Mode, Medien und Moderne
Transcription
Mode, Medien und Moderne
Mode, Medien und Moderne Vortrag auf dem dies academicus am 7. Juni 2000 von Werner Gephart Das Thema der Mode erscheint nach wie vor als frivol, ja als ein nahezu illegitimer Gegenstand der Wissenschaft.1 Das Thema der Medien ist hingegen ausgesprochen modisch, während die Moderne als Post- Nachmoderne oder Posthistoire vollständig außer Mode ist. Wie ist also der Zusammenhang von Mode, Medien und Moderne gedacht? Ich beginne mit dem klassischen Zusammenhang von Mode und Moderne: I.Mode und Moderne Aus der Sicht des von mir vertretenen Faches liegt es nahe, in der Folge von René König und Thorsten Veblen auf Georg Simmel zurückzugreifen, dem im Spiegel vom 20.März des Jahres die außerordentliche Ehre einer dreiseitigen Hommage zuteil wurde. Wie man mit Simmel den dort gefeierten „Tango des Denkens“ tanzt, läßt sich nun gerade an seinen Studien zur Mode ablesen. Die Mode wird für Simmel zum Paradigma des modernen Lebens, das durch ein ungeheures Tempo bestimmt sei. So interessiert sich Simmel nicht für die Formelemente der Mode, wie sie etwa Roland Barthes als Semiotik analysiert hat und wie wir sie noch kennenlernen werden , sondern er ist zunächst von der zeitlichen Dimension der Mode angeregt: „Sie ist nie, sondern wird immer„.2 Sobald sie universell ist, hört sie zu existieren auf. Die Mode suspendiert sich ständig selbst, ihr „Sinn„ liegt in der Vergänglichkeit. Diese universale Bedeutung der Mode, die Logik ihrer Zeitlichkeit, begründet die soziale Eigenart der Mode als einer ebenso kollektiven wie 1 2 Dieser Tatbestand ist von P. Bourdieu sehr anschaulich analysiert. Vgl. Bourdieu, Pierre: Haute couture et haute culture. In: ders.: Questions de sociologie. Paris 1980. S. 196-206. Georg Simmel, Zur Psychologie der Mode. Soziologische Studie, aus: Die Zeit, Wien 12. 10. 1985, S. 22-24, abgedr. in: Georg Simmel, Schriften zur Soziologie. Eine Auswahl, hrsg. von Dahme, H.J. und Otthein Rammstedt, Frankfurt am Main 1983, S. 131-139. 2 individuellen Lebensform. Sie erfüllt nämlich nach Simmel eine doppelte Funktion: y„Sie genügt einerseits dem Bedürfnis nach sozialer Anlehnung, insofern sie Nachahmung ist, sie führt den einzelnen auf der Bahn die alle gehen; andererseits aber befriedigt sie auch das Unterschiedsbedürfnis, die Tendenz auf Differenzierung, Abwechslung, Sichabheben …„3 Die Mode ist also nicht, wie es Gabriel de Tarde in Frankreich lehrte, allein durch die „lois de l’imitation„4 geprägt, sondern ebenso durch die „distinction„. Die „feinen Unterschiede„, wie sie Pierre Bourdieu nennt, ohne den nach wie vor in Frankreich suspekten Simmel kenntlich zu machen, nehmen dadurch einen Klassencharakter an, der zu einer nochmaligen Beschleunigung des Moderhythmus führt. Sobald sich die unteren Klassen nämlich der Mode bemächtigt haben, verliert sie für die oberen Klassen ihren Unterscheidungswert und muß durch eine neue Mode abgelöst werden. Die Erschwinglichkeit der Mode wird damit zur ökonomischen Voraussetzung des Wechsels; ohne die Prête-à-Porter Mode und die Mode aus dem Katalog zu kennen, schildert Simmel den eigentümlichen akzelierenden Effekt der preiswerten Mode: „Ein eigentümlicher Zirkel also entsteht hier: je rascher die Mode wechselt, desto billiger müssen die Dinge werden; und je billiger sie werden, zu desto rascherem Wechsel der Mode laden sie die Konsumenten ein und zwingen sie die Produzenten„.5 Der Mode liegt daher eine enorme dynamische Wirkung zugrunde. Sie beschleunigt die Orientierung am Wechsel in der eigenen Gruppe, die sich an kontrastierenden Klassen in egalisierender oder differenzierender Weise ausrichtet. Dieser wie Simmel ihn vorstellt - universale Mechanismus nimmt in der Gegenwart in ungeheurem Maße zu. So ist bei Simmel zu lesen: „Daß in der gegenwärtigen Kultur die Mode ungeheuer überhand nimmt - in bisher fremde Provinzen einbrechend, in 3 4 5 Georg Simmel, Zur Psychologie der Mode, a. a. O., S. 132 (eigene Hervorh.). Gabriel Tarde, Les lois de l’imitation. Etude sociologique, Paris 1895, insbes. S. 267 ff. Georg Simmel, Die Mode, a. a. O., S. 48. 3 altbesessenen sich, d.h. das Tempo ihres Wechsels, unaufhörlich steigernd - ist nur die Verdichtung eines zeitpsychologischen Zuges„.6 Und dieser Zug liegt gerade in der Veränderung des Zeitbewußtseins: „Unsere innere Rhythmik fordert immer kürzere Perioden im Wechsel von Eindrücken; oder anders ausgedrückt: Der Akzent der Reize rückt in steigendem Maß von ihrem substantiellen Zentrum auf ihren Anfang und ihr Ende„.7 Für dieses Zeitgefühl ist die Akzelierung der Moderhythmen nur ein Beispiel. Simmel nennt in gleichem Atemzug ein Phänomen, das für die Jahrhundertwende typisch gewesen sein mag. Die Reizverschiebung beginnt - so Simmel „mit den geringfügigsten Symptomen, etwa dem immer ausgedehnteren Ersatz der Zigarre durch die Zigarette …„.8 So spricht Simmel von dem „spezifisch ‘ungeduldigen’ Tempo des modernen Lebens„9, in dem die Mode scheinbar immer wieder mit der Vergangenheit bricht, und sich daher ausgesprochen präsentisch gibt und jede Mode aber gleichzeitig so auftritt, „als ob sie ewig leben wollte„.10 Dieser Schein des sozial und zeitlich Universellen ist bei Simmel aber gerade nicht von der pessimistischen Aura des Kulturverfalls eingefärbt, sondern in entmoralisierender Weise als Reiz der Mode beschrieben: „Es liegt aber, um das Ganze zusammenzufassen, der eigentümlich pikante, anregende Reiz der Mode in dem Kontraste zwischen ihrer ausgedehnten, alles ergreifenden Verbreitung und ihrer schnellen und gründlichen Vergänglichkeit, dem Rechte der Treulosigkeit ihr gegenüber„.11 Die Akzelerierung der Tempi des modischen Wechsels läßt für Simmel die Mode zum Paradigma der Moderne werden. Auch im heutigen Sprachgebrauch findet sich die Gleichung von „Mode„ und „Moderne“, wenn ein nicht mehr modisches 6 7 8 9 10 11 Georg Simmel, Die Mode, a. a. O., S. 35. Georg Simmel, Die Mode, a. a. O., S. 35. Georg Simmel, Die Mode, a. a. O., S. 35. Georg Simmel, Die Mode, a. a. O., S. 35. Georg Simmel, Di Mode, a. a. O., S. 49. Georg Simmel, Die Mode, a. a. O., S. 51. 