das feministische monatsmagazin. juli august 2011

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das feministische monatsmagazin. juli august 2011
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das feministische monatsmagazin. juli august 2011
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Indignades feministes Wie feministisch ist die spanische Protestbewegung? Elektronische Zärtlichkeit Ada umarmt uns mit ihren neuen Songs zwischen Techno und Pop Plus: Neues Prostitutionsgesetz >> Partisaninnen>> Kicken für Kim>> I love Vagina >> Fett & Zucker >>
Feministische Kunst in Lateinamerika >> und vieles mehr
an.schläge Nr. 07-08/11, 25. Jahrgang, € 3,80 (Ö) € 4,80 (D) sfr 9,00 , ISSN 1993-3002, P.b.b. Erscheinungsort Wien, Verlagspostamt 1010 Wien, envoi à taxe réduite, GZ 02Z031419 M
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12
Politik
06 >>> an.riss politik
08 >>>
Indignadas feministas
Wie feministisch ist die Protestbewegung in Spanien?
10 >>>
Einzelne „Erlaubniszonen“
Wiens neues Prostitutionsgesetz ist kaum im Interesse der Sexarbeiterinnen
12 >>>
an.riss international
Thema: Boxen
15 >>> „A Knock Out“
Seit Frauen boxen, kämpfen sie nicht nur gegeneinander, sondern auch für ihr Recht in den Ring zu steigen
16 >>> Gelungene Haken
Das Probeboxen in der Wiener „Boxfabrik“ für Frauen war schweißtreibend, aber sehr befriedigend
18 >>>
20 >>>
Hast du ein Kämpferinnenherz?
Interview: Heather Cameron vom Verein Boxgirls macht Mädchen Mut zu kämpfen
22 >>>
Don’t touch me!
Interview: Die Filmemacherin Florence Jaugey hat mit „La Yuma“ keinen Boxfilm
Spektakel & Selbstermächtigung
Frauen, die in Filmen boxen, haben sich zu emanzipierten Kämpferinnen entwickelt
Gesellschaft
24 >>>
an.riss arbeit wissenschaft
26 >>>
Global entsichert?
Was die Begriffe Prekarisierung und Informalisierung verbindet
28 >>>
Ebenbürtige Kämpferinnen
Interview: Katja Sturm-Schnabl ist die erste Obfrau des Verbands der Kärntner Partisanen
30 >>>
I ❤ Vagina
Die Kultivierung weiblicher Erotik als Auftrag
31 >>>
„Ohne Fett und Zucker kommt kein Kuchen aus“
Am 1. Juli erhält Wien seinen ersten Kuchenladen nach Berliner Vorbild: das „Fett+Zucker“
32 >>>
an.riss kultur
34 >>>
Elektronische Zärtlichkeit
Ada umarmt uns mit ihren neuen Songs zwischen Techno und Pop
Kultur
11
„Diese Frauen sind unglaublich“
28
Interview: Kekena Corvalán dokumentiert zeitgenössische lateinamerikanische Frauenkunst
33
37
41
neuland
05
09
an.sage: „Was für ein Arsch!“
44
zeitausgleich
06
24
sprechblase: Sager des Monats
47
heimspiel
06
29
plusminus: Sammelfreuden & Gehaltsvergleich
50
lebenslauf
07
33
an.frage: Rosa Freiräume
medienmix: : lip magazine, kultur & geschlecht,
Alternativer Medienpreis 2011
an.sprüche: Zuhause ist’s am schönsten
an.lesen: Heinz-Jürgen Voß, Frauke Geyken, Karen
Jaehrling & Clarissa Rudolph, Andrea Röpke & Andreas Speit, amantine, Ella Theiss, Ulrike Schmitze
an.klang: Lady Gaga, Barbara Panther, Austra, EMA
an.sehen: Kicken für Kim
an.künden: Termine & Tipps
15
23
38
41
42
43
Kolumnen
Rubriken
Rubriken
36 >>>
lesbennest
bonustrack: vera kropf
katzenpost
zappho des monats
37
40
43
46
Juli August 2011 an.schläge l 03
editorial
Unsere große Freude darüber, dass es nun auch zur Frauenfußball-WM ein Panini-Sticker-Album gibt (siehe S. 6),
wurde durch den „Playboy“ schlagartig getrübt. Der zeigt
in seiner Juli-Ausgabe „die schönsten Nationalspielerinnen in heißen Bildern“. Dass Sportlerinnen ganz offensichtlich generell lieber im Bikini betrachtet werden als
in ihrer Arbeitskleidung, machte auch die Bildrecherche
für den Box-Schwerpunkt dieser Ausgabe überdeutlich.
Während die Millionen Ergebnisse einer Google-Bildersuche nach Muhammad Ali den Boxer wenig überraschend
großteils im Ring zeigen, findet sich von seiner Tochter
Laila Ali kaum ein Foto, auf dem sie tatsächlich kämpfend
zu sehen ist. So wie alle anderen berühmten Boxerinnen
wird sie stattdessen fast ausschließlich in Unterwäsche,
im Abendkleid oder mit Baby(-bauch) präsentiert. Trotz
Frauen-WM-Euphorie und Panini-Album – von einer
Gleichberechtigung im Sport sind wir noch weit entfernt.
Selbst beim Slack-Lining im Park stehlen uns die Jungs
gerade wieder die Show. Und das, nachdem sich Generationen von Mädchen auf dem Schwebebalken gequält und
beim Geräteturnen das Schambein geprellt haben. Also:
Steigt in den Ring, Ladys! Und Lucky Punch!
Die Redaktion
an.schläge werden gefördert von:
Feminist Superheroines
Die französische Schriftstellerin und Philosophin Monique
Wittig (1935-2003) gilt als eine der Vorreiterinnen des lesbischen Feminismus. Sie bezeichnete sich selbst als „radikale
Lesbe“ und sagte nicht nur in ihren Büchern dem heterosexuellen Regime den Kampf an. Auch als politische Aktivistin war
sie zeit ihres Lebens engagiert. So nahm sie im August 1970 an
einer Kranzniederlegung für die Frau des unbekannten Soldaten (Denkmal beim Pariser Triumphbogen) teil, um auf die gesellschaftliche Unsichtbarkeit von Frauen hinzuweisen – dieses
Ereignis wurde später als der Beginn der zweiten französischen
Frauenbewegung interpretiert. Wittig engagierte sich zudem
für diverse radikale feministische und lesbische Organisationen, und arbeitete bis zur ihrem Tod als Universitätsprofessorin
in den USA. isaga
Illustration: Lina Walde
impressum
Herausgeberinnen und Verlegerinnen: CheckArt, Verein für feministische Medien und Politik. A-1030 Wien, Untere Weißgerberstr. 41, T. 01/920 16 76, E-Mail: redaktion@anschlaege.at,
office@anschlaege.at, www.anschlaege.at l Koordinierende Redakteurinnen: Sylvia Köchl, office@anschlaege.at, T.01/920 16 76, Lea Susemichel, redaktion@anschlaege.at, T. 01/920 16 78 l
Buchhaltung, Abos: Svenja Häfner, buchhaltung@anschlaege.at, abo@anschlaege.at l Termine, Tipps: Anita Weidhofer, termine@anschlaege.at l Inserate: Michèle Thoma, mi.thoma@chello.at l
Redaktion: Bettina Enzenhofer/be, Andrea Heinz/han, Leonie Kapfer/leka, Sylvia Köchl/sylk, Silke Pixner/pix, Fiona Sara Schmidt/fis, Lea Susemichel/les, Irmi Wutscher/trude, Vina Yun/viyu
l Praktikum: Isabelle Garde l Texte: Mirjam Bromundt, Birgit Coufal/bicou, Sonja Eismann, Denice Fredriksson, Ina Freudenschuß, Tina Füchslbauer, Isabelle Garde/isaga, Judith Goetz,
Svenja Häfner, Beate Hammond, Christine Hartmann, Gabi Horak/gah, Kathrin Ivancsits/kaiv, Mia Kager/miak, Nadine Kegele/nad, Vera Kropf, Christina Mohr, Maria Poell, Helene Sie-
bermair, Elisabeth Streit, Hülya Tektas/huetek, Teresa Wintersteller, Liz Weidinger, Birgit Wolf l Layoutkonzept & Layout: Lisa Bolyos l Coverfoto: Filmstill aus „Die Boxerin” © Stardust Filmverleih
GmbH l Cartoons & Illustrationen: Paula Bolyos, Nadine Kappacher, Lisa Max, Bianca Tschaikner, Lina Walde l Fotos: an.schläge-Archiv, After Image Productions, AK gegen den Kärntner Konsens,
Lotte Berger-Marlinger, boxfabrik.at, Bettina Enzenhofer, Christina Goestl, Junge Musliminnen Österreich, Jens Kastner, Yvette Mattern, Lia Michael/boxgirls.org, Alejandra Portela/de
leedor, Katja Ruge, Koryo Tours, Christina Schlegel, Senator Film, Nana Swiczinsky, trigon-film, Eva Trimmel/IiF, Warner Bros., Birgit Wolf l Homepage: Mirjam Bromundt, www.anschlaege.at l
Druck: H.R.G. Druckerei © an.schläge: Titel, Vorspann und Zwischentitel von der Redaktion. Namentlich gekennzeichnete Beiträge müssen nicht der Auffassung der Redaktion entsprechen.
Kürzungen vorbehalten. l ISSN 1993-3002
04 l an.schläge Juli August 2011
an.sage
„Was für ein Arsch!“
Ein Kommentar von Lea Susemichel
Die Berichterstattung war schauderhaft. In den ersten Tagen
nach der Verhaftung von Dominique Strauss-Kahn war nur
selten explizit vom Vorwurf der Vergewaltigung die Rede.
Mit einem „Sex-Skandal“ oder einer „Sex-Affäre“ des ehemaligen IWF-Chefs wurde stattdessen getitelt. „Lebemann“,
„kein Kind von Traurigkeit“ oder ein „Verführer französischer Schule“ wurde er dabei entschuldigend bis ehrfurchtsvoll genannt und augenzwinkernd fraternisierend von einem
seiner letzten Bonmots in Freiheit berichtet: „Was für ein
schöner Arsch!“, soll er auf der Reise nach New York über
den Hintern einer Flugbegleiterin gesagt haben.
Der Journalist Jean-François Kahn versuchte die Vorwürfe
gar allen Ernstes damit zu bagatellisieren, dass es alles andere als unüblich sei und eine lange Tradition habe, „Domestiken“ an die Wäsche zu gehen.
Zahllose Kommentatoren sahen die
sexuelle Libertinage überhaupt durch
amerikanische Prüderie bedroht, und
auch sozialistische Parteifreunde
sprangen reflexartig für Strauss-Kahn
in die Bresche. Es sei „schließlich
niemand gestorben“, urteilte etwa
der frühere Kultur- und Bildungsminister Jack Lang.
Das Opfer des mutmaßlichen Übergriffs hingegen, die 32-jährige, aus
Guinea stammende Hotelangestellte Nafissatou D., Mutter
einer 15-jährigen Tochter, firmierte nicht nur im Boulevard
stets als das „afrikanische Zimmermädchen“.
Dass sich der mediale Tonfall inzwischen merklich verändert
hat, verdankt sich vor allem den feministischen Protesten, die
diesen Entgleisungen folgten. „Wir wissen nicht, was am 14.
Mai in New York geschehen ist“, schrieben mehrere Organisationen in einer gemeinsamen Petition, die in kürzester Zeit von
zehntausenden Frauen unterzeichnet wurde, „aber wir wissen,
was in der letzten Woche in Frankreich los war“.
Tausende Feministinnen gingen in Paris mit aufgeklebten
Bärten und Slogans wie „Wir sind alle Zimmerfrauen“ auf
die Straße, um den unverhohlenen Sexismus und die Verharmlosung sexualisierter Gewalt im öffentlichen Diskurs
anzuprangern. Französische Politikerinnen demonstrierten
mit umgebundenen Krawatten gegen Frauenfeindlichkeit
im Parlament und sprachen erstmals darüber, dass weibliche Abgeordnete aus Angst vor Belästigungen kaum mehr
im Rock in der Nationalversammlung erscheinen. Was vor
allem auch damit zu tun habe, dass sie dort weiterhin in der
Minderheit und nur mit etwa 18 Prozent vertreten sind. Nicht
nur frühere Vergehen Strauss-Kahns werden nun erstmals
öffentlich diskutiert, auch dass sich andere Politiker gegenüber Journalistinnen und Mitarbeiterinnen durchaus ähnliche
Dinge erlauben, wird publik. Verteidiger des Ex-IWF-Chefs,
die ihn als Opfer eines politischen Komplotts oder aufgrund
seines Jüdischseins als „neuen Dreyfus“ inszenieren wollen,
werden wieder leiser. Lauter jedoch diejenigen, die eine kritische, offene Debatte über Machismus und männliche Macht
fordern.
Und so leidenschaftlich und breit wie derzeit wurde diese Debatte tatsächlich lange nicht geführt. Nicht nur in Frankreichs
Zeitungen liefern feministische Autorinnen Analysen über
den gefährlichen Zusammenhang zwischen politischer und
sexueller Omnipotenz, in denen plötzlich
Begriffe wie „Phallokratie“ vorkommen dürfen. Sogar in ganz konkreten
Zahlen zeigen sich die Auswirkungen des
Stimmungsumschwungs. Wurden bislang
nur etwa zehn Prozent von geschätzten 75.000 Vergewaltigungen jährlich
in Frankreich angezeigt, verzeichnen
Frauenorganisationen zuletzt einen deutlichen Anstieg bei den Meldungen von
sexualisierter Gewalt. Die feministische
Aktivistin Magali de Haas prognostiziert
angesichts dieser erfreulichen Entwicklungen gegenüber dem
„Guardian“ sogar: „Ich bin zuversichtlich, dass wir ein neues
Erwachen des Feminismus erleben werden.“
Auch andere kleine Erfolge geben Anlass zum Optimismus.
In New York wird nun die Einführung eines Alarm-Knopfs
für Hotelangestellte gefordert. Und die Hotelkette Sofitel,
bei der Strauss-Kahn seine Suite gemietet hatte, hat bereits
ihren Dresscode für Mitarbeiterinnen geändert. Durfte der
weibliche Zimmerservice bislang ausschließlich kurze Röcke
tragen, sind mittlerweile auch Hosen gestattet. l
Juli August 2011 an.schläge l 05
an.riss politik
sozialstudie
Alleinerziehen erhöht das Armutsrisiko
Foto: Junge Musliminnen Österreich
berufsqualifikation
Fünf Jahre Fatima
Ende Mai feierte das Projekt Fatima des Vereins „Junge Musliminnen
Österreich“ sein fünfjähriges Jubiläum. Die „Qualifikationsoffensive junger
Musliminnen“ hat es sich zur Aufgabe gemacht, junge Frauen aus- und weiterzubilden. Muslimische Frauen sollen so befähigt werden, am gesellschaftlichen, politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Leben gleichberechtigt
teilzuhaben. Partizipation gegen Diskriminierung, ist das Motto. Die Ausbildung bei Fatima stellt für viele junge Migrantinnen außerdem eine wichtige
Zusatzqualifikation auf dem Arbeitsmarkt dar. Erklärtes Ziel ist es außerdem,
dass die Teilnehmerinnen mehr Selbstvertrauen entwickeln und als Vorbilder
für andere wirken. Wir gratulieren und wünschen viele weitere Kurse! trude
www.projektfatima.at, www.jmoe.at
„
Einige
Die Studie zum Download: www.bmsk.gv.at/cms/site/attachments/0/1/1/CH0025/
CMS1306931083602/band7_alleinerziehende_web%5B1%5D.pdf
finde ich auch
sehr hübsch.“
Autsch. Lothar Matthäus, deutscher Rekordnationalspieler im Männerfußball, äußerte
sich zum Thema Frauenfußball. Die Frauen
seien den Männern zwar klar körperlich unterlegen, denn Männer haben „mehr Muskeln,
viel mehr Kraft“, aber einige Spielerinnen findet Herr Matthäus „sehr hübsch“. Schönheit
ist im Fußball ja auch enorm wichtig, wen
interessiert es da noch, dass, laut Matthäus,
selbst die Amateurmannschaft des FC Bayern
München gegen das Frauennationalteam
„klar gewinnen“ würde. leka
06 l an.schläge Juli August 2011
Beinahe ein Drittel, nämlich 29 Prozent der Alleinerzieherinnen in Österreich sind armutsgefährdet. Zu diesem erschreckenden Ergebnis kommt eine
Studie des Sozialministeriums zur Situation alleinerziehender Frauen mit
Kindern unter 15 Jahren. Jede achte Frau mit Kindern unter 15 Jahren ist
alleinerziehend, und Frauen stellen mit 92 Prozent noch immer die überwiegende Mehrheit der AlleinerzieherInnen. Neben der akuten Armutsgefährdung ist es auch die sogenannte „Deprivation“ – das bedeutet, dass man aus
finanziellen Gründen weniger am sozialen Geschehen teilnehmen kann –,
die Alleinerzieherinnen mit 23 Prozent wesentlich häufiger trifft als ZweiEltern-Familien (sieben Prozent). Wege aus der Armutsgefährdung bieten
laut Studie einerseits eine ausreichende und angemessen entlohnte Erwerbstätigkeit und andererseits staatliche Transferleistungen wie das Kindergeld
oder der Unterhaltsvorschuss. Auch die Einführung der bedarfsorientierten
Mindestsicherung habe die Situation von Alleinerziehenden wesentlich
verbessert, so die StudienautorInnen. Ohne staatliche Leistungen wären
knapp 80 Prozent aller nicht erwerbstätigen Alleinerzieherinnen armutsgefährdet, so sind es derzeit 49 Prozent. Vollzeit beschäftigt sind 40 Prozent
aller Alleinerzieherinnen und insgesamt sind sie häufiger erwerbstätig als
Mütter in Zwei-Eltern-Familien. Bei den migrantischen Alleinerzieherinnen
ist die Erwerbsquote niedriger, sie sind auch stärker von Arbeitslosigkeit
betroffen als Nicht-Migrantinnen. Doch auch die Erwerbstätigkeit schützt
nicht unbedingt vor Armut: Ein Drittel der arbeitenden Alleinerzieherinnen
wäre ohne Transferleistungen ebenfalls armutsgefährdet. Frauenministerin
Gabriele Heinisch-Hosek (SPÖ) bekräftigt angesichts dieser Ergebnisse ihre
politischen Forderungen etwa nach dem Ausbau von Kinderbetreuungsplätzen. Sie interpretiert sie außerdem auch als Auftrag, das Familienrecht zu
reformieren und darin neue gesellschaftliche Realitäten wie Patchworkfamilien zu berücksichtigen. Sozialminister Rudolf Hundstorfer (SPÖ) hingegen
sieht die Ursache des Problems v. a. in der hohen Teilzeitarbeitsrate, insbesondere im Hinblick auf die Pensionen. Heinisch-Hosek will 50 Prozent der
AMS-Gelder für Frauen reservieren und appelliert an die SozialpartnerInnen, für alle Branchen einen Mindestlohn von 1.300 Euro festzulegen. trude
plus
Sammelfreuden (+)
Gehaltsvergleich (-)
Endlich. In diesem Jahr wird es erstmals ein
„Panini-Sammelalbum“ für die Fußball-WM
der Frauen geben. Seit 31. Mai kann das
40-seitige Album mit Platz für 336 Sticker
käuflich erworben werden. Leider ist es
bislang nur in Deutschland, dem GastgeberInnenland der WM, erhältlich. Für die Männerteams gibt es die berühmten Alben schon
seit den frühen 1970er Jahren. Damals war
es Frauen vom Deutschen Fußballbund noch
ausdrücklich verboten, Fußball zu spielen.
But the times they are a-changing! leka
Die Lohnschere macht auch vor dem Fußball
nicht Halt. Denn bei gleicher Leistung,
also dem Titelgewinn, würde das deutsche
Frauenfußballnationalteam nicht einmal
annähernd an die Spitzensumme der Männer
von 300.000 Euro pro Kopf herankommen.
90.000 Euro pro Spielerin wurden dem
Frauenteam als Prämie in Aussicht gestellt.
Auch in den nationalen Profi-Ligen wird
Lohngleichheit klein geschrieben, dort können
einige Spielerinnen von ihrem Gehalt nicht
einmal leben. leka
an.frage
deutschland
Antifeministische „Gleichbehandlung“
Anlässlich der Kinderschutzwoche wollte eine Gewaltschutzeinrichtung in
Goslar in Niedersachsen eine Brötchentüte mit der Aufschrift: „Gewalt
gegen Kinder und Frauen kommt nicht in die Tüte“ bedrucken. Dagegen
sprach sich die Gleichbehandlungsbeauftragte der Stadt, Monika Ebeling,
aus: Das sei diskriminierend und mache Frauen zu Opfern und Männern zu
Tätern. Die Gleichbehandlungsbeauftragte wehrte sich gegen „einäugige“,
soll heißen feministische Agenden, und ergriff stattdessen leidenschaftlich
für die von der Gesellschaft längst unterjochten Männer Partei. Dabei
präsentierte sie so krude Themen wie „Verhütungsbetrug“, „Zwangsvaterschaft“, die „Zwangsarbeit für die aufgezwungene Frau/Familie“ und
warb in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung für „mehr Mut zur
Hausfrau“. Die Linken forderten daraufhin Ebelings Rücktritt, die Forderung wurden schließlich von den Grünen und der SPD, der Partei Ebelings,
unterstützt. Ende Mai 2011 wurde die Politikerin in Goslar mit 25 zu zehn
Stimmen abgesetzt. Seither wird sie durch die Medien gereicht, wo sie
sich als Opfer der „Alt-Feministinnen“ inszeniert, mit Unterstützung der
einschlägigen Männer- und Väterrechts-Foren. Ebeling kündigte an, sie
wolle weiter Politik machen und am Gleichstellungsgebot (für benachteiligte Männer) arbeiten. trude
http://diestandard.at/1304552603642/Deutschland-Kampf-gegen-Bitterfotzen
www.sueddeutsche.de/karriere/gleichstellungsbeauftragte-verliert-job-goslar-kein-herz-fuermaenner-1.1099113
abschiebung
Noch kein Asyl für türkische Transfrau
Sie wurde in ihrer Heimat wiederholt misshandelt und bei Rückkehr droht
ihr der Tod – trotzdem wurde der Asylantrag der türkischen Transsexuellen Yasar in Österreich zunächst abgelehnt. Sie sollte am 15. Juni in die
Türkei abgeschoben werden. Dagegen machten Organisationen wie Asyl
in Not, TransX oder der Türkis Rosa Tipp mit Kundgebung, Demonstration
und einer Petition mobil. Die Abschiebung konnte so im letzten Moment
vorerst verhindert werden. Yasar ist ihren Dokumenten nach immer noch
männlich. In der Türkei wurde sie von der Polizei und von transphoben
Schlägern mehrmals massiv misshandelt, davon zeugen zahlreiche Narben
auf ihrem Körper. Außerdem gelten Transgender-Personen in der Türkei
als „Schande“ für die Familie, weswegen Yasars Familie vermutlich einen
Auftragsmörder auf sie angesetzt hat. Grund genug, um Asyl gewährt zu
bekommen, aber dem ist scheinbar nicht so: Yasar flüchtete im September
2009 nach Österreich. Ihr Asylantrag wurde in erster Instanz abgelehnt.
Ihre rechtliche Vertretung, der Verein Menschenrechte Österreich, hatte
es verabsäumt, dagegen Beschwerde einzulegen, und auch der Antrag auf
Wiederaufnahme des Verfahrens wurde verpatzt. Jetzt setzen sich die Vereine Asyl in Not und TransX für die Freilassung Yasars ein, ein Folgeantrag
wurde eingebracht und wird nun geprüft. Nach einer vom Frauenhandel
betroffenen Nigerianerin, die ihre Schlepper anzeigte und daraufhin selbst
in Schubhaft genommen wurde, ein weiterer Fall, der die österreichische
Asyl- und Abschiebepraxis mehr als zweifelhaft erscheinen lässt. trude
laufend aktualisierte Infos zum Fall Yasar und die Petition gibt es hier:
http://transx.at/Yasar.htm
Rosa Freiräume
Noch rechtzeitig vor den Wahlen der Österreichischen
Hochschüler_innenschaft eröffnete Anfang Mai das
Studibeisl Café Rosa. Das Kollektiv sprach mit Isabelle
Garde über feministische Politik, Finanzierungsdebatten
und die Zielsetzungen des schon seit mehreren Jahren
geplanten Projekts.
Der Name des Cafés bezieht sich auf drei prominente politische
Frauen: Rosa Luxemburg, Rosa Mayreder und Rosa Manus. Inwiefern verfolgt das Café Rosa eine explizit feministische Politik?
Der Name bezieht sich nicht nur auf diese drei Frauen*. Es gibt noch
einige Rosas mehr: z.B. Rosa Parks, eine amerikanische Bürgerrechtlerin. Wir planen auch eine Ausstellung, in der wir auf all diese Frauen
aufmerksam machen wollen. Rosa steht aber stellvertretend für ALLE
politischen Frauen*.
Unser Anspruch ist es, Frauen* Möglichkeiten und Räume zu bieten,
ihre Arbeit und ihr Handeln sichtbar zu machen und sie zu fördern. Feminismus ist für uns aber nicht nur Frauen*förderung. Der Grundsatz
bezieht sich sowohl auf antisexistische Praxis wie auch auf eine theoretische feministische Auseinandersetzung, die wir im „Rosa“ durch
Infrastruktur fördern wollen. Dass es dafür extra Räume braucht, ist
leider nach wie vor so in den männlich dominierten, kapitalistischen
Verhältnissen, in denen wir leben.
Dass das Café Rosa über ÖH-Gelder finanziert wurde, hat für scharfe Kritik aus den Reihen der konservativen Fraktionen an der Uni
Wien geführt. Wie geht ihr mit dieser Kritik um?
Die Kritik der konservativen, rechten und rechtsextremen ÖH-Fraktionen war heftig – aber bestätigt auch, dass wir mit unserer inhaltlichen
Ausrichtung einen Nerv getroffen haben. Außerdem hat deren Kritik
dazu geführt, dass Grundsätze wie „antiheteronormativ“ und „antiklerikal“ plötzlich und endlich ihre Diskussion in den Medien gefunden
haben. Weniger gut war allerdings, dass durch die großteils falschen
kolportierten Informationen Missverständnisse entstanden sind. Deswegen versuchen wir nach wie vor, klar zu kommunizieren, dass der
Großteil der Kosten Kaution und Ablöse waren – also Gelder, die wir
bei Verkauf wieder bekommen – bzw. dem notwendigen barrierefreien
Umbau geschuldet waren.
Welchen Anspruch hat das Café Rosa und was sind eure Ziele?
Das Café Rosa soll ein Raum mit emanzipatorischem Anspruch sein,
der die Möglichkeit der basisdemokratischen Mitgestaltung bietet.
Wie die Grundsätze des betreibenden Vereins schon verraten, hat
sexistisches, rassistisches, homo- oder transphobes Verhalten keinen
Platz im Café.
Unser Wunsch ist es, dass viele Menschen Lust bekommen und die
Möglichkeit nutzen, im „Rosa“ aktiv mitzumachen. Daher möchten
wir noch auf das wöchentliche, offene Plenum im „Rosa“ hinweisen.
www.cafe-rosa.at
Juli August 2011 an.schläge l 07
spanien
Indignades
feministes*
Seit Mitte Mai sind auch in Spaniens Städten viele
Plätze besetzt. Die Protestierenden sind ausdauernd
und gut organisiert. Sind sie auch feministisch?
Birgit Wolf berichtet aus Barcelona.
* empörte Feministinnen
1 Eurostat April 2011
2 Mit dem Hashtag-Symbol
(#) werden Kurznachrichten
(Tweets) auf Twitter per
Schlagwort kategorisiert:
#spanishrevolution, #acampadasbcn (Protestcamp
Barcelona), #acampadassol
(Protestcamp Madrid),
#15M (15. Mai, Beginn der
Massenproteste), #22M (22.
Mai – Wahltag).
3 Das X steht für die geschlechterneutrale Endung.
4 Bezeichnungen, die sich
auf Gender-Identitäten
beziehen, sind jeweils
direkt den Manifesten und
Kommissionen der empörten
Feministinnen in Madrid
und Barcelona entnommen.
Links:
Blog Feministische
Kommission – Protestcamp
Barcelona: http://feministesindignades.blogspot.com
La Independent:
www.laindependent.cat
Blog Protestcamp Barcelona: http://acampadabcn.
wordpress.com/
Webportal Protestcamp Barcelona:
www.acampadabcn.cat
Livestreaming Protestcamp
Puerta de Sol Madrid:
www.soltv.tv/soltv2/index.html
08 l an.schläge Juli August 2011
Seit dem 15. Mai (#15M) versammeln
sich Tausende Frauen und Männer aus allen Bevölkerungsgruppen auf den Plätzen
vieler spanischer Städte, um ihrem Unmut laut Ausdruck zu verleihen. Täglich
um 21 Uhr wird mit Töpfen und Deckeln
gelärmt. Die Protestierenden rufen auf,
sich zu empören: ¡indignaos!
„Mit ihren Protesten kritisieren die
Menschen, dass die Krise nur die ArbeiterInnen und Angestellten zahlen, die
Banken und die großen Unternehmen
hingegen Unterstützung bekommen
und weiterhin ihre Gewinne erzielen“,
so Montserrat Vila, Koordinatorin
der Plattform gegen Gendergewalt in
Barcelona. „Sie empören sich, weil die
Führenden mehr wie Lakaien agieren,
die den korrupten Abgeordneten und
korrupten Institutionen dienen, und sie
zeigen, dass es um die Demokratie sehr
schlecht steht.“
#15M. Bereits im Frühjahr kam es zu
Massenprotesten im Internet gegen
korrupte Abgeordnete auf den Wahllisten. Am 15. Mai, dem Wochenende
vor den Regionalwahlen, manifestierte
sich dieser Unmut in der Besetzung der
öffentlichen Plätze durch „die Empörten“ (die indignadas/os, wie sie sich
selbst bezeichnen). In den acampadas,
den Protestlagern, wird unaufhörlich
über Politik, Systeme, globale Zusammenhänge, regionale Bedürfnisse und
vor allem über Veränderung diskutiert.
Ein wichtiger Grundkonsens dabei ist
Gewaltlosigkeit und Pazifismus. „Die
Gesellschaft muss sich verändern, damit
die Dinge wieder besser funktionieren
und nicht ein paar wenige in Wirtschaft
und Politik nur auf ihr Eigeninteresse achten statt auf die Bedürfnisse
der Mehrheit. Das hat zur heutigen
Treffpunkt der empörten Feministinnen am besetzten Plaça Catalunya, Barcelona
Foto: Birgit Wolf
Situation geführt: Fünf Millionen
Arbeitslose, ein prekärer Arbeitsmarkt,
Pensionskürzungen, die Anhebung des
Rentenalters, Arbeitsreformen zugunsten der Unternehmen und vieles mehr“,
erklärt Vila. Während im EU-Schnitt 20
Prozent der unter 25-Jährigen keinen
Arbeitsplatz haben, sind es in Spanien
43,5 Prozent der Jugendlichen (zum
Vergleich: in Österreich sind es 10,1
Prozent, in Deutschland 7,9 Prozent)1.
Verständlich, dass die Protestbewegung
hauptsächlich von jungen Leuten getragen wird, die jedoch breite Unterstützung auch in der übrigen Bevölkerung
finden. In den Protestcamps heißt es:
„Wir wollen nicht mehr die Handelsware der Banken und Politik sein.“ Sie
wollen Veränderung, echte Demokratie
und Teilhabe – jetzt.
#strukturierter Protest. Informationen über Versammlungen, Aktionen
und die Organisation der Protestcamps
werden getwittert2, ein wesentlicher
Erfolgsfaktor der acampadas. Auch der
Hilfeschrei beim gewalttätigen Polizeieinsatz am Plaza Catalunya in Barcelona am 27. Mai verbreitete sich via
Twitter, sodass Tausende zu Hilfe eilten.
Dazu gibt es Blogs, Livestreamings,
Internetportale inklusive TV und Radio.
Nach den Regional- und Kommunalwahlen am 22. Mai (#22M), die den SozialistInnen deutliche Niederlagen und
damit einen konservativen Backlash mit
sich brachten, setzen die indignadxs3
ihre Proteste umso entschlossener fort.
