In einer anderen Welt

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In einer anderen Welt
SEPTEMBER 2015
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September 2015
In
einer
anderen
Welt
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ARMANI.COM
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Fühlen Sie sich
ganz ungeniert.
PICTURE PRESS/CAMERA PRESS
I
David Bowie wählte die Villa Mandalay auf Mustique schon vor Jahren als Rückzugsort. Wir sind nun auch mal dorthin
geflogen und haben dort die neue Herbstmode fotografiert. Auf dem Cover trägt Model Alexina eine Bluse von Michael
Kors. Norwegerpullover: Etro. Kleid: Victoria Beckham. Tasche: Longchamp. Schuhe: Chanel. Sonnenbrille: Vintage Dior
st es richtig, jetzt in die wunderbare Welt der
Mode abzutauchen? In diesen umwälzenden
Zeiten, wie man sicher zu bedenken geben
könnte? Jetzt, da wir tagtäglich mit traurigen Bildern und Herausforderungen konfrontiert werden, die wir nicht mehr verdrängen
können, weil sie so nah sind? Diese fast pawlowsche, sehr deutsche, moralisch beschwerte
Frage stellt sich uns nicht. Keinesfalls aus Arroganz, sondern weil es darauf keine richtige Antwort gibt. Die Schönheit des Lebens ignoriert
nicht die Not des Daseins, aber die Not wird nicht
besser ohne Schönheit. Sie lässt uns auftanken.
Wir fühlen uns daher in unserer Arbeit durchaus
privilegiert, dürfen wir uns doch mit den Themen
beschäftigen, die wie ein herrlicher Blumenstrauß
im Alltagszimmer das Dasein dekoriert. Dass die
Mode für viele Arbeitsplätze sorgt, sei nur am
Rande erwähnt. Es klingt dann wieder wie eine
Rechtfertigung. Und das hat sie nicht verdient. Wir
schämen uns ihrer nicht. Warum auch? Zumal
gerade jetzt eine Reihe interessanter, begabter Designer
ins Rampenlicht getreten ist,
die – jeder mit individueller
Ästhetik – fortführen, was
die Großen wie Karl Lagerfeld, Giorgio Armani oder
Tomas Maier oder Wolfgang
Joop und andere immer
schon propagierten: Mode
ist Haltung, ist Allüre. Ihr ist
diese Ausgabe gewidmet.
TAKAHIRO OGAWA
Wer als Europäer nach Japan reist, sieht sich mit einem interessanten Kontrast konfrontiert. Die Japaner mögen es geordnet, bis ins Detail durchorganisiert und staubkornfrei. Richtig krachen lässt man es dafür in der Mode. Unser „Keypieces“-Fotograf Takahiro Ogawa ist da keine Ausnahme. In Japan aufgewachsen, arbeitete er erst als Bildbearbeiter. Zu seiner eigentlichen Berufung
kam der 37-Jährige auf recht triviale Weise: „Ich bin meinen Stärken gefolgt, Fotografie ist das Einzige, worin ich wirklich gut bin.“ Das ist nun vier Jahre
her. Heute lebt er in New York und arbeitet für einflussreiche Magazine. Das Ergebnis ist experimentell, voller Farbe und, wenn man ihn lässt, gegen den
Strom. Kräftiges Rot und Blau treffen dann auf Schwarz und Weiß, das sind seine Lieblingsfarben. Wir ließen ihn. Seine Inspiration zieht er aus Filmen,
Musik, Comics und Kunst. Hauptsache, es hat Energie. Liebstes Mode-Keypiece? Sein Comme-des-Garçons-Shirt. Mehr ab Seite 58
TITEL: ANDERS OVERGAARD; DIESE SEITE: MARIO TESTINO; PRIVAT; ANDERS OVERGAARD; PICTURE ALLIANCE/DPA
VILLA YEMANJÁ Hier dürfte sich die Göttin des Meeres bestimmt wohlfühlen. Schließlich ist das Anwesen auf der Karibikinsel Mustique
nach ihr benannt. Vermutlich würde sie die Wendeltreppe zum Foyer emporgesteigen, einen kurzen Blick auf ihr gemaltes
Konterfei werfen und dann schnurstracks zu einem der drei Pools marschieren. Gelegentlich würde einer der beiden hauseigenen Butler einen Krabbencocktail reichen, während die Hausherrin den traumhaften 360-Grad-Panoramaausblick über die Insel genießt. Allein wäre ein Fehler. Auf dem sieben Hektar großen Anwesen lassen sich nämlich mühelos Familie und Freunde unterbringen (auch zur Miete). Acht Schlafzimmer stehen zur Auswahl.
Für unser Shooting hat Villa-Managerin Denise Brown das Tor zum „Yemanjá“ geöffnet. Ohne sie würde wohl so mancher Gast die Ausfahrt zur Villa im
dichten Dschungel übersehen. Dank geht auch an Caroline von Waldburg, die uns überhaupt erst auf diese göttliche Insel führte. Ab Seite 80
OTTO DRÖGSLER & JÖRG EHRLICH Die Designer des deutschen Labels Odeeh kennen die Modebranche aus verschiedenen
Perspektiven. Sie wissen aus Erfahrung, wie die Konzerne ticken, sind vertraut mit den kreativen Freiheiten und Erwartungen, die an ein Label gestellt werden. Zum Saisonauftakt wollten wir deshalb hören, was sie derzeit bewegt und welche
Entwicklungen sie in der Modewelt beobachten. Neben den inhaltlichen Gedanken zum Thema überzeugte das Duo auch in der Form: Die Gespräche mit ihnen fanden statt, während sie auf der A7 Richtung Comer See zu ihren Webern unterwegs waren, sowie in Mailand zwischen Terminen.
Dass Drögsler den Verkehrsfunk auf dem Navi wegdrücken musste, brachte sie nicht weiter aus der Ruhe. Es änderte auch nichts an der Qualität des
Gesprächs. Eher lieferten sie en passant eine Fallstudie für die Multitaskingfähigkeit erfolgreicher Designer gleich mit. Seite 50
IMPRESSUM ICON
Chefredakteurin: Inga Griese (verantwortlich) Textchef: Dr. Philip Cassier Redaktion: Caroline Börger, Heike Blümner, Nicola Erdmann, Julia Hackober, Jennifer Hinz, Silvia Ihring, Mira Wiesinger. Korrespondentin in New
York: Huberta von Voss. Korrespondentin in Paris: Silke Bender. Stylistin in New York: Nadia Rath. Autoren: Susanne Opalka, Esther Sterath, Andreas Toelke Redaktionsassistenz: Ursula Vogt-Duyver
Artdirektorin: Barbara Krämer Gestaltung: Maria Christina Agerkop, Katja Schroedter Fotoredaktion: Julia Sörgel; Elias Gröb
Bildbearbeitung: Thomas Gröschke, Liane Kühne-Kootz, Kerstin Schmidt
Verlagsgeschäftsführung: Dr. Stephanie Caspar, Dr. Torsten Rossmann General Manager: Johannes Boege Gesamtanzeigenleitung: Stefan Mölling; Anzeigen ICON: Roseline Nizet (roseline.nizet@axelspringer.de)
Objektleitung: Carola Curio (carola.curio@axelspringer.de) Verlag: WeltN24 GmbH Druck: Prinovis Ltd. & Co KG, Nürnberg Herstellung: Olaf Hopf
ICON ist ein Supplement der „Welt am Sonntag“, die nächste Ausgabe erscheint am 18. Oktober 2015. Sie erreichen uns unter ICON@weltn24.de
Unsere Standards der Transparenz und journalistischen Unabhängigkeit finden Sie unter www.axelspringer.de/unabhaengigkeit.
25
Bronzene Zeiten: Geschirr von Rick Owens
(Info über atelier@owenscorp.com)
TAKAHIRO OGAWA
Es werde Licht: Lampe „Petite Potence“ Special Edition
von Jean Prouvé und G-Star Raw für Vitra
Sich mal so richtig hängen lassen: Hängematte „Hammock“ aus der
Objets-Nomades-Serie des Ateliers Oï für Louis Vuitton
Runde Sache: Tisch „Satellite“ von Hermès.
Ab November erhältlich
Angesagt im Herbst sind große Knöpfe, opulente Stickereien und Gold. Strickjacke: Chanel. Sweatshirt aus
Satin: Max Mara. Hose: Paul Smith. Cabanjacke (um die
Hüfte geknotet): Michael Kors. Mehr vom KeypieceShooting finden Sie ab Seite 58
Qual der (Tisch-)Wahl: Esstisch „Catlin“ von Minotti lässt
sich individuell zusammenstellen – mit ovaler, eckiger oder
runder Platte (aus Glas oder Marmor)
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WELCOME BACK, GU CCI!
Nach durchwachsenen Jahren hat die
Marke mit Alessandro Michele einen neuen
Designer. Sein Credo: Lässige Extravaganz
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CO OL ES CH AOS
Odeeh ist ein eigenwilliges, besonderes
Label. Die Gründer und Chefdesigner Jörg
Ehrlich und Otto Drögsler berichten über
den leisen Siegeszug des Einzelteils
AUSGEWÄHLT
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ES GEHT VO RA N
War nicht eben noch Ostern? Egal – unsere
Lifestyle-Weisen freuen sich auf einen
wunderbaren Mode-Herbst
TRÄU M W EITER
Seine fantasievollen Entwürfe haben Erdem
Moralioğlu nach London-Mayfair gebracht.
Spot an auf einen Shootingstar
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MEHR LICHTO RGEL!
Icona dresst sich für die Disco auf – und
damit sie nicht zu sehr abhebt, hat sie noch
einen Look als braves Mädchen
DIE SCH LÜ SSEL ZU M H ERBST
Zieh das schöne Kleid doch einfach über
die Hose: Nadia Rath hat die Keypieces der
Saison in New York City inszeniert
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ITA LIE NS GRÖSSTER
Was machen, wenn man alles erreicht hat?
Giorgio Armani veröffentlicht seine Autobiografie. Wir durften schon mal reinsehen
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STANDH AFT
Die Santonis fertigen Schuhe, die Begehrlichkeiten wecken. So einfach ist Erfolg?
Ein Besuch in den Marken
Sitz-Sack de luxe: „Beanbag Chair“
von Alexander Wang für Poltrona Frau
ICON
SEPTEMBER 2015
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MODE
Feierabend: Sessel
„Work is over“ mit
Stahlgestell. Von
Diesel und Moroso.
Gibt’s über iconist.de
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ZEBRA CROSSING
Schwarz und Weiß gehen fast immer –
selten war die Ästhetik des Kontrasts so
ausgeprägt wie in diesem Herbst
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EINMAL IN FARBE, BITTE!
Als Kontrast zu den Kontrasten: Uni in
Knalltönen ist jetzt angesagt. Monochrom,
nicht monoton
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Zwingt zum Liegenbleiben: Sessel „Mart“ von
Antonio Citterio für B&B Italia
Meer und Palmen soweit das Auge reicht. Links: Bikini
von American Apparel. Unten: Lederrock von Fendi
Glamour gibt es auf der Karibikinsel Mustique schon. Unser Model
Alexina hat überdies die neusten
Herbsttrends im Gepäck. Unten
links: Jacquardkleid: Viktor & Rolf.
Jacke: Akris. Armbänder: Chanel.
Velourslederboots: Fendi. Unten
rechts: Kleid: Derek Lam. Seidenkleid: Wunderkind. Lederjacke:
Meindl. Velourslederstiefel:
Burberry. Koffer: Rimowa
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SEPTEMBER 2015
MODE
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ICH TRAG BLUMEN
Für die einen sind die Siebziger ein Krisenjahrzehnt – für uns sind sie eine Inspiration.
Neun Looks für die coole Zeitreise
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WO NUR WENIGE HINKO MMEN
... findet unser großes Shooting statt: Mustique in der Karibik ist eine Privatinsel - und
eine wirklich exklusive Kulisse
SCHMUCK
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KETTE SICH, WER KANN
Kaum ein Accessoire ist besser zu kombinieren als eine Kette – die neuen Modelle
haben „Alleinhängungsmerkmale“
108 SIXPACK DELU XE
Nein, Prada macht jetzt nicht Bier. Dafür
eine Duft-Kollektion mit sechs Aromen. Die
Bilder dazu hat der Fotograf Marcel Christ
in einem chemischen Experiment gefertigt
KOSMETIK
102
GO LDENE ZEITEN
Edelmetall liegt auch in der Kosmetik im
Trend. Wir fanden neueste Produkte, die
sich in Gold hüllen. Plus: Unsere Experten
und ihre liebsten Fashion-Beauty-Marken
104 HIGH (BEAUTY )-FA SHIO N
Modemarken und ihre Kosmetikableger.
Die Neuheiten im September
105
TANZ DER MO LEKÜLE
Wie ein Däne den Parfümmarkt mit seinen
Molekulardüften aufmischt, erzählte er
Caroline Börger in Berlin
GESCHICHTEN
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VILLA KU NTERBU NT
Nur wenige Tage im „Il Pellicano“ lassen
einen die Welt rosarot sehen, stellte
Dagmar von Taube in der Toskana fest
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GÖ NN IH N DIR
Champagner kennt jeder – Franciacorta
nicht. Das ist eigentlich ziemlich schade,
merkte Philip Cassier bei der Probe
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GLO B AL DIARY
Schwimmen lernen an der Côte d’Azur,
Spaß im Spa in Spanien und Staunen in der
Wüste von Namibia – was für ein Sommer
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EINFACH MAL BL AU MACH EN
Wasser, Salzfelder und der kleinste Strand
der Welt: Piet Boons Insel Bonair will man
nicht mehr verlassen
110
DER BAU PLAN
Gib Gummi und mach was wirklich Elegantes daraus: So entsteht der SchuhKlassiker Gommino von Tod’s
ANDERS OVERGAARD (11)
106 PFO RZHEIM ERO BERT PARIS
Falls es doch mal kühler wird. Wollblazer: Paul Smith.
Wollfilzkleid: Rochas. Plateauschnürschuhe: Wunderkind
Silke Bender begleitete Jean-Marc Weiser,
Inhaber von La Biosthétique, zu einem
Shooting im Musée Rodin. Nein, das ist
nicht da, wo Sie denken
107
TANGO MIT MO NSIEUR A LA ÏA
Zum ersten Mal gibt es einen Duft zur
Marke des genialen Designers. Wir waren
bei der Präsentation dabei – in der Küche
von Monsieur
29
STILISTEN
PHOTO © 2015 DAVID DREBIN. ALL RIGHTS RESERVED
UNSERE LIFESTYLEWEISEN FEIERN DIE MODE – UND FREUEN SICH AUF DEN HERBST
Tief eingetaucht
Diese Mini-Fliegen
von Hermès sind alles
andere als lästig
D I E P E T I T S N Œ U D S PA P I L L O N S
GIBT’S IN DEN HERMÈS-LÄDEN
HERBSTVORSÄTZE
Johnny Talbot
& Adrian
Runhof
Designer-Duo
des Münchner
Modelabels
Talbot Runhof
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1. Herausfinden, was wir ganz persönlich für Flüchtlinge tun können. Jobs schaffen? Praktika? Spenden?
An wen, und an wen besser nicht?
2. Diesmal mit großer Gelassenheit das Pariser Défilé vorbereiten und besonders nett zu allen sein,
die ihre Spätsommertage und -nächte dafür opfern.
3. So lange es nur geht die neuen Marni-Sandalen tragen
4. Abends keine Kohlenhydrate mehr zu sich nehmen (sind wir froh, dass guter Rotwein quasi keine enthält)
5. Öfter ins Hammam gehen und sich anschließend eincremen lassen
6. Endlich den Yoga-Gutschein einlösen, der seit dem Frühjahr herumliegt
7. Nicht mehr nach Berlin fahren, lieber darüber lesen, wie etwa „Das andere Berlin“ von Robert Beachy
8. Alle körpernahen Klamotten aus dem Schrank werfen, jetzt ist oversized mit langen Shirts und Hochwasserhosen dran
9. Sich auf den neuen J.F. Schwarzlose-Duft „Fetisch“ freuen
10. So oft es geht in unserer neuen Münchner Boutique in der Theatinerstraße sein und Ovationen entgegennehmen
HERMÈS
Wer das Paradies sucht, darf nicht an der Oberfläche bleiben. Der Fotograf David Drebin steckt den Kopf deshalb
wenn nötig auch mal in den Swimmingpool. „Chasing Paradise“ ist ein Bildband, der Sinnliches und Verstörendes
vereint: Was eben noch elegant schwamm, droht zu ertrinken und bleibt doch bildschön. Aber keine Sorge, das
Drama spielt sich nur im Kopf des Betrachters ab (nur die
Schuhe sind dann wohl hin). TeNeues Verlag
DER NEUE
CHIC
Emmanuel
de Bayser
KULTURKONTOR / SEPP WERKMEISTER
Mitbesitzer
von The Corner
Berlin
Auf der Straße spielt das wahre Leben – die drei Damen, die da in den
Sechzigern in New York unterwegs sind, beweisen das. Als der Fotograf
Sepp Werkmeister damals mit Streetfotografie anfing, ignorierten ihn die
Passanten. Heute gehört die Technik längst zum Alltag von Models und
Schauspielern. Das Stadtmuseum München zeigt bis 27. September eine
Auswahl Werkmeisters – einfach coole Perspektiven.
TRENDBAROMETER
VON WOLFGANG JOOP
Herr Haka
Als ich für Arte das „Fashion Weekend“ moderiert habe, war
auch ein Beitrag für das Popkultur-Format „Tracks“ dabei.
Es ging um einen Modetrend aus den Townships, drei junge,
arme Schwarze, die einen neuen Dandy Look proklamieren, mit
Fliege und allem Chic. Das Gegenteil vom „Gangsta“ Zeug mit
den runterhängenden Hosen. Wenn grad jetzt Chancenlose mit
ihren wenigen Mitteln diesen exklusiven Look kreieren , dann
finde ich das toll. Das Erleichternde an der Mode ist doch, dass
sie immer einen kleinen Widerspruch parat hat.
LOEWE
Was ist denn da los?
Provozierende Bikinis, ultrakurze
Minikleidchen, eine Orgie von tätowiertem Fleisch – in unzähligen Fitnessstunden mühsam geformt. Ohrenbetäubende Musik, am Strand, am
Pool, im Hotel, im Restaurant, im
Nachtclub. Party 24/7, von einer
angesagten Insel zur anderen, immer
auf der Suche nach neuen Sensationen und hedonistischem Vergnügen.
Der Sommer war 2015 eine Überdosis
an Ultraglam und frenetischem Voyeurismus. Sichtbar und zur Schau
gestellt vor Ort, im Social Media.
Unentrinnbar und allgegenwärtig.
Doch die Teilnehmer an dieser Sause
sollten sich beeilen, sie ist fast zu
Ende. Vorbei die billigen Provokationen und der aggressive Streetstyle.
Vorbei mit Protz, Angeberei und
Bling-Bling. Willkommen neue Romantik, Weichheit, Poesie und multikulturelle Inspiration. Willkommen
Chic und Diskretion, Qualität und
handwerkliches Können. Gucci,
Loewe, Céline, Dries Van Noten. Die
Vorzeigedesigner für die neuen
Trends im kommenden Herbst und
Winter, führen uns in eine ganz andere Richtung. Präzision und Vielfalt.
Kein Diktat, ganz im Gegenteil, die
Akzeptanz der Unterschiede in einer
Welt, die sich rapide wandelt.
Dieselben Einflüsse spürt man auch in
der Architektur und bei Interieurs.
Nach schreienden Farbkombinationen oder unterkühlter Showroomästhetik sehen wir jetzt Lebensräume,
die uns einladen in komfortable,
beschützende, unaggressive Universen. Dem künstlichen „total Look“,
ziehen wir Harmonie, Blumen, Komfort und ethnische Einflüsse vor.
Eklektizismus ist das Schlüsselwort.
Frau Dob
Da begegnet also der Angst vor Verwahrlosung
durch die derzeitige Völkerwanderung die Sehnsucht nach Eleganz und Hoffnung mit leiser Ironie.
War das nicht immer so? Nach dem Krieg malten
Frauen auf die nackten Waden mit Augenbrauenstift eine Nylonstrumpfnaht, schneiderten irgendetwas zurecht, um irgendwie wieder lebensbejahend auszusehen. Es ist nicht die Zeit, dass Mode
„kränkeln“ propagiert.
SEI RAFFINIERT
32
Das Bewährte muss genauso berücksichtigt werden, wie das, was uns heute noch avantgardistisch erscheint, aber morgen
schon Gewöhnung ist. Trends entstehen nicht nur in Mailand, London oder Paris, sondern auch in den Köpfen unserer Kunden, die auf Reisen gehen, Filme, Theaterstücke, Kunstausstellungen, Orte sehen, die sich langsam, aber sicher, wie bei uns
allen, zu neuen Ideen und Sehgewohnheiten formen. Mode hat etwas mit Bauchgefühl und Sehnsucht nach Schönem und
anderem zu tun. Der Zeitgeist liefert die Zutaten für den modischen Mix. Zum Winter setzen sich zum Beispiel Layering
und ein anspruchsvoller und intellektueller Stil weiter durch. Tiefe entsteht durch Qualität: Sartoriale Verarbeitung, höchstwertige Materialien und raffinierte Schnitte stehen im Vordergrund und eigenständige Stilistiken grenzen sich eindeutig gegen das ab, was man langläufig als trendy bezeichnet. Dieser Mode-Herbst wird einer für Persönlichkeiten.
Petra Fischer
Geschäftsführerin
vom „Modehaus
Fischer“ in Singen
Der neue Luxus ist Einfachheit.
Bisschen griechisch-balearischsyltisch-mittigyachtig-labelosiger.