4 Bekleidungsstück mit der Bemerkung beiseite gelegt wird, es sei halt nicht mehr „modern„. Nur worin besteht diese innere Verwandtschaft von Mode und Moderne aus der Sicht der soziologischen Großtheorien zur Moderne? 1. Die Ablösung der Mode durch die Verwaltung der Kleider im sozialistischen Projekt der Moderne Im sozialistischen „Projekt der Moderne“ kommt die Mode nicht vor. Sie wird eher abgeschafft. Im utopischen Sozialismus wird propagiert, den dekadenten Wechsel der Moden, der Herrschaft des Klassengeschmacks durch die Verwaltung der Kleider zu ersetzen. Statt dessen sollten Kleiderkomitees über die rechte, jahreszeitlich angepaßte Art der Bekleidung befinden, die in parfümierten Zuschneidehallen, von sphärischen Klängen untermalt, auf Ewigkeit gestaltet werden sollten. So die Utopie des Etienne Cabet.12 Dabei wurde nicht bedacht, wie sehr auch das Parfüm der Mode unterliegt. Dazu forschen übrigens meine Studierenden in meinem aktuellen Hauptseminar zur Soziologie der Mode. Auch der real existierende Sozialismus jedenfalls war in seiner Frühphase in Versuchung, die Planung der Bekleidung nicht etwa einem zentralen Modeinstitut zu überlassen, sondern einem „Institut für Bekleidungskultur“. In diesem Projekt der Moderne wird der Zusammenhang also negativ bestimmt, Hammer und Sichel tauchen – nach dem Untergang der Heiligen des Sozialismus als ironische Versatzstücke in der Präsentation von Mode auf.13 12 Vgl. Cabet, Etienne: Voyage en Icarie. Hrsg. von Henri Desroche. Paris; Genf 1979. 13 Vgl. auch Herbert L. Piedboef: Mode – Die wortlose Kommunikation, In: Handbuch Mode-Marketing, Bd. 1, a.a.O., s. 153-176 ( S. 160). 5 2. Mode als Objekt der Rationalisierungsthese der Moderne Hat nun vielleicht die Theorie der Moderne, die sich als Analyse des Rationalisierungsprozesses versteht, ein anderes Verhältnis zum Phänomen der Mode? Eine neue Art des modischen Gebarens geht mit dem Wandel von mittelalterlichen Gesellschaften zur Entfaltung des Frühkapitalismus einher. Entscheidend ist hier der von Max Weber richtungsweisend beschriebene Wandel des kulturellen Klimas,14 in dem ein neuer Habitus entsteht, nämlich das Ethos methodisch-rationaler Lebensführung, nach dem Prunk und luxuriöse Lebensführung verpönt sind. Es ist die protestantische Ethik, die diesen »Geist« hervorgebracht hat, wie Weber es genannt hat, der sich bis in die verspottete Tracht der Puritaner materialisiert hat, die bis heute das Grundmuster der männlichen Kleidung geblieben ist.15 Damit ist nicht nur der Mann auf dem Markt der modischen Güter zurückgetreten – der im Zentrum der höfischen Kultur an Eitelkeit nicht zu überbieten war sondern es scheint einen nachhaltigen Zusammenhang zwischen der protestantischen Ethik und dem Geist des Puritanismus in der Mode zu geben.16 Damit nimmt die Theorie der Rationalisierung die Mode in ihren Objektbereich auf, ohne aber in dem Muster der modischen Evolution einen eigenen Faktor des Modernisierungsprozeß oder seine paradigmatische Ausdrucksform zu sehen. Es gehört freilich auch zur Dialektik der protestantischen Ethik, daß die durch Sparzwang und religiös prämierte Investitionsbereitschaft entstehenden neuen Klassen 14 Siehe Weber, Max: Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus. In: Gesammelte Aufsätze zur Religionssoziologie I. Tübingen 91988. S. 17-206. 15 Vgl. auch den Hinweis bei Weber, Max: ebd., S. 187/ Fn. 3. 16 Vgl. auch König, René: Menschheit auf dem Laufsteg. Die Mode im Zivilisationsprozeß. München; Wien 1985. S. 223 ff. 6 untereinander in Konkurrenz gerieten, die sich durch »distinction« voneinander zu unterscheiden suchten, was der Mode der Frauen einen ungeheuren Impuls verlieh. So läßt sich zwar mit der Protestantischen Ethik in der Hand sehr wohl über das Phänomen der Mode diskurrieren, in der Selbstdeutung der Moderne als Rationalisierungsprozeß nimmt die Mode jedoch keinen, etwa der tragisch gestimmten „Zwischenbetrachtung“ über den Widerspruch der Wertsphären für würdig befundenen Platz ein. 3. Die Vernachlässigung der „Mode“ in der Systemtheorie Nun müßte die „Mode“ für die Entwicklung der Supertheorie der Moderne, die bekanntlich mit erhöhter Oktanzahl zu touren beansprucht, einen besonderen Anreiz dargestellt haben. Dies ist merkwürdigerweise jedoch nicht der Fall: In dem opus magnum Niklas Luhmanns „Die Gesellschaft der Gesellschaft“ ist Mode völlig peripher behandelt, wie der Sachindex ausweist: Die Bemerkungen sind gleichwohl – wie üblich – treffend formuliert: Die Entdeckung der Mode nämlich beginnt „die Dauergeltung der Formen und damit auch die 17 Hierarchisierbarkeit des Menschen zu untergraben.“ In einem hochabstrakten Kontext der sog. Medientheorie erfolgt schließlich ein Theoriewink, der uns weiterführen wird: Inflationsprozesse in der Welt der Werte weisen auf die Mode hin: „Man folgt dem Rat der Mode und geht zu anderen Werten über.“18Dies läßt sich nicht nur als Hinweis auf „Wertmoden“ interpretieren, sondern als eine Anregung, Mode als „symbolisch generalisiertes Kommunikationsmedium“ theoretisch zu erfassen. 17 Vgl. Niklas Luhmann, Die Gesellschaft der Gesellschaft, 2. Bd., Frankfurt am Main, 1997, S. 1070. 18 Niklas Luhmann, Die Gesellschaft der Moderne, a.a.O., Bd. 1, S. 385. 7 So sehr auch in der Luhmannschen Version der Systemtheorie „Kommunikation“ im Vordergrund steht, so aufffällig ist die Tatsache, daß dieses Theorieinstrument auf den hochgradig kommunikationslastigen Mechanismus der Mode nicht angewendet wird...Kein Zweifel aber, daß „Mode“ nicht das Paradigma der Luhmannschen Version der Moderne abgibt. Ist also Simmels Diagnose der Moderne, der in der Mode ein „beweglicher Spiegel“ vorgehalten wird, ein völlig singuläres Deutungsmuster? 