Neben der Organisation der Basis, wie
kostenlose Verpflegung, Ausstattung
mit Computern, Internet etc., werden
thematische Kommissionen (z.B. zu Migration, Diversität, Wirtschaft, Gesundheit, Internationales, Kultur und Kunst)
eingerichtet, um konkrete Forderungen
auszuarbeiten und Maßnahmen zu
setzen. Durch die Camps sind die Plätze
ständig besetzt, darüber hinaus nehmen
viele weitere Protestierende abends und
am Wochenende teil. Die acampadas
verbreiten sich auch auf die anderen
Stadtviertel und in kleinere Städte und
sind untereinander koordiniert. Seit
Pfingsten sind die Demonstrationsstrategien in Veränderung, die Nachtcamps
werden diskutiert und die Arbeitsstrukturen konsolidiert.
„Es ist eine lebendige Bewegung, in
der viele Frauengruppen und -gruppierungen von Anfang an aktiv waren
und Gleichstellung einfordern“, betont
Montserrat Vila. Die Agenda ist
offen und partizipativ, alle können mit
Kommentaren und Ideen intervenieren.
Es ist Parität bei den RednerInnen
vorgesehen, die Redezeit ist auf zwei
Minuten beschränkt.
Es gab Diskussionen und Polemiken
im Internet und auf den Plätzen selbst
wegen sexistischen Sprachgebrauchs,
was teilweise auch Männer sehr betroffen gemacht hat, sodass sie nun aus
Überzeugung nur mehr im Femininum
sprechen. Doch von anderen wurde die
Formulierung „La Revolución será feminista o no será“ (Die Revolution wird
feministisch sein oder sie wird nicht sein)
in den Manifesten heftig kritisiert und
Feminismus wie alle „Ismen“ und Institutionen abgelehnt. Man wolle durch die
gemeinsame Auseinandersetzung lernen,
anstatt belehrt zu werden. Die Einigkeit in der Absage an Faschismus und
Rassismus bedeutet also nicht, dass auch
Feminismus und das Eintreten für Gleichstellung zum Basiskonsens gehören.
#feministischeKommission4. Die Kommission der indignades feministes (empörte Feministinnen) hat am 3. und 4.
Juni in Barcelona öffentlich Workshops
zu Feminismus und nicht-sexistischem
Sprachgebrauch durchgeführt. Die
Workshops wurden sehr positiv bewertet, die feministische Kommission ist da-
Personen, Abschaffung des Fremdengesetzes, Ablehnung jeglicher polizeilicher
oder gesetzlicher Verfolgung.
• Sprachgebrauch, der frei ist von
lesbo/homo/transphoben und xenophoben Haltungen, frei von Klassendenken,
Rassismus und Abwertungen.
• Ablehnung von Heteronormativität und obligatorischer Weiblichkeit,
Überwinden des aktuellen androzentristischen Wissens.
• Einheitliches Modell der Einbeziehung von Geschlechtererziehung in den
Lehrplänen zur Förderung von egalitären, freien und nicht-heteronormativen
Beziehungen.
• Überwindung von Stereotypien, emotionalen Abhängigkeiten und jeglicher
Gewalt.
Aus Sicherheitsgründen und wegen
verschiedenster Formen sexistischer
Gewalt auch auf den Plätzen wurden
Stellungnahmen der feministischen
Die Revolution wird feministisch sein,
oder sie wird nicht sein.
durch ins Blickfeld vieler AktivistInnen
gerückt, es gab eine rege Teilnahme von
Mitgliedern der anderen Kommissionen
und vom Publikum. Die Forderungen in
den Manifesten der indignades feministes von Madrid und Barcelona, die sich
auf Frauen, Lesben, Schwule, Transgender- und Intersex-Personen beziehen,
schließen alle öffentlichen Bereiche
mit ein und verstehen sich als integrale
Forderungen aus Genderperspektive
an die verschiedenen Kommissionen
wie Gesundheit, Arbeit und Wirtschaft,
Zuwanderung, Bildung, Kunst, Kultur
u.v.m.:
• Einbeziehung der Belange von Frauen
in die politische, wirtschaftliche und
soziale Agenda im Prozess der Veränderung.
• Würdige Arbeitsbedingungen und
gerechte Verteilung von Wohlstand und
auch der reproduktiven Arbeit.
• Freiheit, über den eigenen Körper zu
entscheiden, und Recht auf kostenfreie
Abtreibung.
• Anerkennung der Rechte der MigrantInnen ohne Barrieren jeglicher Art,
der Rechte von SexarbeiterInnen sowie
ihrer Formen der Organisation und Verwaltung, Anerkennung der StaatsbürgerInnenschaft von undokumentierten
Kommission in Madrid und Barcelona
verlesen und veröffentlicht. „Der große
Erklärungs- und Rechtfertigungsbedarf feministischer Forderungen in
den acampadas selbst kostet uns viel
Energie, die wir lieber für Workshops
und konkrete Maßnahmen einsetzen
würden, aber diese Arbeit ist wichtig
und notwendig!“, so Vertreterinnen
der feministes indignades in Barcelona. Nächste wichtige Schritte sind
Aufklärung über feministische Inhalte
und Gleichstellung, geplant ist auch
eine Website mit Infos sowie Aktionen,
um den Kampagnen der e-cristians,
einer ultra-katholischen Gruppe von
AbtreibungsgegnerInnen, etwas entgegenzusetzen. Die dafür notwendige
Vernetzung der Feministinnen aus den
unterschiedlichsten Gruppen und Netzwerken funktioniert gut.
„La Independent“, die unabhängige
Nachrichtenagentur mit Gendervision,
hat also völlig Recht, wenn sie schreibt:
„Der Feminismus findet auf den Plätzen
statt!“ l
Birgit Wolf ist PhD Researcher, UniLektorin und Gender-Aktivistin, derzeit
an der Autonomen Universität Barcelona,
Spanien. http://genderview.wordpress.com
neuland
entdeckungen im alltag
Beate Hammond
Verschwörung
des Schweigens
Mächtige Menschen leben oft in einer riesigen Seifenblase. In ihrer Umgebung wird ihnen vor allen Dingen eines
vermittelt: nämlich dass sie jung, schön und intelligent und
überhaupt unsagbar fantastisch seien. Und die meisten dieser Menschen glauben diese Schmeicheleien bedingungslos.
Grenzen sind in dieser Seifenblasenwelt allenfalls dazu da,
selbstbewusst überschritten zu werden. Strafbare Handlungen gibt es dort nicht. Ich wollte die Sachen nicht stehlen,
sie wurden mir geschenkt, sagen sie erhobenen Hauptes,
wenn sie auf frischer Tat ertappt werden. Oft kommen sie
damit durch, auch bei sexueller Gewalt. Wer kann die schon
beweisen? Selbst wenn es Spuren gibt, kann man immer
noch behaupten, es sei einvernehmlich gewesen oder es
gäbe eben eine Vorliebe für gewisse Praktiken, die Verletzungen nach sich ziehen können. Der Anklägerin kann
man wahlweise Verfolgungswahn, Hysterie, Rachsucht oder
gar, wie im Fall Dominique Strauss-Kahn geschehen, ein
wenig ansprechendes Äußeres unterstellen: Warum sollte
ein mächtiger Mann sich an einem Zimmermädchen von
durchschnittlicher Attraktivität vergreifen?
Die Seifenblase um DSK ist vorerst geplatzt, durch eine
gewerkschaftlich organisierte afrikanische Hotelangestellte.
Aber hinter jedem wegen sexueller Gewalt angeklagten
Mann steht mindestens eine Frau, die loyal und gegen
alle Widerstände zu ihm hält, und eine zweite, die von
ähnlichen Taten des Angeklagten zu berichten weiß, aber
geschwiegen hat.
Schweigen wäre die bessere Alternative für Matthew Weiner gewesen, einem aufstrebenden, nicht mehr ganz jungen
Politiker aus New York. Stattdessen schickte er zahlreichen
fremden Frauen schlüpfrige Texte und Fotos, ungeachtet
seiner Ehe mit Huma Abedin, Beraterin Hillary Clintons
und nebenbei noch von der US-Vogue gefeierte Stil-Ikone.
Wie sagte Hillarys Ehemann doch einst über seine legendäre Zigarrenaffäre? I did it because I could. Dem ist nichts
hinzuzufügen.
Beate Hammond macht ihre Entdeckungen in Wien.
Juli August 2011 an.schläge l 09
sexarbeit
Einzelne „Erlaubniszonen“
Ende Juni wurde in Wien ein neues Prostitutionsgesetz beschlossen, das den Straßenstrich
im Wohngebiet praktisch verbietet. NGOs kritisieren diese Regelung, die mehr den Interessen
der AnrainerInnen diene als jenen der Sexarbeiterinnen.
Von Gabi Horak
Ende Jänner urteilte die Wiener Frauenstadträtin Sandra Frauenberger noch,
dass ein Verbot der Straßenprostitution
nicht zielführend wäre. Denn wo Verbote sind, fänden Menschen Wege, sie zu
umgehen. Viele Gespräche mit Sexarbeiterinnen, ExpertInnen aus NGOs und
vor allem mit AnrainerInnen später haben sich dann aber doch andere Interes-
1 Wir schreiben „Integration“ in Anführungszeichen,
um zu verdeutlichen, dass
dieser Begriff in Österreich
dermaßen politisch aufgeladen ist, dass er nicht mehr
neutral verwendet werden
kann: Es sind damit immer
nur MigrantInnen gemeint,
es sind mit ihm stets Forderungen, Drohungen und
Sanktionen verbunden, und
er wird vielerorts als rein
rassistisches Schlagwort
verwendet.
Links:
www.peregrina.at
www.maiz.at
10 l an.schläge Juli August 2011
gebiet am Stadtrand oder eine einsame
Straße bieten weder Infrastruktur noch
Schutz für Sexarbeiterinnen.
Gescheiterter Feldversuch. Anfang
2010 präsentierte die Stadt Wien ein
Sieben-Punkte-Programm zur Prostitution, um endlich Lösungen für die
Konflikte in einigen Wohngegenden mit
„Sexarbeiterinnen werden wohl an Orten
arbeiten müssen, die sie großen Gefahren
aussetzen.“ (LEFÖ)
sen durchgesetzt: Am 1. November wird
das neue Wiener Prostitutionsgesetz in
Kraft treten, das Straßenprostitution
zwar nicht völlig verbietet, aber de
facto in allen Wohngebieten untersagt.
Erlaubte Zonen sollen Gewerbegebiete,
Ausfallstraßen und der Prater sein.
NGOs und Sexarbeiterinnen halten das
Gesetz einerseits für nicht exekutierbar,
andererseits fürchten sie einen weiteren
Anstieg gewaltsamer Übergriffe gegen
Frauen auf dem Strich: Ein Gewerbe-
Straßenstrich zu finden (vgl. an.schläge
10/2010). Das Programm startete dann
im Mai 2010 mit einem halbjährigen
Feldversuch im 15. Bezirk, wo AnrainerInnen sich bereits zu BürgerInneninitiativen zusammengeschlossen hatten, um
gegen die ihrer Meinung nach unhaltbaren Zustände mobil zu machen. Keine
einfache Situation für alle Beteiligten.
Im Rahmen dieses Versuchs wurde der
Straßenstrich auf der Felberstraße
komplett verboten und stattdessen zwei
andere Straßenzüge angeboten. Sexarbeiterinnen waren in diesen abgelegenen und dunklen Straßen jedoch selten
zu finden – die Arbeit verlagerte sich
wohl in Privatwohnungen und andere
ähnlich unsichere Orte.
Eine Maßnahme, die gut angenommen
und deshalb nun auch bis Ende September 2011 verlängert wurde, war das
Projekt „SOPHIE mobil“. Mitarbeiterinnen des SOPHIE BildungsRaums für
Prostituierte betreiben professionelles
Beschwerde- und Konfliktmanagement
vor Ort sowie eine Hotline. Die persönlichen Gespräche mit AnrainerInnen
haben einen wichtigen Beitrag zur
Deeskalation geleistet.
Gewaltprävention. Ein anderes Projekt
im Rahmen des Programms war jenes
des Vereins LEFÖ, der Beratung für
Migrantinnen in der Sexarbeit anbietet.
Dabei wurden migrantischen Sexarbeiterinnen Expertisen zur Gewaltprävention und zum Schutz gegen Frauenhandel
vermittelt. Auch dieses Projekt wird bis
Dezember 2011 weitergeführt.
Gewaltprävention ist ein wichtiges
sexarbeit
Thema für Sexarbeiterinnen. LEFÖ
berichtet von einem „erschreckenden
Anstieg“ der Gewalttaten seit Beginn
des Versuchs in der Felberstraße. Die
ohnehin harten Arbeitsbedingungen
wurden durch die Ausweitung der Verbotszonen, Aggressionen durch AnrainerInnen und repressive Polizeikontrollen
weiter erschwert. „Die Polizei wurde
bedingt durch ihre starke Präsenz weniger als Schutzeinrichtung vor Gewalt
und Frauenhandel erlebt, sondern als
Kontroll- und Bestrafungsinstanz“, sagt
eine Mitarbeiterin von LEFÖ. Deshalb
beurteilt sie auch die faktische Abschaffung des Straßenstrichs im gesamten
Wohngebiet als sehr problematisch.
„Diese Maßnahme widerspricht der
Heterogenität von Sexarbeiterinnen und
bringt gleichzeitig ein erhöhtes Potenzial
an Gefahren: Sexarbeiterinnen werden
wohl an Orten arbeiten müssen, wo es
keine ausreichende Infrastruktur gibt,
keine Hygieneeinrichtungen und unsichere Arbeitsbedingungen, die sie großen
Gefahren aussetzen.“ Schutzobjekt des
neuen Gesetzes seien die Öffentlichkeit,
AnrainerInnen und unbeteiligte Dritte,
jedoch nicht die Sexarbeiterinnen, urteilen die LEFÖ-Mitarbeiterinnen.
Auch Eva van Rahden, Leiterin von
SOPHIE, hält sichere und mit Infrastruktur ausgestattete Arbeitsorte für
unumgänglich. „In einer Millionenstadt
wird es immer eine Anbahnung auf der
Straße geben“, ist sie überzeugt. Das
Gesetz sieht die Möglichkeit vereinzelter „Erlaubniszonen“ in Wohngebieten
vor. Wo genau die sein könnten und wie
praktikabel sie dann in der Praxis sind,
muss sich erst weisen. Eva van Rahden
ist es ein großes Anliegen, dass diese
Fragen bis zum Inkrafttreten des Gesetzes im November geklärt werden. Sie
wird, genauso wie Vertreterinnen von
LEFÖ, in einer geplanten Steuerungsgruppe sitzen, die sich die Auswirkungen des neuen Gesetzes genau ansehen
soll und die Einrichtung etwaiger
Erlaubniszonen diskutieren wird.
Positive Neuregelungen. Das neue
Gesetz hat aber auch seine Vorteile:
So müssen minderjährige Sexarbeiterinnen, die zum ersten Mal erwischt
werden, künftig keine Strafe zahlen,
sondern werden stattdessen zu einer
Beratung der Jugendwohlfahrt geschickt. Für bestehende Verwaltungs-
strafen wegen der alten Schutzzonenregelung gilt eine Generalamnestie, und
bei der Erstregistrierung von Sexarbeiterinnen wird eine Vertreterin einer
NGO dabei sein, um bessere Beratung
zu ermöglichen. All das, wie auch die
strengeren Auflagen für BordellbetreiberInnen, werden von NGO-Vertreterin-
Wiener Gemeinderat wird einen Forderungskatalog an die Bundesregierung
formulieren, in dem u.a. die Abschaffung der Sittenwidrigkeit eingefordert
wird. Dass Sexarbeit in Österreich zwar
geduldet ist, aber nach einem Spruch
des Obersten Gerichtshofs von 1989
immer noch als „sittenwidrig“ gilt,
Die Sittenwidrigkeit steht einer Gleichstellung von Sexarbeiterinnen mit anderen
Erwerbstätigen wesentlich im Weg.
nen durchaus positiv bewertet.
Die neu eingeführte Bestrafung von
Freiern, die außerhalb der erlaubten
Zonen anbahnen, wird hingegen als
weiterer Schritt in Richtung Kriminalisierung gesehen. Diese Vorgehensweise
entspricht dem schwedischen Modell,
wo das Kaufen von Sex seit 1999
verboten ist und die Strafen gerade erst
verdoppelt wurden – Freiern drohen in
Schweden bis zu sechs Monate Haft.
Dieses Modell ist sehr umstritten, zumal
es illegale Sexarbeit fördert.
kritisieren NGOs seit langem.
Die Sittenwidrigkeit steht einer
Gleichstellung von Sexarbeiterinnen
mit anderen Erwerbstätigen wesentlich
im Weg. Immer noch haben Sexarbeiterinnen viele Pflichten, müssen etwa
wie andere Selbstständige auch Steuern
abführen, die gleichen Rechte haben sie
deshalb aber nicht. Für die Abschaffung
der Sittenwidrigkeit ist die Bundesregierung zuständig – und Frauenministerin Gabriele Heinisch-Hosek könnte ein
Erfolgserlebnis gut brauchen. l
Hauptproblem ungelöst. Neben einer
Kampagne gegen Belästigung von
Frauen durch Freier und mehrsprachiges Infomaterial für Sexarbeiterinnen
präsentierte Frauenstadträtin Frauenberger eine weitere Begleitmaßnahme
zum neuen Prostitutionsgesetz: Der
OÖ
Sexualdienstleistungsgesetz in Oberösterreich
Auch in Oberösterreich ist ein neues Gesetz zur Sexarbeit in
Arbeit. Erstaunlich daran ist, dass in der Regierungsvorlage
der Begriff „Sexualdienstleistung“ statt „Prostitution“ verwendet wird. Trotzdem sei die Vorlage mit Vorsicht zu genießen, warnt eine Mitarbeiterin von maiz, dem Autonomen Zentrum
von und für Migrantinnen in Linz. „Das vorgebliche Ziel des Gesetzes, die Arbeitssituation von Sexarbeiterinnen zu verbessern, bleibt ein Lippenbekenntnis. Zentraler scheint eine erleichterte Kontrolltätigkeit der Behörden.“
Es entstehe der Eindruck, dass Sexarbeit eher mit Kriminalität verbunden wird
als mit „der Problematik der fehlenden Rechte von Sexarbeiterinnen“. Auch das
Verbot der Wohnungsprostitution sei problematisch, ebenso wie nicht näher präzisierte Auflagen für BordellbetreiberInnen. „Ihnen werden Kontrollfunktionen zugeschrieben, die die Scheinselbstständigkeit der Frauen noch mehr verschärfen.“
Positive Neuerungen des geplanten Gesetzes: Das Berufsverbot für „offenkundig“
schwangere Sexarbeiterinnen soll fallen, der bisher verbotene Straßenstrich soll
durch Verordnungen der Gemeinden in bestimmten Zonen erlaubt werden. gah
Juli August 2011 an.schläge l 11
an.riss international
Nun heißt es, es werde frühestens 2015 so weit sein. Die Aktivistinnen von
„Baladi“ („Mein Land“), die für das Wahlrecht kämpfen, brauchen also
noch einen langen Atem. sylk
http://saudiwriter.blogspot.com, http://diestandard.at, www.frauensicht.ch
südafrika
Erfolgreicher Kampf
saudi-arabien
„I did it!“
Die für den 17. Juni angesetzte landesweite Demonstration von saudiarabischen Frauen gegen das Autofahrverbot schlug schon im Vorfeld hohe
Wellen. Eine eigene Facebook-Kampagne forderte gar zu Gewalt auf:
Mit jener schweren Kordel, die an der Kopfbedeckung der saudiarabischen Männer befestigt ist, sollten die Auto fahrenden Frauen geschlagen
werden.
Doch die Demo fand statt. Da es sich bei dem Verbot aber um kein staatliches Gesetz, sondern um Anweisungen der Geistlichkeit handelt, wurden
die Frauen nicht zum großen Protest, sondern zur „kleinen“ Widerstandshandlung aufgerufen und sogar Guidelines für richtiges Verhalten veröffentlicht. Neben „islamischem Dresscode“, einer Beflaggung des Autos
mit der Nationalfahne und dem Hinweis, sich an die Tempolimits zu halten,
wurde empfohlen, die Autofahrten tatsächlich für bestimmte Zwecke zu
tätigen, wie etwa einem Spitalsbesuch oder um die Kinder zur Schule zu
bringen. Außerdem sollten die Fahrten fotografiert oder gefilmt und auf
Youtube veröffentlicht werden.
Unter dem Schlagwort „I did it!“ tauchten am Abend tatsächlich die
ersten Dokumente auf. Die Organisatorinnen waren dennoch enttäuscht, da
sich nur wenige Frauen in einigen Städten hinters Lenkrad gesetzt hatten.
Aber wer weiß: Der Protest beschränkte sich nicht auf den 17. Juni. Er
soll fortgesetzt werden, bis der saudiarabische König den Frauen das Autofahren per Dekret erlaubt.
Die Politologin Elham Manea von der Universität Zürich kann sich vorstellen, dass die Kampagne auf Dauer Erfolg hat. Der „Basler Zeitung“
sagte sie, auch Männer würden die Sache durchaus unterstützen: „Viele
von ihnen haben es nämlich auch satt, immer den Chauffeur für die Frauen
spielen zu müssen. Und viele Männer wünschen sich auch eine humanere
und offenere Gesellschaft in Saudi-Arabien.“
Dass es bis dahin noch ein weiter Weg ist, zeigt auch die jüngst schon
wieder verschobene Einführung des Frauenwahlrechts. Auch wenn
Saudi-Arabien eine Monarchie ist, gibt es seit 1953 einen beratenden
Ministerrat, der seit 2005 nur noch zur Hälfte für vier Jahre durch den
König bestimmt, zur anderen Hälfte aber von der männlichen Bevölkerung
gewählt wird. Schon 2009 wurde die Einführung des Frauenwahlrechts
mit dem Hinweis darauf, die Gesellschaft sei noch nicht reif dafür, vertagt.
12 l an.schläge Juli August 2011
Sogenannte „korrigierende“ Vergewaltigungen von Lesben in Südafrika
werden schon seit längerem national und international scharf kritisiert.
Dennoch bleibt es bislang an der Tagesordnung, dass Männer lesbische
Frauen vergewaltigen, um sie einerseits dafür zu bestrafen, dass sie sich
nicht den herrschenden Gendernormen anpassen, und sie andererseits
von ihrer Homosexualität zu „heilen“. Vor allem arme Frauen sind davon
betroffen, und nicht selten endet der Angriff mit dem Tod der Frau. Eine
Strafverfolgung der Täter findet so gut wie nicht statt.
Nun sind endlich erste Erfolge im Kampf gegen diese Praxis zu verzeichnen. Anfang 2011 lancierte die südafrikanische feministisch-lesbische
Initiative „Luleki Sizwe“ auf www.change.org eine Online-Petition, die
in kurzer Zeit über 170.000 Unterschriften aus 163 Ländern erhielt.
Mitte März wurde die Petition an RegierungsbeamtInnen übergeben, um
die öffentliche Thematisierung der „korrigierenden“ Vergewaltigung zu
erreichen. Eine weitere Petition wurde kurz darauf von der internationalen Kampagnen-Webinitiative www.avaaz.org gestartet. Bis Ende April
unterzeichneten fast eine Million Menschen.
Anfang Mai kam es zu einem Treffen zwischen Parlamentsabgeordneten,
Polizeichefs und LGBT-Aktivist_innen – nachdem kurz zuvor eine junge
Lesbe in Johannesburg offenbar von mehreren Männern vergewaltigt und
ermordet worden war. Bei diesem Treffen wurde nun ein Task Team eingerichtet, das seine Arbeit am 15. Juli aufnehmen soll. Das Team setzt sich
aus sechs Repräsentant_innen von Justizministerium und Polizei sowie aus
sechs Vertreter_innen der LGBT-Community zusammen. Es sollen Pläne
für ein Gesetz und eine Sensibilisierungskampagne erarbeitet werden
sowie für LGBT-sensible Schutzeinrichtungen. sylk
www.lulekisizwe.com
ai-report
Traurige Bilanz
Amnesty International (ai), die weltweit größte Menschenrechtsorganisation, wird heuer 50 Jahre alt. Der aktuelle Jahresbericht 2010 beweist:
Es wird noch lange nötig bleiben, die Menschenrechte zu verteidigen
– insbesondere für Frauen. Frauen sind weltweit von Armut, Gewalt und
Diskriminierungen am meisten betroffen. Gerade Armut verhindert auch
den Zugang zu lebenswichtiger Versorgung, wie etwa zu Gesundheitseinrichtungen. So sterben jährlich eine halbe Million Frauen an Komplikationen bei der Geburt. Soziale Ungleichheiten führen sogar in Kanada und
den USA dazu, dass Schwarze Frauen und Native-American-Frauen das
weitaus höhere Risiko tragen, bei der Geburt eines Kindes zu sterben, als
andere Gruppen. Vorhandene Ungleichheiten und v.a. Diskriminierungen
werden von ai wiederum als Hauptursachen für Armut benannt.
Spezifische Gewalttaten gegen Frauen sind weltweit ein massives Problem. Besonders unsicher leben Frauen in Staaten, in denen Kriege geführt
wurden oder werden. Vergewaltigungen sind Teil der kriegerischen Konflikte, gleichzeitig steigt immer auch die häusliche Gewalt stark an. Zudem
verhindert der niedrige soziale Status von Frauen in vielen Ländern einen
adäquaten Zugang zum Rechtssystem. Auch in ganz Europa sei die häus-
an.riss international
liche Gewalt gegen Frauen aller Schichten ein „alltägliches Phänomen“,
so der ai-Report. Während in einigen Staaten jedoch etwas dagegen getan
wird, sind von Gewalt betroffene Frauen in anderen Ländern praktisch sich
selbst überlassen. In der Zehnmillionenstadt Moskau gab es 2010 ein einziges Frauenhaus mit nur zehn Plätzen. Aber auch in Westeuropa kommt
es noch immer darauf an, wer die betroffenen Frauen sind: Migrantinnen
sind vielfach von Informationen und Zugang zu den relevanten Einrichtungen abgeschnitten. In Bosnien und Herzegowina leiden Frauen, die Opfer
sexualisierter Gewalt während des Krieges geworden waren, bis heute
darunter, dass sie nie angemessen entschädigt wurden und daher Schwierigkeiten haben, sich eine neue Existenz aufzubauen, v.a. auch deswegen,
weil viele von ihnen aufgrund der psychischen und physischen Folgen
seither keine Arbeit mehr gefunden haben.
ai stellt zwar fest, es sei inzwischen relativ selbstverständlich, dass massive
Kriegsverbrechen und staatliche Menschenrechtsverletzungen nicht sanktionslos bleiben können. Um aber die soziale Lage weltweit zu verbessern,
müssten „die Einschätzungen und Erfahrungen des in Armut lebenden Teils
der Weltbevölkerung in dem Prozess Berücksichtigung finden“. sylk
http://report2010.amnesty.org
ungarn
Der Fötus im Verfassungsrang
Ungarn hat Mitte April eine neue Verfassung verabschiedet, die den
„Schutz des Lebens eines Fötus von der Empfängnis an“ festschreibt. Sie
wird am 1. Jänner 2012 in Kraft treten. An der Abtreibungsgesetzgebung
wolle man aber nicht rütteln, erklärte die rechtskonservative Regierung.
Frauenrechtlerinnen rätseln nun, wie das zusammenpassen soll. Ungarn
besitzt ein für Europa vorbildliches Abtreibungsrecht – der Abbruch bis
zur 12. Woche ist hier nicht nur straffrei, wie etwa in Österreich, sondern
legal. Es gibt auch keine Abtreibungskliniken, sondern die Frauen können
den Eingriff in jedem Spital durchführen lassen, wodurch sie nicht persönlich – wie eben auch in Österreich – von AbtreibungsgegnerInnen angegriffen werden können.
Die ungarische Aktivistin Júlia Spronz von der „Patent Association“,
einer Lobbygruppe für Frauen- und Homosexuellenrechte, erklärte dazu in
einem „diestandard“-Interview, es werde ab 2012 jedem Bürger und jeder
Bürgerin möglich sein, vor dem Obersten Gerichtshof eine Verfassungsklage einzubringen, um klären zu lassen, ob die Abtreibungsgesetzgebung
dann noch verfassungskonform sei. Spronz verweist außerdem auf weitere
besorgniserregende Passagen der neuen Verfassung: „Die neue Verfassung
bestimmt das Ideal der Familie als Vater, Mutter und Kind. Sie schreibt die
Ehe als Union von Mann und Frau fest, was homosexuelle Paare grundsätzlich davon ausschließen wird.“ Ursprünglich sollte sogar ein „Mehrfach-Wahlrecht“ für Mütter eingeführt werden – nach offizieller Diktion,
um die nachfolgenden Generationen besser zu repräsentieren –, was aber
in Umfragen von der Mehrheit der UngarInnen abgelehnt wurde.
Ein positiver Effekt der Debatte um die neue Verfassung war jedoch, wie
Júlia Spronz betont, dass die ansonsten eher isolierte und zersplitterte
Frauenbewegung im Mainstream wahrgenommen wurde, da sie als gut
repräsentierter Teil der großen Bewegung, die die Verfassung kritisiert,
auftreten konnte. sylk
http://diestandard.at, http://derstandard.at/Ungarn
medienmix
Erkannt
Das australische, feministische und werbefreie
lip magazine richtet sich an junge Frauen
zwischen 14 und 25 Jahren. Statt Maßstäbe für
Schönheit und Coolness zu setzen, geht es den
Macherinnen um „Mädchen, die denken, fühlen,
gestalten, den Mund aufmachen und leben“ –
und zu fabelhaften Frauen werden. Deswegen
gestalten Leserinnen das Magazin mit ihren
Beiträgen selbst. Auch Experimente wie „Print
on Demand“ haben hier Platz. Musik, Kurzgeschichten, Kunst und Mode gibt es auch auf
lipmag.com. fis
Erforscht
Nachwuchswissenschaftler_innen der RuhrUni Bochum erhalten mit dem Online-Journal
kultur & geschlecht halbjährlich ein Forum für
ihre Arbeiten zu Geschlechterfragen. Hintergrund der achten Ausgabe ist die Tagung „Letting the Vampire in“: Untersucht werden in den
Aufsätzen Vampirerzählungen in der Populärkultur und ihre kulturellen und historischen Bezüge.
Auf der schicken Webpage ruhr-uni-bochum.de/
genderstudies/kulturundgeschlecht/aktuell.html
findet sich außerdem ein umfangreiches PDFArchiv. fis
Erfragt
Für den Radiobeitrag „Autonomie oder Prostitution. Die Zeitehe im Iran. Ein Interview mit
Sudabeh Mortezai“ hat Aleksandra Kolodziejczyk den Alternativen Medienpreis 2011 erhalten. Die Sendung lief in der entwicklungspolitischen Reihe „Globale Dialoge“ auf Orange 94.0.
Vergrößert die Ehe auf Zeit die Autonomie von
Frauen oder ist sie eine Form der Prostitution?
Dokumentarfilmerin Mortezai („Im Bazar der
Geschlechter“) berichtet von ihren Erfahrungen.
Nachzuhören im Best of 2010 auf http://globaledialoge.o94.at. fis
Juli August 2011 an.schläge l 13
Boxen
Laila Ali (Tochter der Boxlegende
Muhammad Ali) hat seit ihrem Boxdebüt im
14 l1999
an.schläge
Juli einzigen
August 2011 Kampf verloren,
Oktober
keinen
2002 holte sie den Weltmeisterinnen-Titel.
thema: boxen
„A Knock Out“
Seit Frauen boxen, kämpfen sie nicht nur gegeneinander, sondern immer auch für ihr Recht,
diese Kämpfe überhaupt öffentlich austragen zu dürfen.
Maria Poell über Geschichte und Gegenwart des Frauenboxens.
Wann genau die erste Boxerin in den
Ring stieg, lässt sich nicht mit Gewissheit sagen. Wie vieles andere, was als
Männerdomäne gilt, ist das Frauenboxen und seine Geschichte wenig und
unzuverlässig dokumentiert, Namen
und Jahreszahlen variieren, Fakten und
Fiktion lassen sich nicht immer unterscheiden. Aber es gab sie, die ersten
Pionierinnen des Faustkampfs.