Je älter ich werde – 60 plus 1 – desto
einfacher, unauffälliger, relaxter,
lastloser und kurzhaariger möchte ich
unser Leben feiern. Ballast ist out.
Light ist in. Mein neuester LieblingsFriseur ist der Barber Shop „La Flamme“ in Harvard – für 16 Dollar! (Ohne
Flug). Jeans? Schlicht! „Carhartt“ –
wie kanadische Holzfäller oder die
ausgefranste „Hermès“ ( Label innen). Schlips? Nie mehr! Ausnahme:
Vintage Hermès, die es nicht mehr zu
kaufen gibt. Bescheidener Look
zurück: Je oller, desto authentischer.
Lieblings-Hemden? „Blanc Bleu“ aus
Saint-Tropez (älter als unsere Ehe)
und löchrige Ralph Laurens (XXL).
Leichte Jacken? „Universal Works“
oder hanseatisch „Omen“.
Herbst-Daunen? Die neue „Sansibar“Jacke – trägt auch Seelen-Sylter
Wolfgang Schäuble. Und Regenmantel von „Hansen“. Kaschmir-Pulli –
von „Barefoot Living“ (reduzierterTilSchweiger-Style). Uhren? Keine!
Oder: schwarze „Apple Watch“ – ein
Mini-Wunder mit Telefon (trägt
Schwarzenegger). Aber
mein Arm sehnt
sich nach der
alten Rolex.
Badehose – von
Hotels als
Glück-Souvenirs. Weiße
Hemden –
Brooks Brothers
David Blieswood
(Non iron –
Connaisseur aus Hamburg nicht zum Bügeln). PoloShirts mit Aufdruck? Nur, wenn man
wirklich da war – z. B. „Copa del Rey“.
Strümpfe – nur in Monaten mit „R“ –
und nur von Falke. Schuhe – lange
getragen und immer geputzt.
Koffer? Taschen von „Eastpak“.
Reise-Outfit über „monocle.com“
(von Globetrotter-Profi Tyler Brûlé)
Auto? Langsame Vespa (wie Tom
Hanks & Karaseks).
Slow Living ist das neue Schnell.
34
(C) PHILIPPE HALSMAN / MAGNUM PHOTOS / AGENTUR FOCUS
IMMER MIT
DER RUHE
Abgehoben
Dass Edward VIII. 1936 auf den englischen Thron verzichtete, um die bürgerliche Wallis Simpson zu heiraten, ist das
eine. Das andere ist, dass das Paar dafür
gerühmt wurde, nicht auf dem Teppich
geblieben zu sein: Der Fotograf Philippe
Halsman setzte für sein „Jump Book“
(erschienen bei Damiani) in den Fünfzigern nicht nur die beiden in Szene, sondern auch Ikonen wie Grace Kelly und
Audrey Hepburn. Unser Herz hüpft mit.
Neues von Karl
Lagerfeld:
Depot-Chef
Christian Gries
zuliebe
hat er drei
Kissenhüllen
gestaltet. Katze
Choupette als
Gestiefelter
Kater. Ist für
einen guten
Zweck.
Ab 17.
September
in allen
Depot-Filialen
Pünktlich, wenn das erste Mal die Klimaanlage in der Bahn den
Geist aufgibt, die Maschine zurück aus dem Sommerurlaub hoffnungslos überbucht ist und die See einen Schleier aus Sonnenmilch trägt, dann ist es Zeit für den Herbst. Gemeinsam mit den
Temperaturen heißt es dann: Runterfahren. Gerne auch im Strandkorb, beim Spaziergang am Strand, aber bitte immer zu
zweit. Es ist nämlich so: Zu keiner anderen Jahreszeit wird so viel gekuschelt wie im
Herbst, bestätigen Wissenschaftler und damit die Geburtenrate im warmen Juli.
Die Natur verführt förmlich dazu, mit schummerig goldenem Licht am Tag und einer frühen Dämmerung. Den schönsten „Indian Summer“ gibt es zur Abwechslung mal nicht
auf Sylt, sondern in Bayern. Die Landhotels versinken im bunten Laub und die Bayern
wechseln nun, gelegentlich und zumeist ohne Murren, von Bier auf Wein. Verstehen kann
ich den leidenschaftlichen Biertrinker aber durchaus. Ab einem gewissen Alter weiß man, Herbert Seckler
was man will und braucht – und tut auch nur noch das.
Kultwirt vom
Wenn ich also dem Weißbiertrinker mit einem Glas kalifornischen Cabernet Sauvignon Sylter „Sansibar“
zuproste, dann tue ich das aus tiefstem Verständnis. Mein Favorit kommt vom Weingut
„Far Niente“, was übersetzt so viel wie „nichts tun“ heißt und nach Aromen von Johannisbeeren
und Brombeeren mit einer würzigen Eichennote schmeckt. Einen besseren Begleiter für den
Herbst kann ich mir also kaum vorstellen – wenn auch nur als Dritten im Bunde.
HERBST?
DER TUT NICHTS!
(Jimmy) Choos nach Maß: Farbton,
Stoff oder Gravur, your choice!
Z U M B E I S P I E L I N D Ü S S E L D O R F, K Ö N I G S A L L E E 2 8
Walk of Gaultier
PETER LINDBERGH
Zu selten sieht man sie in freier Wildbahn, die Kreationen
von Modedesigner Jean Paul Gaultier. Schon in Paris war
daher die Ausstellung „From Sidewalk To Catwalk“ sehr
nachgefragt. Bis zum 14. Februar gastiert die multimediale
Inszenierung nun in der Kunsthalle München und zeigt
das breite Spektrum seiner Fantasie. Geht es um Mode
gegen alle Konventionen, war Gaultier doch die erste
Wahl für Madonna, Luc Besson oder Cindy Sherman.
NEUE BÜHNE FÜR
TIM LABENDA
MASSIMO RODARI
Mit seinen klaren Entwürfen hat der
29-Jährige bereits in der TV-Sendung
„Fashion Hero“ (2013) auf sich
aufmerksam gemacht. Dann machte der
Designer auch während des von der
Vogue initiierten Berliner Modesalon
von sich reden. Nun hat Hessnatur den
ausgebildeten Herrenschneider
verpflichtet, sich um die
Herrenkollektionen des Öko-Labels
zu kümmern. Gute Wahl!
Er gilt als einer der talentiertesten Designer der
Stunde. Der in Mailand ansässige Arbesser, 33, wird
am 25. September während der Mailänder
Modewoche seine erste Kollektion für „Iceberg“
zeigen. Auch die eigene Linie „Arthur Arbesser“ wird
der Österreicher erstmalig mit einer Show am 28.
September präsentieren. Chapeau!
MARKUS JANS
GUT. BESSER. ARTHUR ARBESSER
MODE IM PARKHAUS
Alex Eagle
Kreativdirektorin
von „The Store x
Soho House“ in
Berlin und
Besitzerin von
„Alex Eagle“ in
London
36
In London ist in diesem Herbst einiges in Bewegung. Die Fashion Week zieht um. Ab September
findet die Veranstaltung erstmalig im „Brewer Street Car Park“ in Soho statt. Alle sind sehr aufgeregt,
es ist ein mutiger Schritt. Der internationale Event wird sich in völlig anderen Dimensionen und in
einer neuen Atmosphäre einrichten. Etablierte und Nachwuchsdesigner werden hier gleichermaßen
zeigen. Ich freue mich besonders über den Schwung an frischen Designern, mit denen wir jetzt arbeiten. Marques Almeida, der Gewinner des LVMH Modepreises 2015, war bisher vor allem für seine
Denim-Kollektionen bekannt. Nun arbeitet er auch mit anderen Materialien. Dann das inspirierende
Label „Trager Delaney“ sowie „Keji“ von Katie Green, die nach ihrer Zeit als Stylistin beim Magazin
„Love“ im Einkauf von Net-a-porter arbeitete, bevor sie ins Designfach wechselte. Spannend wird
auch die Männer-Kollektion von Phoebe English.
Da Mode auch vom geistigen Austausch mit Kunst, Architektur und Design profitiert, empfehle ich
allen Besuchern, die Ausstellung der Bildhauerin Barbara Hepworth im Tate-Britain-Museum (bis 25.
Oktober) sowie das Design-Festival im Sommerset House vom 21.–27. Oktober nicht zu verpassen.
Nix zu trinken, sondern
personalisierte
Kaschmirschals gibt’s in
der Burberry Scarf Bar
ONLINE UND IN DEN BOUTIQUEN
B AY S WAT E R B A G
M U L B E R RY. C O M
Nebenbei bemerkt, können Frauen nicht so gut
malen. Findet zumindest Herr Baselitz, der damit
bei meinen malenden Kolleginnen Wutausbrüche
gegenüber dem Machismus in der Kunst und natürlich auch Selbstzweifel erzeugte, denn man ist
schließlich Frau. Ich bin mir sicher, Herr Baselitz
hat das damals in jenem Interview ganz nebenbei
gesagt. Ich finde, dass das so nicht stimmt. Allerdings, es stimmt, von den Wenigen, die sich auf
dem zeitgenössischen Kunstmarkt in den oberen
Rängen tummeln, sind noch weniger nebenbei
Frau. Nebenbei kann man eben nicht berühmt
werden. Nebenher Künstlerin sein, endet oft als
Aquarell in der Praxis des Ehemannes. Paula Modersohn-Becker, von Herrn Baselitz zumindest lobend erwähnt, war nur ein kurzes Malerinnenleben vergönnt. Sie starb nach der Geburt ihrer
Tochter. Und ich glaube, hier ist die Antwort auf
die Frage: Warum ist das so? Warum gibt es vergleichbar wenige (bekannte, teure, hoch gehandelte) berühmte Frauen in der Kunst?
Man kann vieles nebenbei machen, das weiß ich,
denn während ich heute früh Florentine Joop
meinen Kindern das Frühllustratorin
stück machte, nebenher die und Autorin
Küche aufräumte, die Post in Berlin
sortierte, meine Mails checkte, die Kinder zum Kindergarten brachte, nebenbei noch ein paar wichtige Erzieher-Eltern-Gespräche führte, mich einer Freundin widmete, der
es schlecht ging, nebenbei meine Termine checkte, nebenbei einkaufen ging, die Hunde Gassi
führte und nebenbei mir ein neues Thema für
meine Kolumne erdachte, neben dem, dass mein
Vater mich anrief, weil ich auch noch Tochter bin,
und Schwester und Partnerin, denn meine Beziehung ist mir wichtig, nebenbei fiel mir auf, dass ich
keine Malerin sein werde. Vieles werde ich nicht
mehr sein, weil ich mich entschieden habe, vieles
andere zu sein.
Paula Modersohn-Becker wusste es ganz genau,
wenn sie Mutter wird, wird sie keine Malerin mehr
sein können. Sie hatte einige Jahre quasi gegen
diese Erkenntnis angemalt, in dem sicheren Wis-
Vorfreude: Inspiriert von
Jil Sanders J+ Linie
entwirft nun Christoph
Lemaire (ehemaliger
Hermès-Designer) für den
japanischen Modekonzern
Uniqlo eine Kollektion.
A B A N FA N G O O T O B E R E T WA I N D E R
B E R L I N E R F I L L I A L E ( TAU E N T Z I E N 7 )
38
UND SONST NOCH
FÜR WIESN-PÜPPIS: Zum Oktoberfest gibt
es von Lili Radu zwei exklusive Saddlebags. Schmankerl: An der Seite baumelt
ein rund zehn Zentimeter großes WiesnMadl als Anhänger, über liliradu.com
——— MÄRCHENHAFT: „Die Geschichte von
Mademoiselle Oiseau“ der Autorin Andrea
de La Barre de Nanteuil und der Illustratorin Lovisa Burfitt hat uns bereits
verzückt. Nun gibt’s Nachschub: „Mademoiselle Oiseau – Die geheimnisvollen
Briefe“ (Kleine Gestalten)——— BENEFIZAUSMISTEN: Ab dem 15. September verkauft Margherita Missoni über 90 private Kleidungsstücke über die Vintageplattform Videdressing.com. Der Erlös
geht an Familien aus Ghana ——— ERSTER!:
Tod’s verlässt sein Terrain: Die ModeKollektionen gibt’s nun über net-aporter.com und mrporter.com ——— DIE
LIEBEN KOLLEGEN: Die Modejournalisten Julia Werner und Dennis Braatz
zeigen in ihrem Bildband „For the Love
of Bags“ die schönsten Taschen von
der Straße, fotografiert von Sandra Semburg (Te Neues)
LILI RADU X SARAH BRANDNER
Unter uns
KLEINE GESTALTEN VERLAG
FLORENTINE JOOP
HOW TO ART – TEIL IV
sen, dass ihr wenig Zeit vergönnt war, sich als
Künstlerin zu entwickeln. Nicht Mutter werden,
das war damals auch nicht drin.
Männern/Künstlern/Malern ist es erlaubt, voll und
ganz in ihrer Kunst aufzugehen. Das ist ein Absolutismus, den die Kunst verlangt. Und verdient.
Nur völlige Hingabe führt zur Vervollkommnung.
Und MANN kann eben nicht viel nebenbei machen. Nebenbei bemerkt, nachdem ich Kinder
bekommen hatte, fühlte ich mich schöpferisch erfüllt. Alles, was ich danach machte, schien nur ein
schnöder Abklatsch dieser wahren Kreativität zu
sein. Dem Drang, mich auszudrücken, konnte ich
im Alltag einer Mutter nicht mehr jederzeit nachgehen. War wohl doch nicht so wichtig gewesen.
Meinen Kindern beim Laufen lernen oder Schlafen zuzusehen war wichtiger.
Fazit? Erstens: Dann malen Frauen eben nicht so
gut. Wo wollte man den implizierten Vergleich
überhaupt ansetzen?
Zweitens: Gemessen an den Möglichkeiten, malten Frauen durch die Jahrhunderte hinweg,
TROTZ ALLEM und JEDEM, fantastisch! Sie
malten heimlich, unter männlichen Pseudonymen,
gegen die Zeit, gegen die Gesellschaft, sie malten
als Frauen unvergleichlich, unvergesslich und über
sich hinaus. Es gibt atemberaubende Kunst von
Frauen, kostbar, meisterhaft und ewiglich.
Und obendrein oftmals ganz nebenbei.
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alsterhaus.de . kadewe.de . oberpollinger.de
ESTATE OF HELMUT NEWTON / MACONOCHIE PHOTOGRAPHY /VICTORIA AND ALBERT MUSEUM
Geht doch!
Nach dem langen heißen Sommer, in dem eigentlich jedes Kleidungsstück zu
viel war, versprechen die dicken, weiten Kaschmirpullover und Ponchos, die
weichen Wildlederhosen und die Bouclémäntel in den Auslagen einen entspannten Herbst mit Temperaturen, die wieder Lust machen auf Mode.
Cowboystiefel aus feinstem Leder mit Fransen, Farben wie Muscheln und
Maronen, Oliven und Offwhite und das immerschöne Schwarz an Schwarz
mit Schwarz, Kombinationen mit viel fließender Seide und ganz viel Trachtiges. Eigentlich braucht man jetzt alles neu!
Wer will sich in einer so schwebend schönen Erwartung eigentlich mit
der nicht so glamourösen anderen Seite der Mode beschäftigen?
Bekannt ist, dass eine Jeans in ihrem Lebenszyklus mehr als 64.000
Kilometer zurückgelegt hat: Im Anbauland, zum Beispiel Indien, wird
die Baumwolle geerntet, in der Türkei zu Garn versponnen, in Taiwan
zu Jeansstoff verarbeitet, mit einer in Polen hergestellten Indigofarbe
dort eingefärbt, in Bulgarien veredelt, in China mit Knöpfen aus Italien
und Futterstoff aus der Schweiz zusammengenäht und in Deutschland
Dr. Maria
mit dem Label „Made in Germany“ versehen. Die später entsorgte
Schneider
Jeans wird in den Niederlanden sortiert und gelangt dann per Schiff
Kreativdirektorin
der Autostadt
nach Afrika. Ein wahrhaft internationales Kleidungsstück! Über die
in Wolfsburg
Klimafolgen der langen Wege, des Einsatzes von Chemikalien und
Pestiziden, dem Verbrauch von 8000 Litern Wasser pro Jeans und
dem Sterben der Flüsse in der Nähe der Färbereien ist viel geschrieben worden. Die schlechten Arbeitsbedingungen an allen Stationen der Produktion,
insbesondere für Frauen, sind bekannt und in Afrika ist der Segen der Secondhand-Kleidung umstritten, da sie die heimische Produktion gefährdet.
Überflüssig zu erwähnen, dass nur ein Prozent des Jeanspreises als Lohn in
den Herkunftsländern bleibt. Natürlich gibt es auch Unternehmen, die auf
fairen Handel setzen, aber ohne einheitliche Zertifizierung in den unterschiedlichen Ländern bleiben die Maßnahmen unübersichtlich.
Stella McCartney verzichtete stets auf Leder und Fell und setzte auf Imitate,
mit großem Erfolg. Vegane Schuhe sind uns noch seltsam fremd und für
Pelzliebhaber ist die Kunstvariante sicher keine Alternative. Aber hinsehen
sollten wir und unsere Kraft als Verbraucher auch wirklich nutzen. Beim Blick in
meinen Schrank war nach diesen Erkenntnissen klar: Ich brauche eigentlich
keine neue Jeans. Gekauft habe ich sie trotzdem, weil die neue dann eben
doch wieder anders war.
40
Wiedererkannt:
Die Fassade des
Londoner Paul
Smith Stores
als Accessoire
N O. 9 G I B T E S I N
V I E L E N FA R B E N
U N D VA R I A N T E N
„KEEPALL“ AUS DER GRAFFITIKOLLEKTION VON MARC JACOBS
UND STEPHEN SPROUT FÜR LOUIS
VUITTON (2001)
WAS BRAUCHEN WIR?
Wer in High Heels hoch hinaus will,
fällt im Zweifelsfall tief. Nadja
Auermann holt sich im „Vogue“Shooting Hilfe von Bodyguards und
Krücken. Dabei noch gut auszusehen, das ist die eigentliche Sensation. Noch mehr extremes Schuhwerk zeigt die Ausstellung „Shoes:
Pleasure and Pain“ im Victoria and
Albert Museum. 200 Paar Schuhe
aus der ganzen Welt, eines aufregender als das andere, können
noch bis 31. Januar in London
bestaunt werden.
KLUG
SHOPPEN
In Zeiten zunehmenden Konsums und Tendenz zur „Fast Fashion“ kommt Qualität eine
ganz neue Bedeutung zu.
Trends kommen und gehen, während hochwertig verarbeitete
Designerteile Bestand haben. Die Marken, die es geschafft haben, mit ihrem klassischen, überall und immer wiedererkennba- Cécile Gaulke
ren Design eine andauernde Begehrlichkeit zu schaffen, haben Gründerin des
meist die höchsten Wiederverkaufswerte. So ist die Nachfrage Online-Secondetwa nach Louis-Vuitton-Klassikern riesig und viele Fans schät- handshops
„Rebelle“ in
zen diese Teile gerade wenn sie bereits Patina angesetzt haben, Hamburg
weil sie mehr Lässigkeit ausstrahlen. Marken wie Chanel, Gucci,
Valentino, Prada, oder Chloé sind ebenfalls sehr wertbeständig, weil sie ihrem Stil treu bleiben und sich dabei trotzdem immer wieder neu erfinden.
Und manchmal, wie zum Beispiel bei den stark limitierten Hermès-Taschen, liegt der Wiederverkaufswert sogar über dem Ladenpreis. Natürlich gibt es auch Kundinnen, die genau das nicht wollen – offensichtlich
ein Label tragen. Nicht zuletzt auch durch skandinavische Designeinflüsse
zeichnet sich ein klarer Trend ab: Understatement und schlichte Schnitte
sind in immer mehr Kollektionen zu finden. So oder so gilt: Die stilbewusste Kundin, die ihre Garderobe mit Bedacht wählt, zahlt nicht nur für einen
Markennamen, sondern vor allem für die Qualität, für die die Marke steht.
OH, LOOK! UNSERE
ICONA ZEIGT IHRE AKTUELLEN LIEBLINGSTRENDS
ILLUSTRATIONEN: JAMES DIGNAN (JAMESDIGNAN.COM)
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von Ruifier
V wie: vollkommen over the top.
Und deshalb perfekt für ein DiscoStyling. Ohrringe von Versace
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Die „Wormwood
Absinthium
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Die figurbetonte „Levi’s
715“-Jeans
setzt Tanzbeine in
Szene
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Von wegen zurückhaltend: Die Ohrringe sind
von Dolce&Gabbana
Icona bleibt
Versuchungen
gegenüber
standhaft in
Stiefeln von
Proenza Schouler über net-aporter.com
42
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Birgt nicht nur Platz für die Bibel.
Die „B14 Bag“ von Coccinelle
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Gar nicht so unschuldige
New Yorker Geschichten von
Dorothy Parker (Kein & Aber)
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Sündhaft
schön! Die
goldene Kette
mit Kreuz in
Diamantpavé
ist von Cada
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von Tom Ford
44
Chanel
Victoria Beckham
Bottega Veneta
Giles
Louis Vuitton
GETTY IMAGES (9); WIRE IMAGE (3); MONTAGE: ICON; ZUSAMMENGESTELLT VON MIRA WIESINGER
Christian Dior
Jil Sander
Céline
Emilio Pucci
Giambattista Valli
Dolce & Gabbana
Moschino
Valentino
Tod’s
Kontrastprogramm
MUSTER
Der so genannten „Schwarzweißmalerei“ haftet im Sprachgebrauch nichts
Gutes an. In der Mode jedoch gilt es nun auf Grauzonen zu verzichten.