4. Mode und Moderne bei Baudelaire Im Unterschied zu den körperbetonten Moden unserer Zeit ist die Mode in den Zeiten Baudelaires nicht etwa als Verlockung gedacht, die zum Körper hinlenkt, sondern als eine Art Architektur, die dem Körper appliziert wird, ihn verdeckend und verändernd. Théophile Gautier hat dies zum Ausdruck gebracht: „Le vêtement, à l’époque moderne, est devenu une sorte de seconde peau (...) à ce point que la forme réelle du corps est de nos jours tout à fait tombée en oublie. Toute personne un peu liée avec les peintres, et que le hasard a fait entrer à l’atelier à l’heure de la pose, a éprouvé, sans trop s’en rendre compte, une surprise mêlée d’un léger dégoût à l’aspect de la bête inconnue, du batracien mâle ou femelle posé sur la table“.19 So darf es die Darstellung von Entblößtem nur geben, wo sie auch als Nacktheit bedeckt ist, nämlich gepudert und geschminkt. So sind jedenfalls die offiziellen und anerkannten Nuditäten des Salon: „Si au moins, M. Manet avait emprunté la houppe à poudre de riz de M. Cabanel, et s’il avait un peu fardé les joues et les seins d’Olympia, la jeune fille aurait été présentable.“ Demgegenüber nun setzt Baudelaire die Kleidung in ihr Recht. 19 Théphile Gautier, De la mode, S. 6-7. 8 Sie ist der Schlüssel zum Verständnis einer Gesellschaft, zur Einsicht in Moral und Ästhetik einer Epoche: „L’idée que l’homme se fait du beau s’imprime dans tout son ajustement, chiffone ou raidit son habit, arrondit ou aligne son geste, et même pénètre subtilement à la longue les traits de son visage, L’homme finit par ressembler à ce qu’il voudrait être.“20 Und dies sei nun die Aufgabe des Malers, in den Formen der Mode das Bild der Gesellschaft wiederzufinden, das sie sich von dem Schönen macht. Die Mode ist für Baudelaires »peintre de la vie moderne«21 mit der Idee von Modernität verschlungen. Was sucht der »peintre de la vie moderne«, dieser mit einer aktiven Vorstellungsgabe Begabte, der durch die Wüste der Menschheit reist? »Il cherche ce quelque chose qu’on nous permettra d’appeler la modernité«. Und sogleich schließt sich an: »Il s’agit pour lui, de dégager de la mode ce qu’elle peut contenir de poétique dans l’historique, de tirer l’éternel du transitoire.«22 Es ist hier nicht der Raum, darauf einzugehen, warum nicht Courbet, Daumier oder Manet diese Qualitäten der – modern gesprochen – „Entparadoxierung“ erfüllen, sondern der Aquallerist Constantin Guys. Ihm schreibt er die Fähigkeit zu, die ewige Schönheit auch im Modernen zeigen zu können, wenn er reich geschmückte, pompös ausgestattete Damen so darstellt, daß ihr sozialer Ort in der Gesellschaft visualisiert wird. Er spricht also von den „femmes très parées et embellies par toutes les pompes artificielles, à quelque ordre de la société qu’elles appartiennent.“ 23 Daher ist der Baudelairsche „Peintre de la vie moderne“ zugleich ein 20 Charles Baudelaire, Le peintre de la vie moderne, Oeuvres complètes, S. 684. 21 Baudelaire, Charles: Le peintre de la vie moderne. In: Le Figaro, 26. u. 29. November, 3. Dezember 1863. Abgedr. in: Curiosités esthétiques. L’Art romantique et autres oeuvres critiques de Baudelaire. Hrsg. von Henri Lemaître. Paris 1962. S. 453-502. 22 Ebd., S. 466. 23 Baudelaire Charles, Le peintre de la vie moderne, Oevres complètes, Bd. 1, a.a.O., S. 718. 9 „Gesellschaftsmaler“, dem sich die moderne Gesellschaft über das Medium der Mode erschließt. In der Spannung von Wechsel und Unbeweglichkeit, Kontingenz und Ewigkeit konvergiert Simmels Analyse der Mode nun sehr genau mit Baudelaires Bestimmung von »Modernität«. Denn die berühmte Passage lautet ja: »La modernité, c’est le transitoire, le fugitif, le contingent, la moitié de l’art, dont l’autre moitié est l’éternel et l’immuable.«24 Ich kann soweit den Theorieertrag über den konstitutiven Zusammenhang von Mode und Moderne zusammenfassen: Nicht im moralischen Wertprojekt der Moderne (Habermas) oder im Pathos der Rationalisierung (Weber) oder in der Selbstorganisation der Gesellschaftlichkeit der Gesellschaft (Luhmann) macht sich die Mode zum paradigmatischen Vorreiter der Moderne, sondern es ist die ästhetische Bestimmung der Moderne, die Mode diesen privilegierten, geradezu epistemologischen Stellenwert für die Analyse der Moderne zuweist. Und darin eben treffen sich Baudelaire und Simmel, trotz aller Differenzen, die den Dichter von dem Soziologen und Philosophen Simmel trennt. II. Die Mode und die Medien Simmels und Baudelaires Welt ist von unserer durch die Medien geprägten Erfahrungswelt zunehmend distanziert. Das Simmel so irritierende „Tempo“ der Droschken und Dampfeisenbahnen ist ganz anderen Geschwindigkeitsräuschen gewichen. Und die rasch vorbeiziehenden Bilder und Impressionen, wie sie Simmel in seiner Großstadtuntersuchung beschreibt, haben an Tempo 24 Baudelaire, Charles: Le peintre de la vie moderne. In: Le Figaro, 26. u. 29. November, 3. Dezember 1863. Abgedr. in: Curiosités esthétiques. L’Art romantique et autres oeuvres critiques de Baudelaire. Hrsg. von Henri Lemaître. Paris 1962. S. 467. 10 allein in den vergangenen drei Jahrzehnten rasant zugenommen. Vergleichen Sie nur den behaglich gravitätischen Stil der Tagesschau der 70er Jahre mit der medial hochgezüchteten Präsentation der Ware Nachricht in den Privatsendern, mit Rückwirkung auf die Öffentlich-rechtlichen! Das Tempo der Moden hat vielleicht nicht in gleicher Rasanz zugenommen, freilich ergibt sich aus dem Grundtatbestand der Mode, dem permanenten Formenwechsel, ein gravierendes Informationsproblem: Was ist denn eigentlich die gerade aktuelle Mode? Und lassen sich nicht vielleicht bei entsprechenden Informationen „Trends“ erahnen, die für das eigene Modegebaren entscheidend, auch kaufentscheidend sind? Daher sind Mode und Medien aufs engste miteinander verquickt. 1. Die Modezeitschrift Als erste Modezeitschrift gilt der „Courier de la mode“ (1770), an einem historischen Wendepunkt zur Moderne. Hier ist in der Tat das Medium, das Kommunikationsmedium Mode, Gegenstand der Botschaft, die per Courier vermittelt wird und angesichts der tonangebenden Rolle der Pariser Mode auch fürderhin in französischer Sprache zu vermitteln ist. In dem von Bertuch herausgegebenen „Journal des Luxus und der Moden“ (1785) wird diese in die Betrachtung der Mode eingebaute deutsch-französischen Bezüge in den allerersten Sätzen programmatisch ausgeführt: „Allein der Begriff ‚Mode‘ ist so sehr mit diesem Lande, dessen Sprache das Wort entstammt, insbesondere mit seiner Hauptstadt Paris verbunden, daß es geradezu paradox anmutete, zumindestens aber allen Erwartungen widerspräche, wenn man erfahren müßte, irgend ein anderes Land sei den Herausgebern des „Mercure galant“ zuvorgekommen und habe schon etliche Jahre vor dessen 11 Erscheinen im Jahre 1672 eine Modezeitung hervorgebracht.