Islamische Extremisten 5.Aufl.

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Islamische Extremisten 5.Aufl.
Islamistische
Extremisten
VOM GEBET ZUM GOTTESSTAAT
Stand: Februar 2002
5. Auflage
Nachdruck nur mit schriftlicher Genehmigung
des Herausgebers
Ministerium des Innern
und für Sport Rheinland-Pfalz
Vorwort
Am 11. September 2001
veränderte ein barbarischer
Terrorakt die Welt und
brannte sich tief in das Bewusstsein der Menschen
ein. Mehrere Selbstmordattentäter steuerten zuvor
gekaperte Zivilflugzeuge in
das World-Trade-Center in
New York und auf das Verteidigungsministerium
in
Washington. Diese menschenverachtenden Taten
trafen die Vereinigten Staaten von Amerika unvorbereitet
und rissen Tausende in den Tod. Die Täter wurden nach intensiven Ermittlungen unter islamistischen Extremisten ausgemacht, Spuren führen auch nach Deutschland. Somit haben die Taten von neuem die öffentliche Diskussion um das
Selbstverständnis des Islam und das Verhältnis zu den
Muslimen auch in unserer Gesellschaft nachhaltig entfacht.
Nicht immer wird diese Diskussion mit der gebotenen
Sachlichkeit geführt, Vorurteile vermengen sich mit undifferenzierter Polemik. Bisweilen wird gar von einem „Kampf
der Kulturen“ gesprochen.
Bereits seit Ende des 20. Jahrhunderts sehen wir uns in vielen Teilen der Welt verstärkt mit vordergründig religiös motivierten Auseinandersetzungen konfrontiert. Es gibt für sie
aber weder einfache noch einheitliche Erklärungsmuster Vielschichtigkeit und Komplexität gehören zu deren hervorstechenden Charakteristika. Stets ist bei der näheren Analyse demnach ein Höchstmaß an Differenzierung und Objektivität geboten.
Dies gilt es zu beachten, will man sich mit dem sensiblen
Themenkreis Islam und seinen Strömungen adäquat auseinandersetzen. Insbesondere gilt es, Negativklischees und
überzogenes Bedrohungsdenken zu vermeiden. Gegenüberstellungen von christlichem Abendland einerseits und
der „islamischen Welt“ als vermeintlich bedrohlichem Gegenüber andererseits wären untauglich, würden sie doch lediglich Vorurteile bedienen und in jedem Fall der Wirklichkeit nicht gerecht werden. Schließlich vereinigt der Islam als
eine der bedeutenden Weltreligionen mehr als 1,2 Milliarden
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Gläubige, die in ihrer weit überwiegenden Mehrheit empört
sind über die schrecklichen Taten der Islamisten wie der
Rest der Welt. Islamistische Extremisten oder gar Terroristen bilden eine verschwindend geringe Minderheit unter
den Muslimen. In ihrer Gefährlichkeit sind sie jedoch nicht
zu unterschätzen. Häufig sind es ethnische, soziokulturelle
und vor allem wirtschaftliche Ursachen wie Armut und Unterentwicklung, die das Aufkeimen scheinbar religiös motivierter Bestrebungen begünstigen.
Ungeachtet dessen ist aber eine offensive Auseinandersetzung mit den politisch-extremistisch geprägten Erscheinungsformen des Islamismus mehr denn je angezeigt. „Islamisten“ missbrauchen den Islam unter vordergründiger Religiosität für profane Zwecke; ihr Treiben wirkt sich auch
nachhaltig auf die Innere Sicherheit unseres Staates aus. Im
Folgenden wird eine Lagedarstellung über diese Ausprägungen aus Sicht des rheinland-pfälzischen Verfassungsschutzes gegeben.
Diese Broschüre soll den Leserinnen und Lesern einen kurzen, präzisen Überblick über die wichtigsten Erkenntnisse
verschaffen.
Walter Zuber
Minister des Innern und für Sport
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Inhaltsverzeichnis
Seite
1. Islam – Grundlagen
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2. Islamismus
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3. Beobachtungsauftrag
des Verfassungsschutzes
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4. Islamistische Extremisten
in Deutschland
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„Gott ist groß“
1. Islam - Grundlagen
URSPRUNG DES ISLAM
Im 7. Jahrhundert unserer Zeitrechnung wurde auf der Arabischen Halbinsel im heutigen Saudi-Arabien eine Religion
verkündet, deren Name zugleich zentrale Botschaft ist:
„Hingabe (an Gott)“ oder, im arabischen, Islam. Nach der islamischen Lehre ließ Gott diese Botschaft im Laufe der Geschichte zahlreichen Propheten zukommen, unter ihnen Abraham (arabisch: Ibrahim), Moses, Jesus und schließlich
Muhammad. Muhammad wird als abschließender Prophet
(„Siegel der Propheten“) verehrt.
Aus dieser Entwicklungsgeschichte heraus versteht sich
der Islam weniger als eine neue Religion als eine Wiederherstellung der auf früheste Zeiten zurückgehenden monotheistischen Ur-Religion. Muhammad, der von etwa 570 bis
zum Jahr 632 lebte, fand in seiner Geburtsstadt Mekka
seine ersten Anhänger, die die Hingabe an Gott praktizierten
und somit die Bezeichnung Muslime trugen. Allerdings stieß
Muhammad mit dem Ruf nach moralischer Erneuerung und
der Lehre an einen Gott (Monotheismus) in seiner überwiegend durch Vielgötterei (Polytheismus) geprägten Umgebung auch auf Ablehnung und Feindseligkeit, so dass er
622 nach Medina emigrierte. Dieses Ereignis ist als
Hidschra (Auswanderung) bekannt und markiert den Beginn
der muslimischen Zeitrechnung.
QUELLEN DES ISLAM
Die Offenbarungen Gottes, die Muhammad empfangen
hatte, finden sich nach islamischer Lehre in wortwörtlicher
und damit unabänderlicher Form im Koran („Lesung“, „Rezitation“) wieder. Nicht alle Gesellschaften haben ihre Glaubensvorstellungen und -lehren schriftlich festgehalten, doch
im Islam besitzt der Koran als Heilige Schrift einen außerordentlich hohen Stellenwert. Nach vorherrschender Meinung
bestand zu Muhammads Lebzeiten noch keine zusammenhängende Fassung der an ihn ergangenen Offenbarungen.