Schönste Ensembles im schwarzweißen Mustermix
diesel.com
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Uni ist jetzt
Uniform
Oscar de la Renta
MONOCHROM
Anders als beim „Colour
Blocking“ werden in dieser
Saison kräftige Farben nicht
Tibi
untereinander kombiniert.
Stattdessen trägt man sie von
Kopf bis Fuß. Für den
perfekten „Monochrom-Look“
gilt es, auch Accessoires in
Prada
46
GETTY IMAGES (9); ARMANI (1); WIRE IMAGE (1); MONTAGE: ICON; ZUSAMMENGESTELLT VON MIRA WIESINGER
Hermès
Max Mara
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Boss Woman
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DESIGN RODOLFO DORDONI
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D
ass Alessandro Michele
mit seinen schulterlangen, schwarzen Haaren,
dem Vollbart und den
freundlichen
Augen
aussieht, wie wir uns
gern Jesus vorstellen,
hat wahrscheinlich keine Rolle gespielt bei seiner Ernennung zum
neuen Chefdesigner von Gucci. Gleichwohl
lässt sich ohne übertriebenes Pathos feststellen, dass er für das italienische Modehaus zu
einer Art Messias geworden ist. Gerade mal
ein Dreivierteljahr im Amt, hat der Italiener,
der bis dahin immer nur hinter den Kulissen
(seit 2002 bei Gucci) kreativ war, die Milliarden-Umsatzmarke völlig neu positioniert. Mit
ihm und auch dem neuen CEO Marco Bizzar-
Erst risk,
jetzt fun
Als Gucci Alessandro Michele zum neuen
Designer ausrief, war die Szene irritiert.
Ein Nobody für eine so wertvolle Marke?
Von Nobody kann allerdings keine Rede
sein, hat Inga Griese beobachtet
48
ri, der schon bei Bottega Veneta einen Top-Job
in dieser Position gemacht hat und zum Erstaunen der Szene, den unbekannten Michele
verpflichtete, ist nicht nur ein Spitzenpersonalwechsel zu verzeichnen – eine neue Ära
hat begonnen.
Beziehungsweise knüpft Gucci wieder an die
großen Zeiten an. Die Lässigkeit ist zurück.
Nicht so sexy wie unter Tom Ford, sein Hedonismus der 90er-Jahre ist nicht zu kopieren:
Wer es versucht, endet als Kim Kardashian.
Guccis zeitgemäße Lässigkeit und Respekt
vor Individualität ist in den Kollektionen zu
erkennen, aber vor allem im Auftreten. Im Gegensatz zu den spröden Vorgängern sind Bizzarri wie Michele nahbare Leute. Auf Entourage-Gedöns können sie offenbar verzichten.
Ziemlich abrupt hatte Anfang des Jahres das
Arbeitsverhältnis zwischen der Kering-Gruppe und der damaligen Chefdesignerin Frida
Giannini geendet – und ihr Mann, CEO Patrizio di Marco, ging gleich mit. Die Kunden waren offenbar gelangweilt, die Zahlen straften
das Selbstverständnis ab. Gerade mal fünf Tage blieben Michele nach seiner Verpflichtung,
um sich auf den ersten Auftritt vorzubereiten
und die Männer-Kollektion auf eine neue Vision zu trimmen. Nun hat er zwar einen Riesenapparat zur Verfügung, 70 Designer arbeiten in seinem Team, aber auch dieses musste
ja mal eben völlig umkonditioniert werden.
Michele, der romantische Exzentriker,
schleppte die schönsten Teile seiner privaten
Vintage-Sammlung und alte Möbelstoffe heran, um den Spirit zu befeuern. In seinem Verständnis ist Gucci kein „Fashion-Brand“. Er
will vielmehr einer Schönheit nachspüren,
die sich aus dem Charme einer so alten, traditionsreichen Marke speist und daraus ein neues Bild gestalten, nicht nur eine Kollektion.
Hatten dann die ersten Auftritte im Frühjahr
bei der Prêt-à-porter in Mailand (Jungs in
Schluppenblusen? Die Mädchen blass und in
unprätentiösem Hippie-Look?) noch eine gewisse Ratlosigkeit hinterlassen, was der 42jährige Römer mit dem großen Erbe anfangen würde, wurde mit der für eine Marke so
wichtigen Cruise Collection im Juni deutlich,
wohin die Reise gehen soll. Eine Garage, wenige Meter hinter der Galerie von Ellsworth
Kelly in der 22. Straße, dick ausgelegt mit Orientteppichen, darauf einzelne Stühle wie
sonst nur bei der Haute Couture, bezogen mit
einem Porzellanmuster, das später als Kleid
wieder auftauchen würde. Auf den Plätzen
handgeschriebene Namensschilder. Jeder für
sich, das ist eines der Schlüsselwörter jetzt.
Prominenz war da, aber es gab nicht diesen
dramatischen Starauftritt, der der Mode seit
einiger Zeit die Aufmerksamkeit stiehlt. Die
Models ein Panoptikum an Typen, junge Frauen und Männer, wie eine Persiflage auf gängige Schönheitsideale. Das Wort formell existiert nicht mehr in der modernen Welt. GirlieKleider, Pelzmäntel, Boheme-Roben, Spitze,
Glitzerstoffe, Unisex-Anzüge. Individualität,
Haltung. Das schwere Wort Eklektizismus.
Das sind die Codes der neuen Lässigkeit.
Nach der Show waren die Gäste über die Straße gezogen, in einen Raum mit Industriecharme, der als Umkleide gedient hatte. Nun
mischte man sich dort, die Mitarbeiter, die
Models, der Chef, der Designer – alles war zu
besichtigen, anzusprechen, anzufassen.
Michele trägt bevorzugt T-Shirt, Jeans, Brogues ohne Strümpfe, jede Menge Ringe und
Armbänder (wie nun auch seine Kunden).
„Ich liebe Schmuck. Er ist so persönlich.“
Darum geht es, genau dieses Gefühl. Der
Messias hat kein religiöses Dogma, seine Freude an dem Job ist spürbar
und sichtbar. Und die Freiheit, die
CEO Bizzarri ihm gibt, reicht er
an die Kunden weiter.
KEVIN TACHMANN; GETTY IMAGES (4); MONTAGE: ICON
DIE NEUEN WILDEN
Mehr
Chaos, bitte!
Jörg Ehrlich und Otto Drögsler sind
die Designer des erfolgreichen
Labels Odeeh aus Giebelstadt. Ihr
Fokus lag stets auf Einzelteilen. Ein
Konzept, das in der Branche nun
GETTY IMAGES (2)
generell für neue Impulse sorgt
ESSAY
N
50
Neulich, im Gucci-Flagshipstore in Mailand:
Auf wenigen Kleiderstangen aufgereiht, war
genau das zu erleben, worüber wir beide
schon länger diskutieren. Da hing die letzte
Kollektion von Frida Giannini, der ehemaligen Kreativdirektorin der Marke, neben den
Entwürfen des neuen Kreativdirektors, Alessandro Michele. Beides schaute aus wie Gucci,
aber dennoch komplett anders. Fridas Look
war poliert, posh, konzeptionell, aufgeräumt.
Alessandros Interpretation war viel freier und
setzte auf die Wirkung des Einzelteils. Auf
den ersten Blick wirkte seine Idee fast chaotisch, die spannende Stringenz offenbarte sich
erst bei näherer Betrachtung. Die Botschaft
war jedoch deutlich: „Kauf dir ein Teil und
stell damit an, was du willst. Mach es zu deinem Teil!“ Für uns ist die Arbeit von Alessandro wie eine Zäsur, vergleichbar mit dem Moment, als Tom Ford auf der Bühne erschien,
wobei der natürlich für einen ganz anderen
Spirit stand. Aber dieses Gefühl, dass jetzt etwas Neues losgeht, das ist dasselbe.
Anna Wintour sagte Anfang des Jahres:
„Trend is a dirty word.“ Das ist gewissermaßen
die Konsequenz aus dieser Bewegung vom
eher konzeptionellen Ansatz zum Fokus auf
Einzelteile, Individualität und Vielschichtigkeit. Uns persönlich gefällt das, weil wir mit
Odeeh von jeher diesen Ansatz verfolgen. Es
ist jedoch noch nicht lange her, da war man
mit dieser Vorstellung etwas einsamer.
Die Botschaft „Sei individuell“ ist zwar nicht
neu und wurde auch stetig von spannenden
Medien propagiert. Dem steht jedoch ein Kollektionsverständnis vieler Marken gegenüber,
das diese Losung nicht spiegelte. Da wurde
wieder und wieder ein Farbthema oder eine
Stimmung durchgezogen, vieles hat einen
uniformen Unterton. Hat man fünf Looks gesehen, kennt man schon den Rest.
Doch jetzt bewegt sich was. Design tritt wieder mehr in den Vordergrund, eine Zeit lang
hatte man sich doch sehr in diese sterilen
Konzeptwelten verabschiedet. Marc Jacobs
für Louis Vuitton briefte sein Designteam
wahrscheinlich mit Collagen. Bei Nicolas
Ghesquière hat man jetzt den Eindruck, er
setzt sich Stück für Stück mit seiner Arbeit
auseinander: Erst ein Teil, dann das nächste,
das vordergründig nichts mit dem vorangehenden zu tun hat, und dann das dritte Teil,
das wieder einen völlig anderen Aspekt aufzeigt. Auch das ergibt am Ende einen Look,
aber der ist viel moderner. Hier lebt die Eklektik! Wären diese Art von Kollektionen Bücher,
so müsste man sagen, dass die Tendenz endlich wieder zu vielschichtigeren Geschichten
geht, mit überraschenden Wendungen und
unerwarteten Brüchen.
Wir haben vor Odeeh jahrelang in der Industrie gearbeitet, und wenn wir da zum Beispiel
sechs verschiedene Blautöne in einer Saison
machen wollten, hieß es: „Das geht nicht, das
kann man nicht zusammen irgendwo hinhängen.“ Heute erlauben wir uns den Luxus nicht
einen, sondern zwanzig Drucke zu machen,
wenn wir Lust darauf haben. Oder eben gar
keinen, wenn wir es eher uni wollen. Man beschäftigt sich wieder viel mit dem Produkt
und nicht nur mit der Frage: Wie mache ich
eine Kampagne daraus? Wobei wir den Eindruck haben, dass auch Kampagnen der großen Häuser im positiven Sinne eckiger werden. In einer Zeit, wo auf einmal Schluppenblusen für Männer, Transgenderkampagnen
von Highstreet-Konzernen oder Unisex-Abteilungen in Kaufhäusern ein Thema sind,
wirkt vieles eben doch leicht alt und etabliert.
Die Kunden sind auch immer informierter –
und extrem begeistert sind wir von besonders
kompetenten Einkäufern: Je einzelteiliger
und fragmentierter jemand ordert, desto
mehr kennt der oder diejenige sich in der Regel aus. Jemand, der kommt und nur sagt: „Ich
kaufe das Thema, wie es da hängt“, macht sich
sehr abhängig. Jemand, der auch weiß, wie
man eine Kollektion mit anderen spannend
kombiniert, der ist nicht nur für die Labels,
sondern auch für Kunden heute interessanter
als jemand, der sagt: Ich fülle wie immer 3,5
Meter mit Label X.
Auch der Luxusbegriff wandelt sich. Samstags
Shoppen gehen, Champagner trinken und
sich dann ein Louis-Vuitton-Täschchen kaufen
– wir wollen niemandem diese Vorstellung
absprechen, aber der neue Luxus hat eher etwas mit beschränkter Verfügbarkeit zu tun,
mit Besonderem, das es vielleicht nur an diesem Ort oder in jenem Laden gibt, mit Individualität. Natürlich definiert sich Luxus auch
über Qualität, aber nicht in dem Sinne, dass
alles aus Seide oder Kaschmir sein muss. Es
gibt auch luxuriöse Shetlandwolle-Qualitäten,
und die kratzen halt. Wir finden, das ist der
spannendere Wohlstand.
Vor fünf Jahren haben wir uns ganz bewusst
entschieden, dass wir nicht mehr innerhalb
einer Struktur arbeiten wollen, in der alles
durchorganisiert ist und ständig optimiert
werden muss. Man muss vermeintlichen Fakten auch mal infrage stellen: Was ist sinnvoll,
was nur stumpfe Planwirtschaft? Wir fordern:
Mehr Chaos, bitte! Denn das ist der beste
Nährboden für wirkliche Kreativität.
Unter Kollegen besprechen wir uns oft: Wie
gehst du mit der Schnelligkeit um? Wie
schafft man das alles überhaupt? Wir finden
es so wichtig wie Einzelteile, sich Momente zu
gönnen, die nicht organisierbar sind. Unschuldige Sekunden im Alltag. Irgendwo auf
einer Bank zu sitzen ist oft inspirierender,
mindestens aber so wichtig wie die nächste
Stoffmesse. Man muss sich die Muße nehmen
und sich Entschleunigung leisten, wie eine
Art Mantra: Ich sitze hier jetzt einfach nur
rum. Vieles folgt dann von ganz allein.
Aufgezeichnet von Heike Blümner
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Schön speziell: Rechts
zwei Looks für diesen
Herbst, links aus der
Resort-Kollektion 2016.
Und in der Mitte?
Erdem höchstpersönlich
MARTIN PARR/MAGNUM PHOTOS/AGENTUR FOCUS (1)
R
omantiker müssten es
eigentlich schwer haben in der Modewelt.
Margen, Umsatzzahlen,
Meetings, all diese Dinge holen jeden Träumer
ruckzuck auf den Boden
der Tatsachen zurück.
Doch wer andere zum Träumen bringen will,
und darum geht es in der Mode schließlich
auch, sollte selbst dazu fähig sein – zumindest
ein bisschen. Und mit Sicherheit lässt sich Erdem Moralioğlus Erfolg zu einem großen Teil
darauf zurückführen, dass er es so gut versteht, mit seiner Fantasie immer wieder auf
Reisen zu gehen, dass er wie ein Filmregisseur aus diesen Gedanken Geschichten strickt,
die er dann mit Kleidern erzählt.
Am liebsten ist der Designer dafür allein in
seinem Studio in Shoreditch, wo er „zeichnet,
zeichnet, zeichnet“. Schon als Kind konnte er
„nur gut spielen, wenn ich die einzige Person
im Raum war und vollständig in meinen Gedanken versank“, sagt der Modemann britisch-türkischer Herkunft, der in Kanada aufgewachsen ist und heute in London lebt; die
meisten sprechen ihn nur mit seinem Vornamen an. Vom Eremitendasein ist der 38-Jährige jedoch weit entfernt. Immerhin hat er ein
Unternehmen und ein Team zu leiten. Und er
würde dieses Jahr nicht das zehnte Jubiläum
seines Labels Erdem sowie die Eröffnung eines ersten eigenen Stores im feinen Londoner
Mayfair-Viertel feiern, wenn er es nicht verstanden hätte, seine Fantasie in begehrenswerte und zeitgemäße Mode zu übersetzen.
170 Stores weltweit führen seine Kollektionen.
Frauen wie Keira Knightley, Michelle Obama
und Emma Watson tragen seine Kleider, die
mühelos Preise von fast 4000 Euro erreichen.
Und was für Kleider das sind: Erdem entwirft
die schönsten Modelle, die die überaus lebendige Modeszene der britischen Hauptstadt
derzeit zu bieten hat. Ob er viele kleine ver-
schiedenfarbige Tüllblüten so aneinanderknüpft, dass sie ein verfremdetes CamouflageMuster bilden, schimmernde Jacquards zu luxuriösen Patchworks verarbeitet oder einen
Latex-Trench mit Blumen bedruckt – seine romantische Ader spürt man in jedem Detail.
Doch schöne Oberflächen werden erst so
richtig interessant, wenn man an ihnen kratzt.
„Ich liebe die Filme von Visconti und Hitchcock. Alles darin ist wunderschön, aber man
spürt sofort, gleich passiert etwas Schlimmes.
Diese Spannung liebe ich“, sagt er. Die
Jacquards sind zerfranst, die Blumenstickereien aufgeraut. Solche Kontraste machen den
Reiz seiner Mode aus, die Erdem auch deswegen als „britisch“ bezeichnet, weil sie einerseits sehr keusch daherkommt und dann doch
an unerwarteter Stelle Haut entblößt.
„Meine Mutter war Engländerin und hat sich
ihr Leben lang nach ihrer Heimat gesehnt. Die
einzigen englischen Filme, die in Kanada im
Fernsehen liefen, waren sehr sentimentale,
prächtige Kostümfilme. Als Kind war ich also
immer dieser romantischen Vorstellung von
England ausgesetzt“, sagt Erdem schmunzelnd. „Auch wenn wir unsere britischen Verwandten in einem Apartment in Birmingham
besucht haben, nicht in einem Landhaus.“
Das hat es auch nicht gebraucht. Erdems Mutter, die wie sein türkischer Vater inzwischen
verstorben ist, las ihren zwei Kindern Texte
über Manet vor, und die Puppen seiner Zwillingsschwester Sarah dienten ihm als Mannequins für seine ersten selbst genähten Kleider.
Der Weg in die Modebranche stand bald fest,
und nach einem ersten Designstudium in Toronto zog es Erdem nach London ans Royal
College of Art. 2005 gründete er sein Label,
ein Jahr später stellte er seine erste Show auf
die Beine. „Die Schuhe habe ich mit Sprühfarbe eingefärbt, weil ich kein Geld hatte“, erinnert er sich. Seit dieser ersten Show hat ihn
der British Fashion Council mit mehreren
Preisen ausgezeichnet. Statt eingesprühter
Schuhe sah man auf seiner Show für diesen
Herbst Models, die durch eine aufwendige
Apartment-Kulisse aus Retromöbeln und
40er-Jahre-Tapeten schritten. Und nun das
erste eigene Geschäft, für dessen Design Erdems langjähriger Partner, der Architekt Philip Joseph, verantwortlich zeichnet.
LONDON RULES
Blühende
Fantasie
Als Kind träumte sich Erdem Moralioğlu
durch den Tag. Ein Glück! Seinen
Gedankenspielen haben Frauen die
schönsten Kleider der Londoner
Modeszene zu verdanken
Viel hat sich verändert, doch Erdem sagt, er
lerne jeden Tag dazu. Die dickrahmige Brille,
das schüchterne Lächeln, die jungenhafte Bescheidenheit: alles Posen? No way! „Was ich
am meisten an Menschen liebe, ist Humor. Die
Fähigkeit, sich selbst nicht zu ernst zu nehmen, weiterzumachen und glücklich zu sein,
wissen Sie?“ Dass jemand in dieser ständig um
sich selbst kreisenden Branche solche Sätze
sagt, macht Erdem schon zu etwas Besonderem. Er selbst sagt, er wolle sich den Tag nicht
vorstellen, an dem er alles verstanden habe:
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„Fürchterlich langweilig!“
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Wickelkette „Dew Drops &
Lotus“ von Ole Lynggaard
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Das Sautoir „Lacrima“ mit
Rosaquarz ist von Bucherer
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Es kommt eben doch auf die Länge an!
Das sogenannte Sautoir, die Halskette,
die über kurz oder lang getragen wird,
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Den einen Trend gibt es längst nicht mehr. Nichts ist unmöglich. Alles
geht. Gleichwohl hat jeder Designer eine Art Leitmotiv, ein Keypiece, in
seiner Kollektion. Also baten wir unsere Stylistin Nadia Rath, aus dem
üppigen Angebot dieser Saison die angesagten Looks zusammenzumixen. Und wo ließe sich das besser realisieren als in New York?
FOTOGRAF: TAKAHIRO OGAWA C/O FACTORY DOWNTOWN; STYLING: NADIA RATH C/O FACTORY DOWNTOWN;
MODEL: DOROTA KULLOVA C/O M4 MODELS; HAARE: FELIX FISCHER C/O FACTORY DOWNTOWN, MIT PRODUKTEN VON MATRIX
STYLELINK; MAKE-UP: GLENN MARZIALI C/O FACTORY DOWNTOWN; PRODUKTION: BEATRICE BARKHOLZ C/O ISABEL SCHARENBERG
CREATIVE MANAGEMENT LLC; FOTOASSISTENTEN: NIGEL HO SAND & YU HSING LIN; STYLING-ASSISTENTIN: JANELLE OLSEN
SEVENTIES-GO-EIGHTIES-LOOK: MANTEL IN MAXILÄNGE MIT GEKNOTETER RÜSCHENBLUSE ALS PARADEBEISPIEL FÜR
DIESEN TREND. BUNT WIRD ES DURCH PELZBESATZ IN KNALLFARBE AM ÄRMEL DES PLISSEEKLEIDS
LANGER TRENCHCOAT UND BLÜTE MIT FEDERN: DRIES VAN NOTEN. BLUSE MIT RÜSCHENPASSE: MIU MIU. PLISSEEKLEID MIT
ROSA PELZVERBRÄMUNG: GUCCI. OVERKNEE-STIEFEL ZUM SCHNÜREN IN BLAUMETALLIC: SANTONI
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LINKE SEITE: MOD-STYLE: SIXTIES-TWEED-KLEID
MIT MONGOLISCHEM PELZMANTEL,
DER DEN FELLÄRMEL-TREND AUFGREIFT; DAZU
EINE BESTICKTE CLUTCH
TWEED-KLEID MIT SCHLEIFEN UND BROSCHE:
PRADA. PELZMANTEL MIT WEISSEN
STICKEREIEN: CHANEL. LACK-CLUTCH, BESETZT
MIT PAILLETTEN UND PERLEN: GIORGIO ARMANI
63
ZWANZIGER JAHRE:
PATCHWORK-KLEID: KENZO.