“ 25 Diese nationale Note setzt sich in der bekannten Frage fort, ob eine „teutsche Nationalkleidung einzuführen nützlich und möglich sei.“ Den heutigen Modejournalen ist die Zeitschrift zweifellos allein dadurch überlegen, daß sie die Verengung des Begriffs auf die Bekleidung schon sehr früh überwindet. So sind „Moden in Gebrauche und Eintheilung des Tages und der Nacht zu verschiedenen Zeiten und den verschiedenen Völkern“ ebenso untersucht wie „alte und moderne Sprachsitten“. Ja es werden gar Brief- und damit Kommunikationsmoden benannt bis zur Empfehlung das „Modewort“ Aufklärung abzuschaffen. Es gibt Modeepochen in der „teutschen Lektüre“ und sogar Musikmoden werden benannt, so als müßte die französische Herkunft des Begriffs – wie des modischen Guillotinierens durch die Ausdehnung seines Anwendungsbereichs kompensiert werden. Es zeigt nur in welchem soziologisch sensiblen Klima das Weimar der deutschen Klassik auch den Gesellschaftsforscher Goethe hervorgebracht hat. Aber das ist eine andere Geschichte. Kehren wir in die Gegenwart zurück: Noch 1996 haben die Hersteller von Damenoberbekleidung mehr als 70% ihres Brutto-Werbeetats in Publikumszeitschriften investiert. Gleichzeitig gibt es eine Umschichtung auf elektronische Medien, der allgemeinen Entwicklung folgend, zu beobachten. Während Ende der 80er Jahre nur 1% des Werbeetats in die Fernsehwerbung gesteckt wurde, waren es 1996 bereits 25 %! In einer Studie über Mode-Marketing hat Manfred Baumann nur für die Entwicklung von 1986 bi 1996 festgestellt: „Die Anteile der Medien an den Brutto-Werbeaufwendungen seit 1986 sind im Fernsehen von 17% auf 43 % angestiegen und sind bei den Publikumszeitschriften von 41 % auf 25 %, bei den Tageszeitungen von 30% auf 23% zurückgegangen.“26 25 Journal des Luxus und der Moden, hrsg. von F.J.Bertuch und G. M. Kraus, zit. nach dem Teilnachdruck aus den Bänden 1-10 (1786-1795), Leipzig 1967. 26 Manfred Baumann, Die Bedeutung der Medien für das Phänomen Mode, 12 Wie operiert nun dieses Medium? Folgen Sie mir für einen Moment in die schöne Welt der Modzeitschriften: Die aktuelle Vogue hat das Thema der Saison, die Farbe „weiß“ aufs Glanzpapier gebracht: Von den Duftnoten „Organza Indécence“ (Givenchy) bis zur Bademode dominiert die Farbe weiß, die einer „Design-Interpretation“ bedarf, die in einer Farbe alle Temperamente vereine. Weiß wird gar mit transzendenten Qualitäten ausgestattet, wenn die Accessoirs von Prada, Chanel und Fendi als „jenseits aller Farben“ apostrophiert werden oder gar die Zeit in Edelstahluhren von Chopard, Hermès oder Chanel in weiß „tickt“.27 Neben „Dress for less“ gehört es sich, die Interpretation der Farbe weiß in der Haute Couture zu zelebrieren: Von Roland Barthes Lob des unschuldigen Schnittbogens und der präzisen Beschreibung im vestimentären Code durch das sprachliche Raffinement der dual classifizierenden Varianten ist nicht viel übriggeblieben: der rhetorische Code überschlägt sich im Erlebnisjargon: „Als weltgewandte Sommerfavoriten der modernen Frau intonieren diese smarten Teile die Tonleiter der Unschuld ebenso gekonnt wie das Hohe Lied der Verführung. Stickereien, PlisseeRafinessen und Ethno-Elemente strukturieren den Rhythmus von weißen Ferienlooks, während Badeanzüge und Bikinis den Körper zur Lichtskulptur formen.“28 Einfach hinreißend die Interpretation der Farbe weiß bei Christian Dior: Dort liest sich die Modehermeneutik wie folgt: "Mit einer wilden Erotik im Stil der ‚Dreigroschenoper‘ und zerschlissener Schleppe provoziert ein Kleid aus imprägniertem Seidentaft. Schnürstiefel-High-Heels im Corsagen-Look steigern die Gegenüberstellung von Glamour und Gleichmut“.29 Ich würde Ihnen gerne die konkurrierenden Interpretationen von Ungaro, Givenchy, Lacroix und Valentino vorstellen. Auch die HighIn: Herrmanns, Schmitt und Wissmeier (Hrsg.) Handbuch ModeMarketing, Bd. 1, S. 177-196 (S.181) 27 Vogue, S. 38. 28 Vogue S. 134. 29 Vogue S. 142. 13 Lights der Bademode Monosuit und Swimkini strahlen am Glamourösesten in weiß, vor allem wenn sie mit tiefstem schwarz kontrastieren! Um einen solchen Strand-Star abzugeben bedarf es freilich gewisser körperlicher Voraussetzungen, die direkt im Anschluß an den Bademodenteil plaziert ist. Hier nun zeigt sich das andere Gesicht der Mode: die gnadenlose Arbeit am codierten Körper, der nicht nur Fitness- und Trimmkuren unterworfen ist, Eßstörungen auslösenden Diäten, die mit anorexia und bulimia einhergehen, sondern den direkten Eingriff in den Körper empfehlen: Body-Balance lautet die euphemistische Umschreibung: Sanfte Schocks durch Frequenz-Simulationen, Mini-Korrekturen durch Mikrosuktion usf. Der Schönheitschirurg ist also ein Hermeneutiker des Körpers, gar ein „Tiefenheremeneutiker!“ Das saisonale Weiß kennt feine Unterschiede, wie schon Sapire und Whorf aus der Semantik des Schnees herausdestillierten. Die soziale Valenz geht weiter als die Paradoxie der unschuldigen Verführung, sie wird als Farbe der Differenz gefeiert, als „Farbe der Elite“: so sind weiße Trüffel dreimal so teuer wie schwarze (nämlich 7500 DM das Kilo) und Tom Wolfe kleidet sich in Weiß, in „Dandy-Weiß“, während auch der Albino-weiße Falke als besonders kostbar gilt. Weiß, Papstweiß, schließlich rangiert vor dem Kardinalsrot der Kurie und so lädt die Farbe weiß in die emotional positiv gefärbte Welt innerweltlicher und religiöser Exzentrik ein. Zielgruppendifferenzen der Modezeitschriften, von Brigitte bis Petra und Elle ließen sich am Umgang mit der Farbe weiß festmachen. Vom „neuen Weiß“ mit der Innovationsemphase der Mode gesprochen, heißt es in Elle dann die bekannte Linie fortführend: „Und der Sexappeal lebt von Charme und Farbe der Unschuld - Schneeweiß“. (Elle vom Mai 2000, S. 166) Auf die Codierung der Farbe der Saison im Otto-Katalog werden wir zurückkommen. 