Jahrmarktboxen. Eine von ihnen war
Elizabeth Wilkinson, die in den 1720er
Jahren ihre Gegnerinnen mit Zeitungsannoncen in der Londoner Daily Post
zum „Bare-Knuckle Prizefight“ herausforderte. Schon damals kämpften die
Frauen nicht nur gegeneinander, sondern auch für ihr Recht, diese Kämpfe
überhaupt öffentlich austragen zu dürfen. Mehr als zwei Jahrhunderte später
reisen Boxerinnen wie Barbara Buttrick
weiter von Jahrmarkt zu Jahrmarkt
und Land zu Land, auf der Suche nach
Frauen, die bereit sind, gegen sie anzutreten. Während die Männer seit 1904
bei den olympischen Spielen boxen und
Titelkämpfe mit hohen Preisgeldern und
großem medialen Interesse bestreiten,
bleibt den Frauen das Wettkampfboxen
bis Ende des 20. Jahrhunderts weitgehend verboten.
Ein Verbot, das auf vielfältige Weise
diskriminierend wirkt. In erster Linie
natürlich, weil es Frauen vorschreibt,
was sie zu tun und zu lassen haben.
Gleichzeitig werden sie mit vorgeblicher
Sorge um ihre Gesundheit bevormundet
oder gar mit Hinweis auf ihre Regelblutung als „mental instabil“ diskreditiert.
Mit diesem Argument versuchte der
britische Boxverband 1998, der Boxerin
Jane Couch eine Lizenz zu verweigern.
Weibliche Beweislast. Vor allem aber
geht es den Gegnern des Frauenboxens
darum, das vorherrschende Bild vom
schönen, aber schwachen Geschlecht
zu wahren. Eine starke, selbstständige,
aggressive, blutverschmierte Kämpferin
rüttelt so sehr an diesem Ideal, dass
es den Herren der Schöpfung sichtlich
weh tut. Mitte der 1990er Jahre, als
immer mehr Frauen erfolgreich ihr
Recht durchsetzen, in den Ring steigen
zu dürfen, ist der Tenor demnach:
„Boxende Frauen sind widernatürlich.
Sie ekeln mich an. Eine Frau muss für
den Mann gemacht sein, nicht für den
Männersport.“1
Erfolgreiche Weltmeisterinnen wie
Lucia Rijker, Laila Ali, Regina Halmich
oder Susianna Kentikian haben dazu
wohl eine andere Meinung. Und bei
den olympischen Spielen 2012 werden erstmals auch die Frauen in drei
Gewichtsklassen antreten. Trotz all
widmeten Doku „Königin im Ring“. Das
ist einerseits bemerkenswert realistisch
und scharfsinnig, andererseits aber auch
fatal unkritisch. Gerade jemand wie
Regina Halmich hätte die Chance, an
den Regeln des Spiels zu rütteln.
Eine, die es versucht hat, ist Michele
Aboro. Die ungeschlagene Weltmeisterin wollte weder ihr Lesbischsein
verheimlichen noch sich für den Playboy
ausziehen. Dass sie darauf beharrte,
eine Athletin und kein „Page-Three
Girl“ zu sein, kostete sie schließlich
ihre Karriere. Sie wurde von ihrem Promoter Universum als „unvermarktbar“
gekündigt und verlor den Rechtsstreit,
Eine starke, selbstständige, aggressive,
blutverschmierte Kämpferin rüttelt sehr
am weiblichen Ideal.
dieser Erfolge bleibt die Lage schief.
Profiboxerinnen stehen irgendwie unter
Beweislast ihrer eigenen Weiblichkeit.
Je mehr Schlagkraft und Erfolg eine im
Ring hat, umso mehr scheint sie außerhalb des Rings ihre weiblichen Attribute
zur Schau stellen zu müssen. Fast so
als gelte es, die männliche, testosteronschwangere Aura des Sports, all den
dreckigen Schweiß und die Härte, durch
umso mehr Make-up, weibliche Kurven
und genderstereotype Sanftheit auszugleichen. Um nur ja nicht den Verdacht
zu erwecken, man wäre keine „richtige
Frau“. Eine, die das System sprengt.
Eine, die nach ihren eigenen Regeln
spielt.
Frauen kämpfen sehen. Professionalität wird hier nicht auf sportlicher
Ebene definiert. Professionell ist eine
Weltklasseboxerin dann, wenn sie sich
selbst als Ware begreift und den Regeln
der Vermarktung unterwirft, d.h. ihre
Person und ihren Körper gewinnbringend verkauft. Das sagt natürlich keiner
der großen Box-Promoter so, aber das
sagt z.B. Regina Halmich in der ihr ge-
mit dem sie versuchte, die Kündigung
anzufechten. Die großartige Doku „A
Knock Out“ erzählt ihre Geschichte.2
Eine, die es geschafft hat und erfolgreich ihren eigenen Weg gegangen ist,
ist Lucia Rijker, ebenfalls ungeschlagene Weltmeisterin. Die einzige BikiniBilderserie, die von ihr zu finden ist,
entspricht in keinster Weise dem, was
die Männer im Boxbusiness sehen wollen. Weder Pose noch Blick versprechen
Verfügbarkeit, sondern scheinen zu sagen: „Ist mir doch egal, was du von mir
willst. Ich mach’ mein eigenes Ding.“
Damit versteht sie sich ganz bewusst
als Vorbild für andere Frauen: „Women
can find strength in seeing other women
fight and be strong. They can find
something there that they have as well,
even though they’re not boxing.”3 Recht
hat sie. l
Maria Poell ist Filmvermittlerin & Filmvorführerin und selbst Wettkampfboxerin.
1 Zitiert in „Königin im
Ring“ (2008, Simone Jung)
2 „A Knock Out“ (2004,
Tessa Boerman & Samuel
Reiziger)
3 Lucia Rijker in „Shadow
Boxers“ (1999, Katya
Bankowsky)
Zum Nachlesen:
Katherine Dunn: Just as
Fierce, in: Mother Jones
Magazine (Dezember
1994): http://theinferior4.
livejournal.com/66635.html
Profiboxerinnen – Frauen,
die hauen: www.freitag.
de/1999/31/99311801.htm
Old-time female combatants: www.fscclub.com/
history/zhened-old2-e.shtml
Juli August 2011 an.schläge l 15
thema: boxen
Gelungene Haken
Die Wiener „Boxfabrik“ für Frauen hat die harten Zeiten hinter sich
und inzwischen regen Zulauf.
Svenja Häfner hat ein schweißtreibendes Probetraining absolviert
und dabei die Vereinsgründerinnen kennengelernt.
Foto: boxfabrik.at
www.boxfabrik.at
16 l an.schläge Juli August 2011
Mit dem Binden der Boxbandagen
wurde es tatsächlich ernst. Mein erstes
Boxtraining konnte beginnen, und
bereits nach fünf Minuten rannen mir
Schweißtropfen übers Gesicht. Dabei
befand ich mich bei lockerem Laufen
durch den Raum vorwärts und rückwärts, Hüpfen auf dem einen, dem
anderen und auf beiden Beinen, Kreisen
der Arme, der Ellenbogen und der
Handgelenke erst in der Aufwärmphase. Im Technikteil wurden mir
gemeinsam mit sieben anderen Frauen
unterschiedlichsten Alters dann kurz
einzelne Übungen erklärt, die wie beim
Zirkeltraining abwechselnd absolviert
werden mussten. Oskar, Schlagbirne
und Schlagübungen unter dem Seil –
die anderen Frauen wussten, was zu
tun war. Ich als Neuling bekam erst mal
die Grundlagen des Boxens vermittelt: Grundstellung, dabei immer die
Schultern hochgezogen, das Kinn unten,
die Hände schützend davor. Und das
Ausführen der wichtigsten Schläge: die
Gerade, der Haken und der Aufwärtshaken. Ich musste mich sehr konzentrieren, um den Bewegungsablauf genau
zu koordinieren. Im Zusammenspiel
mit einer Partnerin steigerte sich die
Koordinationsherausforderung mit Abtauchen, richtiger Schrittfolge und korrektem Schlag noch einmal. Auch die
einzelnen Übungsteile wurden im Laufe
des Unterrichts komplexer, das Tempo
höher. Die Schweißtropfen entwickelten
sich zu Bächen, die Anstrengung und
Konzentration war allen Frauen ins
Gesicht geschrieben.
Aufeinanderliegende Männer. Dennoch war es eher Genuss als Qual, eher
Freude über gelungene Schlag- und
Bewegungsabfolgen als Frustration.
Ein wesentlicher Verdienst von Barbara
Tutschka. Die österreichische Staatsmeisterin und Wiener Landesmeisterin
im Thaiboxen, die nach der WMTeilnahme im Herbst 2009 ihre aktive
Wettkampfkarriere beendet hat, schafft
es, ihren Kursteilnehmerinnen kräftemäßig einiges abzuverlangen und sie
dennoch bis zum Schluss zu motivieren.
Unterrichtet hat sie seit ihren sportlichen Anfängen mit positivem Feedback.
Es ist ihr ein Anliegen, qualitativ hochwertiges Boxen anzubieten und sich
entsprechend weiterzubilden.
Sie selbst hat noch in einem traditionellen Boxstudio trainiert. „Eh o.k.“,
meint sie. „Aber man muss es halt
aushalten. Man muss sich die Sprüche
anhören. Nicht gegen Frauen, aber
schon homophob. Das sind halt schwitzende Männer, die sich am Boden
wälzen und aufeinander liegen. Die
müssen sich danach ganz deutlich sagen,
dass sie auf alle Fälle nicht schwul sind
und irgendwie auf geile Weiber stehen.
Und lassen halt den Macker raushän-
gen.“ Dafür musste sie sich, schon an
den harten Drill gewöhnt, bei ihrem
eigenen Unterricht doch ziemlich umstellen und akzeptieren, dass die Frauen
beim Training mal lachen, plaudern
und auch einfach Spaß haben wollen.
Der Großteil ist zum Trainieren und
wegen der körperlichen Fitness da und
nicht, um irgendwann bei Wettkämpfen
anzutreten.
Dass sie nach der WM 2009 mit den
Wettkämpfen aufhören würde, war
Barbara klar. Doch was danach tun
mit all dem boxerischen Fachwissen
und Können und dem Wunsch, auch
weiterhin im Boxsport tätig zu sein?
Zudem gab es bereis Anfragen von
Frauen, die sich speziell ein Boxtraining
für Frauen wünschten oder die nicht die
„Box-Light-Variante“ eines Fitnessstudios gemeinsam mit 90 Kilo schweren
schwitzenden Männern wollten.
Vereinsaufbautraining. Es fehlte noch
ein gemeinsames Bier mit Angela
Mazzora, mittlerweile Kassierin und
zuständig für die Organisation des
Vereins, damit im März 2009 die ersten
Schnuppertrainings im 9. Bezirk in
einem Tanzstudio stattfinden konnten.
Noch eine sehr mühsame Angelegenheit,
da das gesamte Boxmaterial zu jedem
Training dorthin gebracht werden musste. Im Juni 2009 wurde dann offiziell
der Verein „Boxfabrik“ gegründet, und
thema: boxen
nach intensiver Suche fanden die Frauen in der Spengergasse 52 im 5. Bezirk
ein geeignetes und bezahlbares Studio.
Ein ziemlich heruntergekommenes
Atelier und ehemaliges Travestietheater, aus dem sie „irgendwie das beste
gemacht haben“. Oberhalb wohnt noch
heute die Hausbesitzerin. Eine nette,
alte Dame, die es glücklicherweise mag,
wenn etwas los ist und es nicht leiden
kann, wenn es ruhig ist. Denn vor allem
die Schläge auf den Sandsack ziehen
sich durch die Wände und haben den
beiden Frauen schon einige Beschwerden eingehandelt.
Offizielle Eröffnung des Studios war am
1. Dezember 2009. Zu diesem Zeitpunkt
zählte der Verein „Boxfabrik“ 28 Mit-
Mitgliederzahl auf 78 zum Jahresende.
Eine positive Bilanz für die beiden Vereinsgründerinnen, vor allem weil sich
der Verein dadurch nun selbst erhalten
kann. Unberücksichtigt bleibt dabei
jedoch die viele unbezahlte Arbeit.
Denn dass sie von den Vereinseinnahmen nicht leben können, dieses Schicksal teilen Barbara und Angela mit den
traditionellen Boxvereinen. Auch hier
läuft die Vereinsarbeit neben der täglichen Berufstätigkeit. Vorteile ziehen
die anderen Boxvereine allerdings aus
ihrer stärkeren Vernetzung. Sie haben
mehr Freunde, die sie unterstützen und
mehr Trainer, die gegebenenfalls einspringen. In der Boxfabrik hängen die
drei Trainingsabende alleine von Barba-
Die wichtigsten Schläge: die Gerade,
der Haken und der Aufwärtshaken
glieder – für das finanzielle Überleben
definitiv zu wenig. Die beiden Vereinsgründerinnen steckten viel Privatgeld
in ihr Projekt. Bis März, bis zur Bildreportage auf diestandard.at, zog sich
die Durststrecke hin. „Ab da ist es dann
richtig losgegangen. Das war lustig. diestandard.at habe ich selbst angeschrieben
und sie gefragt, ob sie nicht einen Bericht über uns bringen könnten“, erzählt
Angela. „Die anderen Sachen, wie der
Bericht auf FM4-Online, der Beitrag im
FM4-Radio oder in der Sonntagsausgabe
der Kronenzeitung vom 9. Mai 2010 sind
dann von alleine gekommen.“ Weniger
schön war allerdings, dass sie im Onlineforum von diestandard.at von einigen
durchgeknallten Typen sehr persönlich
mit Sprüchen wie „Die Frauen haben
keine Titten“ beschimpft wurden, worauf das Forum gesperrt wurde.
Es folgte eine Nominierung zum
Wiener Sportsaward in der Kategorie „Verein mit dem besten
Genderprojekt“ und die Teilnahme
an der Mariahilfer Frauenwoche mit
einem Workshopangebot, bei dem neue
Mitglieder gewonnen werden konnten.
Und auch den Vereinsfrauen wurden
mit einem Trainingswochenende am
Mondsee, einer Sommerparty und einer
Weihnachtsfeier einiges geboten.
Kein versifftes Studio. Die erhöhte
Medienpräsenz und Öffentlichkeit
zeigte ihre Wirkung in der steigenden
ra ab. Krank darf sie nicht werden.
Auch die gesamte Organisations- und
Büroarbeit wird alleine von den beiden
Frauen geleistet. Zuzüglich Schrubben
und Putzen. Eine nicht zu unterschätzende Notwendigkeit, denn Sauberkeit
ist für Barbara wichtig für die Atmosphäre. „Ich bin eh ziemlich abgehärtet.
Aber es war immer mein Wunsch, dass
es bei uns sauber ist. Ich halte es nicht
aus in diesen versifften Studios.“
Findet dann am Wochenende noch
ein Workshop statt, kommt es für die
beiden berufstätigen Frauen schnell zu
einer 50-Stunden-Woche. Einfach zu
viel. „Das sind wohl auch so Momente,
wo man sich fragt, warum man sich das
überhaupt antut. Aber wenn ich dann
einen Abend lang das Training mache
und alle gut gelaunt sind und nach dem
Training noch dableiben und ein bisschen plaudern, das ist dann schon nett.
Das macht dann auch Spaß – abgesehen
vom Training“, beschreibt Barbara
ihre Motivation. „Oder wenn man dann
Weihnachtsgeschenke bekommt oder
der Verein selbst ein Geschenk. Da
freut man sich schon sehr.“
Mehr Unterstützung. Und wenn sie
sich was wünschen dürften? Für das
Frauenboxen selber: einfach mehr
Unterstützung. Zum einen auf der
finanziellen Ebene. Zum anderen mehr
Akzeptanz und einen leichteren Zugang
zu den Boxverbänden. Das ist vor
allem dann notwendig, wenn man eine
Wettkämpferin in den eigenen Reihen
hat. Hier braucht es einen Boxverband,
unter dessen Namen sie boxen kann.
Hilfreich wäre sicherlich auch eine
Frauenbeauftragte für den Boxsport,
die Präsenz zeigt und sich für die Belange der boxenden Frauen einsetzt.
Und für den Verein wünschen sich
Barbara und Angela einen Zuwachs auf
mindestens 100 Mitglieder. Bei 150 bis
200 Mitgliedern würden sie dann sogar
Gewinne einfahren.
Vor fünfundzwanzig Jahren hätte ich
nach diesem Training sicher von einer
Karriere als Boxerin geträumt. Heute
freue ich mich über neue Bewegungserfahrungen – und darüber, dass sich mein
Muskelkater in Grenzen hält. l
Svenja Häfner gastiert seit zehn Jahren in
Wien und boxt sich durchs Leben.
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beautiful boxerin nennt sich das Projekt, das junge Mädchen
stärken will und dafür dringend Unterstützung braucht. Die
Zielgruppe sind Mädchen zwischen 13 und 17 Jahren mit unterschiedlichen kulturellen Hintergründen, denen das Projekt
auch bei fehlenden finanziellen Möglichkeiten die Chance eröffnen soll, die Kampfsportart Muay Thai (Thaiboxen) zu erlernen.
Im geschützten Rahmen der Boxfabrik können sie sich in einer stark
männerdominierten Sportart ausprobieren und so ihren Handlungsspielraum erweitern. Über ein halbes Jahr sollen zehn Mädchen einmal wöchentlich
unter der Anleitung von drei Trainerinnen Boxunterricht erhalten und nebenbei ihr
Selbstbewusstsein und Durchsetzungsvermögen stärken. Das Projekt kann noch
bis zum 30. September 2011 durch eine Spende ab 10 Euro unterstützt werden –
bis jetzt sind erst 3,6 % der Finanzierung gesichert. isaga
www.respekt.net
Juli August 2011 an.schläge l 17
thema: boxen
Hast du
ein Kämpferinnenherz?
Ein Kämpferinnenherz können Mädchen auch schon mit zehn haben, sagt Heather Cameron.
Damit sie diesen Mut nicht verlieren, hat sie den Verein Boxgirls gegründet.
Ein Interview von Helene Siebermair.
Heather Cameron (rechts im Bild) © Lia Michael boxgirls.org
an.schläge: Der Verein Boxgirls zählt
www.boxgirls.org
18 l an.schläge Juli August 2011
heute mehr als tausend Mitglieder auf
unterschiedlichen Kontinenten. Für
interessierte Mädchen und Frauen
ist es ein Leichtes, auf ihren Verein
zu stoßen. Wie sind Sie selbst vor 20
Jahren zum Boxen gekommen?
Heather Cameron: Durch eine Freundin, die ein bisschen verrückt war und
die eine Boxhalle ganz in unserer Nähe
in Toronto gefunden hatte. Wir waren
gemeinsam Laufen, als sie eines Tages
mit dieser Idee gekommen ist. Ich war
entsetzt: „Bist du bekloppt! Auf keinen
Fall gehe ich mit dir boxen! Ich schreibe meine Doktorarbeit und brauche
ein intaktes Gehirn!“ Sie hat es aber
schließlich geschafft, dass ich mich in
meiner Ehre angegriffen gefühlt habe
– so bin ich hingegangen, zweifelnd,
aber nicht kneifend. Und kaum war
ich dort, fand ich die Atmosphäre und
das Ambiente toll. Der große Ring, die
stoischen Männer, die so hart trainiert
haben. Es ging nicht ums Quatschen und
Witze erzählen, sondern um die Sache
an sich. Je mehr ich übers Boxen erfahren habe, über die Traditionen, über den
wunderschönen sozialpolitischen Anteil
mit Muhammad Ali und vielen anderen
großen afroamerikanischen und afrikanischen Boxern – die ganze politische
Geschichte, die damit verbunden ist –,
umso mehr hat es mich gefesselt.
Aus Ihrer persönlichen Leidenschaft
wurde mit den Jahren ein riesiges
sozialpolitisches Projekt. Wie kam es
zu dieser Entwicklung?
Ich habe „Boxgirls“ gestartet, weil mir
klar wurde, was Boxen bei einem jungen Mädchen bewirken kann. Ich habe
gesehen, was es für mich getan hat. Es
gibt nicht genug starke Frauen. Zwar
gibt es sehr starke junge Mädchen, aber
irgendetwas passiert in der Pubertät,
das sie einen Teil ihrer Kraft verlieren
lässt. Das Projekt „Boxgirls“ bietet
die Chance, dass Mädchen ihre eigene
Stärke fühlen und entfalten können. Mit
diesem starken Gefühl lernen sie auch
ein bisschen mehr, Verantwortung für
Probleme und Fragen im Kiez zu übernehmen. Deshalb kooperieren wir auch
mit Schulen oder machen verschiedene
Projekte. Ich liebe das Boxen als Sport,
aber das große Projekt dahinter ist ein
demokratisches: Wie schaffen wir eine
partizipatorische Gesellschaft, an der
mehr Leute teilhaben können. Sowohl
im Kiez als auch im Ausland wurde
unsere Arbeit 2005 bekannt, als der
deutsche Bundessportausschuss unser
klitzekleines Projekt für das „UNO-Jahr
des Sports und der körperlichen Erziehung“ ausgewählt hat. Und so wurde
thema: boxen
aus einem kleinen Projekt ein größeres,
das wächst und wächst und mittlerweile
ein Schwesterprojekt in Nairobi und
mehrere hundert Mitglieder in Kapstadt
hat.
Von der Handwerkerin über die
Rechtsanwältin und Künstlerin bis
zur Managerin. Wie schaffen es die
Boxgirls, so unterschiedliche Frauen
anzusprechen?
Eines der Dinge, die mir am Boxen und
am Training so gut gefallen, ist, dass es
nicht wichtig ist, wer du bist, was für einen Job du hast, wie alt oder wie schlau
du bist. Es geht um deine Trainingsethik: Bist du pünktlich? Arbeitest du
wirklich hart? Nimmst du dein Training
ernst? Hilfst du anderen Leuten und
bist du diszipliniert? Das bedeutet, dass
auch ein eigenes Transgender-Training
anbietet. Wir haben also unser Mädchenprogramm und eines für Frauen
und eines für Menschen, die sich in
irgendeiner Form als Frau fühlen oder
gefühlt haben, um allen ein Programm
anzubieten, bei dem sie sich wohlfühlen. Selbst hier in Berlin sind wir einer
der ganz wenigen Vereine, der sagt:
„Okay, wenn du dich mit unseren Zielen
identifizierst, dich als sozial engagierte
Person verstehst, dann bist du willkommen!“ Das schafft eine starke Gemeinschaft.
Viele BoxerInnen sprechen davon,
dass ihre Stärke durch den Boxsport
zugenommen hat, physisch und
psychisch. Können Sie Ihre eigene
Erfahrung beschreiben?
„Von Frauen wird eher nicht erwartet, Mut zu
zeigen. Eher Verletzbarkeit oder Opferbereitschaft. Aber Mut, Heldentum und Kampfgeist
sind ganz besondere und wichtige Aspekte im
Leben einer Frau.“ (Heather Cameron)
viele der Spielchen, die es ansonsten in
einem Sportverein gibt, einfach wegfallen und dass die Leute tatsächlich miteinander arbeiten. Wenn ich zum Beispiel
eine Zehnjährige sehe, die zu uns
kommt und versucht, diszipliniert etwas
zu lernen, dann behandle ich sie auch
wie jede andere Person hier bei uns.
Wir beurteilen die Leute danach: „Bist
du jemand, der sich auf einen Kampf
vorbereitet? Bist du eine Kämpferin und
hast du ein Kämpferinnenherz?“ Dieses
Kämpferinnenherz kann man auch schon
mit zehn Jahren haben.
Gibt es auch formale Unterschiede zu
anderen Boxclubs?
Wir grenzen niemanden aus. Der
Mitgliedsbeitrag liegt zwischen null und
35 Euro. Mit einem guten Job bezahlst
du 35 Euro, wenn du gerade kein Geld
hast, bezahlst du nichts. Und die Leute,
die nichts bezahlen, sind oft hier und
schenken Zeit, da sie wissen, dass wir
jede Hilfe brauchen können. Wir grenzen auch niemanden aufgrund seiner
sexuellen Orientierung aus, sondern
verstehen uns als Queer-Projekt, das
Ich glaube, es geht um die Konzentration: Dass man sich tatsächlich auf ein
bestimmtes Ziel konzentriert und alle
anderen Lebensfragen wegfallen. Man
muss sich sehr streng auf den Trainingsablauf konzentrieren, man muss auf
den Schlaf achten, man muss auf das
Essen aufpassen, man darf sich nicht
durch sein Umfeld ablenken lassen. Das
bedeutet, ein bisschen wie ein Mönch zu
leben: So wie sich die Mönche aus der
Gesellschaft zurückziehen, um Ruhe zu
finden und um sich auf das Wesentliche
– in ihrem Fall auf Gott – zu konzentrieren, so ähnlich machen BoxerInnen das
auch. BoxerInnen konzentrieren sich
auf das Wesentliche – in ihrem Fall ist
es der Kampf. Den haben sie im Kopf
und im Körper. Deshalb ist für mich als
Akademikerin, die auch einer bestimmten Gruppe angehört und sich manchmal ein bisschen aus der Gesellschaft
zurückzieht, um sich zum Beispiel aufs
Schreiben eines Buches zu konzentrieren, diese Art von Lebensstil sehr
anziehend: Man hat ein klares Ziel und
man opfert alles andere dafür, weil man
weiß, dass man durch diese Opferung
die Energie erhält, die man braucht, um
Siege zu feiern.
Was passiert im Moment des
Kampfes?
Im Kampf gibt es einen performativen
Aspekt: Wie auf einer Bühne trifft man
im erhöhten, beleuchteten Ring aufeinander – mit einer Intensität, die man
ansonsten kaum im Leben findet. Dabei
erleben KämpferInnen die Chance, die
eigenen Grenzen zu verschieben und
das eigene Selbst neu zu konstruieren.
Dafür braucht es Mut.
Von Frauen wird in unserer Gesellschaft
eher nicht erwartet, Mut zu zeigen.
Eher Verletzbarkeit oder Opferbereitschaft. Aber Mut, Heldentum und
Kampfgeist sind ganz besondere und
wichtige Aspekte im Leben einer Frau.
Ich glaube, es ist eine große Chance,
diese Aspekte jeder Persönlichkeit,
auch von Weiblichkeit zu zeigen und
auszudrücken. Und genau das habe ich
mir zur Aufgabe gemacht. Ich habe
damals so viele Kämpfe absolviert wie
nur möglich. Jedes Mal habe ich wieder
diese Konzentration auf den einen Moment und diese Intensität des Gefühls
im Kampf gespürt, die bewirken, dass
man danach süchtig wird. Heute genieße ich es, mit meinen Kämpferinnen in
diesem Moment im Ring zu stehen, sie
zu unterstützen und mit ihnen ein so
wichtiges und konsequentes Ereignis zu
durchleben. l
Heather Cameron ist Professorin für
Erziehungswissenschaften an der Freien
Universität Berlin und Gründerin der
„Boxgirls“ – einem bereits von Kanzlerin
Angela Merkel ausgezeichneten Boxcamp
in Berlin Kreuzberg.
Helene Siebermair arbeitet seit 2009 an
einem Dokumentarfilm über Boxerinnen
im deutschen Sprachraum. Sie begleitet
Amateurboxerinnen und Profis, u.a. Heather Cameron, Nicole Haustein, Raja Amashe und Vorreiterinnen wie die dreifache
Weltmeisterin Heidi Hartmann oder die
erste Amateurboxerin Deutschlands Ulrike
Heitmüller. Filmpremiere ist im Oktober
2011 in Linz.
Juli August 2011 an.schläge l 19
thema: boxen
Spektakel & Selbstermächtigung
Frauen, die in Filmen boxen, waren zuerst
voyeuristische Attraktionen, haben sich jedoch
inzwischen zu emanzipierten Kämpferinnen entwickelt.
Von Elisabeth Streit
1 Vgl. Stephanie Haerdle:
Keine Angst haben, das ist
unser Beruf. Kunstreiterinnen, Dompteusen und
andere Zirkusartistinnen.
Aviva, Berlin 2007
2 Claudia Preschl: Lachende Körper. Komikerinnen
im Kino der 1910er Jahre.
Filmmuseum Synema, Wien
2008, S. 15.
3 Thomas A. Edison Gesellschaft (USA 6. Mai 1901),
www.youtube.com/watch?
v=KcE6fTO7pqA&feature
=related
4 Camilla Fojas: Sports
of Spectatorship: Boxing
Women of Color in Girlfight
and Beyond. In: Cinema
Journal, Vol. 49, No. 1,
2009, S. 108.
5 Diese Mütter sind zumeist
selbst Opfer von feigen,
dafür umso brutaleren
Männern/Vätern.
20 l an.schläge Juli August 2011
So untrennbar die Erfindung des damals
neuen Mediums Film mit dem Beginn
des 20. Jahrhunderts zusammenfällt,
so eng ist das Kino mit Frauen auf, vor
und hinter der Leinwand verbunden.
Bereits ab 1895 eröffnete der Film dem
voyeuristischen Begehren sämtliche
Möglichkeiten und kam der Schaulust
auf allen Ebenen entgegen.
Nacktmodelle, Dompteusen, Tänzerinnen oder Artistinnen waren im Kino
um 1900 keine Seltenheit. Rasch
erkannte man, dass solche Spektakel
auf Film gebannt die Massen ins Kino
lockten.1 Dieses „Cinema of Attraction“, ein von Tom Gunning und André
Gaudreault eingeführter Begriff für das
Kino vor 1906, verbindet den Begriff
„showing“, das Zeigen und Herzeigen,
mit dem voyeuristischen Charakter der
Schaulust.
„Der heute viel zitierte Begriff [showing,
Anm.d.A.] bezieht sich auf das Kino bis
1906, auf frühe Filmaufnahmen kurzer
Tanzszenen, komischer Szenen, von
Boxkämpfen etc., die zumeist auf einer
Bühne in der Tradition des Boulevardtheaters respektive des Varietées inszeniert waren und das Ausstellen oder
‚Zeigen‘ zum Gegenstand hatten.“ 2
Wippende Röcke, schnelle Schläge.
Das erste filmische Dokument eines
Frauenboxkampfes ist der Kurzfilm
„The Gordon Sisters boxing“3, in dem
sich die Schwestern Minnie Gordon im
weißen und Bessy Gordon im schwarzen
Kleid mit Fäusten duellieren. Vor der
Kulisse eines französischen Gartens umtänzeln sie sich mit schneller Beinarbeit
und liefern sich einen rasanten Schlagabtausch voller Rechts-links-Kombinationen. In diesem kurzen filmischen Dokument offenbart sich der enorme Reiz
des auf Zelluloid gebannten Faustkampfes, der allen Filmen, dem Fiktionalen
wie auch dem Dokumentarischen, innewohnt: eine Dynamisierung des Blicks.
„Girlfight“, © Senator Film
Wird bei Verfilmungen von körperlich
sportlichen Höchstleistungen gern auf
filmische Tricks und Beschleunigungsmöglichkeiten zurückgegriffen, so wird
bei Boxszenen meistens mit Verlangsamung und Zeitlupe gearbeitet; Martin
Scorsese treibt dies in seinem „Raging
Bull“ (USA 1980) auf die Spitze. Im
Augenblick einer optischen Ablenkung
verschmelzen hier Köperdynamik und
die Schnelligkeit des Zuschlagens zu
einem elaborierten Agglomerat von
Blick, Lust und Schlägen.
Kämpfende Töchter. Ab den 1990er
Jahren taucht das Motiv der Boxerin
im Film verstärkt wieder auf. Doch nun
dient es nicht mehr nur dem voyeuristischen Vergnügen am Spektakel. Portraitiert werden vielmehr Frauen, die
konsequent ihre Entscheidung verfolgen,
in eine von Männern dominierte Welt
einzudringen und dort ihren Platz zu
verteidigen.
