Big Data – eine riesige Herausforderung
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Big Data – eine riesige Herausforderung
TOPICS Magazin Zeitschrift für Versicherer Fakten, Märkte, Positionen Ausgabe 1/2015 Big Data – eine riesige Herausforderung Weltweit werden immer mehr Daten generiert. Ihre Auswertung könnte viele Geschäftsprozesse in der Assekuranz verbessern. Doch wie lassen sich die Chancen nutzen ? Seite 32 Marine Wachstumsmärkte im Fokus Markt Kanada Die Aussichten: heiter bis wolkig Motormarkt Großbritannien als Trendsetter Vorwort Liebe Leserinnen und Leser, Big Data, dieses Schlagwort ist in aller Munde. Doch was die Analyse der immer umfangreicheren Daten für die Versicherer mittelfristig t atsächlich bedeutet, ist momentan schwer abzuschätzen. Daher nähern wir uns bei Munich Re dem Thema schrittweise, um Chancen und Risiken auszuloten. So haben wir im Herbst vergangenen Jahres fünf Pilotprojekte ins Leben gerufen, mit denen wir anhand konkret definierter Zielsetzungen untersuchen wollen, wo und wie sich Geschäftsprozesse, Risikomanagement und Underwriting tatsächlich verbessern lassen. Ein Beispiel stellen wir ab Seite 34 vor. Spricht man von Nordamerika, denken die meisten erst einmal an die USA. Doch Kanada, flächenmäßig sogar das größere Land, hat viel Potenzial. Dank seines Rohstoffreichtums ist es sehr wohlhabend und hat auch die Finanzkrise am besten von allen G7-Staaten bewältigt. Doch die boomenden Metropolen mit ihren Wertekonzentrationen werden immer häufiger von wetterbedingten Naturkatastrophen bedroht. Mehr dazu lesen Sie ab Seite 12 und auf Seite 46. Last but not least stellen wir Ihnen in diesem Heft unsere neue Aufstellung im Marinegeschäft vor. John C. Wilkinson spricht in einem Interview ab Seite 42 über die gemeinsamen Ziele seiner Einheit sowie über die Herausforderungen, denen sich die Branche stellen muss. München, im Januar 2015 Torsten Jeworrek Mitglied des Vorstands von Munich Re und Vorsitzender des Rückversicherungsausschusses NOT IF, BUT HOW Munich Re Topics Magazin 1/2015 1 Marktporträt Kanada Kanada, das zweitgrößte Land der Welt, ist ein beliebtes Ziel von Einwanderern; sehr viele kommen aus Asien. Inzwischen existiert in Vancouver die drittgrößte chinesische Gemeinschaft außerhalb der Volksrepublik. Doch der Wohlstand des Landes wird immer häufiger durch heftige Unwetter, Stürme und Überschwem mungen bedroht, die auch die Bilanzen der kanadischen Sachversicherer i n den vergangenen Jahren stark durchgeschüttelt haben. 2 Munich Re Topics Magazin 1/2015 12 Inhalt Niedrige Zinsen, steigende Schaden summen, enge Margen: Der britische Kfz-Versicherungsmarkt ist in einer schwierigen Lage. Gleichzeitig ist der geschäftliche Trend möglicherweise richtungsweisend. 26 Enterprise risk management Risikomanagement und Geschäftssteuerung wachsen zusammen Weltweit sind die Aufsichtssysteme im Umbruch. Eine ganzheitliche Unternehmenssteuerung wird dabei immer wichtiger. marktporträt Kanada Die Aussichten: heiter bis wolkig Dank seines Rohstoffreichtums gehört Kanada zu den wohlhabendsten Ländern der Welt, doch die zunehmende Wertekonzentration birgt Risiken. 6 12 Keine Ruhe nach dem Sturm Wetterbedingte Naturgefahren machen den Versicherern zu schaffen. 16 Wir wollen stärkere Akzente setzen Philipp Wassenberg, CEO in Kanada, über die bevorstehenden Herausforderungen. 20 Leben mit der neuen Normalität Die kanadischen Versicherer müssen sich mit der neuen Exponierung auseinandersetzen. 22 Die Analyse ist bei Big Data der Knackpunkt: Nur wenn aus den vorhandenen Daten die richtigen Schlüsse gezogen werden, lassen sich auch die Geschäfts prozesse verbessern. 32 Motormarkt Großbritannien als Trendsetter Von vielen Entwicklungen können andere Märkte lernen. big data Eine riesige Herausforderung Wie lassen sich die Chancen nutzen, die die neuen technischen Möglichkeiten versprechen? 26 32 Marine In den Wachstumsmärkten können wir 42 am meisten bewegen John C. Wilkinson über die Besonderheiten des Marine-Markts und die Ziele der neu gegründeten Einheit Global Marine Partnership. Vorwort1 Unternehmensnachrichten4 Rezension41 Kolumne46 Impressum48 Munich Re Topics Magazin 1/2015 3 UnternehmensNachrichten Knowledge in dialogue Client seminar programme 2015 Veranstaltung Munich Re Kundenseminare Big Data and Business Analytics Conference Preis für nachhaltiges Wirtschaften verliehen Knowledge in dialogue 2015 Big Data und Business Analytics gewinnen immer mehr Bedeutung für die Wertschöpfungskette von Versicherungsunternehmen. Dies gilt insbesondere für die Gesundheitsversicherung. Doch was versteckt sich hinter diesen Schlagworten? Am 5. Dezember 2014 wurde Munich Re im Rahmen des Deutschen Wirtschaftsforums in Frankfurt der „Deutsche Investorenpreis für verantwortliches Wirtschaften“ verliehen, den Vorstandsmitglied Jörg Schneider (2. v. l.) entgegennahm. Das neue Kundenseminar- Programm „Knowledge in dialogue 2015” ist da. Auch im kommenden Jahr bieten wir unseren internatio nalen Kunden ein umfangreiches Programm an Seminaren und Workshops. Zur Auswahl stehen Angebote zu allen wichtigen Versicherungs sparten wie auch zu speziellen Themenbereichen, etwa „Financial lines insurance“ oder „Enterprise risk management“. Die „Munich Health Big Data and Business Analytics Conference“, die am 19. und 20. März 2015 in München stattfindet, möchte darauf Antworten geben. Renommierte Referenten werden hier ihr Fach wissen einbringen und mit den Teilnehmern über Praxisanwendungen etwa beim Betrugsmanagement oder beim Customer-RelationshipManagement diskutieren. >>Bitte wenden Sie sich an Ihren Client Manager, wenn Sie dabei sein möchten. Gut 160 deutsche Unternehmen urden für diese Auszeichnung von w einer Jury quantitativ auf der Grundlage der DVFA/EFFAS „Key Performance Indicators for Extra-/ Non-Financials“ und SustainalyticsKerndaten analysiert. Doch die Auswahl des Siegers beruht nicht allein auf diesen Zahlen. Der Gewinner muss auch den qualitativen Anforderungen des Environmental, Social & Governance-Panels gerecht werden. Und dieses ist zu dem Schluss gekommen, dass Munich Re diesen Ansprüchen in besonderer Weise gerecht wird. >> Bitte sprechen Sie Ihren Client Manager an, wenn Sie an einem Seminar teilnehmen möchten. Kurznachrichten Unsere Ingenieure begleiten Großprojekte weltweit und unterstützen Kunden mit ihrer technischen Expertise bei der erfolgreichen Umsetzung und darüber hinaus. In unserem neuen kostenlosen E-Mail-Engineering-News letter berichten wir über spannende Engineering-Projekte aus aller Welt. >> A bonnieren Sie den Newsletter unter www.munichre.com/de/engineering-news Am 3. und 4. März 2015 veranstaltet Munich Re in Dubai eine Claims Conference für Kunden aus Afrika und Asien. Unter dem Titel „The clock is ticking“ werden die Themen „Business Interruption“ und „Delay in start up“ aus verschiedenen Perspektiven beleuchtet und diskutiert. 4 Munich Re Topics Magazin 1/2015 Diszipliniertes wie kreatives Zyklusmanagement einerseits und Innovation andererseits: Das sind die beiden Säulen unserer Strategie. Und um die Innovations fähigkeit zu stärken, geht Munich Re nun auch ganz neue Wege: Im ersten Quartal schickt sie drei Inno-Scouts, Tobias Farny, August Pröbstl und Bob Mozeika, für ein Jahr nach Silicon Valley. Dort sollen sie beobachten, ausprobieren, lernen und unbekanntes Terrain erkunden. Denn, so Torsten Jeworrek, „wir brauchen kreative und intelligente Lösungen für die relevanten Risiken der digitalisierten Welt“. UnternehmensNachrichten Alles im Blick: unsere Twitter-Timeline. Blick hinter die Kulissen: Live-Tweets von Veranstaltungen. Statistiken, Hintergründe und Positionen zu aktuellen Themen. Informationen zu Produkten und Services. Social Media Twittern Sie mit uns ! Seit einigen Jahren sind wir auch in den Sozialen Medien aktiv. Ein Beispiel ist unser Twitter-Account www.twitter.com/MunichRe. Hier finden Sie neueste Informationen zu Veranstaltungen, Kommentare zu aktuellen Ereignissen oder übergreifenden Themen, die Assekuranz und Wirtschaft bewegen, oder auch Blicke hinter die Kulissen. Folgen Sie uns, um auf dem Laufenden zu bleiben. Und tweeten Sie uns Ihre Fragen zum Unternehmen, zu seinen Produkten oder Services. Wir freuen uns auf Ihre Nachricht! Für spezielle, vertiefte Rückversicherungsthemen bieten wir sogar einen eigenen ww.twitter.com/MunichRe_InFocus. Die Links zu unseren anderen SocialKanal w Media-Kanälen finden Sie auf Seite 48 des Magazins. Klicken Sie einfach mal rein ! Munich Re Topics Magazin 1/2015 5 Enterprise Risk Management Risikomanagement und Geschäftssteuerung wachsen zusammen Weltweit sind die Aufsichtssysteme im Umbruch. Topics sprach mit Bernhard Kaufmann und Jürgen Dümont über die Herausforderungen bei der unternehmensweiten Risikosteuerung und die Veränderungen im Zuge von Solvency II. Topics: Herr Kaufmann, seit einem Jahr sind Sie für das konzernweite Risikomanagement von Munich Re verantwortlich. Gab es in den ver gangenen Monaten ein bestimmtes Thema, das Sie besonders beschäftigt hat? Bernhard Kaufmann: Tatsächlich haben sich die Schwerpunkte im Risikomanagement in den vergangenen Jahren nicht groß verändert. Bereits sehr lange treiben uns die Vorbereitungen auf das neue euro päische Solvenzsystem um. Unsere wichtigste Aufgabe bestand darin, ein internes Modell zu entwickeln, mit dem wir künftig unseren Kapitalbedarf unter Solvency II ermitteln wollen. Darüber hinaus mussten wir ein breites Spektrum an Aufgaben bewältigen, die alle damit im Zusammenhang stehen. Es reichte von Governance-Fragen bis hin zu spe ziellen Reportanforderungen der Aufsichtsbehörden. Der zweite Schwerpunkt, der immer mehr an Gewicht gewinnt, ist das Thema Business Enabling: Wie lassen sich die Erkenntnisse, die wir im Risikomanagement gewinnen, im operativen Geschäft umsetzen? Wie nutzen wir das Knowhow am besten, um unseren Kunden Produkte mit einem besonderen Mehrwert anbieten zu können? 6 Munich Re Topics Magazin 1/2015 Welche Ziele stehen bei Ihrer Arbeit an oberster Stelle? Kaufmann: Das Integrated Risk Management von Munich Re in München verantwortet das gruppenweite Risikomanagement. Ziel ist, versicherungstechnische Risiken, Risiken auf der Aktivseite sowie operative Risiken gesamthaft für das Unternehmen zu beobachten und zu bewerten. Dadurch schaffen wir Transparenz und ermöglichen es, diese Risiken aktiv zu steuern. Wie wichtig dieser Gesamtblick ist, haben uns die Erfahrungen aus den Jahren 2001/2002 gelehrt. Im damaligen Kapitalmarktumfeld trafen uns Risiken auf der Aktivseite, die unser Rating gefährdeten und dadurch negativ auf das Kerngeschäft Rückversicherung auszustrahlen drohten. ordergrund. Somit spielen etwa V operationelle Risiken eine große Rolle. Bei Munich Re verstehen wir das Risikomanagement als eine Klammer zwischen Erst- und Rückversicherung. Weil wir uns mit Themen aus beiden Bereichen aus einandersetzen müssen, ist das Knowhow aus beiden Geschäftsfeldern sehr wichtig. Aus erster Hand mitzubekommen, welche Themen in der Erstversicherung gerade relevant sind, kommt uns aber auch zugute, wenn wir Produkte für unsere Rückversicherungskunden entwickeln. Jürgen Dümont: Auch bei der Umstellung auf Solvency II treten immer wieder Fragen auf, die uns intern beschäftigen, von denen wir aber zugleich wissen, dass sie auch unsere Kunden betreffen. So lässt sich gut eine B rücke schlagen. Sie bringen Erfahrungen aus der Erst- und Rückversicherung mit. Wie hilft Ihnen das bei Ihrer neuen Aufgabe? Wie stellen Sie sicher, dass Marktveränderungen oder Emerging Risks nicht verschlafen werden? Kaufmann: Bei einem Rückversicherer steht die Übernahme von Spitzen risiken wie Naturkatastrophen, Pandemierisiken und anderen Großrisiken primär von Versicherungs unternehmen im Mittelpunkt. Darauf zielen auch die Steuerungsprozesse ab. In der Erstversicherung stehen hingegen Produkte für sehr breite Kundengruppen, deren Vertrieb und die entsprechenden Operations im Kaufmann: Gerade als weltgrößter Rückversicherer ist es wichtig, das Thema Emerging Risks im Blick zu behalten, mögliche Entwicklungen vorwegzunehmen und zu analysieren. Um sicherzustellen, dass wir hier stets auf dem Laufenden sind, existiert im Risikomanagement eine eigene Gruppe dafür. Damit sich das nicht zu einer reinen Trockenübung auswächst, haben wir eine enge Enterprise Risk Management Bernhard Kaufmann ist seit Anfang 2013 Chief Risk Officer von Munich Re. Jürgen Dümont leitet die Einheit Solvency Consulting. erzahnung mit dem Knowhow der V Fachbereiche etabliert, etwa über den Emerging Risk Think Tank. Hier sind Kolleginnen und Kollegen aus den anderen Fachbereichen, darunter Underwriter, Juristen, Geologen, Mathematiker, Physiker und Mediziner, aktiv involviert. Der Vorteil dieses Gremiums ist, dass es Raum für unkonventionelle Ansätze und vielfältige Perspektiven bietet. Durch die enge Vernetzung mit unterschied lichen Bereichen bekommen wir ein umfassendes Bild. Was treibt Sie gerade um im Think Tank? Kaufmann: Ein gutes Dutzend Emerging Risks haben wir ständig auf dem Monitor. Auf der makroökonomischen Seite sind das momentan vor allem die geopolitischen Entwicklungen und die möglichen Rückwirkungen auf die Stabilität der Eurozone. Andere Themen sind der demografische Wandel, die Klimaveränderung, neue Technologien oder IT-Risiken. Gerade im Bereich Cyberrisiken erleben wir eine große Dynamik. In vielen Firmen wächst das Bewusstsein dafür, wie teuer sie eine Panne mit sensiblen Kunden daten kommen kann, und die Verantwortlichen suchen nach Lösungen. Innerhalb weniger Jahre hat sich hier ein theoretisch als Gefahr erkanntes Phänomen zu tatsächlichen Schadenereignissen ausgewachsen und einige Versicherer bereits Geld gekostet. Das ist ein gutes Beispiel dafür, wie schnell Emerging Risks sich entwickeln können. Bei Munich Re gehört das integrierte Risikomanagement zum Kern geschäft. Wie gut ist die Branche hier insgesamt aufgestellt? Kaufmann: Der Trend zu einer umfassenden Analyse von Risiken ist unverkennbar. In Deutschland beispielsweise hat das 1998 verabschiedete Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich die Entwicklung in diese Richtung angeschoben. Damals war das Risiko management noch überwiegend als Kontrollfunktion aufgesetzt. Im Rahmen der Diskussionen zu Solvency II hat sich das weiterentwickelt hin zu einem proaktiveren Rollenverständnis von Risikomanagement. Diesen Wandel sind wir bei Munich Re kontinuierlich mitgegangen. Allerdings sind nicht alle Unternehmen und Märkte da ebenso weit. Spielt dabei die Größe eines Unternehmens eine Rolle? Kaufmann: Ich würde eher sagen, dass das primär mit der Unternehmenskultur zu tun hat. Wenn wie bei uns der Vorstand das Risikomanagement als einen integralen Bestandteil des Geschäftsmodells ansieht und diese Ansicht im Konzern aktiv pro- pagiert und gelebt wird, dann erhält das Thema eine Unterstützung, die woanders möglicherweise fehlt. Inwieweit kann man andere Unternehmen bei diesem Prozess unterstützen? Dümont: Der Impuls muss letztlich vom Unternehmen selbst ausgehen. Das heutige Risikomanagement bei Munich Re hat seinen Ursprung in der schwierigen Zeit kurz nach der Jahrtausendwende. Viele Unter nehmen blieben – glücklicherweise – von derartigen Erfahrungen verschont und nähern sich dem Thema erst jetzt mit voller Kraft. Während also bei uns schon seit geraumer Zeit die Verzahnung von Geschäftssteuerung und Risikomanagement im Vordergrund steht, sind bei vielen unserer Kunden, gerade auf kleineren Märkten, regulatorische Veränderungen wie Solvency II die treibende Kraft. Den Kunden wird aber auch mehr und mehr bewusst, dass Risikomanagement wertvolle Elemente für die Geschäftssteuerung bietet. Selbst in Märkten, in denen kein regulatorischer Druck herrscht, denken zumindest die größeren Unternehmen v erstärkt darüber nach, wie sie durch Risikomanagement einen Wettbewerbsvorteil erzielen können. Munich Re Topics Magazin 1/2015 7 Enterprise Risk Management Das Risikomanagement kann wertvolle Impulse für das operative Geschäft liefern. Bernhard Kaufmann Weltweit sind die regulatorischen Aufsichtssysteme in Bewegung. Stellen sie die Versicherer vor ähnliche Herausforderungen oder wo l iegen die Unterschiede zu S olvency II? Dümont: Der gemeinsame Nenner ist