14 Zuvor aber wollen wir uns mit der bunten Welt der Schaufenster befassen. 2. Das Schaufenster Die Untersuchungen des Mode-Marketing belehren uns darüber, daß das Schaufenster des Einzelhandels in der Hierarchie der Medien immer noch auf dem ersten Platz steht30. Dies erlaubt uns, einen Blick zurück in die Mediengeschichte des Schaufensters zu führen, das in seinen ästhetischen Reflexen mit der Geschichte dieser Stadt verknüpft ist. Auch wenn die Debatten um das richtige Schaufenster in Berlin geführt wurden, so war es doch ein Bonner Maler, der in seinen Schaufensterbildern die Synthese von Mode und ästhetischer Moderne vollzog. Am ersten Wettbewerb des Verbandes Berliner Spezialgeschäfte und der Zentralstelle für die Interessen des Berliner Fremdenverkehrs nahmen über 200 Geschäfte teil. Kein geringerer als Erich Vogeler, der aus Worpwsede verständlicherweise in den Sozialismus flüchtete, kommentierte diesen Wettbewerb in der Zeitschrift „Der Kunstwart“ als formal-ästhetische Leistung: so hole das neue Schaufenster „rein aus den Dingen selbst, einfach durch geschickte Ausnutzung ihrer Farben und Formen, durch Ton und Rhythmus des Aufbaus, alle dekorativen Effekte heraus.“31 Demgegenüber hebt Osthaus in seinem Beitrag für das jahrbuch des Deutschen Werkbundes nicht die ästhetischen Qualitäten sondern den intendierten Werbeeffekt des Kaufanreizes hervor: „Er will ihn fesseln, locken, in Hemmung versetzen, die Ware soll für ihn Bedeutung gewinnen, soll sich durchsetzen, den ganzen berauschenden Glanz vergessen machen und allein sein mit Jedermann.. So allein, daß die magische Suggestion ihre Fäden 30 Vgl. Manfred Baumann, Die Bedeutung der Medien für das Phänomen Mode, a.a.O., S. 181. 31 Erich Vogeler, Schaufenster: Nach dem Berliner Wettbewerb, in: Der Kunstwart 23, 1909, S. 338. 15 spinnt und der Gebrannte nicht loskommt von dem Gedanken: Dich muß ich besitzen.“32 Den aus dem Passagenwerk vertrauten Flaneur beschreibt Herr osthaus recht deutsch als Wandernden, der vor einem Schuhgeschäft, sicher von Salamander, verweilt: „hier steht der Wandernde gebannt, Kleider aus Seide umrauschen ihn und vor ihm öffnen sich Lippen, die er – in diesen Stiefeln - küssen wird.“33 Nicht nur das deutsche Wandern, sondern wilhelminische Größe manifestiert sich am Vorabend des „Großen Krieges“ in der Entdeckung der Frau, als Konsumentin, wenn Alfred Gold ein Lob der kaufenden Frauen anstimmt, ohne die Konsequenzen des pathologischen Kaufrausches zu imaginieren: „Die Frauen sind die geborenen Einkaufstalente, wenn nicht gar Einkaufgenies. Gerade für das moderne Deutschland, wie ich glaube, und für seinen Detailhandel ist dies das große Glück der modernen Entwicklung gewesen.“34 Wie für den Autor dieses Artikels übrigens bietet es sich an, eine Beziehung zu Zolas Kaufhaus- und Schaufensterroman herzustellen. Die Modernität des Warenhauses war nämlich auf die Frau ausgerichtet, hier nun auf die Frau als Opfer von Reklamecampagnen, die am Ende des neunzehnten Jahrhunderts schon hunderttausende Francs verschlangen. „Ils avaient éveillé dans sa chair de nouveaux désirs, ils étaient une tentation immense, ou elle succombaient fatalement, cédant d’abord à des achats de bonne ménagère, puis gagnée par la coquetterie, puis dévorée.“35 Das Warenhaus ist einerseits Umschlagsplatz des Kapitals. So erklärt ein junger Mann dem Baron Hartmann, wie Au Bonheur des dames, im Glückshaus der Damen also, das Kapital zirkuliert: „Notre effort unique est de nous débararsser très vite de la marchandise achetée, pour le remplacer par 32 Karl Ernst Osthaus, Das Schaufenster, in: Die Kunst in Industrie und handel. Jahrbuch des Deutschen Werkbundes 1913. Jena 1913, S. 62. 33 Karl Ernst Osthaus, ebd. S. 63. 34 Alfred Gold, Psychologie des Detailgeschäfts. Auf einem vortrage, gehalten im Verein Berliner Kaufleute und Industrieller, in: Frankfurter Zeitung vom 23. November 1910, S. 2. 35 Emile Zola, Au Bonheur des dames, Les Rougon-Macquart, Bd. 3, S. 461. 16 d’autre ce qui fait rendre au capital autant de fois son intérêt. De cette manière nous pouvons nous contenter d’un peetit bénéfice...“ Das Warenhaus, zu dessen Besuch das Schaufenster verführen soll, ist andererseits der Tempel, der zur Verehrung des Irrsinns der Modegesellschaft eingerichtet ist, ein sakraler Ort der Warengesellschaft: „Le palais était construit, le temple élevé à la folie dépensière de la mode.“36 Wie nimmt sich nun vor diesem kultursoziologisch von Berlin und Paris aus skizzierten Hintergrund die Bearbeitung des Sujets beim Maler August Macke in der Bonner Provinz aus? Sherwinn Simmons hat die Entwicklung nachgezeichent, die von den eher aus Berlin inspirierten kubistisch angehauchten Schaufensterbild über die Arkaden in Thun, dem Schweizer Ferienort, zu den bekannten Bildern der Hutläden führt und fixiert ist auf den „solitary shopper in front of the window, on her spellbound state... of beeing alone with the commoditiy.“37 Elisabeth Macke berichtet davon, wie sehr August Macke vom Design eines Schuhgeschäfts in Thun beeindruckt war. Aber selbst wenn die eigenästhetischen Qualitäten des Objekts Macke animiert haben sollten - von Vogeler beschrieben als ästhetische Vision von „Farbenwellen in eine Art ‚Ordnung‘ gebracht durch die Hintergründe, die in Felder geteilt sind“38 – so liegt Mackes Leistung doch in etwas ganz anderem als dem schaufenstermotivierten kostümkundlichen Detailblick. Denn gerade im Verzicht auf das modische Detail, das erst den Inhalt der Mode und seiner wechselnden Formen ausmacht, hat Macke die Mode als Form hervorgebracht, was den Bildern erst ihre zeitenthobenen Modernität verschafft, ihren anti-historistischen und anti-naturalistischen Habitus hervorbringt. Denn die Mode geht nicht in ihrem vestimentären Wechselspiel auf, sondern in 36 Emile Zola, Au Bonheur des dames, Les Rougon-Macquart, Bd. 2, S. 761. 