RECHTE SEITE: NERD-STYLE DE LUXE: WICKELWESTE UND CULOTTE-HOSE IN 7/8-LÄNGE. DAZU LOAFER MIT GUMMISOHLE
WESTE MIT GÜRTEL: JIL SANDER. BLUSE MIT STEHKRAGEN:
DSQUARED2. TASCHE AUS LAMMFELL: MULBERRY. RING: POMELLATO. LOAFER: PRADA
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70S FOREVER : DER PONCHO MIT FRANSEN ZUM PATCHWORKTOP UND GRAFISCHEM
PULLI IN KNALLFARBEN. HIGHLIGHT: PATCHWORK-OVERKNEE-STIEFEL AUS WILDLEDER
PONCHO UND PATCHWORK-OVERKNEE-BOOTS: BURBERRY. PULLOVER: BOTTEGA VENETA.
BESTICKTES LONGSLEEVE TOP: ETRO. HOSE MIT JACQUARDMUSTER: DIESEL BLACK/GOLD.
LINKE SEITE: GOTHIC GLAM: PLATEAUSTIEFEL TREFFEN AUF MATERIALMIX: DER OBERE
TEIL IST AUS LEDER, DER UNTERE AUS CHENILLE
LANGE FELLWESTE: BRUNELLO CUCINELLI. KLEID MIT LEDERTOP UND -ÄRMELN: CALVIN KLEIN.
PLATEAUSTIEFEL AUS SAMT MIT PASSENDEN, NIETENBESETZTEN SOCKEN: ALEXANDER WANG
67
FUTURISMUS: KLEID UND STIEFEL AUS GLÄNZENDEM BROKAT
UMHANG IN CAMEL: PORSCHE DESIGN. UMHANG AUS SAMT: SONIA RYKIEL. JACQUARD-KLEID MIT
PERLENSTICKEREIEN: ALICE & OLIVIA. KETTE: TORY BURCH. JACQUARD-STIEFEL: SANTONI
RECHTE SEITE: PATCHWORK LOOK: GRAFISCHE MUSTER AUF DEM ROCK, STREIFEN
AUF DER JACKE UND IM PULLOVER ALS MIX
MANTEL MIT WELLENMUSTER: CHRISTIAN DIOR. STREIFENPULLOVER: TOMMY HILFIGER. LEDERTOP MIT LANGEN ÄRMELN: SALVATORE
68
FERRAGAMO. ROLLKRAGEN: MARNI. WATTIERTER ROCK MIT STEPPUNG UND KONTRASTTASCHEN AUS LEDER: FENDI
In seiner Autobiografie zeigt der Stardesigner Giorgio Armani sowohl Bilder seines Schaffens
als auch private Impressionen. Viele seine Inszenierungen spiegeln Armanis Liebe zum Film
Schön, stark und dabei auch so richtig mächtig:
Giorgio Armani mit seinem Hund. Jetzt hat er eine Katze.
BLICK ZURÜCK
Mode leben
Er sollte Arzt werden, wollte aber Filme machen. Zum Glück wurde
Giorgio Armani dann Modedesigner und Unternehmer – und zwar einer der
erfolgreichsten aller Zeiten. Jetzt, mit 81 Jahren, erzählt er in dem
gleichnamigen Bildband sein Leben in Bildern und Geschichten. Und erlaubt
70
damit nicht nur einen Blick in seine Arbeit – sondern auch in seine Seele
ARMANI (7); ALDO FALLAI (2); PIERO BIASION (2); CHRISTIAN MOSER; MAURIZIO
PRACELLA; GIAN PAOLO BARBIERI; JACQUES OLIVAR; MARCO GLAVIANO
Giorgio Armani ist
durch und durch
Familienmensch.
Rechts ist er mit
seinen Nichten
Silvana und Roberta Armani zu
sehen; auf dem
Foto unten mit
seinem verstorbenen Lebensgefährten Sergio
Galeotti
Klein-Giorgio ziert
das Cover der Autobiografie
(Mitte); Mutter Maria Armani
war zu Lebzeiten eine
elegante Erscheinung (links);
Foto aus der Armani
Eyewear-Kampagne 1990
(oben)
Italienischen Chic gab es in
der Familie schon, bevor Sohn
Giorgio Designer wurde. Die
Familie mit Schwester Rosanna beim Spaziergang und
Vater Ugo bei der Zeitungslektüre (links), und mit den
Kindern am Strand (rechts)
E
Es gibt viele Bilder, die einem reflexartig einfallen,
wenn der Name Armani fällt: Der stets braun gebrannte
Mann mit dem freundlichen Lächeln und den strahlenden Zähnen zum Beispiel. Szenen aus dem Film „American Gigolo“, allen voran Richard Gere im Mantel, oder
elegante Frauen, nicht von dieser Welt, hingegossen in
Roben, schöner noch als jede cineastische Fiktion.
Doch Giorgio Armani hat kein ikonisches Foto für das
Cover seiner am 29. September bei Rizzoli erscheinenden Autobiografie gewählt. Stattdessen schauen wir auf piccolo Giorgio, auf ein
Baby mit offenem, wachem Blick, dem man am liebsten das pralle
Bäckchen knutschen möchte. Ein properes, kleines Wunder, von dem
man sich fragt: Wie wurde aus diesem Kind einer der berühmtesten
und mächtigsten Designer der Welt? Dieser Frage spürt Giorgio Armani nun selbst nach. Talent muss er einfach mitbekommen haben –
alles andere erarbeitete sich der junge Armani selbst.
Geboren 1934 im norditalienischen Piacenza, wuchs er in einer von
Entbehrung geprägten Zeit auf. Nach einem abgebrochenen Medizinstudium zog er 1957 nach Mailand und arbeitete unter anderem für Nino Cerruti. Zusammen mit seinem inzwischen verstorbenen Lebensgefährten Sergio Galeotti gründete er 1975 das Unternehmen Giorgio
Armani und eroberte mit einer bis dahin nicht gekannten modernen
Eleganz die Welt – und noch immer ist er führend.
Für sein Buch öffnete Armani sein privates Archiv, mit Bildern aus seinem unmittelbaren Umfeld und von seiner Familie, mit der er bis heute eng verbunden ist. Als er vor einigen Jahren sehr krank wurde, päppelte ihn seine Schwester Rosanna mit Schonkost wieder auf.
In filmisch anmutenden Sequenzen beschreibt der Bildband anrührend und anspruchsvoll Erinnerungen, prägende Eindrücke und die
Entwicklung seines Stils. Das Geheimnis seines Erfolgs lüftet er dennoch nicht vollständig – und das ist nicht weiter verwunderlich. Eine
Heike Blümner
gewisse Magie kann man eben nicht erklären.
71
FATTO A MANO
Andrea und Giuseppe Santoni sind in vielerlei Hinsicht ähnlich geraten. Vor allem aber teilen sie eine Vision
Pappa e Ciccia
Kleider machen Leute. Schuhe aber sagen einiges über ihren Charakter aus.
So sieht das zumindest Familie Santoni, die nun seit 40 Jahren luxuriöse Schuhe
herstellt. Mira Wiesinger hat sie in Italien besucht, Thomas Meyer fotografierte
F
72
ragt man Giuseppe Santoni,
wie viele Schuhe er besitzt,
dann antwortet er prompt
und ungeniert: „350 Paar.“
Natürlich sind es fast alles
Modelle aus der Fabrik seiner Familie. Artfremd seien
einzig ein paar Nike-Sneaker. „Ich mag es eben manchmal bequem“, gesteht er mit einem Gesichtsausdruck, als sei
das Gesagte ein kleines bisschen unanständig.
Der Chef einer der glamourösesten Schuhmarken der Welt – „diese Schuhe sind wie guter Sex mit einem wirklich schönen
Mann“, urteilte einst das britische „Tatler“-Magazin – trägt heute einen dun-
kelblauen, zweireihigen Blazer mit Goldknöpfen, knöchelkurze Hosen, eine Kette mit Heiligenanhänger und ein Paar dunkelblaue Lederslipper aus eigener Produktion. Er trägt sie
barfuß. Als Stilmittel. Und es ist mehr als heiß
zu dieser Jahreszeit in Corridonia, dem Heimatort seines Vaters Andrea. 1975 hatte dieser
das Unternehmen mit seiner Frau Rosa inmitten der sanften Hügel der Marken gegründet.
Wie bei vielen damals endstandenen Handwerksbetrieben kam mit der nächsten Generation die Globalisierung ins Haus. Vater Andrea, Erfinder jener speziellen, längst kopierten Poliertechnik, die dem Leder seine ikonische Patina verleiht, hatte zwar auch schon
Kunden jenseits der italienischen Gren-
zen, doch mit dem anglophil geschulten Sohn
Giuseppe bekamen auch Begriffe wie Marketing, Expansionsstrategie, Kooperationen erfolgreiche Rollen im Betrieb.
„Wenn man unsere Schuhe trägt“ – Giuseppe
Santoni schaut verschwörerisch, als er fortfährt –, „dann fühlt man sich sofort eleganter.“
Darin sehe er sich bestätigt, seit der französische Designer Philippe Starck einmal zu ihm
gesagt habe: „Ihre Schuhe sind Objekte der
Begierde – ich würde sie am liebsten allesamt
besitzen.“ Die Kunden kämen eben nicht, weil
sie ein neues Paar brauchten, „sondern weil
wir sie in Versuchung führen“, sagt er mit
dem Selbstbewusstsein eines Geschäftsmanns, der die globalen Luxusmärkte 3
Moderne Ansichten: Das Hauptquarter von Santoni
So wird ein Schuh draus: Leder kommt auf den Leisten
Übung macht den Meister: Die Schule der Santonis
Sie treibt’s gern bunt: Fiorella beim Färben eines Schuhs
Glanzleistung: Durch 100 Händepaare geht hier ein Schuh
3 intensiv studiert hat. Der Rest sei heutzutage Voraussetzung: gute Passformen, Komfort,
perfekte Verarbeitung, Topmaterialien. „Wenn
du das nicht hast, kannst du gleich einpacken.“
Giuseppe Santoni, ein weit gereister Mann,
der seine Familie, schnelle Autos, teure Uhren
und italienische Grandezza liebt, spricht aus
Erfahrung. Direkt nach dem Schulabschluss
stieg er ins Familienunternehmen ein, ging
schon mit 19 Jahren auf Geschäftsreise. Im
Jahr 1990 sagte sein Vater: „Nun gehst du nach
Japan und öffnest dort den Markt für uns.“ Als
er ins Flugzeug nach Tokio stieg, war er bereits CEO der Firma – mit 23. „Er wollte, dass
ich ein großer Junge werde“, sagt der Sohn
beinahe ehrfürchtig.
Überhaupt, wenn Giuseppe Santoni von seinem „papà“ spricht, dann immer mit viel Achtung. Er sei ein großer Visionär gewesen, als
er die kleine Manufaktur aufbaute. Damals
schon hätte er erkannt, dass man in Zeiten von
billigen Klebschuhen aus Fernost unbedingt
das Gegenteil tun muss: in Qualität investieren. „Es gibt ein italienisches Sprichwort, das
besagt: Wenn du Geld sparen willst, wirst du
am Ende mehr ausgeben. Man sollte sich also
überlegen, wie man Dinge besser machen
kann. Dann kommt das Geld von ganz allein“,
sagt er. Die Zahlen geben ihm recht: 18 Prozent Wachstum konnte das Unternehmen 2014
verzeichnen – eines der wenigen, das tatsächlich zu 100 Prozent einer Familie gehört.
Trotz großen Lebensstils kümmert sich Giuseppe um vieles selbst, so wie der Vater es getan hat. Und deshalb ist auch nach wie vor die
gesamte Produktion von Herren-, Damen-,
Kinder- und Turnschuhen unter den Dächern
inzwischen dreier Werkshallen auf dem
15.000 Quadratmeter großen Gelände untergebracht. 500 Paar Hände arbeiten hier tagtäglich daran, dass aus kostbarem Kalbs-,
Straußen-, Pferde-, Rochen- oder gar Krokodilleder, aus Kork, Wachsfarbe und weißen Fäden Schuhe entstehen, die nun vor allem auch
Frauen um den Verstand bringen sollen. Vor
zehn Jahren erst hatte man die Damenlinie
etabliert, heute mache sie bereits 45 Prozent
des Gesamtumsatzes aus.
Unter Dröhnen und Quietschen, Surren und
Schnurren, Sausen und Brausen wird in der
Fabrik das Leder von Hand oder mittels Laser
geschnitten, werden die Einzelteile des Oberschuhs mit alten Pfaff-Maschinen zusammengenäht, bis daraus nach und nach eine bereits
schuhähnliche Form entsteht. Diese wird
dann meist mit einer Maschine auf einen Leisten gehämmert, auf dem sie mindestens vier
Wochen verweilt, bis sie auf die Ledersohle
genäht werden kann. Ein braun gebrannter
Mann namens Luigi, der weiche Wildlederslipper zum roten Kittel trägt, kann es noch
mit der Hand: Dafür wirft er sich eine Handvoll Nägel wie Erdnüsse in den Mund und gibt
sie einzeln, einen nach dem anderen, zwischen zusammengepressten Lippen wieder
frei. Diese Technik hat er mit der Zeit perfektioniert. Seit 30 Jahren arbeite er für die Santonis, mit Giuseppe ist er schon gemeinsam
zur Schule gegangen, das prägt.
Durchschnittlich 170 Arbeitsschritte braucht
es, durch rund 100 Paar Hände geht ein Schuh,
bis er fertig ist. Eines dieser Handpaare gehört
zu einer Frau mit pink lackierten Fingernägeln. Sie heißt Fiorella und koloriert seit 20
Jahren Schuhe für die Familie Santoni. Es
dauere etwa eine Stunde, bis ein naturfarbenes Leder eine andere Farbe angenommen
hat. Etwa vier Stunden brauche ein für das
Haus typischer Farbverlauf. Dafür müssen bis
zu zehn Schichten Farbe mit einem Läppchen
und viel Geduld aufgetragen werden. Diese
Technik hat der 76-jährige Andrea selbst entwickelt. Er legt Wert darauf, dass das Wissen
weitergegeben wird.
Dafür hat er eine Schule eingerichtet, in der
aktuell zehn junge Leute ausgebildet werden.
Hier werden „Stitching“ und „Colouring“ gelehrt, aber auch das Schneiden von kostbaren
Ledern will geübt sein. Vier bis fünf Jahre
dauere es, bis ein Schüler das beherrscht. Und
bis er weiß, wie man Hanffasern von Hand
wachst, wie man sie mittels einer Spule und
viel Körpereinsatz verzwirbelt, wie man sie
über dem Knie rollt, bis eine robuste, wasserabweisende Schnur entsteht.
Warum man sich heute solch zeitintensive
Techniken überhaupt noch leisten kann? Signore Santoni Senior zieht den einen Mundwinkel nach oben und sagt: „Weil Leute, die
schöne Dinge lieben, immer Geld für schöne
Dinge ausgeben werden.“ Und warum springen diese Leute ausgerechnet auf die drei
Worte „made in Italy“ an? Jetzt folgt der zweite Mundwinkel: „Wir sind nicht besser als andere. Aber wir haben den besseren Geschmack.“ Sein Sohn pflichtet ihm bei: „Wir
sind umgeben von Schönheit, von großartiger Architektur, wundervoller Landschaft
und gutem Essen – all das reflektiert sich
auch in unserer Arbeit.“
Damit das so bleibt, kommt Vater Andrea immer noch jeden Tag. Morgens
begrüßt er seine Mitarbeiter, überprüft dann stichprobenartig die Qualität der Schuhe, sieht in der Schule
nach dem Rechten. Seit Tochter
Ilenia 2012 verstarb, lässt er es
jedoch ruhiger angehen. Seinen weißen Kittel, jahrelang sein Erkennungszeichen,
hat er seit dem Schicksalsschlag gegen Jeans
und gestreifte Hemden eingetauscht. Unverändert, ja mehr denn je teilt die Familie seitdem Freud und Leid. Wie Pech und Schwefel,
„come pappa e ciccia“, wie man in Italien sagt,
halten die Santonis zusammen. Und deshalb
ist auch sie jeden Tag hier: eine sehr kleine
Frau im rosa Kittel. „Sie mag klein aussehen“,
erfahren wir von Mitarbeiterin Silvia, während sie die Fäuste ballt, „in Wirklichkeit aber
ist sie eine große Frau.“
Die sehr kleine große Frau ist Giuseppes Mutter Rosa und der gute Geist der Fabrik. Aus ihrem Kittel lugt ein geblümter Saum hervor,
während sie ihrer Arbeit nachgeht. Geschäftig
und gut gelaunt läuft sie zwischen den Näherinnen umher – genäht wird grundsätzlich
von Frauen, gehämmert und geschnitten von
Männern, so will es die Tradition – , transportiert Kartons, hebt den Zeigefinger, erklärt.
Die Santonis, das wissen alle hier, seien alle
stets ansprechbar.
Wenn man Giuseppe dann fragt, ob Schuhe etwas über den Charakter eines Menschen aussagen, antwortet er prompt und ungeniert:
„Klar! Wenn ich versuche zu verstehen, wer jemand ist, dann schaue ich auf seine Schuhe.
Und auf seine Uhr. Auf diese Weise weiß ich
sofort, mit wem ich es zu tun habe.“ Was es
aussagt, dass sein Gast heute BirkenstockSchuhe trägt? „Na, dass auch Sie es manchmal
bequem mögen.“ Und da ist er wieder, dieser
vielsagende Gesichtsausdruck.
Da stehen Frauen buchstäblich drauf: Modelle
aus der aktuellen Herbst-/Winterkollektion
Die Grahams (rechts unten) gründeten das Hotel, das bald zum Inbegriff des Jetsets in der Toskana werden sollte; und die
Star-Fotografen Slim Aarons, John Swope und Juergen Teller (Mitte) zeigten das Dolce Vita in einem Buch
Leben auf der Sonnenseite: Die Liste der Gäste, die im „Il Pellicano“ vorbeischauten, ist zu lang, um sie hier vorzustellen. Sie ist auch gar nicht so
wichtig – hier geht es nämlich darum, dass man als Mensch ins knallbunte Gesamtensemble passt
JÜRGEN TELLER, HINTERGRUND: IL PELLICANO HOTEL; SLIM AARONS/HULTON ARCHIVE, JOHN SWOPE 1965 © HOTEL IL PELLICANO, DAGMAR VON TAUBE, CASS BIRD; MONTAGE: ICON
In den Sixties entdeckte ein amerikanisches
Paar in der Toskana eine unberührte
Bucht bei Porto Ercole
und baute die Villa Il Pellicano.
Zum 50. Geburtstag ist die familiäre
Atmosphäre des Hotels wichtiger denn je
SLIM AARONS/HULTON ARCHIVE/GETTY IMAGES
UNTERWEGS
Wer nicht schwimmen will, kann sich auch ein Riva-Boot mieten oder einfach nur gucken
I
78
ch war einmal an diesem Ort, einmal für zwei
Nächte“, schrieb Bob Colacello, Amerikas Gesellschaftsreporterlegende der „Vanity Fair“
über seinen Besuch. „Ich wünschte, ich hätte
zwei Wochen bleiben können. Oder zwei Monate!“ Der Mann hatte gute Gründe: Colacello
erinnerte sich an Stunden am Fuß des Felsens
am Strand, an das zementierte Plateau, zu
dem man über viele kleine Klippenstufen hinabstieg oder im Outdoor-Fahrstuhl hinunterglitt. An Bäder im Licht toskanischer Sonne und Limonade zur Erfrischung: „So vergeht ein typischer ,Il Pellicano‘-Tag: In nichts
als in seinen Badekleidern lebend, eine dicke
Biografie über eine Königsfamilie lesend oder
eine leichte, schnelle Novelle, und ab und zu
kühlt man sich im smaragdgrünen Meer oder
dem Salzwasser-Pool ab – Italien, wie man es
sich schöner nicht erträumen kann.“
Jahrzehnte später liegt man dann selbst auf
diesen zitronengelben Badetüchern, neben
sich eine genüsslich schnarchende Fürstin
beim Mittagschläfchen und weiter hinten Eugenie Niarchos und Bianca Brandolini mit
schwarzen Brillen in Bikinis. Oder man
lauscht in der Mittagshitze im Suite-eigenen
Garten voll duftender Rosmarinbüsche dem
entspannten Plopp-Plopp eines Tennisspiels –
und denkt: Kein Wunder, dass sie schon immer alle in dieses Hotel kamen nach Porto Er-
cole, dem südlichsten Zipfel der Toskana. Elsa
Peretti und Charlie Chaplin, Königin Beatrix,
die Agnellis und die Borgheses natürlich.