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Die Erstellung einer einheitlichen und unabänderlichen Koranausgabe erfolgte etwa zwanzig Jahre nach Muhammads
Tod im Auftrag des dritten Kalifen, Uthman ibn Affan. Der
Koran ist demnach in 114 Suren (Kapitel, wörtlich: Reihen)
unterteilt. Die einzelnen Suren tragen Überschriften, die auf
ein in der Sure erwähntes Thema, Gleichnis, Vorkommnis
oder eine Person Bezug nehmen. Allerdings widmen sich
die in ihrer Länge sehr unterschiedlichen Suren meist mehr
als nur einem Thema. Dabei können Lobpreisungen Gottes,
Schilderungen von Paradies und Hölle, Mahnungen an die
Adresse von Nichtmuslimen, Erzählungen mit thematischer
Anknüpfung an das Alte und Neue Testament, ehe- und
erbrechtliche Bestimmungen, Speisegebote und anderes in
dichter Abfolge stehen.
Eine ergänzende Quelle stellt für Muslime die Sunna dar. Mit
Sunna ist in diesem Zusammenhang die Lebensführung
Muhammads gemeint, wie sie in überlieferten Aussprüchen
und Taten Muhammads (Hadithe) dokumentiert ist. Muhammads Lebensführung wird als die gelebte Ausdeutung der
göttlichen Offenbarung angesehen und besitzt damit Vorbildfunktion und annähernd dieselbe Verbindlichkeit wie die
koranischen Weisungen - vorausgesetzt, dass eine jeweilige
Überlieferung von bedeutenden Gelehrten der Vergangenheit als authentisch klassifiziert wurde. Die Sunna gibt Auf-
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schluss über Einzelheiten bei der Durchführung ritueller
Pflichten und enthält Bestimmungen und Empfehlungen eines rechten Handelns in zahlreichen Lebenslagen von der
Geburt bis zum Tod.
GLAUBENSINHALTE UND KULTISCHE PFLICHTEN
DES ISLAM
Der erste Teil des Glaubensbekenntnis, das jeden Muslim
an den Islam bindet, bringt das Zentraldogma dieser Religion zum Ausdruck: „Ich bezeuge, dass es keinen Gott gibt
außer Gott.“ Polytheismus, also der Glaube an mehrere
Götter, wird nicht akzeptiert, und auch die christliche Dreifaltigkeitslehre (Gottvater, Sohn und Heiliger Geist) wird abgelehnt und als eine Art Vorstufe zum Polytheismus angesehen. Gott (arabisch: Allah) gilt als Schöpfer der Erde, des
Himmels und allen Lebens. Er hat weiterhin eine Reihe von
Gesetzen festgelegt und wird am Tag des Jüngsten Gerichts darüber entscheiden, wer aufgrund seines Glaubens
und seiner Taten in den „Garten“ (Paradies) beziehungsweise in die Hölle eingehen wird.
Die Hingabe an Gott erweist der Gläubige nicht allein durch
die Annahme der Glaubensinhalte und die Befolgung der im
Koran und in der Sunna enthaltenen Verhaltensvorschriften
(teils rechtsverbindlich), sondern auch durch die Ausübung
bestimmter kultischer Pflichten. Aufgrund der großen Bedeutung der rituellen Praxis ist im Zusammenhang mit dem
Islam des öfteren von Orthopraxie (die rechte Ausübung),
einem Analogbegriff zu Orthodoxie (die rechte Lehre), die
Rede. Die Lebensführung des Muslim ruht auf fünf Geboten
beziehungsweise, gemäß arabisch-islamischem Sprachgebrauch, Pfeilern:
- das Glaubensbekenntnis (shahada),
- das fünfmal täglich zu verrichtende Ritualgebet (salat),
- die Almosensteuer (zakat), eine Abgabe,
die vor allem Bedürftigen zugute kommen soll,
- das Fasten im Ramadan (saum), jenem Monat,
in dem Muhammad seine ersten Offenbarungen
erhalten haben soll,
- die Pilgerfahrt nach Mekka (Hadsch), die jeder
Gläubige zumindest einmal in seinem Leben
durchführen soll, wenn er dazu gesundheitlich und
finanziell in der Lage ist.
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Auf diesen Pfeilern ruht ein ganzes Gebäude empfehlenswerter Eigenschaften und Verhaltensweisen. Das Handeln
des Einzelnen unterliegt rechtlichen Bestimmungen, die im
Koran und in der Sunna enthalten sind. Koran und Sunna
lassen nämlich erkennen, dass der Islam nicht allein durch
eine rein spirituelle Glaubenslehre und darauf basierende
sittliche Normen begründet ist, sondern auch von Gesichtspunkten der Gesellschaftslehre geprägt ist.
Eine tragende Rolle spielt in diesem Zusammenhang das
religiöse Gesetz (Scharia, wörtl.: Weg), dessen wesentliche
Grundlagen neben Koran und Sunna die übereinstimmenden Deutungen der islamischen Religions- und Rechtsgelehrten (Ulama) sind. Bei Deutungen des Islam wäre es also
sehr verkürzt, würde man ausschließlich einen Koranvers zitieren und daraus vorschnell Schlüsse ziehen.
AUSBREITUNG DES ISLAM
Islamischer Glaube und muslimische Herrschaft verbreiteten sich bereits im ersten Jahrhundert seit Muhammads Tod
über die arabische Halbinsel hinaus bis zum Indus-Tal im
Osten und nach Nordafrika sowie zeitweise nach Spanien
im Westen.
Heute besteht ein Staatengürtel von Nordwest-Afrika, Teilen
West- und Ostafrikas, über den nahöstlichen und zentralsowie südasiatischen Raum bis in die indonesische Inselwelt, in dessen Einzelstaaten der islamische Bevölkerungsanteil die Mehrheit darstellt. Aufgrund der Migration von
Muslimen nach Westeuropa, Nord- und Südamerika sowie
Australien in jüngerer Geschichte wäre es aber nicht zutreffend, von einem Islam innerhalb fester geographischer
Grenzen zu sprechen.
Die Zahl der Muslime dürfte sich heute weltweit auf mehr
als 1.2 Milliarden Menschen belaufen. In Europa (einschl.
europäischer Teil der GUS) leben mehr als 25 Millionen
Muslime (Stand: 1988), davon ca. 3,0 Millionen in Deutschland (Stand: 2000), von denen etwa 100.000 deutsche
Staatsangehörige sind.