37 Sherwin Simmons, August Macke’s Shoppers: Commoditiy Aesthetics, Modernist Autonomy and the Inexhaustible Will of Kitsch, in: Zeitschrift für Kunstgeschichte, 63, 2000, S.47-89. 38 Vgl. Vogeler a.a.O. 17 der Faszination, die es auf den „Bonheur des Dames“ ausübt. Damit aber gehört auch Macke, wie Kirchner, zu den soziologischen Malern der Moderne, die in Farbe und ästhetischer Form die soziale Form der Mode als Inhalt der Moderne artikulieren.39 3. Film- und Fernsehhelden als Modekommunikatoren Während das „Schaufenster“ allein durch den Effekt der Rahmung die von ihm in der Tiefe des zentralperspektivisch veristisch ausmeßbaren Raumes die ausgestellten Objekte aus dem Alltag heraushebt dabei zugleich als fixer Ort unbeweglich ist, sind die beweglichen Bilder von Prominenten, Film- und Fernsehhelden erst in action Träger der modischen Botschaft. Diese Botschafter scheinen die Imitationstheorie der Mode zu bestätigen, wenn die Paramount Kostümbildnerin Edith Head berichtet: „Mein Kleid für die Taylor wurde von einem Fabrikanten für Debütantinnen-Partykleider übernommen. Jemand bei Paramount zählte einmal auf einer Party 37 tanzende Elizabeth Taylors.“40 Die Geschichte der unglücklichen Medienprinzessin habe ich schon einmal an diesem Ort erzählen dürfen. Ihre Rolle als eine fashion-icon, die bis zu Vorlagen für princess-dolls reichte bot erst dann eine ideale Projektionsfläche für gebrochene Identitäten als sie in ihrem fulminanten bulemia-speech die andere Seite der Mode, die Codierung des Körpers, in anrührender Authentizität für Millionen von mitleidenden Frauen zu schildern wußte. 39 Vgl. hierzu auch Werner Gephart, Bilder der Moderne. Studien zu einer Soziologie der Kunst- und Kulturinhalte, Sphären der Moderne Bd.1, Opladen 1998. 40 Zit. bei Ingrid Volkmer, Madonna und Boris: Mode und Medien- Zur Internationalität ästhetischer Muster, in: Dieter Baacke et al., Jugend und Mode, Opladen 1988, S. 67 – 91 (S. 78). 18 Der große Gatsby, die Jeans von James Dean, das straßbesetzte Kleid oder gar das von U-Bahnschächten hochgewirbelte weiße Plisseekleid von Marilyn Monroe gehören zum festen Bilderkanon unserer Alltagskultur. Kostüme von Sue Ellen, die T-shirts der Protagonisten von Miami Vice oder Armtätowierungen von Prominenten der konstruierten Wohngemeinschaft „Big Brother“ besitzen allzuviel Plausibilität, um noch Erklärungskraft zu besitzen. Sie führen in die Welt der Mode, die gerade diesen Begriff für sich reklamiert. Sladkos oder Veronas „Welten“ wollen wir hier freilich nicht weiter ausleuchten, sondern uns einer eigenen Weltvorstellung zuwenden, die für die mediale Inszenierung der Moden größte Bedeutung besitzt. 4. Die „Welt“ im Katalog Der Otto-Katalog hat eine Auflagenstärke, die ein Buch über die Mode nie erreichen wird. 1393 Seiten umfaßt die gegenwärtige Ausgabe, das monumentale Werk der Gesellschaftstheorie von Niklas Luhmann an Umfang eindeutig übertreffend. An soziologischen Erkenntnischancen ist der Otto-Katalog freilich durchaus konkurrenzfähig. Von der Damenoberbekleidung bis zu Reiseangeboten in die weite Welt, führt er in die Welt der Badezimmereinrichtungen und die Welt der Wohnzimmer, einschließlich der Bilder schmachtender Zigeunerinnen, die als dekorativer Wandschmuck fungieren. So findet sich einerseits der „stilvolle Couchtisch, mit Keramikkacheleinlage. In garantiert „echter Holznachbildung“, dessen Gebrauchswert noch dadurch gesteigert wird, daß ihn die „leichtgängige Lifthöhenverstellung“ auch für Senioren angenehm erscheinen läßt.41 41 Otto-Katalog, 1999/2000, S. 799 19 Daneben aber auch ein Hauch von Exklusivität, wenn der Traum aller Männerherzen ihre „Collection“ vorstellt. Hier inszeniert sich freilich Claudia Schiffer nicht als Vamp, sondern als eher zurückhaltende Mädchenfrau, so wie sich Väter ihre Töchter wünschen. Der kuschelige Jacquardpullover mit eiskristallinem Norwegermuster hat bei den Teilnehmern meines Modesemeniars nur begrenzte Begeisterung hervorgerufen. Die Normalisierung des exklusiven Top-Modells wirkt nicht gerade glaubwürdig. Die bildliche Paradoxie wird im Text nicht aufgehoben: „collection“ wird nun auch im Katalog, der gleichzeitig von dem höhenverstellbaren Couchtisch mit Kacheleinlage aus echtem Holzimitat spricht, mit einem vornehmen, „welt“läufigen „C“ geschrieben. Der Text ist ein Glanzbeispiel für das systemtheoretische Wunder der Entparadoxierung: „Claudia Schiffer präsentiert ihre neueste Collection: aktuelle Styles, edle Stoffe, aufregende Farben.“ Soweit also noch die Zuschreibung der Textur der Mode an ein singuläres Subjekt der weiten Modewelt, das nun aber aufgelöst wird: „Alles, was jetzt im Trend liegt.“ Das heißt also doch wohl nichts anderes als daß sie den allgemeinen Modetrend nur wiedergibt, um hieran die exklusivistische Volte anzuschließen: „Alles was jetzt im Trend liegt. Exklusiv für Sie und nur bei Otto“.42 Einen Seitenblick auf das 100% kontrolliert biologisch abgebaute Baumwollkleid muß ich mir hier leider versagen. Der Weg ins digitale Zeitalter weist freilich in eine weitere Richtung: der Katalog auf CD-Rom, das On-line-Marketing, Internet-Auftritte der Mode-Anbieter und der Vertrieb modischer Artikel auf eigenen Werbekanälen der Privaten Fernsehsender, dies ist ja längst Realität geworden und man läuft nur innerhalb kürzester Zeit hoffnungslos hinter den Moden der Medienentwicklung her, wie herkömmliche Publikationen der Printmedien demonstrieren, die nach nur wenigen Jahren in ihrem Aktualitätsgestus lächerlich wirken. 42 Sämtliche Zitate, Otto-Katalog a.a.O., S.66. 20 Damit möchte ich also gar nicht weiter konkurrieren wollen, sondern abschließend der Frage nachgehen, wo denn nun eigentlich die Entwicklungslinien von Mode und Medien in der Moderne zusammenlaufen. Dieses ist die schwierigste Frage und kann hier nur versuchsweise beantwortet werden. III. Die Mode und die Medien als symbolisch generalisierte Kommunikationsmedien Es war Talcott Parsons‘ geniale Theorieidee, die Entdeckungen über den Geldmechanismus auf andere Sphären übertragen zu haben, zunächst auf Macht, dann auf Einfluß, Intelligenz usf. bis zu dem kritischen Punkt an dem die Logik des analytischen Systems über die lebensweltliche Anschaulichkeit triumphierte und damit ihre Überzeugungskraft verspielte. Nicht Luhmann, sondern Parsons43 gebührt der theoriegeschichtliche Lorbeerkranz, den wir nun gerne in der Anwendung auf das Phänomen der Mode flechten möchten. 