das, was man bei Solvency II als die zweite, die qualitative Säule kennt – die Vorschriften zum Risikomanagement und zum GovernanceSystem. Auch beim aufsichtsrecht lichen Prozess lassen sich viele Ähnlichkeiten rund um die Welt erkennen. Ein einfaches Beispiel ist die Trennung von Risikonahme und Risikokontrolle, ein fundamentales Prinzip des Risikomanagements. Große Unterschiede bestehen dagegen in der quantitativen Behandlung der Risiken sowie beim Aufstellen der Solvenzbilanz. Bei Solvency II hat man sich mit der ökonomischen Bilanz für einen strengen Ansatz entschieden. Andere Aufsichtsregime haben weniger strikte Anforde rungen. Bei der dritten Säule, dem Berichtswesen, betreiben wir in Europa sicherlich den größten Aufwand, was der hohen Komplexität geschuldet ist. 8 Munich Re Topics Magazin 1/2015 Wie stehen Sie zu den Bestrebungen der Aufsichtsbehörden, mit ComFrame einen globalen Kapitalstandard für Versicherer zu etablieren, um die Kapitalanforderungen weltweit vergleichbar zu machen? Was bedeutet das für Solvency II, muss man erneut umdenken? Dümont: Noch ist ComFrame nicht in Kraft, und die USA sind keine großen Freunde der Bestrebungen. Ihr System hat sie gut durch die Finanzkrise gebracht, daher sind sie wenig geneigt, etwas daran zu ändern. Falls ComFrame kommt, erwarte ich nicht, dass wir an unserer Kapitalausstattung etwas ändern müssen. Wir müssten uns aber mit den – vermutlich vielschichtigen – Vorgaben einer weiteren Institution auseinander setzen. Kaufmann: Solvency II besticht ja gerade dadurch, dass sich die Erkenntnisse für die Geschäfts steuerung nutzen lassen. Wenn wir nun ein globales Solvenzregime bekämen, das die Kapitalstandards nach anderen Prinzipien ermittelt, könnte es problematisch werden. Wir müssen dann möglicherweise Entscheidungen, die wir intern für sinnvoll erachten, überdenken, weil sie unter ComFrame zu einem höheren Kapitalbedarf führen. Dann hätten wir ein Management- und Steuerungsproblem. Deshalb ist es unser Anliegen, dass ComFrame auf ähn lichen Prinzipien basiert wie Solvency II. Da die Amerikaner aber schon bei den Prinzipien unterschiedliche Auffassungen vertreten, werden sich Lösungen, die allen gerecht werden, nur schwer finden lassen. Wird es unter diesen Voraussetzungen überhaupt zu weltweit einheit lichen Standards kommen? Kaufmann: Davon bin ich überzeugt. Ob sie sich auf alle Säulen der regulatorischen Welt beziehen oder nur auf Säule 2 und die quantitative Thematik außen vor bleibt, werden wir sehen müssen. Dümont: Im Grunde existiert ja schon ein einheitlicher Standard, die Insurance Core Principles der International Association of Insurance Supervisors. Das ist die Blaupause für eine moderne Aufsicht und liest sich in vielen Zügen wie Solvency II. So wird etwa eine vernünftige Bilanz nach ökonomischen Prinzipien gefordert. Der Unterschied: Die Bestimmungen sind weniger detailliert und die quantitativen Vorgaben nicht spezifiziert. Die Grundprinzipien wären also vorhanden, doch wenn es um die konkrete Umsetzung geht, wird es schwierig, alle Interessen unter einen Hut zu bekommen. Enterprise Risk Management Eine Reihe von Erstversicherern wurde bereits als systemrelevant eingestuft. Jetzt gibt es Bestrebungen, auch Rückversicherer in diese Liste einzubeziehen. Was halten Sie davon? Kaufmann: Ich kann nicht erkennen, inwieweit der Ausfall eines Rück versicherers eine systemische Krise auslösen würde. Diese Auffassung vertreten wir auch bei den relevanten Entscheidungsprozessen. Meiner Ansicht nach ist die ganze Diskussion politisch getrieben. Die Politik ist bestrebt, dass künftig kein Finanzinstitut mehr in einer prekären Situation vom Staat und damit vom Steuerzahler gerettet werden muss. Das ist auch nachvollziehbar. Doch es wird sehr pauschal argumentiert, und man schert Banken, Erst- sowie Rückversicherer über einen Kamm. Große Banken gelten aufgrund der engen Vernetzung untereinander zu Recht als systemrelevant, bei Rückversicherern ist diese Vernetzung nicht gegeben. Dümont: Die Definition, wer systemrelevant ist, entstand in einem bürokratischen Prozess, mit Größe und Vernetzung untereinander als wichtigste Kriterien. Unserer Ansicht nach wurde dabei die Größe zu stark gewichtet, die Verflechtung kam zu kurz. Unter diesen Voraussetzungen liegt es natürlich nahe, die großen Versicherer in die Kategorie systemrelevant einzuordnen. Die Einführung von Solvency II in der EU ist mehrmals verschoben worden. Sind Sie froh, dass es 2016 endlich so weit ist? Kaufmann: Wenn unser internes Modell im nächsten Jahr tatsächlich zertifiziert wird und Solvency II dann einige Monate später beginnt, sind wir alle erst einmal erleichtert. Dann können wir endlich einen Haken hinter die ganzen Vorbereitungen machen, die wir in der Gruppe betrieben haben. Wir sind vor allem aber auch deshalb froh, weil wir uns dann verstärkt dem Thema Business Enabling widmen können sowie der Frage, wie wir uns in der Steuerung noch besser verzahnen. Wie weit sind die Vorbereitungen zu Solvency II auf dem Gesamtmarkt gediehen? Kaufmann: Es gibt ein paar Unternehmen, die wie wir bereits seit Längerem ein internes Modell verfolgen. Doch die kann man etwa in Deutschland an einer Hand abzählen. Die Konsequenz ist ein zweigeteilter Markt: Einige wenige sind bestens vorbereitet, stehen in engem Dialog mit der Aufsicht und haben ein sehr klares Bild, was auf sie zukommt. Die breite Masse, die sich jetzt auf Solvency II vorzubereiten beginnt, bekommt erst langsam ein Gefühl dafür, welche Facetten das neue Solvenzregime mit sich bringt. Gibt es in diesem Zusammenhang viele Anfragen an Solvency Consulting? Dümont: Eindeutig. Wir haben schon in den vergangenen Jahren ein großes Interesse festgestellt. Die ständigen Terminverschiebungen bei Solvency II waren allerdings nicht sehr hilfreich, um die Spannung aufrecht zu erhalten. Gerade kleinere Kunden haben noch viele Fragen. Was passiert, wenn ein Unternehmen die Solvency-II-Anforderungen nicht erfüllt? Dümont: Es ist schwer vorherzusehen, wie die Aufsicht reagieren wird, wenn ein Versicherer nicht perfekt vorbereitet ist. Die Beratungsgesellschaft Ernst & Young hat kürzlich eine Studie veröffentlicht, wonach nur 80 Prozent der Unternehmen in Europa bis zum 1. Januar 2016 die Solvency-II-Vorschriften voll erfüllen. Das heißt im Umkehrschluss, jeder fünfte Versicherer ist nicht ausreichend vorbereitet. Die Reaktion der Behörden wird sicher davon abhängen, wie schwer die Versäumnisse sind. Da müssen wir abwarten, welche Aufsichtspraxis sich eta bliert. Munich Re Topics Magazin 1/2015 9 Enterprise Risk Management Regulatorische Veränderungen sind die treibende Kraft für die bessere Verzahnung von Geschäftssteuerung und Risikomanagement. Jürgen Dümont Sind durch Solvency II Änderungen in der Zeichnungspolitik von Munich Re zu erwarten? Kaufmann: Dadurch, dass wir unsere interne Steuerung schon länger an ökonomischen Prinzipien ausgerichtet haben, erfüllen wir die Anforderungen von Solvency II, sowohl was die Versicherungstechnik betrifft als auch bei den Kapitalanlagen. Deshalb erwarte ich für die interne Steuerung in der Rückversicherung sowie die Zeichnungspolitik eigentlich keine Veränderung. Unter Solvency II steigt die Bedeutung von Rückversicherung, da sie künftig eine unmittelbare Bilanzwirkung entfaltet. Welche Auswirkungen dürfte das haben? Dümont: Ich würde durchaus eine stärkere Nachfrage erwarten. Ein Teil der Unternehmen wird feststellen, dass ihre Kapitalausstattung nicht ausreicht, und sich über Rückver sicherung Entlastung verschaffen. Andere werden sich für einen Sicherheitspuffer entscheiden, bis sie sich an das neue Regime gewöhnt haben. Mittelfristig wird sich die Motivation des Rückversicherungseinkaufs verändern. Zum Risikotransfer wird die Funktion des Kapitalmanagements hinzukommen, was jetzt noch eine Sonderrechnung ist. In bestimmten Ländern und Branchen, beispielsweise im kanadischen Leben-Geschäft, 10 Munich Re Topics Magazin 1/2015 beobachten wir diese Kundenmo tivation allerdings bereits seit Längerem. Dort hat sich das Kapital management zu einer treibenden Kraft entwickelt. Wird Solvency Consulting unsere Kunden auch nach der Implemen tierung weiter unterstützen? Dümont: Ich denke, es wäre vermessen zu sagen, dass mit der Implementierung von Solvency II noch ein enormer Beratungsbedarf besteht. Doch dass man das Regime scharfschaltet, heißt andererseits nicht, dass damit auf einen Schlag unsere Arbeit beendet wäre. Die Kunden sollten auch danach die Möglichkeit haben, bei Fragen zu Solvency II einen kompetenten Ansprechpartner zu finden. Darüber hinaus entstehen ja unter anderem in Asien und Lateinamerika derzeit neue Aufsichtsregimes, bei denen unsere Kunden eine ähnliche Unterstützung benötigen – und bekommen sollen. Ist Ihr Geschäft geointelligent genug? Wer heute Risiken ganzheitlich managen will, muss das räumliche Umfeld exakt kennen. Mit der NATHAN Risk Suite können Sie Naturgefahrenrisiken adressgenau einschätzen und ganze Risikobestände analysieren – und das weltweit. UNSERE LÖSUNGEN, IHR ERFOLG Mit der NATHAN Risk Suite profitieren Sie von – ortsgenauem Wissen für eine maßgeschneiderte Tarifierung, – transparenten Zusammenhängen für klare Entscheidungen sowie – mehr Wissen für eine optimale Risikostreuung. Für weitere Informationen kontaktieren Sie bitte Ihren Client Manager oder besuchen Sie connect.munichre.com not if, but how Munich Re Topics Magazin 1/2015 11 Kanada Die Aussichten: heiter bis wolkig Kanada gehört zu den wohlhabendsten Ländern der Welt und ist ein begehrtes Ziel für Einwanderer. Doch die boomenden Metropolen mit ihren wachsenden Wertekonzentrationen bergen für die Versicherer Risiken. Die extremen Schäden aus wetterbedingten Naturkatastrophen im Jahr 2013 machten dies sehr deutlich. von Till Heydel und David Flikkema Das mit einer Fläche von knapp zehn Millionen Qua dratkilometern zweitgrößte Land der Welt übt bis heute eine besondere Anziehungskraft aus. Eine grandiose Natur und reiche Bodenschätze locken Abenteurer und Entdecker aus aller Welt an. Doch weite Teile des Nordens sind bis heute unbesiedelt, der Großteil der Bevölkerung lebt in einem etwa 200 Kilometer schmalen Streifen entlang der Grenze zu den USA und an den Küsten. Die Mehrheit der gut 35 Millionen Kanadier lebt in den Städten im Süden des Landes. Unwetterschäden häufen sich Das Jahr 2013 war im Hinblick auf Extremwetter gleich in mehrfacher Weise bemerkenswert: Die Überschwemmungen in der Provinz Alberta und das heftige Unwetter über der Millionenstadt Toronto entpuppten sich als der teuerste bzw. drittteuerste versicherte Schaden in der Geschichte des Landes. Beide Ereignisse fanden innerhalb weniger Wochen im Juni bzw. Juli statt, wodurch sich ein weiteres Novum ergab: Erstmals traten innerhalb eines Jahres zwei Naturkatastrophen auf, deren volkswirtschaft liche Schäden die Marke von jeweils 1,65 Milliarden kanadischen Dollar (1,5 Milliarden US-Dollar) über schritten. Das Häusermeer von Toronto. Die Mehrheit der gut 35 Millionen Kanadier lebt in den Städten im Süden des Landes. Munich Re Topics Magazin 1/2015 13 kanada Und schließlich war 2014 das sechste Jahr in Folge, in dem die Versicherer Schäden durch Extremwetter von mehr als einer Milliarde kanadischen Dollar regu lieren mussten. Ein Trend, der sich möglicherweise fortsetzen wird. Denn die Metropolen und damit auch die Konzentration von Werten werden weiter stark wachsen, auch aufgrund des stetigen Zustroms an Einwanderern. In seiner Geschichte blickt das Land auf eine Reihe von Immigrationswellen zurück. Heute dominieren Einwanderer aus Asien. Sie stellen den Löwenanteil der Neuankömmlinge und prägen mancherorts das Stadtbild. In Vancouver im Südwesten der Provinz British Columbia hat sich inzwischen die drittgrößte chinesische Gemeinschaft außerhalb der Volksre publik entwickelt. Stammte dort 2006 knapp jeder fünfte Einwohner (18 Prozent) aus China, dürften es nach einer von der Einwanderungsbehörde Citizen ship and Immigration Canada in Auftrag gegebenen Studie 2031 rund 23 Prozent sein. Auch der Strom der Zuwanderer aus Afrika, der Karibik sowie aus Mit tel- und Südamerika hat über die Jahre zugenommen. Insgesamt sind gut 20 Prozent der Bewohner des Landes laut Statistikamt im Ausland geboren, so viel wie sonst in keinem anderen G7-Staat. Rohstoffe und Energie dominieren Wirtschaftlich steht Kanada, nicht zuletzt wegen seiner Einwanderer, äußerst erfolgreich da. Mit einem Bruttoinlandsprodukt von fast 1,9 Billionen kanadi schen Dollar im Jahr 2013 ist es die elftgrößte Volks wirtschaft der Welt. Es verfügt nach Saudi-Arabien über die zweitgrößten Rohölreserven, vor allem in Form von Ölsand in der Provinz Alberta. Zu den wichtigsten Sektoren gehören neben den Bereichen Rohstoffe und Energie auch Industrie und Landwirtschaft. Obwohl die Wirtschaft dank eines starken Banken sektors und einer soliden Haushaltspolitik gut durch die globale Wirtschaftkrise 2008/09 gekommen ist, konnten sich die in hohem Maß exportabhängigen Unternehmen nicht dem globalen Abschwung ent ziehen. Wichtige ökonomische Kennzahlen wie die Arbeitslosenquote (siehe Abb. 1) haben ihr Vorkrisen niveau noch nicht wieder erreicht, auch weil der Industriesektor aufgrund nachlassender Produktivität innerhalb des Nordamerikanischen Freihandelsab kommens NAFTA an Stellenwert verloren hat. Die damit verbundenen Strukturprobleme betreffen vor rangig die östlichen Landesteile. Dagegen profitieren die westlichen Provinzen – vor allem British Columbia und Alberta – vom Rohstoffreichtum und der wach senden Bedeutung des Handels mit den pazifischen Anrainerstaaten. Allerdings war der Beitrag der Exportwirtschaft zum Wachstum zuletzt eher verhal ten, und das kanadische Wirtschaftswachstum fiel in den vergangenen Jahren schwächer aus als in ande ren rohstoffexportierenden Ländern. Private Verschuldung gibt Anlass zur Sorge Insbesondere den ausgabefreudigen Verbrauchern und dem regen Wohnungsbau war es zu verdanken, dass die Konjunktur während der globalen Wirt schaftskrise nicht stärker nachgegeben hat. Kehrseite der Medaille ist die hohe Verschuldung der privaten Haushalte. Laut der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) stieg die private Verschuldung zwischen 2007 und 2012 auf 165 (143) Prozent des verfügbaren Einkommens. Das ist unter den G7-Staaten ein Spitzenwert. In den USA lag dieser Wert 2012 bei 111 Prozent, in Japan bei 123 Prozent und in Deutschland bei 93 Prozent. Abb. 1: Bruttoinlandsprodukt und Arbeitslosenquote in % 9,0 8,0 7,0 6,0 5,0 4,0 3,0 2,0 1,0 0,0 -1,0 -2,0 -3,0 9,0 8,0 7,0 6,0 Seit 2010 sinkt die Arbeitslosen quote kontinuierlich, dennoch liegt sie noch etwas höher als vor der Finanzkrise. 5,0 4,0 3,0 2,0 Im Zuge der Finanzkrise war das Bruttoinlandsprodukt spürbar eingebrochen, hat sich jedoch schnell erholt. 