mb. Blount, verschiedene Stoffwechselerkrankungen, vor allem Rachitis; auch Infektionen oder ein Trauma mit Schädigung der Wachstumszone können ein O-Bein verursachen, ebenso wie angeborene Systemerkrankungen oder auch neuromuskuläre Erkrankungen. Die meisten etwas stärker ausgeprägten OBeine sind idiopathisch und es geht dann nur darum, die Eltern zu beruhigen und abzuwarten. Bei sehr auffälliger O-Bein-Stellung sollte aber schon im Kindesalter eine stationäre Durchuntersuchung des Knochenstoffwechsels erfolgen. Eine besondere pathologische Form des O-Beines ist der sogenannte Mb. Blount. Diese Erkrankung kommt in Mitteleuropa wenig vor, sie ist mehr in Amerika und Afrika verbreitet. Hier handelt es sich um eine lokalisierte Wachstumsstörung der proximalen medialen Tibiaepiphyse, die zu einer oft sehr extremen O-Bein-Stellung führt. Es gibt eine infantile Form zwischen dem 1. und 3. Lebensjahr und eine adoleszente Form zwischen 6. bis 10. Lebensjahr. In diesen Fällen muss üblicherweise operativ vorgegangen werden. Genu valgum: Das X-Bein ist zwischen dem 3. bis 7. Lebensjahr normal, auch hier gibt es wie beim O-Bein eine stärkere physiologische Schwankungsbreite. Erst ab einem femorotibialen Winkel von ca. 25 Grad kann man von einem pathologischen X-Bein sprechen. So wie beim O-Bein ist ein stärkeres X-Bein auch am häufigsten idiopathisch. Pathologische X-Beine haben als Ursache sehr häufig Stoffwechselstörungen; insbesonders Rachitis oder Phosphatdiabetes können extreme X-Beine bedingen. Im übrigen sind es wiederum Traumen, Infektionen als auch Systemerkrankungen und neuromuskuläre Erkrankungen (vor allem CP), die ein starkes X-Bein verursachen können. Stärkere X-Beine sind aber in weit überwiegender Mehrzahl eine einfache physiologische Variante. Sehr häufig handelt es sich um etwas adipösere Kinder, insbesonders Mädchen im Vorschul- oder beginnenden Schulalter, häufig sind in Kombination dazu auch stärkere Knicksenkfüße zu finden. In diesen Fällen ist die Behandlung mit Knicksenkfußeinlagen sinnvoll, um auch einen positiven Effekt gegen das X-Bein zu bewirken. In den allermeisten Fällen des stärkeren X- oder O-Beines ist eine Behandlung nicht erforderlich und es kommt zu einer Art Selbstbegradigung der Deformität. Bei einem starken O-Bein kann eventuell eine laterale Sohlenerhöhung hilfreich sein. Im übrigen ist eine konservative Therapie, wie z.B. Nachtlagerungsorthesen sehr umstritten. Die Indikation zur Operation eines X- oder O-Beines ist selten. Eine derartige Operation sollte nicht vor dem 3. Lebensjahr durchgeführt werden. In diesen Fällen muss aber vorher eine allfällige Grundkrankheit suffizient therapiert worden sein. Die 13 Operation wird erst bei einer Fehlstellung von mehr als 25 Grad durchgeführt und wenn es zunehmend zu Beschwerden durch Überdehnung eines Seitenbandes mit zunehmender Bandinsuffizienz kommt und insgesamt die Fehlstellung progredient ist. Das überstreckte Kniegelenk (Genu recurvatum) Neben dem angeborenen Genu recurvatum (mit Übergängen zur Kniegelenksluxation) gibt es auch nicht sehr selten das erworbene Genu recurvatum. Die häufigste Ursache ist eine konstitutionelle Bandlaxität, wo Kinder einfach imstande sind, ihre Kniegelenke beim Stehen bis zu 10 bis 15 Grad zu überstrecken. Dies ist an sich nicht pathologisch und nicht