1. Zur Logik symbolisch generalisierter Kommunikationsmedien Wenn man für die Konstruktion von Macht44 danach fragt, was denn eigentlich seinen Code konstruiert, so kommt man z.B. auf die Verfassung, welche die legitime Verwendung der Machteinheiten reguliert und hierbei mit dem binären Mechanismus verfassungsmäßig/verfassungswidriger Gebrauch operiert. Für das Medium Wissen kommt ein vergleichbarer 43 Als allgemeinste Fassung vgl. Talcott Parsons, Social Structure and the Symbolic Media of Interchange, in: Social Systems and the Evolution of Action theory. New York 1977, S. 2o4-228. 44 Grundlegend: Talcott Parsons, On the Concept of Political Power, in: Talcott Parsons, Politics and Social Structure, New York 1969, S. 352404. 21 Modus in den Sinn: Die elementare, binäre Differenzierung von wahr und falsch, die wir in den Regeln des richtigen Denkens fixiert finden, übernimmt diese Aufgabe. Versteht man Liebe als ein Kommunikationsmedium dieser Art, so regelt sein Code, was als jeweils wahrhaftiges Lieben oder heuchlerisches Schöntun gilt, in jeweils unterschiedlichen Semantiken der amour-passion, der companionship oder der romantischen Liebe codiert. 2. Modisch/unmodisch als binäre Codierung von Mode als symbolisch generalisiertem Kommunikationsmedium Können wir einen ähnlichen Code auch für die Mode finden, die sich gerade durch Unbeständigkeit, permanenten Wechsel, Untreue auszeichnet. Läßt sich die Flatterhaftigkeit der Mode, die allein darin ihre moralische Fragwürdigkeit suggeriert, in einen Code eine Grundgrammatik fassen? – Auf den ersten Blick scheint Roland Barthes in der „Sprache der Mode“45 die Lösung gefunden zu haben. Wir haben in der Analyse von Modezeitschriften hiervon bereits implizit Gebrauch gemacht, in dem wir die geschriebene Kleidung, soweit sie Institution ist, als „langue“ behandelt haben, während wir die Sprache der Mode auf der Ebene des Akts (parole) als menschliche Rede „language“ behandelt haben. Neben dem realen vestimentären Code und der Differenz zum dargestellten – etwa bei Claudia Schiffer, die ihre eigene Collection ja niemals tragen würde – haben wir in Ansätzen den terminologischen vestimentären Code verwendet („aufwendig gestrickt im rustikalen Norweger-Stil“) der eine Bestimmung des gemeinten erlaubt durch die Kombination von Varianten, z.B. der fundamentalen Variante der „Linie“: „kurze, kastige Form“ in dem die Linien-Variante mit der Längenvariante („kurz-lang“) verknüpft ist. Im weiteren Text finden wir die 45 Roland Barthes, Die Sprache der Mode, Frankfurt am Main 1985. 22 Variante der Oberflächenstruktur („Hose mit samtartiger Oberfläche in gerader Form“), die Variante der Applikation mit Richtungsangabe ( „Zwei Taschen vorn“) wie etwa auch die Variante des Materials, wie man sie nennen könnte ( „97% Polyester und 3% Elasthan“) sowie die Angaben zur Waschbarkeit, die „Waschvariante“ :“Maschinenwäsche“. In der Zeitschrift Brigitte finden wir überdies die Übersetzung von der Ikonographie der Moden in die reale Mode, wo das Schnittmuster als sog. „shifter“ fungiert bzw. in der technologischen Sprache der Mode die Nähvorschrift bzw. das Nähprogramm formuliert ist. Von der soweit ausgebreiteten Semiologie zur Soziologie ist aber nur ein kleiner Schritt. Das rhetorische System der Mode zielt auf lebensweltliche Bezüge: die Farbe „weiß“, von der Exklusivität des papstweiß über das albinofalkenweiß bis zur unterschwelligen Erotik der Unschuld, gehört dem rhetorischen Code der Mode an. Von dort her aber läßt sich der Übergang aus der semiotischen Analyse in die Soziologie, die Roland Barthes unter Bezug auf Durkheim und Mauss andeutet, sehr gut entwickeln. In einer eher beiläufigen Bemerkung von Barthes über den Zusammenhang von aktueller Mode, virtueller Mode und Geschichte lesen wir: „Der von der alljährlichen Mode aktualisierte Merkmalszug wird immer erwähnt, und was die Mode erwähnt, ist bekanntlich obligatorisch, will man der Sanktion entgehen, die auf dem Unmodischen liegt. Die virtuellen Züge, die zum Fundus der Mode gehören, werden nicht erwähnt (die Mode spricht praktisch nie vom Unmodischen); sie machen die Kategorie des Verbotenen aus. Die unmöglichen Züge (die freilich nur...innerhalb historischer Grenzen unmöglich sind) sind aus dem System der ausgeschlossen und verbannt.“46 Wiederum beiläufig wird dieser soziale Charakter der Mode aufgegriffen: „entsprechend dem Grad ihrer Arbitrarität (wohlgemerkt als Willkür der Zeichen und nicht der Modemacher, W.G.) entwickelt die Mode übrigens eine ganze Rhetorik des Normativen und des Faktischen, die um so gebieterischer ist, als 46 Roland Barthes a.a.O., S. 184. 23 die Arbitrarität, die sie rationalisieren oder naturalisieren soll, auf keinerlei Einschränkungen stößt.“47 Mit Durkheim läßt sich dieses nun sehr viel radikaler fassen als der Dingcharakter der Mode, der sie zum fait social par excellence macht, auf das mit äußerlichen Sanktionen in ubiquitärer Weise reagiert wird. Diese normative Struktur der Mode also macht sie zur Institution und liefert uns den Schlüssel für die Bestimmung des Grundcodes der Mode: er besteht in der Differenz des Modischen und des Unmodischen., tabuartig gemieden, aber nur innerhalb der Suppositionen einer jeweils gemeinsamen Kultur verstehbar. (So ist der Wechsel zum Klassenparadigma in der Ungleichheitsforschung nur als Reaktion auf die Dominanz des Lebenstilansatzes verständlich, von dem man sich durch Rückgriff auf das klassische Klassenkonzept differenzieren kann.) Diesem Grundcode ordnen sich für die Kleidermoden die von Barthes beschriebene technologische Ebene und die rhetorische Ebene des vestimentären Codes unter: Sie definieren aufgrund ihrer variablen Bestimmungskompetenz die Normgrenzen. Die Geltung eines modischen Codes in sozialer Hinsicht ist dabei historisch flexibel: Dieser Code war für den nicht zu unrecht „gut betucht“ genannten Herrn im Modespiegel des Jahres 1921/22 nach Gelegenheiten (Reisen, Rasensport, Visite, Rennbahn, Abend-Hochzeit, Großem und Kleinem Diner) im Hinblick auf die Grundelemente der Herrenbekleidung Anzug, Weste, Hose, Hut, Krawatte und Handschuhe, Hemd, und Schuhformen. 