1,0 0,0 – 1,0 – 2,0 * Prognose – 3,0 2006 2006 14 2007 2007 2008 2008 2009 2009 2010 2010 Munich Re Topics Magazin 1/2015 2011 2011 2012 2012 2013 2013 2014 2015 2014* 2015* Quelle: OECD, Munich Re kanada Der Hafen in Vancouver: Die westlichen Provinzen profitieren besonders vom wachsenden Handel mit den pazifischen Anrainerstaaten. Hypotheken und mit Immobilien besicherte Verbrau cherkredite machen in Kanada schätzungsweise 80 Prozent der privaten Verschuldung aus und stellen für die kanadischen Banken nach Ansicht des Inter nationalen Währungsfonds (IWF) das größte Einzel risiko dar. gestiegen ist. Weil die Regierungen sowohl auf natio naler Ebene als auch in den einzelnen Provinzen ihre Haushalte inzwischen konsolidieren, dürfte die Schul denquote in den kommenden Jahren wieder sinken. Auch für die Finanzstabilität des Landes ist der Boom auf dem Immobilienmarkt aus Sicht des IWF ein wesentliches Risiko. Allerdings würden die Behörden über wirksame Instrumente wie die Hypotheken versicherung verfügen, um die Kreditaufnahme in geregelte Bahnen zu lenken. Auch restriktivere Richt linien zur Hypothekenvergabe und die Kontrolle der staatlichen Canadian Mortgage and Housing Corpo ration (CMHC) hätten dazu beigetragen, dass sich der Anstieg bei der Verschuldung der Privaten und bei den Häuserpreisen verlangsamt habe. Dennoch gilt der kanadische Immobilienmarkt als teuer: Der IWF schätzt, dass die Häuserpreise 2013 im Durchschnitt um rund zehn Prozent überbewertet waren. Manche Analysten gehen sogar von einer weit größeren Preis blase aus. Nach wie vor sind die USA mit Abstand wichtigster Handelspartner. Rund drei Viertel aller Warenexporte haben ihr Ziel im südlichen Nachbarstaat, gefolgt von der EU mit gut sieben Prozent und China mit gut vier Prozent. Um den Handel mit Energierohstoffen zu diversifizieren – so gut wie alle Ölexporte gehen in die USA –, sollen neue Transportmöglichkeiten geschaf fen werden. Gerade in Bezug auf die Energieexporte nimmt die Bedeutung von Asien für Kanada kontinu ierlich zu. Der Trend jedenfalls zeigt nach oben. Wäh rend vor zehn Jahren die Exporte der Provinz British Columbia in die Pazifikregion gerade einmal 24 Pro zent ausmachten, sind es heute knapp 43 Prozent. Und 2011 gingen aus British Columbia erstmals mehr Güter nach Asien als in die USA. Aufgrund seiner multikulturellen Bevölkerungsstruktur und der Nähe zum pazifischen Raum verfügt British Columbia über beste Voraussetzungen, um die Handelsbeziehungen mit den aufstrebenden Volkswirtschaften im pazifi schen Raum auszuweiten. Dagegen ist die Lage der Staatsfinanzen im Vergleich zu anderen Industrieländern vergleichsweise kom fortabel, auch wenn die Schuldenquote gemessen am Bruttoinlandsprodukt nach der Wirtschaftskrise laut IWF-Berechnung spürbar auf 89 Prozent im Jahr 2013 Orientierung zu den Pazifikstaaten Munich Re Topics Magazin 1/2015 15 Kanada Keine Ruhe nach dem Sturm Heftige Unwetter schüttelten die Bilanzen der kanadischen Schadenversicherer in den vergangenen Jahren schwer durch. Außerdem machen ihnen Änderungen der regulatorischen Rahmenbedingungen zu schaffen. Mit einem Prämienaufkommen von rund 131 Milliar den kanadischen Dollar – das entspricht einem globa len Marktanteil von rund 2,8 Prozent – gehörte der kanadische Erstversicherungsmarkt 2013 zu den Top Ten in der Welt. Die Bereiche Schaden & Unfall (P&C) und Leben waren mit rund 52 bzw. 55 Milliarden kanadischen Dollar annähernd gleich groß. Die pri vate Krankenversicherung machte rund 24 Milliarden kanadische Dollar aus. Doch während die Markt durchdringung gemessen am Bruttoinlandsprodukt bei P&C mit 2,8 Prozent in etwa dem Niveau anderer Industrieländer entspricht, sind Lebensversicherun gen mit 2,9 Prozent eher unterrepräsentiert. Autoversicherung größte Sparte Den Bereich Nicht-Leben dominiert das Segment Kfz, gefolgt von der Sachversicherung (siehe Abb. 3). 2013 haben Unwetter, Hagel- und Eisstürme sowie Über flutungen nie zuvor erreichte Schäden hinterlassen. Dennoch ist es der P&C-Branche gelungen, das Jahr mit einem positiven versicherungstechnischen Ergeb nis von 285 Millionen kanadischen Dollar (Vorjahr: 1,858 Milliarden) abzuschließen. Die Schaden-Kos ten-Quote stieg von 96,0 auf 99,4. Während sich die Aufmerksamkeit 2013 auf die wetterbedingten Ereig nisse richtete, ist der Einfluss des sich wandelnden regulatorischen Umfelds ab 2014 auf die Unterneh men nicht zu unterschätzen. Dazu zählen etwa die strengeren Richtlinien bei der Berechnung des obliga torischen Minimum Capital Test (MCT) oder die nun bestehende Pflicht einer unternehmenseigenen Risiko- und Solvabilitätsbeurteilung (Own Risk und Solvency Assessment (ORSA). Sinkende Tarife bereiten Probleme Besondere Aufmerksamkeit verdient die in Ontario verfügte Absenkung der Kfz-Beiträge. Dort hat die Regierung jüngst angekündigt, dass die Tarife in der Kfz-Versicherung innerhalb von zwei Jahren um 15 Prozent sinken müssen. Weitreichende Auswirkun gen sind zu erwarten. Zwar ist die Schadenquote im Segment Kfz 2013 geringfügig gesunken, mit 80 Pro zent liegt dieser Wert aber immer noch recht hoch. Der eisige und schneereiche Winter 2013/2014 hat insbesondere die Kosten für Sachschäden in die Höhe getrieben. Die Margenerosion angesichts rückläufiger Prämien dürfte die Schadenversicherer in Ontario erheblich belasten. Ohne zusätzliche Reformen des bestehenden Systems und neue Herangehensweisen wie der „Pay as you drive“-Versicherung ist es frag- lich, ob die verfügte Prämienabsenkung auf Dauer Bestand haben kann. Bei diesem System erkennt ein GPS-Empfänger, wie ein Fahrer den Wagen beschleu nigt, bremst und in die Kurven geht. Abb. 2: Prämienentwicklung auf dem kanadischen Versicherungsmarkt in Mio. CAD 150.000 150000 120.000 120000 90.000 90000 P&C 60.000 Health 60000 Life 30.000 30000 0 0 16 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 Munich Re Topics Magazin 1/2015 Quelle: Munich Re Kanada Die Versicherungsgesellschaft erfährt so etwas über den Fahrstil des Versicherten – und kann den Tarif für die Versicherung entsprechend anpassen. Die Experten der Motor Consulting Unit von Munich Re haben auch für solche Versicherungsformen passende Lösungen im Angebot. Gemeinsam mit dem Kunden entwickeln sie Strategien und Prozesse, um die Geschäfte abhängig von der spezifischen Markt situation zu optimieren. Das Team bietet Erst versicherungskunden eine umfassende Analyse ihres Geschäfts, angefangen beim Underwriting über Risikoauswahl, Monitoring, Tarifierung und Schaden bearbeitung bis hin zu IT-Systemen, Marketing und Vertrieb. Als weitere Herausforderung für die Branche dürfte sich erweisen, dass die Wohngebäudeversicherung künftig nicht mehr die zuverlässigen und stabilen Erträge der Vergangenheit liefern wird. Nach einer Studie der kanadischen Property and Casualty Insu rance Compensation Corporation und dem Institute for Catastrophic Loss Reduction ist die Schadenquote in diesem Segment über die vergangenen Jahrzehnte deutlich volatiler geworden. Der Unterschied zur Schwankungsbreite des traditionell anfälligen KfzBereichs hat sich immer weiter verringert. Ein Trend, der die Anbieter beunruhigt: Sie können sich nicht länger darauf verlassen, mit der Wohngebäudever sicherung einen verlässlichen Puffer zu haben, der schwierige Jahre im Kfz-Geschäft abfedert. Als Reaktion auf die höhere Schadenanfälligkeit bei Wohngebäuden haben Versicherer vereinzelt damit begonnen, in ihren Allgefahren-Policen die einzelnen Gefahren separat zu bewerten. Sie passen Prämien, Selbstbehalte und Sublimite individuell auf die jewei lige Gefahr – Wind, Hagel, Kanalisationsrückstau – an. Wie Aufsichtsbehörden auf diese Entwicklung reagieren und ob diese Produkte bei den Kunden auf ausreichend Akzeptanz stoßen, muss sich erst noch zeigen. Abb. 3: Aufteilung des Geschäfts in Nicht-Leben Motor Allgemeine Haftpflicht Property Andere Quelle: Munich Re Das anhaltende Niedrigzinsumfeld und die jüngsten Naturkatastrophen machen aber deutlich, dass zu viel Selbstzufriedenheit fehl am Platz ist und es immer stärker darauf ankommt, die Risiken im Underwriting richtig zu beurteilen. Bei der Einschätzung von Einzelrisiken sowie bei der Bewertung von Portfolios und Kumulen sind die Experten von Munich Re of Canada Ansprechpartner erster Wahl. Steigende Exponierungen, komplexere sowie neue Risiken stellen das Underwriting vor Herausforderungen. Ein präziseres Enterprise Risk Management und effizientes Kapitalmanagement gewinnen an Bedeutung. Auch beim Umgang mit den ORSA-Regelungen, wie in der seit Anfang 2014 gülti gen Richtlinie des Office of the Superintendent of Financial Institutions Canada (OSFI) vorgesehen, bietet Munich Re wertvolle Unterstützung. Unternehmen sind gut kapitalisiert Auf der Investmentseite haben sich die weiter rück läufigen Renditen bemerkbar gemacht. Die Kapital erträge der kanadischen P&C-Versicherer sanken 2013 um 9,4 Prozent auf 4,048 Milliarden kanadische Dollar. Alles in allem sank die Rendite auf das Eigen kapital auf 7,77 (Vorjahr 11,3) Prozent – der niedrigste Wert seit 2010. Dessen ungeachtet ist es den Gesell schaften gelungen, ihre Kapitalbasis weiter zu verbreitern, und die Ratingagentur A.M. Best hat im Jahresverlauf sieben Unternehmen hochgestuft. Munich Re Topics Magazin 1/2015 17 Kanada Im Griff der Naturgewalten Kanada ist verschiedensten Naturgefahren ausgesetzt, darunter Winterstürmen, Dürren oder auch Überflutungen. Das Erdbebenrisiko darf ebenfalls nicht unterschätzt werden. Und gerade die wetterbedingten Gefahren werden häufiger. Mehr dazu lesen Sie auch ab Seite 22. Beaufort Sea Mackanzie Riv er Al ask a Yukon Territory Whitehorse Erdbeben Zone 0: MM V und darunter Zone 1: MM VI Zone 2: MM VII Zone 3: MM VIII Zone 4: MM IX und darüber Juneau Wahrscheinliche Maximalintensität (MM: modifiz. Mercalli-Skala) mit einer Überschreitungswahrschein lichkeit von 10 % in 50 Jahren (entspricht einer Wiederkehrperiode von 475 Jahren bei mittleren Untergrundbedingungen). Yell British Columbia Tropische Zyklone Colu mbia Rive r Zone 0: 76–141 Zone 1: 142–184 Zone 2: 185–212 Zone 3: 213–251 Zone 4: 252–299 Zone 5: ≥ 300 Typische Zugbahnen * Wahrscheinliche Maximalgeschwindig keit mit einer Überschreitungswahrschein lichkeit von 10 % in 10 Jahren (entspricht einer Wiederkehrperiode von 100 Jahren). Vancouver Quelle: Munich Re, NATHAN World Map of Natural Hazards 18 Munich Re Topics Magazin 1/2015 ca r Edmonton Saskatchewan Calgary Regin Gefahrenlage Die Effekte von Wind, Brandstiftung und Präventionsmaßnahmen fließen hier nicht ein. s ba ha At er v Ri Victoria Feuer keine Gefahr Zone 1: gering Zone 2 Zone 3 Zone 4: hoch Peace River ALBERTA Spitzenwindgeschwindigkeiten (in km/h)* Northwest territories USA Kanada Venzuela Dec Overal osses*:US$3,200 Insured Kanada USA G reenland Oben: Nach dem großen Eissturm im Januar 2014 sind die Eiszapfen mannshoch. Unten: Anwohner des High River in der Provinz Alberta, nahe Calgary, mussten im Juni 2013 aus den Fluten evakuiert werden. nunavut Iqualuit lowknife CA N A DA Hudson Bay manitoba Chu rc h ill R quebec iv er newfoundland askatchewan ontario Winnipeg Charlottetown Quebec L. Superior Montreal Toronto tario L . On L. Halifax Ottawa L. Huron L. Michigan na St. John’s Er Atlantic ocean ie Munich Re Topics Magazin 1/2015 19 Kanada Wir wollen stärkere Akzente setzen Topics sprach mit Philipp Wassenberg über die Besonderheiten des kanadischen Versicherungsmarkts und seine ersten Erfahrungen in der neuen Heimat. Topics: Herr Wassenberg, wie haben Sie den Umzug von Deutschland nach Kanada erlebt? Philipp Wassenberg: So ein Wechsel ist spannend, aber natürlich auch turbulent. Meine Familie und ich haben unser altes Leben in Deutsch land aufgegeben und einen Neu anfang in der Millionenmetropole Toronto gestartet. So eine Umstel lung darf man nicht unterschätzen. Wo liegen geschäftlich die größten Herausforderungen? Zunächst einmal musste ich mich daran gewöhnen, dass sich der Fokus meiner Tätigkeit grundlegend geän dert hat, vom rein Operativen zur Lei tung eines Unternehmens. Eine große Herausforderung besteht jetzt darin, uns enger mit der Zentrale in München zu verzahnen, um das Knowhow und die Ressourcen noch effektiver nutzen zu können. Das wird es uns ermöglichen, stärkere Akzente vor Ort zu setzen. Zwar sind wir in der Rückversicherung weiter die Nummer eins im Land, aber die Konkurrenz schläft nicht. 20 Munich Re Topics Magazin 1/2015 Die Rahmenbedingungen werden also schwieriger ... Der kanadische Markt profitierte lange von einer Sonderstellung. Auf grund seiner Größe – das Rückver sicherungsvolumen liegt pro Jahr bei gerade einmal rund 1,5 Milliarden kanadischen Dollar – hatten viele globale Player den Markt nicht auf ihrem Radar. Bis 2013 waren die Bedingungen fair, doch inzwischen wird Kanada überschwemmt mit Kapazität, da die Margen immer noch auskömmlicher sind als auf dem US-Markt. Innerhalb kurzer Zeit war uns klar, dass wir eine andere Weichenstellung vornehmen müs sen, wenn wir unsere führende Posi tion halten und in gewissen Berei chen wachsen wollen. Welche strategischen Veränderun gen haben Sie bereits auf den Weg gebracht? Das Überthema lautet Innovation: Wir müssen unseren Horizont öffnen für neue Ideen, neue Kunden, neue Märkte und mehr als früher auch die Umsatzentwicklung im Auge behal ten. Wir haben einen kundenzentrier ten Ansatz eingeführt, bei dem wir den Kunden in seiner Gesamtheit betrachten. Künftig wollen wir uns auch mehr um die Provinz Quebec kümmern. Die Bedingungen sind dort zugegebenermaßen schwieriger als im Rest des Landes, vor allem bei der Erdbebenexponierung, die zur Vorsicht mahnt. Dennoch lautet meine Philosophie, dass diese große Region unser volle Aufmerksamkeit verdient. Bestehen große Unterschiede zwi schen dem kanadischen und dem US-amerikanischen Markt? In Kanada herrscht generell ein sehr fairer und von Respekt getragener Umgang zwischen den Marktteilneh mern. Man versucht nicht um jeden Preis, sich auszustechen oder die Konkurrenz zu marginalisieren. Es gibt so etwas wie eine „Entente cordiale“, wonach man eher in neuen Nischen mit neuen Produkten expan diert, aber nicht über Verdrängung. Nicht jeder der neuen Wettbewerber auf dem Markt hält sich daran; das ist auf Branchentreffen inzwischen schon ein Thema. Der kanadische Markt ist mit Sicherheit auch erheb lich stärker durch persönliche Kon takte geprägt. Einmal eingegangene Kundenbeziehungen werden nicht so rasch über den Haufen geworfen. Das hat gewisse Vorteile, macht es uns aber auch schwer zu wachsen. Besonderes Augenmerk verdienen auch die verschiedenen Kulturen, die in Kanada zusammentreffen. Diese Unterschiede machen das Land so interessant und den Markt so faszi nierend. Um Verbindungen und Beziehungen aufzubauen, ist es jedoch wichtig, diese zu verstehen und zu berücksichtigen. Kanada Philipp Wassenberg leitet seit Früh jahr 2014 die Munich Reinsurance Company of Canada und damit unser dortiges Nicht-Leben-Geschäft. Wie hat die Branche auf die ver heerenden Naturkatastrophen der vergangenen Jahre reagiert? Gerade beim Thema Überflutungen sind Veränderungen unverkennbar. Bislang gab es keine private Flutver sicherung, nun soll das Land in einem ersten Schritt in Flutzonen eingeteilt werden. Das ist ein riesiges Unterfangen, und wir werden das Knowhow von Munich Re in diesem Bereich in die Diskussion einbringen. Hausbesitzer sind momentan allen falls in der Lage, sich gegen Wasser schäden wegen Rückstau aus der Kanalisation abzusichern. Häufigerer Starkregen in Kombination mit dem Trend, die Kelleretage aufwendig herzurichten und als zusätzlichen Wohnraum zu nutzen, haben die Schäden enorm in die Höhe getrie ben. Mit dem Resultat, dass mehr und mehr Versicherer dazu überge hen, Sublimite zu vereinbaren. Expertise als Service- und Solution provider unter Beweis stellen. Denn im Zuge des neuen MCT achten die Versicherer verstärkt auf ihre Kapi talausstattung. Wir analysieren die Bilanzen von Kunden und überlegen gemeinsam, wie wir ihre Kapitalposi tion stärken können. Bei ORSA, das zeitgleich mit dem neuen MCT im Januar 2015 in Kraft tritt, fungieren wir ebenfalls als Consultants. Das hilft uns auch, die Türen zum Top management zu öffnen. Dabei stellen wir oft fest, dass gerade die CROs und CFOs großes Interesse daran haben, sich durch geeignete Rück versicherungsprodukte Kapitalent lastung zu verschaffen. Insofern bin ich sehr optimistisch, dass wir hier mit kreativen Ideen und Produkten punkten können. Mit dem ab Januar 2015 neuen ver pflichtenden Minimum Capital Test (MCT) müssen die Versicherer in Kanada neue Anforderungen erfüllen. Inwieweit kann Munich Re davon profitieren? Regulatorische Neuheiten wie der neue MCT oder die Implementierung von ORSA, dem Own Risk and Solvency Assessment, sind wichtige Veränderungen für die gesamte Branche. Hier können wir den Kun den Mehrwert liefern und unsere Munich Re Topics Magazin 1/2015 21 kanada Leben mit der neuen Normalität Im Gegensatz zu den hurrikangeplagten USA war Kanada von schweren Naturkatastrophen lange weitgehend verschont. Doch die vergangenen Jahre mit heftigen Unwettern und Überschwemmungen waren sehr kostspielig. Kanada ist anfällig für eine Vielzahl von Naturkatastrophen, darunter Winterstürme, Hitzewellen und Dürren, Waldbrände, Überflutungen, Hagel, Tornados und Hurrikane. Auch das Erdbebenrisiko sollte nicht unterschätzt werden, wie das große Alaska-Beben zeigt, das sich 2014 zum 50. Mal jährte. Damals erreichten Tsunamis Teile der Westküste und richte ten Schäden an. Nach einer Studie des Ministeriums für Bodenschätze (Natural Resources Canada) besteht ein mindestens 30-prozentiges Risiko, dass im Südwesten von British Columbia und damit auch in der Provinzhauptstadt