behandlungsbedürftig. Es gibt keine Hinweise, dass in diesen Fällen eine Früharthrose zu erwarten ist. Andere Ursachen eines stärkeren Genu recurvatum können Traumen sein (insbesonders Schädigungen der Tibiakopfapophyse) sowie auch neuromuskuläre Erkrankungen, vor allem die Zerebralparese. Kniebeugekontraktur beim Kind: In allen Fällen, wenn ein Kind nicht imstande ist, das Knie voll zu strecken, liegt eine Grundkrankheit vor. Dies kann sein: ein Trauma, auch postentzündliche Veränderungen, (z.B. juvenile Polyarthritis) können Kniebeugekontrakturen verursachen sowie auch z.B. die Hämophilie, weiters die Arthrogrypose und auch neuromuskuläre Erkrankungen, wie Zerebralparese oder Muskeldystrophie. Neben den genannten Achsenabweichungen der unteren Extremität im Sinne eines Genu varum oder Genu valgum gibt es auch Rotationsanomalien der unteren Extremitäten. Diese können sich auswirken im relativ häufigen Einwärtsgang, seltener ist auch der sogenannte Auswärtsgang zu finden. Häufig zu diagnostizieren ist der Einwärtsgang, d.h. den Eltern fällt auf, dass das Kind beim Gehen die Beine deutlich nach innen dreht. Am einfachsten zu erkennen ist es meist an den nach innen gedrehten Füßen („toing in“), bei genauerem Hinsehen sieht man häufig, dass beide Kniegelenke nach innen zeigen („kneeing in“). Es gibt drei mögliche Ursachen des verstärkten Einwärtsganges: Dies ist eine vermehrte Hüftantetorsion, eine pathologische TibiaInnentorsion oder Sichelfüße. Die weitaus häufigste Ursache ist das sogenannte Hüftantetorsionssyndrom. Dabei handelt es sich um eine physiologische Variante einer verzögerten Rückdrehung der physiologischen kindlichen vermehrten Hüftantetorsion. Die Ursache dieser verzögerten Rückdrehung kann ein pathologischer Muskeltonus sein (Zerebralparese), aber auch lagebedingt durch vermehrte Bauchlage mit Innendrehung der Beine oder auch ständige ungünstige Sitzposition im sogenannten Zwischenfersen- oder Mongolensitz. Dementsprechend gibt es keine eigentliche Therapie des Einwärtsganges, sondern es geht vor allem darum, die Eltern zu beruhigen, da sich diese physiologische Variante von selbst im Laufe von Jahren auswächst. Eine Besserung ist in den meisten Fällen im Schulalter zu erwarten, in manchen Fällen aber auch erst im pubertären Wachstumsschub (Detorsionsschub). Es sollte auf jeden Fall dieser Zwischenfersensitz vermieden werden. Im Einzelfall können auch sogenannte Antivarus-Schuhe beitragen, das Gangbild zu verbessern. Bei der kindlichen Untersuchung der vermehrten Hüftantetorsion findet sich üblicherweise eine verstärkte Fähigkeit der Hüftinnenrotation mit verminderter Hüftaußenrotation (normal ist ca. 70 Grad Innen- und 70 Grad Außenrotation). 14 In seltenen Fällen ist die Ursache des Einwärtsganges auch eine pathologische Tibia-Innentorsion. Hier ist die häufigste Ursache der kongenitale Klumpfuß, bei dem sich die Tibia nicht nach außen gedreht hat. In sehr ausgeprägten Fällen ist hier im Vorschulalter oder beginnenden Schulalter eine supramalleoläre Derotationsosteotomie indiziert (d.h. oberhalb des Sprunggelenkes). Auswärtsgang: Bei sehr muskelschwachen Kindern ist es lagebedingt auch möglich, dass beim Gehen ein stärkerer Auswärtsgang („Charly-Chaplin-Gang“) auffällt. Manchmal ist hier auch die Hüftantetorsion vermindert (Coxa retrotorta) und