Konfrontiert mit dummen Sprüchen,
verständnislosem Kopfschütteln und
dem platten Vorwurf unweiblich zu sein,
beginnen sie diese Vorurteile schlagkräftig auszuräumen: „‚Girlfight‘“ führt
jenes Erbe fort, in dem Boxen in seiner
ursprünglichen und unglamourösen
Form ein Sport der urbanen Unterschicht ist, überwiegend repräsentiert
von italienischen, Schwarzen und
lateinamerikanischen AmerikanerInnen. Aber er unterscheidet sich vom
üblichen Boxfilm-Genre in seiner Kritik
am Komplex von sozialen und visuellen
Diskursen, die mit den Körpern und der
Handlungsmacht von Frauen verknüpft
sind; insbesondere werden Fragen
aufgeworfen über die irreduzible ‚weibliche‘ Differenz von Frauen im Amateurund Profisport und in anderen typischen
Männerdomänen.“4
Es ist auffallend, dass die Frauen, die
in diesen Filmen ihren rollenspezifisch
determinierten Rahmen sprengen, zumeist mit einem zusätzlichen familiären
Problem im Hintergrund zu kämpfen
haben. Die Filmtöchter müssen große
Probleme überwinden, die oft im Zusammenhang mit ihren Müttern5 stehen:
Sei es die Schwache in „La Yuma“, die
zu rächende Tote in „Girlfight“ oder die
nur auf ihren Vorteil bedachte Mutter
in „Million Dollar Baby“.
Diana & La Yuma. Michelle Rodriguez
(Diana) besticht in der eindrucksvollen
Eröffnungsszene des Films „Girlfight“ (USA 2000) durch ihren alles
durchdringenden Blick. Er gehört
einer jungen Latina, die eine starke
physische Präsenz an den Tag legt und
uns vermittelt: Ich bin stark, aggressiv,
nicht schwach, nicht passiv, und ich
werde meinen Blick nicht abwenden.
Damit greift Regisseurin Karyn Kusama
ein Element des Kinos der Attraktionen
auf und dreht geschlechterspezifische
Stereotype um. Dianas jüngerer Bruder
thema: boxen
Tiny zeichnet lieber, wird aber vom
die einfach studieren und ein unabVater zum Boxtraining geschickt, um
hängiges Leben führen will. Sie ist
ein richtiger Mann zu werden. Als
ein wunderbares Beispiel dafür, dass
Diana heimlich zu boxen beginnt, wird
Boxen nicht allein von der Körperkraft
er zum stillschweigenden Verbündeten.
abhängt. In einem Interview, das FikriDennoch kommt ihr der Vater auf die
ye Selen zwölf Jahre nach dem Film
Schliche, stellt sie zur Rede und wird
gibt, erklärt sie, warum sie sich gegen
von Diana überwältigt: eine späte Raden Profisport und für ein normales
che für den von ihm verschuldeten Tod
Arbeitsleben entschieden hat: „Ich
der Mutter. Zwischen ihr und Adrian,
hatte als Sportlerin alles erreicht, was
einem ebenfalls boxenden Latino, entich erreichen wollte. Ich war mehrfache
wickelt sich eine zarte Liebesbeziehung, türkische Meisterin und 2000 dann
die sich aber am Ende als nicht haltbar
auch Vize-Europameisterin. Und ich
erweist. Als sie im Ring gegen ihn
hatte auch eine gewisse Anerkennung in
antritt, taucht jenseits der Gefühle ein
Deutschland.“6
anderes Muster auf: Nach ihrem Sieg
Abschließend verweist sie einmal
über Adrian hat dieser als Identifikatimehr auf den sozialpolitischen Kononsfigur ausgedient.
text, in dem sie über ihre Rolle als
Obwohl in „La Yuma“ (F/Nic 2009)
ehemalige Boxerin, Frau und Türkin in
eine ganz andere Geschichte erzählt
Deutschland klar und deutlich feststellt:
wird, lässt sich ein ähnlicher Zugang
„Vielleicht will ich mir dazu keine Ge-
Portraitiert werden Frauen, die konsequent
ihre Entscheidung verfolgen, in eine von
Männern dominierte Welt einzudringen und
dort ihren Platz zu verteidigen.
Lucia Rijker in „Million Dollar Baby“, © Warner Bros.
zum Thema erkennen. Die junge Virginia Roa (Alma Blanco), La Yuma genannt, lebt in einem Slum in Managua
und wird vom ehemaligen Boxchampion
Polvorita dazu überredet, ihre Kraft
und Aggression fürs Boxen zu nutzen.
La Yuma geht das Ganze äußerst pragmatisch an: Das Ziel ist nicht der große
Kampf, viel Geld und Ruhm, nein, sie
steigt mit dem Entschluss in den Ring,
sich und ihren jüngeren Geschwistern
ein besseres Leben zu ermöglichen.
Eine romantisch anmutende Liebesgeschichte zu einem jungen, weißen
Journalisten aus gutem Haus scheitert
letztendlich am Klassenunterschied. Virginia wendet sich unsentimental wieder
ihren vielfältigen sozialen Aufgaben zu:
Mutterersatz, Freundin, Schwester und
Ernährerin ihrer jüngeren Geschwister.
Fikriye Selen & Maggie Fitzgerald.
Aysun Bademsoy gewährt uns in kurzen
30 Minuten Einblick in das Leben von
Fikriye Selen. Selen bereitet sich auf
ihr Abitur vor und ist eine vielversprechende Boxerin. In unaufgeregten
Bildern sehen wir eine junge, türkische
Frau, jenseits des Kopftuch-Klischees,
danken machen. Mehr Leistung zeigen
zu müssen als andere war für mich nie
ein Problem. Ich war in der Sporthalle
immer die Erste, die gekommen ist, und
die Letzte, die abends das Licht ausgeknipst hat. Ich habe kein Problem damit,
besser sein zu müssen als andere. Ob
als Frau oder als Türkin. Und ich habe
immer daran geglaubt, dass ich, wenn
ich gut genug bin, wenn ich Leistung
bringe, auch Karriere mache.“
Maggie Fitzgerald (Hillary Swank), die
tragische Heldin aus Clint Eastwoods
„Million Dollar Baby“ (USA 2003) hat
damit weniger Glück. Sie wird von
der Gegnerin während ihres wichtigsten Kampfes hinterhältig attackiert
und fällt so unglücklich, dass sie vom
Hals abwärts gelähmt bleibt. Da ihr
Zustand unheilbar ist und nur den Tod
auf Raten bedeutet, zwingt sie ihren
Trainer Frankie Dunn (Clint Eastwood)
dazu, ihrem Leben ein Ende zu setzen.
Eastwoods Fighterinnen-Drama erzählt
bis zu jenem Punkt, vor dem sich die
Männer am meisten fürchten: die emotionale Bindung zwischen der Boxerin
und ihrem Trainer. Dem Überwinden
von körperlichen Grenzen steht in
diesem Film der Tod gegenüber, der in
seiner Unerbittlichkeit die beiden zum
Handeln zwingt und den erreichten
Siegen die Zerstörung des angestrebten
Traumes gegenüberstellt. Obwohl Maggies zerschlagener Körper von einem
Endpunkt in ihrem Leben erzählt, bleibt
sie, wie die Boxerinnen in den beschriebenen Filmen, ihrem Motto treu: den
einsamen, selbst gewählten Weg gehen,
koste es, was es wolle. l
Elisabeth Streit ist Bibliothekarin und
Filmvermittlerin im Österreichischen Filmmuseum sowie Mitarbeiterin bei kinoki/
Verein für audiovisuelle Selbstbestimmung.
6 http://turkish-sports.
atspace.org/html/interview_
selen09.html
Eine kleine Filmografie:
Blonde Fist (Frank Clarkey,
GB 1991), Ein Mädchen im
Ring (Aysun Bademsoy, D
1996), Shadow Boxers (Katya Bankowski, USA 1999),
Girlfight (Karyn Kusama,
USA 2000), Knockout (Lorenzo Doumani, USA 2000),
Honeybee (Melvin James,
USA 2001), Million Dollar
Baby (Clint Eastwood, USA
2003) und La Yuma (Florence Jaugey, F/Nic 2009)
Juli August 2011 an.schläge l 21
thema: boxen
Don’t touch me!
Die Schauspielerin und Filmemacherin
Florence Jaugey hat mit „La Yuma“ ihren
ersten Spielfilm gedreht. La Yuma, die Hauptfigur,
ist Boxerin, doch ein Boxfilm ist es trotzdem nicht,
erfuhr Mirjam Bromundt.
an.schläge: Vor „La Yuma“ hast du viele
Dokumentarfilme über nicaraguanische Jugendliche gedreht. Was hat
dich an ihren Geschichten interessiert?
Florence Jaugey: Ich lasse mich von
der Realität inspirieren. In Nicaragua
sind rund 70 Prozent der Bevölkerung unter 30 Jahre alt. Und ich gebe
gerne das Wort an Menschen, die als
unwichtig gelten. Zudem sind Filme in
Nicaragua meist von NGOs finanziert
und die wollen klarerweise, dass diese
Filme soziale Themen behandeln – was
sich sehr gut mit meiner Intention
verbinden lässt.
Hattest du eine konkrete Person vor
Augen, als du das Drehbuch zu „La
Yuma“ geschrieben hast?
La Yuma existiert wirklich. Ich filmte
gerade in einem Kommissariat, das auf
Delikte an Frauen und Kindern spezialisiert ist, und dort stellte man mir
La Yuma vor. Ein Mädchen aus dem
Viertel, das boxte. Von dort aus habe
ich meine Geschichte weitergesponnen
und kam bald auch auf Alma Blanca
als Darstellerin, die ich während des
Castings zu Ken Loachs „Carlas Song“1
kennen gelernt hatte.
1 „Carlas Song“ (1996),
Spielfilm über das sandinistische Nicaragua
22 l an.schläge Juli August 2011
Was ist La Yuma für ein Charakter?
Dem Klischee nach sind Boxerinnen
hässlich und sehr männlich. Aber es
gibt unter ihnen auch sehr elegante
und feminine Frauen. La Yuma gibt
sich gern ein bisschen männlich, aber
das ist ihre Art zu sagen: „Don’t touch
me!“ Das ist ihr Panzer, sie ist immer
in der Defensive. Denn was verspricht
ihr das Leben? In ihrem Alter sollte sie
eigentlich schon mit dem zweiten Kind
schwanger sein. Der Vater im Gefängnis
oder tot, schlägt oder betrügt sie. Das
ist die klassische Entwicklung einer
Frau ihrer sozialen Schicht.
© trigon-film
Wie hast du für den Film recherchiert?
Polvorita (Anm.: der Boxtrainer im
Film) hat mich und auch La Yuma
ins Boxen eingeführt. Es ist wirklich
schwierig und fordernd für Körper
und Geist. In Nicaragua gibt es viele
Frauen, die sehr gut boxen, aber im
Unterschied zu meinem Film – das ist
wirklich Fiktion – sind alle Amateurinnen. Profiboxen ist zu teuer, und es fehlt
der Verband dafür. Für Frauen ist es zudem schwierig, dranzubleiben. Plötzlich
haben sie ein Kind, für das sie sorgen
müssen, und der Vater ist meist nicht
da. Für Männer gibt es den Profisport
sehr wohl.
Welche Bedeutung hat das Boxen für
Frauen in Nicaragua? Und welche in
deinem Film?
Boxen ist ein Sport, für den du kaum etwas brauchst. In Nicaragua findet man
immer einen Club, in dem man gratis
trainieren kann. Viele Frauen gehen in
diesem Sport auf, denn es geht darum,
sich selbst verteidigen zu können. Die
körperliche Stärke bringt sie quasi auf
Augenhöhe mit den Männern. Es ist
also mehr als nur ein Sport und hat viel
mit Selbstwertgefühl zu tun. Als ich
boxen lernte, sah ich viele Mädchen,
die mit ihren Müttern kamen. Sie saßen
auf der Bank und haben zugesehen, wie
die Töchter trainieren. Für La Yuma
ist das Boxen ein Mittel, um über sich
selbst hinauszuwachsen. „La Yuma“ ist
also sicherlich kein Boxfilm, sondern
ein Film über das Vorwärtskommen.
Was bietet sich für jemanden aus ihren
Verhältnissen an? Das Boxen ist für
alle zugänglich. La Yuma ist intelligent,
aber keine Intellektuelle und weiß, dass
die Macht auf der Seite der Männer ist.
Die Männer respektieren sie aufgrund
ihrer körperlichen Stärke, und lassen
sie in Ruhe. Sie benutzt das Boxen, um
sich ihre Unabhängigkeit zu sichern und
negative Energien loszuwerden. Ich
schwöre dir, nach einer Stunde Boxen
kannst du keiner Fliege mehr was zu
Leide tun.
Ist das Happy End in „La Yuma“ eine
Ausnahme oder schaffen es Mädchen
wirklich, so aus ihrem Viertel raus zu
kommen?
Um rauszukommen brauchst du viel
Kraft und einen starken Willen. Es
ist nicht leicht, und die Mehrheit geht
nach Costa Rica oder in die USA, um
dort ohne Papiere zu arbeiten. Und das
nicht, weil sie Lust haben, sondern weil
sie müssen. l
Die gebürtige Französin Florence Jaugey
gewann 1998 mit ihrem selbst gedrehten
Kurzfilm „Cinema Alcázar“ den Silbernen
Bären des Filmfestivals Berlinale. Sie lebt
in Nicaragua.
an.sprüche
Zuhause ist’s am schönsten
Laut einer neuen österreichischen Studie will
mehr als die Hälfte aller Mädchen später gerne
Hausfrau werden. Für Ina Freudenschuß und
Teresa Wintersteller sind nicht diese Ergebnisse,
sondern deren Ursachen der eigentliche Skandal.
Illustration: Bianca Tschaikner
Die neue Jugendmonitor-Studie zeigt es schwarz auf weiß: Österreichs
weiblicher Nachwuchs sieht seine Zukunft bei Heim und Herd.
Besser hätten es die ÖVP-StrategInnen nicht lancieren können, um ihr
Dogma von der „Wahlfreiheit“ für Mütter zu untermauern. Gleich hieß
es bei der Pressekonferenz von Familienminister Mitterlehner dann auch,
man „müsse Rollenbilder akzeptieren“, die Politik dürfe nichts vorschreiben.
Doch lässt sich aus dieser Studie tatsächlich eine einheitliche Aussage
über die Familienvorstellungen von Jugendlichen treffen? Immerhin 55
Prozent der befragten Mädchen befürworten die Aussage, Hausfrau sein
zu wollen, wenn der/die PartnerIn so viel verdient, dass der Lebensunterhalt gesichert ist. Das liest sich in der Tat wie ein Schlag in die Magengrube von Feministinnen und Frauenpolitikerinnen.
In der Studie lassen sich aber auch noch andere Meinungen finden:
Dieselbe Ansicht („Hausmann sein“) teilen nämlich auch 34 Prozent der
Buben. Auch die großteils zustimmende Reaktion auf die Aussage „Die
Männer sind genauso für die Kindererziehung verantwortlich wie die
Frauen“, liest sich nicht wie die Bestätigung reaktionärer Geschlechterstereotypen.
Es mag angesichts der aktuellen Lebensverhältnisse schockieren, dass
das Hausfrauendasein noch immer eine Option für Mädchen ist. Andererseits drückt dieser Wunsch aber nur auf stereotype Weise aus, was
der Herzenswunsch ganz vieler ÖsterreicherInnen ist: nicht sinnentleert
arbeiten zu müssen und dabei wohlhabend zu sein.
Es ist wirklich nicht schwer, aus Studien jene Aspekte herauszuholen, die
für die eigene politische Agenda von Nutzen sind. Die Skandalisierung
solcher Studien-Ergebnisse hilft aber am wenigsten jenen Frauen, die
gern „die Wahl“ auf ein unabhängiges Leben hätten. Mit der Verwirklichung von tatsächlicher Wahlfreiheit für Frauen wäre deshalb schon
einmal ein großer Brocken geschafft. Träumende Mädchen vorzuschieben, weil die eigene Umsetzungskraft fehlt, ist im Jahr 2011 hingegen
der eigentliche Skandal.
Ina Freudenschuß ist Ressortleiterin von diestandard.at
Die mediale und politische Debatte über die Ergebnisse des Jugendmonitors 2011 suggeriert einen objektiven Trend zur Re-Traditionalisierung der
Lebensentwürfe Jugendlicher und junger Erwachsener. Das negiert jedoch
die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, die von unsicheren Arbeitsverhältnissen, der Vermittlung traditioneller Rollenbilder als gesellschaftliche
Norm sowie einem allgegenwärtigen krisenfokussierten Zukunftsdiskurs
geprägt sind. Welche biografischen Optionen Jugendliche für sich sehen,
ist beeinflusst von Chancen und Möglichkeiten, die ihnen im Hier und Jetzt
angeboten werden, und diese sind für weibliche und männliche Jugendliche in unserer Gesellschaft nach wie vor unterschiedlich. Betrachtet man
z.B. den Arbeitsmarkt, zeigt sich, dass Frauen eine positive Selbstpositionierung in der Gesellschaft durch Erwerbsarbeit vielfach verwehrt wird,
sind es doch meistens Männer, die Entscheidungs- und Karrierepositionen
bekleiden.
Als Alternative zu einem unterbezahlten Job erscheint v.a. Frauen aus
formal niedrigeren Bildungsmilieus die Organisation des Familienhaushalts oftmals als die sinnvollere Option – nicht zuletzt deshalb, weil es
nach wie vor an gesellschaftlicher Akzeptanz sowie an angemessenen
Angeboten institutionalisierter Kleinkinderbetreuung mangelt. Was darüber hinaus jedoch nicht vergessen werden sollte ist, dass viele Frauen,
auch wenn sie sich bei der Geburt eines Kindes dazu entschieden haben,
die ersten Jahre zu Hause zu bleiben, über kurz oder lang wieder in
den Arbeitsmarkt einsteigen werden. Wenn es die finanzielle Situation
erfordert, werden sie in ein prekäres Arbeitsverhältnis eintreten, um die
Familie abzusichern.
Am Beispiel des Jugendmonitors zeigt sich jedenfalls wieder einmal deutlich, wohin eine ideologische oder auch nur eine verkürze Interpretation
von sozialwissenschaftlichen Daten führt: nämlich zu einer Verschleierung
von Realitäten statt dem Aufzeigen von Problemzusammenhängen, die
einer politischen Lösung zugeführt werden könnten.
Teresa Wintersteller studiert Kultur- und Sozialanthropologie an der Universität
Wien und ist seit 2008 am Institut für Jugendkulturforschung als Forschungsassistentin tätig. www.jugendkultur.at
Juli August 2011 an.schläge l 23
zeitausgleich
deutschland
Anhörung intersexueller Menschen
Text: Irmi Wutscher, Illustration: Nadine Kappacher
Die Situation und die Herausforderungen von intersexuellen Menschen
in Deutschland differenziert herauszuarbeiten, das hat sich der Deutsche
Ethikrat im Auftrag der deutschen Bundesregierung zum Ziel gesetzt. Um
zu einer Stellungnahme zu gelangen, geht der Ethikrat in mehreren Schritten vor: Im Anschluss an die bereits vor einem Jahr stattgefundene Veranstaltung „Intersexualität – Leben zwischen den Geschlechtern“ konnten
intersexuelle Menschen bis Mitte Juni an einer Befragung teilnehmen. Anfang Juni gab es außerdem eine öffentliche Anhörung von Intersexuellen
und Expert_innen, nun soll online weiterdiskutiert werden. Die Mitschnitte
der bisherigen Veranstaltungen sind auch im Netz verfügbar. Zentrales
Thema sind nicht nur Fragen um das Personenstandsrecht, sondern auch
die sogenannten geschlechtszuweisenden Operationen: Nach wie vor ist
nicht geklärt, ob, wann und warum sie stattfinden sollen. Insbesondere
Organisationen, die sich für intersexuelle Menschen einsetzen, sprechen
sich gegen frühzeitige Operationen aus. Intersexuelle, die – ohne selbst
Zustimmung geben zu können – in den ersten Lebensjahren operativ einem
Geschlecht zugewiesen wurden, leiden oft unter schweren physischen und
psychischen Folgen. be
arbeitsfragen in allen
lebenslagen
Beige
Als ich vor ein paar Jahren kurz in der sogenannten „Privatwirtschaft“
arbeitete, trugen alle KollegInnen beige Hosenanzüge. Wer sich als
weiblich erkannt wissen wollte, hatte zusätzlich Perlenstecker in den
Ohren. Unisex für Fortgeschrittene gewissermaßen. Als was ich durchging, bin ich mir nicht so sicher, da ich weder mit beigen Klamotten noch
mit Perlen aufwarten konnte. Meine Andersartigkeit wurde nie explizit
kommentiert, aber durchaus sanktioniert (siehe „zeitausgleich“-Kapitel
„Weihnachtsfeier“, an.schläge 12/2010).
Ganz anders läuft es da in der Banken- und Versicherungsbranche. Um
jeden möglichen Fauxpas schon im Vorfeld zu verhindern, wird an neue
MitarbeiterInnen/PraktikantInnen eine Kleiderordnung ausgegeben.
Für Frauen gilt da die Vorschrift „nicht zu aufreizend“ und mit „dezentem Tages-Make-up“ zu erscheinen. Seitenanmerkung zum TagesMake-up: Eine meiner Jeans-T-Shirt-Turnschuh-Freundinnen, eine sehr
schlaue Biolandbau-Forscherin, geht zu Besprechungen außerhalb ihres
Büros nur geschminkt und mit Blazer. Um Respekt zu bekommen und
nicht als Praktikantin abgetan zu werden. Für Männer gibt es übrigens
auch Vorschriften, die sind viel konkreter: Anzug plus Krawatte ist
selbstverständlich Pflicht. Verboten sind „blaue Socken zu schwarzen
Hosen“ sowie „kurze Hosen“.
Im Journalismus wiederum, wo ich mittlerweile hauptberuflich gelandet
bin, herrscht kreative Freiheit, was die Kleidung betrifft. Zwar haben
RedakteurInnen das obligatorische Sakko am Arbeitsplatz hängen, das
sie schnell überwerfen können, wenn ein Termin mit PolitikerInnen o.Ä.
ansteht. Ansonsten hat man stilmäßig aber wenig zu verlieren. Das mag
zwar in Zeiten hoher Arbeitslosigkeit und Wirtschaftskrise blasphemisch klingen, aber für mich ist das fast Grundbedingung für Arbeitsplatzzufriedenheit. Weil ich mag aussehensmäßig nix müssen: Weder
Make-up-Stöckelschuh-Zwang noch T-Shirt-Turnschuh-Lockerheit. Und
schon gar nicht beiger Einheitsbrei.
Irmi Wutscher trägt derzeit gerne ein modisches Sommerensemble in türkis,
grün und pink.
Nadine Kappacher verzichtet meist auf Beige und schaut sich hier um:
http://whatiworedrawings.blogspot.com/
24 l an.schläge Juli August 2011
http://diskurs.ethikrat.org, www.ethikrat.org, http://blog.zwischengeschlecht.info
jobausschreibungen
Gehaltlos
Seit 1. März sind Unternehmen in Österreich gesetzlich verpflichtet,
in Stellenausschreibungen das vorgesehene Gehalt anzugeben. Diese
Vorschrift, die in der jüngsten Novelle des Gleichbehandlungsgesetzes
festgeschrieben wurde, wird von den meisten Firmen jedoch ignoriert.
Kritik kommt nun u.a. von der Arbeiterkammer, den Grünen und dem
ÖGB, die die Ignoranz der ArbeitgeberInnen v.a. auf die noch fehlenden
Sanktionen zurückführen. Denn erst ab 2012 müssen Unternehmen nach
einer erstmaligen Verwarnung mit einer Geldstrafe von bis zu 369 Euro
rechnen. „Wie bei anderen Gesetzen muss auch ein Verstoß gegen das
Gleichbehandlungsgesetz Sanktionen nach sich ziehen. Auf die Freiwilligkeit der Unternehmen zu setzen, ist realitätsfern und produziert bestenfalls mediale Seifenblasen“, so Judith Schwentner, Frauensprecherin der
Grünen. Auch ÖGB-Bundesfrauenvorsitzende Brigitte Ruprecht ist ob der
derzeitigen Entwicklungen der Ansicht, dass freiwillige Maßnahmen nicht
ausreichen. Sie betont dabei die Vorteile der Einkommenstransparenz für
die Firmen: „Unternehmen, die bereit sind, ihre MitarbeiterInnen besser
zu entlohnen, werden die besser qualifizierten BewerberInnen ansprechen.“ Auch von Seiten der AK-ExpertInnen hagelt es Kritik wegen der
fehlenden Strafen. Sie wären entscheidend, „damit sich Unternehmen an
wichtige gesellschaftliche Anliegen wie die Einkommenstransparenz oder
mehr Frauen in Aufsichtsräten halten“. pix
www.arbeiterkammer.at, www.oegb.at/frauen, www.gruene.at/frauen
queerkonferenz
Vorträge online nachhören und -sehen
„Was passiert, wenn wir ‚Queer‘ hierher oder nach Südosteuropa importieren?“, fragte Sushila Mesquita, Mitorganisatorin von „Import – Export – Transport: Queer Theory, Queer Critique and Activism in Motion
2011“. Die zweieinhalb Tage dauernde Konferenz lockte Studierende und
WissenschaftlerInnen aus ganz Europa und den USA an die Uni Wien.
an.riss arbeit wissenschaft
Auch der anglo-amerikanisch verankerte Begriff „Queer“ ist weit gereist,
seit er in den 1990er Jahren erstmals auftauchte, so das Programm zur
Veranstaltung. Doch passt die Vokabel wirklich für jeden regionalen, politischen, aktivistischen oder populär-kulturellen Kontext? Bei der Konferenz
wurden Übersetzungen und Definitionen des Begriffs sowie die Verortung
der „Queer Studies“ in der Wissenschaft angeregt debattiert – ohne
Anspruch auf eindeutige Klärung. Einblick in die Vorträge geben nun auch
Video-Streams und Audio-Files auf der Website des Referats für Gender
Forschung. Join the discourse! kaiv
www.univie.ac.at/gender/index.php?id=359#c2057
studie
Umverteilung jetzt!
Eine aktuelle Studie der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit
und Entwicklung (OECD) belegt, dass die Einkommensschere in den 34
OECD-Ländern immer mehr wächst. Zu diesen Ländern zählen hauptsächlich europäische Staaten sowie Australien, Kanada, Chile, Israel, Japan,
Korea, Mexiko, Neuseeland, die Türkei und die USA. Die Einkommen der
ohnehin schon reichsten Haushalte wachsen schneller als die der ärmsten.
Durchschnittlich verdienen die reichsten zehn Prozent der Bevölkerung
in den OECD-Ländern neunmal so viel wie die ärmsten zehn Prozent, und
die Kluft ist in den letzten Jahren insgesamt immer größer geworden. Die
OECD sieht die Hauptgründe dafür in Veränderungen der Erwerbstätigkeit, der Familienstrukturen sowie der Steuer- und Sozialstaatssysteme.
Zur wachsenden Ungleichheit trägt weiters bei, dass reiche Menschen
eher mit reichen eine Bindung eingehen. Ansätze zur Umverteilung wären
laut OECD eine Reform der Steuergesetze und der Sozialhilfeleistungen.
Außerdem muss der Zugang zu Arbeit für sozial benachteiligte Gruppen
verbessert werden. bicou
www.oecd.org/dataoecd/32/20/47723414.pdf
essstörung
Gesund macht krank: Orthorexie
jill abramson
Erste Chefredakteurin nach 160 Jahren
Essen kann zum Problem werden, beispielsweise bei Bulimie und Magersucht – das ist bekannt. Weniger bekannt ist, dass auch gesundes Essen
krank machen kann. Orthorexia nervosa, eine 1997 vom US-amerikanischen
Arzt Steven Bratman erstmals beschriebene Essstörung, bezeichnet ein
Essverhalten, das Wert auf Qualität legt und sich Gesundheit zum Ziel setzt,
jedoch zu einer unverhältnismäßigen Beschäftigung mit Lebensmitteln führt.
Was mit Bio anfängt und zunächst als Lifestyle verkannt wird, hört nicht
selten bei Zwanghaftigkeit auf. Nicht allein die Organisation der täglichen
Ernährung erfordert für die Betroffenen einen erheblichen Zeit- und Planungsaufwand, auch Essenseinladungen, Restaurantbesuche oder Urlaube
werden zugunsten eines exakt kontrollierbaren Speiseplans zunehmend
vermieden. Wird gegen die selbst auferlegten Ernährungsregeln verstoßen,
erleben Orthorektiker_innen starke Schuld- und/oder Schamgefühle. Zu
ernsten physischen Schäden kommt es laut Ernährungswissenschaftler_innen
nicht, jedoch kann der zwanghafte und sozial beeinträchtigende Charakter
der Essstörung Ausmaße bis hin zur (Selbst-)Isolation annehmen. red
Jill Abramson, 57, ist die erste Chefredakteurin in der 160-jährigen
Geschichte der „New York Times“ (NYT). Die Harvard-Absolventin und
Mutter von zwei Kindern wird den Posten an der Spitze der NYT am 6.
September antreten. Abramson hatte bereits als Studentin bei der NYT
gejobbt, arbeitete nach ihrem Studienabschluss (mit „summa cum laude“)
für juristische Magazine sowie als Enthüllungsreporterin beim „Wall
Street Journal“. 1997 wechselte sie zur NYT, wo sie schnell WashingtonRedakteurin und stellvertretende Chefredakteurin wurde.
Den Posten der Chefredakteurin übernimmt sie in schwierigen Zeiten. Mit
41 Prozent büßte die NYT im ersten Halbjahr 2011 stark an Gewinnen
ein. Abramson, die vor einem halben Jahr die Leitung der Online-Ausgabe
übernommen und dort die „Paywall“ initiiert hatte (UserInnen können
monatlich 20 Artikel gratis lesen, für weitere müssen sie zahlen), scheint
vielen geeignet zu sein, um das Ruder für die NYT finanziell herumzureißen. Und auch wenn sie als „investigative Reporterin mit Leib und Seele“
gilt, geht für Abramson mit der Führung der 1.200 Print-JournalistInnen
bei der NYT nun ein Traum in Erfüllung: Schon in ihrem Elternhaus sei die
„Times“ behandelt worden wie eine Art Bibel. miak
www.orthorexia.com
http://feministing.com, www.nytimes.com
Calls & Veranstaltungen
 „Rethinking Masculinity & Practices of Violence in Conflict Settings“. Special Issue of International Feminist Journal of Politics
Paper bis 15.8., ifjp@yorku.ca, www.tandf.co.uk/journals/titles/14616742.asp
 „Gender, Sexuality, Information: A Reader“, Manuskript bis 1.9., http://is.gseis.ucla.edu/events/fliers/gender_reader.pdf
 Interdisziplinäre Summer School für NachwuchswissenschaftlerInnen: „Aktueller Stand der Forschung zu geschlechtsbezogener Gewalt“
4.–5.7., Wien, www.wave-network.org/start.asp?ID=23495&b=151

Tagung: „Transformationen der Lebensweise – Wissen um Alternativen zum neoliberalen Kapitalismus“, 8.–9.7., Wien
http://alternativentagung.wordpress.com
 5th Annual Brighton and Sussex Sexualities Network Conference: „Hard Science? Sex, Science and Technology“
15.9., Brighton, Anmeldung bis 31.7., www.it.bton.ac.uk/bssn/conf2011
Juli August 2011 an.schläge l 25
forum wissenschaft
Global entsichert?
Prekarisierung der Arbeit im globalen Norden,
Informalisierung in den Ländern des Südens bzw. Ostens:
über die Verbindungen zweier bislang
getrennt geführter Diskursstränge.
Von Vina Yun
In den letzten zehn Jahren hat sich
in den Industriestaaten des Nordens
ein Diskurs entwickelt, der unter dem
Schlagwort der „Prekarisierung“ die
zunehmend von sozialer Unsicherheit
geprägten Arbeits- und Lebensverhältnisse skandalisiert und zum Ausgangspunkt für politische Kämpfe macht.
Um einiges älter als der Begriff der
„Prekarisierung“ ist jener der „Informalisierung“, wie er im Kontext der
Entwicklungstheorie verwendet wird.
Seit seiner Einführung vor 40 Jahren ist
das Phänomen der „informellen Wirtschaft“ und seine Bedeutung bei der
ökonomischen Entwicklung Gegenstand
kontroverser Diskussionen. Einigkeit
besteht nur darin, dass informelle
Arbeit keine temporäre Erscheinung
ist, sondern sich rapide ausdehnt – und
zwar nicht nur im globalen Süden bzw.