HAUPTSTÖMUNGEN DES ISLAM
Wirft man einen oberflächlichen Blick auf den Islam, so erscheint er wie ein Monolith, geschlossen und unnahbar wie
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Ausbreitung des Islam
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die Kaaba in der großen Moschee von Mekka, dem bedeutendsten Heiligtum der Muslime. Bei näherem Hinsehen
eröffnet sich dem aufmerksamen Betrachter jedoch eine
Welt voller Vielfalt und lebendiger Eindrücke. Angesichts
dessen wird man gewahr, dass es keine in sich geschlossene „islamische Welt“ gibt, sondern eine ganze Reihe von
Strömungen und Richtungen mit oft länder- bzw. regionenbezogenem Charakter.
Innerhalb der muslimischen Gemeinde (arabisch: umma)
haben sich zwei Hauptrichtungen herausgebildet: die sunnitische, der rund 85 % der Muslime angehören, und
die schiitische. Die Spaltung geht bereits in das 7. Jahrhundert unserer Zeitrechnung beziehungsweise 1. Jahrhundert muslimischer Zeitrechnung zurück und hatte politische
Ursachen. Es ging um die Frage, wer berechtigt sei, die
muslimische Gemeinde nach Muhammads Tod zu leiten. Ein
Teil der Muslime war der Ansicht, dass allein den Nachfahren Muhammads die Leitung, also das Kalifat (von arabisch
khalifa - Nachfolger) zustand. Die Anhänger dieser Position
gruppierten sich um Ali, den Vetter und Schwiegersohn Muhammads, und bildeten die Partei (Schia) Alis. Sie sind diejenigen, die als Schiiten in die Geschichte eingegangen sind.
Die Sunniten hingegen haben den Kreis der in Frage kommenden Personen für das Kalifat weniger stark eingegrenzt.
Im Laufe der Zeit haben sich Schiiten und Sunniten in einigen Punkten auch in Glaubensfragen auseinanderentwickelt
- eine Spaltung, die bis heute nicht überwunden ist.
Innerhalb der Konfessionen ist es, in besonderem Maße im
Bereich des schiitischen Islam, zur Herausbildung weiterer
Untergruppen gekommen. Schiiten leben heutzutage vor allem im Iran, wo die schiitisch-imamitische Richtung Staatsreligion ist, im Irak, Libanon, Jemen, in Syrien, Afghanistan,
Pakistan und - in einer wiederum speziellen, nämlich der
alevitischen Richtung - in der Türkei.
Neben der konfessionellen Aufgliederung gibt es innerhalb
des Islam - über unterschiedliche Grade der persönlichen
Religiosität hinaus - zudem verschiedene Ausprägungen
oder Auffassungen der Religion, darunter mystische (sufische), reformistische im Geiste bestimmter Gelehrter des
19. und frühen 20. Jahrhunderts (z.B. Muhammad Abduh
und Qasim Amin) und nicht zuletzt islamistische. Diese
letztgenannte Variante des Islam wird im folgenden Kapitel
beschrieben.
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2. Islamismus
Genau wie beim Islam selbst kann auch beim Islamismus
nicht von Einheitlichkeit gesprochen werden. Der Islamismus wird von unterschiedlich geprägten Einzelpersonen,
Organisationen und Parteien repräsentiert, so dass eine
Formel „Islamist ist gleich Islamist“ das Spektrum von Meinungen und Methoden innerhalb der islamistischen Bewegung nicht angemessen wiedergeben würde. Dennoch lassen sich einige Tendenzen feststellen, die es erlauben, vom
Islamismus als einer spezifischen Ausdrucksform des Islam
zu sprechen. Sie ist auch unter den Bezeichnungen (islamischer) Fundamentalismus, und - vor allem im französischen
Sprachraum - Integrismus bekannt.
Beim Islamismus handelt es sich um ein Konzept, das Lösungsmodelle für heutige politische und soziale Probleme
auf der Grundlage des Islam anbietet. Dabei gehen die Islamisten allerdings von einem besonderen Islamverständnis
aus. Hauptcharakteristikum dieses Islamverständnisses ist
die von Islamisten proklamierte Einheit von Religion und
Staat (arabisch: din wa-daula), aus der der Islam als umfassende Lebensordnung hervorgeht. Von zentraler Bedeutung
ist dabei der Ruf nach allumfassender Anwendung des islamischen Rechts, der Scharia. Dies bedeutet in der Praxis:
die Lebensführung des Einzelnen, die Beziehungen zwischen Privatpersonen, die Beziehungen zwischen dem
Staat und seinen Bewohnern wie auch die Beziehungen
zwischen Staaten sollen der Scharia unterstellt werden. Bereiche, die unserem Verständnis nach weltlich sind, werden
als religiös aufgefasst. Die Religion wird somit letztlich verweltlicht und als Ideologie benutzt.
Dem eigenen Anspruch nach leiten Islamisten ihre Forderungen aus den Quellen Koran und Sunna ab und repräsentieren damit den aus ihrer Sicht wahren Islam. Was als
„wahrer Islam“ verkündet wird, ist allerdings in einer Reihe
von Fällen eher eine individuelle Interpretation von Islam,
die auf einer Auswahl bestimmter Koranverse und Prophetenaussprüche (Hadithe) beruht. Vielfach - wie zum Beispiel
hinsichtlich der Verschleierung der Frauen oder der Bestrafung derjenigen, die sich vom Islam lösen - wird ein Eindruck von Eindeutigkeit bzw. Echtheit vermittelt, was sich
unter Berücksichtigung aller relevanten Koranpassagen und
Prophetenaussprüche aber nicht herleiten lässt. In diesem
Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass nur eine Min-
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derheit islamistischer Führer aus dem Kreis der Religionsund Rechtsgelehrten stammt; häufiger haben sie ein technisches oder naturwissenschaftliches Studium absolviert.
Zurückführen lässt sich der Islamismus - zumindest in seiner organisierten Form - auf das Jahr 1928, in dem der
ägyptische Schullehrer Hasan al-Banna in seinem Heimatland die „Gemeinschaft der Muslimbrüder“ („Muslimbruderschaft“, MB) gründete. Al-Banna definierte den Islam als
„Dogma und Gottesdienst, Vaterland und Nationalismus,
Religion und Staat, Spiritualität und Aktion, Koran und
Schwert“.