Ihnen gehörte in den Sechzigern dieses Stück
Land. Slim Aarons, der weltberühmte Fotograf, hat seine hiesigen Ferien gleich als ganzes Buch dokumentiert. Sein Kollege Juergen
Teller feierte allein die Gerichte des SterneKochs in einem eigenen Bildband. Musiker
wie Bono sommern gern hier. Denn das kann
dieser Ort, darin liegt seine Faszination, erklärt Angelika Taschen, Verlegerin und Interiordesignerin, die sich auskennt mit Hotels:
„Zur Schönheit kommt eine Intimität, die
kein Paparazzo stört. Man checkt hier auch
nicht ein als anonymer Gast, sondern wird von
der Familie empfangen, die das Anwesen –
fünf Häuser, 50 Zimmer – bis heute privat
führt. Keiner muss sich hier verstellen. Jeder
darf einfach nur sein, ganz ohne Furcht vor
der Beäugung, dem Skandal. Das Glück des
guten Lebens.“
Mit einer Lovestory fing es an: Patricia Daszel,
eine vermögende Amerikanerin, und ihr britischer Ehemann Michael Graham, ein bekannter Pilot, fanden das Kap vor 50 Jahren auf ihrer Suche nach einem Liebesnest. Sie kauften
das Kliff, setzten eine Villa darauf und tauften
sie „Il Pellicano“. Wohlhabende Freunde halfen bei der Finanzierung, im Gegenzug beka-
men sie kostenlos Logis. Und die besten Partys: „Die Feste der Grahams waren legendär
und zogen Aristokraten, Hollywoodstars und
Industrielle aus der ganzen Welt an“, erzählt
Roberto Sciò, Immobiliensammler aus Rom,
und erinnert sich an früher: „Michael war unglaublich elegant – und ein Snob dazu. Damals
gab es 18 Zimmer hier, neun davon nur für die
Chauffeure, wenn Sie verstehen, was ich meine ...“ Sciò verliebte sich in das Anwesen und
kaufte es Graham im Jahr 1979 ab. „Ich habe es
nur ein wenig vergrößert und den Garten in
Schuss bringen lassen.“ Sciò war nie Hotelier,
sagt aber, es sei alles ganz einfach, wenn man
die Verhaltensregeln beherrsche: „Money
talks, wealth whispers, nicht wahr. Tragisch,
heute haben Angestellte wie etwa Nannys oft
bessere Manieren als ihre Herrschaften. Aber,
ecco, wenn jemand nicht zu uns passt, sind
wir eben ausgebucht.“
Nach der Vergrößerung des Hotels kam 2007
Robertos Tochter Marie-Louise Sciò zum Einsatz und modernisierte sämtliche Innenräume. Aber sachte, betont die studierte Innenarchitektin und heutige „Pellicano“-Chefin. Gerade steckt sie inmitten der Vorbereitungen
für die große „Pellicano“-Jubiläumsparty zum
Fünfzigsten. Missoni rollt bereits meterlange
Teppiche im Garten aus und schmückt die
Bäume mit riesengroßen bunten Lampions.
Sie müsste eigentlich dringend das Placement
fürs Dinner arrangieren. Egal. Sie streicht sich
durchs poolnasse Haar. „Dies ist mein absolutes Glück!“, sagt sie. „Nichts kann mich hier
aus der Ruhe bringen.“ Mit einem Badezimmer fing sie die Renovierung an – „hellere
Farben, keinen aggressiven Glamour, einfach
nur komfortabler.“ Sie lacht. „Nachdem mein
Vater überzeugt war, durfte ich an den Rest.“
Seitdem hängen in den Zimmern tropische
Pierre-Frey-Stoffe und eine Fornasetti-Tapete
im Restaurant. Vom Liegestuhl über die Fliesen im Bad bis zur Menü-Karte – das meiste
hat sie selbst entworfen. Der Barefoot-Contessa-Stil: „Es darf nicht bemüht wirken, sollte
mit der Gegend verbunden sein, man muss es
fühlen, gekonnt mischen, aber auch wissen,
wann man aufhört!“ Das schönste Kompliment sei für sie, wenn Gäste sagten: „Irgendetwas hat sich hier verändert, aber ich weiß
nicht, was.“ Nun muss sie aber doch los, Barmann Federico wartet auf sie. Er war in sämtlichen Grandhotels beschäftigt, von der
Schweiz bis runter nach Sardinien. Und türmt
nun für die große Party Gläserpyramiden auf
für seinen Select auf Eis: „Der ist nicht so süß
wie Aperol und hat eine noch schönere
Farbe!“ Überhaupt: Wenige ausgesuchte Gäste
hat er mit einem Signature-Cocktail auf seiner Karte verewigt: Für Margherita Missoni
entwarf er den „Angurita“ mit Melonensaft,
Juergen Teller liebt seinen „Negroni“ mit ein
paar Spritzern Chinotto. Und wenn der Mond
dann über dem Meer steht, endet es immer
mit dem berühmten Wer-als-Erster-in-denDagmar von Taube
Pool-fällt-Tanz.
Statt üblicher Hotelpuschen: Supergas mit Initial;
Personalisierte Bar-Karte: Juergen Teller mag’s mit Chinotto;
Angelika Taschen schwört auf ihren „Pink Angel“ mit Mandelmilch
Ralph Lauren
Sportmax
Salvatore Ferragamo
Mulberry
Alberta Ferretti
Etro
GETTY IMAGES (8); FILMMAGIC (1); WIRE IMAGE (1); MONTAGE: ICON; ZUSAMMENGESTELLT VON MIRA WIESINGER
Chloé
Tory Burch
Jimmy Choo
Lanvin
Gucci
Marc Jacobs
Immer
wieder
Bohème
Anna Sui
HIPPIE-GLAM
70er-Jahre-Silhouette, Blütenprints,
Erdtöne, Mustermix, Fransen, Fell und
Flatterhaftes – wear it easy, babe!
& Oth
er Sto
r ie s
Burberry Prorsum
Hermès
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KOMPLETTES OUTFIT: DOLCE & GABBANA
L
Eigentlich kommt hier keiner rein. Nicht umsonst handelt es sich
bei Mustique um eine Privatinsel. Umso schöner, dass wir an
diesem Ort in der Karibik vier Tage lang Mode inszenieren durften.
Wo andere unbeobachtet die Hüllen fallen lassen können, hüllen wir
unser Model in die Gewänder der Saison
e venmyt stique
FOTOGRAF: ANDERS OVERGAARD C/O KATHRIN HOHBERG; STYLING: NADIA RATH
C/O KATHRIN HOHBERG; MODEL: ALEXINA GRAHAM C/O MUNICH MODELS;
HAARE/MAKE-UP: RIKKE DENGSOE C/O KATHRIN HOHBERG; PRODUKTION: DENISE BROWN;
FOTOASSISTENT: DAVID JAFFE; STYLING-ASSISTENZ: JANELLE OLSEN; DIGITALASSISTENT: TERTIUS BUNE.
BESONDERER DANK AN DENISE BROWN, DAS VILLA YEMANJÁ HOTEL UND DIE MUSTIQUE COMPANY
82
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M
agic Mustique
Heißt Mustique
die „Mückeninsel“,
weil sie so klein ist? Oder wurde
sie nach den lästigen Blutsaugern
getauft? Niemand weiß es.
Fest steht dagegen: Es ist eine
der exklusivsten Privatinseln
der Welt. Eine Stippvisite
in der Karibik
Die Nebensaison auf Mustique hat etwas für
sich: Nicht nur, dass die Strände noch leerer
und die Villen wenigstens etwas günstiger
sind. Das Schöne ist, dass die ohnehin nie
überlaufene Insel dann noch privater wirkt
und man sofort zur Familie gehört. Das Wetter
ist ja das ganze Jahr gleich – mollige 30 Grad.
Das einzige Hotel der Insel, das „Cotton House“, lädt jeden Dienstagabend zum Champagner-Empfang. Und in Ermangelung anderer
abendlicher Amusements kommen sie alle:
Die wenigen Langzeitbewohner und der gesamte Vorstand der „Mustique Company“, der
die Insel gehört und der sie wie eine Privatregierung verwaltet. Es sind etwa zwei Dutzend
Menschen, die sich seit Jahrzehnten kennen
und denen jedes frische Gesicht eine Abwechslung vom Palmen umwedelten Inselalltag ist.
Die gesellige Nicki Archibald, deren Ehemann James die Baufirma auf der Insel betreibt und die die meiste Zeit des Jahres hier
verbringt, stellt vor: „Gestatten, das ist unser
Präsident, unser Premier- und Umweltminister und dort der Verteidigungsminister.“ Gelächter. Simon Humphrey, der als „Verteidigungsminister“ titulierte Sicherheitsbeauftragte, ist ein gemütlicher Scotland-Yard-Veteran. Wenn er lacht, wogt sein ganzer Körper.
Im Moment hat er kaum zu tun, denn es sind
keine VIPs oder gar Royals auf der Insel. Kriminalität ist auf Mustique so gut wie inexistent, seine Hauptaufgabe ist somit die Abwehr
von Paparazzi. Als 2013 Fotos von der schwangeren Kate, Herzogin von Cambridge, im Bikini auftauchten, war das in etwa das Watergate
von Mustique. Jedoch: „Wir haben den Übeltäter gefunden“, erzählt er zerknirscht. „Es
war ein Gast, der in der Villa nebenan einquartiert war – er hat nun lebenslanges Einreiseverbot.“ Je später der Abend, desto prickelnder die Klatschgeschichten, „Aber
pssst ... Das bleibt doch unter uns?“ Natürlich.
Auf Mustique, diesem nur rund fünf mal zwei
Kilometer großen Eiland, sind etwa 100 Privatvillen über die vielen steilen Hügel und
Strände verteilt; die rund 500 einheimischen
Kreolen leben im Lovell Village und arbeiten
hauptsächlich als Angestellte in den Villen
oder für die Mustique Company. Diese finanziert auch die Grundschule, mehrere Kirchen,
den Inselarzt, den Flughafen, die Flugzeuge
und die gesamte Infrastruktur der Insel, und
zwar mit den Steuern, die die Villenbesitzer
als Teilhaber der Gesellschaft bezahlen. Am
nächsten Tag führt Stuart Ward, der Chief
Operating Officer und „Umweltminister“,
stolz durch die Recyclinganlagen, in der die
Essensreste aus den Villen mit Gartenabfällen
zu Humus verarbeitet werden und mit dem er
unter anderem den Schulungsgarten düngt:
Hier können die Inselbewohner nachhaltigen
Gemüse- und Obstanbau lernen. Ein kleines,
exklusives System, das der Exzentriker Colin
Tennant – ein Mann aus dem britischem
Hochadel – ab 1958 entwickelte.
Für nur 45.000 Pfund kaufte Tennant einst die
gesamte Insel, die nach dem Niedergang der
Zuckerrohr- und Baumwollproduktion brach
lag. Er baute mit dem „Cotton House“ das erste Hotel, brachte erst den Strom und dann den
Jetset auf die Insel – allen voran Prinzessin
Margaret und Lord Snowdon, denen er zur
Hochzeit ein Stück Land schenkte, auf dem
sie ihre Villa „Les Jolies Eaux“ errichteten. Mit
ihnen kam wiederum der Pferdesport, in Ehren gehalten von Liz Saint, die einen Reitstall
mit 17 Tieren betreibt. Mit den englischen
Royals kamen die Rockstars und der amerikanische Geldadel. Heute sind entlang der Ansecoy Bay Leute wie Bryan Adams, Mick Jagger
und Tommy Hilfiger direkte Nachbarn.
Fast alle diese Villen, jede mit ihrem eigenen
Stil, stehen zur Vermietung, wenn die Besitzer
nicht da sind. Die Mustique Company setzt auf
Diskretion: Vermarktet werden die Villen einfach nur nach der Anzahl der Schlafzimmer.
„Star-Stalker, die unbedingt im Bett von Mick
oder Bryan schlafen wollen, werden aussortiert“, sagt Denise Brown, die Managerin von
„Yemanja“. Die nach der Meeresgöttin der Yoruba benannte Villa verfügt über acht Schlafzimmer, drei Pools, zehn Hausangestellte und
den wohl schönsten 360-Grad-PanoramaBlick über die Insel; 1800 Quadratmeter
Wohnfläche, kleine Terrassen und Gartenecken, die Rückzugsorte für jeden bereithalten. Der Infinity-Pool mit dem Blick auf Strän-
de, Meer und Berge und der mit Palmwedeln
bedeckte, gigantische Pavillon aber sind so
einladend, dass man nur eines will: diesen außergewöhnlichen Ort ebenfalls erleben.
Wann steht einem schon ein Butler zur Verfügung, der Drinks, hausgemachten Eistee und
ausgezeichnetes Essen reicht, wann immer einem danach ist?
Ein bisschen Star-Stalking können wir uns am
nächsten Tag dennoch nicht verkneifen. Wir
wollen zum ehemaligen Haus von David Bowie. Wegweiser fehlen gänzlich. Wer auf den
steilen und kurvenreichen Straßen mit den
offenen „Mules“, einer Art benzinbetriebener
Golfkarren, fährt, fühlt sich als Indiana Jones,
der eine unbewohnte Robinson-Insel bereist.
Selbst Denise, unser Guide und seit Jahren auf
Mustique zu Hause, braucht mehrere Anläufe,
bis sie „Mandalay“ findet. Dieses Haus im balinesischen Stil gehörte zehn Jahre lang dem
britischen Popstar.
Kostbare Schnitzkunst, bizarre Masken,
Wandmalereien und eine asiatische Gartenarchitektur mit Wasserfällen und Koi-Teichen
machen dieses üppig dekorierte Anwesen zu
einer markanten Kulisse. 1996 kaufte es der
britische Verleger Felix Dennis. Er wandelte
das ehemalige Studio des Sängers in ein Gästehaus um, das versteckt im unteren Teil der
Anlage liegt. Der im letzten Jahr verstorbene
Maxim-Gründer vererbte das Haus seiner Stiftung „The Heart of England Forest“, die nun
von den Vermietungen profitiert. Dennis war
passionierter Raucher, kunstvolle Aschenbecher in jeder Ecke des Hauses zeugen davon.
Selbst wenn die Besitzer nicht anwesend sind,
erzählen ihre Möbel, Kunst und privaten Fotos
in den Häusern eine Menge.
Ein großer Schuss weißer Bacardi, etwas Cola
zwei Eiswürfel und ein Spritzer Zitrone: So
verlangte Colin Tennant einst seinen Cuba Libre bei Basil Charles. 1972 war Charles, Fischersohn von der Nachbarinsel St. Vincent,
noch Barkeeper im „Cotton House“, nun ist er
seit fast 40 Jahren Besitzer von „Basil’s Bar“.
Es kommt schon mal vor, dass einer wie Denzel Washington den grau melierten Herrn im
weißen Kaftan kennenlernen will: „Denzel
wer?, habe ich gefragt“, sagt Basil und lacht.
„Ich kannte seinen Namen nicht, sein Gesicht
aber schon.“ Er hat die Geschichte der Insel
von den Anfängen bis heute erlebt: die rauschenden Partys von Tennant in den Seventies
und die schrillen Kostüme von Bianca Jagger.
Eric Clapton spielte auf dem von Basil begründeten Mustique Blues Festival. „Basil’s
Bar“, diese angenehm unprätentiöse Bretterbude gleich neben dem Fischmarkt im Dorf,
ist und bleibt Treffpunkt des Nachtlebens –
Einheimische sind ausdrücklich willkommen.
An diesem Abend im „Cotton House“ ist Basil
selbst ein hofierter Gast am Tresen. Er lernte
Skifahren mit britischen Adligen im fernen St.
Moritz, und er war zur Hochzeit von Kate und
William eingeladen. Es dauert lange, bis er
sich kritischere Töne entlocken lässt: „Es wäre
schön, wenn Einheimische hier endlich die
Jobs machen würden, die bisher nur Ausländer bekommen – und sie gleich bezahlt würden.“ Basil selbst träumt von Bali: „The Balinese do it better“, sagt er. Englische Zeitungen
zitierten ihn jedoch: „Wenn Leute mich fragen, woher ich komme, sage ich immer: Ich
weiß nicht, wo das Paradies ist, aber ich wohne nebenan.“ Beides sei irgendwie wahr.
Nächstes Jahr will er endlich seine Autobiografie veröffentlichen. Bis dahin habe er sicher eine klare Antwort parat. Silke Bender
93
REINEN WEIN EINSCHENKEN
Die Welt ist ungerecht –
jedenfalls sieht es in
der Franciacorta ganz
anders aus als – sagen
wir mal – in LiverpoolCroxteth oder so.
Doch bei aller Schönheit
wird hier zur Erntezeit
sehr hart gearbeitet
Gönn dir ein Gläschen: Wer in der Franciacorta am örtlichen Produkt nippt, hält die
Erde hinterher für ein ganz angenehmes Fleckchen in den Weiten des Weltalls
M
aurizio Zanellas Geschäft mag der Wein
sein, doch wer den
Präsidenten der Vereinigung der Franciacorta-Winzer auf seinem Gut besucht,
wird zuerst einmal Zeuge einer eigenwilligen
Liebe zum Tier. Die Störe beispielsweise, die
direkt neben der Einfahrt im Becken der 007reifen Gesamtanlage mit Hubschrauberlandeplatz herumpaddeln, werden nicht etwa wie
sonst so oft getötet, wenn sie ihren Zweck als
Kaviarlieferant erfüllen. Zanella lässt sie mit
einer Injektion betäuben, die Eier herausmassieren – und danach geht es für die Fische bedröhnt, aber immerhin lebendig zurück ins
Bassin.
Die Plastikwölfe, die überall auf dem Gut Ca’
del Bosco zu finden sind, erklären sich
schnell: Beim Wolf handelt es sich um das
Symboltier der gesamten Region in Italiens
schönem
Norden.
Erläuterungsbedarf
herrscht dagegen bei Zanellas lebensgroßem
Kunststoff-Nashorn; es hängt an der Decke
über den Stahlbehältern, in denen sie nach
der Ernte im August den Saft sammeln und
passt dorthin wie – tja – ein Plastikrhinozeros
in die Produktionsstätte hochwertiger Weine.
Nachfragen betreffs dieses Werks vom Künstler Stefano Bombardieri bringen Zanella keineswegs in Verlegenheit: „Diese Tiere gehen
unbeirrt ihren Weg“, sagt er unter seiner
Halbglatze, „Das kann auch in meinem Geschäft nicht schaden.“ Aber das ist wahrscheinlich nur ein Teil der Wahrheit. Alles
weitere hängt am „Gentleman im Stockwerk
über uns“, wie Zanella seinen Boss im Himmel bezeichnet: Der entscheidet nach fester
Überzeugung des Gutbesitzers durch das Wetter mehr über die Qualität des Produktes als
er selbst. Lang anhaltender Regen oder zu viel
Sonne kann das Niveau eines ganzen Jahr-
gangs drücken – dieser Sommer war sehr
warm und trocken. Da kann man das Nashorn
als eine Art rausgestreckte Zunge interpretieren: Lieber Gott, in der Halle beginnt mein
Einflussbereich – und wenn ich da ein
Plastiknashorn haben will, dann häng ich das
eben hin, ätsch, mach doch was dagegen.
Die Aktion besagt nicht nur etwas über Zanella, der seine Lippen bevorzugt dann kräuselt,
wenn er über Dinge wie sein Verhältnis zum
großen Gentleman spricht, sondern auch viel
über die Bewohner dieses Landstrichs in der
Lombardei. Traditionell der Stahlindustrie genauso verbunden wie der Landwirtschaft,
wissen die Menschen zwischen den Gipfeln
der Alpen und dem Wasser des Iseo-Sees um
die Macht der Elemente. Weinbau ist bereits
seit dem Jahr 1809 überliefert, doch mit dem
edlen Stoff ging es erst zu Beginn der 60erJahre des 20. Jahrhunderts los. Davor, so erklärt es Zanella, war es seit dem Ersten Weltkrieg mehr als 50 Jahre lang das Ziel gewesen,
möglichst viel zu produzieren, um die Versorgung mit dem Grundnahrungsmittel Wein sicherzustellen. Über die Landesgrenzen hinaus entstand ein entsprechendes Billig-Image, mit dem man noch immer zu kämpfen hat.
Der sehr mineralhaltige Boden in der Franciacorta eignete sich kaum für industrielle Landwirtschaft, die Erzeugnisse von Zanella und
Co. sind somit recht neu auf dem Markt.
Weil das Produkt meistens perlt, muss sich die
Region heutzutage, ob sie will oder nicht, mit
der Champagne vergleichen lassen. Es ist die
Geschichte des antiken gallischen ComicDorfs, das mit seinem Zaubertrank den übermächtigen Römern trotzt, unter umgekehrten
Vorzeichen: Etwas mehr als 15 Millionen Flaschen aus der Franciacorta werden jährlich
verkauft, dagegen stehen 337 Millionen Flaschen Champagner. Ein eigener Humor
scheint unter solchen Voraussetzungen einfach zum Handwerkszeug zu gehören.
Wenn man durch die Landschaft kurvt, fällt es
allerdings schwer, zu glauben, dass es für die
113 Konsortiums-Betriebe auch Härten geben
könnte. Das Elend der Welt ist zwischen den
sanften Hängen weit weg – zu mehr als vier
Fünfteln kultivieren sie hier Chardonnay, bei
den roten Trauben dominiert Pinot Noir. Die
herausgeputzten orangefarbenen Häuschen,
die Eichen-, Kastanien- und Pinienwälder, das
türkisfarbene Wasser des Iseo-Sees, seine Brise und das Aroma seiner Fische, das Gemüse,
Lamm und Rind aus der Region auf dem Teller, all das vervollständigt den Eindruck eines
glücklichen Landstrichs. Angeblich wollte George Clooney vor ein paar Jahren auf dem See
eine Insel mit riesiger Burg erstehen, aber er
bekam sie nicht. Ob die Geschichte stimmt
oder nicht, macht kaum einen Unterschied:
Diese Gegend hat Hollywood nicht nötig. 3
Tier und Wein muss sein:
Maurizio Zanella von
Ca’ del Bosco ist Chef der
Winzer-Vereinigung und mag
Nashörner und Wölfe
Italiens unentdeckte Perlen
Jeder kennt Prosecco, kaum einer den ungleich höherwertigen
Franciacorta. Das soll sich ändern. Philip Cassier und Fotograf
Massimo Rodari haben sich auf in die norditalienische
Region gemacht – und nicht nur über Weinbau viel gelernt
95
Franciacorta perlt – und passt doch zum Essen.
Das sagt nicht nur der Winzer Riccardo Curbastro (r.)
Der Beistand des Herrn kann beim Genuss
nicht schaden – schließlich sind wir in Italien
Cristina Ziliani vom
Gut Berlucchi (l.) empfängt
gern im Palazzo mit
Wandgemälde und
historischer Küche.