Victoria oder in der Millio nenstadt Vancouver in den nächsten 50 Jahren ein schadenträchtiges Erdbeben auftritt. Im Osten gelten die Region vom Tal des Sankt-Lorenz-Stroms bis zum Ottawa Valley – ein Gebiet, das Quebec, Mont real und Ottawa einschließt – als gefährdet. Hier besteht eine mindestens fünf- bis 15-prozentige Wahrscheinlichkeit für ein größeres Ereignis. Extremwetter auf dem Vormarsch Bei den wetterbedingten Naturkatastrophen blieb es bis vor wenigen Jahren an der Schadenfront weitge hend ruhig, sieht man von Ausnahmen wie dem Eis sturm von 1998 oder vereinzelten Überschwemmun gen oder Sturmereignissen ab. Mit dem Jahr 2009 hat sich das Bild geändert. Seitdem mussten kanadi sche Versicherer jährlich mindestens eine Milliarde kanadische Dollar für Schäden aufwenden – 2013 verbuchten sie mit 3,2 Milliarden kanadischen Dollar sogar einen Rekordwert. Insgesamt kosteten Extrem wetterereignisse die Assekuranzen zwischen 2009 und 2013 rund 7,7 Milliarden kanadische Dollar. Das größte Ereignis mit einem versicherten Schaden von mehr als 1,7 Milliarden kanadischen Dollar und einem Gesamtschaden von sechs Milliarden kanadi schen Dollar waren Überschwemmungen nach schwe ren Gewittern in der Provinz Alberta im Juni 2013. Erdrutsche, überflutete Gebäude und Straßen, Strom Abb. 4: Schadenereignisse in Kanada 1990 – 2014 Anzahl 40 30 20 10 40 Klimatologische Ereignisse: Extremtemperaturen, Dürre, Waldbrand 30 Hydrologische Ereignisse: Überschwemmung, Massenbewegung 20 Meteorologische Ereignisse: Tropischer Sturm, außertropischer Sturm, konvektiver Sturm, lokaler Sturm 10 Geophysikalische Ereignisse: Erdbeben, Tsunami, Vulkanausbrüche * Prognose 0 0 1990 22 1992 1994 1996 1998 2000 Munich Re Topics Magazin 1/2015 2002 2004 2006 2008 2010 2012 2014 * Quelle: Munich Re, NatCatSERVICE kanada ausfälle und zwei geschlossene Pipelines waren die Folge, etwa 100.000 Menschen mussten ihre Häuser verlassen. Kurz darauf verursachten Rekordnieder schläge Überflutungen in Toronto. Mit versicherten Schäden von knapp einer Milliarde kanadischen Dollar war es die zweitteuerste Wetterkatastrophe des Jahres 2013. Es folgten heftige Gewitter in Ontario und Quebec sowie ein Eissturm in Ost kanada, der vor allem durch umstürzende Bäume und durch Stromausfälle Schäden in Höhe von etwa 200 Millionen kanadischen Dollar hinterließ. Das Institute for Catastrophic Loss Reduction an der University of Western Ontario geht inzwischen davon aus, dass höhere Jahresschäden – wenn auch nicht ständig im Milliarden-Dollar-Bereich – den neuen Normalzustand in Kanada darstellen. Begünstigt wird diese Entwicklung durch die zunehmende Konzen tration von Werten, vor allem in den großen Städten, die in die Jahre gekommene öffentliche Infrastruktur sowie das häufigere Auftreten von Extremwetter. Mehr Überschwemmungen als Waldbrände Nimmt man die Ereignisse seit 1990 als Maßstab, stellen meteorologische Ereignisse die größte Gefahr dar, gefolgt von Fluten sowie Hitze/Dürre/Feuer (siehe Abb. 4). Betroffen von den Überflutungen waren in der Vergangenheit fast alle kanadischen Regionen, einschließlich der Metropolen Toronto, Montreal, Vancouver und Ottawa. Deutlich nach oben gegangen sind in den zurückliegenden Dekaden die Schäden durch Rückstau in der Kanalisation. Deshalb müssen Sachversicherer inzwischen pro Jahr mehr als zwei Milliarden kanadische Dollar für wasserbe dingte Schäden und damit mehr als für Feuerschäden aufbringen. Gründe dafür sind die wachsende Bevöl kerung in städtischen Ballungsräumen und über lastete Abwassersysteme, die mit den intensiveren Niederschlägen nicht mehr fertig werden. Während sich gewerbliche Immobilien in der Regel mit Sublimiten oder je nach Risiko mit einem höheren Selbstbehalt gegen Hochwasser versichern lassen, existiert diese Möglichkeit bei Wohnimmobilien nicht. Wohngebäudeversicherer bieten allerdings häufig Schutz gegen Schäden aus Kanalisationsrückstau an. Hier standen die Erstversicherer bei den Überflutun gen von Alberta vor dem Problem, wie die Versiche rungsverträge bei vielfältigen Schadenursachen aus zulegen seien. Denn häufig wurden die Keller über die Kanalisation und anschließend schnell durch überir dische Überflutung verwüstet. Wenn überhaupt, lässt sich nur mit hohem Aufwand feststellen, welcher Schadenanteil auf eine bestimmte Ursache entfällt. Mit fortschreitendem Klimawandel wächst außerdem die Gefahr von Überflutungen an den Küsten, ist Kanada doch das Land mit der weltweit längsten Küste. Viele Gemeinden in British Columbia sind in Meeresnähe dicht besiedelt, und wesentliche Infra strukturbauten befinden sich in tief liegenden Gebie ten. Auf der gegenüberliegenden Seite im Osten des Landes steigt mit zunehmendem Meeresspiegel die Gefahr durch Sturmfluten, etwa bei einem schweren Hurrikan. Brandgefahr vor allem im Norden Kanada gehört nicht nur zu den waldreichsten Län dern der Welt – ein Drittel der Fläche ist mit Bäumen bedeckt, auch in puncto Waldbrände zählt das Land zur Spitze. Durchschnittlich 9.000 Feuer, meist durch Blitzschlag ausgelöst, fressen sich jedes Jahr durch Abb. 5: Volkswirtschaftliche und versicherte Schäden, 1990–2014 in Mrd. US$ 9,0 Überschwem mungen1 9000 Gesamtschaden in Werten von 20132 7,5 7500 6,0 6000 4,5 Über schwem mungen1 Winter schäden1 4500 3,0 3000 Eissturm1 1 Waldbrände/ Überschwem mungen1 Tornado/ Überschwem mungen1 2 Versicherter Schaden in Werten von 20132 Teuerstes Ereignis im jeweiligen Jahr Inflationsbereinigt durch den kanadischen Consumer Price Index * Prognose 1,5 1500 0 0 1990 1992 1994 1996 1998 2000 2002 2004 2006 2008 2010 2012 2014 * Quelle: Munich Re, NatCatSERVICE Munich Re Topics Magazin 1/2015 23 kanada Den widrigen Umständen trotzen: Ein Mann „surft“ während der großen Überschwemmungen in der Provinz Alberta 2013 mit Skateboard und Regenschirm. die Bestände und zerstören dabei ein Gebiet von 2,5 Millionen Hektar. In den Weiten des Nordens ist das Feuerrisiko dabei fast 100 Mal höher als im bevöl kerungsreicheren Süden. Obwohl die kanadischen Provinzen erheblich in den Schutz und die Bekämp fung von Waldbränden investiert haben, müssen jedes Jahr rund 7.500 Einwohner aus ihren Häusern vor den Flammen fliehen. Die verheerendsten Brände liegen weit in der Vergan genheit zurück, als es noch keine Löschflugzeuge gab. In der jüngeren Zeit sorgten die Brände von 2011 in Slave Lake, Alberta, und 2003 im Okanagan Moun tain Park in British Columbia für Aufsehen. Bei diesen beiden Ereignissen wurden mehr als 90 Prozent der Gebäude zerstört, die insgesamt in den vergangenen drei Jahrzehnten Waldbränden zum Opfer fielen. Änderungen im Klima, durch Krankheiten geschä digte Baumbestände und die zunehmenden Ansied lungen in der Nähe von Waldflächen dürften das Brandrisiko weiter erhöhen, nachdem bereits in den vergangenen 30 bis 40 Jahren ein steigender Trend festzustellen war. Tornados prägen Sturmgefahr Zwischen 60 und 80 Tornados treten jedes Jahr in Kanada auf, und manche Experten gehen davon aus, dass viele Stürme in unbesiedelten Gebieten gar nicht registriert werden. Die tatsächliche Zahl könnte deshalb zwei- bis dreimal höher liegen, womit Kanada nach den USA eines der Länder mit der höchsten Tor nadofrequenz wäre. Am stärksten betroffen sind das südliche Ontario, Manitoba, Saskatchewan und Alberta. Die große Mehrheit der Tornados (80 Pro 24 Munich Re Topics Magazin 1/2015 zent) ist mit einer Stärke von F0 und F1 schwach aus geprägt. Intensitäten von F4 oder F5 wie im Jahr 2007 in Elie, Manitoba, treten in weniger als einem Prozent der Fälle auf. Sie fordern jedoch die meisten Todesopfer und ziehen beträchtliche Sachschäden nach sich. Obwohl sich jedes Jahr bis zu 28 (Rekord von 2005) tropische Stürme im Atlantik bilden, bleibt Kanada meist von schweren Hurrikanen verschont. Ausnah men bildeten 2003 der Kategorie-3-Hurrikan Juan, der über Halifax zog, und 2010 der Kategorie-1-Hurri kan Igor über St. Johns. Anfällig für Überflutungen durch tropische Stürme sind neben Südontario und Quebec die vier östlichsten Provinzen von AtlantikKanada. Mehr als 60 Prozent der kanadischen Wohn häuser und Unternehmen liegen in Regionen, in denen tropische Stürme Wasserschäden verursacht haben. Bei den regelmäßig auftretenden Blizzards und ande ren Winterstürmen sind Großereignisse wie der Eissturm von 1998 selten. Er markierte lange Zeit die teuerste Naturkatastrophe in der kanadischen Geschichte. In manchen Gebieten bildete sich damals ein Eispanzer, der doppelt so dick war wie bei den zuvor erlebten Eisstürmen. 28 Menschen starben, die versicherten Schäden beliefen sich auf gut eine Mil liarde kanadische Dollar. Mehr als fünf Millionen Men schen mussten bis zu 28 Tage ohne Strom in der Kälte ausharren. kanada Nicht nur die Wohngebäudeversicherer, auch die Anbieter von Kfz-Policen können von Winterstürmen erheblich betroffen sein. Der Unterschied bei den Schäden zu Jahren mit geringer Aktivität kann signifikant sein. >> Auch in der Lebensversicherung ist Munich Re in Kanada aktiv. Lesen Sie dazu in unserem Onlinemagazin das Interview mit Mary Forrest, die das Lebensrück versicherungsgeschäft in Kanada/USA leitet: www.munichre.com/de/topics-online Anpassung an den Klimawandel nötig Da der Klimawandel auch in Kanada seine Spuren hinterlässt, dürften sich Extremwetterereignisse mit Personen- und Sachschäden in den nächsten Jahr zehnten ausweiten. Besonders Regenfälle werden wohl fast überall im Land häufiger und intensiver auf treten. Unsicher ist, ob die Frequenz heftiger Stürme zunehmen wird, wenngleich schwere Hurrikane häu figer über Ostkanada zu erwarten sind. Die Gebiete, in denen Waldbrände wüten, werden sich wahr scheinlich ebenfalls ausweiten und damit auch das Risiko, dass die Brände außer Kontrolle geraten. Mit der globalen Erwärmung dürfte die Zahl von Winter stürmen zwar abnehmen, doch steigt das Risiko, dass sich Eisstürme, die bislang den Norden der USA heimgesucht haben, vermehrt nach Südkanada ver lagern. Sofern die richtigen Maßnahmen zur Anpassung an den Klimawandel getroffen werden, bleiben die Gefahren beherrschbar. Ein stärker ausgeprägtes Bewusstsein für Sturmrisiken, wirkungsvollere Siche rungsvorkehrungen an Gebäuden und mehr öffentli che Mittel, um die Infrastruktur robuster zu gestalten, sind mögliche Optionen. Flankierend dazu bleibt Ver sicherung ein wichtiges Instrument, mit dem sich Hausbesitzer und Unternehmer vor Schäden durch Extremwetter absichern können. Bei der Einschätzung von Naturgefahrenrisiken leistet die NATHAN (Natural Hazards Assessment Network) Risk Suite von Munich Re wertvolle Hilfe. Das einzigartige Produkt ermöglicht es, für jeden Ort der Erde das Gefährdungspotenzial zum Beispiel durch Stürme, Überschwemmungen, Erdbeben, Hagel oder andere Naturgefahren anzuzeigen. Kom plexe Naturgefahrenrisiken lassen sich so identifi zieren und besser bewerten. Zusätzlich stehen zur Bewertung von Naturkatastrophen detaillierte Schadeninformationen zur Verfügung. Der NatCat SERVICE von Munich Re – die umfangreichste Daten bank über Naturkatastrophenschäden weltweit – bildet die Grundlage für ein breites Spektrum an Analysen und Auswertungen im Rahmen des Risiko managements und der Risikoforschung. UnserE ExperteN: Till Heydel leitet neben seiner Funktion als Vice President Client Management die Marketing aktivitäten von Munich Re of Canada. theydel@mroc.com David Flikkema ist für die Marketingaktivitäten von Munich Re of Canada verantwortlich. dflikkema@mroc.com Munich Re Topics Magazin 1/2015 25 Motormarkt Trendsetter Großbritannien Niedrige Zinsen, steigende Schadensummen, enge Margen: Der britische Kfz-Versicherungsmarkt ist seit Jahren in einer schwie rigen Lage. Gleichzeitig sind die Entwicklungen dort möglicherweise richtungsweisend für die Zukunft anderer Märkte. Klaus Wilkens und Mike Ayrey über Entwicklungen und Trends. Klaus Wilkens (r.), Executive Client Manager für britische und irische Kunden, und Mike Ayrey, Senior Consultant der Motor Consulting Unit von Munich Re. 26 Munich Re Topics Magazin 1/2015 Motormarkt Topics: Wie würden Sie den britischen Kfz-Versicherungsmarkt charakterisieren? Mike Ayrey: Es ist ein großer und wettbewerbsintensiver Markt mit einem Beitragsvolumen von rund 15 Milliarden britischen Pfund. Kürzlich hatten wir einen Zeitraum, in der die Ergebnisse besser waren, doch inzwischen sinken die Tarife bereits wieder. Klaus Wilkens: Wie auf den meisten anderen Märkten ist auch in Groß britannien eine Kfz-Haftpflichtver sicherung vorgeschrieben, und somit ist dieses Segment von großer Be deutung für die Branche. Allerdings war der britische Kfz-Versicherungs markt in der Vergangenheit im Durchschnitt weniger ertragsstark als die meisten anderen großen KfzVersicherungsmärkte. Das erschwert es uns, für unser eigenes Portfolio positive Ergebnisse zu generieren. Zudem ist dieser Markt häufig ein Wegbereiter für viele andere Themen. Ein Beispiel ist die große Bedeutung von Preisvergleichsportalen. Etwa zwei Drittel des Neugeschäfts wer den in Großbritannien über solche Portale abgewickelt. Das ist weit mehr als in anderen Märkten für pri vate Kfz-Versicherungen. Die Bedeutung von Preisvergleichsportalen Topics: Wenn es nur um den Preis geht, wie können Unternehmen dann in einem solchen Umfeld bestehen? Ayrey: Die Verbraucher suchen in der Tat vorwiegend nach dem güns tigsten Tarif. Zwischen den Versiche rungsangeboten der einzelnen Ver sicherer gibt es kaum Unterschiede, weil es sich größtenteils um Stan dardpolicen handelt. Aus Sicht unserer Kunden haben die Preisver gleichsportale das Tarifumfeld dramatisch verändert. Jedes Problem in der Tarifstruktur wird gnadenlos ausgenutzt. Die Versicherer mussten sich an dieses sehr schwierige Umfeld gewöhnen, und manchen ist dies besser gelungen als anderen. Etwa zwei Drittel des Neugeschäfts werden in Großbritannien über Preisvergleichsportale abgewickelt. Das ist weit mehr als in anderen Märkten für private Kfz-Versicherungen. Klaus Wilkens Einige Unternehmen nutzen Preis vergleichsportale bereits auf sehr beeindruckende Weise und haben sich schnell auf die neue Dynamik eingestellt. Wilkens: Britische Versicherungs nehmer sind preisbewusster als Kun den in anderen Märkten. Die Marke eines Versicherungsunternehmens scheint nicht so wichtig zu sein wie in Deutschland oder einigen anderen europäischen Märkten. Britische Kunden neigen dazu, ihre Versiche rer häufiger zu wechseln, und der Risikoträger (das heißt die Versiche rungsgesellschaft) muss nicht unbe dingt einen bekannten Namen haben. Interessanterweise haben die Preisvergleichsportale sehr erfolg reich eigene Marken entwickelt und werden oft als Risikoträger und nicht als reine Vertriebskanäle wahrge nommen. Kunden in Großbritannien vertrauen also der Marke eines Preisvergleichs portals mehr als einer bekannten Versicherungsgesellschaft? Ayrey: Zugegebenermaßen haben die Preisvergleichsportale ihre Mar ken sehr erfolgreich etabliert. Und die britischen Kunden scheinen ihnen sehr zu vertrauen. Aber auf den Preisvergleichsportalen findet man nicht nur Versicherer, sondern auch Makler, die Versicherungsprodukte verkaufen, und Vertriebskooperatio nen, die die Marken von Supermärk ten und anderen Einzelhändlern nutzen und mit Versicherern partner schaftlich zusammenarbeiten. Oft sind sich die Kunden gar nicht bewusst, dass sie eine Police eines bestimmten Versicherers gekauft haben, sondern identifizieren sich eher mit der Marke, die die Police verkauft. In diesem Umfeld ist der Markt sicherlich sehr wettbewerbs intensiv, und es ist für die Unterneh men nicht leicht, Gewinne einzu fahren. Glücklicherweise schaffen es einige von ihnen doch. Wilkens: Obwohl der Markt im Durchschnitt kaum gewinnträchtig ist, ist die Spanne zwischen einzel nen Unternehmen groß. Manche Unternehmen sind immer besser als der Marktdurchschnitt – sie sind dauerhaft profitabel, auch während einer Weichmarktphase. Wir beob achten den Markt genau, um zu erkennen, wer erfolgreich ist und wer künftig profitabel sein wird, mit wem wir im Rückversicherungsgeschäft zusammenarbeiten und wen wir unterstützen können. Ayrey: Die andere Möglichkeit ist, einem weniger erfolgreichen Unter nehmen dabei zu helfen, seine Geschäfte in Ordnung zu bringen. In beiden Fällen ist es für uns wichtig zu wissen, wo der Markt gerade steht, in welche Richtung er sich entwickelt und wie der einzelne Ver sicherer im Vergleich zur Marktent wicklung positioniert ist. Natürlich ist es wesentlich einfacher, Partner schaften einzugehen, wenn die Stim mung am Markt etwas freundlicher ist als üblicherweise. Eine Auf schwungphase ist für uns also eine deutlich günstigere Zeit als eine Phase des Abschwungs. Wir beob achten den Konjunkturverlauf sehr genau, sammeln Marktinformationen und berücksichtigen die daraus gewonnenen Erkenntnisse in unse ren Prognosen. Munich Re Topics Magazin 1/2015 27 Motormarkt Rentenzahlungen: Änderungsrisiko steigt Welche anderen Trends sehen Sie derzeit in Großbritannien? Ayrey: Preisvergleichsportale beein flussen die Beiträge stark. Die Bei träge basieren auf einer Reihe von Faktoren. Normalerweise würde man die Schadeninflation für den bedeu tendsten Einflussfaktor halten. Zwar führen aktuelle rechtliche Änderun gen zu einer negativen Schaden inflation. Langfristig ist jedoch davon auszugehen, dass die durchschnitt lichen Schadenkosten einem ständi gen Aufwärtstrend unterliegen. Ursächlich sind vor allem die Perso nenschäden, auf die sich unter ande rem die wachsende Zahl der Baga tellschäden und der Anspruchsteller je Schadenfall auswirkt. Der andere Faktor ist die Schadenhäufigkeit, wobei Großbritannien – wie die meisten westeuropäischen Märkte – hier eine leicht rückläufige Tendenz verzeichnet. In den vergangenen Jahren stieg die Zahl der Bagatell schäden aufgrund des sogenannten Claims-Farming spürbar. Davor machten uns Schäden zu schaffen, bei denen Credit-Hire-Organisatio nen eingeschaltet waren. Diese wirk ten sich erheblich auf die Kosten für Haftpflichtsachschäden aus. Es zeigte sich, dass die Endkunden diese Entwicklungen teuer bezahlen mussten. Deshalb waren sowohl die Versicherungsmärkte als auch die Behörden bestrebt, diesen Tenden zen in irgendeiner Form entgegen zuwirken. Die anstehenden Reformen im Rah men des Legal Aid, Sentencing and Punishment of Offenders Act (LASPO) sollten einige dieser Entwicklungen eindämmen. Es wird erwartet, dass die Reform zu Einsparungen bei Schadenzahlungen f ühren wird; die Versicherer haben bereits in vielen Fällen mit Beitragssenkungen re agiert. Die genauen Auswirkungen sind noch abzuwarten, doch auf dem Markt kursieren viele Schätzwerte. 