Die MB fasste wenig später in weiteren Ländern Fuß und ist
heute ein Hauptrepräsentant des Islamismus. Das Entstehungsfeld der MB wie auch anderer islamistischer Organisationen war von ausländischer und nichtmuslimischer
Kontrolle geprägt, so durch die britische Protektoratsherrschaft in Ägypten zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Der (arabische) Nationalismus war eine aufkeimende Form der Opposition, der Islamismus eine andere. Die Frontstellung gegenüber westlicher Politik - besonders später seit Ende der
vierziger Jahre des 20. Jahrhunderts im Nahostkonflikt - sowie gegen ideologische und kulturelle Einflüsse aus dem
Westen ist dem Islamismus bis heute eigen geblieben und
hat zu seiner weiteren Ausformung wie auch seinem Aufschwung teilweise beigetragen.
Frontstellung beziehen Islamisten oftmals aber auch gegen
die Regierungen ihrer Heimatländer, denen sie eine Vernachlässigung islamischer Bestimmungen vorwerfen. In
manchen Staaten können sich Islamisten offiziell formieren
und somit eine legale Opposition bilden oder gar Regierungsverantwortung übernehmen. In anderen Staaten werden Islamisten mit zum Teil drakonischen Mitteln verfolgt;
verschiedentlich ist es zu gewaltsamen Zusammenstößen
zwischen Regierung und Islamisten gekommen, so in besonderem Maße in Algerien in den neunziger Jahren des 20.
Jahrhunderts.
Innerhalb des Islamismus gibt es nach Auffassung von
Fachleuten eine zahlenmäßig dominierende Strömung, die
ihre Ziele auf zunächst friedlichem Wege erreichen will. Allerdings kann in dieser Strömung oft eine nicht abschließend einzuschätzende Haltung in der Gewaltfrage beobachtet werden. Zu diesen Gruppen zählen solche, die sich
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primär im sozialen und karikativen Bereich engagieren und
damit gerade in solchen Ländern verstärkt Anhänger gewinnen, in denen die Staatsführung diesen Aufgaben nicht
oder nur unzureichend nachkommt. Wirtschaftliche Probleme und daraus resultierende gesellschaftliche Verwerfungen in weiten Teilen der muslimischen Welt sind daher
wichtige Gründe für den Zulauf zu islamistischen Vereinigungen.
Allerdings gibt es auch Islamisten, die den gewalttätigen
Kampf einsetzen, um ihre Vision und Version islamischer
Herrschaft, mitunter die Utopie von der Weltherrschaft
durchzusetzen. Dies trifft in besonderem Maße für den Mitte
der fünfziger Jahre in Saudi-Arabien geborenen Usama BIN
LADEN zu, für den der Einmarsch der Sowjettruppen in das
muslimische Afghanistan 1979 einen entscheidenden Einschnitt in seinem weiteren Leben bedeutete. Er nahm an
dem Befreiungskampf der Afghanen gegen die ehemalige
Supermacht Sowjetunion teil und widmete sich nach deren
Rückzug aus Afghanistan 1989 und dem Golfkrieg 1990/91
dem Kampf gegen die verbliebene Supermacht USA. In dem
von ihm Ende der achtziger Jahre des 20. Jahrhunderts gegründeten Terrornetzwerk „Al Qaida“ (Die Basis), das sich
als eine Art Speerspitze in diesem Kampf sieht, bündelt er
jene Kräfte, die in erster Linie die USA für die Leiden von
Muslimen verantwortlich machen (so in Palästina und im
Irak) und aus diesem Grund gegen sie zu Felde ziehen. Für
sie wird seit jüngerem u.a. die Bezeichnung Dschihadisten
verwendet. Der zugrunde liegende schillernde Begriff Dschihad bedarf dabei einer näheren Erläuterung:
Meist wird Dschihad als „Heiliger Krieg“ wiedergegeben.
Damit wird der Begriff allerdings auf den kriegerischen
Aspekt verengt, den die wörtliche Übersetzung
„Bemühung“, „Anstrengung“ oder „Einsatz (für den Islam)“
nicht vorgibt. In der Tat wurde und wird der Dschihad als
Kampf sowohl zur Verteidigung als auch Ausbreitung des
Islam praktiziert. Aber auch andere Ausübungsformen des
Dschihad lassen sich belegen: das Bemühen, für den Islam
mit Worten, durch Frömmigkeit oder eine vorbildliche Lebensweise zu werben. Eine weitere Dimension des Dschihad ist der Kampf gegen die eigenen Schwächen, also eine
Art Selbstläuterung.
Die Terroranschläge einzelner Fanatiker verstellen oftmals
den Blick dafür, dass die ganz überwiegende Mehrheit der
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Muslime wie auch die Regierungen in den meisten muslimischen Staaten weit davon entfernt sind, einen Glaubenskrieg zu entfachen, ja ihn überhaupt in Erwägung zu ziehen.
Die islamistischen Kräfte, die kriegerische Gewalt anwenden
und keinerlei Dialogbereitschaft erkennen lassen, sind für
verschiedene Staaten, zu denen vornehmlich Afghanistan,
Algerien, Ägypten oder auch die palästinensischen Autonomiegebiete gehören, zu einem ernstzunehmenden innenpolitischen Problem geworden, das verschiedentlich bereits
die Form eines Machtfaktors angenommen hat. Die Auswirkungen dieser Entwicklungen sind auch im europäischen
Raum spürbar und stellen insoweit eine Gefährdung für die
Innere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland dar.
3. Beobachtungsauftrag
des Verfassungsschutzes
Entsprechend seinem gesetzlichen Auftrag muss der rheinland-pfälzische Verfassungsschutz u.a. über folgende Bestrebungen Informationen sammeln und auswerten:
Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische
Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind oder eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung der Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes oder ihrer Mitglieder
zum Ziele haben. (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 Landesverfassungsschutzgesetz)
Bestrebungen in der Bundesrepublik Deutschland, die
durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden. (§ 1 Abs. 1 Nr. 3 Landesverfassungsschutzgesetz)
Bestrebungen und Tätigkeiten in der Bundesrepublik
Deutschland, die gegen den Gedanken der Völkerverständigung (Artikel 9 Abs. 2 des Grundgesetzes) oder das friedliche Zusammenleben der Völker (Artikel 26 Abs. 1 des
Grundgesetzes) gerichtet sind. (§ 1 Abs. 1 Nr. 4 Landesverfassungsschutzgesetz)
Von diesem Beobachtungsauftrag sind nicht die Angehörigen der Religionsgemeinschaft Islam schlechthin betroffen,
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sondern ausschließlich die Gruppen, Bewegungen oder
Einzelpersonen, von denen die genannten Bestrebungen
ausgehen. Diese sind nur eine Minderheit unter den Muslimen und werden von den Verfassungsschutzbehörden in
der Bundesrepublik Deutschland begrifflich als islamistische
Extremisten bezeichnet.