Der erste Jahrgang, der
glückte, war 1961 – eine
Flasche steht deswegen im
Keller unter Glas
96
3 Doch Einheimische registrieren sehr wohl, dass das Tempo in
den vergangenen Jahrzehnten
zugenommen hat. Der Skipper
Paolo, der auf dem Iseo-See
durch die unwirkliche Kulisse
aus Bergen und Wasser schippert,
kam vor 56 Jahren hier zur Welt.
Er lernte das Bootsbauer-Handwerk, weiß alles über das Verhältnis von den Bewohnern des Ufers
zu denen der Insel und vermisst
um sich herum immer mehr die
Fähigkeit, einfach so in den Tag
zu leben. Das Steuerrad seines
Motorbootes hat er dabei auch
mit seinem sonnengebräunten
Fuß im Griff. Nach dem Tod seiner Frau war er eine Weile in Nicaragua, er überlegte, auszuwandern. Aber zum Schluss siegte
doch, was er kannte – und das
sind der See und seine Anwohner, selbst wenn es für ihn weniger gemütlich geworden ist.
Der Handel mit dem edlen Wein,
der heute alles dominiert, kam
schleichend. Die Ursprünge lassen sich am besten beim Marktführer Guido Berlucchi nachvollziehen, rund vier Millionen Flaschen produziert der Betrieb nun
jährlich. Cristina Ziliani, Tochter
des Mitgründers Franco, geleitet
in das Labyrinth der Kelleranlagen hinab, in
dem die Flaschen in Batterien zwischen dem
Mauerwerk stehen. Man kann sich kaum vorstellen, dass der Hausherr Guido Berlucchi in
den 50er-Jahren nur ein paar Flaschen guten
Schaumwein für den Hausgebrauch wünschte. 1955 saß der Mann, der die Jagd und Sportwagen liebte und vorzugsweise englische
Maßkleidung trug, am Flügel im großen Zimmer seines Palazzos, als der Händler Franco
Ziliani zu einer Audienz erschien. Die beiden
– Ziliani ist bis heute im Unternehmen – wurden sich rasch einig, gemeinsam mehr zu wagen. Aber die ersten Flaschen platzten, zu viel
Druck baute sich auf. Also studierte man die
Methoden der Champagne; wie lange man
den Wein dort bei welchen Temperaturen lagert, wie oft man die Flaschen beim Reifen
bewegt, all das.
Bei Maurizio Zanellas Ca’ del Bosco lief es
ähnlich, bei ihm war es die Mutter, die in den
60er-Jahren von Mailand aus zunächst ein Refugium auf dem Land suchte, um hochwertige
Lebensmittel für sich selbst anzubauen. Bis zu
den ersten serienreifen Flaschen gingen einige Jahre ins Land. Zanella hält es bis heute für
einen glücklichen Umstand, dass seine Mutter
pünktlich in dem Moment den Produkten der
industriellen Landwirtschaft überdrüssig
wurde, als ein Markt für Exklusives entstand.
Und bei Berlucchi bewahren sie die erste Flasche, deren Inhalt für gut befunden wurde, im
Keller angestrahlt hinter Glas auf. Auf dem
Etikett steht das Jahr 1961: „Ich weiß gar nicht,
ob man die noch trinken kann“, sagt Cristina
Ziliani, und gibt mit angedeutetem Lächeln
Selbstironie zu erkennen.
Wenig Spaß verstehen sie hier dagegen bei
den Qualitätsstandards. Es ist aber auch eine
vermaledeite Angelegenheit: Das Wort
„Schaumwein“ klingt nicht nur in Deutschland nach Schießbude, Dinge wie Asti Spumante oder auch Prosecco bringt man welt-
weit mit Italien in Verbindung, ohne dass sie
annähernd Franciacorta-Niveau hätten, und
mit Champagner will man wegen der Größenverhältnisse lieber nicht verglichen werden.
Wie soll man da eine Position definieren?
Meist behilft man sich doch mit dem Verweis
auf Frankreich – denn die Richtlinien in der
Franciacorta sind rigider als die in der Champagne; so müssen die Trauben mit der Hand
gepflückt werden, weil nur das eine Kontrolle
durch das menschliche Auge garantiert. Pro
Hektar Anbaufläche werden höchstens 9,5
Tonnen Trauben gewonnen, und jede Flasche
muss mindestens 18 Monate lagern, Vintageund Reserva-Produkte sogar erheblich länger.
All das sorgt dafür, dass die Schwankungen in
der Qualität recht gering sind, ob das Gut nun
10.000 Flaschen produziert oder Millionen.
Wer allerdings schon einmal mehr als einen
Italiener in einem Raum erlebt hat, wird einen Begriff von den Nöten eines Maurizio Zanellas gewinnen, wenn er 113 Winzer auf immer höhere Standards einschwören muss.
Bisher hat er sich noch immer durchgesetzt.
Ihm helfen allerdings auch Mitstreiter wie
Riccardo Ricci Curbastro. Der Spross einer
1200 Jahre alten Familie war selbst schon Präsident des Konsortiums: Ein Typ mit extrabreitem Lachen, grauen Haaren und Weimaraner Jagdhunden, den man eine wandelnde
Definition des Wortes „Nobilität“ nennen darf.
Er gibt zu, Italiener seien nicht besonders
qualifiziert in der Disziplin, gut zusammenzuarbeiten. Historisch sei Italien sehr durch seine Regionen geprägt – die Konflikte zwischen
ihnen seien sehr hart gewesen, das wirke
nach. Dann fügt Curbastro frei nach de Gaulle
hinzu, in einem Land, das mehr als 400 Sorten
Bohnen kenne, sei ein Konsens nun einmal
schwierig zu erreichen. Curbastros und Zanellas Strategie? Überzeugen, so lässt Curbastro völlig schweißfrei in der Mittagssonne
durchblicken, könne man die Gegenpartei
nur, wenn man ihr das Gefühl vermittele, sie
sei zuerst auf die Idee gekommen, die man
selbst vertrete. Er garniert den Satz mit einem
ganz beiläufigen Heben der Augenbrauen.
Auf seinem Gut hat Curbastro ein kleines Museum untergebracht – zu jedem Ausstellungsstück, sei es eine Säge oder ein Ochsenjoch,
kann er präzise sagen, was es damit auf sich
hat. Und obwohl er wie Zanella nicht davon
überzeugt ist, dass das Logo „bio“ eine höhere
Qualität garantiere, weil man sich bei einer
vollkommen ökologischen Bewirtschaftung
noch mehr von den Launen des „Gentleman
im Stockwerk über uns“ abhängig machen
würde, arbeiten sie beim Anbau so viel wie
möglich mit natürlichen Lösungen.
Ob es den perfekten Wein gebe? Ricci Curbastro kneift die Augen zusammen. „Unmöglich“, sagt er entschieden. „Was für Sie perfekt
ist, muss mir nicht schmecken.“ Ein schöner
Satz. Ob er stimmt? Nach der Verkostung am
schweren Holztisch bei mildem Sonnenschein vor der Tür lässt sich sagen: Zunächst
einmal ist es möglich, Franciacorta trotz seiner Perlen nicht nur als Aperitif zu trinken,
sondern sogar zum Fleischgang beim Essen.
Speziell bei den Vintage-Weinen kann nur ein
Ignorant den Aufwand hinter diesem Produkt
nicht erschmecken.
Und die Wirkung nach dem ersten Glas –
mehr muss gar nicht sein – trägt einen dahin,
wo man offen gestanden gern häufiger wäre:
Mitten hinein ins Bewusstsein, jetzt leicht einen sitzen und unbeschwerte Minuten vor
sich zu haben.
Der Iseo-See zeigt mit seinem türkisfarbenen Wasser
nicht nur ein einzigartiges Farbenspiel – er sorgt auch
mit seiner Brise dafür, dass die Temperaturen im
Sommer nicht zu hoch für die Trauben werden
SONNTAG, 13. SEPTEMBER 2015
Global Diary
CAP-FERRAT
Wenn die Formulierung „Ein Ort, an dem die
Zeit stehen geblieben ist“ auftaucht, bedeutet
das für gewöhnlich, dass dem Autor nichts eingefallen ist. Noch dazu stellt sich die Frage, ob es
überhaupt wünschenswert ist, wenn nichts vorangeht: Jeder, der beispielsweise je in einem
deutschen Restaurant den 50er-Jahre-Klassiker
„Fettiges Kotelett mit einer umgedrehten Dose
Erbsen“ vorgesetzt bekam, wird eine eindeutige
Antwort auf diese Frage haben. Doch existieren
diese Momente, in denen man einfach froh ist,
wenn ein Blick aus dem Fenster vor 100 Jahren
nicht anders war als heute, wenn man glauben
darf, früher sei alles besser, weil langsamer und
MONASTERIO DE
SANTA MARÍA
98
Erinnern Sie sich? An die Zeit, als man statt WhatsApp und E-Mail
noch Karten von fremden Orten schrieb? Wir tun es noch immer.
Illustriert von Tim Dinter
übersichtlicher gewesen. Deshalb ist es immer
wieder ein so gutes Investment, an der Côte
d’Azur vorbeizuschauen – und hier speziell im
„Grand-Hôtel du Cap-Ferrat“.
Ganz allein an der Spitze des Caps gelegen,
herrscht sofort Distanz zu allem, was auf der Erde sonst noch so los sein könnte. Das großzügige
weiße Gebäude mit seinen hohen Decken, der
opulente Garten voller Pinien und Palmen und
das tatsächlich azurblaue Wasser hinter der felsigen Küste bürgen für den diskreten Hauch von
Ewigkeit – vollends das Personal sieht in seinen
grauen Uniformen aus, wie man das aus dem
Hitchcock-Film „Über den Dächern von Nizza“
kennt. Die Zimmer sind selbstverständlich mit
allem ausgerüstet, was die technische Moderne
hergibt, aber mal ehrlich: Wer dazu in der Lage
ist, bei diesem Blick aufs Meer den Fernseher
einzuschalten oder mobil im Netz zu surfen, dem
hilft kein Hotel der Welt mehr, der muss wohl
ganz woanders mal vorbeischauen.
Wer unbedingt Abwechslung braucht, sollte sich
bei Pierre Gruneberg im Freiluft-Salzwasserpool
eine Schwimmstunde genehmigen. Seit 1951 ist
der 84-jährige Mann aus Draht da und hat sie
dementsprechend alle erlebt: Elton John, Belmondo, Bono und so weiter. Das allein ist schon
ein Alleinstellungsmerkmal – wirklich einzigartig
aber ist Grunebergs Methode, Schwimmer ausund weiterzubilden: Bevor es ins Salzwasser des
Pools in den Felsen geht, muss der Schüler in ei-
Auf ins Kloster. Rund 900
Jahre Geschichte stecken in
den Sandsteinmauern des
Fünf-Sterne-Hotels „Abadía
Retuerta LeDomaine“ am Ufer des Duero in Kastilien. Ich residiere in den
ehemaligen Stallungen. Alle Räume sind heute wohltemperiert durch ein
Warmwasser-Ökoheizsystem. Die Zimmer haben einen direkten Zugang
zum 1000 Quadratmeter großen Spa, mit über vier Meter hohen Räumen
und sonnigen Lichthöfen unter Weinreben. Dort wird eine recht einzigartige Önotherapie angeboten, was naheliegend ist in der vom Weinbau
malerisch geprägten Umgebung. Glücklich machender Weise gehören
auch innere Anwendungen zum Konzept. Bereits bei der Weinverkostung
setzt unmittelbar die entspannende Wirkung des „Blanco de Guarda“ ein,
ein exzellenter regionaler Weißwein. Zeder mit Mandeln, Calendula und
Macadamianuss, diese Aromen begleiten den Gast durch alle Anwendungen. Tiefenmassagen setzen Endorphine frei, selbstwärmende Mineralmasken alles Ungute in den Poren an die Luft. Zweieinhalb Stunden gar
dauert ein Detox-Wrap, fest in Algen und Weinblätter eingewickelt komme ich mir vor wie ein griechischer Dolma.
Das „Desayuno“, also Frühstück à la carte, lässt sich wunderbar still im Refectorio genießen. Dort, wo früher die Mönche aßen, leitet
ein gewisser Pablo Montereo heute das Gourmetrestaurant. Meditation und innere Seelenruhe
waren bereits dem Prämonstratenser-Orden
im 12. Jahrhundert heilig. Orte dafür gibt
es einige zu entdecken: Im Kreuzgang
mit Lavendelhecken und Brunnen, im
Klostergarten mit Froschteich, zwischen den Weinreben am Flussufer. Im
Dunkeln lenkt ein Teleskop im Hof den
Blick nach ganz oben. Kein irdischer
Schein stört in dieser Abgeschiedenheit
den Anblick des dichten Sternenzelts.
Uta Petersen sammelt Spa-Erfahrungen
wie andere Postkarten
ner halb mit Wasser gefüllten Salatschüssel das
Atmen üben. Das sieht ziemlich bescheuert aus,
wenn man den Kopf hineinsteckt, wirkt aber fantastisch, wenn man beispielsweise beim Kraulen
endlich weniger Wasser schlucken will. Pierre
Gruneberg wird einen bei allem gleichermaßen
aufmerksam wie nachsichtig begleiten.
Küchenchef Didier Aniès ist einer der wenigen
französischen Köche, die in Deutschland gearbeitet haben: Was er auf die Karte schreibt, bewegt sich zwischen reiner Klassik – ein definitiver
Salade niçoise – und angepasster Tradition: Sterneküche bedeutet für ihn, dass ein gebratener
Langostino in einer lauen Nacht auf der Terrasse
nach Langostino schmeckt und eine Karotte
nach Karotte. Sein Oberkellner garniert den
Gang beim Servieren nach ausführlichen Erläuterungen gern noch mit einem „Vive la France!“ –
damit man auch bestimmt nicht vergisst, wo man
sich befindet. Seit Mai gehört das Haus zur FourSeasons-Gruppe, altgediente Mitarbeiter loben
die neue Servicekultur, freilich ohne dass je der
überlaute amerikanische Enthusiasmus ausbrechen würde. Und seit selbst die Russen hier begriffen haben, wie leise vornehme Menschen
auftreten, gibt es nichts mehr, das die Würde
dieses Ortes anfechten könnte. Sich an so einem
Ort ein paar Tage vom Lauf der Welt freimachen
zu können, darauf lohnt es sich zu sparen.
Philip Cassier glaubt seit diesem Besuch an
der Côte d’Azur wieder fest an Frankreich
SKELETON
COAST,
NAMIBIA
Endloser, blauweißer Himmel, rote
und goldgelbe Dünen, auf denen bei
Sonnenuntergang eine Giraffe spaziert. Ich liebe die Wüste! Aber Design in der Wüste? Ich habe nicht
dran geglaubt – bis mich eine 30
Jahre alte winzige Cessna in
der Palmwag Konzession in
Namibia absetzte. „Wilderness Safaris“, das
südafrikanische Ökotourismus- und Umweltschutz-Unternehmen, hat dort sein
zwölftes Resort namens „Hoanib Skeleton Coast Camp“ eröffnet: Fünf Sterne und acht
sandfarbene Zeltbauten in
einer von Steinbergen umringten Ebene am Hoanib Flussbett. Heiß und kalt, diesen TagNacht-Bedingungen muss die Anlage trotzen. Die Möbel ließ der Designer Chris Weyland hauptsächlich in Südafrika fertigen. Den Accessoires,
wie den Schalen aus Kabeldraht, gab er einen modernen Twist. Gelaufen
wird auf Holz und Beton. 30 Angestellte begleiten maximal 12 Gäste, die
Lebensmittel werden über 76 km mit einem Truck in die Einöde geliefert.
Urlaub im Kaokoland kann bedeuten: Aufwachen im Boxspringbett mit
Blick aus dem Panoramafenster, wenn gerade ein Elefant seinen Rüssel in
ein Wasserloch taucht. Oder der Gast wird mit dem Landrover in das trockene Tal des Hoanib gefahren und kann dort Tiere bestaunen, Löwen,
Wüstenelefanten, Hyänen, Oryxe. Oder man bleibt einfach sitzen im
Camp und staunt über das Ambiente.
Wenn die Ausrüstung stimmt, lässt sich Inge Ahrens auch gern mal von
Naturschauspielen überwältigen
CAROLIN SAAGE FOR DESIGN HOTELS™ MADE BY ORIGINALS; PIET BOON BONAIRE/DESIGN HOTELS; GETTY IMAGES
UNTERWEGS
Chillen auf den Antillen
Modernes Design, Salzfelder und der kleinste Strand der Welt. Die
karibische Insel Bonaire ist nicht groß, aber voller Überraschungen
D
Das Aufpumpen des Kites hört sich an
wie das Rufen eines kleinen Esels. Piet
Boon, in Shorts und Sport-Shirt, entwirrt
die Seile seines „Drachens“, dann zieht er
ihn ans Wasser, und Sekunden später
fliegt der Niederländer die Küste entlang.
Fährt man mit der Vespa parallel zu ihm die
Straße hinunter, sieht man ständig wechselnde Blautöne des Meeres. Und dann das: wilde
Esel, die zwischen Sträuchern Schatten suchen. Es ist offensichtlich, warum der niederländische Designer und Bauherr Piet Boon
sich in Bonaire verliebte, diesen winzigen
Fleck in den Kleinen Antillen, der geografisch
zu Südamerika gehört, aber von den Niederländern verwaltet wird. Inzwischen könnte
man die Insel auch „Boonaire“ nennen. Boon
boomt hier. Die erste seiner 16 Villen sieht
man schon beim Landeanflug auf das Eiland,
zwischen den typisch karibischen Häusern
fällt die große Glasfront des modernen Kubus
gleich auf.
Der sportliche Unternehmer empfängt auf
dem größten der von ihm erschaffenen Anwesen, dem „Kas Dorrie“. Man tritt durch ein
gigantisches Holzportal ein und sieht als Erstes: das Meer! Hinter Wohn- und Esszimmer
glitzert es zwischen schwarzen Sonnenschirmen. Der Gastgeber lässt Zeit zum Staunen.
„Hey, ich bin Piet“, sagt der Mann in Shorts
und sonst nichts. Sein linkes Bein ist böse zerkratzt. „Kiten“, sagt er grinsend.
Wie hat er Bonaire für sich entdeckt? „Ich verbrachte mit meiner Familie die Weihnachtszeit im Haus eines Freundes. Am letzten Tag
erfuhr ich, dass in der Nähe ein Grundstück
verkauft werden sollte“, sagt Boon. Tatsächlich schaffte er es, das Land zu erwerben, und
erbaute seine erste Villa im Südwesten der Insel. Dort besuchte ihn ein anderer Freund, der
verliebte sich auch, man kaufte ein weiteres
Grundstück, und so ging es weiter.
Der niederländische Designer
Piet Boon (oben) und seine
modernen Ferienvillen (oben
links); Blick auf Bonaire (links)
Boons Villen sind frei stehende Ferienhäuser,
kein Resort oder Club verbindet sie. Jede Villa
ist anders konzipiert, sie eint der „boonsche
Stil“. Er, international erfolgreich als Designer
moderner, klassisch-luxuriöser Möbel, hat einen Faible für Qualität, Gemütlichkeit und
ganz besonders für Symmetrie. Seine weiß
getünchten Häuser bringen zeitgenössisches
Flair auf die sonst ein wenig verschlafene Insel mit ihren wechselnd im Kolonialstil oder
Shabby Chic gehaltenen Hotels. Sie haben
leicht angeschrägte Dächer, mehrere Terrassen, die dank konstanter 27 Grad Außentemperatur als zweite Wohnzimmer dienen, sowie einen Pool. Die ebenfalls von ihm entworfenen, schweren Holzmöbel trotzen Sonne
und Wind, die meisten Schlafgemächer haben
Bäder en suite. Alle Böden sind aus gegossenem Beton, ebenso die Küchenblöcke.
„Auf Bonaire haben wir dem Wind zugewandt
gebaut. Wenn man die Jalousien, die wir entworfen haben und die hier produziert werden, öffnet, wird das Haus automatisch durchgepustet“, erklärt der Designer. Tatsächlich
umweht uns während des Gespräches im Salon immer eine leichte Brise, die vertikalen
Holzlamellen an den Fenstern und Türen sind
leicht geöffnet und generieren zusätzlich ein
schönes Schattenspiel an den Wänden.
Eigentlich müsste man seine Villa gar nicht
verlassen: Jossie, die Verwalterin, füllt für jeden Gast den Kühlschrank. Morgens kann
man im Halbschlaf in den Pool plumpsen und
sich danach in der Hängematte vom steten
Wind schaukeln lassen. Aber mit Jossie, auf
Bonaire geboren und nach langjährigem Europa-Aufenthalt wieder zurück auf Bonaire,
lässt sich einfach zu gut
auf dem Vespa-Sozius die
Insel erkunden.
Immer auf der Hauptstraße von Kradelijk gen Süden kurvend, ist ständig etwas zu entdecken.
Wie der vermutlich kleinste Strand der Welt:
Auf einem Parkplatz ziehen Menschen ihre
Schuhe aus und verschwinden an einer PoolLeiter in die Tiefe. Einige Kilometer weiter
stehen Häuschen aus Stein neben der Straße,
ehemalige Sklavenhütten, wie ein Schild erklärt. Schaurig – aber nur hier, weiß Jossie,
gibt es die wunderbaren „Fingerkorallen“, die
aussehen wie ausgeblichene, kleine Knochen.