48 Auch die Kleiderordnungen mittelalterlicher Gesellschaften legten die Kreise der erlaubten und der verbotenen Kleider fest. Ihre Reflexe in der höfischen Epik sind in dem schönen Buch von Elke Brüggen erzählt49. Historisch variabel scheint mir das 47 Roland Barthes a.a.O., S. 222. 48 Vgl. den Abruck des Modespiegels von 1921/22 in: Ingrid Loschek, Mode im 20. Jahrhundert. Eine Kulturgeschichte unserer Zeit, 4. Aufl. München 1990, S. 94f. 49 Elke Brüggen, Kleidung und Mode in der höfischen Epik des 12. Und 24 Wechselspiel individueller Entwürfe, legitimer, wenn nicht erwarteter Normabweichungen und der Starrheit obligatorischer kollektiver Vorstellungen. 3. Inflatorische und deflatorische Prozesse in der modischen Evolution Die gegenwärtige Lage ist kompliziert und unüberschaubar. Wen wundert es? Eindeutige Klassenmoden sind verschwunden. Die Modebranche suggeriert zumindest eine ungeheure Vielfalt und einen Pluralismus der legitimen Stilformen, der nicht mehr so eindeutig macht, was denn nun das Verbotene sei. (In den Heiratsanzeigen werden Jeans und Abendkleid angepriesen.) Dieses läßt sich, wenn wir in einer modischen Strömung befangen sind, oft gar nicht exakt benennen. Aus den allgemeinen Annahmen der soziologischen Modetheorie sowie aus Annahmen der Bedeutung medialer Verbreitung können wir gleichwohl gewissen Schlußfolgerungen ableiten. Je schneller sich Modezyklen durch mediale Verbreitung beschleunigen, umso schwieriger wird es, den mit der Mode verbundenen gegenläufigen Wert von differenziernder Individualisierung und sozialer Einbindung zu realisieren. Wir könnten daher sagen: Wenn für den Einsatz modischer Einheiten sowohl der soziale Anerkennungs- wie der Individuierungswert sinkt, haben wir es mit einem inflatorischen Prozeß zu tun. Die totale Modegesellschaft, in der Mode als Medium der Anerkennung und Individuierung in allen Lebensbereichen gleichzeitig monopolisiert wäre und durch die Verbreitungsgeschwindigkeit in der Mediengesellschaft gesteigert würde, müßte zum vollständigen Überdruß, der Langeweile und Beliebigkeit führen. Inflationäre Prozesse führen im Geldwesen zur Flucht in die Sachwerte. Was sind die entsprechenden „Sachwerte“? Man könnte daran denken, anstelle der modischen Oberflächen auf die „natürliche Schönheit“, was freilich nur das Problem 13. Jahrhunderts, Heidelberg, 1989. Vgl. dort auch zum Verhältnis fiktiver und realgeschichtlicher Kleiderordnungen, a.a.O., s. 141 ff. 25 verschiebt, weil es selbstverständlich auch eine modische Regulierung des Körpers gibt. Der läßt sich aber auch bei noch so intensivem Body-training nicht einfach saisonal neu erfinden, bietet also eine gewisse Stabilität. Vielleicht ließe sich die Aufmerksamkeit für den Körper, auch die identitätsversichernde Einschreibung von Identitätszeichen in den Körper, die zwar modisch bedingt sein mag, aber wegen seiner Irreversibilität gerade den Reiz des Antimodischen ausübt, auf diese Weise erklären. Vielleicht ließen sich auch Individuierungssüchte weniger mit dem Verfall der Öffentlichkeit und der heraufziehenden Tyrannei der Intimität erklären als mit dem inflationären Trend der Inszenierung des Selbst im Kommunikationsmedium der Mode. Mode als ein symbolisch generalisiertes Kommunikationsmedium zu begreifen, bietet also die Chance, Prozesse der modischen Inflation und der Deflation zu unterscheiden, modische Anomie und modische Überreglementierung zu untersuchen. Wir können auch versuchen, die historischen Beispiele im Lichte dieses Ansatzes zu deuten. Die Kriegsmode weist deflationäre Züge auf: für immer weniger verfügbare Einheiten wird immer mehr an Identitätszeichen erwartet, die im Sog der bellistischen Integration der Gesellschaft untergehen. Auch die utopische Abschaffung der Moden durch die Verwaltung der Kleider im Projekt des utopischen Sozialismus, läßt Mode als eine Art Falschgeld entstehen oder in der Art der Doppelmoral des untergegangenen Staatssozialismus die Flucht in die fremde Währung des modischen Kapitalismus antreten. Das Thema der Mode erscheint Ihnen nun vielleicht nicht mehr als ein illegitimer Gegenstand der Wissenschaft.50 Das Thema 50 Dieser Tatbestand ist von P. Bourdieu sehr anschaulich analysiert. Vgl. Bourdieu, Pierre: Haute couture et haute culture. In: ders.: Questions de sociologie. Paris 1980. S. 196-206. 26 der Medien bleibt zwar ausgesprochen modisch, und die Moderne ist als Post- Nachmoderne oder Posthistoire tatsächlich außer Mode. Aber ist der Zusammenhang von Mode, Medien und Moderne – wie wir sehen konnten - nicht wirklich grundlegend für die „Welt“ in der wir leben? Das Spiel von Mode-oktroie und der Illusion identitätsverbürgender vestimentärer Einzigartigkeit führt jedenfalls in die tiefsten Rätsel der soziologischen Analyse hinein, das noch aus dem Projekt des Unmodischen eine Mode werden läßt. Nicht die geheimen Verführer und die Torheiten der Modemacher überlisten uns, sondern es sind die von Simmel genannten Grundbedingungen des sozialen Lebens, die Apriori von Individualisierung und sozialer Einbindung, die uns an den schönen Schein der Moden fesseln. „Sie genügt einerseits dem Bedürfnis nach sozialer Anlehnung, insofern sie Nachahmung ist, sie führt den einzelnen auf der Bahn die alle gehen; andererseits aber befriedigt sie auch das Unterschiedsbedürfnis, die Tendenz auf Differenzierung, Abwechslung, Sichabheben …„51 Vielleicht sollten wir einmal mit diesem soziologischen Blick in unsere Kleiderschränke als Orte einer historisch-poetischen Biografie hineinschauen, in der sich auch die kollektiven Strömungen unserer Individuierungsversuche abgelagert haben. 51 Georg Simmel, Zur Psychologie der Mode, a. a. O., S. 132 (eigene Hervorh.). 27