Osten, sondern auch im Norden. Bereits
jetzt arbeitet mehr als die Hälfte der
erwerbstätigen Weltbevölkerung unter
informellen Bedingungen, der Großteil
der neu geschaffenen Arbeitsplätze in
den Ländern des Südens ist im informellen Bereich angesiedelt.
Rentable Informalisierung. Als „informell“ wird eine Vielzahl teils sehr
unterschiedlicher Beschäftigungsformen
und Erwerbstätiger bezeichnet, bis
heute existiert keine einheitliche Definition. Ursprünglich wurde der Begriff
des „informellen Sektors“ Anfang der
1970er Jahre von der Internationalen
Arbeitsorganisation (ILO) in Zusammenhang mit Studien zu Kenia und Ghana eingeführt, um Beschäftigungs- und
Arbeitsformen zu benennen, die mit den
herkömmlichen Kategorien der geregelten, in den offiziellen Statistiken aufscheinenden Erwerbsarbeit nicht oder
nur ungenügend zu erfassen waren. Als
Ursache der Informalität sah die ILO
zunächst die wirtschaftliche „Rückständigkeit“ der sogenannten Dritten Welt,
26 l an.schläge Juli August 2011
Stencil von Lapiztola in Oaxaca, Mexiko, Foto: Jens Kastner
das starke Bevölkerungswachstum und
die rasche Urbanisierung. Entsprechend
verfolgte sie die Annahme, dass mit vermehrter „Entwicklung“ die Defizite der
informellen Wirtschaft reduziert, eine
Umwandlung in anerkannte, geschützte,
legale und somit formelle Aktivität gefördert und angemessene Beschäftigung
gesichert werden würden. Erfahrungen
aus Afrika, Asien und Lateinamerika seit den 1980ern belegen indes
deutlich, dass Handelsliberalisierungen
und sinkende staatliche Investitionen
in öffentliche Leistungen entlang von
Freihandelsabkommen und Strukturanpassungsprogrammen als Katalysatoren
für die Informalisierung von Beschäftigungsverhältnissen wirken.
Generelle Kennzeichen informeller
Arbeit sind ein geringes und/oder
unregelmäßiges Einkommen („no work,
no pay“), fehlende Arbeitsverträge bzw.
verbindliche Lohnvereinbarungen sowie
exzessive und/oder unreguläre Arbeitszeiten. Informell Beschäftigte sind
gänzlich oder teilweise ausgeschlossen
von Leistungen wie Kranken-, Unfallund Pensionsversicherung sowie von
Mutterschutz, Kündigungsschutz u.Ä.
Die ILO bezeichnet solche Erwerbstätigen und Unternehmen als informell, die
unter den bestehenden rechtlichen und
regulatorischen Rahmenbedingungen
weder anerkannt noch geschützt sind
und daher einen hohen Grad an „Verletzlichkeit“ aufweisen.
Sieht man von der Landwirtschaft ab,
stellen die größten Bereiche informeller
Beschäftigung im globalen Süden der
Straßenhandel und Arbeit im öffentlichen Raum (z.B. Markthändler_innen,
Müllsammler_innen, Schuhputzer_innen, Bauarbeiter_innen), bezahlte
Haushalts- und Pflegearbeit, Heimarbeit für die Bekleidungs-, Spielzeugund Elektronikindustrie sowie Arbeit in
der Sexindustrie dar.
Verflochtene Verhältnisse. Insbesondere feministische Kritiker_innen
haben darauf aufmerksam gemacht,
dass formelle und informelle Wirtschaft
nicht in Opposition, sondern vielmehr
als Kontinuum zu begreifen sind: Nicht
selten existiert informelle Arbeit etwa
dort, wo die formelle Erwerbstätigkeit
keine existenzsichernde Grundlage
schafft und daher zusätzliche Einkommensmöglichkeiten gesucht werden. Die
Beschäftigungsformen können sich auch
vermischen. So hat das „Committee
for Asian Women“ festgestellt, dass
„immer häufiger ArbeiterInnen im sogenannten informellen Beschäftigungs-
forum wissenschaft
verhältnis Seite an Seite am selben Ort
mit ArbeiterInnen tätig sind, die formell
eingestellt worden sind.“
Informalisierte Arbeit von Frauen
und Migrant_innen ist eng mit (männlicher) Arbeit im formellen Sektor
verflochten, z.B. wenn Migrant_innen
in kleinen Imbisslokalen billig jene
Mahlzeiten herstellen, von denen sich
die vergleichsweise gut bezahlten
weißen Angestellten ernähren. Nicht
zuletzt macht die gezielte Auslagerung
ehemals formeller Beschäftigungsformen (im Norden) in den informellen
Bereich (im Süden/Osten) durch das
sogenannte Subcontracting, wie es von
den transnationalen Konzernen seit den
1990ern insbesondere in der Bekleidungs- und Elektronikindustrie forciert
wurde, deutlich, dass die Profite in der
formellen Wirtschaft auf den Leistungen informeller Arbeit – in den meisten
Fällen Frauenarbeit – basieren.
teilung, die Frauen weitgehend aus dem
Erwerbsarbeitsmarkt ausschloss, sowie
auf dem umfassenden Ressourcentransfer aus den Ländern des Südens.
Ähnlich wie „prekäre“ und „atypische“
Arbeit im globalen Norden aus einer
gegenderten Perspektive nur bedingt
als genuin neue Entwicklung verstanden
wird – da für Frauen die Nicht-Standardbeschäftigung schon seit längerem
Realität ist –, stellt auch die informelle,
ungeschützte Arbeit im Süden nicht die
Ausnahme, sondern die gesellschaftliche Normalität dar. Die Debatte über
das neue „Prekariat“ in den Ländern
des Nordens erlebte genau dann einen
Aufschwung, als sich auch weiße, männliche Erwerbstätige zunehmend mit flexibilisierten und deregulierten Arbeitsverhältnissen konfrontiert sahen. Dabei
erscheint die Erosion der traditionellen
„Ernährermännlichkeit“ als Begleiterscheinung einer „Dynamik globaler
„Prekarisierung“ und „Informalisierung“
werden in der Regel getrennt voneinander diskutiert. Versuche, die zwei Diskursstränge miteinander zu verbinden, kommen
vorwiegend von feministischen Stimmen.
Prekäre Welten. Obwohl beide Begriffe auf scheinbar ähnliche Phänomene
rekurrieren, fällt auf, dass „Prekarisierung“ und „Informalisierung“ in der
Regel getrennt voneinander diskutiert
werden. Versuche, die zwei Diskursstränge miteinander zu verbinden,
kommen vorwiegend von feministischen
Stimmen. So sieht etwa die deutsche
Soziologin Christa Wichterich im
sogenannten Normalarbeitsverhältnis,
das sowohl in der Prekarisierungs- als
auch in der Informalisierungsdebatte
als normativer Bezugspunkt wirkt (als
„typisches“, „nicht-prekäres“, „formelles“ Arbeitsarrangement), sowohl
einen „Klassen-“ und „Geschlechter-“
als auch einen „Entwicklungskompromiss“: Die bisherige „Vollbeschäftigung
des weißen Ernährers“, der Wohlstand
und die Wohlfahrtsstaatlichkeit in den
Ländern des Nordens beruhten demnach
nicht bloß auf einer durch gewerkschaftliche Kämpfe erreichten sozialen
Übereinkunft, sondern zugleich auf
einer geschlechtsspezifischen Arbeits-
Transformationsprozesse, welche dafür
sorgt, dass strukturelle Ähnlichkeiten
sichtbar werden: zwischen den EinPersonen-Unternehmen des informellen
Sektors in den Ländern der Südhalbkugel, den Kofferhändlerinnen in den
Transformationsländern Mittel- und
Osteuropas, den abhängig Beschäftigten
in den sweat shops der global vernetzten Hersteller von Konsumgütern und
der Entwicklung von prekären Beschäftigungsverhältnissen und neuen Formen
von (schein-)selbständiger Arbeit in den
westlichen Industrieländern“, analysiert
die Politologin Birgit Mahnkopf.
Globalisierung der Kämpfe. Wenn die
Informalisierung der Arbeitsbeziehungen im Süden und die Prekarisierung
der Arbeitsverhältnisse im Norden „graduell abgestufte Ausdrucksformen der
Globalisierung von Unsicherheit“ darstellen, wie Mahnkopf postuliert, sollte
auch den transnationalen Bündnissen
zwischen (Selbst-) Organisationen informell Beschäftigter, Gewerkschaften und
NGOs größere Aufmerksamkeit zuteil
werden.
Lange Zeit interessierten sich die traditionellen Gewerkschaften im globalen
Norden nur wenig für die Anliegen
informell bzw. prekär Beschäftigter, und
im Gegensatz zu vielen Gewerkschaften
in den Ländern des Süden und Ostens
besitzen sie zudem weder Erfahrung in
der Organisierung informell Beschäftigter noch in der Bündnisarbeit mit deren
Selbstorganisationen.
In Widerspruch stehen auch die männliche Dominanz innerhalb der klassischen
Gewerkschaften und die überproportionale Präsenz von Frauen in der informellen Wirtschaft. Es ist bezeichnend,
dass die älteste Selbstorganisation
informell Beschäftigter von Arbeiterinnen aus der Textilindustrie ausging: Die
„Self-Employed Women’s Association“
(SEWA) wurde Anfang der 1970er in
Indien gegründet und organisiert heute
rund eine Million Frauen.
Inspiriert von SEWA wurden in den
1990ern bzw. 2000ern mehrere internationale Allianzen gegründet: HomeNet (mittlerweile ruhend), StreetNet
und WIEGO (Women in Informal Employment Globalizing and Organizing).
Neben der Sammlung von Datenmaterial zur Situation von Arbeiter_innen in
der informellen Wirtschaft erreichten
diese Lobby-Plattformen, dass die ILO
1996 die Konvention zur Heimarbeit
annahm, die die Gleichbehandlung
von Heimarbeiter_innen mit anderen
Arbeitnehmer_innen zum Ziel hat – u.a.
sind hier das Recht auf Organisierung,
der Schutz gegen Diskriminierung,
Arbeitsschutz, soziale Absicherung,
Zugang zu Ausbildung und Mutterschutz
festgelegt. Wie gering die Anerkennung
(weiblicher) informell Beschäftigter als
Arbeitnehmer_innen und ihres ökonomischen Beitrags auf nationalstaatlicher
Ebene ist, zeigt sich indes an der Tatsache, dass die Konvention bislang von
nur sieben (von 183) Mitgliedsstaaten
ratifiziert wurde. l
Eine längere Version
dieses Textes erschien
in MALMOE 54/2011
www.malmoe.org/artikel/
regieren/2228
Literaturhinweis:
Frauensolidarität (Hg.
in): FAQ: Arbeitsrecht für
Frauen in der informellen
Wirtschaft, Broschüre, Wien
2008. In Kürze erscheint
eine Folgepublikation zum
Thema „(Selbst-)Organisierung in der informellen
Wirtschaft“.
Infos und Bestellungen:
www.frauensolidaritaet.org
Juli August 2011 an.schläge l 27
partisaninnen
Ebenbürtige Kämpferinnen
Katja Sturm-Schnabl ist vor wenigen
Wochen zur ersten Obfrau des Verbands
der Kärntner Partisanen1 gewählt worden.
1942 wurde die damals Sechsjährige als
Kärntner Slowenin gemeinsam mit ihrer
Familie deportiert2 und überlebte mehrere
nationalsozialistische KZ.
Im Interview mit Judith Goetz spricht die
Professorin für Slawistik über die Rolle
von Frauen bei den PartisanInnen und ihre
Pläne im PartisanInnenverband.
Veranstaltung im „Haček“
in Klagenfurt/Celovec im
September 2008 mit Katja
Sturm-Schnabl (r.) und
Judith Goetz im Rahmen der
antifaschistischen Aktionstage gegen das Ulrichsbergtreffen.
Foto: AK gegen den
Kärntner Konsens
1 Vom Verband wird sowohl
dem Befreiungskampf
gedacht, werden antifaschistische Grabstätten
gepflegt als auch ehemalige
PartisanInnen betreut. Seit
1984 werden auch jüngere
Mitglieder aufgenommen,
weshalb der Verbandsname
durch den Zusatz „und
Freunde des antifaschistischen Widerstands“ ergänzt
wurde.
2 Am 14. April 1942 kam
es zur Deportation von
1.075 Kärntner SlowenInnen bzw. 221 Familien,
angeblich wegen „hochverräterischer und kommunistischer Einstellung“, in
Wirklichkeit jedoch zur
„Bereinigung des Slowenenproblems in Kärnten“. Sie
wurden zu „Reichs- und
StaatsfeindInnen“ erklärt,
enteignet und ihre Besitzungen an KanaltalerInnen, die
für das „Deutsche Reich“
optiert hatten, vergeben.
3 Die Österreichische
Lagergemeinschaft Ravensbrück & FreundInnen ist die
Organisation der ehemaligen Häftlinge des FrauenKZ Ravensbrück. Seit
1996 werden auch jüngere
Mitglieder aufgenommen.
www.ravensbrueck.at
28 l an.schläge Juli August 2011
an.schläge: Du bist die erste Frau an der
Spitze des Verbands Kärntner Partisanen. Welche Rollen kamen den Frauen
bei den PartisanInnen im Zweiten
Weltkrieg zu?
Katja Sturm-Schnabl: Die Frauen bei
den PartisanInnen waren gleichberechtigte und ebenbürtige Kämpferinnen.
Sie trugen die gleichen Lasten und hatten die gleichen Verpflichtungen. Doch
ihr Frausein hat ihre Lebenssituation
wesentlich erschwert. In den Wäldern,
gejagt, ohne Hygiene (man denke nur
an die Menstruation) mussten sie ihre
Kinder, oft Babys, in Pflege geben. Bei
Gewaltmärschen, der Kälte des Winters
etc. ist der weibliche Körper anfälliger,
um nur einige Bereiche anzudeuten.
Welche Schwierigkeiten könnten sich
für dich in der Tätigkeit in einem
von Männern dominierten Verband
ergeben?
Ich sehe keine Schwierigkeiten, da
ich ja eine ziemliche Lebenserfahrung
habe und selbst Naziopfer war. Ich war
dreieinhalb Jahre im Lager, wo auch
für mich, obwohl ich ein Kind war, der
Kampf der PartisanInnen neben dem
der Alliierten die Hoffnung auf die
Heimkehr bedeutete. Überdies waren
die PartisanInnen ja auch noch „unsere“ eigenen KämpferInnen und ich
konnte mich mit ihnen identifizieren.
Nicht wenige Frauen wurden im
Nationalsozialismus wegen Partisa-
nInnenunterstützung als „Flintenweiber“ oder „Banditenhuren“ gesellschaftlich degradiert und kamen in
Haft oder wurden auf andere Weise
politisch verfolgt. Widerständische
Handlungen können folglich nicht
auf den bewaffneten Kampf reduziert
werden, und so kann aus heutiger Perspektive von vielen unterschiedlichen
Formen des Widerstands gesprochen
werden. Wird der Beitrag von Frauen
heute deiner Meinung nach anerkannt
oder gilt er immer noch als „weniger
wichtig“?
nahmen. Hier haben wir Nachholbedarf,
denn mit diesen stillen Helden und
Heldinnen, die nach dem Sieg zu wenig
oder kaum beachtet wurden, können wir
erst die Tragweite und die Dimension
des Widerstandskampfes ausloten.
Um Entschädigungszahlungen zu
erhalten, mussten Beweise dafür
geliefert werden, dass die betreffende Person PartisanInnen nicht nur
unterstützt hatte, weil sich Verwandte
oder FreundInnen in ihren Reihen
befanden. Dadurch wurden vor allem
„Frauen im Hinterland haben beim erfolgreichen Kampf eine tragende Rolle gespielt.“
(Katja Sturm-Schnabl)
Die Frauen im Hinterland haben beim
erfolgreichen Kampf eine tragende Rolle gespielt. Oft waren sie alleinerziehende Mütter, da ihre Männer, wenn sie
nicht zu den PartisanInnen gehen konnten, zur Wehrmacht eingezogen worden
waren. Sie organisierten Lebensmittel,
pflegten unter Todesgefahr verletzte
PartisanInnen. Ich kenne einen solchen
drastischen, unglaublichen Fall in einem
Nachbardorf. Eine Mutter von fünf
Kindern hat dort PartisanInnen auf der
Tenne versteckt und verköstigt. Dieser
Frauen wird zu wenig gedacht, auch den
jungen Mädchen und Buben, die oft als
Kuriere gefährliche Missionen auf sich
Frauen durch das Opferfürsorgegesetz ausgegrenzt, weil es viele Formen
des Widerstands nicht anerkannte.
Hat sich daran etwas geändert?
Ich glaube, daran hat sich bis heute
nichts geändert.
Welche Aspekte spielen deiner Meinung nach bei Gedenken/Erinnerung
und Geschlecht eine zentrale Rolle?
Ich habe den Eindruck, dass außerhalb
der Lagergemeinschaft Ravensbrück3 zu
wenig hervorgehoben wird, dass Frauen
sowohl in den Lagern als auch im
Kampf, vor allem aber auch als mutige
Helferinnen im Hinterland – wir wissen
leben mit kindern
von jenen Frauen, die wegen Unterstützung der PartisanInnen zum
Tode verurteilt wurden – wesentlich
zum erfolgreichen Sieg über den
Nationalsozialismus beigetragen
haben.
Durch die enge Anbindung der
kärntnerslowenischen Minderheit
an den organisierten PartisanInnenwiderstand sowie die Etablierung eines verfälschenden, geschichtsrelativistischen Diskurses
nach 1945 wurde nicht nur das
Stereotyp der „heimatverräterischen“ Kärntner SlowenInnen,
die während des Nationalsozialismus ohnehin nur für Slowenien
gekämpft hätten, fortgesetzt,
sondern auch Ursache und
Wirkung in der Auseinandersetzung zwischen PartisanInnen und
NationalsozialistInnen vertauscht. Das heißt, dass von den
„heimattreuen“ Verbänden und
Politikern in Kärnten/Koroška
die vermeintlichen Gräuel der
PartisanInnen zur Rechtfertigung
oder Bagatellisierug des nationalsozialistischen Terrors angeführt
werden und die zeitliche und
kausale Abfolge der Ereignisse
einfach umgedreht wird. Werden
Angehörige der kärntnerslowenischen Minderheit deiner Meinung
nach immer noch als „HeimatverräterInnen“ diffamiert?
Der Kampf der PartisanInnen
im Rahmen der OF (Osvobodilna
Fronta – Befreiungsfont) und des
NOB (Narodno osvobodilni boj –
Volksbefreiungskampf) war eine
vitale Notwendigkeit, um einen
Genozid am slowenischen Volk zu
vereiteln. Die Nationalsozialisten,
die ja allen kulturellen Werten,
die das judäochristliche Europa im
Verlauf seiner Geschichte errungen
hatte, den Kampf angesagt und die
seine elementaren Kultur bildenden
Gebote in den Kot getreten hatten
(du sollst nicht töten, du sollst nicht
stehlen, du sollst Vater und Mutter
ehren – sie raubten und mordeten,
sie hielten Kinder dazu an, ihre Eltern zu denunzieren), wollten nicht
alleine das jüdische Volk, sondern
auch andere wie die slowenische
Nation eliminieren. Der Kampf der
slowenischen PartisanInnen und
jeglicher Widerstand war also keine
Angelegenheit zwischen Österreich
und Slowenien, es war ein Kampf
um das Überleben Europas und
der europäischen Werte. Leider
konnten sich die gut organisierten
Nationalsozialisten hinter einem
Antikommunismus verstecken, dem
der Kalte Krieg noch Vorschub
leistete. Hinter diesem Schutzschild
versteckt konnten sie ihr Gift gegen
die Slowenen weiter versprühen und
vor allem in Kärnten die Atmosphäre von Schuldzuweisung schaffen,
die bis heute noch spürbar ist.
Überall in Europa spricht man vom
„Sieg“ über den Nationalsozialismus, nur in diesen Kreisen spricht
man vom Zusammenbruch.
Was möchtest du in deiner neuen
Funktion verwirklichen?
Abgesehen von der Frauenfrage,
die wir sicherlich mit Symposien wissenschaftlich bearbeiten
müssen, ist es mir ein Anliegen,
eine engere Zusammenarbeit mit
PartisanInnen-Organisationen
anderer Länder, zum Beispiel
Frankreich, Belgien, Italien, zu
etablieren und engere Beziehungen
zu knüpfen. Unsere Erinnerungsarbeit sollte vor allem Aufklärungsarbeit sein, wir müssen alles tun, um
junge Menschen zum Nachdenken
zu bringen und ihnen zu zeigen, wie
tödlich und menschenverachtend
jeder Faschismus ist. Wissen und
Aufklärung sind unablässig. Dazu
müssen wir aber auch zusammen
mit allen Organisationen, die sich
dem Antifaschismus widmen, die
Politik dazu bringen, dass die
notwendige Aufklärung in den
Schulen nicht nur von einzelnen
engagierten Lehrern betrieben
wird. Sie muss für alle Lehrenden
verpflichtend werden. Dies sind nur
einige Gedanken in einem unendlichen Feld von Möglichkeiten und
Notwendigkeiten. Es genügt also
nicht, Vorsitzende zu sein, sondern
es gilt, im Teamwork ein Netzwerk
zu erarbeiten, das über Kärnten/
Koroška hinausreicht. l
Judith Goetz ist Literatur- und Politikwissenschafterin.
heim
spiel
Sonja Eismann
Anstrengende
Eltern
Kinder, kleine zumal, sind wahnsinnig süß. Allerdings auch ziemlich
anstrengend. Wer etwas anderes behauptet, lügt entweder, oder hat
eines der extrem raren Engelexemplare zu Hause. Noch anstrengender als Kinder sind allerdings die dazugehörigen Eltern. Sie
sind engstirnig auf ihre eigenen Sprösslinge konzentriert (purzelt
ein fremdes Kind neben ihrem eigenen auf den Boden, achten sie
nur darauf, dass ihres nicht in Mitleidenschaft gezogen wird), nicht
offen für eine imaginierte Kollektivität (ein an der Ampel abgeschicktes Lächeln von Kinderwagen zu Kinderwagen wird meist
mit grimmigem Vorbeiblicken erwidert) und vor allem wahnsinnig
verspießert (abseits von traditionellen Rollenmodellen – die Frau
bleibt beim Kind, Rosa für die Mädchen, Blau für die Jungs – geht
sehr wenig). Wie oft schon hing ich ermüdet und gelangweilt an
einem der Spielorte, die man nur des Kindes wegen aufsucht, und
hätte mir ein zumindest latentes Gefühl von Solidarität gewünscht.
Stattdessen musste ich meist in innere Emigration gehen, weil ich
mit keiner der anwesenden Mütter – Väter trifft man nur in ca. fünf
Prozent der Fälle, und die sind natürlich auch nicht besser – irgendetwas Inhaltliches hätte teilen können. Oder liegt das nur an der
privatistisch nach innen gerichteten Elternhaftigkeit, die uns alle
befällt und unwissentlich gluckig macht, sobald wir mit unserer Brut
unterwegs sind? Ich weiß es nicht. Allerdings weiß ich genau, dass
ich mir mehr Orte wünschen würde, an denen die Kinder und die
Eltern Spaß haben können. Nur weil man Eltern wird, möchte man
sich ja nicht aus dem öffentlichen Erwachsenenleben zurückziehen.
Warum also nicht Orte schaffen, die für Erwachsene und Kinder,
Eltern und Nicht-Eltern spannend und entspannend sind? Denn sich
qua seiner eigenen Reproduktion in der betreuungsfreien Zeit nur
noch in Eltern-Ghettos zu bewegen, macht wirklich keinen Spaß.
Cafés mit angrenzendem Kinderspielzimmer sind zwar nicht gerade
eine revolutionäre Erfindung, allerdings kenne ich in Wien, im
Gegensatz zu anderen Städten, kein einziges davon. Das wäre doch
mal ein Anfang.
Sonja Eismann lebt noch zwei Monate mit Partner und Tochter in Wien,
und ist wohl selbst schuld daran, dass Hannah (fast zwei Jahre alt) süchtig nach Youtube-Videos mit lustigen Tieren ("Fant! Miau!" etc.) ist, weil
sie dauernd vor dem Computer klebt.
Juli August 2011 an.schläge l 29
lust
I ❤ Vagina
Margarete Grabner hat sich die Kultivierung weiblicher Erotik
zur Aufgabe gemacht. Neben Sextoys-Homepartys bietet sie deshalb
nun auch „Seminare der Sinne“ an.
Lea Susemichel hat an einem teilgenommen.
„I ❤ Vagina“ steht auf dem Flipchart.
Auch sonst ist die Ausstattung des
Seminarraums in der Gesundheitspraxis
Lindengasse ein wenig ungewöhnlich.
Zwischen Glitzerdeko werden auf einem
Tisch Erdbeeren, Schokolade und Prosecco angeboten. Und auch das Thema
des Seminars ist eher ungewohnt:
Margarete Grabner infomiert über die
„Die Lustgebiete der Frau.“
Christina Goestl, Clitonics
Das Kunstprojekt Clitonics
versteht sich als Beitrag zur
Überwindung der Bild- und
Sprachlosigkeit, die den
Umgang mit dem Lustorgan
Klitoris dominiert und
funktionalisiert. Clitonics
ist gendermodifizerten,
transsexuellen und gendermodifizierenden Personen
gewidmet.
www.cccggg.net/clitonics/
www.clitoressa.net
30 l an.schläge Juli August 2011
Lustvolle Dinge. Dazu beizutragen,
dass Frauen guten Sex und ordentliche
Orgasmen haben, ist der „Sexpertin“
Grabner seit langem ein großes Anliegen. 1998 eröffnete sie mit „MarG“
den österreichweit ersten Erotikshop
für Frauen in Wien. Dort gab es nicht
nur zielgruppengerechtes Sexspielzeug,
sondern auch Vorträge, Lesungen,
Workshops oder (Play-)Partys. Inzwischen vertreibt MarG „lustvolle Dinge
für die Frau“ nur noch per Online-Shop,
und „da Frauen immer noch durchschnittlich etwa 30 Prozent weniger als
Männer verdienen, ist ein vernünftiges
Preis/Leistungsverhältnis“ ein wesentliches Kriterium beim Angebot ihrer
Produkte.
Einen Raum für die „(Wieder-)Kultivierung weiblicher Erotik“ zu schaffen, ist
ihr weiterhin wichtig. Wer zu Dildo oder
Duftpuder gerne nähere Gebrauchsinformationen hätte, kann sich Margarete
Grabner deshalb auch für eine SextoysHomeparty nach Hause bestellen, bei
der die Präsentation des Sortiments von
einer ausführlichen Beratung begleitet
ist. Oder sie als Liebescoach für Paaroder Einzeltermine buchen. Erst seit
kurzem gibt es nun regelmäßig auch
die „Seminare der Sinne“. In kleinen
Gruppen und intimer Atmosphäre wird
darin zum Beispiel über Masturbation
oder weibliche Ejakulation gesprochen.
Wo ist die Klitoris? Dass sich die weiblichen Lustgebiete, um die es diesmal
gehen soll, nicht einfach alphabetisch
kartografieren lassen, enthüllt die
zweite Seite des Flipcharts. Sie enthält
eine Auflistung: A-, C-, G-, U-, V- und
X-Punkt. Allesamt hocherogene Stellen
des weiblichen Körpers, glaubt man
dem State of the Art der Sexualwissenschaft. Doch obwohl Grabner durchaus
bereit ist, hilfreiche Tipps für die Suche
nach etwa dem G-Punkt zu geben, hält
sie solch punktgenaue Herangehensweise insgesamt für wenig sinnvoll. Denn
„Frauen sind keine technischen Geräte,
die auf Knopfdruck anspringen“.
Trotzdem sollten Männer natürlich
wissen, wo sich die Klitoris befindet –
einer Umfrage in Deutschland zufolge
tun das bislang nur sechs Prozent.
Doch auch bei Mädchen und Frauen
sieht Grabner, die für die AIDS Hilfe
Wien auch Workshops für Jugendliche
anbietet, deutliche Defizite. „Inzwischen diskutieren 13-jährige Mädchen
zwar schon darüber, ob sie mit ihrem
Freund Analverkehr haben sollen, über
ihren eigenen Körper wissen sie aber
immer noch erschreckend wenig.“ Was
leider auch für viele erwachsene Frauen
gelte, so sei beispielsweise das Thema
Selbstbefriedigung nach wie vor stark
tabuisiert.
Das auf lust- und humorvolle Weise zu
ändern, hat Grabner sich zur Aufgabe
gemacht. Und es liegt nicht nur an
Prosecco und Schokolade, dass ihr das
in ihren Seminaren offensichtlich sehr
gut gelingt. l
Alle Infos zu den Seminaren gibt es auf
www.marg.at
fett & zucker
„Ohne Fett und Zucker
kommt kein Kuchen aus“
Am 1. Juli erhält Wien seinen ersten
Kuchenladen nach Berliner Vorbild:
Das „Fett+Zucker“ wird eröffnet.
Sylvia Köchl bekam zwar keine Torte,
dafür aber die Entstehungsgeschichte
aus erster Hand erzählt.
links: Der berüchtigte Cheesecake. Foto: IiF
rechts: IiF vor ihrem Lokal. Die Rahmen sind pink
gestrichen, drinnen wird gerade der Boden verlegt.
Foto: SylK
Erst muss sie noch rasch am Handy
mit einem ihrer Handwerker ein Detail
wegen des Fußbodens klären, aber dann
widmet sich Eva Trimmel, genannt IiF,
bei einem Kaffee am Wiener Karmelitermarkt ganz entspannt meinen Fragen.
Es geht dabei immerhin um die in der
ganzen Stadt schon heiß ersehnte Eröffnung ihres Lokals „Fett+Zucker“, die für
den 1. Juli festgesetzt ist. „Fett+Zucker“
steht bereits jetzt für leckere Kuchenkreationen, die IiF seit etwa einem halben
Jahr bei Special Events, wie aktuell beim
Filmfestival „Identities“, anbietet. Und
die mehr als 400 Fans auf ihrer Facebook-Seite können es nun kaum noch
erwarten, endlich einen fixen Ort für die
Schlemmereien zu bekommen.
Brownies mit Erdnussbutter. Vor etwa
drei Jahren hat die Vorstellung, einen
eigenen Kuchenladen zu eröffnen, für
IiF langsam Gestalt angenommen. Seit
einigen Monaten werden nun Nägel
mit Köpfen gemacht: IiF fand ein
geeignetes Lokal im 2. Bezirk, stellte
die Finanzierung und die notwendigen
Bewilligungen auf und begann mit Umbau, Sanierung und Renovierung. Auch
die Speisekarte hat sie schon im Kopf:
Sie wird zunächst täglich fünf verschiedene Kuchen anbieten – Brownies mit
Erdnussbutter, Banana Bread, veganer
Apfelstreusel, Mohnkuchen mit Vanillecreme und Cheesecake –, vor allem in
Letzterem „ist alles drin, was böse ist“,
verrät IiF grinsend.
Wer „Fett+Zucker“ googelt landet
gleich in einem Forum mit der Frage: „Was ist schlimmer: Fett oder
Zucker?“ Beides sei gleich schlimm,
lacht IiF, und auch ihr Lokalname sei
bewusst provokant gewählt, um diesen
beiden wesentlichsten Kuchenzutaten
ihr schlechtes Image zu nehmen. Beim
„Untertitel“ des Lokals „Kuchen macht
glücklich!“ sei ihr aber auch schon
vorgeworfen worden, er entschärfe die
Kritik an Essver- und geboten, die durch
den Namen „Fett+Zucker“ ja implizit
ausgesprochen wird.
IiF ist es aber durchaus wichtig, dass
ihre Kund_innen selbst einen verantwortungsvollen Umgang mit den
Kalorienbomben pflegen, während sie
sich diese positiv aneignen. Und ihre
zukünftigen Kund_innen, die wie sie aus
queer-feministischen Szenen kommen,
werden außerdem, so ist sie überzeugt,
gemeinsam mit ihr das „Fett+Zucker“
zu einem Ort machen, an dem Sexismus
und Homophobie keinen Platz haben:
„Dafür werden alle sorgen, die sich bei
mir wohlfühlen wollen.“
Banana Bread & veganer Apfelstreusel. Für die D.I.Y.-Note, die das Lokal
statt dem üblichen In-Styling erhalten
soll, sorgen schon jetzt einige Freund_
innen, die beim Renovieren helfen. Und
apropos D.I.Y.: IiF ist gelernte Architektin, nicht Bäckerin, und ist auch erst
über Umwege zum Backen gekommen.