An riesigen, rosafarbenen Salzfeldern vorbei,
die von gigantischen Schaumkränzen umrahmt sind, führt die schmale Straße immer
am Meer entlang. Der Wind, konstant aus
Nordosten pustend, wird stärker, je mehr man
sich der Südspitze nähert. Rechts kämpfen Pelikane gegenan, links dösen Flamingos im
Salzgebiet. Ein kurzer Stop im „Sorobon“, einem Hotel direkt am Strand, das von Windsurfern geschätzt wird. Dann geht es durchs
Landesinnere zurück, durch Felder von Kakteen. Ziegen kreuzen unseren Weg, und als
wir uns wieder dem Städtchen nähern,
schwirren aufgeregte „Loris“, grüne Papageien, zwischen den Baumwipfeln. Und das sind
nur die buchstäblich überirdischen Eindrücke – berühmt ist Bonaire für seine weitgehend unbeschadeten Unterwasserwelten. Sogar die Abreise ist viel schöner als anderswo.
Schnell den Koffer eingecheckt, kann man
noch zum gegenüberliegenden „Te Amo“Strand laufen, sich im Food-Truck einen MahiMahi-Burger oder grandioses Sushi und
Weißwein bestellen, in die Sitzsäcke im Sand
sinken lassen und den Sonnenuntergang bewundern, bevor man schweren Herzens RichEsther Strerath
tung Gate schlendert.
99
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Meiner Nase zufolge nach
Maiglöckchen, Jasmin, Rose
und einer holzigen Note. Verspielt und extravagant. Das
passt. Und der hellblaue Flakon
zaubert gute Laune, wenn der
Sommerblues einsetzt.
Öl-Check: Die Wirkstoffe
des „The Renewal Oil“ von La
Mer werden durch Schütteln
der kleinen Glasflasche aktiviert und dann als Elixier
unter einer Creme angewendet oder pur (etwa auf langen
Flugreisen) aufgetragen. Es
soll die Zellerneuerung anregen, mit dem Ziel, die Haut
jugendlich-glatter aussehen
zu lassen. Daran könnte man
sich ja gewöhnen.
10 2
COURTESY ARMIN MORBACH
Zugegeben,
ganz alltagstauglich
ist dieses Styling
nicht. Aber das ist ja
auch gar nicht die
Aufgabe von modischer Inszenierung.
Und bei diesen Lippen ist es ohnehin
egal, ob man unter
den Fransen der Lampenschirmhaube noch
den Durchblick hat.
Die Aufnahme
stammt aus Armin
Morbachs Ausstellung „Position before
Pose“ im Berliner Departmentstore
Quartier 206, bis
7. November
Olé: Als Kind spazierte
Isabelle d’Ornano,
Inhaberin von Sisley,
durch die Gärten des
Alcázar von
Sevilla. Dies inspirierte sie
jetzt zu „Soir d’Orient“ –
einem floral-würzigen
Duft, der von Sandelholz,
Patchouli und Weihrauch
erzählt. Olé!
Echt Leder: In den 20erJahren ging es in Berlin heiß
her, der Duft „Spanisch
Leder“ von der Berliner
Duftmanufaktur J. F.
Schwarzlose fing dieses
Lebensgefühl ein. Jetzt gibt
es ihn in einer Neuauflage
als: „Fetisch“. Ab Oktober
Kein Schatten mehr: Er ist der
Schöpfer von Davidoff Cool
Water und Jil Sander Sun. Doch
die wenigsten kennen seinen
Namen. Nun hat Pierre Bourdon
erstmals eine eigene Duftlinie
kreiert. Passt zur Jahreszeit: „la
fin d’un été“. Duftet warm und
frisch. Über pierrebourdon.com
Goldfinger: In einem James-Bond-Film hätte diese Tube das perfekte Gimmick
abgegeben, in dem Tüftler „Q“ für 007 eine Waffe versteckt. Zurück in der Realität (und bald bei uns im Badezimmer), hat Guerlain für seine neueste „Abeille
Royale Gold Eyetech“-Augenpflege diesen Finger-Applikator entwickelt. Warum? Das Serum soll durch ihn jeden Winkel um die Augen erreichen, kühlen, massieren und gleichzeitig straffen.
Klingt nach einem Wundermittel. Ob „Q“ womöglich doch seine Finger im Spiel hatte?!
Dagmar
Zimmermann
Inhaberin der „Schlossparfümerie“ in Bayreuth
À LA BEAUTÉ
Was ich mit Chanel verbinde?
Klar, die Schöpferin der Marke,
Gabrielle „Coco“ Chanel. Ihre
hübschen Tweedkostüme, ihre
Perlenkette, die sie stets trug.
Haute Couture und No. 5, das
Kult-Parfüm. Doch nicht weniger Aufmerksamkeit sollte man
der Pflegelinie der Franzosen
schenken, die schon 1927 von
der Modedesignerin selbst
lanciert wurde, und erst in den
1990er-Jahren ausgebaut wurde. Heute ist sie mit, wie ich sie
nenne, Haute-Couture-Inhaltsstoffen angereichert. Etwa mit
der Vanilla Planifolia, einer hoch
konzentrierten Wunderwaffe
aus Madagaskar gegen Falten.
Sie steckt etwa in der reichhaltigen „La Crème“ aus der Sublimage-Reihe, der ich seit Jahren treu bin. Und bleiben werde.
Andrea Kruse
Inhaberin der
Parfümerie „Aurel“
in Sindelfingen
T H E C U L T U R E O F T O TA L B E A U T Y
Exklusive Haarpflege und Kosmetik.
In ausgesuchten Friseur – Salons: labiosthetique.de
LA BIOSTHETIQUE CHEVEUX LONGS
In voller Länge
Langes, seidiges Haar ist sexy. Es ist aber auch empfindlich und anfällig für Sprödigkeit und
Haarbruch. Das luxuriöse Spa – Konzept Cheveux Longs gleicht Strukturschäden aus,
pflegt das Haar mit hochwirksamen Inhaltsstoffen und umschmeichelt es mit einem bezaubernden Parfum.
ge
e NSSSt!
eu
lin
Alles soll so bleiben
Di
PS
Wie häufig hat man Ihnen schon gesagt, dass die Lippenstiftfarbe, die Sie jahrelang benutzten „aus dem Sortiment
genommen wurde“? Hätten Sie „Le Rouge No. 1“ von Yves
Saint Laurent gewählt, wäre Ihnen das womöglich nicht passiert. Denn bis heute ist DAS Rot in der „Rouge Pur CoutureLinie“ (1978 kreiert) ein Klassiker im Sortiment. Jetzt gibt es
lediglich eine neue Hülle. Gegen ein bisschen neu haben wir ja
auch gar nichts einzuwenden ... Hauptsache, der Inhalt bleibt.
Überraschung!
Auf den zweiten Blick
werden Dior-Kennerinnen
staunen, dass sich in diesem Behältnis nicht der
geliebte Lipgloss versteckt.
Für seine erste Dior-Kollektion hat der neue Kreativdirektor Make-up, Peter
Philips, einen flüssigen
Lidschatten entwickelt,
„der die Lider mit nur
einem Pinselstrich in pures
Licht mit Spiegeleffekt“
verwandeln soll. Das „Dior
Addict Fluid Shadow“
gibt’s in sechs Nuancen.
Alle cool.
Herbstgefühle
Siamesische Zwillinge
Die Mode muss zum Make-up passen und umgekehrt.
Jedenfalls gilt das für Giorgio Armanis aktuelle Kollektion. Der Maestro verwendete Blau-, Grün-, Taupe-Töne
kombiniert mit Pink. Seine Make-up-Artistin Linda Cantello setzte das in die Kosmetiksprache um. Ergebnis?
Eine limitierte „Runway Palette“, farblich innen wie außen
(Seide aus der Kollektion) auf die Mode abgestimmt.
Unter anderem bei Oberpollinger in München.
Klar weiß man, wie Rosen duften.
Aber haben Sie sich schon einmal
überlegt, wie die Zistrose, ein Strauch,
dem Heilkräfte nachgesagt werden,
riecht? Tja. Sie riecht nach nix. Dennoch hat Parfümeurin Émilie Coppermann ihr mit „Floriental“ für Comme
des Garçons einen Duft gewidmet
und dafür das Harz des Strauches
(Labdanum) verwendet. Denn das
gilt als „berauschend und mysteriös“.
Der neue Boss
Sister Act
10 4
Endlich, mögen Fans der Marke
Miu Miu denken, gibt’s nun
einen Duft. Ein regelrechter
Nachholbedarf bestand bei der
kleinen Schwester von Prada,
die seit gefühlten Ewigkeiten in
zahlreichen Düften verewigt ist.
Nun hat Miuccia Prada die
Parfümeurin Daniela Andrier
gebeten, auch die junge Marke
in ein Eau de Parfum umzusetzen: Blumig-holzig solle es
duften und, bitte, keineswegs
zu mädchenhaft. Geschafft.
Bravissimo!
Dem Metzinger Welt-Modeunternehmen gelang
2013 ein Coup – es verpflichtete den hoch gehandelten, amerikanischen Designer Jason Wu als
Chef-Kreativen. Nun hat der New Yorker auch die
Flakons der drei bereits existierenden Boss-Damendüfte Jour, Ma vie (Foto) und Nuit eingekleidet. Trendgerecht: Gleicher Inhalt, neuer Look.
ZUSAMMENGESTELLT VON CAROLINE BÖRGER
Geruchlos, aber gut
Noch ist September, noch freuen wir uns über
spätsommerliche, sonnige Tage. Doch auch der
Herbst hat seine Magie, hat man sich wohl bei
Chanel gedacht und die Nagellack-Serie „Les
Automnales“ entwickelt. Bitte vormerken: Die
Kollektion (ja, auch der kastanienbraune Nagellack Nr. 669) kommt am 10. Oktober in die Parfümerien. Herbst, wir freuen uns auf dich!
F
ast täglich landen Pressemitteilungen
über
Cremes und absolut
einzigartige Parfüms
auf dem Redaktionsschreibtisch. In großem
Marketing-Aufwand
werden
fantasievolle
Geschichten zum neuen Produkt erzählt. Kein
Wunder also, dass kürzlich besonders eine
Broschüre ins Auge stach: ein schlichtes, weißes Heftchen, das in nur wenigen Sätzen den
Parfümeur Zarko Ahlmann Pavlov und seine
sechs Kreationen vorstellt. Keine lange Geschichte, kaum Bilder. Der mitgelieferte Tester mit dem Namen „Pink Molécule“, schlicht
in einem weißen Zylinder aus recyceltem Papier verpackt, macht also neugierig, wird
gleich versprüht – und sofort steigt ein Hauch
von prickelndem Rosé-Champagner in die
Nase. Aha!
Der Mann hinter dem Duft ist ein Däne, auch
wenn weder sein Name noch sein Äußeres das
zunächst vermuten lassen. Ende der 60er kam
er mit seinen Eltern aus Jugoslawien ins Königreich. Und ist so smart und nordisch geerdet, wie man sich die nordischen Nachbarn
immer vorstellt. „Ich lebe und arbeite an der
Küste nördlich von Kopenhagen, habe das
Meer vor der Haustür, liebe den Wind und das
Segeln“, erzählt er bei einem Treffen in Berlin.
Sein Traum war es stets, „den Duft des Nordens in einem Flakon einzufangen“. Nicht einfach in Flaschen abfüllen und an Touristen
verkaufen, sondern als Parfüm. Die Idee dazu
kam ihm, als er noch Inhaber einer Modeboutique in Kopenhagen war und mit der DuftBranche eigentlich gar keinen Kontakt hatte.
16 Jahre später ist das Gegenteil der Fall. Zarko
investierte fünf Jahre in die Ausbildung, arbeitete sich in die Alchemie der Düfte ein,
verkaufte die Boutique. „Jetzt bin ich der einzige Parfümeur Dänemarks.“ Der Familienvater ist sichtlich stolz darauf.
Viele hätten ihm damals geraten, die Finger
davon zu lassen – es hätte schließlich noch nie
ein Parfümhaus gegeben, das aus Skandinavien kommt und auch
dort produziere. Er ließ sich nicht beirren. Im Herbst 2013 brachte
er seine ersten vier Düfte heraus. „Meine Eltern haben immer gesagt: Mach, was immer du möchtest, glaube an dich. Hör nicht auf
die Masse.“ Daran hält er sich, seine Kreationen haben wenig mit
dem Massengeschmack gemein. Unisex-Düfte sind sie alle.
Anders als herkömmliche Parfümeure entwickelt der 45-Jährige
Düfte auf Molekularebene, losgelöst vom klassischen, französischen Duftaufbau. Er experimentiert lieber mit Riechstoffen, wie
etwa mineralischen Molekülen und ätherischen Essenzen. Getreu
seinem Motto: Arbeite ohne Regeln. „Die Grundvoraussetzung dafür ist jedoch, dass man die Rohstoffe kennt. Jedes Mal, wenn ich
einen neuen Stoff ausprobiere, teste ich ihn direkt auf der Haut,
nicht auf einem Papierstreifen. Erst dann weiß ich, wie und ob es
funktioniert.“ Häufig entstehen die Düfte auf Wasserbasis, was –
entgegen der allgemeinen Meinung – das Parfüm nicht verdünne.
„Vielmehr haftet es dadurch länger auf der Haut“, erklärt Zarko resolut. Für ihn ist die traditionelle „Duftpyramide“ überholt. „Viele
Firmen glauben, dass die Kopfnote, also das, was man nach dem
Aufsprühen zuerst riecht, explodieren müsse.“ So könne man auf
günstigere Noten in der Mitte und der Basis setzen, die der Kunde
erst nach Stunden bemerke, nur um sich zu wundern, dass es ganz
anders rieche als noch am Regal. Bei Zarkos Kreationen entwickeln sich die verschiedenen Phasen parallel. „Nehmen Sie sich
Zeit. Testen Sie meine Düfte direkt auf der Haut, gehen Sie nach
Hause und warten Sie ab, erst durch Körperwärme können sie sich
entfalten. Probieren Sie bloß keine sechs Düfte hintereinander
aus, erschnüffeln sie lieber die Dimensionen eines einzigen.“
Die „Nase“ entwickelt die Düfte im Atelier, das praktischerweise im
Haus liegt. „Ich entscheide, kein anderer. Noch nicht einmal meine
Frau Lene beeinflusst mich. Erst wenn ein Duft fertig ist, dürfen
die anderen ihn riechen“, erzählt er und lacht, wie so oft in dem Gespräch, laut und herzlich. Das könne manchmal Monate dauern.
Unterstützt wird er dabei von seiner Frau,
PARFÜM
Frederick, einem Geschäftspartner
und
Freund aus Teenagerzeiten, und dessen Frau.
Von Hand füllen die
vier die Flüssigkeiten
in die schlichten Flakons. Zu ihrem „Hauptquartier“ im Süden der
dänischen Hauptstadt
hat sonst niemand ZuIn seinen Düften lässt ein
tritt. Viel zu sehen gäbe
es ohnehin nicht: „Steldänischer Parfümeur die Moleküle
len Sie sich einfach eitanzen. Jedenfalls wenn er Lust darauf
nen Chemielabor-Platz
vor.“
hat. Caroline Börger hat sich den
Die großen Firmen ließen nicht lange auf sich
Mann mal angeschaut
warten. Sie riefen bei
Pavlov und Fredrik
Eriksen an, wollten den Vertrieb übernehmen, das Geschäft mit
den duftenden Kostbarkeiten vergrößern. Doch die zwei lehnten
ab. Nicht aus Überheblichkeit, sondern ganz einfach, weil Stress
nicht ihr Ding sei, erklärt Zarko in seiner stoisch-ruhigen Art, und
man glaubt ihm. „Wir könnten größer sein, doch wir haben Zeit. In
Nordish by nature:
den 16 Jahren in der Modebranche habe ich oft erlebt, dass viele
Die aktuelle KreaMarken es nicht geschafft haben, weil sie zu viel auf einmal wolltion des Dänen ist
ten. Und nur weil uns Distributoren sagen: ‚Produziert mal alle
„Molécule No. 8“ –
sechs Monate etwas Neues, das machen die anderen auch, machen
ein holzigwir das lange noch nicht.‘“ Er meint es ernst, will weder sich noch
rauchiger Duft
seine Düfte vereinnahmen lassen – ganz dänischer Individualist.
Vergleichbares gebe es auf dem Markt auch kaum, obwohl Geza
Schön, der Berliner Parfümeur und Wegbereiter der Molekulardüfte, „natürlich verdammt gut“ sei.
In diesem Jahr haben sie für „Pink Molécule“ den Danish Beauty
Award gewonnen – gleich in zwei Kategorien. Außerdem wurden
sie erneut als bestes dänisches Produkt ausgezeichnet. Viel Ehre
für die Mini-Firma. Die steigt dem umgänglichen Parfümeur nicht
zu Kopf, er konzentriert sich auf seine Kunden: „Menschen, die sich
für den Duft interessieren, die kein Bling-Bling brauchen.“
Zarko selber trägt „Molécule 234.38“ – einen Duft, der die Aura unterstreiche und somit bei jedem anders rieche. „Ein Duft für Fortgeschrittene“, wie er zugibt. Und da er nur macht, was und das auch
nur wenn es ihm passt, hat er „noch nicht einmal darüber nachgedacht, was als Nächstes kommt“. Und ja, auch das kauft man ihm ab.
Frische
Brise
10 5
In Pose beim
Denker
Dass Auguste Rodin auf einem Berg über der
Stadt wohnte, wissen selbst viele Pariser
nicht. Das wiederum reizte La Biosthétique
D
Quell der Inspiration: In seinem Haus in
Meudon fand Auguste Rodin die Ruhe
für seine Skulpturen. Heute dient die
Villa als Museum und manchmal als
Kulisse, wie für die neue Kampagne von
La Biosthétique (oben)
10 6
ie Mail mit der Adresse irritiert und erfordert
eine Nachfrage: Das Musée Rodin, ja klar –
aber in Meudon? Selbst für passionierte Pariser Museumsgänger ist das ein blinder Fleck
auf der Kulturlandkarte. Kein Wunder, dass einen der Busfahrer, wenn man an der Endhaltestelle aussteigt, erst einmal in die falsche
Richtung schickt. Meudon ist grün und liegt
ziemlich hoch auf einem Berg, ruhige und mit
steilen Treppen gepflasterte Fußwege führen
durch alte Weinberge und deutsch anmutende Kleingartenkolonien; auch Leute, die lange
in Paris leben, wissen nicht, dass es sie überhaupt gibt. Doch wenn man schließlich etwas
atemlos oben ankommt und sich umdreht,
weiß man, warum Frankreichs bekanntester
Bildhauer Auguste Rodin hier lebte und arbeitete: Der Blick auf die nicht allzu ferne Stadt
wird ihm stete Inspiration gewesen sein.
Die nächste kulturelle Verwirrung folgt umgehend: Als ich mich wortreich auf Französisch bei Jean-Marc Weiser, dem CEO von La
Biosthétique, für die kleine Verspätung entschuldige, antwortet dieser mit gurrend-rundem, süddeutschem Zungenschlag. Parlezvous etwa Schwäbisch? „Nein, um Gottes willen, Badisch“, sagt er lachend. Er stellt dann
seinen Frankreich-Direktor Philip Morano
vor. Auch er spricht Badisch. Bei La Biosthétique klingt alles sehr französisch und ist doch
ganz deutsch.
Das Unternehmen wurde Anfang der 50erJahre von dem Pariser Biochemiker Marcel
Contier gegründet und beliefert bis heute
Highend-Friseure und Spas mit Haar-, Makeup- und Hautpflegeprodukten. Siegfried Weisers Schwiegervater vertrieb La Biosthétique
in Deutschland, wo die Marke schnell erfolgreicher wurde als im Heimatland. Weiser stieg
in den Betrieb ein, expandierte in andere Länder und übernahm im Jahr 2006 endgültig
auch die französische Mutterfirma. In Pforzheim wird geforscht,
entwickelt, produziert, in Paris repräsentiert und geschult. Heute
leitet sein ältester Sohn Jean-Marc das Familienunternehmen in
dritter Generation.
„Meinen frankophilen Namen verdanke ich meinem Vater Siegfried“, erzählt er. Im Schwarzwald brachte ihn das sein Leben lang
in Erklärungsnot und langatmiges Buchstabieren erforderte es
obendrein. „Jan-Marc“ war da noch die eleganteste Variante. „Ich
habe daraus gelernt und meinen Kindern einfache deutsche Namen gegeben: Oskar und Maja“, sagt er, während sein Weg durch
den Garten von Auguste Rodin führt, vorbei an einer Kopie des berühmten „Denkers“, der hier auf der grünen Wiese mit Blick über
Paris vor sich hingrübelt. Unter ihm hat der Bildhauer seine letzte
Ruhestätte gefunden.
Die Models werden gerade neu gestylt, und das Fototeam macht
Pause. Also haben wir Zeit, auch das Wohnhaus zu besichtigen.
Von den Wandmalereien im Badezimmer bis zu den Möbeln und
dem Geschirr ist alles noch original 19. Jahrhundert. Doch das Beeindruckendste ist wohl das Schlafzimmer im ersten Stock: Der
tiefgläubige Künstler, der zehn Jahre lang in wilder Ehe mit seiner
Schülerin Camille Claudel lebte, schlief neben einem fast mannshohen Kruzifix. In diesem Bett starb er 1917. „Ein besonderer Ort,
finden Sie nicht?“, sagt Weiser. Ein bisschen unheimlich auch.
Um das französische Flair der Marke zu unterstreichen, werden
für die Image-Kampagnen jede Saison visuell starke und überraschende Orte fernab von Frankreich-Klischees gesucht. Das Sommershooting fand in der südfranzösischen 70er-Jahre-Feriensiedlung La Grande Motte statt, davor in der modernistischen, kühnkurvigen Parteizentrale der Kommunisten von Star-Architekt Oscar Niemeyer in Paris. Der ästhetische Sprung nun zu diesem intimen, kleinen Künstlermuseum könnte nicht größer sein.