es sind beide Füße stärker nach außen gedreht (= sogenannter „Bauchliegerfuß“). In dem meisten Fällen handelt es sich um eine motorische Reifungsverzögerung, die sich mit Heilgymnastik und eventuell zusätzlichen Plattfußeinlagen ausheilen lässt. Die klinische Untersuchung des kindlichen Kniegelenkes erfolgt in gleicher Weise wie beim Erwachsenen. Es erfolgt zuerst eine Inspektion, wo auf eine lokale Schwellung oder ein Hämatom geachtet wird. Die weitere Untersuchung beinhaltet Folgendes: lokale Druckschmerzhaftigkeit, Patellalauf, Beweglichkeit, Gelenkserguss, Bandstabilität. An folgende Kniegelenkserkrankungen beim Kind oder Jugendlichen muss gedacht werden: Meniscuslaesion, Laesion eines lateralen Scheibenmeniscus, Plicasyndrom, Arthritis, Mb. Schlatter, Mb. Sinding-Larson, Baker-Cyste, Semimembranosus-Cyste, Osteochondrosis dissecans, Chondropathia patellae. Dazu folgende Ergänzungen: Meniscuslaesionen sind beim Kind selten, aber durchaus im Einzelfall möglich. Die Diagnose erfolgt mittels MRI-Untersuchung. Was die Arthritis betrifft, so gibt es nicht selten beim Kind postinfektiöse Monoarthritiden, vor allem beim Kniegelenk; auch die juvenile chronische Polyarthritis findet sich überwiegend an großen Gelenken und läuft hier als Monoarthritis oder Oligoarthritis ab. Der Mb. Sinding-Larson ist eine seltene Wachstumsstörung am Unterrand der Kniescheibe (analog dem Mb. Schlatter). Nicht selten findet man beim Kind Baker-Cysten oder SemimembranosusCysten (diese steht im Unterschied zur Baker-Cyste nicht mit dem Gelenk in Verbindung). Diese Cysten sind im Allgemeinen schmerzlos und bedürfen keiner Therapie. Viele dieser Cysten verschwinden von selbst wieder, eine Operation ist nur bei Größenzunahme und Beschwerden indiziert. Mb. Schlatter: Diese relativ häufige Erkrankung betrifft vor allem sportlich aktive Knaben im Alter von 11 bis 15 Jahren. Es handelt sich um eine typische Wachstumserkrankung wo als zusätzlicher Faktor eine chronische Überlastung (häufig beim Fußballsport) anzuschuldigen ist. Die Diagnose ist einfach: Anamnestisch werden belastungsabhängige Schmerzen an typischer Stelle (= Tuberositas tibiae) angegeben. Klinisch zeigt sich hier immer eine lokale Schwellung oder Druckschmerzhaftigkeit. Falls sich dies findet, steht die Diagnose fest, ein Röntgen ist an sich nicht erforderlich; hierbei zeigt sich manchmal eine etwas stärkere Fragmentierung der Tuberositas tibiae, was aber in diesem Alter auch ohne Beschwerden häufig zu sehen ist. Beim Jugendlichen bzw. gegen Ende des Wachstums zeigt sich im Röntgen manchmal ein freiliegendes Knochenfragment, das als Ossikel bezeichnet wird. 15 Die Therapie des Mb. Schlatter ist nicht sehr dankbar. Operationen sollten vor dem Wachstumsabschluss nicht durchgeführt werden. Es handelt sich um eine meist selbstheilende Erkrankung, wo davon auszugehen ist, dass nach Wachstumsabschluss die Beschwerden auch vergehen. Sollten dann noch Beschwerden vorliegen und sich im Röntgen ein Ossikel zeigen, wäre eine operative Exstirpation desselben indiziert. Ansonsten empfiehlt sich nur Verminderung der Belastung, d.h. Sportreduktion, Verwendung elastischer Bandage und lokale Einreibungen. Osteochondrosis dissecans des Kniegelenkes: Dabei handelt es sich um eine lokalisierte Durchblutungsstörung, meist im Bereich des medialen