4. Islamistische Extremisten in Deutschland
Im Spektrum der extremistischen Ausländerorganisationen,
denen bundesweit insgesamt etwa 59.000 Personen in 65
Organisationen oder als Unorganisierte angehören, stellen
die islamistisch-extremistischen Gruppierungen (20) mit
annähernd 32.000 Aktivisten den größten Anteil. Mehr als
28.600 von ihnen sind türkischer, ca. 3.100 arabischer und
etwa 100 iranischer Abstammung. Jeweils in der ersten
Hälfte der achtziger und der neunziger Jahre des vorigen
Jahrhunderts gab es Phasen mit Steigerungsraten in diesem Spektrum. Auch im Jahr 2001 stieg die Zahl islamistischer Extremisten wiederum leicht an.
ARABISCHE ISLAMISTISCHE BESTREBUNGEN
In nahezu allen arabischen Staaten Nordafrikas und des
Nahen bzw. Mittleren Ostens existieren mehr oder weniger
stark ausgeprägte Strukturen islamistischer Organisationen.
Ihre Ausprägungen reichen von politischen Parteien (z.B. in
Marokko) über Gruppierungen mit dem Charakter von Bewegungen (z.B. die „Muslimbruderschaft“ in Ägypten etc.)
bis hin zu ultraorthodoxen Gruppen mit terroristischer Ausrichtung (z.B. die „Bewaffnete Islamische Gruppe“ -GIA in
Algerien).
Die Islamisten arabischer Herkunft nutzen einerseits die
verschiedenen ideologischen Vakuen aus, die in den letzten
Jahrzehnten entstanden sind, seien es der gescheiterte
Traum einer (pan-)arabischen Nation oder der Zerfall ideologie- und sinnstiftender Systeme, wie das des realexistierenden Sozialismus. Daneben schüren sie das Wiederaufleben
alter Bedrohungsängste gegenüber dem technologisch fortschrittlichen „Westen“ und gewinnen auch an Boden durch
den oft schleichenden wirtschaftlichen Verfall mit den erheblichen sozialen Folgen für die Bevölkerung in den betroffenen Ländern. Eine zusätzliche Dynamik gewann diese
Entwicklung (zeitweise) durch die „islamische Revolution“
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im Iran 1979/80, die islamistischen Bewegungen auch in
arabischen Staaten Auftrieb verlieh.
Nahezu alle islamistischen extremistischen Organisationen
arabischer Herkunft verfügen ebenso über Strukturen oder
zumindest Einzelmitglieder im europäischen Raum, so auch
in Deutschland. Eine Zuordnung der Einzelgruppen fällt
leichter, wenn man nicht nur nach deren Herkunftsländern
eine Einteilung vornimmt, sondern auch nach der jeweiligen
islamischen Strömung (z.B. Sunniten oder Schiiten), der sie
zugehörig sind.
Im wesentlichen muss heute in Deutschland von zwei bemerkenswerten Strömungen unter arabischen Islamisten
ausgegangen werden. Einerseits können Islamisten „traditioneller“ Prägung beobachtet werden, die vor allem Gruppen mit strukturellen und örtlichen Bezugspunkten (z.B. Islamische Zentren) angehören. Hierzu zählen beispielsweise
die unterschiedlichen Gruppierungen der „Muslimbruderschaft“ (MB) oder die libanesische „Hizb Allah“ (Partei
Gottes). Daneben hat sich in den letzten Jahren eine - wenn
auch zahlenmäßig kleinere - Strömung dezentraler Netzwerke von Einzelpersonen oder Kleinstgruppen entwickelt,
deren Hintergründe und Zielsetzungen terroristisch geprägt
sind und die ein hohes Maß an Konspiration pflegen. Dabei
handelt es sich insbesondere um „Arabische Mujahedin“
(Kämpfer für die Sache Allahs), die zum Teil mit der Organisation „Al Qaida“ (Die Basis) des Usama BIN LADEN in Verbindung stehen.
Unter den Islamisten arabischer Herkunft in Deutschland und
letztlich in Europa sorgen in jüngster Zeit vor allem die
„Arabischen Mujahedin“ für Schlagzeilen. Ihre Existenz ist
eng mit der Geschichte Afghanistans verbunden. In Folge
der Invasion durch die ehemalige Sowjetunion im Jahre 1979
und bis zum Abzug der „Roten Armee“ im Jahre 1989 wurden auch Muslime aus verschiedenen arabischen Ländern,
die sich freiwillig dem „Befreiungskampf“ in Afghanistan angeschlossen haben, in Trainingscamps in Praktiken des Guerillakrieges ausgebildet. Viele dieser Trainingslager in Afghanistan selbst, aber auch in anderen Ländern, bestanden nach
dem Abzug der Sowjettruppen aus Afghanistan fort. Die dort
ausgebildeten „Arabischen Mujahedin“ einte fortan vor allem
der Hass auf die Vereinigten Staaten von Amerika und auf Israel. Zudem boten den Mujahedin auch neuere Kriegsschauplätze Einsatzmöglichkeiten, so im ehemaligen Jugoslawien,
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in Tschetschenien oder in der Kaschmirregion. Entstanden ist
im Laufe der Zeit aufgrund vieler persönlicher Kontakte somit
ein fast weltumspannendes Netzwerk - eine Form von terroristischer „Globalisierung“.
Die „Arabischen Mujahedin“ lassen sich grob in drei Kategorien einteilen: Solche, die der Organisation Usama BIN
LADENS „Al Qaida“ (Die Basis) selbst angehören, daneben
Mujahedin, die in anderen islamistischen Gruppierungen integriert sind (z.B. in der algerischen „Bewaffneten
Islamischen Gruppe“/GIA oder den ägyptischen Gruppen
„Jihad Islami“ und „Al Jamaa Al-Islamya“) und darüber hinaus Aktivisten, die keinen der genannten Strukturen angehören (zusammengeschlossen in kleinen bzw. Kleinstgruppen, so genannte non aligned Mujahedin). Auch seitens der beiden letztgenannten Erscheinungsformen muss
von vielfältigen Kontakten und Verbindungen zur „Al Qaida“
und deren Mitgliedern ausgegangen werden.