„Ich koche schon lange sehr gern, habe
aber das Backen vermieden, weil man
sich dabei immer an bestimmte Mengen
bei den Zutaten halten muss.“ In der
Küche experimentiert sie nämlich
lieber. Bei ihren vielen Berlinbesuchen
ist ihr aber aufgefallen, dass es dort
eine richtig feine Kuchenkultur mit
unzähligen kleinen Kuchenläden gibt,
die sie in Wien vermisste. So begann sie
zunächst für sich und ihre Freund_innen
zu backen, verwendete teilweise Rezepte ihrer Mutter, versuchte, Variationen herzustellen, die z.B. vegan oder
laktosefrei sind, weil das immer mehr
gewünscht ist. „Leicht ist das nicht,
denn ohne Fett und Zucker kommt kein
Kuchen aus.“ Und das Ziel sei immer
ein guter Geschmack.
Als Ladeninhaberin und Bäckerin ist
IiF also komplette Quereinsteigerin und
sie appelliert „an die p.t. Gäst_innen,
am Anfang Nachsicht zu üben“. Aus
finanziellen Gründen wird sie sich nämlich zunächst ganz allein in den Laden
stellen. Manche der Kuchen können
zwar am Vortag vorgebacken werden,
andere aber wird sie während der
Öffnungszeiten herstellen. Zudem will
sie „als Abwechslung zu dem ganzen
süßen Zeug“ auch Quiche anbieten. Für
die Zeit, wenn der Laden dann mal läuft
und Routine einkehrt, hat IiF schon Erweiterungspläne: ein veganer Mittagstisch, Frühstück am Wochenende oder
auch kleine Events wie Buchpräsentationen oder Ausstellungen.
Aus persönlichem Interesse habe ich
dann noch eine letzte Frage, nämlich ob
„Fett+Zucker“ ein Raucher_innen- oder
ein Nichtraucher_innen-Lokal wird. „Es
wird nicht geraucht, vor allem weil der
Geruch von kaltem Rauch nicht mit Kuchengeruch harmoniert“, stellt IiF kategorisch fest. Aber sie hat bereits um die
Genehmigung für einen Schanigarten
auf der Gasse vor dem Lokal angesucht.
Und damit wäre dann der Sommer auch
für die mehrfach Süchtigen – nach Nikotin und nach Zucker – gerettet. l
Fett+Zucker
Hollandstraße 16
1020 Wien
Mi bis So 11.00 bis 19.00
www.fettundzucker.at
Juli August 2011 an.schläge l 31
an.riss kultur
ausstellung
Weltall – wessen Traum?
performance
Sehnsüchte im Zwischenraum
Die weiblichen Positionen in der Kunst steckte das Festival Jacuzzi von
WUK Theater und Tanz im letzten Jahr ab, heuer steht die Frage nach der
Teilhabe an gesellschaftlichen Prozessen im Mittelpunkt. Ein Highlight wird
dabei die Uraufführung von Anne McRaes „Loud Enough“ sein. Die langjährige Tänzerin von Meg Stuart lässt darin die PerformerInnen zu Fans
ihres eigenen Publikums werden. Auch Fanni Futterknecht beschäftigt sich
mit den Interaktionen zwischen Bühne und Zuschauerraum. In „I almost
love you“ überstilisiert sie mit Masken bewaffnet emotionale Sehnsüchte
– nicht zuletzt zwischen ZuschauerInnen und DarstellerInnen. Der Hof des
WUK wird während des gesamten Festivals zum Public Living Room, in
dem bei Kaffee, Kuchen und Popcorn über Performance und Öffentlichkeit
verhandelt werden kann. Auch die neueste Produktion der israelischen
Formation Public Movement wird dort zur Diskussion gestellt. han
Jacuzzi – some days of performance, part & public. 6.–9.7., WUK, Währinger Str. 59, 1090
Wien, www.wuk.at
filmgespräch
Afghanische Frauenbewegung
Der Film „Osama“ spielt im Afghanistan nach der Machtübernahme der
Taliban Mitte der 1990er Jahre. Frauen dürfen unter dem neuen extremistischen Regime nicht mehr ohne Begleitung männlicher Verwandter
auf die Straße. Tausenden Witwen und alleinstehenden Frauen wird somit
die Möglichkeit geraubt, sich ihren Lebensunterhalt selbst zu verdienen.
Um für sich selbst, seine Mutter und Großmutter zu sorgen, bleibt für ein
zwölfjähriges Mädchen nur der Ausweg, sich als Junge zu verkleiden. Es
lebt unter dem Namen Osama in einer von Männern dominierten Welt, in
ständiger Angst, enttarnt zu werden. Von den Taliban in die Koranschule gesteckt, fliegt Osama schließlich auf. Zur Bestrafung muss sie einen
alten Mullah heiraten, ihr Leben scheint jetzt erst recht von Terror und
Unterdrückung geprägt zu sein. Über dieses filmische Porträt jüngster afghanischer Geschichte kann nun im Rahmen eines Filmgesprächs
diskutiert werden. Im Anschluss an die Filmvorführung ist die Publizistin
und Germanistin Gauhar Besmil zu Gast, die sich aktiv in der afghanischen
Frauenbewegung engagiert. bicou
„Osama“ – Filmvorführung und Gespräch, Eintritt frei, 6.7., 19.00, Frauenkreise, Choriner Str.
10, 10119 Berlin, www.osama-derfilm.de
32 l an.schläge Juli August 2011
Mit der Frage „Welche Sehnsüchte, Erwartungen, Bedrohungen und
Visionen haben die KünstlerInnen im Zusammenhang mit dem Weltall“
beschäftigt sich die Ausstellung „Weltraum. Die Kunst und ein Traum“. Bedauerlicherweise fehlt dabei die feministische Sichtweise – offenbar gibt
es auch im symbolischen Ort Weltall keinen Platz für emanzipierte Frauen.
Vielmehr spiegeln die Werke die auf unserem Planeten herrschende
Geschlechterordnung wider, wie z.B. „Cosmonaut Nr.1“ von Vladimir Dubossarsky & Eva Alexander Vinogradov aus dem Jahr 2006 und „Genesis“
von Mariko Mori aus 1996: da eine Barbiepuppe im Kosmonautenoutfit,
dort eine Fee mit Seifenblasen. Dabei gibt es nicht wenige, die von einer
Cyborgisierung im Weltall träumen. Die berühmte amerikanische Naturwissenschaftlerin und Feministin Donna Haraway sieht in Cyborgs Emanzipation verheißende Hybride aus Mensch und Organismus ohne Geschlechterzuordnung. Obwohl sogar viele Hollywoodfilme sich dieser fiktiven Idee
bedienten, lässt die Ausstellung in der Kunsthalle diese Sichtweise völlig
außer Acht. In der Ausstellung mögen viele Träume präsent sein – aber
nicht die Träume der Feministinnen. huetek
Weltraum. Die Kunst und ein Traum. Bis 15.8., täglich 10–19.00, Do bis 21.00. Kunsthalle
Wien, Halle 1, Museumsplatz 1, 1070 Wien (Teile der Ausstellung werden im Naturhistorischen
Museum gezeigt). Kombiticket 15/8 Euro, www.kunsthallewien.at
lesung
100 % Autorinnen
Im Jahr des 100. Internationalen Frauentages ist das „Linke Wort“ auf
dem 65. Volksstimmefest auf der Wiener Jesuitenwiese heuer erstmals eine
reine Frauenlesung. Inhaltlich ist ein weites Spektrum geplant: von Texten
zu Frauenrechten, Gender und Feminismus bis hin zu Texten über die Lust
am Frausein. Auch formal ist alles möglich: Erzählungen, Lyrik oder auch
Essays konnten eingereicht werden. Noch sind keine Autorinnen bekannt,
in den letzten Jahren lasen etwa Andrea Maria Dusl, Marlene Streeruwitz
oder Helga Pankratz. Ende des Jahres wird außerdem eine Anthologie mit
den Beiträgen der diesjährigen Teilnehmerinnen erscheinen. han
AutorINNENlesung 2011. Linkes Wort am 65. Volksstimmefest auf der Wiener Jesuitenwiese.
3.-4.9.,16-18.00, 7*Stern-Bühne, www.linkes-wort.at/autor10.html
animation
Rosa-blaue Malerei
Müssen Spielzeugsoldaten immer blau sein? Und Kinder-Kochgeschirr
immer rosa? Nein, sagt die herzige Animation von Kris Hofmann. Da
drehen sich Pistolen und Märchenschlösser, Krönchen und Schoßtierchen,
Bügeleisen und Lokomotiven – zuerst wechseln sie zwischen blau und
rosa, schließlich zwischen allen erdenklichen Farben, weil das Leben ja
schließlich bunt ist. Die Animation bewirbt die 115. Ausgabe des US-amerikanischen Magazins Granta, die den Namen „The F Word“ trägt. „From
Ghana to Great Britain, New Delhi to New York, the balance of power
remains tipped towards men“, heißt es auf der Homepage zum feministischen Heftschwerpunkt. „The F Word explores the ways in which feminism
continues to inform, address and complicate that balance.“ han
www.granta.com/, http://vimeo.com/24080101
bühne
Männer-Theater
„Die Rolle der Muse im Mythos war immer die der Inspiration“, sagt
Anaïs Nin. Seit der griechischen Tragödie hat sich die Erde schon etliche
Male um die Sonne gedreht, könnte man meinen. Doch selbst im heutigen
Theaterbetrieb scheint kein Platz für die Frau als Macherin, das ergibt
eine Erhebung von SPÖ-Kultursprecherin Sonja Ablinger. Ein Schelm, wer
Harmloses dabei denkt, denn auch hier spucken Direktoren den Frauen
auf die gläserne Decke. Die schlechtesten Haltungsnoten aller deutschsprachigen Bühnen kriegt das Wiener Burgtheater unter der Leitung von
Matthias Hartmann: 0 Frauen als Regisseurinnen, 0 als Autorinnen bei
je 7 Premieren in der vergangenen und aktuellen Saison im Haupthaus,
1 Autorin, 1 Regisseurin im Repertoire (13 Stücke). Dass es auch anders
geht beweisen das Schauspielhaus Zürich (Leitung: Barbara Frey) mit
5 Regisseurinnen und 1 Autorin bei 13 Premieren in 2011/12 und das
Schauspielhaus Köln (Leitung: Karin Beier) mit 3 Regisseurinnen und 2
Autorinnen. Österreichischer Lichtblick ist das Schauspielhaus Wien mit
7 Regisseurinnen, die 9 von 18 Stücken inszenieren. Dass auch Frauen
Theater machen, davon haben das Wiener und das Münchner Volkstheater, das Berliner Maxim Gorki Theater sowie Graz und Klagenfurt schon
gehört. Nochmals sagen sollte man es jedenfalls den Landestheatern Linz
und Salzburg, Bregenz und St. Pölten. Und das Burgtheater braucht wohl
erst eine schriftliche Einladung: Männer, rückt ein Stück, Theater ist
nicht allein euer Bier! nad
http://klub.spoe.at/ablinger-oesterreichische-theater-fest-in-maennerhand.html
Theaterheute #3, März 2011, Mehr Frauen ins Theater
Dies & Das
 3+: DSCHUNGEL WIEN, Theaterhaus für junges Publikum, sucht
Theatertexte für ein ganz junges Publikum ab drei Jahren. Zu gewinnen gibt es ein Preisgeld von 6.000 Euro sowie drei Uraufführungen
an drei verschiedenen Theaterhäusern. Einsendeschluss ist der 13.
Jänner 2012. www.dschungelwien.at/aktiv/nachwuchs/wettbewerb/
 Am 30. Juni erhielt Terézia Mora den diesjährigen Übersetzerpreis
der Kunststiftung NRW für ihre Übersetzung von Péter Esterhazys
Frühwerk „Ein Produktionsroman (Zwei Produktionsromane)“ aus
dem Ungarischen. Wir gratulieren!
 Fuck Yeah Queer Shakespeare! Der Blog http://fuckyeahqueershakespeare.tumblr.com/submit lädt zum fröhlichen queeren
Shakespearescher Texte ein. Erlaubt ist so ziemlich alles, was
gefällt.
lebenslauf
auch feministinnen altern
Christine Hartmann
Wie alt bin ich
eigentlich?
Abgesehen davon, dass Alter ohnehin relativ ist, altern nicht
alle Persönlichkeitsanteile gleichermaßen und somit auch nicht
synchron.
Das kann ich aus Erfahrung nur voll und ganz bestätigen, gehören doch zu meiner Persönlichkeit eine Vielzahl unterschiedlicher Teile. Morgens, um ein Beispiel anzuführen, morgens
steht als erstes der Teil von mir auf, der mindestens ein volles
Jahrhundert hinter sich gebracht hat, deshalb täglich alle seine
Gelenke zu Anwesenheit verpflichten muss und dessen Hör- und
Sehfähigkeiten stark eingeschränkt sind. Er wird abgelöst von
einem vermutlich 30-jährigen, toughen energischen Persönlichkeitsteil, der sich um die Tagesgeschäfte kümmert und mit kaum
zu erschöpfender Energie eine Idee nach der anderen, die ihm
übrigens von einer Vierjährigen aus dem Hintergrund heraus
zugespielt werden, in die Welt hinein wirft.
Also, wenn ich’s genau nehme, springt mein Ich eigentlich ständig und übergangslos in die unterschiedlichsten Alter hinein und
wieder heraus, und ich merke es nur in seltenen Momenten. Das
sind dann diese Augenblicke, in denen ich meinem sichtbaren
Alter offensichtlich nicht entspreche und die mich umgebenden Menschen deshalb zu fremdeln beginnen. Oder auch die
faszinierenden Sekunden, in denen ich selbst mir gegenüber
fremdeln könnte, wäre ich nicht grundsätzlich neugierig, was
übrigens auf ein intrapersonales Alter von maximal neun
hinweist. Damit kann ich umgehen. Etwas mehr Reibung bieten
hingegen Begegnungen mit Mitmenschen, die ein weit in meiner
Zukunft liegendes Alter für mein tagesaktuelles halten, oder
auch mit Menschen, die ihrerseits über keinen einzigen zeitgenössischen inneren Teil verfügen.
Vor Jahren konnte ich mittels Test herausfinden, dass meine
Stärke in Kindanteilen begründet liegt, und zwar, wie könnte es
anders sein, in unangepassten Kindanteilen. Schade, dass mein
Gesicht altersmäßig nicht mehr so gut dazupasst, für Kunstschaffen scheint das jedoch eine optimale Ausgangsbasis zu sein.
Christine Hartmann, Jg. ’53, lebt und arbeitet hauptsächlich in Bregenz und wundert sich je länger umso mehr. www.prozesswissen.at
Juli August 2011 an.schläge l 33
ada
Elektronische Zärtlichkeit
Dieser Sommer wird besser, denn Ada hat ihr zweites Album veröffentlicht. Mit ihren Songs zwischen Techno und Pop lädt
sie uns mit offenen Armen zu sich ein. Grund genug für ein Gespräch, dachte sich Liz Weidinger, schließlich ist Ada eine der
wenigen etablierten Künstlerinnen der Tanzmusikszene Deutschlands.
Foto: Katja Ruge
Ada: „Meine zarten Pfoten“
(Pampa Records)
34 l an.schläge Juli August 2011
Das Fenster ist offen, Nachtluft zieht
ins Zimmer und der Sound muss noch
ein kleines bisschen lauter werden. Erst
knistert es leicht im Kopfhörer, rhythmisches Zischen setzt ein und warmes
Summen führt zum tragenden Gitarrenhook – die ersten Takte auf „Meine
zarten Pfoten“ empfangen mit einem
Hoffnungsschimmer im Refrain: „Faith
will come humbly down / fear will come
tumbling down.“ Dieser Glaube ans
Gute ist umgeben von latenter Melancholie und souliger Wärme. „Happy
or Sad, Happy you’re Sad, Happy or
Sad“ aus den beiden Tracks „Likely“
und „2 Likely“ wird zum Leitmotiv des
zweiten Albums von Michaela Dippel
a.k.a. Ada.
Ada produziert seit rund zehn Jahren
elektronische Musik und ist spätestens
seit ihrem fulminanten Albumdebüt
„Blondie“, das 2004 auf dem Kölner
Technolabel Areal erschien, vielen
Musikbegeisterten ein Begriff. Seither
zählt sie zu den wenigen Musikerinnen,
die im Mainstream ihrer Subkultur nicht
als gewissenserleichternde Ausnahme,
sondern als gleichwertige Akteurin
integriert ist – was aber auch heißt,
dass sie viel mit Typen abhängt. Bestes
Beispiel dafür ist die Kölner ArealTechno-Crew um Metope und Basteroid, die Teil von Adas musikalischer
Sozialisation und alte Bekannte aus der
hessischen Provinz sind. Als wir uns bei
Rhabarbersaftschorle mit Eiswürfeln
in der Sommersonne Hamburgs, wo sie
inzwischen wohnt, treffen, erzählt Ada
von dieser Zusammenarbeit und ihrem
eigenen Label IRR. Für dieses Sub-Label von Areal ist sie auch immer auf der
Suche nach Musikerinnen, die zu ihrem
Labelsound zwischen deepem House
und Elektro-Akustik passen.
„Jane ist doch albern.“ Fragt man
sich, wo die Musikerinnen in der elektronischen Musik sind, ist Sichtbarkeit
ein wichtiges Stichwort. Die tatsächliche Anzahl spielt eine weit geringere
Rolle. In den Line-Ups großer Veranstaltungen tauchen Frauen fast so
selten auf wie in den Führungsetagen
von Dax-Unternehmen. Ada gehört
neben Ellen Allien oder Monika Kruse
zu denen, die dort schon mitspielen.
Daraus zu schließen, es würden sich viel
zu wenige Musikerinnen für Synthesizer oder die neueste Audiosoftware
interessieren, wäre vom falschen Ende
gedacht. Und obwohl Ada in der Szene
gut vernetzt ist, fühle sie sich als Frau
ab und zu allein auf weiter Flur, erzählt
sie im Interview. Auch ein Grund für
ihr offenes Ohr für Musik von jungen
Künstlerinnen und ihre Beteiligung bei
female:pressure. Die internationale
Datenbank zur Vernetzung und Bündelung weiblicher DJs, Produzentinnen
und Künstlerinnen in der elektronischen
Musik- und Clubszene wurde 1998 von
der österreichischen Musikproduzentin
Electric Indigo gegründet.
„Oft werde ich gefragt, ob zwischen
den wenigen Frauen in der elektronischen Musik viel Neid herrsche. Dabei
freue ich mich über jede Frau, die sich
für die gleiche Musik begeistert wie
ich“, so Ada, die damit auch die Rolle
der Medien wie der Booker offenlegt,
denn, so erzählt sie weiter: „Promoter buchen einen oft unter anderen
Vorstellungen und machen sogenannte
Girlparties aus völlig falschen Motivationen heraus.“ So prangt dann häufig
ein großes „DJane“ auf dem Flyer, was
die Ausnahme des weiblichen DJs zu
einem Marketinginstrument werden
lässt. Auch Ada möchte nicht als DJane
bezeichnet werden: „Jane finde ich
irgendwie albern. Das hat auch nichts
mehr mit der ursprünglichen Bedeutung
ada
von DJ, also Discjockey zu tun. Discjockette fände ich ganz cool.“
Die Bezeichnung als Jane ist mit seiner
Nähe zur kolonialistischen Tarzanfigur,
die im Regenwald unter Affen lebt, biologistischen Argumentationen viel näher
als es die Cyborghaftigkeit von Technomusik verdient hat. Darin liegt ja auch
der große Vorteil elektronischer Musik
im Gegensatz zu anderen männlich dominierten Genres wie Rock’n’Roll, die
in ihren Lyrics oder medialen Inszenierungen immer wieder Darstellungen von
Geschlecht zitieren – und wenn es nur
die Sehnsucht nach der perfekten, natürlich heterosexuellen, Liebe ist. Hier
bot Techno durch Körper- und Gesichtslosigkeit und seinen Wurzeln in der Gay
gepitcht. Ich wollte einen weicheren,
nicht wirklich greifbaren Bass.“
Ihre aufwendige Arbeitsweise wird am
Aufnahmeprozess deutlich: „Für das
neue Album habe ich ziemlich viel ausprobiert, war in einem großen Studio
in Köln und habe viele neue Geräte gekauft. Aber als ich davor saß, konnte ich
mich einfach nicht entscheiden und habe
dann gemerkt, dass nicht der Sound
Inspirationsquelle ist, sondern die gespielten Harmonien. Deswegen bin ich
mit einem viel minimaleren Set-Up in
mein Heimstudio umgezogen.“ In ihrer
alten Wohnung in Köln mit ziemlich
guten akustischen Verhältnissen durch
die tiefen Decken und den Teppichboden, konnte sie immer dann aufnehmen,
„Es geht darum, sein eigenes Ding zu machen und sich nicht an Typen zu orientieren,
die meinen zu wissen, wie man elektronische Musik im Club aufzulegen hat.“ (Ada)
Community beste Voraussetzungen für
eine Überwindung der Geschlechterunterschiede. Das erinnert nicht zufällig
an die Hoffnungen, die anfänglich mit
dem Internet verknüpft waren – und
heute sind feministische Forderungen
im Netz wie auch in der elektronischen
Musik immer noch aktuell.
„Meine zarten Pfoten.“ Michaela
Dippel sitzt mir gegenüber, wirft einen
prüfenden Blick in ihre Zigarettenschachtel, um sich nach kurzem Zögern
doch noch eine Zigarette anzuzünden.
Eigentlich habe sie nicht das Gefühl,
ihr Album erklären zu müssen, so Ada.
Was sie meinen könnte: „Meine zarten
Pfoten“ nimmt an der Hand und führt
zurückhaltend durch bunt glitzernde und
sorgsam arrangierte Songs. Musikalisch
sieht „Meine zarten Pfoten“ anders
aus als der Vorgänger und hat im
Gegensatz zu „Blondie“ ein akustisches
Gewand übergestülpt. Nicht nur, dass
Ada zusätzlich zu ihrem elektronischen
Equipment mit Akustikgitarre, Flöten
und perkussiven Instrumenten gearbeitet hat, auch ihre Stimme spielt eine
tragendere Rolle. Zum Beispiel bei „At
the Gate“: „Die Bassline hab ich selbst
eingesungen und dann verfremdet und
wenn sie Lust dazu hatte. Abends klinge
ihre Stimme sowieso am Besten und
die Ideen fließen auch besser. Ehe sie
sich versah, hatte sie so einen ganzen
Chor für „Faith“ eingesungen, einem
Cover der komplett weiblich besetzten
Alternative-Rock-Band Loucious Jackson. „Ich liebe das ganze Album ‚Fever
in, Fever Out‘. Deren Song hatte ich
gerade im Kopf als ich an einem neuen
Stück arbeitete und es fügte sich alles
so gut zusammen“, erzählt Ada.
Auf „Meine zarten Pfoten“ bleibt
ihre Begeisterung für Techno-FrikkelSound nicht verborgen, doch eine klare
Genrezuweisung fällt schwer. Sogar Ada
selbst war auf der Suche nach Subgenre-Bezeichnungen für das neue Album
nicht erfolgreich. Wenn, dann würde sie
es vielleicht „healing music“ nennen,
aber das weise mit seinem EsoterikTouch in eine falsche Richtung. Am
Ende stand schließlich statt Klangschalen eindeutig der Computer. Aber genau
dieses schwer zu Bezeichnende lässt
ihre Musik so faszinierend wirken. Hier
macht eine Künstlerin genau die Musik,
die sie machen will und öffnet damit
ganz nebenbei die strengen Definitionen
von „echter“ elektronischer Musik, wie
sie noch durch die Szenen spuken. Klas-
sische Bewertungsmaßstäbe funktionieren für „Meine zarten Pfoten“ einfach
nicht. „Es geht darum, sein eigenes
Ding zu machen und sich nicht an Typen
zu orientieren, die meinen zu wissen,
wie man elektronische Musik im Club
aufzulegen hat“, erzählt Ada von ihren
Erfahrungen aus Live-Sets. Während
wir über ihre Erlebnisse in Clubs reden,
zieht die Sonne langsam in unsere Gesichter. Wir beschließen in den Schatten
umzuziehen.
Überraschung! „Meine zarten Pfoten“
hat auf dem Label Pampa ein wunderbares Zuhause gefunden. Dieses Projekt
von DJ Koze und Marcus Fink widmet
sich elektronischer Musik abseits von
Konventionen und mit Vision. Und hört
man die Flöten, die konstant auf „Meine zarten Pfoten“ auftauchen, kann
man nicht anders, als an das legendäre
erste Release auf Pampa zu denken –
den Tuba- und Blockflöten-Techno der
„Vögel“. Mit Adas Album wird unter
den bisher zwölf Veröffentlichungen des
Labels endlich auch eine Frau vertreten
sein – Pampa ist in dieser Hinsicht also
auch nicht so unkonventionell, wie es
gerne tut und war bis vor kurzem ein
langweiliger Männerclub.
Die Bereitschaft, sich auf Überraschungen einzulassen und offen zu sein für
ungewohnte Klänge, ist für Ada ein
tragendes Element von Musik. Vielleicht ist das auch der Grund, warum
das Album einen so Techno-untypischen
Titel trägt. Hier versteckt sich niemand
hinter harten, geraden Bassdrums,
sondern stellt die Zartheit, Intimität
und Andersartigkeit der Platte offen
aus. „Beim ersten Album habe ich
schon häufig gehört, dass ich doch sehr
weibliche Musik machen würde. Gerade
deswegen wollte ich das Album nicht
hinter einem Titel verstecken“, ist eine
der wenigen Informationen die Ada zum
Namen der Platte verraten wollte – der
Rest kommt beim Hören und auf zarten
Pfoten. l
Liz Weidinger lebt in Hamburg, geht mit
großen Schritten Richtung Studien-Ende
und schreibt als freie Autorin am liebsten
über Feminismus und Popkultur, z.B. für
das Missy Magazine.
Juli August 2011 an.schläge l 35
argentinien
„Diese Frauen
sind unglaublich“
Die Kunsthistorikerin Kekena Corvalán
dokumentiert zeitgenössische
lateinamerikanische Frauenkunst.
Denn die wird längst nicht angemessen gewürdigt.
Ein Interview von Tina Füchslbauer
an.schläge: Seit wann arbeitest du zum
Thema Frauenkunst?
Kekena Corvalán: Gabriela Felitto Müller und ich begannen 2007 mit unserer
Arbeit. Da wir keinen feste Anstellung
hatten, nannten wir uns „Wanderlehrstuhl für zeitgenössische Frauenkunst“.
Wir hielten Seminare an verschiedenen
Universitäten, auf öffentlichen Plätzen,
in Bars und Kulturzentren. Unsere erste
Aufgabe war die Zusammenstellung
eines Archivs, denn bis dato hatte niemand systematisch Informationen über
Künstlerinnen in Argentinien gesammelt.
Jetzt hat uns das MALBA, das Museum
für lateinamerikanische Kunst in Buenos
Aires, gerufen. Das ist für uns ein
historisches Ereignis. Wir betreten neue
Wege, denn bisher gab es nur die männliche Betrachtungsweise. Die offizielle
Geschichtsschreibung ist männlich.
Websites der Künstlerinnen Marta Minujín
und Ana Gallardo:
www.martaminujin.com/portal/
http://anagallardog.blogspot.
com/2010/03/material-descartable-2000_8585.html
36 l an.schläge Juli August 2011
Gibt es für dich einen wesentlichen
Unterschied zwischen der Kunst von
Frauen und jener von Männern?
Wir wissen nicht, ob es einen Unterschied gibt, und das interessiert uns auch
gar nicht. Was wir wissen ist, dass es
Unterschiede bezüglich der Rechte und
Möglichkeiten gibt. Uns geht es um den
Raum, den die Künstlerinnen einnehmen.
Das, was die Guerilla Girls sagen, stimmt
nach wie vor: Die Frau erhält in erster
Linie als Objekt Einzug ins Museum,
meist als nacktes Objekt.
Typisch für Frauenkunst ist, dass etwa
das Nähen, Töpfern, die Kindererziehung Einzug in sie finden. Das sind jene
Fähigkeiten, wegen der sie uns stigmatisiert haben; Fähigkeiten, die niemanden interessieren, die kein Prestige
haben. Viele Künstlerinnen stürzen sich
nun darauf: „Gut, ihr habt mich dazu
verdammt zu nähen, dann mach ich jetzt
eben nähend meine Kunst.“
Kekena Corvalán neben einem Bild der brasilianischen Künstlerin Lygia Pape während der Biennale in San
Pablo, Foto: Alejandra Portela/de leedor
Das MALBA zeigte gerade eine große
Retrospektive von Marta Minujín.
Haben die Künstlerinnen in Argentinien in den letzten Jahren an Terrain
gewonnen?
Marta Minujín ist ein Spezialfall. Sie
selbst findet nicht, dass ihre Kunst
anders ist, weil sie eine Frau ist, sie
berücksichtigt den Genderaspekt nicht.
Dennoch beginnt ihr Katalog mit dem
Satz: „Als ich geboren wurde, wünschte sich mein Vater, dass ich ein Junge
wäre.“ Es gibt also durchaus ein Gebiet,
auf dem sie sich stark machen musste.
Zudem macht sie riesige Installationen,
Ingenieursarbeit zum Teil, einen Turm
aus Brot oder einen Tempel aus verbotenen Büchern. Damit besetzt sie mit
ihrer Kunst Orte, die sonst typischerweise Männern vorbehalten sind. Sie kann
sagen, dass sie nichts mit Geschlecht
zu tun hat, aber sie hat sich ihren Platz
erkämpft. Sie ist aber die einzige, die
ich dir nennen kann. Daneben gibt es
Hunderte weitere – wir haben in unserem Verzeichnis mehr als sechshundert
Künstlerinnen –, und die einzige, die so
im Zentrum der Aufmerksamkeit steht,
ist Marta. Ich sage nicht, dass sie das
nicht verdient, sie ist genial, aber nicht
jede kann wie Marta Minujín sein.
Einer eurer Workshops trägt den Titel
„Heldinnen“. Wer sind deine Heldinnen?
Meine Heldinnen sind die Künstlerinnen, die uns dazu bringen, nachzudenken; die Themen auf den Tisch bringen,
die sonst niemand anspricht. Hier in
Argentinien zum Beispiel Diana Dowek,
die den Arbeitsalltag von Fließbandarbeiterinnen in einer Fabrik darstellt und
so auf die Schwierigkeiten hinweist, mit
denen diese Frauen von früh bis spät
konfrontiert sind.
Oder Ana Gallardo: Sie hat ein Kunstwerk, das aus einem Haufen Stricknadeln besteht und das „Einwegmaterial“
(Material descartable) heißt. Und ein
anderes, das aus Petersilienbündeln
besteht. Petersilie und Stricknadeln
werden von Frauen für heimliche Abtreibungen verwendet. Mit so harmlosen Dingen wie einer Stricknadel, die
ja eigentlich eher ein Symbol für die
strickende Großmutter – und damit zugleich für die Arbeit der Frau ist –, hält
sie uns vor Augen, dass in Argentinien
nach wie vor Frauen bei heimlichen
Abtreibungen sterben, weil es noch immer keine Legalisierung der Abtreibung
gibt. Diese Frauen sind unglaublich.
Ihr macht auch einen Dokumentarfilm
über argentinische Künstlerinnen
mit dem Titel: „El pez desnudo“ (Der
nackte Fisch).
Ja, das ist ein Projekt, das ich gemeinsam mit Florencia González und
Gabriela Borelli Azara vorantreibe.
Clarice Lispector, eine brasilianische
Schriftstellerin, ist eine wichtige Patin
des Projekts. Der Ausdruck „der nackte
Fisch“ stammt von ihr: „Ich träumte
von einem Fisch, der sich die Kleidung
auszog und nackt war.“ Der Fisch
ihren Platz im Feld kämpft, sie muss
Raum einnehmen wollen. Es gibt viele,
die ihre Kunst zu Hause machen und
sich nicht einmal dafür interessieren, auszustellen. Wir wenden uns an
Frauen, die das Bewusstsein haben,
Künstlerin zu sein. Wenn sie dazu bereit
ist, werden wir sie nicht diskriminieren.