Femurkondyls. Im schlimmsten Fall kann es zur Abstoßung eines Knochen-Knorpelfragmentes in diesem Bereich kommen. Am häufigsten findet man diese Erkrankung zwischen dem 9. und 11. Lebensjahr, manchmal auch später. Auch hier dürften ätiologisch Faktoren, wie Wachstum und starke körperliche Belastung, eine Rolle spielen. Die Patienten klagen über belastungsabhängige Schmerzen bei ansonsten unauffälligem klinischen Befund. Falls es zum Abstoßen des Knochenknorpelfragmentes gekommen ist (sogenannte „Gelenksmaus“), kann es zum Auftreten von Gelenksblockierungen kommen. Die Diagnose wird üblicherweise im Röntgen gestellt, zur genaueren Stadieneinteilung ist aber in allen Fällen eine MRI-Untersuchung indiziert. Die Therapie der Osteochondrosis dissecans im Kniegelenk erfolgt primär konservativ mit Entlastung bzw. Sportverbot. Bei jüngeren Kindern im MRI-Stadium 1 bis 2 ist eine Selbstheilung möglich. Es müssen laufend radiologische Kontrollen durchgeführt werden, um eine Dissecat-Ablösung rechtzeitig zu erkennen. Falls sich der radiologische bzw. MRI-Befund verschlechtert (Stadium 3), ist die Operation indiziert. Wenn das Dissecat noch in situ stabil ist, kann mit einer retrograden Herdanbohrung eine Re-Integration erreicht werden. Ansonsten muss eine operative Dissecat-Fixation durchgeführt werden. Chondropathia patellae: Dabei handelt es sich um ein sehr häufiges orthopädisches Leiden. Die vorwiegend jungen Patienten, insbesonders Mädchen meist schon ab dem 14. Lebensjahr, klagen über Schmerzen im Bereich der Kniescheibe, besonders bei Belastung. Der Name Chondropathia patellae ist etwas irreführend, weil es sich primär um keinen Knorpelschaden handelt, sondern um eine funktionelle Erkrankung, und zwar kommt es durch eine muskuläre Dysbalance (Abschwächung des Vastus medialis, Verkürzung der Kniebeuger) zu einen gestörten Gleiten der Patella in ihrer femoralen Gleitrinne mit vermehrter Lateralisation. Dies verursacht die genannten Schmerzen und kann oft sekundär auch zu einer Schädigung des Knorpels an der Patella führen. Diese Schädigung betrifft vor allem die laterale Patellafacette durch die vermehrte Hyperpression. Der Schmerz wird anamnestisch in den Bereich der Kniescheibe lokalisiert, teilweise auch in den medialen Patellabereich bzw. in die Meniscusregion. Die Schmerzen treten während oder nach körperlicher Belastung auf, insbesondere auch beim Bergabgehen und bei längerer Beugestellung des Kniegelenkes. Zusätzliche Kälte (zB. am Lift beim Schifahren) wirkt schmerzverstärkend. Manche Patienten klagen auch über plötzliches Auslassen des Kniegelenkes (sogenannte Giving-away-Attacken, die schmerzreflektorisch zu erklären sind. 16 Bei der klinischen Untersuchung findet man einen typischen Patellakompressionsund Verschiebeschmerz, auch ein positives Zohlenzeichen, nicht selten auch besteht lokaler Druckschmerz am Rand der Kniescheibe. Vermehrte schmerzhafte Reibegeräusche findet man nur bei schon bestehendem Knorpelschaden. Die Therapie der Chondropathia patellae ist primär konservativ, dh. intensive Heilgymnastik (um die Muskelbalance wieder herzustellen), Verminderung der Belastung und Verwendung einer Genu-train-Bandage (während der körperlichen Belastung). Falls nach konservativer Therapie weiterhin starke therapieresistente Schmerzen bestehen bleiben und auch