Personen, die den „Arabischen Mujahedin“ zuzurechnen
sind unterhalten auch in Deutschland Netzwerke. Im Dezember 2000 wurden in Frankfurt/Main vier mutmaßliche
Angehörige einer solchen Gruppe verhaftet; bei ihnen wurden Waffen und Sprengstoffmaterialien sichergestellt. Bemerkenswert sind vor allem die Spuren des Attentats auf
das World-Trade-Center, die nach Deutschland und in andere europäische Länder führen.
Etwa 1.200 Personen gehören in Deutschland insgesamt
den verschiedenen Zweigen der „Muslimbruderschaft“ an.
Vor allem die sunnitisch geprägten islamistischen Extremisten arabischer Herkunft in der Bundesrepublik Deutschland orientieren sich vornehmlich an den „Islamischen Zentren“ (IZ) der international aktiven „Muslimbruderschaft“
(MB), die in mehrere länderbezogene Zweige zerfällt. Die
beiden bedeutendsten IZ in der Bundesrepublik sind die
Zentrale des ägyptischen Zweigs der MB in München und
das IZ in Aachen, das vom syrischen Zweig der MB geprägt ist. Die IZ dienen auch als Anlaufstelle für weitere regionale MB-Zweige, so der algerischen „Islamischen Heilsfront“ (FIS) oder der tunesischen „En Nahda“.
MB-Aktivitäten gehen daneben auch von den ihr zuzurechnenden Vereinigungen „Islamische Gemeinschaft in
Deutschland e.V.“ (IGD) und „Islamische Avantgarden“
aus, die Zweigstellen in verschiedenen deutschen Städten
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unterhalten. Zudem existieren Organisationen, die von den
„Islamischen Avantgarden“ gesteuert werden, nämlich die
„Union für die in den europäischen Ländern arbeitenden
Muslime e.V.“ (UELAM) mit Sitz in Köln sowie die „Union
Muslimischer Studentenorganisationen in Europa e.V.“
(UMSO) mit Sitz in Bonn.
Für ihre Anhänger gibt die MB mehrere Publikationen heraus, so die „Ar-Rai’d“ (Der Vorkämpfer/Kundschafter/Führer), die „An-Nazir“ (Der Beobachter) und die „An-Nasr“ (Der
Sieg).
Im Jahre 1981 gründeten MB-Mitglieder in München den
„Islamischen Bund Palästina“ (IBP), der in Deutschland
die Interessenvertretung der in Israel bzw. den palästinensischen Autonomiegebieten Gaza und Westjordanland
terroristisch operierenden palästinensischen „Islamischen
Widerstandsbewegung“ (Harakat Al-Muquawama Al-slamiya/HAMAS = wörtl.: Eifer; Interpretation der Organisation:
Mut und Tapferkeit) darstellt. Die im IBP organisierten
einzelnen HAMAS-Anhänger betreiben in Deutschland eine
intensive Öffentlichkeitsarbeit, so agitieren sie gegen das
Vorgehen Israels in den palästinensischen Autonomiegebieten. Als Propagandaorgan fungiert die Schrift „Nida’
al-Aqsa“ (Ruf der Al-Aqsa-Moschee [in Jerusalem]). Der
IBP verfügt in der Bundesrepublik Deutschland über
ca. 250 Mitglieder.
Die algerische sunnitisch-extremistische „Islamische
Heilsfront“ (FIS) war in den letzten Jahren wiederholt in die
Schlagzeilen geraten. Die in Deutschland aufenthältlichen
FIS-Angehörigen, zu denen auch der Auslandschef der Organisation, Rabah KEBIR, gehört, konzentrieren ihre Aktivitäten zum einen auf die politisch-propagandistische Unterstützung der FIS in Algerien. Allerdings ist auch logistische Hilfe für die Gesinnungsgenossen in Algerien bekanntgeworden, so offensichtlich illegale Schleuseraktivitäten,
wie polizeiliche Ermittlungen im September 1997 im RheinMain-Gebiet ergeben haben.
Die Zahl der Anhänger algerischer islamistisch-extremistischer Gruppen in Deutschland liegt schätzungsweise bei
ca. 400 Personen, die weitgehend in informelle Strukturen
eingebunden sind. Allerdings verstärkten sich in jüngerer
Zeit Bestrebungen unter algerischen Islamisten, eigene
Strukturen zugunsten multinationaler Netzwerke aufzugeben, in denen „Arabische Mujahedin“ aktiv sind.
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Neben den sunnitisch-extremistischen Organisationen
spielt auch die schiitisch-extremistische Bewegung „Hizb
Allah“ (Partei Gottes), die 1982 im Libanon mit iranischer
Unterstützung gebildet wurde, eine Rolle. Ziel der „Hizb Allah“ ist die Errichtung eines „islamischen Gottesstaates“ im
Libanon nach iranischem Vorbild. Terroristische Aktivitäten
gegen jüdische Einrichtungen, auch außerhalb der Krisenregion Naher Osten, dokumentieren hinlänglich ihre radikale
Ablehnung des Existenzrechtes des Staates Israel. Im Bundesgebiet werden der Gruppierung ca. 800 Anhänger zugerechnet. Neben Treffen in Moscheen führt die Organisation
regelmäßig antiisraelische bzw. antiamerikanische Demonstrationen durch, an denen sich auch Muslime anderer Länder und Herkunftsräume beteiligen. Organ der „Hizb Allah“
ist die Schrift „Al-Ahd“ (Der Vertrag).
Weitere schiitische extremistische Organisationen mit Anhängern im Bundesgebiet sind die libanesische „AMAL“
(Hoffnung), die mit der pro-iranischen „Hizb Allah“ rivalisiert, und die irakische „Islamische Union irakischer Studenten in der Bundesrepublik Deutschland e.V.“
(I.U.I.S.). Während die „AMAL“ in Deutschland konspirative
Strukturen unterhält, tritt die I.U.I.S. lokal begrenzt als Vertreter der Interessen der irakischen „Hizb ad- Da’wa al-Islamiya“ (Partei der islamischen Mission) auf.