Die Qualität existiert für uns nicht, sie
ist eine Erfindung des Patriarchats, des
Kapitalismus, sie ist eine Selektion.
Jede kann Kunst machen. In unserem
Archiv haben wir auch Künstlerinnen,
die schon verstorben sind, einige sind
während der Militärdiktatur ermordet
worden, viele sind an AIDS gestorben.
Manchen hat die Kunst dabei geholfen,
die Schrecken der Militärdiktatur zu
„Das, was die Guerilla Girls sagen, stimmt
nach wie vor: Die Frau erhält in erster
Linie als Objekt Einzug ins Museum, meist
als nacktes Objekt.“ (Kekena Corvalán)
war natürlich schon nackt, er lebt so.
Wir Frauen sind auf eine bestimmte
Weise auch nackt, aber um existieren
zu können, müssen wir uns ausziehen,
im Sinne von „frei machen“. Auf uns
lastet noch immer das Gewicht der
Vorurteile, in vielen Fällen nehmen
wir mehr die fremde Sichtweise an als
unsere eigene.
Bis auf Frida Kahlos Werk ist in Europa ja nicht gerade viel über lateinamerikanische Frauenkunst bekannt.
Ja. leider. Denn die konzeptuelle
Kunst in Lateinamerika ist herrlich,
ausdrucksstark. Viele Künstlerinnen
wenden sich wieder den Gefühlen zu.
Abgesehen vom politischen Statement
versuchen sie, einen affektiven Bezug
herzustellen. Die großen historischen
Diskontinuitäten wie die Diktaturperioden, die Unterdrückung, haben es uns
unmöglich gemacht, eine Identität zu
entwickeln. Immer wenn wir in einem
Entwicklungsprozess waren, kam ein
Militärputsch oder eine Wirtschaftskrise. Es fehlt an Beständigkeit und das ist
verwirrend.
Nach welchen Kriterien nehmt ihr
Künstlerinnen in euer Archiv auf?
Wir interessieren uns dafür, ob sie um
überleben. In einem Folterzentrum in
Córdoba gab es eine Gruppe von Frauen, die geschrieben und gemalt haben.
Vernetzt ihr euch mit Künstlerinnen
in anderen Ländern Lateinamerikas?
Wir präsentieren unser Projekt demnächst in Peru. Im letzten Jahr waren
wir während der Biennale in São Paulo
an der Universität. Wir wollen unsere
Idee weiter exportieren, ein Archiv
über die Künstlerinnen Lateinamerikas machen. Unser Blickwinkel ist
gleichermaßen ein künstlerischer und
politischer. l
Kekena Corvalán ist Universitätsdozentin für lateinamerikanische Kunst und
war Kuratorin des ersten MAM-Festivals
(Mujer, Arte y Migración), das vom 26.–28.
Mai 2011 in Buenos Aires stattgefunden
hat. Sie schreibt auch für die Kunstwebsite
www.leedor.com.
Tina Füchslbauer ist Mitorganisatorin des
Festivals MAM und lebt gerade in Buenos
Aires, wohin sie sich die an.schläge nachschicken lässt.
lesbennest
the fabulous life
of a queer femme in action
denice
To Bring You
My Love
I wanted to choose a theme for this, like in the last issues; dating,
romance, sex and bad confidence. Instead I will give you all a Best
of Summer-Wise-Ass-Denice. Well, isn’t that a treat?! (not to be
confused with „threat“). #1: If you drink too much and still are
nice to your friends, don’t worry! I have stopped feeling bad about
admitting that I lean on my rosé with mineral water, my bourbon,
my red red wine when night time slowly washes over me. It makes
me funny, relaxed and not so paranoid. #2: If you are feeling
strange about your body being exposed because heat refuses to let
you hide behind layers of clothes: It.is.ok.to.not.feel.sexy! On bad
days I feel so sick about this whole „fat-positive-you-look-gorgeous-no-matter-what“ when I actually just want to whine and complain about not being Kate Moss. Of course(!!) it is better when we
don’t fall for that mainstream bullshit that tells us to be skinny and
that skinny equals gorgeous, but it would also be good to have the
space to actually not HAVE to feel like a happy fatty. I of course
want to feel good about myself all the time, but I don’t want to get
pissed on politically for sometimes wanting to cry rivers of Rum
& Coke when putting on a bikini. #3 Smartypant’s Advice: Use
Facebook for something more productive than stalking your exgirlfriends! We dykes don’t have the privileges of GayRomeo etc.
like our fellow fags to hook up for casual, awesome, „no strings
attached“-sex and FUN! So what do we do? My new idea is that
I will actually send „Would you like to fuck?“-messages to people
that I „kind of know“, aka „facebook acquaintances“. Thing is:
I’m not FRIENDS friends with them, but I kind of know that they
are ok, and if they say NO, I’m at least not standing on the dancefloor looking like a sad penis for being turned down. If they think I
am weird for having asked in the first place – well ... then they are
the ones looking boring and square, no? So, sweethearts: Have a
great summer and drink and eat and fuck a lot! Love you!
Denice is a grandchild and child of nasty-ass alcoholics, but doesn’t
identify with their behaviour. She drinks like a bastard and fucks like
there’s no tomorrow.
Juli August 2011 an.schläge l 37
an.lesen
Emanzipatorische
Biologiekritik
Geschlecht ist gesellschaftlich hervorgebracht.
Dies gilt insbesondere für das biologische Geschlecht,
wie Heinz-Jürgen Voß in seinem neuesten Buch zeigt.
Von Bettina Enzenhofer
Wer bislang noch nichts von HeinzJürgen Voß gelesen hat, sollte dies nun
unbedingt nachholen – uneingeschränkt
empfohlen sei sein neuestes Buch „Geschlecht. Wider die Natürlichkeit“. Waren schon seine Dissertation („Making
Sex Revisited“, siehe an.schläge 06/2010)
und etliche seiner Artikel (z.B. über
die Komplexität von Geschlecht, über
Intersexualität etc.) wegweisend, so
destilliert Voß seine Erkenntnisse
nun nochmals: Noch verständlicher
geschrieben, noch mehr Einbettung in
gesellschaftskritische Ansätze (z.B. von
Karl Marx, Simone de Beauvoir) und
durch einige „Exkurse“ noch nachvollziehbarer. Das Buch wurde unlängst
sogar vom Bildungsserver Hessen als
Unterrichtsmaterial für die Sekundarstufe II empfohlen.
Auffallend ist, dass Voß vielerorts
involviert ist: Er arbeitet nicht nur
wissenschaftlich im akademischen
Bereich, sondern engagiert sich auch in
antifaschistischen und gender-kritischen
Queer-Gruppen und Projekten. Auch
in Blogs ist Voß umtriebig und diskutiert seine Thesen. Es geht ihm stets
um den Dialog, das Auseinandersetzen
mit neuen Ideen und Meinungen. Voß
tritt dabei für eine gerechte Gesellschaftsordnung ein und positioniert sich
insbesondere gegen Diskriminierungen
an Homo-, Trans- und Intersexuellen.
Er betont immer wieder, dass Wissenschaft eine politische Tätigkeit ist, die
nicht abgehoben von den konkreten
Lebensbedingungen marginalisierter
Menschen agieren solle: „Ob man es
queer-feministisch nennen will, Dekonstruktion oder Intersektionalität, wichtig
ist es – neben konkretem politischen
Handeln –, zumindest zu versuchen, die
eigenen wissenschaftlichen Aussagen
mit möglichen anderen Perspektiven
und tatsächlichen praktischen Lebens38 l an.schläge Juli August 2011
bedingungen in Einklang zu bringen,
sich und die eigenen Veröffentlichungen
immer wieder neu zu befragen und
herauszufordern.“
Die vermeintliche „Natürlichkeit“ von
Geschlecht zu dekonstruieren, darum
geht es Voß auch in seinem neuesten
Buch. Denn der Glaube an eine derartige Natürlichkeit führe dazu, Menschen
bestimmte Eigenschaften abzusprechen.
Zwar könnten in manchen Bereichen
(z.B. im Sport) Differenzen zwischen
Männern und Frauen gezeigt werden,
doch seien diese immer auch gesellschaftlich bedingt. In Anlehnung an
Simone de Beauvoir betont Voß dabei:
„Es geht nicht darum, ob aktuelle
Differenzen zwischen ‚Frau‘ und ‚Mann‘
feststellbar sind, sondern es geht gegen
die Annahme, dass diese Differenzen
‚natürlich‘ seien.“ Auseinandersetzungen um die Geschlechterordnung gäbe
es schon lange und es zeige sich, „dass
aktives Streiten notwendig ist, um die
Gesellschaft zu verändern, um bestehende gesellschaftliche Verhältnisse
umzustürzen und durch gerechtere zu
ersetzen“. Voß streitet vor allem dafür,
dass Geschlecht nicht länger als naturgegebene Tatsache angesehen wird und
fordert einen veränderten Blick: Weg
von geschlechtlich unterschiedlichen
Bezeichnungen, hin zu ergebnisoffenen
Entwicklungsprozessen. Dass Theorien
von mehr bzw. anderen als zwei binären
Geschlechtern keine Erfindung der Gegenwart sind, sondern sich auch für die
letzten Jahrhunderte belegen lassen,
zeigt Voß in einem weiteren Teil seines
Buches.
Welche blinden Flecken biologische
Forschung im Glauben an die Existenz
zweier Geschlechter oft hat, stellt Voß
– auch für LaiInnen – überzeugend dar.
Klar wird: Der Einfluss von sozialen
Faktoren wirkt sich auf allen Ebenen
Bild: trouble_x, troublex.blogsport.de
aus. Ob dies Geschlechterdefinitionen,
wissenschaftliche Studien oder körperliche Fähigkeiten betrifft – sie alle sind
nicht ohne gesellschaftliche Rahmenbedingungen zu denken. Die Biologie
liefert Argumente für ein offeneres
Geschlechtermodell. Ein emanzipatorischer Schritt wäre es, diesen Argumenten mehr Platz zu geben. Denn es gilt
für Voß, „Gesellschaft zu gestalten, und
zwar so, dass niemand mehr wegen des
Geschlechts, der Schicht- oder Klassenzugehörigkeit oder wegen anderer
Merkmale benachteiligt wird oder
ihr_ihm gar Gewalt geschieht“. l
Heinz-Jürgen Voß: Geschlecht.
Wider die Natürlichkeit
Schmetterling Verlag 2011, 10,- Euro
Homepage von Voß:
http://dasendedessex.blogsport.de/
Hier finden sich auch aktuelle
Vortragstermine, z.B. wird er am 28.
September wieder in Wien sein.
an.lesen
Freya von Moltke l Im
März dieses Jahres wäre
sie 100 geworden. Ganz
hat sie es nicht geschafft,
mit 98 Jahren ist sie Anfang 2010 gestorben. Dennoch: „Ein Jahrhundertleben“ lautet der Untertitel
der Biografie Freya von
Moltkes, die nun pünktlich
zu diesem Jubiläum erschienen ist. Bekannt ist
sie vor allem als Witwe des Widerstandskämpfers Helmuth James Graf von Moltke, der 1945
wegen Hochverrats hingerichtet wurde. Doch
auch sie selbst war nicht nur Mitglied, sondern
überdies Mitgründerin des Kreisauer Kreises,
einer antifaschistischen Widerstandsgruppe, die
nach dem Wohnsitz der Moltkes im schlesischen
Kreisau benannt ist. Endlich auch ihren Widerstand und ihre politische Arbeit zu würdigen,
ist ein großes Verdienst des detaillierten und
quellenreichen Buches. Eine seiner kleinen
Schwächen ist hingegen, dass die Autorin über
der Bewunderung für die Entschlossenheit und
Unbeugsamkeit Freya von Moltkes ein wenig
vernachlässigt, dass diese ihre Unabhängigkeit
gegenüber ihren Ehemännern durchaus etwas
konsequenter hätte behaupten können. Auch die
Hintergründe zum Kreisauer Kreis hätten ein
wenig ausführlicher ausfallen können. Dennoch:
Eine beeindruckende Biografie, nicht zuletzt
deshalb, weil Freya von Moltke 1945 noch fast
zwei Drittel ihres so aufrechten wie aufregenden
Lebens vor sich hatte. Lea Susemichel
Frauke Geyken: Freya von Moltke.
Ein Jahrhundertleben 1911-2010
C.H. Beck 2011, 19,95 Euro
Hartz IV revisited l Fünf
Jahre nach Einführung von
„Hartz IV“ in Deutschland,
also der Zusammenlegung
von Arbeitslosen- und
Sozialhilfe zum sogenannten SGB II, versuchen
ExpertInnen eine Bewertung der Auswirkungen aus
gleichstellungspolitischer Perspektive. „Grundsicherung und Geschlecht“ ist ein wissenschaftliches Buch, das für Ungeübte nicht so leicht
zu lesen ist. Ein Durchkämpfen lohnt sich aber,
werden doch – für viele Länder gültige – höchst
interessante Aspekte beschrieben. Immer mehr
Staaten stellen auf Grundsicherungs- bzw.
Mindestsicherungssysteme um. Wesentlich dabei
ist, so die Herausgeberinnen in ihrer Einleitung,
dass diese Systeme Erwerbsarbeit noch stärker
ins Zentrum rücken. Soll heißen: Geld gibt es
nur als Gegenleistung für nachgewiesenes Bemühen um einen (Vollzeit-) Job – unter Androhung
von Sanktionen. Ein feministischer Gegenentwurf
wäre ein Modell der „universellen Betreuungsarbeit“ – denn bei der derzeitigen Aufteilung der
Familien- und Hausarbeit ist ein Streben nach
Vollzeitbeschäftigung für Alle illusorisch. Die
Herausgeberinnen fragen: Welche Rolle spielt
Gleichstellungspolitik in diesem neuen Rahmen
der aktivierenden Arbeitsmarktpolitik? Zahlreiche
AutorInnen widmen sich dem Thema am Beispiel Hartz IV, auch aus dezidiert feministischer
Perspektive. So wird klar, wie die Geschlechterasymmetrie durch SGB II stabilisiert wird, wie
schlecht – trotz im Gesetz verankerter „Leistung
Kinderbetreuung“ – die Kinderbetreuungsinfrastruktur immer noch ist. Ein Kapitel widmet sich
unterschiedlichen Zielgruppen wie Alleinerziehenden, MigrantInnen, Jugendlichen und Arbeitslosen. Frauen werden durch kurzfristige Strategien
in die Arbeitswelt integriert, ohne jedoch gleichgestellt zu sein. Ein ernüchternder, wenn auch
wenig überraschender Befund. Gabi Horak
Karen Jaehrling, Clarissa Rudolph (Hginnen):
Grundsicherung und Geschlecht.
Gleichstellungspolitische Befunde zu den
Wirkungen von „Hartz IV“
Westfälisches Dampfboot 2010, 28,70 Euro
innerhalb der Szene geführt hätte, liegt daneben.
Feminismus gehört zum Feindbild, stattdessen
wird an traditionellen Geschlechterverhältnissen und Rollenbildern festgehalten. Neben den
zahlreichen Portraits rechter Frauen kommen auch
Aussteigerinnen zu Wort und machen deutlich: Nationalismus ist auch Mädelsache! Isabelle Garde
Andrea Röpke, Andreas Speit: Mädelsache!
Frauen in der Neonazi-Szene
Ch. Links Verlag 2011, 16,90 Euro
Feministischer Häuserkampf
l Macker gibt es nach wie
vor jede Menge. Auch in der
linken Szene. Inzwischen
werden sie einfach seltener
so genannt. In den Anfängen
der Zweiten Frauenbewegung
hingegen war der Begriff
allgegenwärtig, nachdem die
sexistische Dominanz und Ignoranz der Genossen
immer deutlicher wurde. Auch die Frauen in der
deutschen Hausbesetzungsszene sahen sich bald
mit „Mackertum“ konfrontiert – selbst im Squat
waren die Frauen für den Haushalt und die
Männer für die Politik zuständig. Als Reaktion
darauf gab es in der BRD ab 1973 die ersten Besetzungen nur von Frauen. Eine Neuerscheinung
des Unrast-Verlags erzählt die Geschichte des
Frauentum statt Feminismus l Frauen sind in der
rechtsextremen Szene in
Deutschland schon lange keine
Seltenheit mehr. Sie kandidieren für die NPD, gehen auf
Demonstrationen, organisieren
Veranstaltungen und sind in
ihren Ansichten nicht minder
radikal als ihre männlichen Kameraden. Von den
Medien werden sie jedoch kaum wahrgenommen.
Andrea Röpke und Andreas Speit leisten mit ihrer
detailgetreuen Studie einen wichtigen Beitrag,
damit sich das ändert.
An ihrem Erscheinungsbild sind rechtsradikale
Frauen inzwischen kaum mehr zu erkennen, Springerstiefel und Bomberjacken bekannter Szenemarken tragen nur noch die wenigsten. Stattdessen
geben sich viele bürgerlich und versuchen, ihren
Platz in der Mitte der Gesellschaft zu festigen
– kaufen im Ökoladen ein, engagieren sich im
Familienzentrum der Gemeinde und sitzen im Elternrat der Schule. Dabei befinden sie sich oft im
Spannungsverhältnis zwischen politischer Arbeit
und Mutterschaft. Denn wer vermutet, dass das
öffentliche Auftreten neonazistischer Frauen zu
einer Liberalisierung der Geschlechterverhältnisse
Juli August 2011 an.schläge l 39
an.lesen
Häuserkampfs nun erstmals aus einer feministischen Perspektive, denn Literatur zum Thema
war bislang so gut wie nicht vorhanden. Die fundierte Studie liefert dabei sowohl eine historische Verortung – bereits im 19. Jahrhundert gab
es Besetzungen zur Wohnraumbeschaffung – als
auch eine Einordnung in feministische Diskurse.
Empfehlenswert. Lea Susemichel
amantine: Gender und Häuserkampf
Unrast Verlag 2011, 14 Euro
Kartoffel-Geschichte l Oh,
diese verfluchten Preußen!
Es gibt Momente, in denen
auch die Leserin einen
„Preußenhass“ entwickelt
– gemeinsam mit Lisbeth
und den anderen „Untertanen“, die in den 1750er
Jahren am Niederrhein den
Schikanen der Obrigkeit
ausgesetzt sind. Lisbeth, die jüngst verwitwete Ochsenwirtin im Örtchen Hassum, will sich
nun ein eigenständiges Leben aufbauen. Als
eine Abordnung des preußischen Militärs in
ihrem Wirtshaus Quartier nimmt, könnte das
der Beginn des Erfolgs sein, wäre da nicht der
Major, der sie um die angemessene Entlohnung
betrügt und ihr überdies befiehlt, die Soldaten
mit den mitgebrachten „Tartüffeln“ zu verkösti-
gen. Die Kartoffel hat allerdings einen denkbar
schlechten Ruf: Sie stinkt, und niemand baut
sie freiwillig an oder weiß, wie mit ihr kochen.
Als Lisbeth es dennoch schafft, eine köstliche
Kartoffelsuppe zu kreieren, kehrt sogar eine
preußische Prinzessin bei ihr ein. Doch da das
Buch keine Märchen erzählt, sondern das gesellschaftliche Gefüge dieser Zeit schildert, erlebt
Lisbeth statt einer Aschenputtel-Verwandlung
(sexuelle) Gewalt und Willkür – auch wenn sie
ganz erstaunliche Mittel und Wege findet, sich
zumindest zeitweise zu wehren.
Zahlreiche Alltagsdetails mitteleuropäischer
(Frauen-) Geschichte sind in diesem Roman zu
entdecken, und die sprachliche Souveränität, mit
der die schichtspezifischen Perspektiven der handelnden Personen eingenommen werden, macht
großen Spaß. Sylvia Köchl
Ella Theiss: Die Spucke des Teufels
Grafit-Taschenbuch 2011, 9,30 Euro
Nach dem Tod „des Onkels“
musste sich Oma vor Gericht
wegen schweren Betrugs
verantworten. Nach Jahrzehnten wurde bekannt, dass
der angebliche Verwandte,
den sie nach dem Krieg bei
sich aufgenommen hatte,
Ulrike Schmitzer: Die falsche Witwe
Edition Atelier 2011, 14,90 Euro
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Au
Vor wenigen Wochen wurden Luise Pop zur Soirée Gals
Rock im Pariser Club La Flèche d’Or eingeladen. Kleine
Werbeeinschaltung für alle Parisreisenden: Pauline und
Clem betreiben eine gleichnamige Oase von Shop in
der Rue Henry Monnier, wo es neben Platten und
CDs auch Bücher und Kleidung zu kaufen gibt,
und wo es sich auf einer komfortablen Couch
schön Kaffee trinken und Musik hören lässt.
Der Aufenthalt hat Erstaunliches in mir bewegt. Ich habe seit jeher eine eigenartige
Beziehung zu Paris und hielt es immer für
maßlos überschätzt. Der Kult um diese Stadt
und ihre „Lebensart“ macht mich als bekennende Misanthropin sowieso skeptisch: Ich finde überhaupt alle Städte blöd – einmal abgesehen von Hamburg,
was ja das Tor zur Welt ist –, nur auf dem Land
ist es noch schlimmer. Auf dem Eiffelturm war
ich schon mit zwölf, mit 17 habe ich französischen Rotwein genossen und Jim Morrisons
bonustrack: Vera Kropf
Altbekanntes Unbehagen l der eigene Mann war. Die Strafverfolgung bezog
sich auf die Täuschungshandlung gegenüber der
Staatskasse, die mit zehn Monaten bedingt und
mit der Rückzahlung des Geldes bestraft wurde.
Dass es dabei auch um das Verschweigen von
NS-Verbrechen gegangen sein könnte, stand für
das Gericht nicht zur Debatte. Die Kinder Anna
und Eva, in dem Glauben, ohne Vater und mit einem „Onkel“ aufgewachsen zu sein, interessierten sich nicht weiter für die Hintergründe. Wozu
auch, hatte doch Oma die Familiengeschichte
nach Belieben verändert. Nun hatten sie ihre
eigene Familiengeschichte und eigene Familien.
Schockiert über dieses Desinteresse rekonstruiert nun die Enkelin Schritt für Schritt mit Hilfe
von Tagebüchern und Briefen ihres Großvaters
die Ereignisse von damals und folgt dabei den
Spuren einer grausamen Vergangenheit.
Aus verschiedenen Perspektiven beleuchtet Ulrike Schmitzer den jeweils sehr unterschiedlichen
Umgang mit der eigenen Familiengeschichte.
Die Beweggründe der Nachkommen für deren
jeweilige Herangehensweisen bleiben allerdings
im Dunkeln Unbehagen und Unverständnis stellen sich ein bei all dem Schweigen. Altbekannte
Gefühle in der Auseinandersetzung mit der NSZeit. Svenja Häfner
Grab besucht, mit 25 ein „romantisches“ Touri-Silvester
am Seine-Ufer nahe Pont Neuf erlebt, mit 28 im Louvre die von JapanerInnen fast gänzlich verdeckte Mona Lisa
beäugt und mit einer Freundin aus Österreich auf ihrem kleinem Balkon über das aggressive Klima, den Chauvinismus und
die Stutenbissigkeit in dieser Stadt hergezogen. Mein Fazit
lautete: teuer, arrogant, überfüllt, unnötig. Der einzige Ort,
dessen Zauber ich mich zugegebenermaßen nie entziehen
konnte, ist der Innenraum der Sacre Coeur-Kirche auf dem
sonst von Kitsch-Postkarten und sogenannten „Künstlerbistros“ heillos verseuchten Montmartre. Obwohl ich also
schon etliche Male in Paris war, habe ich erst beim letzten Besuch diesen Moloch schätzen gelernt. Die Erkenntnis, die mich mit Paris versöhnt hat: Paris weist eine um das
fünffache höhere Bevölkerungsdichte auf als Wien, Berlin
oder London. Auf einer Fläche, die ein Viertel des Wiener
Stadtgebiets umfasst, drängen sich 2,1 Millionen Menschen in 16
Metro-Linien. Darum vergebe ich dem unfreundlichen Taxifahrer.
It’s hell but at least it’s urban.
Vera Kropf ist 2006 Gitarristin und Sängerin bei Luise Pop und empfiehlt den Shop von Gals Rock, 17 Rue Henry Monnier, Paris 9ème.
Illustration: Lina Walde, http://evaundeva.blogspot.com
40 l an.schläge Juli August 2011
an.klang
Achtziger
Achterbahn
Experimentelle Soundkaskaden statt
Soundfolter, Beats wie Peitschenschläge.
Christina Mohr hat ihren Sound
für den Sommer gefunden.
Barbara Panther
Man kann es kurz machen: Lady Gagas
zweieinhalbtes Album (die EP „Fame
Monster“ mitgezählt) Born This Way
(Interscope/Universal) ist die reine
Soundfolter. Okay, Soundfolter mit ein
paar guten Momenten, wie der von
Gagas Berlinaufenthalten inspirierten
Verballhornung der deutschen Sprache
„Scheiße“, dem zähfließenden DanceGroove auf „Bloody Mary“ und dem Supertext von „Hair“. Der Hit „Born This
Way“ erinnert frappierend an Madonnas „Express Yourself“, das sich ebenfalls an Madonna abarbeitende „Judas“
klingt wie ein mittelmäßiger Beitrag für
den Eurovision Song Contest. Der Rest
ist eine unbarmherzig ballernde Mixtur
aus Achtzigerjahre-Rock und trashigem
Euro-Techno. Da sich Gaga und ihre
Entourage wohl kaum nur zum Rumalbern im Studio einfinden, muss man von
Vorsatz und voller Absicht ausgehen.
Bleibt die Frage: Warum?
Sie wird mit Grace Jones verglichen,
mit Björk und Billie Holiday. Dabei ist
die in Ruanda geborene und in Berlin
lebende Barbara Panther so einzigartig wie nur wenige andere Künstlerinnen. Sie liebt spektakuläre Verkleidungen, ihre Auftritte bleiben allen im
Gedächtnis, die sie jemals live erlebt
haben. Die vergangenen Herbst veröffentlichte EP machte neugierig auf ihr
Album Barbara Panther (CitySlang),
das von Matthew Herbert produziert
wurde – der aber zu Panthers Tracks
außer ein paar Soundideen nicht viel
beizusteuern hatte. Barbara Panther
hat nicht nur eine unverwechselbare
Stimme, sie schreibt auch tolle Songs
im Spannungsfeld von Elektro, Soul und
Hip-Hop. Die Single „Empire“ ist eine
wütende Abrechnung mit kirchlichem
Machtmissbrauch, „Rise Up“ ist ein
Weckruf an alle, die es sich in ihren
Verhältnissen gemütlich eingerichtet
haben. Auf „Voodoo“ fahren die Beats
Achterbahn und im romantisch angehauchten „Moonlight People“ kann
man sich zu sanften Calypso-Rhythmen
wiegen. Barbara Panther ist lustig,
gefährlich und unerschrocken: Unsere
Frau für diesen Sommer – mindestens!
Der Sound der 1980er-Jahre geistert
so stilecht durch viele neue Platten,
dass man zuweilen aufs Produktionsdatum gucken muss, um sich nicht zu
blamieren. Hurts aus Manchester sind
mit ihrem eklektischen Elektropop irre
erfolgreich, Acts wie Zola Jesus orientieren sich eher an der Indie-Variante
der Achtziger. Auch Katie Stelmanis,
Sängerin der queeren kanadischen
Band Austra, schöpft aus dem Erbe von
Wave und Gothic: Feel It Break (Good
To Go / Domino) zeichnet sich durch
hypnotische Synthie-Melodien, brummelnde Bässe, Beats wie Peitschenschläge und verzögertes Tempo aus.
Stelmanis engelsgleiche Opernstimme
macht das Album zur Séance, Austra
gehen mit heiligem Ernst zur Sache.
Songs wie „Spellwork“ und „Lose It“
klingen, als sänge Joni Mitchell 1982
im Londoner Club Bat Cave. Die Single
„Beat and the Pulse“ bleibt das beste
Stück der Platte, die Mischung aus
spooky Atmosphäre und verführerischer
Coolness gelingt Austra nur hier besonders packend.
Wer die amerikanische Musikerin Erika
M. Anderson alias EMA von ihren
ehemaligen Bands Amps for Christ und
Gowns kennt, könnte ihr Solodebüt
beinah gefällig finden. Das ist es natürlich nicht, aber durchaus zugänglicher
als der Riot-Grrrl-Noise-Folk früherer
Tage. Der sieben Minuten lange Opener
„The Grey Ship“ ist ein Prüfstein:
Entweder man bleibt fasziniert dabei
oder verabschiedet sich danach, weil
man ahnt, dass Past Martyred Saints
(Souterrain Transmissions / Rough
Trade) zu viel von einem verlangt.
Eventuelle Vergleiche mit Cat Power
und PJ Harvey sind nicht falsch, aber
EMA ist keine Epigonin. Dass EMA
nach Los Angeles zog, weil sie „Welcome to the Jungle“ von Guns’n’Roses
wirklich mochte und dass sie unlängst
Supportact für Throbbing Gristle war,
sind wichtige Puzzleteile im Gesamtbild
EMA. Sie verknüpft grungy GitarrenFeedbackorgien mit bittersüßem Girlpop, experimentelle Soundkaskaden mit
minimalistischem Folk. „Breakfast“ ist
bis aufs Gerippe ausgezogener Gospel,
zum psychedelischen „Marked“ kann
man – mit den richtigen Drogen – sogar
tanzen. EMA ist eine grandiose Songwriterin, die kein Interesse daran hat,
dass man ihre Lieder mitsingt. l
Links:
www.lady-gaga.de
www.myspace.com/barbarapanther
www.myspace.com/austra
www.cameouttanowhere.com
(EMA)
Juli August 2011 an.schläge l 41
an.sehen
Kicken für Kim
Frauen, Fußball, Führerstaat: Der DokuFilm „Hana, dul, sed …“ ist alles andere
als sensationslüstern. Von Vina Yun
„Wenn man das Spielfeld betritt,
dann ist es, als ob das Herz weit
wird und als ob man in jede Welt
eintreten könnte“, beschreibt
Hyang-Ok Ri das Hochgefühl, mit
dem sie ins Stadion einläuft. Bis
2004 war Ri Mittelfeldspielerin
des nordkoreanischen Fußballnationalteams, heute ist sie als eine
von vier FIFA-Schiedsrichterinnen
Nordkoreas aktiv. Sie und drei
weitere Ex-Profi-Kickerinnen sind
die Protagonistinnen der Dokumentation „Hana, dul, sed …“ (Koreanisch für „Eins, zwei, drei“),
dem Erstlingswerk von Regisseurin
Brigitte Weich. Die anderen drei:
Mi-Ae Ra, ehemalige Verteidigerin
und glühender Maradona-Fan („Er
ist kaum größer als ich und wird
weltberühmt? Okay, das kann ich
auch!“), die frühere Goalkeeperin
Jong-Hi Ri, die für ihre Baby-Tochter schon mal das Fußball-Trikot
herrichtet („Vielleicht wächst sie
da hinein und wird eine Torfrau“),
sowie Pyol-Hi Jin, vormals Stürmerin und Top-Torjägerin („Mir
war es immer das Wichtigste, dem
General Freude zu bereiten“).
In Sachen Frauenfußball gehört
Nordkorea zur internationalen
Spitze. Nach ihren Erfolgen bei den
Asienmeisterschaften 2001 und
2003 wurden die nordkoreanischen
Fußballerinnen in ihrer Heimat
als Superstars gefeiert,
die für ausverkaufte Stadien
sorgten – anderswo alles andere
als eine Selbstverständlichkeit, wie
Co-Regisseurin Karin Macher in
den Produktionsnotizen anmerkt:
„Die deutschen Fußballerinnen, die
Weltmeister sind, machen Werbung
für Damenbinden.“ Die verpatzte
Olympia-Qualifikation 2004 in
Athen (mit einer 0:3-Niederlage
gegen die einstige Kolonialmacht
Japan) beendete die Laufbahn der
Fußball-Profis jedoch jäh: Um42 l an.schläge Juli August 2011
Jang Hyang Gi, Ryom Mi Hwa und Brigitte Weich (v.l.n.r.), Foto: Koryo Tours
gehend wurden sie gegen jüngere
Spielerinnen ausgetauscht.