28 Munich Re Topics Magazin 1/2015 Die möglichen Einsparungen schei nen zwischen null und fast zehn Pro zent zu liegen. Wir rechnen vorsich tig mit Einsparungen von etwa drei bis vier Prozent. Wilkens: Bei all diesen Veränderun gen ist es ziemlich schwierig, eine genaue Prognose über die zukünftige Marktentwicklung abzugeben. Ein weiteres sehr wichtiges Thema sind in Großbritannien sogenannte Perio dical Payment Orders (PPOs), also regelmäßige Rentenzahlungen bei Personenschäden. In Großbritannien ist dies ein relativ neues Konzept, in anderen kontinentaleuropäischen Märkten ist es hingegen gang und gäbe. Für die Risikoträger bedeuten PPOs einen Anstieg des Änderungs risikos, insbesondere für Rückver sicherer, die Schäden im Rahmen von nichtproportionalen Verträgen mittragen. Durch PPOs steigt die Volatilität der Ergebnisse. Derzeit herrscht auf dem Markt noch große Unsicherheit über die zukünftige Entwicklung der Schadenhäufigkeit sowie über die Schwere der Fälle. Schließlich ist neben diesen Verän derungen des rechtlichen und ord nungspolitischen Umfelds auch das derzeitige Wirtschaftsklima mit sei nen niedrigen Zinssätzen zu berück sichtigen. Die Kapitalerträge von Versicherern und Rückversicherern sind auf einem sehr niedrigen Niveau und zwingen die Akteure, sich auf versicherungstechnische Gewinne zu konzentrieren. OGDEN-Rate: Starke finanzielle Auswirkungen Gibt es noch andere Entwicklungen? Wilkens: Ein weiteres Thema auf dem britischen Markt ist die aus stehende Entscheidung zur OGDENRate – dem Abzinsungsfaktor, der auf alle Personenschäden angewendet wird, die nicht durch regelmäßige Zahlungen, sondern durch eine Ein malzahlung entschädigt werden. Die ersatzpflichtigen Kosten wie Heil kosten und Einkommensausfall wer den auf das aktuelle Datum diskon tiert. Der Faktor spiegelt außerdem das aktuelle Zinsniveau wider. Die OGDEN-Rate steht seit einigen Jahren auf dem Prüfstand. Aktuell gibt es keine konkreten Anzeichen für eine Anpassung; dies kann sich aber ändern. Wird die OGDEN-Rate verringert, könnte das einen recht großen finanziellen Einfluss auf die wgesamte Branche haben, da alle nicht regulierten Personenschäden betroffen wären. Ayrey: Wenn man in solch einem Umfeld aktiv ist, sollten alle Risiko träger sehr gut über alle treibenden Faktoren informiert sein und ihre Strategie sehr sorgfältig wählen. Für einen Rückversicherer ist es im All gemeinen wichtig, jene Versicherer zu identifizieren, die unterstützt wer den können. Eine Reihe von Faktoren spielt eine Rolle: auf jeden Fall die technischen Preise, aber auch wei che Faktoren wie Profiländerungen und wie diese Profiländerungen sich auf die Häufigkeit von großen Schä den auswirken. Wilkens: Der britische Kfz-Versiche rungsmarkt ist ein wenig aus dem Gleichgewicht geraten. Vor der Ein führung des PPO-Konzepts wurden Schäden schneller reguliert und waren damit weit weniger anfällig für Veränderungen. Das hat sich nun geändert, und die neue Umgebung wirkt sich vor allem auf die Schaden exzedentenrückversicherung aus. Infolgedessen sind die Rückver sicherungspreise gestiegen, und die Marktkapazität für dieses Segment ist erheblich geschrumpft. Diese Reaktion wird unter anderem durch die von einigen Rückversicherern berichteten Reservestärkungen angetrieben. Die Situation verlangt nach neuen Ideen, um den Versi cherungsunternehmen den notwen digen Schutz zu bieten. Wie unterstützen Sie Ihre Kunden in einer solchen Situation? Wilkens: Als Rückversicherer bieten wir unseren Kunden Produkte und Dienstleistungen in verschiedenen Formen. Wir bieten sehr selektiv eine Schadenexzedentendeckung, durch die sich die Volatilität der Ergebnisse des Versicherers verringert. Motormarkt Die Erfahrungen, die wir in Großbritannien machen, können in anderen Ländern nützlich sein. Ebenso können wir von anderen Märkten lernen. Mike Ayrey Außerdem arbeiten wir aktiv an der Entwicklung alternativer Produkt strukturen. Dabei profitieren wir von unserer langjährigen Erfahrung als einer der weltweit führenden Rück versicherer. Wir beobachten auch eine wachsende Nachfrage nach Rückversicherung als Kapital managementinstrument. Dafür ist eine völlig andere Sichtweise erfor derlich. In diesem Fall ist die Rück versicherungskapazität integraler Bestandteil des Geschäftsmodells und senkt den Eigenkapitalbedarf des Kunden. Insbesondere weniger diversifizierte und kleinere Unter nehmen machen von dieser Unter stützung Gebrauch, und die diver sifizierte Bilanz eines großen Rückversicherers wie Munich Re kann dabei sehr hilfreich sein. Telematik – ein Umbruch? Wie wird die Telematik das Geschäft verändern? Ayrey: Die Telematik bringt eine ganze Reihe von zusätzlichen Daten ins Spiel, sowohl für das Under writing als auch bei der Schaden bearbeitung. Es ist immer noch ein Nischenprodukt, da die Kosten für den Einbau der Box weiterhin sehr hoch sind. Derzeit würde es keinen Sinn machen, ein Telematikprodukt in Kundensegmenten mit einem niedrigen Beitragsniveau zu verkau fen. Aber durch die sinkenden Kosten und die wachsenden Möglichkeiten, andere Geräte wie Smartphones zur Datenerfassung zu nutzen, werden diese Nischen wachsen. Die GenderRichtlinie hat den Telematik-Versi cherungsprodukten einen weiteren Schub gegeben. Da die Versicherer jetzt bei ihren Ratings das Geschlecht nicht mehr einbeziehen dürfen – wobei es zuvor einen recht starken Einfluss auf die kalkulierte Prämie hatte –, bietet die Telematik die Möglichkeit, das tat sächliche Fahrverhalten zu betrach ten. Man bekommt heute also Pro dukte, die bessere Fahrer belohnen, ungeachtet des Geschlechts. Wahr scheinlich wird sich herausstellen, dass die Mehrheit der besseren Fah rer weiblich ist – auf jeden Fall in der jüngeren Altersgruppe. Wilkens: Früher kalkulierte die Ver sicherungsbranche ein Kfz-Risiko nur auf der Grundlage von indirekten Kriterien wie Geschlecht, Alter und Wohnort. Die Nutzung der mittels Telematiktechnologie gesammelten Daten bietet ein enormes Potenzial. Unternehmen haben heute die ITKapazitäten, Daten zu erfassen und auszuwerten und dabei Echtzeit daten als direktes Kalkulationskrite rium zu verwenden. Der umstrittene Aspekt ist hierbei die Privatsphäre der Einzelpersonen – das ist mit Sicherheit eine Frage der jeweiligen Kultur. In Großbritannien ist das Interesse an Telematikversicherun gen derzeit größer als auf anderen Märkten. Die Entscheidung des Kun den, eine Telematikpolice zu wählen, scheint ein zuverlässiger Indikator für ein besseres Risiko zu sein. Je besser ein Kunde sein Fahrverhalten einschätzt, desto entspannter sollte er die Transparenz sehen, die er durch die Box in seinem Auto gestattet. Ayrey: Bei der Einführung vor einigen Jahren haben sich die Unternehmen auf ein nutzungsbasiertes Modell konzentriert. Das war nicht besonders erfolgreich, da die meisten Leute im Voraus wissen wollten, wie hoch die Prämie für das gesamte Jahr sein würde. Neueste Erkenntnisse legen außerdem nahe, dass Fahrverbots zeiten und andere Einschränkungen auch nicht besonders beliebt sind. Heute liegt der Schwerpunkt eher auf dem Fahrstil des Kunden, um per Telematik die besseren Fahrer zu ermitteln. Es wird aber interessant sein herauszufinden, ob Telematikver sicherungen auch das Fahrverhalten der Nutzer verbessern können. Munich Re Topics Magazin 1/2015 29 Motormarkt Die Situation verlangt nach neuen Ideen, um den Versicherungsunternehmen den notwendigen Schutz zu bieten. Klaus Wilkens In der Anfangsphase werden die Ver sicherten, die eine Box wollen, wahr scheinlich auch die besseren Fahrer sein. Es stellt sich die Frage: Werden sich mehr Leute für den Einbau einer Box entscheiden, wenn große Prä mieneinsparungen möglich werden? Wenn ja, wird es interessant zu sehen, ob man die Kunden zu einem sichereren Fahrstil ermutigen und dadurch die Schäden verringern kann. Wie wird die Telematik das Schadenmanagement beeinflussen? Wilkens: Der Einfluss auf das Scha denmanagement ist eine weitere interessante Entwicklung, die wir berücksichtigen müssen. Aus der Sichtweise des Versicherungsneh mers kann die Box bei Notrufen hilfreich sein. Bei einem Unfall kann sofort eine automatische Benach richtigung an den Versicherer aus gelöst werden, der dann umgehend Notfallmaßnahmen einleiten kann. Aus der Sichtweise des Versicherers kann die Telematik beim Aufspüren von Betrugsversuchen nützlich sein und Hinweise liefern, wann, wo und wie ein Unfall passiert ist. Es werden nicht alle Daten nutzbar sein, aber einige werden für die Bearbeitung des Schadens und in der Tat für das Underwriting hilfreich sein. Ayrey: In der „normalen“ Schaden bearbeitung kann die Telematik ebenfalls sehr nützlich sein. Als Ver sicherer eines Telematikrisikos erhält man sehr klare Hinweise, wo der Unfall passiert ist und wie der Fahrer unmittelbar vor dem Unfall reagiert hat. Falls sich herausstellt, dass der 30 Munich Re Topics Magazin 1/2015 eigene Versicherungsnehmer schuld war, bedeutet das hoffentlich, dass der Schaden schnell abgewickelt werden kann. Das führt zu besserem Kundendienst. Gleichsam erhält man mehr Argumente, die Ansprüche des Haftpflichtversicherers abzuweisen, wenn feststeht, dass der Versiche rungsnehmer nicht schuld war. Der Einfluss von Big Data Bei Big Data geht es um IT. Sind größere, etablierte Unternehmen mit großen bestehenden Systemen bereit für die Telematik? Oder ist das nur etwas für neu gegründete Firmen, die ganz bei null anfangen? Ayrey: In Großbritannien haben nahezu alle großen Firmen die Telematik zumindest als Pilotprojekt eingeführt oder sie beschäftigen sich damit. Nur sehr wenige Unterneh men ziehen das Thema überhaupt nicht in Betracht. Es wird Firmen geben, die gut damit klarkommen, und solche, die es nicht so gut hin bekommen. In den Daten stecken jede Menge Möglichkeiten, aber viele Unternehmen werden Probleme haben, die Daten zu verarbeiten, und keine Entscheidungen auf deren Grundlage treffen können. Das müs sen wir berücksichtigen, weil wir immer beobachten, dass Unterneh men, die bessere Daten haben und vor allem diese Daten effektiver nut zen können, mit großer Wahrschein lichkeit den Markt anführen werden. Wie kann Munich Re bei der Auswertung von Big Data helfen? Ayrey: Wir können mit unserem Wissen und unserer Erfahrung helfen und sehen uns hier als Ratgeber für die Kunden. Wilkens: Man muss den richtigen Prozess etabliert haben, um aus den wachsenden Datenmengen lernen zu können – durch die Erfassung von neuen Datentypen und deren Aus wertung, durch Erkennen von zuver lässigen Korrelationen. Wir können bei der Methodik und der Betrach tungsweise solcher Herausforderun gen helfen. Das kann beim Vordrin gen in unbekannte Gebiete nützlich sein. Wenn Autos miteinander reden Welche anderen Langzeittrends sehen Sie? Ayrey: Es ist bereits erkennbar, dass es irgendwann selbstfahrende Autos geben wird, die keine Unfälle verur sachen. Wenn das eintritt, verliere ich meinen Job! Ich denke aber, dass noch viele Jahre vergehen werden, bevor es so weit ist. Es wird auf die sem Gebiet noch weitere Entwick lungen geben – zum Beispiel beim Parken. Es gibt bereits Autos, die von selbst einparken. Das würde eine Menge Unfälle verhindern. All diese Entwicklungen werden sich auf die Versicherungsprämien auswirken, denn wenn es weniger Schäden gibt, dann müssen logischerweise auch die Versicherungsprämien sinken. Ich persönlich glaube nicht, dass irgendwann keine Kfz-Versicherun gen mehr benötigt werden, denn viele Menschen haben Freude am aktiven Fahren und wollen nicht herumgefahren werden. Motormarkt Wilkens: Auf der Suche nach Lang zeittrends in der Kfz-Versicherung sollte man die Mobilität als Mega trend betrachten und ebenso die ver schiedenen damit verbundenen Herausforderungen und Fragestel lungen. Nehmen wir einmal an, dass es in der Zukunft eine Kultur der selbstfahrenden Autos geben wird und dass sich die Bedeutung der Kfz-Versicherung dadurch verringert. Wir müssten uns dennoch mit der Herausforderung von potenziellen Konstruktionsfehlern oder fehler haften Sicherheitseinrichtungen befassen. Das könnte zu komplett anderen Schadenszenarien führen, mit einem bedeutenden Einfluss auf die Marktstruktur, zum Beispiel die Verschiebung der Exponierung von der Kfz-Versicherung hin zur Pro dukthaftpflichtversicherung. Unsere Kunden weltweit können von den Erfahrungen profitieren, die wir in Groß britannien gemacht haben Als langfristiger Rückversicherungs partner müssen Sie die Märkte und Bedürfnisse der Marktteilnehmer verstehen. Wie können Kunden weltweit davon profitieren? Ayrey: Die Erfahrungen, die wir in Großbritannien machen, können in anderen Ländern auf der Welt nütz lich sein. Ebenso können wir von anderen Märkten lernen und diese Lektionen auf Großbritannien anwen den. Ein Beispiel sind die PPOs. Das ist ein Gebiet, auf dem Munich Re aufgrund der Erfahrungen auf ande ren Märkten zur D iskussion beitra gen konnte. Es war für unsere Kun den hilfreich, mehr über Trends in anderen Ländern zu erfahren. Wilkens: Aufgrund unserer Erfah rungen mit PPOs in einigen Märkten auf dem europäischen Kontinent konnten wir nicht nur eine theoreti sche Diskussion über die potenzielle Entwicklung von PPOs in Großbri tannien führen, sondern außerdem darlegen, wie der Markt sich ent wickeln wird, wenn er den gleichen Verlauf wie auf den anderen Märkten nimmt. Es gibt andere Bereiche, in denen Großbritannien bei der Ent wicklung in vorderster Reihe steht. Zum Beispiel Preisvergleichsportale: Sie sind eine globale Entwicklung, die nicht aufzuhalten ist – es werden immer mehr Policen online verkauft. Andere Märkte können hier von den in Großbritannien gemachten Erfah rungen profitieren. Ayrey: Natürlich muss man jeden Markt für sich betrachten. Zwischen den einzelnen Märkten gibt es kul turelle und legislative Unterschiede. Ein großer Unterschied zwischen Großbritannien und Deutschland besteht zum Beispiel darin, dass in Deutschland die meisten Kunden ihre Policen am 1. Januar verlängern. Das führt