TÜRKISCHE ISLAMISTISCHE BESTREBUNGEN
Das Osmanische Reich war bis zu seinem Zusammenbruch
und der darauffolgenden Säkularisierung im Zuge der Gründung der Türkischen Republik 1923 und der Abschaffung
des Kalifats 1924 ein Staat, in dem der Islam ein Ordnungsfaktor darstellte. Bis heute konnte allerdings die von
Mustafa Kemal Pascha (genannt Atatürk) geschaffene weltliche Ordnung, die im wesentlichen auf den Grundgedanken
eines starken republikanischen Nationalstaates und einer
Europäisierung des Landes fußt, den Islam nicht gänzlich
zum ausschließlichen Gegenstand des Privatlebens der türkischen Bevölkerung machen. Ende der siebziger Jahre formierten sich Kräfte, die auf eine islamische Rückbesinnung
drängten, so in der „Nationalen Heilspartei“ (MSP), die später als „Wohlfahrtspartei“ (Refah Partisi/RP) und seit 1998
als „Tugendpartei“ (Fazilet Partisi/FP) firmierte. Der Gedanke an ein islamisches Staatswesen fand auch in der Folgezeit neue Anhänger, die heute in der islamistischen türkischen „Glückseeligkeitspartei“ (Saadet Partisi/SP) sowie
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der „Gerechtigkeits- und Entwicklungspartei“ (Adalet Ve
Kalkinma Partisi/AKP) eine politische Heimat finden, nachdem die FP im Jahre 2001 verboten worden war.
Anfänge islamistisch-extremistischer Bestrebungen von
Türken in Deutschland, die auf die Schaffung eigenständiger Strukturen abzielten, konnten bereits in den siebziger
Jahren beobachtet werden. Hieraus entwickelten sich in
den achtziger Jahren islamistisch-extremistische Dachverbände. In Deutschland sind zwei solcher Dachverbände,
die eine Abschaffung der laizistischen Staatsordnung in der
Türkei zugunsten eines islamischen Systems anstreben, mit
zusammen etwa 28.600 Mitgliedern bekannt: „Der Kalifatsstaat“ (auch: „Verband der islamischen Vereine und
Gemeinden e.V., Köln“ - ICCB) und die „Islamische Gemeinschaft Milli Görüs e.V.“ (IGMG), die bis Juni 1995 unter der Bezeichnung „Vereinigung der neuen Weltsicht in
Europa e.V.“ - AMGT firmierte.
Die extremistische islamistische Vereinigung „Der Kalifatsstaat“ (Hilafet Devleti) sowie 19 Teilorganisationen und die
dazugehörende Stiftung „Diener des Islam“ (Stichting
Dienaar aan Islam) wurden am 8. Dezember 2001 vom Bundesinnenminister verboten. Das Verbot wurde durch die
Streichung des Religionsprivilegs im Vereinsgesetz möglich,
die am 8. Dezember 2001 in Kraft getreten ist. Mit Verfügung vom 14. Dezember 2001 wurde vom Bundesinnenminister eine weitere Teilorganisation in Rheinland-Pfalz in das
Verbot mit einbezogen.
Das militante Feindbilddenken des 1984 aus dem iranorientierten Flügel der AMGT hevorgegangenen ICCB („Der
Kalifatsstaat“) richtete sich u.a. gegen die Demokratie, den
Laizismus und demokratisch legitimierte Parteiensysteme
sowie gegen den Staat Israel. In dem Organ des Verbandes,
der Zeitschrift „Ümmet-i Muhammed“ („Die Gemeinde
Muhammeds“) wurde Agitation gegen die demokratischen
Prinzipien unserer Staats- und Gesellschaftsordnung sowie
gegen die Religionsgemeinschaft der Juden betrieben.
In Deutschland verfügten die dem ICCB angeschlossenen
Ortsvereine nach erheblichen Mitgliederverlusten zuletzt
noch über etwa 1.100 Mitglieder. Seit dem Tod des ICCBFührers Cemaleddin KAPLAN im Jahre 1995 sorgten u.a.
interne Auseinandersetzungen für eine Radikalisierung der
Organisation. Im Mai 1997 wurde im Zuge dieser Entwick-
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lung ein mutmaßliches ICCB-Mitglied getötet. An der Spitze
des ICCB stand zuletzt Metin KAPLAN, der Sohn von C.
KAPLAN, der im November 2000 wegen öffentlicher Aufforderung zu Straftaten zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren
verurteilt wurde.
Die frühere AMGT hat sich am 03.06.1995 aus Gründen der
Aufgabenteilung neu gegliedert. Die „Islamische Gemeinschaft Milli Görüs e.V.“ (IGMG), ist seitdem für „soziale,
kulturelle und religiöse Aufgaben“ zuständig, daneben widmet sich die „Europäische Moscheenbau- und Unterstützungsgemeinschaft e.V.“ (EMUG) dem umfangreichen
Immobilienbesitz. Die IGMG ist im Gegensatz zum ICCB um
ein moderateres Erscheinungsbild bemüht und strebt die
Veränderung der politischen Verhältnisse in der Türkei nicht
mit gewaltsamen Mitteln an. Sie versteht sich als Sammelbecken islamischer Auslandstürken in Europa; in der Türkei
selbst unterhält sie keine Strukturen, sondern stützt sich
dort ganz auf die „Saadet Partisi“. IGMG-Strukturen gibt es
auch im außereuropäischen Raum, so in Kanada und Australien sowie in mehreren europäischen Ländern wie Belgien, Dänemark und Frankreich. In der Bundesrepublik
Deutschland sind die ca. 27.500 Mitglieder der IGMG organisiert. Nicht alle IGMG-Mitglieder/-Anhänger dürften aber
bewusst islamistisch-extremistische Ziele verfolgen oder
unterstützen. Im Hinblick auf eine neuere Studie ist es allerdings bedenklich, dass die IGMG gerade auf junge in
Deutschland lebende Türken eine deutliche Anziehungskraft
ausübt, die im Zuge sozialer Desintegrationsprozesse und
mangelnder Integration eine neue Heimat suchen, von der
sie sich einen Ausgleich ihrer Defizite an Identität und gesellschaftlichem Stellenwert versprechen. Entsprechend
legt die IGMG auch viel Wert auf die zielgruppenorientierte
Schulung junger Menschen. Insgesamt bedingt ihr Verhalten die latente Gefahr des Entstehens einer Art Parallelgesellschaft; Integrationsprozesse werden bewusst konterkariert, die Abkapselung innerhalb der pluralistisch-demokratischen Gesellschaft wird gefördert.
