ss_viareggio_d

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Text und Fotos : Corinne
Zwölf Kilometer Sandstrand, köstliches toskanisches Essen – Viareggio in der Versilia
ist mehr als ein Ort zum Verweilen, zum Bummeln und zum Geniessen. Die historisch
bedeutsame Stadt am tyrrhenischen Meer ist seit Jahrhunderten die Heimat nam­
hafter Werften, die Italiens exzellenten Ruf in der Nautik mitbegründeten.
Nusskern
«Aber nicht zu lange, Cara», schickt der junge Mann
seiner Begleiterin hinterher, die in eine Boutique
­entschwindet. Derweil betrachtet er sich in der
­Spiegelung des Schaufensters: Die Frisur sitzt, die
Sonnenbrille muss noch zurecht gerückt werden. Klar,
er versucht eine «bella figura» zu machen – was
­allerdings schwierig ist, wenn am Arm noch die
­Handtasche der Liebsten baumelt. Der Mittdreissiger
ist einer von vielen an diesem Sonntag auf der auto­
freien Passeggiata, der Promenade von Viareggio.
Schnurgerade und über drei Kilometer erstreckt sie
sich parallel zum Strand und lockt mit Modeläden,
Restaurants, Bars und Kinos. Kinder kurven lässig
mit dem Fahrrad vorbei, Grosseltern versuchen auf
ihren Minivelos mitzuhalten. Jugendliche stehen in
Grüppchen zusammen, Familien flanieren mit ihren
Kinderwagen, und aus der Gelateria säuselt ein längst
vergessener Sommerhit. Ein «Ciao» hier, ein «Salve»
dort – Italianità in ihrer besten Form.
Ein nasser Kampf
Kaum vorstellbar, dass dieses schmucke Städtchen in
einem einst von Malaria verseuchten Sumpfgebiet
liegt. Der Ursprung der Stadt geht auf die Festung
Castrum de Via Regia zurück, gebaut 1172 von
den vereinigten Städten Lucca und Genua zur Ver­
teidigung gegen Pisa. Die Festung stand dort, wo der
Burlamacco-Kanal ins Meer mündet und war durch
die Via Regia erreichbar. Der Name Viareggio geht
zurück auf diese Via Regia, übersetzt Königsstrasse,
die heute noch zum Meer führt – benannt zu Ehren
von Friedrich Barbarossa.
Bald liessen sich Fischer und Bauern am Kanal nieder,
doch der Sumpf verhinderte die Ausdehnung der
Siedlung. Mitte des 16. Jahrhunderts – nach dem
Bau des Torre Matilde und der ersten Kirche – nahm
die Bevölkerung langsam zu. Erst im 18. Jahrhundert
wurde die sumpfige Umgebung durch Kanäle mit
Klappschleusen trockengelegt, aufgeforstete Pinien­
wälder am Küstenstreifen schirmten die Siedlung
gegen starke Meereswinde ab – von da an gings
­aufwärts, eine Stadt entstand.
Schiffbau seit 400 Jahren
Heute ist Viareggio für die nautische Branche Italiens
einer der wichtigsten Standorte. Hier werden Träume
aus Aluminium, Stahl oder Fiberglas wahr: Jenseits
des Burlamacco-Kanals, am südlichen Ende der
­Passeggiata, liegen die Werften Perini Navi, Codecasa,
Overmarine, Sanlorenzo, Falcon, Maiora, Azimut oder
Benetti. Die Picchiotti-Werft – heute gehört sie
zu Perini Navi – war die allererste in Viareggio: Im
17. Jahrhundert lief hier das erste Segelboot vom Stapel.
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Trotz dieser grossen nautischen Historie sind
­Be­sichtigungen der Werftanlagen kaum möglich. Als
Gründe für die Verschlossenheit werden die strengen
Sicherheitsvorschriften vorgeschoben. Plausibler ist
der Wunsch nach Diskretion der Bootseigner – die
meisten Yachten entstehen hinter verschlossenen
­Türen. Doch bei einem Hafenspaziergang beginnt man
zu ahnen, was hinter ebendiesen verschlossenen Türen
an Luxuriösem entsteht. Und auch die umliegenden
Strassen des Darsena-Quartiers liefern Hinweise: Hier
haben sich unzählige Zulieferer- und Nautikläden
­angesiedelt. Sie befriedigen jedes Bedürfnis, das
Yachtbesitzer haben könnten. Rund ein Sechstel der
64 000 Einwohner Viareggios lebt direkt oder indirekt
vom Yachtbusiness. Vor der Krise waren es mehr.
Charmant ohne Hotelburgen
Hinter der Mauer: Draussen
vor dem Hafen liegt das
Thyrrhenische Meer.
Ein zweiter und ebenso wichtiger Wirtschaftszweig ist
der Tourismus. Und wie der Schiffsbau hat auch er
Tradition. 1822 liess sich Napoleons Schwester Paolina
Borghese hier eine Villa bauen. 1828 eröffneten die
ersten Badeanstalten, und kurz nach 1900 war
­Viareggio in Europas mondänen Kreisen als «Perle des
Tyrrhenischen Meeres» bekannt. Der Charme des ­alten
Seebads wirkt bis heute. Viareggio ist aber weder ein
zweites Rimini geworden noch erinnert es an Monte
Carlo. Sein Charakter liegt ­irgendwo dazwischen.