zu ganz anderen Heraus forderungen bei Marketing und Ver waltung und beeinflusst gegebenen falls auch die Vertriebskette. Ein weiteres Beispiel liegt im Fahrverhal ten von jungen Männern. In Groß britannien sind sie ein erkennbar schlechteres Risiko als junge Frauen. Dieser Unterschied ist üblicherweise in anderen Ländern zwar auch vor handen, aber nicht immer auf allen Märkten gleich stark ausgeprägt. Man kann aus den Erfahrungen in anderen Ländern lernen, muss diese aber mit der eigenen Kenntnis der anderen Märkte kombinieren. Warum und in welchen Fällen sollte ein Kunde sich an Sie wenden? Wilkens: Wir haben in Großbritan nien ein erfahrenes Team, das die Bedürfnisse und Anforderungen der Kunden versteht. Der Kunde steht immer im Mittelpunkt unserer Arbeit. Dank unseres umfangreichen Erfahrungsschatzes und unserer weitreichenden Fähigkeiten können wir maßgeschneiderte Lösungen entwickeln und nachhaltige Partner schaften aufbauen. All das wird von der finanziellen Sicherheit von Munich Re flankiert. Ayrey: Für einige Unternehmen sind vielleicht die von uns angebotenen Beratungsdienstleistungen interes sant. Ein weiterer wichtiger Faktor in Großbritannien ist unser Schaden team in London. Diese Kollegen haben exzellente Kenntnisse auf dem Gebiet von großen Schäden, und viele unserer Kunden wissen das sehr zu schätzen. Unsere Experten: Klaus Wilkens, Executive Client Manager, ist seit 5 Jahren zustän dig für britische und irische Kun den. Davor hatte er verschiedene Underwritingfunktionen inne. kwilkens@munichre.com Mike Ayrey, Senior Consultant der Motor Consulting Unit, ist seit 12 Jahren bei Munich Re. Davor arbeitete er 20 Jahre lang für Kfz-Erstversicherer. mayrey@munichre.com Munich Re Topics Magazin 1/2015 31 Big Data Eine riesige Herausforderung Die weltweit gesammelten Daten werden immer schneller immer mehr. Ihre Auswertung könnte viele Geschäftsprozesse in der Assekuranz verbessern. Doch wie lassen sich die Chancen nutzen ? von Fabian Winter Das Netz explodiert – Menschen und Maschinen speisen unaufhörlich Daten ins World Wide Web ein. Während bis 2005 etwa 0,1 Zettabyte an Daten pro duziert wurden, dürfte 2015 die weltweit verfügbare Datenmenge etwa 8 Zettabyte erreichen. Und Pro gnosen besagen, dass sich die Datenmenge bis 2020 nochmals auf 40 Zettabyte verfünffacht. Dieser immense „Datenhaufen“ wird inzwischen allgemein mit dem Begriff „Big Data“ (siehe auch Abb. 1) beschrieben. tifiziert werden – sowie das „Image/Video Mining“. Sie könnten Aufschluss darüber geben, welche Bedürfnisse Kunden haben. Im weiteren Prozess können diese Ergebnisse als Basis für gezieltere Vertriebs- oder Servicemaßnahmen dienen. Dabei gilt es natürlich immer, die bestehenden Datenschutz regelungen des jeweiligen Rechtsraums zu beachten (siehe auch Interview auf Seite 39/40). Viele Unternehmen, unter ihnen die Versicherer, ver fügen über ein Geschäftsmodell, das ohne die fun dierte Untersuchung der zugrunde liegenden Fakten, also Daten, nicht denkbar wäre. Doch mittlerweile übersteigen die extern gewonnenen Daten die intern gesammelten bei Weitem. Sie können aus verschie densten Quellen wie Einträgen in Social-Media-Platt formen oder Videos stammen; der überwiegende Teil davon ist unstrukturiert. Aus diesen die relevanten herauszufiltern, sie zu strukturieren und nutzbar zu machen, ist die große Herausforderung für die Unter nehmen. Möglichkeiten dazu bieten „Content Ana lytics“ – damit können mithilfe einer linguistischen Suche empirische Zusammenhänge beispielsweise zwischen Kommentaren aus Internetforen, SocialMedia-Plattformen und eigenen Datenbanken iden Die Datenanalyse ist der Knackpunkt, denn nur wenn der riesige Datenfundus ausgewertet und die verschie denen Quellen kombiniert werden können, schafft dies tatsächlich Nutzen. Bisher gelingt das nur mit einem geringen Anteil der verfügbaren Informationen. Dennoch hat man in einigen Branchen bereits beeindruckende Resultate erzielt: Im Versandhandel konnte aufgrund der Auswertung von Bestelldaten – rund 300 Millionen Datensätze pro Woche – die Lagerhaltung optimiert werden; dies führte zu Ein sparungen in zweistelliger Millionenhöhe. Die Analyse ist das Wichtigste Auch Banken und Kreditkartenfirmen durchforsten die Daten, um kriminelle Muster zu erkennen und damit betrügerische Transaktionen aufzudecken – ein klarer Vorteil für ihre Kunden. Gang im Pionen Data Center in Stockholm, Schweden, das sich in einem ehemaligen Atombunker befindet. Munich Re Topics Magazin 1/2015 33 Big Data Abb. 1: Charakteristika von Big Data Volume Menge Virality Verbreitungsgeschwindigkeit Viscosity Quellenvielfalt Velocity Entstehungs geschwindigkeit Variety Strukturen vielfalt Big Data lässt sich durch mindestens 3 „V” charakterisieren: das Volumen (Volume), also die schiere Menge der Daten, ihre Vielfalt (Variety) sowie die Geschwindigkeit (Velocity) ihrer Ent stehung. Quelle: Munich Re Big Data kann das Underwriting von Betriebsunterbrechungsrisiken unterstützen Alexander Schmidl, Senior Underwriter für globale fakultative Industrierisiken, über ein Pilotprojekt zur Lieferkettenanalyse mithilfe von Big Data. Topics: Herr Schmidl, Sie leiten eines von fünf Pilotprojekten, mit denen Munich Re herausfinden will, wo Big Data Risikoprüfung und Pricing optimieren kann. Wie ist es dazu gekommen? Alexander Schmidl: Im Frühjahr 2014 haben wir in den Big-Data-Teams der Geschäftsbereiche begonnen, Anwen dungsfälle zusammenzutragen, bei denen wir uns vorstellen konnten, dass sie das Geschäft verbessern könnten. Ursprünglich waren es fast 78 Fälle, 37 davon werden nun umgesetzt und mit fünf Piloten sind wir im Herbst gestartet. Unser „Supply Chain Case“ befasst sich mit der Analyse von Lieferketten und will dieWechselwirkungen bei globalen Industrien besser erfassen. Was ist der Hintergrund dieses Projekts? Gerade bei Hightech-Unternehmen, etwa Elektronikfirmen, findet die Komponentenherstellung nicht mehr 34 Munich Re Topics Magazin 1/2015 in eigenen Betrieben statt, sondern ist fast völlig an Fremdhersteller aus gelagert. Und obwohl die Unterneh men seit den Erdbeben- und Flut ereignissen in Japan bzw. Thailand 2011 verstärkt darauf achten, ihre Lieferketten transparenter zu machen, reichen die Informationen, die wir für die Risikoprüfung erhal ten, zumeist leider nicht aus, um die Effekte aus Wechsel- und Rückwir kungen in den Lieferketten bei Betriebsunterbrechungsrisiken adäquat zu bewerten. Liegen diese Informationen denn nicht bei den Versicherungsnehmern vor? Es ist tatsächlich so, dass viele Infor mationen, die uns helfen würden, den Versicherungsnehmern oft selbst fehlen – oder Wettbewerbs gründe bzw. Vertraulichkeitsverein barungen wie über Patente stehen der Weitergabe im Weg. Diese Lücken wollen wir mithilfe von Big Data bestmöglich schließen und damit unsere Unsicherheit beim Underwriting verringern. Wie schaut das Szenario im Einzelnen aus? Unser Testszenario will die Liefer ketten von Hightech-Elektronik industrierisiken, zum Beispiel bei Smartphone-Herstellern, transparen ter machen. Hier bestehen häufig extreme Abhängigkeiten: Oft stellt nur ein Unternehmen ein spezielles Bauteil her, das es an mehrere „Original Equipment Manufacturer“ (OEMs) liefert. Wenn dann beim Zulieferer eine Lieferunterbrechung auftritt, aus welchem Grund auch immer, könnte die Produktion ver schiedener OEMs betroffen sein. Unser Ziel ist also, solch kritische Produkte und Zulieferer zu identifi zieren und Abhängigkeiten zu Big Data Diese Transparenz, ebenso wie Empfehlungen beim Bücherkauf oder Ähnliches, nehmen die meisten nor malerweise gern in Kauf – im Versicherungskontext wird der Kunde sensibler, obgleich die Empfindungen unterschiedlich sind: So liegen in den USA bei der deutlichen Mehrheit der Facebook-Profile die Informati onen teilweise oder völlig offen vor, in Deutschland sind es etwa die Hälfte. Auch die gesetzlichen Rahmenbe dingungen variieren von Land zu Land; weltweit wer den derzeit die Rechtsgrundlagen für die Auswer tungsmöglichkeiten diskutiert (siehe auch Seite 39/40). Und inwiefern Kunden auf Dauer bereit sein werden, etwa auch Gesundheitsdaten – wie über iPhone Health Tracking – weiterzugeben, wird sich noch zeigen und hängt wohl auch davon ab, welchen Vorteil sie sich davon versprechen. erkennen. Wenn wir diese Netzwerke besser durchschauen, wissen wir im Idealfall am Ende, wie hoch die Betriebsunterbrechungsrisiken unserer jeweiligen Versicherungs nehmer sein können. Welche Informationen werden dazu analysiert? Dazu wollen wir Informationen nut zen, die im Internet frei verfügbar, aber unstrukturiert vorliegen. Die Kunst ist, die relevanten aufzuspü ren, sie unter die Lupe zu nehmen und mit unseren intern erhobenen Daten zusammenzuführen. Eine technische Herausforderung. Ja, denn um diese riesigen Daten mengen zu durchforsten, muss man intelligente Wissensmodelle und spezielle Suchprogramme entwi ckeln, die sich im Lauf der Zeit selbst optimieren. Die Ergebnisse müssen selbstverständlich nochmals im Ein zelnen auf ihre Plausibilität geprüft werden. Wann rechnen Sie mit den ersten Ergebnissen? Die Projekte laufen bis ins zweite Quartal 2015, also ein gutes Jahr gerechnet vom ersten fachüber greifenden Kick-off und inklusive Findungsphase. Doch im Grunde handelt es sich um eine Machbar keitsstudie: Zunächst müssen wir sehen, was sich tatsächlich erreichen lässt und was nicht bzw. welche Business Analytics ist die Voraussetzung für Strukturierung und Nutzung Doch die riesigen Datenmengen erlangen erst dann einen Wert für Unternehmen, wenn es gelingt, aus all dem Wissen auch die richtigen Schlüsse und Kon sequenzen abzuleiten. Das Ziel ist, bisher unerkannte Muster zu entdecken bzw. das Versichertenkollektiv in kleinere und homogenere Gruppen einzuteilen und mithilfe zusätzlicher Informationen die Risiken noch präziser einschätzen zu können. Dank besserer Datenauswertung und ungleich größerer Datenbe stände steigt auch die Chance, bislang unversicher bare Risiken versicherbar zu machen und somit neue Geschäfte zu erschließen. Die potenziellen Anwen dungsmöglichkeiten sind vielfältig (siehe Abb. 2). Lösungen langfristig implementier bar wären. Selbstverständlich muss auch das Aufwand-Nutzen-Verhält nis passen. Wenn sich herausstellt, dass ein Szenario nicht oder nur unwirtschaftlich funktioniert, wird es verworfen und durch einen anderen Fall ersetzt. durch Big-Data-gestütztes Under writing tatsächlich vollumfänglich verbessern lassen und wir auch Schäden aus unprofitablem Geschäft vermeiden, könnte sich ein geschätz tes umsatzäquivalentes Potenzial von einem mittleren zweistelligen Millionenbetrag erschließen lassen. Welche anderen Industrien könnte man auf ähnliche Weise beleuchten? Wie profitieren unsere Kunden von diesen Aktivitäten? Wir haben mit unserer IT-Beratungs firma drei Stränge aufgesetzt. Der erste ist das oben beschriebene Sze nario. Der zweite bezieht sich auf Cloud-Services/Provider – auch hier besteht ein großes Kumulrisiko, wenn ein Anbieter ausfällt oder gehackt wird. Diese Abhängigkeiten müssen wir beim Riskassessment besser durchschauen. Das dritte Stream-Szenario bezieht sich gemeinsam auf die Öl- und Gas industrie sowie die Pharmabranche – bei so spezialisierten Industrien hat man oft nicht das volle Bild über wichtige Lieferströme und ihre Werte; hier könnte uns ebenfalls die Analyse der im Internet verfügbaren Daten weiterhelfen. Selbstverständlich werden wir die Erkenntnisse, die wir aus unseren Analysen gewinnen, mit ihnen teilen. Und je besser die Datenlage, desto genauer kann unsere – und ihre – Risikoeinschätzung sein und damit das Pricing. Wir qualifizieren uns zudem als Premium-Risk- und Solu tion-Partner, weil wir die komplexe Problematik besser verstehen und sehr kundenspezifische Lösungen anbieten können – ein klarer Wettbe werbsvorteil für unsere Kunden und auch für uns. Mit welchem geschäftlichen Mehrwert rechnen Sie, wenn alles wie geplant läuft? Bei einer erfolgreichen Umsetzung aller vier Szenarien – wenn sich also Risikoselektion, Beteiligungssteue rung und Pricing im fakultativen und Vertragsgeschäft sowie die Akkumu lationskontrolle im Vertragsgeschäft Munich Re Topics Magazin 1/2015 35 Big Data Dazu müssen moderne Methoden der Datenanalyse eingesetzt werden. Denn erst durch Business Ana lytics kann man die relevanten Informationen aus dem „Datenhaufen“ herausfiltern. Beispiele für neue statistische Modelle sind Verfahren zur Dimensions reduktion, die es ermöglichen, auf Basis von meh reren Hundert Informationen wenige neue Parameter mit einem Großteil der Information zu berechnen; ebenso wie komplexe Baumansätze, moderne Regressionsmethoden oder neuronale Netze, die es mit Zusammmenhanganalysen erlauben, individuelle Ereignisse nicht nur in der Vergangenheit zu erklären, sondern auch für die Zukunft vorherzusagen. Gerade durch diese individuelle Vorhersage, „predic tive modelling“ oder „predictive analytics“, ergeben sich Chancen für eine bessere Echtzeit-Steuerung einzelner Prozesse. Im Vertrieb beispielsweise kann die Cross-SellingWahrscheinlichkeit eines bestehenden Kunden pro gnostiziert werden. Diese wird zusammen mit der Prognose des optimalen Vertriebskanals für diesen Kunden sowie mit den damit verbundenen Abschluss kosten und den erwarteten Einnahmen für das neue Produkt zu einem individuellen Business Case ver dichtet. Basierend darauf wird für jeden Kunden das ökonomisch optimale Vorgehen bestimmt. Um solche neuen analytischen Modelle zu nutzen, braucht es geeignetes Knowhow: Statistische Fähig keiten sind jedoch knapp auf dem Arbeitsmarkt und die wenigen Ressourcen stark umworben. Anders als in der angelsächsischen Welt, wo frühzeitig die gestiegene Nachfrage erkannt und verstärkt universi Touch-Display einer Hightech-Anlage: Eine große Menge Daten wird mittlerweile auch von Maschinen generiert und ins Netz eingespeist. 