Bemerkenswert ist die erhebliche Finanzkraft der Organisation, die in Deutschland weiter darum bemüht ist, Immobilien zu erwerben, um neue „Stützpunkte“ aufzubauen.
Als Sprachrohr der IGMG fungiert die türkische Tageszeitung „Milli Gazete“ (Nationalzeitung), in der auch vereinzelte
antisemitische Äußerungen enthalten sind. Seit Januar 1995
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erscheint zudem monatlich das teilweise mit deutschen
Texten versehene eigene Nachrichtenblatt „Milli Görüs und
Perspektive“.
IRANISCHE ISLAMISTISCHE BESTREBUNGEN
Als 1979 im Iran die islamische oder eigentlich islamistische
Revolution stattfand, war dies die bis dahin offenkundigste
und machtvollste Manifestation des Islamismus. Es wurde
deutlich, dass der Islamismus kein Phänomen war, das für
immer auf eine Rand- und Oppositionsrolle festgelegt war.
Diese Tatsache gab der islamistischen Bewegung in nahezu
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allen muslimischen Ländern Auftrieb. Der Iran genießt über
seine Grenzen hinaus damit quasi eine Art Modellcharakter
für Islamisten. In dem - im Gegensatz zum Christentum
nicht zentralistisch ausgerichteten - schiitischen Klerus gelang es dem aus Sicht seiner Landsleute charismatischen
Ayatollah Chomeini, die bis dahin nicht bekannte Rolle einer
gleichsam religiösen wie weltlichen obersten Instanz einzunehmen. Die von ihm gemachten Äußerungen und seine
Zielsetzungen genießen bei seinen Anhängern auch heute
noch, 13 Jahre nach seinem Tod, Autorität. Die diesbezügliche Rolle der Islamischen Republik Iran insgesamt bedarf
aber angesichts des Führungswechsels an der Regierungsspitze 1997 und der Bestätigung der neuen Führung im
Jahre 2001 wohl einer differenzierteren Betrachtungsweise.
Iranische islamistische Extremisten betrachten die Länder
des „Westens“ als Rekrutierungs- und Propagandafeld in
ihrem Bestreben, eine Islamisierung der Länder mit überwiegend muslimischer Bevölkerung herbeizuführen. Sie
konnten sich dabei bislang jedenfalls der Unterstützung der
amtlichen iranischen Einrichtungen im Ausland gewiß sein,
so der Botschaften, Konsulate, Kulturzentren, Handelsbüros sowie Büros von Fluggesellschaften oder staatlichen
Firmen.
Als ideologische Zentrale des Iran für die Verbreitung islamistischen Gedankengutes in Westeuropa fungiert das „Islamische Zentrum Hamburg“ (IZH). Das IZH betreibt unter
erheblichem finanziellen wie personellen Aufwand systematisch Agitation und Propaganda für eine Verbreitung der „islam(ist)ischen Revolution“ nach iranischem Vorbild.
Als Propagandaträger des Iran im Ausland fungieren auch
die in den regionalen Vereinen des islamistisch-extremistischen Dachverbandes „Union islamischer Studentenvereine in Europa“ (U.I.S.A.) organisierten iranischen Studenten. Zur Aufgabe der vom Iran finanziell unterstützten
U.I.S.A. gehört auch die Bekämpfung von oppositionellen
Personen. Den einzelnen der U.I.S.A. in der Bundesrepublik
Deutschland angeschlossenen Vereinen können etwa 150
Mitglieder zugerechnet werden.
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5. Literaturverzeichnis
Autor/Herausgeber
Titel
Bundesamt für Verfassungsschutz
Islamischer Extremismus und seine
Auswirkungen auf die
Bundesrepublik Deutschland (04.99)
Landesamt für Verfassungsschutz
Baden Württemberg
Islamistische Extremisten (10.96)
Bundeszentrale für politische
Bildung
Informationen zur politischen Bildung 223 Türkei (2. Quartal 1989)
Informationen zur politischen Bildung 238 Der Islam im Nahen Osten (1. Quartal 1993)
Das Parlament Nr. 43-44, 28.10./04.11.94
Aus Politik und Zeitgeschichte B 20/90, 25.05.90
Aus Politik und Zeitgeschichte B 33/93, 13.08.93
WOCHENSCHAU-Verlag
Islam, Bestell-Nr. 2293, Adolf-Damaschke-Str. 103,
65824 Schwalbach, März/April 1993
Antes, Peter,
Der Islam als politischer Faktor (1991)
Niedersächsische Landeszentrale für
politische Bildung
Bouman, Johan
Der Koran und die Juden (ISBN 3-534-80123-7),1990
Ende, Werner, Steinbach, Udo
Der Islam in der Gegenwart (ISBN 3-406399517),1996
Halm, Heinz
Halm, Heinz
Der schiitische Islam (ISBN 3-406-37437-9), 1994
Der Islam. Geschichte und Gegenwart
(ISBN 3-406-447/45-7), 2001
Heitmeyer, Wilhelm u.a.
Verlockender Fundamentalismus
Suhrkamp Verlag Frankfurt, 1997
Khoury, Adel Theodor
Was ist los in der islamischen Welt?
(ISBN 3-451-22397-X), 1991
Islam-Lexikon
Herder-Verlag (ISBN 3-451-04036-0), 1991
Khoury/Hagemann/Heine
Kreiser, Klaus, Wielandt, Rotraud
Lexikon der Islamischen Welt
(ISBN 3-17-011770-X), 1992
Nagel, Tilman
Das islamische Recht: eine Einführung
(ISBN 3-936/36-00-9), 2001
Islam: die Heilsbotschaft des Korans und ihre
Konsequenzen (ISBN 3-936/36-01-7), 2001
Nagel, Tilman
O’Brien, Joanne, Palmer, Martin
Weltatlas der Religionen (ISBN 3-8012-0212-7),
1994
Rotter, Gernot
Die Welten des Islam (ISBN 3-596-11480-2), 199
Weitere
Informationsbroschüren:
– „Tätigkeitsbericht“ (jährlich)
– „Rechtsextremismus“
– „Skinheads“
– „Autonome“
– „Arbeiterpartei Kurdistans“
– „Wirtschaftsspionage“
– „Gemeinsam stark gegen Rechtsextremismus“
– „Linksextremismus – weiterhin aktuell“
– „Ausländerextremismus – von Irland bis Sri Lanka“
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Menschenwürde achten – Gegen Fremdenhaß
Die Innenminister von Bund und Ländern
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