Noch immer prägt der vor zwei Jahrhunderten ange­
sagte Baustil die Passeggiata, die offiziell Viale Regina
Margherita heisst. Es ist ein einzigartiges Gemisch aus
Jugendstil – in Italien «Liberty» genannt – und
­klassizistischem Prunk. Das Gran Café Margherita mit
seinen zwei Türmchen und der mit Keramikfliesen
verkleideten Balustrade ist ein wunderbarer Beleg für
diese verblühte Epoche. Das 1928 vom Architekten
Alfredo Belluomini und dem Keramikkünstler Galileo
Chini gebaute Gebäude gilt als inoffizielles Wahr­
zeichen von Viareggio.
Das Mondäne verflüchtigte sich nach dem Zweiten
Weltkrieg, als der damalige Jetset zu neuen Gefilden
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wie Capri oder Portofino aufbrach. So wurde Via­
reggio auch für Normalbürger erschwinglich. Seither
wälzen sich im August – wie überall in Italien – die
Massen durch die Strassen. Viareggio ist im Frühling
und Herbst am schönsten, wenn an den Stränden kein
Kampf um die Liegestühle stattfindet, wenn die Sonne
sanft den Teint bräunt, wenn morgens die Caffè-Bars
nicht überfüllt sind und abends im Restaurant der
beste Tisch noch frei ist.
O sole mio!
Für den süssesten Start in den Tag empfiehlt sich die
Pasticceria Gambalunga – ihre Brioches und Croissants
sind zum Dahinschmelzen. Wem die Strandbäder an
der Passeggiata zu teuer und der Gratisstrand neben
dem Pontile zu klein ist, findet entlang der Viale Europa,
wenige Kilometer hinter den Werften, ein Paradies von
günstigeren Bagni und wilden Gratisstränden. Am
­bequemsten gelangt man per Velo hin. Das Fahrrad ist
sowieso das beste Verkehrsmittel für Viareggio.
Parallel zu diesen Stränden erstreckt sich der
­Naturpark Migliarino San Rossore Massaciuccoli.
Darin findet sich auch ein Bijou: Der Torre del Lago
Puccini, wo Giacomo Puccini lebte. Hier befindet sich
auch sein Grab. Die Puccini-Villa kann besichtigt wer­
den. Jeden Sommer pilgern von der Tenor-Arie «Vin­
cerò!» aus «Turandot» freudig aufgeladene Opern­
freunde hierher zum grossen Puccini-Festival.
Volkstüm­licher geht es im Februar und März zu, wenn
Viareggio seinen Carnevale feiert. Während drei
­Wochen ­finden die Umzüge statt. Wagen mit riesigen
Pappmaché-Figuren ziehen durch die ­Strassen, ­Musik
hallt von überall her, es wird getanzt und gefeiert. Die
Viareggini behaupten, ihr Carnevale sei schöner als
der in Venedig und heisser als jener in Rio.
Bis die Sohlen glühen
Während der Mittagszeit, wenn ganz Italien einen
Gang runterschaltet, versinkt auch Viareggio im
­Siestaschlaf. Danach, am späteren Nachmittag, lässt
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es sich gemütlich durch die Stadt bummeln. Der
ganzjährige Markt auf der Piazza Cavour bietet von
Schuhen und Kleidern, über Haarspangen und Spiel­
zeug bis zu Salami und Blumen so ziemlich alles an.
Ruhiger ist es im Stadtwald Pineta di Ponent: eine
grüne und schattige Oase mit Picknicktischen, Spiel­
plätzen, Velo- und Ponymietstation sowie einem
kleinen See mit Schwänen.
Die meisten Strassen in Viareggio sind rechtwinklig
zueinander angeordnet, die Orientierung ist also
einfach und entlang der teilweise autofreien
­Strassen locken Geschäfte aller Art. Wer danach
seine Schuhe kaputt gelaufen hat – umso besser.
Das erzwingt nämlich einen Besuch im wohl kleins­
ten Schuhmachergeschäft Italiens. Es liegt an der
Via Coppino 40. Die traditionelle Werkstatt befin­
det sich hinter einer weissgrauen Holztür und ist
lächerliche 1,5 m2 gross! Man reicht seine Schuhe
hinein und der ­charmante, ältere Schuhmacher
­repariert sie nach alter Schule.
Zu Wasser und zu Land
Nach derart vielen stadtseitigen Eindrücken drängt es
nicht nur Wassersportler hinaus aufs Meer. Keine
Sorge, in Viareggio gibts mindestens so viele Miet­
boote wie Gelati-Sorten: Ob ein kleiner Hobbie Cat,
um vor der Küste zu segeln, ob ein Einmaster, um nach
Elba oder Sardinien über zu setzen oder ein Motor­
boot, mit dem man entlang der Küste schippern kann
– alles ist möglich, teilweise jedoch nur mit Skipper.