klinisch und radiologisch eine vermehrte Lateralisation nachweisbar ist, kann eine Operation indiziert sein (diagnostische Arthroskopie und lateraler Retinaculum-Release). Andere aufwendigere operative Verfahren mit medialer Retinaculum-Raffung oder gar Tuberositas-Versetzung (OP nach Elmslie) kommen nur bei Patella-Subluxation oder Patella-Luxation in Betracht. Fußdeformitäten beim Kind oder Jugendlichen: Knicksenkfuß, Plattfuß: Zur Begriffsbestimmung: Beim Knicksenkfuß handelt es sich um die Abflachung des medialen Fußgewölbes (Senkfußkomponente) vergesellschaftet mit vermehrtem Fersenvalgus von mehr als 10 Grad (Knickfußkomponente). Der Plattfuß ist nur die Extremform des Knicksenkfußes, bei dem das Os naviculare sozusagen direkt im Bogen aufliegt. Prinzipiell ist bei Kleinkindern, Kindern und auch Jugendlichen der Knicksenkfuß physiologisch mit nicht geringer Schwankungsbreite. Prinzipiell sagt die Fußform nichts über die Leistungs- und Funktionsfähigkeit des Fußes aus. Sehr häufig gibt es den stärker ausgeprägten Knicksenkfuß, den man als flexiblen statischen Knicksenkfuß bezeichnet. Dabei handelt es sich – oft familiär gehäuft – um eine konstitutionelle Bindegewebsschwäche, die sich zB. auch an vermehrter Gelenksbeweglichkeit an anderen Körperstellen zeigt. Häufig beobachtet man einen vermehrten Knicksenkfuß bei adipösen Mädchen und hier oft vergesellschaftet mit XBeinen. Kinder, die einen etwas stärkeren Knicksenkfuß haben, leiden sehr selten unter Beschwerden (sicher unter 10 %). Derartige klinische Symptome sind aber möglich. Dies können sein: belastungsabhängige Schmerzen im Bereich des medialen Fußrandes, rascheres Ermüden beim Wandern, starkes Abtragen und Vertreten der Schuhe (dies liegt aber häufig am schlechten Schuhwerk und nicht an den Knicksenkfüßen), auch sekundäre Beschwerden sind möglich, aber schwer zu beweisen. Dies würde beinhalten: unklare Unterschenkelschmerzen, Fersenschmerzen (Achillodynie), auch Knieschmerzen im Sinne der Chondropathia patellae und eventuell sogar Wirbelsäulenbeschwerden. Schmerzhafte Schwielenbildung am medialen Fußrand beim Knicksenkfuß sind selten und eher den neurologischen Fußdeformitäten vorbehalten. Die Frage, ob nun eine Therapie des Knicksenkfußes überhaupt erforderlich ist und ob dies konservativ oder gar operativ erfolgen soll, wird auch heutzutage noch sehr kontroversiell diskutiert. Unter den Kinderorthopäden herrscht aber die einhellige Meinung, dass ein vermehrter Knicksenkfuß primär nicht pathologisch ist und die körperliche Betätigung im Sinne des vermehrten Barfußlaufens, vor allem auf unebenem Untergrund, völlig ausreichend ist. Ein wichtiger Hinweis, ob es sich um einen physiologischen Fuß handelt ist die Überprüfung des Zehenspitzenstandes. Man kann beim gesunden Kind in der Betrachtung von hinten sehr gut sehen, wie sich die Fersenvalgität in den Fersenvarus korrigiert. In diesen Fällen ist dann eine 17 zusätzliche orthopädische Behandlung nicht erforderlich. Demnach sind die Mehrzahl der verordneten Plattfußeinlagen im Kindes- und Jugendalter völlig unnötig (sicherlich über 90 %). Die (seltene) Indikation für Einlagen besteht bei belastungsabhängigen Schmerzen am medialen Fußrand, bei den genannten sekundären Beschwerden (Ferse, Unterschenkel, Knie oder Wirbelsäule), bei einer ausgeprägten