36 Munich Re Topics Magazin 1/2015 täre Angebote geschaffen wurden, übersteigt gerade in Deutschland der Bedarf an statistischem Knowhow bereits jetzt das Angebot auf dem Arbeitsmarkt. Munich Re führt daher seit 2011 zusammen mit der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) München jährlich einen Informationstag für Statistik-Studen ten durch. Big Data und Business Analytics in der Sachversicherung In der Sachversicherung gibt es eine ganze Reihe von Anwendungen, etwa bei der webbasierten Analyse von Zulieferketten (siehe Seite 34/35). Auch bei der Modellierung von Ernteausfall werden beispielsweise länderspezifische Daten zur Georeferenzierung (aktu ell sind diese Daten nur in einzelnen Märkten vorhan den und verfügbar) der Felder mit Wetter- und Satel litendaten zusammengeführt, um dann basierend auf agronomischem Wissen entsprechende Risikoszena rien zu berechnen. Bei der Entwicklung neuer KfzTarife werden künftig ebenfalls Daten über das indivi duelle Fahrverhalten (Stichwort „connected car“) eine bedeutende Rolle spielen (lesen Sie dazu auch das Gespräch ab Seite 26). Die systematische Beobachtung der weltweiten Datenströme mit statistischen Methoden kann zudem dabei unterstützen, frühzeitig von potenziell relevanten Schäden zu erfahren. Diese Information kann dann mit dem eigenen Portfolio abgeglichen werden und bietet als eine Art Frühwarnsystem die Möglichkeit zum frühzeitigen schadenmindernden Eingreifen. Big Data Abb. 2: Denkbare Anwendungsfälle in der Versicherungswirtschaft Pricing und Produktentwicklung –Ü berprüfung des Pricings bestehen der Produkte –P ricing neuer Produkte – Produktentwicklung auf Basis von Social-Media-Daten Vertrieb und Marketing – Kundenakquisition – I dentifikation von Cross- und Up-sellingPotenzialen Underwriting – Verbesserung und Automatisierung im Underwriting – Prozessoptimierung – Kündigungsprävention –E rkennung von Möglichkeiten zur Kundenrückgewinnung Schadenmanagement – medizinische Qualitätskontrolle – Design von Gesund heitsprogrammen – Betrugserkennung verbessern – Schadenbear beitung optimieren – Kundenwertkalkulation – Vertriebskanal optimierung Die Möglichkeiten von Big Data umfassen die gesamte Wertschöp fungskette: So könnten etwa wesent liche Informationszuwächse die Produktentwicklung optimieren sowie die Betrugserkennung verbessern und die Schaden bearbeitung beschleunigen. Big Data und Business Analytics in der Krankenversicherung Streng genommen spielt Big Data in einigen Geschäftsprozessen schon seit Jahren eine zentrale Rolle. Bei der Optimierung von Vertriebs- und Marketingmaßnahmen werden externe Informationen zusammen mit intern verfügbaren Daten zu einer Datenbank vereint. Basierend auf ausgefeilten statis tischen Modellen werden dann Verkaufskampagnen zur Gewinnung von Neukunden und zur Bekämpfung von Prämienabrieb gestartet. Neue Anwendungs bereiche ergeben sich bei der Schadenregulierung, Gesundheitsförderung, Risikobewertung, Produkt entwicklung und Prozessoptimierung, wie die folgen den Beispiele zeigen. Je nach gesetzlichem und regulatorischem Marktumfeld können sie allerdings unterschiedlich stark sein. Schadenregulierung: Betrüger erkennen Bereits seit Längerem wird über ökonomische Chancen und Risiken von Dunkelverarbeitung und über eine Verbesserung der Betrugserkennung debattiert. Die Entwicklung regelbasierter medizini scher Prüfsysteme ermöglicht eine automatisierte Schadenbearbeitung in Echtzeit und damit eine kostengünstigere Prüfung. Regelbasierte Systeme sind jedoch wartungsaufwendig und können systematisches Verhalten über viele Rechnungen hinweg nur teilweise erkennen. Munich Re hat in der Krankenversicherung 2011 damit begonnen, den Quelle: Munich Re regelbasierten Ansatz durch analytische Verfahren zu ergänzen. Diese weisen jedem neuen Schaden eine Betrugs- oder Missbrauchswahrscheinlichkeit zu (sogenannte Scores). Je nach Score-Wert wird dann entschieden, ob man den Schaden in einer Betrugs abteilung genauer untersucht. In der Kfz-Versicherung werden ähnliche Modelle angewendet. Gesundheitsprogramme: Patientenauswahl optimieren und Erfolg messen Gerade für Volkskrankheiten wie Diabetes, Rücken schmerzen oder chronische Herzinsuffizienz werden vermehrt Gesundheitsprogramme angeboten. Ziel der sogenannten Disease-Management-Programme ist es, sowohl die Versorgungsqualität der Betroffe nen zu erhöhen als auch den Versicherern Kosten zu ersparen. Business Analytics hilft hier einerseits durch die Auswertung einer Vielzahl von Patienten daten (beispielsweise Echtzeitgewicht und -blut druck) bei der Auswahl der Programmteilnehmer. Andererseits lässt sich eine valide und unverzerrte Messung ökonomischer Effekte vornehmen. Munich Re hat hierzu ein analytisches Verfahren zur verbes serten Patientenauswahl entwickelt, das in der Fach zeitschrift „Health Care Management Science“ vorge stellt wurde. Dieses erweitert klassisch regelbasierte Ansätze um eine regressionsbasierte Komponente und ermöglicht somit individuelle Folgekostenschät zungen. Munich Re Topics Magazin 1/2015 37 Big Data 40.000.000.000.000.000.000.000 Zettabyte Exabyte Unvorstellbar große Zahlen: 2020 werden wohl 40 Zettabyte an Daten generiert – das 300-Fache des Jahres 2005. Petabyte Terabyte Megabyte Kilobyte Allein an der New Yorker Börse entsteht an jedem Handelstag 1 Terabyte an Daten. Produktentwicklung: Massenindividualisierung durch Big Data Auch in der Produktentwicklung spielt die Kombina tion aus internen und externen Daten eine zentrale Rolle, um maßgeschneiderte Angebote zu entwickeln. Zum Beispiel verhilft die intelligente Nutzung von Social-Media-Daten durch Content Analytics, also die Auswertung unstrukturierter Texte und das Ausfiltern von Kerninformationen, zu zusätzlichem Wissen über das Verhalten. Diese kostenlos extrahierbaren Daten werden dann auf Basis eines statistischen Ähnlich keitsbegriffs mit den internen Daten zusammenge führt. So kann man Aufschluss gewinnen über das Nachfrageverhalten und die Versicherbarkeit von existierenden und potenziellen Kunden. Versiche rungsnehmer werden in homogene, aber untereinan der möglichst heterogene Bevölkerungsgruppen in Bezug auf ihr Interesse an Versicherungsprodukten aufgeteilt. Pro Gruppe bzw. Cluster werden dann mögliche Bedarfe an neuen Versicherungsprodukten sowie die entsprechende Vertriebskanalpräferenz bestimmt. Der Grundstein für passgenaue Angebote ist damit gelegt. Prozessoptimierung: Schaden- und Antragsprozesse besser steuern Für das Antrags- und Schadenwesen, das üblicher weise viel Personalaufwand erfordert, bietet Business Analytics Optimierungsmöglichkeiten. Bislang eher qualitativ genutzt, können Techniken wie das Managementsystem Six Sigma durch den Einsatz von komplexen statistischen Modellierungsansätzen die Prozesse auch quantitativ verbessern. In der Schadenregulierung kann etwa pro Einzelschaden der durch die Prüfgenauigkeit bestimmte Trade-off zwischen operationalen und medizinischen Kosten bzw. möglichen Einsparungen ermittelt werden. Wäh rend die operationalen Kosten, die auf der Prüfzeit basieren, eher einfach zu berechnen sind, bedarf es für den Zusammenhang mit medizinischen Einspa rungen eines komplexen, datenbasierten Ansatzes. 38 Gigabyte Munich Re Topics Magazin 1/2015 Byte Für jeden Schaden kann dann – je nach Komplexität und Betrugs- und Missbrauchswahrscheinlichkeiten – der optimale Prüfaufwand bestimmt und der Gesamtprozess effizienter gestaltet werden. Business Analytics: Datenschutzkonform und frei von Diskriminierung Statistische Verfahren erlauben das automatische Filtern und Auswerten großer Datenmengen. Dass dabei (Datenschutz-)Gesetze eingehalten werden und keine unzulässige Diskriminierung einzelner Per sonengruppen auftritt, wird selbstverständlich streng beachtet. Der Gesetzgeber hat wegen möglicher Diskriminierung, damals am Beispiel der Kreditver gabe, den Einsatz von Scoringverfahren neu geregelt. Jeder Versicherer braucht eine Big-Data-Strategie Der enorme Anstieg von zusätzlichen Daten kann – bei sinnvoller Weiterverarbeitung – einen entschei denden Wettbewerbsvorteil mit sich bringen. Auf jeden Fall können Tarifierung, Underwriting, Scha denmanagement oder Kundenservice optimiert wer den. Eine geschickte Kombination von Big Data und Business/Predictive Analytics hilft, Risiken, Kunden verhalten und Kundenbedarfe individueller und prä ziser zu identifizieren und vorherzusagen, um folglich maßgeschneiderte Versicherungsprodukte anzubie ten. Daher ist es von fundamentaler Notwendigkeit, dass Versicherungsunternehmen jeglicher Größe für sich eine Big-Data-Strategie definieren. Unser Experte: Fabian Winter ist Diplom- Statistiker und befasst sich mit Big Data Analytics im Geschäftsfeld Munich Health. fwinter@munichre.com Quelle: IBM BIG Data Achtung, Datenschutz ! Der Wunsch vieler Unternehmen, die neuen Möglichkeiten für ihr Geschäft zu nutzen, kann leicht in Konflikt mit den Persönlichkeitsrechten des Einzelnen geraten. Ein geschärftes Bewusstsein dafür ist also zentral, damit der hohe Aufwand nicht am rechtlichen Rahmen scheitert, so Wolfgang Mörlein, Chief Data Protection Officer bei Munich Re. Topics: Herr Mörlein, seit der NSAAffäre wird viel über Datenschutz gesprochen. Ist man in Deutschland und Europa aufgrund der Vorfälle sensibler geworden? Wolfgang Mörlein: In Deutschland besteht das Bewusstsein dafür spä testens seit den 1980er-Jahren, als um die Zulässigkeit der Volkszäh lung gestritten wurde. Doch auf grund der riesigen Menge an Daten besteht heute mehr denn je die Angst, zum gläsernen Menschen zu werden. Denn trotz ihrer Menge und Verstreutheit ist es mittlerweile relativ einfach, einzelnen Menschen Daten zuzuordnen. Da kann man sich schnell ein recht weitgehendes Bild von einer Person machen. Deshalb ist die Gesetzgebung in Europa relativ streng. Welches sind die zentralen Regelungen? In der Europäischen Union regelt seit 1995 die Richtlinie 95/46/EG die Verarbeitung personenbezogener Daten. Sie beschreibt Standards, die in allen Mitgliedstaaten sicher gestellt werden müssen. Regelmäßig ist die Verarbeitung personenbezo gener Daten nur dann erlaubt, wenn die betroffene Person ausdrücklich und zweckgebunden in die Verarbei tung der Daten einwilligt oder eine Rechtsvorschrift diese vorsieht. In den nächsten Jahren soll die Richt line von einer Datenschutz-Grund verordnung abgelöst werden, über die momentan auf europäischer Ebene verhandelt wird. Sie soll die Datenschutzregelungen modernisie ren und an die aktuellen – zum Bei spiel mit der Nutzung des Internets verbundenen – Herausforderungen anpassen. Voraussichtlich werden die Regelungen damit in gewissen Bereichen auch strenger werden. Wie schauen die Rahmenbedingun gen in anderen Staaten aus? In den USA wird beispielsweise ein anderer Ansatz verfolgt. Dort fokus siert man stark auf die heimische Privatsphäre, berufliche Daten etwa sind vom Schutz völlig ausgenom men. Viele Regionen, Asien oder auch Südafrika, wo kürzlich ein neues Datenschutzgesetz erlassen wurde, orientieren sich allerdings eher an den europäischen Regelungen. Was bedeutet die strenge europäische Regelung nun für Big-Data-Projekte in der Versicherungswirtschaft? Derzeit ist – zumindest in Deutsch land – die Verarbeitung von im Inter net öffentlich zugänglichen perso nenbezogenen Daten in der Regel zulässig. Zumindest solange man nicht davon ausgehen muss, dass die Angaben ohne Zutun der betroffenen Person verbreitet wurden, zum Bei spiel ein vielleicht peinliches Foto durch einen Dritten über soziale Netzwerke. Das künftige EU-Recht wird hier möglicherweise deutlich restriktiver werden. Die Daten, die wir von unseren Zedenten zu ihren Versicherungs nehmern oder zu Anspruchstellern bei Personenschäden bekommen, sind zum Teil sehr sensibel, gerade wenn es sich um Angaben zum Gesundheitszustand handelt. Und sie sind zweckgebunden, also auf die Abwicklung der (Rück-)Versicherung beschränkt. Falls man sie für weitere Auswertungen nutzen möchte, ist das per se erst einmal nicht erlaubt. Dieser Grenzen muss man sich immer bewusst sein, um nicht gegen geltendes Recht zu verstoßen. In manchen Bereichen lässt sich die Datenerhebung für neue Techniken und Produkte mit einer gesonderten Einwilligung des Betroffenen ermög lichen, etwa bei der Black Box in der Kraftfahrtversicherung. Doch in vie len Fällen bleibt das schwierig, zumal für uns als Rückversicherer, der mit den betroffenen Personen ja regel mäßig nicht in direktem Kontakt steht. Wie kann man dann trotzdem Analysen vornehmen? Anonymisierung, also das Weglassen von personenbezogenen Daten wie Namen und Geburtsdatum, ist ein denkbares Verfahren. Für anonyme Daten gelten die Datenschutz gesetze nicht. Allerdings ist darauf zu achten, dass auch soziografische Angaben in ihrer Kombination keine eindeutigen Rückschlüsse auf Ein zelpersonen zulassen dürfen. Denken Sie etwa an die Kombination Berufs angabe und Postleitzahl. In einer Munich Re Topics Magazin 1/2015 39 BIG Data Wolfgang Mörlein ist Jurist und seit vielen Jahren Chief Data Protection Officer bei Munich Re. Einen Schwer punkt seiner Tätigkeit bildet die Begleitung der aktuellen europäi schen Datenschutzgesetzgebung. dünn besiedelten Region kann es vielleicht nur einen Zahnarzt oder Ähnliches geben, dessen Name sich aus anderen Quellen dann pro blemlos feststellen lässt. Je größer die Menge der unterschiedlichen Daten – und hier sind wir wieder bei Big Data –, desto höher wird die Wahrscheinlichkeit, dass eine Rück beziehbarkeit auf eine bestimmte Person wieder möglich wird. Anonyme Daten sind aber nicht für alle Analysen geeignet. Die Aussage kraft der Ergebnisse kann leiden oder ganz verloren gehen, wenn eine Ent wicklung über einen längeren Zeit raum beobachtet werden soll, zum Beispiel ein Krankheitsverlauf. Hier muss ich wissen, welche Einzeldaten zusammengehören, sich also auf eine Person beziehen. Um wen es sich bei der Person genau handelt, muss ich allerdings nicht wissen. Hier kann unter Umständen eine Pseudonymisierung der Daten helfen. Und welche Regelungen gelten für die Pseudonymisierung? Hier verwende ich statt des Namens beispielsweise eine durchlaufende Nummer als Zuordnungskriterium. So gehen wir derzeit vor, wenn wir für Zedenten deren Bestände unter bestimmten Gesichtspunkten analy sieren. Der Erstversicherer ersetzt den Namen seines Versicherungs 40 Munich Re Topics Magazin 1/2015 nehmers durch eine Nummer. Für uns gelten diese Daten als anonym, solange sichergestellt ist, dass der Zuordnungsschlüssel, das heißt, welcher Name zu welcher Nummer gehört, für uns unzugänglich bleibt. Manche Aufsichtsbehörden sehen das kritischer, da der Schlüssel ja grundsätzlich vorhanden ist. Im Zusammenhang mit sogenannten dynamischen IP-Adressen wird der Europäische Gerichtshof (EuGH) voraussichtlich bald eine Grundsatz entscheidung zu dieser strittigen Frage treffen. Auch die Planungen für die neuen europäischen Rege lungen gehen momentan in die Richtung der Meinung der Aufsichts behörden und werten pseudonymi sierte Daten generell als personen bezogen, wenn nur irgendjemand den Zuordnungsschlüssel besitzt. Was würde eine solche Neuregelung für die Versicherer bedeuten? Das wäre äußerst problematisch. Gerade dann, wenn Gesundheits daten im Spiel sind, müsste vor einer Analyse jeder einzelne Betroffene seine ausdrückliche Einwilligung geben. Dazu besteht für die Betroffe nen aber kein besonderer Anreiz und erst recht keine Verpflichtung. Ver mutlich würde allenfalls ein sehr geringer Teil dem Versicherer eine solche Einwilligung erteilen. Eine nur lückenhafte Datengrundlage wäre für Analysen dann aber wohl nicht mehr aussagekräftig. Muss bei der europäischen Neuregelung der Richtlinie also noch nachgebessert werden? Auf jeden Fall. Munich Re wie auch der Gesamtverband der deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) haben die Bedeutung bereits erkannt. In unserer Lobbyarbeit geht es darum, dass (Rück-)Versicherer alle für ihre Tätigkeit notwendigen personenbezogenen Daten, ebenso Gesundheitsangaben, auf einer sicheren Rechtsgrundlage auch tat sächlich verwenden dürfen. Zum Beispiel sind für Tarifierung und Risi komanagement statistische Erfah rungswerte als Einschätzungsgrund lage unabdingbar. Als Datenbasis werden in den relevanten Bereichen zumindest pseudonymisierte Daten benötigt. Die neuen Vorschriften müssen diese Datenverwendungen jeweils ausdrücklich zulassen und dürfen sie nicht von einer Zustim mung des Betroffenen im Einzelfall abhängig machen. Ansonsten wäre unter anderem die Aussagekraft der Statistiken ausgehebelt. Kurz gesagt: Bei den neuen Datenschutz regelungen muss noch eine ausge wogenere Balance zwischen dem legitimen Schutz von personenbezo genen Daten und der Notwendigkeit ihrer Verarbeitung durch die Unter nehmen erreicht werden. Rezension Mass Torts in Europe – Cases and Reflections von Ina Ebert „Mass Torts“ sind ein Phänomen, das lange Zeit vor allem mit dem US-Recht in Verbindung gebracht wurde. In den vergangenen Jahren kam es aber auch in Europa zu Klagen von Hunderten oder Tausenden von Geschädigten, die ähnliche Ansprüche gegen den gleichen Beklagten geltend machten. Auf solche Verfahren waren die traditionellen europäischen Rechts systeme nicht eingerichtet. Die Studie des Wiener European Centre of Tort and Insurance Law (Ectil) zeigt, wie und mit welchem Erfolg die verschie denen europäischen Rechtsordnungen versuchen, dieser neuen Herausforderung gerecht zu werden. Um gleichermaßen Theorie und Praxis zu erfassen, verfolgt die Studie dabei zwei Ansätze: Einerseits werden abstrakt die jeweiligen rechtlichen Rahmenbedingungen und deren Weiterentwicklungen dargestellt: Welche Mechanismen wurden eingeführt, um Ansprüche zu aggregieren und den Gerichten die Bewältigung der Massenverfahren zu erleichtern? Wie wird festgelegt, welches nationale Recht anwendbar ist und welche Gerichte zuständig sind ? Zum anderen veranschaulichen neun Fallstudien von Praktikern aus verschiedenen europäischen Rechtsordnungen, wie dieses „law-in-the-books“ gelebt wird. Die Bandbreite der behandelten Fälle reicht dabei von der Entschädigung der Opfer von Massenunfällen (Eschede, „Costa Concordia“) bis zu ersten Erfahrungen mit Class Actions (gegen italienische Banken) und Musterverfahren von Aktionären (Deutsche Telekom). Die Beispiele zeigen, mit welchen Mass-Torts-Szenarien man sich längst auch in Europa befassen muss. Die Reformen in Europa gehen weiter: 2013 hat die EU ihren Mitgliedst aaten die Einführung von Entschädigungsmechanismen bei Mass Torts („Collective Redress“) empfohlen, 2014 haben Frankreich und Belgien Class Actions ein geführt. Wer wissen will, welche Konsequenzen sich daraus für die europäischen Märkte ergeben könnten, bekommt durch die Ectil-Studie einen guten Überblick über die bisherigen Erfahrungen mit Mass Torts in Europa. Willem H van Boom/ Gerhard Wagner (eds): „Mass Torts in Europe – Cases and Reflections”, De Gruyter Munich Re Topics Magazin 1/2015 41 Marine In den Wachstumsmärkten können wir am meisten bewegen John C. Wilkinson sprach mit Topics über die Ziele des neu gebündelten Marine-Bereichs von Munich Re und die Vorteile, die er den Kunden bieten kann. Im Gleichklang – Knowhow und Kapital sind die zentralen Faktoren auf dem Marine-Markt. 