„Chefsache“ Frauenfußball.
Gleich in der Eröffnungssequenz
verdeutlichen zwei Zitate das von
Widersprüchen durchzogene gesellschaftliche Kräftefeld, in dem sich
die Sportlerinnen bewegen. Kim
Il-Sungs Satz „Große Ideologie
erschafft große Zeiten“ wird der
berühmte Ausspruch von Simone
de Beauvoir gegenübergestellt:
„Man wird nicht als Frau geboren,
man wird es.“ Denn im nordkoreanischen Frauenfußball, der in den
1980ern „von oben“ verordnet
wurde, manifestiert sich nicht nur
absolute Regimetreue, wie sie sich
in der Verehrung für den derzeitigen „Geliebten Führer“ Kim JongIl äußert. Ebenso lässt sich an ihm
die wandelbare Interpretation der
Geschlechterrollen exemplarisch
festhalten: Während Nordkoreas
Propaganda Frauen als „Blumen“
besingt darf am Spielfeld sehr wohl
geschwitzt und gespuckt werden
– solange der Körpereinsatz im
Namen der Nation erfolgt.
Trotzdem: Um ganz sicher zu
gehen, lässt der Coach die Spielerinnen nicht nur am Rasen, sondern
auch am Herd trainieren – auf dass
sie sich nach ihrer Fußball-Karriere zu guten Hausfrauen wandeln
mögen.
Auch wenn einige Rezensionen
behaupten, „Hana, dul, sed …“ sei
kein Fußball-Film – er ist es wohl:
Schließlich fungiert gerade das
Fußballfeld auch als Bühne, auf der
Politik mit den Mitteln des Sports
gemacht wird, sei es im Namen der
Nation oder, wie in diesem Fall,
als eine Form der persönlichen
Befreiung aus gesellschaftlichen
Konventionen.
Vertrautes und Fremdes. Die Bilder über Nordkorea, wie sie in den
hiesigen Medien kursieren, illustrieren mit den Aufnahmen von Massenchoreografien, sozialistischen
Prestigebauten und monumentalen
Statuen vor allem den patriarchalen
Führerkult im Land. Auch „Hana,
dul, sed …“ kommt nicht gänzlich
ohne diese visuellen Inszenierungen aus, jedoch überlässt der Film
das Kinopublikum nicht, wie sonst
üblich, der bloßen Faszination und
dem Befremden.
Die Kamera (wunderbar geführt
von Judith Benedikt) begleitet die
Frauen auf dem Weg zur Arbeit,
beim Zoo-Besuch, im Kindergarten,
beim Friseur. Es ist der mehr oder
weniger „normale“ Alltag der vier
Genossinnen, über den sich die
Regisseurin der Realität in Nordkorea annähert. Armut ist – wenig
überraschend – keine zu sehen, und
doch lässt sie sich zwischen dem
Gezeigten erahnen.
Für ihre Dokumentation war Brigitte Weich auf die Kooperation mit
Korfilm, der staatlichen Filmagentur Nordkoreas, angewiesen – was
ihr auch die Kritik einbrachte, sich
von der dortigen Propagandamaschinerie einspannen zu lassen. In
ihrem Regie-Statement erklärt
Weich: „Für mich waren die Restriktionen bereits ein Teil der Geschichte: Wir wollten nicht zeigen,
was wir in Nordkorea sehen, wir
wollten sehen, was diese Frauen
uns zeigen.“ l
„Hana, dul, sed …“ (A 2009) läuft
derzeit in den österreichischen
und deutschen Kinos.
www.hanadulsed.com
WM-Tipp: Am 28. Juni spielt
Nordkorea bei der Fußball-WM
gegen den „Erzfeind“ USA in
Dresden.
an.künden
Redaktionsschluss Termine 07-08/11
07.06.2011 termine@anschlaege.at
fest
musik
2.7., 16–21.00, Hamburg
Hoffest des Lesbenvereins Intervention,
„Interventionade“ – Wettbewerb
Lesbenverein Intervention e.V.,
20357 Hamburg, Glashüttenstr. 2,
T. 0049(0)40 24 50 02,
www.intervention-hamburg.at
6.–10.7., Moorbad Harbach
11. Kasumama Afrika Festival – Kreativ-Workshops, Kino, Tanzshows und
Live-Konzerte von Princess Elivava,
Aisha Kouvaté, u.v.m. Festivalpass im
Vorverkauf bis 3. Juli: € 40/32 danach
€ 48/40
Gasthaus Holzmühle, 3970 Moorbad
Harbach, Lauterbach 40 , T. 0676/
9743469, www.kasumama.at
7.7., Wien
Kellies, Riot-Post-Punk aus
Argentinien
FLUC, 1020 Wien, Praterstern 5,
www.fluc.at
8.–10.7., Litschau
5. Schrammel.Klang.Festival
Litschau – rund um den Herrensee,
T. 0720/ 407 704
www.schrammelklang.at
bis 14.7., Wien
Jazz Fest Wien, mit Madeleine
Peyroux, Liza Minelli, Tia Fuller u.a.
Schauplätze, Programm unter
www.viennajazz.org, Tickets unter
T. 01/ 408 60 30
21.7., 20.30, Wien
Katrin Navessi, Eintritt freitag
WUK, 1090 Wien, Währinger Straße
59, T. 01/ 401 21 0, www.wuk.at
27.7., 20.30, Wien
Platzkonzert: Katika – die kroatischitalienische Musikerin präsentiert ihre
Debüt-CD „Ricaricare“ , Eintritt frei
WUK, 1090 Wien, Währinger Straße
59, T. 01/ 401 21 0, www.wuk.at
4.8., 20.30, Wien
W.I.T.C.H. – Frauenfolkband, freier
Eintritt
WUK, 1090 Wien, Währinger Straße
59, T. 01/ 401 21 0, www.wuk.at
8.–15.8, Budapest
Sziget Festival – mit Amy Winehouse,
Flogging Molly, ArfoCubism u.v.m.
Anfahrt, Programm, Tickets unter
szigetfest.eu/de
Óbudai-Insel, Budapest
bis 28.8, Wien
Weekend Sounds – Soul, Funk, Hip
Hop und Elektro, Sa 12–22.00,
So u. Feiertag 12–20.00
Museumsquartier Haupthof, 1070
Wien, Museumsplatz 1,
T. 01/ 523 5881, www.mqw.at
film
1.7–14.8., 21.30, Wien
„Kino wie noch nie“ – Open Air-Kino
des Filmarchivs Austria in Kooperation mit der Viennale: Filmklassiker,
Festival-Highlights und ÖsterreichPremieren; Tickets: € 8/5
Augartenspitz, 1020 Wien, Obere
Augartenstraße 1, Programm und
Infos unter www.kinowienochnie.at
ab 1.7., Österreich
Alive! (Albanien 2009) Regie: Artan
Minaroli, Drama mit Nik Xhelilaj,
Niada Saliasi, Xhevdet Feri u.a.
3., 17., 21.7., 21.30, Wien
Shnit Kurzfilmnacht – rund 300
Kurzfilme aus aller Welt, im Rahmen
von Volxkino – Open Air Kino
Augustinerplatz, 1070 Wien, nähere
Infos unter www.volxkino.at
diverse Kinos, Österreich
Barfuß auf Nacktschnecken (F 2010)
Regie: Fabienne Berthaud, Tragikkomödie mit Diane Kruger, Ludivine
Sagnier, Denise Menochet u.a.
6.7., 19.00, Berlin
„Osama“ – Filmvorführung und
Gespräch, Eintritt frei
Frauenkreise – soziokulturelles Projekt, 10119 Berlin, Choriner Straße
10, www.frauenkreise-berlin.de
7.7., 19.30, Hamburg
I’m not there – Filmreihe Queer
Cinema
Querbild e.V., 20357 Hamburg,
Schanzenstraße 45
ab 8.7., Österreich
Sennentuntschi (CH/ A 2011) Regie:
Michael Steiner, Tragödie mit Roxane
Mesquida, Nicholas Ofczarek u.a.
16.7., 22.00, Dornbirn
A Single Man (USA 2009) Regie: Tom
Ford, mit Colin Firth, Julianne Moore
Spielboden Dornbirn, 6850 Dornbirn,
Färbergasse 15, T. 05572/21933,
www.spielboden.at
19.8., 20.30, Wien
Four Lions (GB 2010) Regie: Christopher Morris, im Rahmen VOLXkino
– Open Air Kino
Karmeliterplatz, 1020 Wien, nähere
Infos unter www.volxkino.at
ab 26.8., Österreich
Am Ende des Tages ( A 2011) Regie:
Peter Payer, Drama mit Simon
Schwarz, Anna Unterberger, Nicholas
Ofczarek u.a.
bühne
1.,2.,8.,9.7.: 19.30, 10.7.: 17.00,
Gramatneusiedl
Guten Morgen Marienthal –
Performance der Gruppe DREIZEHNTERJANUAR in Koop. mit
NÖ-Landesausstellung, anschließend
Podiumsdiskussion und Publikumsgespräch, Tickets € 19/12
Betriebsgelände der Para-Chemie,
2440 Gramatneusiedl,
T. 0699/101 130 82
www.viertelfestivalnoe.at/marienthal
4. u. 5.7., 21.00, Wien
Babilonia Taetri: pornobboy. Kooperation der ARGEkultur mit sommerszene
salzburg, freier Eintritt
Anton-Neumayr-Platz 2,
5020 Salzburg, T. 0662/ 843 448
www.argekultur.at
6.–9.7., Wien
Jacuzzi – some days of performance,
part & public mit Anne McRae, Meg
Stuart, Fanni Futterknecht u.a.
WUK, 1090 Wien, Währinger Straße
59, T. 01/ 401 210, www.wuk.at
6.–9., 15.–17., 21.–24., 28.–30.7.,
19.00, Perchtoldsdorf
Lysistrate – Komödie von Aristophanes mit Mercedes Echerer, Christa
Schwertsik, Tania Golden , Sommerspiele Perchtoldsdorf
Burg Perchtoldsdorf, 2380 Perchtoldsdorf, Marktplatz 10, Info und Kartenvorverkauf unter T. 01/ 866 83 400,
www.sommerspiele-perchtoldsdorf.at
bis 10.7., Salzburg
Annja Krautgasser: Giants and Mosquitoes – dokumentarische Einblicke
in das Leben der Roma in Italien
Salzburger Kunstverein, Künstlerhaus,
5020 Salzburg, Hellbrunner Straße 3,
Di–So 12–19,
T. 0662/ 84 22 940
www.salzburger-kunstverein.at
bis 14.7., Salzburg
UNENDLICH FREI – Internationales
Theater- und Tanzfestival
sommerszene Salzburg,
21 Produktionen zu freiem Eintritt
Programm und Schauplätze unter
T. 0662/ 84 3448 oder
www.sommerszene.net
15.7–7.8., Gars am Kamp
Open Air Gars 2011: Carmen von
Georg Bizet
Babenberger Burgruine, 3571 Gars
am Kamp, Programm und Tickets
unter www.openair.at
12.–14.8., Wien
ImPuls Tanz – Vienna International
Dance Festival mit Trisha Brown Company, Cie. Marie Chouinard, Mathilde
Monnier, Anne Teresa de Keersmaeker
& Rosas u.v.m.
Infos, Programm und Schauplätze
unter www.impulstanz.com und
T. 01/ 523 55 58
31.8., Wien
Martina Schwarzmann: Wer Glück hat,
kommt – Musik-Kabarett
Stadtsaal, 1060 Wien,
Mariahilferstraße 81, T. 01/909 22 44
www.stadtsaal.com
seminar
workshop
3.–8.7, Schlaining
28. Internationale Sommerakademie:
„Zeitenwende in der arabischen Welt:
welche Antwort findet Europa?“
Burg Schlaining, 7433 Schlaining,
www.aspr.ac.at
30.9.–1.10., 9–15.00, Wien
Psychotherapie und Beratung mit
transidenten Menschen – Weiterbildungsseminar, Kosten: € 220/ 170/ 30,
Anmeldung bis 16.9. unter
info@courage-beratung.at
Beratungsstelle COURAGE Wien,
1060 Wien, Windmühlgasse 15/1/7,
T. 01/ 585 69 66
www.courage-beratung.at
30.9, 21.10., 11.11., 2.12, 9–16.00,
Wien
Moderationstraining für Frauen/
Kompetenzkreis-Abend: „Braucht
Diversity den Konflikt?“ Kosten: € 420
Infos rund um Ort und Anmeldung (bis
12.9) unter T. 0676/ 6111160
office@gerda-daniel.at
vortrag
diskussion
7.7., 18.00, Marburg
Paul Scheibelhofer: Konstruktion
und Krisen des „unmarkierten
Geschlechts“. Zugänge der Kritischen
Männlichkeitsforschung
Zentrum für Gender Studies und feministische Zukunftsforschung, Universität Marburg, 35037 Marburg, Hörsaal
207, Hörsaalgebäude, Biegenstraße
14, www.uni-marburg.de
8.8., 19.00, Wien
G.R.A.M.: „Re-Enactment“ Vortrag
und Präsentation zur Eröffnung der
Ausstellung „sight stories“
9.–21.8., Di – Sa 16–20.00
Fotogalerie Wien, WUK, 1090 Wien,
Währinger Straße 59, T. 01/ 401 21 0
www.wuk.at
jeden ersten Montag im Monat,
19.00, Linz
Frauen-Kultur-Café: „Diskuthek“ –
eine Diplomarbeit aus dem Feministischen Grundstudium (Rosa Mayreder
College) wird vorgestellt, anschließende Diskussion
Autonomes FRAUENzentrum Linz,
Starhembergstraße 10/ 2. Stock, Ecke
Mozartstraße, T. 0732/602200
ausstellung
bis 10.7., Salzburg
Maja Vukoje
Salzburger Kunstverein/Künstlerhaus,
5020 Salzburg, Hellbrunner Straße 3,
Di–So: 12–19.00
www.salzburger-kunstverein.at
bis 10.7., Linz
Friedl vom Gröller: Filme und Fotografien, Eintritt: € 6.50/ erm. 4.50
Lentos Kunstmuseum, 4020 Linz,
Ernst-Koref Promenade 1, Di–So
10–18.00, Do 10–21.00,
T. 0732/ 7070 3600
bis 23.7., Wien
Farewell to Longing – Figurationen
von Heimat in der Gegenwartskunst,
Eintritt frei
Kunstraum Niederösterreich, 1014
Wien, Herrengasse 13, Di–Fr
11–19.00, Sa 11–15.00,
www.kunstraum.net
bis 29.7, Wien
„Jenseits des Helfersyndroms III“
Künstlerische Positionen zu Care
Working und Assistenz
Galerie IG Bildende Kunst, 1060
Juli August 2011 an.schläge l 43
an.künden
bis 25.9., Wien
Katrin Hornek: „The grass is
always greener...“
Kunstzelle im WUK Hof, Währinger Straße 59, Mo–Fr 9–20.00,
Sa,So,Feiertag 15–20.00, T. 01/ 401
21 0, www.wuk.at
bis 15.11., Wien
„MODELLS – das perfekte Profil“
eine LED-Installation von Nicole Pruckermayer und Elisabeth Schimana an
der Außenfassade des Hotels „Altes
Kloster“ und der „Insight Turm“ erlauben einen Blick hinter die Systematiken der „Google-Suchmaschinerie“
Kulturfabrik Hainburg, 2410 Hainburg/ Donau, Kulturplatz 1/ Donaulände 33, Insight Turm: 9–18.00
www.insight-turm.ima.or.at
Foto: Christine Schlegel
Rebellinnen entdeckt!
2.6 – 9.10., Kunsthalle Mannheim, 68165 Mannheim,
Friedrichsplatz 4, Di–So & Feiertage 11–18.00,
Mi 18–20.00, www.kunsthalle-mannheim.eu
bis 29.7., Wien
Artists in Residence – Werkpräsentation der GastkünstlerInnen Marika
Asatiani, Razvan Boti, Irena Sladoje
Galerie ArtPoint, Universitätsstraße 5,
1010 Wien, T. 01/ 523 87 65 15
www.kulturkontakt.or.at
bis 7.8., Bremen
Zilla Leutenegger: More than this,
Zeichnungen, Objekte, Videoinstallationen werden zu raumgreifenden
Installationen
Weserburg I, Museum für moderne
Kunst, 28199 Bremen,Teerhof 20, Di,
Mi, Fr 10–18.00, Do 10–21.00, Sa
u.So 11–18.00, T. 0049(0)421/59
839 70, www.weserburg.at
bis 21.8., Hittisau
Jenny Matthews: Frauen im
3.–4.9., 16–18.00, Wien
AutorINNENlesung 2011. Linkes
Wort am 65. Volksstimmefest
Jesuitenwiese, 1020 Wien,
7*Stern-Bühne
www.linkes-wort.at
aktivitäten
16.7., 19.00, Hamburg
Thirty Plus – Die neue Gruppe für
Lesben ab 30
Kreuzfeuer
Frauenmuseum, 6952 Hittisau, Platz
501, Do 15–20.00, Fr 14–17.00, Sa
u. So 10–12 u. 14–17.00 T. 05513/
6209 30, www.frauenmuseum.at
bis 2.9., Wien
Ariane Spanier: Typopassage. Collagen, Fotografie, beschriebenes Papier
verbinden sich zu bühnenartigen
Settings
Museumsquartier – quartier 21, 1070
Wien, Museumsplatz 1
T. 01/ 523 5881
bis 16.9., 0–24.00, Weikersdorf
Iris Andraschek und Hubert Lobnig:
MY LIFE, MY RULES. Du sollst nicht
rauchen! Du sollst nicht links parken!
– Installation aus Affichen, Malerein,
Zeichnungen
Kunstraum Weikendorf, 2253 Weikendorf, Rathausplatz 1, Shuttlebus von
Wien nach Weikendorf, Infos und Anm.
unter T. 02742/ 900 516 273
diverse Termine, Schweiz
Wen-Do – Selbstverteidigung
und Selbstbehauptung von Frauen,
für Mädchen und Frauen
Infos und aktuelles Kursangebot
unter www.wendo.ch
4.7., 19.00 Wien
Kathrin Röggla und Oliver Grajewski
lesen aus ihrem gemeinsamen „tokio,
rückwärtstagebuch“ , mit Spendenbox
für Katastrophenopfer in Japan
Alte Schmiede, Kunstverein Wien,
1010 Wien, Schönlaterngasse 9, T. 01/
512 44 46 74, www.alte-schmiede.at
10.7., 19.00, München
Buchpremiere mit Asta Scheib „Das
stille Kind“
Literaturhaus München, 80333
München, Salvatorplatz 1, T. 0049(0)
89/29 19 340
www.literaturhaus-muenchen.de
11.7., 19.00, Wien
Antonio Fian liest aus „man kann nicht
alles wissen“ (Dramolette Verlag)
Alte Schmiede, Kunstverein Wien,
1010 Wien, Schönlaterngasse 9, T. 01/
512 44 46 74, www.alte-schmiede.at
15.7., 20.30, Dornbirn
Ulrike Draesner liest aus „Richtig
liegen“ (Luchterhand Verlag)
Eintritt: € 9/6
Spielboden Dornbirn, 6850 Dornbirn,
Färbergasse 15, T. 05572/21933,
www.spielboden.at
15.7., 20.30, Dornbirn
Nadja Bucher liest aus „Rosa gegen
den Dreck der Welt“ (Milena) Eintritt: € 9/6
Sommer, Sonne, Mädchencamp
Im feministische Mädchencamp der Naturfreundejugend Berlin können Girls von 13–16 Jahren einen
spannenden Urlaub erleben. Neben Workshops, Kursen
und verschiedenen Aktivitäten, wie etwa Schlagzeug
spielen, Kampfsport probieren oder einfach nur an den
Badesee gehen, werden auch feministische Themen
diskutiert.
1.–11.8. Gutshaus Gantikow, Anmeldung und Infos
unter www.naturfreundejugend-reisen.de
Espressofilm lädt auch diesen Sommer zum Open Air-Kino – diesmal mit einem besonderen Schwerpunkt: der achtteiligen Filmreihe
„rollen.wechsel“, die weibliches (Kurz-)Filmschaffen feiert. Denn:
„Für das Kino – für die Ästhetik seiner Ausdrucksformen und Inhalte – ist eine weibliche Perspektive unerlässlich, damit Film zu dem
wird, was seine Faszination ausmacht.“ (Germaine Dulac, 1925)
44 l an.schläge Juli August 2011
17.7–13.8., Wien
ImPuls Tanz Workshop Festival
für Zeitgenössischen Tanz und
Körperarbeit
Infos und Anmeldung unter
www.impulstanz.com/workshops11
1.7., 19.00, Wien
Alice Pechriggl: Ist die Dialektik in
der Philosophie der Andersheit aufgehoben oder aufgelöst?
Institut Francais de Vienne, Palais
Clam-Gallas, 1090 Wien, Währinger
Straße 30
Espresso, bitte!
Filmstill aus „lezzieflick“ (Nana Swiczinsky, A 2008)
Lesbenverein Intervention e.V., 20357
Hamburg, Glashüttenstr. 2
T. 0049(0)40/24 50 02
www.intervention-hamburg.at
lesung
Die Ausstellung „Entdeckt: Rebellische Künstlerinnen
in der DDR“ zeigt radikale und subversive Werke junger
Künstlerinnen aus der DDR. Die Werke, ausgewählt von
Gastkuratorin Susanne Altmann, sind bislang weitgehend unbekannte Experimentalfilme, Installationen,
Grafiken, Collagen sowie Gemälde von elf avantgardistischen Künstlerinnen.
Wien, Gumpendorfer Straße 10-12,
Di–Fr 13–18.00, T. 01/ 524 09 09
www.igbildendekunst.at
Spielboden Dornbirn, 6850 Dornbirn,
Färbergasse 15, T. 05572/21933,
www.spielboden.at
7.6.–26.8 „espressofilm – Kurzfilm einen Sommer lang“,
Gartenpalais Schönborn, 1080 Wien, Laudongasse 15-19
espressofilm.at
jeden 2. u. 4. Freitag, 17.00, Wien
ARGE Dicke Weiber Treffen – Feministische Initiative dicker Frauen
gegen Gewichtsdiskriminierung und
Schlankheitsterror – für Vielfalt und
positive Selbstbilder,
Infos: argedickweiber.wordpress.com,
argedickeweiber@gmx.at
FZ-Beisl, 1090 Wien, Währingerstraße 59/ Ecke Prechtlgasse
jeden Do u. Fr, 18–24.00, Wien
Feministische Kneipe, für Frauen, Lesben, Transpersonen, Intersexpersonen
Frauencafé, 1080 Wien, Langegasse
11, www.frauencafe.at
jeden Donnerstag, ab 18.00, Graz
Offener Abend im „feel free“ der
„RosaLila PantherInnen“
feel free – steirisches Schwulen- und
an.künden
Lesbenzentrum, 8020 Graz, Annenstraße 26, T. 0316/ 36 66 01
www.homo.at
Impressionen
beratung
9.7., 17–18.30, Feldkirch
Gynäkologische Sprechstunde,
kostenfreie Beratungsgespräche mit
Dr.in Frischeis-Bischofberger, um
Anmeldung wird gebeten unter 05522/
31002 oder info@femail.at
FEMAIL – Fraueninformationszentrum, 6800 Feldkirch, Marktgasse 6
www.femail.at
diverse Termine, Wien
Frauen beraten Frauen – Psychosoziale Beratung, Rechtsberatung, uvm.
1060 Wien, Lehargasse 9/2/17 oder
1010 Wien, Seitenstettengasse
5/7, Mo u. Mi 9.30–12.30, Di u. Do
13–16.00
diverse Termine, Berlin
Frauenkreise – Beratungsangebot für
Frauen: Rechtsberatung, Beratung
und praktische Unterstützung für
Filmerinnen uvm.
Frauenkreise – soziokulturelles Projekt, 10119 Berlin, Choriner Str. 10,
T. 0049(0)30/280 61 85
www.frauenkreise-berlin.de
jeden Donnerstag, Graz
Infotag ZAM Frauenservice
nowa, 8010 Graz, Jakominiplatz 16,
Steinfeldhaus, T. 0316/ 716022
12.7., 19–21.00, Wien
QUEER*FAMILY – Begleitende
Selbsthilfegruppe für les-bi-schwule
Eltern bzw. Familien mit gleichgeschlechtlichen PartnerInnen und
Partnern
Die Ausstellung „Impressionen aus der Alten und neuen Welt“ zeigt
Aquarelle von Lotte Berger-Maringer und Helge Fischer Zoltner. Der Erlös
der Ausstellungen geht an ein Frauenförderungsprojekt der Solidarität mit
Lateinamerika in Guatemala.
Lotte Berger-Maringer
Beratungsstelle COURAGE Wien,
1060 Wien, Windmühlgasse 15/1/7,
T. 01/ 585 69 66
www.courage-beratung.at
radio
fixtermine
Mo 18–19.00, Wien
Khorschid Khanum – Die persischsprachige Frauensendung
Orange 94.0 MHz, Live Stream:
http://o94.at, jeden 1. Mo
Mo 19–20.00, Oberösterreich
52 Radiominuten – Sendung von FIFTITU%, Vernetzungsstelle für Frauen
in Kunst und Kultur in OÖ
Radio FRO, 105.0 MHz (Linz), Live
Stream: http://fro.at, jeden 4. Mo
Mo 18–19.00, Kärnten
Frauenstimmen – Glas zena
Radio Agora 105.5 MHz (Dobrac),
bis 16.7., Schloss St. Martin – Volksbildungsheim des Landes Steiermark,
8054 Graz, Kehlbergstraße 35, Anruf vor der Besichtigung erbeten unter
0316/ 28 36 55
Live Stream:
www.agora.at, wöchentlich
Di, 13–14.00, Wien
Globale Dialoge – Women on Air
Orange 94.0 MHz, Live Stream:
http://o94.at, wöchentlich
So, 19–20.00, Tirol
Weibertalk – Sendung des Autonomen
FrauenLesbenZentrums Innsbruck
FREIRAD 105.9 MHz (Innsbruck),
Live Stream: www.freirad.at,
jeden 1. So
Di, 18–19.00, Wien
Weibertalk – Sendung des Autonomen
FrauenLesbenZentrums Innsbruck
Orange 94.0 MHz, Live Stream:
http://o94.at, jeden 2. Di
Di, 20–21.00, Deutschland
Mrs. Pepsteins Welt – FeminismusAllüren, und Musik, Musik, Musik
Radio Blau 99.2 MHz (Leipzig),
www.mrspepstein.de, jeden 4. Di
Di, 21–22.00, Wien
female:pressure – Feministisches
Magazin zu Musik- und Clubkultur
Orange 94.0 MHz, Live Stream:
http://o94.at, jeden 2. Di
Mi 18–18.30, Salzburg
Frauenzimmer – Plattform für eine
frauenspezifische Information
Radiofabrik 107.5 MHz (Salzburg
Stadt), Live Stream:
www.radiofabrik.at, wöchentlich
Mi 18–19.00, Wien
Bauch, Bein, Po – Die Sendung für die
ganze Frau
Orange 94.0 MHz, Live Stream:
http://o94.at, jeden 2. Mi
Do 18–19.00, Wien
Transgender Radio
Orange 94.0 MHz (in Kooperation
Radio ALEX, Berlin), Live Stream:
http://o94.at, jeden 1. und 3. Do
Foto: After Image Productions
Kinohimmel
Das heurige Programm des Open Air-Filmfestivals
„Kino unter Sternen“ nennt sich „Aus dem Koffer“
und präsentiert Filme über Heimatlose, Vertriebene,
Reisende und GrenzgängerInnen. Was uns besonders
freut: Am Kinohimmel glänzen auch viele Produktionen von Regisseurinnen. Während Ruth Beckermann
etwa in „homemad(e)“ die Marc-Aurel-Straße in
Wien von Sommer 1999 bis Frühling 2000 erkundet,
schweift Lisl Ponger weiter in die Ferne und sammelt
für „Passagen“ (1996) Reisebilder.
1.–24.7., Karlsplatz, Resselpark, 1010 Wien, Infos
und Programm unter www.kinountersternen.at
Fr 18–19.00, Wien
Radio UFF – Sendung des Unabhängigen FrauenForums
Orange 94.0 MHz, Live Stream:
http://o94.at, jeden 1. Fr
Fr 19–20.00, Oberösterreich
SPACEfemFM Frauenradio
Radio FRO 105.0 MHz (Linz), Live
Stream: http://fro.at, jeden 1., 3. u. 4. Fr
Sa 12–13.00, Deutschland
Rainbow City – Radio für Lesben und
Schwule
97.2 MHz (Berlin), Live Stream:
www.radiorainbowcity.de, wöchentlich
Sa 19–20.00, Steiermark
Bertas Bücherstunde – Das feministische Literaturmagazin
Radio Helsinki 92.6 MHz (Graz), Live
Stream: www.helsinki.at, jeden 4. Sa
So 17–18.00, Steiermark
Genderfrequenz – Sozialpolitisch,
feministisch, unbeugsam
Radio Helsinki, 92.6 MHz (Graz), Live
Stream: www.helsinki.at, jeden 2. So
Yvette Mattern, Interview with my Mother, Mulatta/Mestizo, 2008
Installationsansicht
Black Sound, White Cube
Populärkultur sieht nicht nur weiß aus, sie klingt auch
weiß. Zehn internationale bildende Künsterinnen
wollen mit dieser Hegemonie brechen und beschäftigen sich in „Black Sound, White Cube“ mit musikalischen Traditionen der afroantlantischen Diaspora. Die
Ausstellung, die 2010 bereits Innsbruck gezeigt wurde,
basiert auf der gleichnamigen Publikation von Ina
Wudke und Dieter Lesage, die nun auch in deutscher
Ausgabe beim Wiener Löcker-Verlag erscheint.
10.7.–28.8., Black Sound, White Cube, Kunstquartier
Bethanien/Studio 1, 10997 Berlin, Mariannenplatz 2,
www.blacksoundwhitecube.com, täglich 12–19.00
Juli August 2011 an.schläge l 45
Vorschau auf die September-Ausgabe:
Rassismus im Feminismus
Was tun, wenn die Innenministerin „den Feminismus“ entdeckt?
„Top Girls“
Angela McRobbie im Interview über das vermeintliche Ende
des Feminismus.
an.schläge-Abopreise:
Schnupperabo (3 Hefte): 10/12* Euro
Jahresabo (10 Hefte): 35/ermäßigt 29/45* Euro
Unterstützungsabo (10 Hefte): 43/53* Euro
* Gültig für Europa, weitere Auslandspreise auf Anfrage.
Weitere Infos unter abo@anschlaege.at oder auf
www.anschlaege.at.
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auf OKTO
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www.okto.tv
an.schläge gibt’s in folgenden Buchhandlungen:
Fachbuchhandlung ÖGB
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Kuppitsch
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Morawa 1010
Winter
1010
Frick International
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1010
Facultas
1010
Lhotzkys Literaturbuffet 1020
Südwind
1070
Tabak Trafik Brosenbauch 1070
Riedl
1080
Löwenherz
1090
Südwind
1090
Infoladen Infomaden
1110
Infoladen Treibsand
4040
Kulturverein Waschaecht 4600
Rupertusbuchhandlung
5020
Wagnersche Buchhdlg.
6020
Amazone-Zentrum
6900
Berta – Bücher & Produkte 8020
KiG! Kultur_in_Graz
8020
Hacek-Bücherei
9020
Rathausstr. 21
Schottengasse 4
Wollzeile 11
Rathausstr. 18
1010 Schulerstr. 1-3
Johannesgasse 16
Universitätsstr. 7
Taborstr. 28
Mariahilferstr. 8
Kaiserstr. 96
Alser Str. 39
Berggasse 8
Schwarzspanierstr. 15
Wielandgasse 2-4
Rudolfstr. 17
Dragonenstr. 22
Dreifaltigkeitsgasse 12
Museumstr. 4
Brockmanngasse 15
Siebenundvierzigergasse 27
Feuerbachgasse 25
Paulitschgasse 5/7
und auch in vielen Städten in Deutschland.
Vollständige Liste der Verkaufsstellen auf:
zappho des monats
www.anschlaege.at
www.myspace.com/an.schlaege
www.facebook.com/anschlaege
46 l an.schläge Juli August 2011
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