Plattfußdeformität ohne aktive Aufrichtung und bei eventuell zusätzlich bestehender Achillessehnenverkürzung. Bei Kindern mit motorischer Reifungsverzögerung und sehr hypotonen Plattfüßen empfiehlt sich zusätzlich die Durchführung von Heilgymnastik (spezielle Fußgymnastik). Was die Einlagen betrifft, so gibt es die Standardversorgung mit den sogenannten Schachteleinlagen nach Hohmann, eventuell auch Einlagen mit Innenkeil-Gegenhalt. Bei kleineren Kind empfiehlt sich oft die Versorgung mit einer orthopädischen Schuhzurichtung. Hierbei werden die Einlagen direkt in den Schuh fix eingebaut und der mediale Schaftbereich verstärkt, eventuell auch die Sohle etwas verbreitert. Diese Versorgungen sind aber üblicherweise nur beim neurologischen Plattfuß erforderlich. Es gibt keine Beweise, dass ein physiologischer Knicksenkfuß, der im Kindesalter nicht mit Einlagen versorgt wurde, später Probleme macht, die häufigen Fußprobleme des Erwachsenen ergeben sich üblicherweise aus dem Spreizfuß und der westlichen Schuhmode. Spitzfuß: Wenn beim schon gehfähigen Kind ein Zehenspitzengang besteht, muss primär eine neurologische Erkrankung (Zerebralparese, vor allem Diplegie) ausgeschlossen werden. Es gibt aber auch beim neurologisch gesunden Kind vereinzelt einen vermehrten Zehenspitzengang. Dieser kann bis zum 2. Lebensjahr toleriert werden. Beim älteren Kind muss aber dann therapiert werden (Heilgymnastik, Versorgung mit festen Schuhen, ev. Nachtschiene, ev. therapeutische Gipse etc.). Hohlfuß (Pes carpus): Die Ätiologie des Hohlfußes ist in den allermeisten Fällen neurologisch (zB. CharcotErkrankung oder Friedreichsche Ataxie), auch die Poliomyelitis oder die Zerebralparese können einen Hohlfuß verursachen. Eine stärkere Hohlfußkomponente kann auch beim (partiellen) Klumpfußrezidiv nach Achillessehnenverlängerung bestehen bleiben oder sich im Wachstum vermehrt ausbilden. Man unterscheidet prinzipiell zwei Gruppen von Hohlfüßen, und zwar den Ballenhohlfuß mit verkürzter Achillessehne und vermehrten Fersenvarus und Fußaußenrandbelastung und den sogenannten Hackenhohlfuß mit starker Abschwächung oder Lähmung der Achillessehne. Die meisten Hohlfüße sind neurologischer Natur und Ballenhohlfüße. Die Therapie des Hohlfußes erfolgt primär konservativ, und zwar mit Einlagen (Stufenbettung und Metatarsalpolster 1 bis 5), in stärkeren Fällen zusätzlich orthopädische Schuhzurichtung mit lateraler Sohlenerhöhung, in schwereren Fällen orthopädische Maßschuhe. Viele Hohlfüße bedürfen einer Operation. Diese Operationen beinhalten mehrere Komponenten, sowohl an den Sehnen bzw. Weichteilen, als auch teilweise am Knochen (Achillessehnenverlängerung, Fasciotomie der Plantaraponeurose, eventuell Tibialis-posterior-Verlängerung oder transfer, Mitttelfußosteotomie, diverse Zehenoperationen). Calcanus altus (Haglund-Exostose): 18 Nicht selten sieht man vor allem bei jungen Frauen ein Überbein im lateralen Fersenbeinbereich. Dabei handelt es sich um das angeborene hohe Fersenbein, wo es durch den Schuhdruck zu einer chronischen Entzündung des dort liegenden Schleimbeutels und dementsprechend zu Schuhdruckproblemen kommt. In leichten Fällen kann man durch Vermeidung des Schuhdruckes die Beschwerden hintanhalten, manchmal hilft aber nur die Operation (Abmeißeln des hinteren oberen Fersenbeinpoles). Os