Die Regie ruft, es geht weiter. Während das Haus eher klein und
bescheiden ist, zeigt sich im ehemaligen, musealen Atelier Rodins
sein Drang zu künstlerischer Größe. Überall Gipsplastiken seiner
berühmten Werke, auch die Form, aus dem das Höllentor gegossen
wurde, hat darin Platz. Die Models Karlie und Eleonor posieren
ganz in Weiß vor den Skulpturen. Der deutsche Fotograf und
Wahl-Pariser Horst Diekgerdes inszeniert die beiden, als seinen
sie Musen des Meisters.
Doch natürlich sollen die Mädchen nicht nur an den PygmalionMythos erinnern, sondern vor allem die Looks der neuen Biosthétique-Saison verkörpern. Und den nennt der Visagist Steffen Zoll
„sanfte Mystik“. „Keine harten Linien, sondern ganz dezente Farben und Make-up“, erklärt er. Beeren- und Grün-Gold-Töne für die
Augen und unbedingt braunen Mascara, der natürlicher aussieht
als schwarzer. Für die Lippen ein leichtes Orange oder Zyklan, das
flüchtig wirkt wie ein Hauch. Bloß keine Foundation, die die Gesichtshaut maskig macht, sondern eine getönte Tagescreme, die
nicht deckt. Darunter sein Lieblingsprodukt, die „Glow Base“, die
den Teint im Licht schimmern lässt. Und Alexander Dinter, der
Haar-Supervisor bei La Biosthétique, empfiehlt kühle Brauntöne
ohne Rotstich fürs Haar. „Die Frisur – ob kurz oder lang – bleibt
Geschmacksfrage“, sagt er. Das Wichtigste seien den Kundinnen
heute vor allem gepflegte Texturen und ein natürlicher Fall des
Haares. Sie wollen Haargesundheit sehen, zeigen und fühlen. „Gesprayte Betonfrisuren und unnatürliche Haarfarben, die wie Helme wirken – das ist das einzige No-go“, weiß er.
Jean-Marc Weiser und Philip Morano schauen sich das Ergebnis
des Shootings auf dem Bildschirm an und nicken zufrieden. Sie
fahren zurück in die Pariser Repräsentanz von La Biosthétique,
die auf 800 Quadratmetern direkt am Triumphbogen französische
Grandeur bis in die letzte Flügeltür behauptet – in einer schwarzen Mercedes-Limousine mit Pforzheimer Nummernschild. SB
LA BIOSTHÉTIQUE PARIS/HORST DIEKGERDES (3); AFP/GETTY IMAGES
MIT HAUT UND HAAR
PARFÜM
ALAIA (3)
W
ie kaltes Wasser, das
auf heiße Dachziegel trifft!“ Die Parfümeurin Marie Salamagne hat bereits
viele Düfte entworfen: „Black Opium“
für Yves Saint Laurent, „Tokyo“ für Kenzo, oder „Eau de Nuit“ für
Giorgio Armani. Aber so ein konkretes Bild,
nein, das habe ihr noch niemand als Arbeitstitel in den Block diktiert. Es sei die erste Dufterinnerung von Azzedine Alaïa gewesen, die
es in einen Flakon zu bannen galt: den Geruch,
wenn seine Großmutter schüsselweise Wasser
aufs Dach schüttete, um das Haus innen zu klimatisieren in den heißen Mittagsstunden unter tunesischer Sonne. Wie der Schriftsteller
Marcel Proust auf seiner „Suche nach der verlorenen Zeit“ mit einem in Tee getränkten
Madeleine-Kuchen Erinnerungsketten lostritt
und zum Katalysator des gesamten Werks
werden lässt, so sollte auch dieser Duft wirken. Es sei eine schwierige Herausforderung
gewesen, sagt die Parfümeurin – und eine unvergessliche Erfahrung: „Den meisten Designern bin ich noch nie persönlich begegnet“,
sagt sie. Aber bei Azzedine Alaïa saß sie binnen der zwei Jahre, die die Entwicklung des
Dufts brauchte, quasi auf seinem Schoß.
Für das erste Parfüm der Marke mit dem Namen „Alaïa Paris“ hatte die Shiseido-Gruppe
eine Ausschreibung ausgelobt, und die Nase
des Meisters wählte aus der Fülle von Vorschlägen blind Salamagnes Erstentwurf. Doch
es sollten noch etwa 500 Versuche folgen, bis
der Duft vollendet war, erzählt die Parfümeurin unter
dem Glasdach des Studios
im Alaïa-Haus im Pariser
Marais. Das Ergebnis: Die
Probe auf dem Papier riecht
eher herb wie ein Männerparfüm, auf der Haut viel
runder, sinnlicher und
weiblicher. Ein blumiger
Wildlederduft, der mit olfaktorischen Gegensätzen
spielt, mit Akkorden aus rosa Pfeffer, Moschus, Freesie
und Pfingstrose, wie die
Parfümeurin erläutert.
Seit 1990 wohnt und arbeitet Azzedine Alaïa
in der Rue de Moussy. In dem hallenartigen
Studio finden auch seine Modenschauen statt,
die sich nicht nach dem Kalender der Branche
richten, sondern nach seiner inneren Uhr. Er
ist fertig, wenn er fertig ist. Ganz so war es
auch bei dem Parfüm: Es hätte vor 30 oder 60
Jahren erscheinen können. Dem Zeitgeist
verpflichtet zu sein, das hat ihn nie interessiert. Das zeigt auch die Werbekampagne für
das Parfüm. Das Model trägt das als „houpette“
(Puderquaste) berühmt gewordene Kleid von
1994. Die hautenge, aus Stretchbändern und
transparenten Elementen bestehende Robe
könnte auch aus seiner jüngsten Kollektion
sein. Zeit spielt keine Rolle. Das hat auch die
Parfümeurin Marie bei den vielen Treffen erfahren, gleich nebenan in der großen Wohnküche, wo sie stets an den großen Glastisch zu
den Kreativen gerufen wurde. „Ein Essen gehörte immer dazu“, sagt sie lachend. „Sich erst
einmal kennenzulernen und gemeinsam zu
essen.“ Für Alaïa zu arbeiten bedeutet, in die
Monsieur Alaïa
nimmt sich Zeit
Fast 60 Jahre dauerte es, bis einer letzten großen Couturiers von
Paris sein erstes Parfüm auf den Markt brachte. Der Launch kam
einer Schnupperparty im Familienkreis gleich. Der Meister kam,
schwieg und tanzte Flamenco. Silke Bender feierte mit
Im Kreise seiner
selbst geschaffenen Großfamilie
(ganz oben)
nahmen die
Dufterinnerungen von Alaïa
über Jahre
Gestalt an
Familie aufgenommen zu werden. Der Modemacher, der ohne Vater im Kreis von vielen geschiedenen Frauen aufwuchs, hat sich
heute eine eigene Großfamilie geschaffen, beschäftigt einen Leibkoch und eine Art beratenden Hofstaat. Der einzige schwarze Stuhl
ist stets für ihn reserviert, den Mann im immer gleichen schwarzen
Mao-Anzug. Von dort aus warf er Salamagne Bilder und Metaphern
zu, mäkelte hier und dort über ihre Proben und ermutigte sie stets,
weiterzumachen. Mal roch es ihm „zu jung“, mal war ihm eine Nuance zu dominant. „Meine Idealfrau ist alterslos, elegant und von
selbstbewusster Erotik, ohne diese jedoch aufreizend einzusetzen.
Es ist dein Job, meine Vorstellungen in einen Duft umzusetzen. Wie
das geht, kann ich dir nicht sagen, aber ich bin mir sicher, du kannst
das“, war sein Standardsatz, wenn die Parfümeurin nicht weiterwusste. Auch Martin Szekely, der Flakon-Designer, brauchte länger,
bis die Farbe der Flasche passte: nicht zu transparent, nicht zu opak.
Bis es dem perfektionistischen Alaïa gefiel. Den Flakon ziert das Leder-Lochmuster, das seit 1992 bereits ein Leitmotiv seiner Entwürfe
ist.
Der Pariser Dachkammer, in der der Student der Bildhauerei 1957
anfing, als Hausschneider für die Comtesse de Blégiers zu arbeiten,
ist er längst entwachsen. Trotzdem blieb er immer in seiner kleinen, sehr exklusiven Nische. Bis heute, auch nach mehrmaligen
Verkäufen seiner Marke, zuletzt an die Richemont-Gruppe 2007,
entzieht er sich, als einer der letzten Couturiers alter Schule den
Markt- und Marketinggesetzen des Modebusiness. Streitbar ist er
auch: Er kritisierte Anna Wintour für ihren seiner Meinung nach
nur der PR verpflichteten Geschmack und Karl Lagerfeld dafür, auf
zu vielen Feldern aktiv zu sein. Interviews zu seinem ersten Duft
wollte er keine geben. Beim Dinner abends in seinem Studio
schlich sich der kleine, große Alaïa fast unerkannt an den Tisch.
Ein paar Selfies mit Journalisten, okay, dann führten ihn hilfreiche
Arme höflich, aber bestimmt fort. Fragen? „Non merci, ich bin müde.“ Man mag bei ihm nicht insistieren. Auf der Bühne tanzte und
musizierte das Ensemble von Blanca Li. Der Flamenco-Star ist eine
gute Freundin, seit sie in den späten 80er-Jahren in einem AlaïaKleid für „Vogue“ posierte. Nach dem Dessert, gegen Mitternacht,
tanzten die beiden: In bester Flamenco-Manier stampfte Alaïa mit
den Füßen. Müde wirkte das ganz und gar nicht.
10 7
Wenn Prada eine neues Produkt vorstellt, ist Kunst nicht weit. Lok Jansen hat die eh
schon kunstvollen Kampagnenbilder von Marcel Christ noch einmal verfremdet
DUFTNOTEN
Guter Stoff
Die Infusions-Düfte von Prada
waren als limitierter Luxus
geplant. Der Erfolg aber war so
groß, dass es nun eine ganze
Kollektion gibt. Die Werbung
dafür hat Marcel Christ
fotografiert – der Meister der
Infusionstechnik
10 8
E
ine herrschaftliche Villa in Mailand, fantastische
Blumenarrangements in Vasen und als Kunst an
den Wänden. Alles nur für wenige Stunden aufgebaut, von flüchtiger Schönheit. Wie eben Parfüm.
Der Kosmetik-Konzern Puig bittet zur Duftprobe.
Für Prada bringt er eine ganze Kollektion heraus,
gleich sechs Düfte aus der Infusions-Serie. 2007
hatte die „Nase“ Daniela Andrier für Miuccia Prada „Infusion d’Iris“
erdacht, ein Duft wie ein immer richtiges Lieblingskleid. Der Erfolg war derart groß, dass 2009 „Infusion de Fleur d’Oranger“ folgte, 2010 dann das holzige „Infusion de Vétiver“ und mit „Infusion
d’Iris Cèdre“, „Infusion d’Amande“ und dem kräftigen „Infusion
d’Oeillet“ ist es nun ein verführerisches Sixpack.
Wer wäre geeigneter, die Werbekampagne zu gestalten, als der Niederländische Fotograf Marcel Christ, dessen ungewöhnliche Bildsprache durch Experimente mit unterschiedlichen Zutaten und
eben Infusionen zustande kommt. Seine Splash-Bilder für Coca
Cola sind so berühmt wie die Shoots für Absolut Vodka. Was aussieht wie eine Computersimulation ist eine Momentaufnahme.
Ich werde in einen Raum im Erdgeschoss geführt. Bei diesen Terminen ist es wie beim Arzt, man nimmt schon mal Platz, dann
kommt er rein. Der erste Eindruck: gut sitzender Anzug. Es bleibt
so positiv im weiteren Gespräch.
Ihre Bildsprache ist ja sehr, nun, explosiv? Wie kommt’s?
Vielen Dank. Ich achte auf die wirklich zufälligen Dinge – die, die
wir mit bloßem Auge nicht sehen können. Ich mache „Stillleben“,
aber daran ist nichts Stilles. Ich versuche, alles mit dem richtigen
Timing und vergleichsweise hoher Geschwindigkeit einzufangen.
Haben Sie das endgültige Bild vor der Umsetzung schon im Kopf?
Ja, schon. Für die Vorbereitungen brauche ich immer lange, weil
ich alle möglichen Techniken anwende, was man aber am Ende
nicht mehr merken soll. Das Set-up zu entwickeln und den Zufall
zu kontrollieren – das ist interessant. Aber es braucht Zeit. Und
dann kommt noch der ganze Infusionsprozess hinzu. Man muss eine Idee haben. Aber man muss sie auch umsetzen und es muss
funktionieren.
Werden Sie nervös, wenn das Ergebnis nicht richtig ausfällt?
Der Druck ist eine Herausforderung, weil man viele, viele Dinge
auslotet und versucht umzusetzen. Eine besondere Rolle spielt dabei ein Becken, das wir als Grundlage verwenden. In diesem Fall
versuchten wir, ein „Infusions-Universum“ unter Wasser zu schaffen, mit Substanzen und Blumen, die sich gegenseitig beeinflussen
und einander entgegenstehen. Das war sehr aufregend. Aber um
noch einmal darauf zurückzukommen: Man weiß nie, wo und
wann was passieren wird. Es ist ein intuitiver Schaffensprozess.
Das klingt ja beinahe nach Alchemie ...
Nein, im Grunde habe ich mir nur das Experimentelle und meinen
individuellen Blick auf die Dinge aus der Kindheit bewahrt. Danach suche ich. Ich habe viel gebaut und gebastelt. Technikkram.
Etwas Neues erschaffen. In dieser Hinsicht ist das Kind in mir noch
lebendig. Deshalb war die Arbeit mit Prada großartig. Sie ließen
mir völlig freie Hand. Es gab keine Kompromisse. Und das sehen
Sie der Kampagne an – sie wurde schön. Die Infusion ist gelungen.
LOK JANSEN
Sie sind inzwischen ziemlich berühmt: Können Sie Einmischung daher ablehnen?
Ich fühle mich privilegiert, richtig glücklich, weil ich eigentlich
nie Kompromisse eingehen muss. Einige Marken versuchen, einen
dazu zu drängen, aber wenn sie das tun, mache ich immer meinen
eigenen „Director’s Cut“ sozusagen. Denn Kompromisse sind nicht
gut, sie führen zu einem generischen Bild, dabei will man es innovativ gestalten, damit die Leute es mit anderen Augen sehen. Man
fühlt sich frei, wenn man Dinge ablehnen kann.
Sie hätten wohl Techniker werden sollen, warum wurden Sie Fotograf?
Stimmt, ich studierte zunächst chemische
Verfahrenstechnik, erst in Delft, dann in Amsterdam. Ich brach ab, weil es mir nicht kreativ
genug war. Aber es kommt der Sache, die ich
jetzt mache, nahe: In den ersten Jahren als Fotograf machte ich fast alles, dann spezialisierte
ich mich auf Stillleben, was meiner Meinung
nach in gewisser Weise der kreativste Entwicklungsprozess war. Man startet bei null
und es entstehen schöne Ergebnisse. Nach ein
paar Jahren fand ich meine Nische mit diesen
„Stillleben, an denen nichts Stilles ist“.
Wie muss man sich Ihre Arbeit vorstellen? Ein
großes Studio, Prada hat Berge von Ingredienzien geliefert und sie fangen um 8 Uhr an zu
experimentieren?
(Lacht). 9 Uhr. Wir fangen am Becken an,
übersetzen den ganzen Infusionsprozess, das
Studio ist voll, ein Team von sieben Leuten
und einen guter Blumen-Stylist, ein Freund
aus dem Bereich Spezialeffekte. Wir besprechen das Set-up für jeden einzelnen Duft.
Dann beginnt das Experiment und ich schaue
genau hin, was passiert. Man ändert Kleinigkeiten oder auch alles radikal, bis man das Gefühl hat, es stimmt. Das ist reiner Instinkt .
Erinnern Sie, als sie das das erste Mal durchziehen konnten?
Ja, das ist schon einige Jahre her. Es ist ein Segen, aber ich habe
hart dafür gearbeitet. Ich hatte schon vorher meinen eigenen Kopf,
auch wenn ich für meine Familie sorgen muss. Aber so bin ich und
so gehe ich durchs Leben. Interessant ist: Je nachdrücklicher man
den Leuten einen Korb gibt, desto mehr wollen sie einen.
Arbeiten Sie lieber mit Produkten als mit Menschen?
Ja, schon. Was nicht heißt, dass es einfacher ist. Bei dieser InfusionKampagne gab es viele Herausforderungen. Zum Beispiel die Mandelblüten: Wir hatten nur acht Stück aus Argentinien, noch alle geschlossen am Zweig – sie öffnen sich und nach einem Tag ist es
vorbei. Mit lebendigem Material ist es sehr spannend. Aber das
Wichtigste – und daher mag ich Stillleben so gerne – ist, dass es
immer Überraschungen gibt. Man arbeitet mit Substanzen, Blumen, allem Möglichem. Aber wie erweckt man die Dinge zum Leben, wie kombiniert man sie? Und wie zeigt man die Wirkung? Das
ist meine eigentliche Inspiration.
Wir beklagen oft, dass so viel am Bild manipuliert werde.
Wenn ich mir die Titelseiten der Zeitschriften anschaue, sehen sie
alle gleich aus, oder nicht? Ich versuche, so viel wie möglich mit
der Kamera einzufangen, ohne allzu viel zu manipulieren, denn
dann merkt man den Unterschied.
Einerseits sind Ihre Bilder sehr ausdrucksvoll, aber sie sind überhaupt nicht natürlich.
Dabei sind sie eigentlich natürlich, aber sie zeigen etwas, das man
auf diese Weise zuvor noch nie gesehen hat. Das ist der Unterschied. Sie sind natürlich, aber ich denke, man ist an diese Art von
Bildern nicht gewöhnt. Das ist meine bescheidene Meinung. Die
Menschen sind überrascht. Immer kommt die Frage: „Wie hat er
das gemacht?“
Können Sie das erklären?
Ich nutze dieses Universum, indem ich Dinge einfange, die man
mit bloßem Auge nicht sehen kann. Mit dem richtigen Timing ergibt sich daraus etwas wirklich Wundervolles. Denn im nächsten
Augenblick kann etwas völlig zerstört sein oder es landet als großer Schlamassel im Wasserbecken – und wir müssen es wieder
sauber machen.
Das ist ein Foto! Von Marcel Christ für die
neue Infusion de Prada Duftkollektion
Wie stehen Sie zu Parfüm?
Meine persönliche Wahl unter den Prada-Infusionen ist das Iris Cedar. Weil es edel ist.
Wann fingen Sie an, Kosmetik zu benutzen?
Als ich meine ersten grauen Haare bekam.
Ist auch Ihr Verhältnis zu Parfüm von Ihrer
Mutter beeinflusst?
Von meiner Großmutter. Sie hatte das Kölnisch Wasser 4711. Sie hat immer sehr viel davon verwendet – es war wie eine Art Mantel.
Und wenn ich es rieche, bin ich sofort wieder
im Haus meiner Großeltern, und der ganze
glückliche Film läuft von vorne ab.
Das Gespräch führte Inga Griese, die hofft,
dass auch ihre Enkelkinder mal so etwas sagen. Sie benutzt, Zufall, meist Infusion d’Iris.
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BAUPLAN
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DER
„GOMMINO“
VON TOD’S
In den Ateliers und Manufakturen dieser Welt werden weiterhin
Handwerkskünste gepflegt, und wir schauen zu
Die Italiener wissen Füße zu würdigen. Sie stecken sie konsequent in hochwertiges Schuhwerk. Manchmal mit hohen Hacken, gelegentlich flach und mit einer Sohle aus 133 Gumminoppen wie bei unserem Mokassin von Tod´s. Das Unternehmen mit Sitz in Sant’Elpidio a Mare ist heute für seine handgemachten
Schuhe, Taschen und Lederaccessoires weltweit bekannt. Der erste Paar Gomminos ging 1978 über den Ladentisch. Der Name bezieht sich auf die Noppensohle. In rund 100 Produktionsschritten entsteht das klassisch italienische Design, das jede Saison durch neue Farben und Details aufgefrischt wird. Das Ergebnis ist vor allem eines: schön (bequem). 35 lose Lederstücke, und so wird ein Schuh aus der aktuellen Kollektion draus: 1. Zweidimensional fängt alles an,
mit einer genauen Skizze des zukünftigen Schuhs. 2. Der Schuhmacher schlägt mit Hammer und einem kleinen Meißel Löcher in die Sohle. Hier finden
später die Gumminoppen Platz. 3. Mithilfe einer Nähmaschine werden diese vorsichtig mit der Ledersohle verbunden. 4. Per Hand näht der Schuhmacher
nun die restlichen Lederteile des Gomminos zusammen 5. Jetzt beginnt die Präzisionsarbeit: Das Vorderblatt, also die Oberseite des Schuhs, bekommt ihre
Verzierung: eingeflochtenes Lackleder in Schwarz und Emaille-Schmucksteine in Dunkelgrün. 6. Nun werden das aufwendig verzierte Vorderblatt und
der Schuh miteinander verbunden. 7. Schließlich werden die Nähte mit einer speziellen Gabel nachgezogen. Im nächsten Schritt 8. klopft der Schuhmacher dann mit einem flachen Hammer verbliebene Unebenheiten aus dem Leder, bis der Schuh makellos erscheint. Übrigens: Einen Spaziergang durch
den goldenen Herbst machen die Gomminos in jedem Fall mit. Alternativ gibt’s die Wintervariante des Schuhs mit dicker Sohle.
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TOD’S
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www.porsche-design.com