Im Sommer bieten zudem mehrere Firmen Bootaus­
flüge in die Cinque Terre, nach Lerici, Portovenere und
Portofino, sowie Wochentörns auf die umliegenden
Inseln an. Sogar ein- oder mehrtägige von Meeres­
biologen geführte Exkursionen zur Delfinbeobachtung
oder zu den Walschutzgebieten lassen sich buchen.
Doch Viareggio liegt eben auch für Ausflüge ins
­Landesinnere ideal: Die Marmorsteinbrüche oberhalb
von Carrara sind bloss einen Steinwurf entfernt. Das
autofreie Städtchen Lucca sowie Pisa sind in einer
halben, Florenz innert einer Stunde erreichbar.
­ anderer finden in den Apuanischen Alpen, die sich
W
mächtig im Hinterland erheben, wunderbare Routen.
Dort oben, im Dorf Levigliani in der Gemeinde
­Stazzema, liegt der Eingang zu einem der grössten
Höhlensysteme Italiens: Der Antro del Corchia ist
60 Kilometer lang und überwindet eine Höhen­
differenz von 1200 Metern. Der Rundgang in der fünf
Millionen Jahre alten und acht Grad kalten Höhle
­erstreckt sich über zwei Kilometer, führt mal treppab,
mal treppauf zu einer überhängenden Terrasse und
durch Grotten voller Stalaktiten und Stalagmiten. Kein
leichter Spaziergang, dafür unterirdisch schön.
Muntere Nachtschattengewächse
Einen hohen Stellenwert bei den Viareggini geniesst
der Aperitivo. Wenn in den vielen Bars der Tag ver­
abschiedet und der Abend eingeläutet wird, gibts
zum Drink leckere Häppchen. Die Auswahl an guten
Restaurants ist gross, Reinfälle sind selten. Nur die
Ristoranti an der Passeggiata sollte man meiden, sie
sind oft überteuert. Empfehlenswert hingegen sind
die Taverne L’Assassino, die Slowfood-Trattoria Don
Quixote oder die Pizzeria Il Pachino. Ein Muss ist
ein Abendessen im Fischrestaurant La Baracchina,
jenseits der Burlamacco-Passerelle. Dabei sollte
man die Menukarte links liegen lassen und den
­Empfehlungen des Kellners vertrauen. Die Vorspeise
des Hauses, bestehend aus vier bis fünf verschiedenen
Fisch- und Meeresfrüchteköstlichkeiten, vergisst man
nie, aber wirklich, nie wieder!
Auch Nachtschwärmern wirds in Viareggio nicht lang­
weilig. Neben unzähligen Bars, buhlen verschiedene
Clubs und Discotheken um Tanzwütige, vom under­
groundigen Club bis zu Salsa- und Oldies-lastigen Dis­
cotheken – jede Stilrichtung wird bedient. Und plötzlich
trifft man in solchen Etablissements auf den einen oder
anderen Typus Mittdreissiger, wie jener von der Passeg­
giata: Wohl kaum mit der baumelnden Handtasche
seiner Cara am Arm, aber bestimmt mit hochgescho­
bener Sonnenbrille und wallendem Haar.
Info
Anreise
Per Zug oder mit Swiss, die ab Zürich und Genf mehrmals täglich nach ­Florenz
fliegt.
Breites Angebot: Viareggio
Unterkunft
bietet nicht nur kulinarisch
3-Sterne: Hotel Burlamacco, www.hotelburlamacco.it
viel, sondern auch unter-
Hotel Liberty, www.rivieradellaversilia.com/liberty
schiedlichste Unterkünfte.
4-Sterne: Palace Hotel, www.palaceviareggio.com
Hotel Astor, www.astorviareggio.it
Essen und Trinken
Kaffee und Kuchen: Pasticceria Gambalunga, Via V. Sant’Andrea 34
Apero mit Häppchen: Invidia Café, Corso G. Garibaldi 134/136
Ristorante La Baracchina, Lungo canale est burlamacca
Taverna L’Assassino, Viale Manin 1
Trattoria Don Quixote, Via Vespucci 165
Pizzeria Il Pachino, Via Veneto 46
Nachtclub Frau Marleen di Noto, Viale Europa 6
Discothek Capannina di Viareggio, Via Marco Polo 2a
Macando, Livemusik, Viale Europa Darsena 30
Freizeit
Bootvermietung: www.euronautica.it oder www.grupponauticoitaliano.it
Bootausflüge: www.navigazionegolfodeipoeti.it oder www.versilia.org/barche
Infos für Segler: www.nauticaversilia.com
Delfin- und Wal-Exkursionen: www.cetusresearch.org
Höhlensystem Antro del Corchia: www.antrocorchia.it
Torre del Lago & Puccini: www.giacomopuccini.it
Antiquitäten-/Flohmarkt: Piazza D’Azeglio, jedes 4. Wochenende des Monats
Mehr zur Region: www.aptversilia.it
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