tibiale externum bzw Os naviculare cornutum: Manchmal klagen Jugendliche über Schmerzen und Schuhprobleme am medialen Fußgewölbe. Wenn dann die Tuberositas ossis navicularis deutlich prominent ist und sich eventuell hier auch Schwielen oder Druckstellen zeigen (insbesonders im harten Schuh, zB. Schlittschuh oder Schischuh), dann sollte man doch ein Röntgen durchführen. Man findet dann nicht selten ein freiliegendes, in die Tibialis-posteriorSehne eingebettetes Knochenfragment, das nicht mit dem Os naviculare verschmolzen ist. Dieses Os tibiale externum kann operativ entfernt werden. Falls nur das Os naviculare sehr prominent ist, wird es als Os naviculare cornutum bezeichnet und kann bei starken Beschwerden ebenfalls operativ abgetragen werden. Osteochondrosis dissecans tali: Bei dieser Erkrankung, die man häufig bei Buben im Pubertätsalter findet, handelt es sich um eine aseptische Knochennekrose, vorwiegend lokalisiert an der medialen Talusrolle. Dies macht belastungsabhängige Sprunggelenksschmerzen. Die Diagnose kann man im Röntgen stellen, es werden aber heute zusätzlich auch MRI-Untersuchungen durchgeführt, um eine genaue Stadieneinteilung zu treffen. Bei therapieresistenten Schmerzen und eventuell Zunahme der Demarkierung des osteochondralen Fragmentes ist eine Operation indiziert (meist Sprunggelenksarthroskopie mit retrograder Herdanbohrung). Apophysitis calcanei (Sever´s disease)) Dabei handelt es sich ebenfalls meist beim sportlich aktiven Buben in der Vorpubertät oder Pubertät um belastungsabhängige Schmerzen im Bereich der Ferse. Diese Schmerzen sind lokalisiert im hinteren Bereich knapp unter dem Ansatz der Achillessehne. Meist besteht auch ein deutlich lokaler Druckschmerz. Es handelt sich dabei um einfache Wachstums- und Überlastungsschmerzen, da im Alter zwischen 10 und 13 Jahren die Apophyse des Calcaneus noch nicht mit dem Fersenbein verschmolzen ist. Die Diagnose ist eine rein klinische, da man im Röntgen auch beim gesunden Fersenbein in diesem Alter immer noch eine vermehrte sklerotische, teilweise fragmentierte Calcaneusapophyse findet. Die Therapie erfolgt mit lokalen Einreibungen, Verminderung der Belastung und eventuell Einlagen, die einen Dämpfungskeil eingebaut haben. Zusammenfassung der klinischen Untersuchung des gesamten kindlichen Fußes: Allgemein: plantigrader Auftritt, Zehenspitzengang. 19 Von vorne: Vorfußadduktion, Beurteilung des medialen Fußgewölbes. Von seitlich: Hohlfußstellung (Rist) Von hinten: Fersenstellung (Varus oder Valgus). Klinische Untersuchung des kindlichen Rückfußes (Ferse, Sprunggelenk): Untersuchung auf eventuell vorhandene Exostosen (Haglund-Exostose, prominente Talusnase oder prominente Trochlea peronealis). Untersuchung auf lokale Druckschmerzhaftigkeit (z.B Apophysitis calcanei), Beweglichkeit des oberen Sprunggelenkes (Dorsalextension, Plantarflexion), Beweglichkeit des unteren Sprunggelenkes (Pro- und Supination). Klinische Untersuchung des kindlichen Mittel– und Vorfußes: Überprüfung von Schwellung, bzw. Exostosen (dorsaler Fußhöcker, Os naviculare cornutum oder Os tibiale externum), Hallux valgus, Digitus quintus varus, Digitus quintus superductus, Zehenfehlstellungen. Untersuchung auf lokalen Druckschmerz (z.B. Mb. Köhler I oder Mb. Köhler II. Diagnose von Fußwarzen oder z.B. eines Unguis incarnatus.