42 Munich Re Topics Magazin 1/2015 Marine Topics: Welche Gründe waren ausschlaggebend, das Marine-Geschäft neu zu strukturieren? An welchen Aspekten lässt sich die neue Ausrichtung des Bereichs am besten erkennen? John Wilkinson: Auf dem Marine-Markt herrscht bekanntlich ein sehr intensiver Wettbewerb. Und bislang waren die Marine-Rückversicherungsexperten von Munich Re geografisch organisiert und damit im Haus stark verstreut. Das war nicht optimal, um unser umfassendes Knowhow in allen Subsparten angemessen zu vernetzen und den Markt bestmöglich zu bearbeiten. Daher hat der Vorstand im Herbst 2013 entschieden, das Geschäft zu bündeln – mit dem Ziel, die Produktentwicklung durch die Zusammenführung der Expertise zu forcieren. In den vergangenen Monaten haben wir intensiv arüber diskutiert, wohin die Reise gehen soll. Grundd sätzlich sind wir zwar global ausgerichtet, doch natürlich wollen wir dezentral arbeiten, um näher an unseren Kunden vor Ort zu sein. Deshalb haben wir entschieden, zwei große Underwriting-Einheiten außerhalb Münchens zu gründen, für den asiatischpazifischen Raum und für Nordamerika. Was hat sich dadurch geändert? Das technische Knowhow ist nun das maßgebliche Merkmal. Insgesamt hat der Marine-Bereich damit den Charakter eines Kompetenzzentrums mit einer markt- und kundenorientierten Organisationsstruktur bekommen. Damit stärken wir die Underwriting Excellence und verbessern die Servicequalität für unsere Kunden. Zudem können wir nun unseren Risikoappetit und unseren Kapitaleinsatz im Ganzen definieren und somit besser steuern. Wie viele Mitarbeiter gehören unternehmensweit zum Bereich Global Marine Partnership? Alles in allem sind wir hier in München rund 70 Leute. Weitere rund 500 sind über den ganzen Globus verteilt. Zu ihnen zählen auch die Mitarbeiter von Watkins und ihr globales Netzwerk. Welche Vorteile bringt die Zusammenarbeit mit diesen auch unseren Erstversicherungskunden? Sowohl Erst- als auch Rückversicherungswissen in einer Einheit zu haben, birgt einen enormen Vorteil: Um innovativ zu sein, muss man nahe am Endkunden sein. Watkins hat diese Nähe und bietet zudem sehr viel Knowhow bei Spezialrisiken, etwa bei Terror, Krieg, Offshore Energy oder Kunstversicherung. Wir in der Rückversicherung können dieses Wissen nutzen, um dann die passenden Lösungen für unsere Kunden zu entwickeln. Im Übrigen zeichnet sich meines Erachtens in Spezialbranchen schon seit Längerem ein Umdenken ab, und der Markt entwickelt sich immer mehr zu einem Kapital- und Knowhow-Markt. Munich Re hat beides zu bieten. Ein Schwerpunkt Ihrer Arbeit liegt also auf Asien. Ja, im asiatisch-pazifischen Raum sehen wir viel Potenzial, sowohl gesamtwirtschaftlich als auch für die Assekuranz. Bisher waren viele asiatische Märkte stark vom Export getrieben, doch ebenso steigt hier der Konsum einer immer größer werdenden Mittelschicht – die ihren gewonnenen Wohlstand auch absichern will. Außerdem: Neun der zehn größten Häfen weltweit liegen in Asien, sechs davon befinden sich in China! Um diesem Wachstum zu begegnen, müssen wir vor Ort sein und unsere Kunden dort proaktiv mit innovativen Lösungen unterstützen. Hier können wir mit unserer Expertise am meisten bewegen und gemeinsam mit unseren Zedenten Produkte auf den Markt bringen, die auf diesen Wachstumsmärkten noch fehlen. Sie selbst sind ja ein profunder Kenner des asiatischen Raums. Mir liegen diese Märkte natürlich auch persönlich am Herzen, weil ich viele Jahre meines Berufslebens dort verbracht habe: Bevor ich 13 Jahre das Geschäft von Munich Re in Greater China verantwortet habe, war ich schon für einen Erstversicherer sechs Jahre in Südostasien und Australien. Ich glaube aber auch, dass Munich Re insgesamt hier viel anzubieten hat. Denn sie hat eine lange Tradition in Asien und daher ein tiefes Verständnis für die Spezifika der lokalen Märkte. Munich Re Topics Magazin 1/2015 43 Marine John C. Wilkinson hat im Juli 2014 die Verantwortung für den neu strukturierten Marine-Bereich von Munich Re übernommen. Davor war er 13 Jahre lang für das Geschäft des Unternehmens in Greater China verantwortlich. Sie haben eben Ihre Erstversicherungserfahrung angesprochen. Kommt sie Ihnen bei Ihrer neuen Aufgabe zugute? Selbstverständlich ist es sehr hilfreich, beide Seiten zu kennen! Doch das Schönste an meiner neuen Aufgabe ist, dass ich die gesamte Bandbreite meiner Berufserfahrung anwenden kann. Gerade auch die Anfangsjahre bei Lloyd’s of London haben mir ein Verständnis dafür gegeben, wie Syndikate funktionieren. Und das Geschäft aus unterschiedlichen Perspektiven zu betrachten, schärft den Blick für die Chancen. Also müssen alle Beteiligten an einem Strang ziehen? Ja, um die Risiken in unserer immer komplexeren Welt richtig absichern zu können, müssen alle partnerschaftlich zusammenarbeiten. Dieser Gedanke spielte auch bei der Namenswahl unseres Bereichs „Global Marine Partnership“ eine Rolle: Wir wollen deutlich machen, dass wir eine Community sind, und damit gleichzeitig unsere Reichweite und Zuständigkeit ausdrücken. Zudem soll das Partnerschaftliche prägend sein für unsere Zusammenarbeit – sowohl untereinander als auch mit unseren Kunden. Diese Partnerschaft wollen wir in allen Facetten pflegen. Was war die größte Herausforderung in der vergangenen Erneuerung? Wir wussten, dass wir uns in einem Weichmarkt bewegen, und mussten unsere grundsätzliche Strategie in der ersten gemeinsamen Erneuerung nicht massiv verändern. Im Sinne unseres Zyklusmanagements haben wir dabei dort auf Geschäft verzichtet, wo die Raten unseres Erachtens zu niedrig sind, etwa im sehr volatilen Offshore-Energy-Geschäft. Doch 44 Munich Re Topics Magazin 1/2015 wenn die Raten im Marine- und Energy-Geschäft wieder angemessen sind, haben wir die Flexibilität und Marktdurchdringung, um wieder in attraktive Segmente einzusteigen. Welche Sparten stechen besonders hervor? Negativ fällt das Hull-Geschäft auf, das seit 18 Jahren auf Basis der IUMI-Statistiken unprofitabel ist. Daher ist unser Risikoappetit hier auch traditionell sehr gering und wir zeichnen es nur in bestimmten Regionen. 2014 haben wir hingegen spontan eine Opportunität in der Untersparte „aviation war“ genutzt. Aufgrund der Spezialexpertise wird diese traditionell auf dem Marine-Markt von Lloyd‘s of London gezeichnet, und nach vielen schadenfreien Jahren gab es im Vorjahr einige große Schäden, sodass die Raten stark angezogen haben. Und wo sehen Sie eine besondere Stärke von Munich Re? Im Energy-Geschäft können wir besonders punkten: Hier steigen die Einzelwerte für neue Produktionsund Förderanlagen massiv. Zugleich unterliegen diese einem hohen NatCat-Kumulpotenzial. Um sie abzusichern, benötigt man viel Expertise im Risk Assessment sowie bei der Modellierung von Naturgefahren – und natürlich muss man große Kapazitäten zur Verfügung stellen können. Wie beeinflusst der technische Fortschritt allgemein das Marine-Geschäft? Der Einfluss ist groß. Das besonders Spannende an Marine ist ja, dass das Geschäft so vielseitig ist. Daher wirken sich viele Entwicklungen aus. Eine fundamentale Herausforderung ist, dass die versicherten Marine Werte fast ständig in Bewegung sind. Das macht eine angemessene Kumulkontrolle schwierig. Künftige Schiffe können bis zu 18.000 Container laden, Tendenz wohl steigend; wenn jeder einen Wert zwischen 50.000 und 70.000 Euro hat, kommt einiges zusammen. Und wenn diese dann in riesigen Häfen neben einanderliegen, ist das eine immense Ballung an Werten. Künftig könnte uns hier zum Beispiel das GPS-Tracking bei der Kumulkontrolle gute Dienste leisten. Wenn wir in Zukunft immer genau wissen, welches Risiko sich wann wo befindet, kann das unser Pricing wesentlich genauer machen. Welche Trends werden die Marine-Branche in den nächsten Jahren beschäftigen? Logistik ist ein wichtiges Thema, denn der Welt handel wird immer umfangreicher. Auch Cyberrisiken werden eine große Rolle spielen, denn Schiffe, die künftig eventuell komplett ohne Crew unterwegs sind, könnten auch zum Ziel terroristischer HackerAngriffe werden. Ebenso nehmen computerge steuerte Anlagen in vielen Bereichen, auch in Ölplattformen, zu. Vieles ist in Bewegung, und wir müssen am Ball bleiben. Spielt Big Data auch eine Rolle? Ja, natürlich. Wir haben ein Projekt aufgesetzt, in dem wir Schiffsrouten genauer analysieren, um die Gefahren, die sie bergen, besser zu kennen. Schon allein Kollisionen ließen sich besser vermeiden, wenn wir umfassendere Informationen hätten. Bei der Prävention lässt sich noch einiges verbessern. Ist denn die Prävention bislang nicht gut genug? Ich denke, das Bewusstsein für Sicherheit und Risikomanagement ist speziell in der Schifffahrt erst in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen und durchaus noch ausbaufähig. Denken Sie nur an die „Costa Concordia“ – man fragt sich, wie das passieren konnte, dass ein Einzelner auf einem Schiff entscheidet, die übliche, sichere Route zu verlassen. In puncto Sicherheitsvorkehrungen und Entscheidungsstruk turen kann die Schifffahrt etwa vom Cockpitmanagement im Luftverkehr noch lernen. Munich Re Topics Magazin 1/2015 45 kolumne Volkswirtschaft durch die Risikobrille Kanada: Viel Potenzial, auch f ür Europa Michael Menhart, Chefvolkswirt von Munich Re mmenhart@munichre.com Aus europäischer Perspektive wird Kanada jenseits der Diskussion um das Freihandelsabkommen CETA zumeist eher wenig beachtet. Zwar ist es als Mitglied der G7 auf der weltpolitischen Bühne als einer der großen Industriestaaten präsent, doch der große Nachbar USA ver stellt oft den Blick auf die Bedeu tung und Potenziale Kanadas. Dabei hätte Kanada Beachtung verdient: So ist die kanadische Volkswirtschaft besser durch die Finanzund Wirtschaftskrise der Jahre 2008/09 gekommen als jeder andere G7-Staat. Auch danach war die wirtschaftliche Dynamik höher als in den anderen großen Industrieländern. Die Wachstumsdynamik war allerdings stark getragen vom privaten Konsum und der Bautätigkeit auf dem Wohnungsmarkt, was sowohl die private Verschuldung als auch die Immobilienpreise deutlich steigen ließ. Die Investitionsquote lag in Kanada mit gut 23 Prozent des BIP im Jahr 2013 deutlich über dem Durchschnitt der Industrieländer (von knapp 20 Prozent), obgleich die Investitionen zuletzt nur verhalten zugelegt haben. Günstige Finanzierungsbedingungen und solide Unternehmensbilanzen sollten die Bereitschaft zu investieren aber wieder erhöhen. Dies wäre ein wichtiger Garant für die wirtschaftlichen Perspektiven der kommenden Jahre. Auch die vergleichsweise soliden Staatsfinanzen lassen trotz notwendiger Konso lidierungen mehr Spielraum als in anderen Ländern. 46 Munich Re Topics Magazin 1/2015 Sollte eine wieder stärkere Investi tionsdynamik dem Exportsektor zugutekommen und somit auch der Außenhandel – vor allem RohstoffExporte, aber auch Ausfuhren von Industriegütern – wieder eine größere Bedeutung für das BIP-Wachstum erlangen, wären dies weitere gute Voraussetzungen für ein nachhaltiges Wirtschaftswachstum. Kanada ist langfristig ein attraktiver Partner für Europa, nicht nur bei der Energie versorgung. Risiken für diesen Ausblick bestehen vor allem, weil Kanada immer noch stark von ökonomischen Entwicklungen in den USA abhängt. So würde sich ein plötzlicher Anstieg der USZinsen entsprechend auf die Zinsen in Kanada auswirken, mit mutmaßlich negativen Folgen für den Immobilienmarkt und die (relative hohe) private Verschuldung. Auch bleibt die direkte Abhängigkeit von der USKonjunktur hoch, weil die USA der mit Abstand wichtigste Handelspartner sind. Dies bietet allerdings auch Chancen für den Fall, dass die USWirtschaft stärker als erwartet wachsen sollte. Die Abhängigkeit vom Handel ist besonders im Bereich der Energie exporte offensichtlich, denn hier sind die USA bislang der einzig nennenswerte Abnehmer. Und während Kanada seine Rohöl-Ausfuhren in der letzten Dekade steigern konnte (und inzwischen rund ein Drittel der USImporte abdeckt), ging der Export von Gas vor dem Hintergrund des „shale gas“-Booms in den USA spürbar zurück. Wenn die Prognosen stimmen, dass die USA nach 2020 Nettoexporteur von Gas sein werden, dann dürfte sich dies auch weiterhin dämpfend auf die kanadischen nergieexporte auswirken. E Kanada reagiert auf diese Herausforderungen unter anderem mit Plänen für eine Ölpipeline an die Westküste und für Flüssiggasterminals, wodurch Exporte in die energiehungrigen Volkswirtschaften Asiens möglich würden. Im Vergleich dazu fallen die Pläne zur Ausweitung von Energieexporten nach Europa bislang bescheiden aus. Im Kontext der geplanten Vertiefung der Handels beziehungen zwischen Kanada und der EU könnte sich hier jedoch eine Perspektive bieten, die Lieferung insbesondere von Gas nach Europa mittelfristig deutlich auszubauen. Für beide Seiten wäre dies von Vorteil: Europa könnte seine Abhängigkeit von russischem Erdgas verringern, Kanada hätte einen verlässlichen Abnehmer und könnte den Kreis seiner Energiehandelspartner stärker diversifizieren als bei einer Aus weitung der Exporte nur in Richtung Asien. Kanada steht vielleicht oftmals im Schatten der USA – aber insbesondere bei Rohstoffen und Energie ist es ein attraktiver Partner für den Rest der Welt. Was ist an Rückversicherung eigentlich so spannend? In TOPICS ONLINE finden Sie die Antworten. Unser digitales Magazin für Versicherer wirft einen Blick hinter die Kulissen von Munich Re und zeigt, was uns antreibt. Wir stellen interessante Persönlichkeiten vor, greifen aktuelle Themen aus der Versicherungsund Finanzwelt auf, präsentieren Trends sowie neueste Lösungen und Services. Und Sie sind mittendrin: Über eine Kommentarfunktion können Sie anregende Diskussionen mit uns anstoßen. www.munichre.com/de/topicsonline not if, but how Munich Re Topics Magazin 1/2015 47 © 2015 Münchener Rückversicherungs-Gesellschaft Königinstraße 107 80802 München Telefon: +49 89 38 91-0 Telefax: +49 89 39 90 56 www.munichre.com Verantwortlich für den Inhalt Group Communications Redaktion Beate Brix Group Communications (Anschrift wie oben) Telefon: +49 89 38 91-38 36 Telefax: +49 89 38 91-7 38 36 bbrix@munichre.com Redaktionsschluss 12. 12. 2014 Anmerkung der Redaktion In Veröffentlichungen von Munich Re verwenden wir in der Regel aus Gründen des Leseflusses die männliche Form von Personenbezeichnungen. Damit sind grundsätzlich – sofern inhaltlich zutreffend – Frauen und Männer gemeint. Bildnachweis Titel: Mischa Keijser/Corbis S. 1: Robert Brembeck S. 2, 15: picture alliance/Tone Koene S. 3 links, 7–10, 26, 29, 31: Oliver Soulas S. 3 rechts: Lluís Real/age fotostock Spain S.L./Corbis S. 4 links: Getty Images S. 4 mitte: Convent Kongresse GmbH S. 11: NASA S. 12/13: David Cooper/Getty Images S. 19 oben: Handout/Reuters S. 19 unten: Mike Sturk/Reuters/Corbis S. 21: David Flikkema, Munich Re S. 24: Melissa Renwick/Reuters S. 25, 34, 38: Foto Meinen S. 32: Percy Feinstein/Corbis S. 36: Getty Images/Cultura RF S. 40: Andrea Stärr, Munich Re S. 42: Dan Barnes/Getty Images S. 44, 45: Orla Connolly S. 46: Kevin Sprouls Druck Kastner & Callwey Medien GmbH Jahnstraße 5 85661 Forstinning >> Lesen Sie Topics Magazin, wo immer Sie wollen: Melden Sie sich auf unserer Homepage für unseren kostenlosen Newsletter an und erhalten Sie unser Topics Magazin (deutsch oder englisch) schnell und aktuell in elektronischer Form. www.munichre.com/de/topics Sie finden uns auch unter: twitter.com/munichre facebook.com/munichre plus.google.com/115897201513788995727 youtube.com/user/munichrevideo linkedin.com/company/munich-re xing.com/companies/munichre 48 Munich Re Topics Magazin 1/2015 © 2015 Münchener Rückversicherungs-Gesellschaft Königinstraße 107, 80802 München Bestellnummer 302-08465 Not if, but how