Geschichte des Skilaufs
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Geschichte des Skilaufs
Die Geschichte des Skilaufs in St. Anton am Arlberg Gründung des Skiclubs Arlberg (1901), das erste Skirennen (1904), die erste Skischule (1921) und über die Geburt des Arlberg-Kandahar-Rennens (1928) Seit 100 Jahren wird am Arlberg Ski gelaufen. Rudi Matt aus St. Anton am Arlberg war einer der ersten großen Skisportler dieser Gegend, dem die schneebedeckten Berggipfel lebenslang Erfolg und weltberühmten Ruf (man holte ihn später als Skilehrer nach Amerika und Japan) gebracht haben. Schon einige Jahre früher staunten die Einheimischen nicht schlecht über einen norwegischen Ingenieur, der im Jahre 1887 beruflich mit dem neuen Arlbergtunnel zu tun hatte und der es bequemer fand, sein Körpergewicht auf zwei langen Latten durch den Schnee zu schieben. Der Pfarrer von Lech folgte zehn Jahre später seinem Beispiel und zog mit seinen Holzlatten einen perfekten Bogen vor den ungläubigen Augen der Gläubigen. Freilich ahnte damals noch keiner, dass diese so lächerlich aussehenden Bretter unter den Schuhen einen sensationellen Siegeszug antreten und das Leben auf dem Arlberg von Grund auf verändern würden. Von Natur aus war man erst einmal skeptisch in den Gemeinden im „Land der Arle“, deren Bevölkerung am Fuße von Rüfikopf (2363), Valluga (2811) und Trittkopf (2722) seit Jahrhunderten haust und schafft. Schließlich traf auch sie ein Funke der Begeisterung, der von den norwegischen Orten Telemark und Kristiania übersprang. Auslöser dazu war der aufsehenerregende Bericht von Fridjof Nansen: „Auf Schneeschuhen durch Grönland“, der 1891 in Hamburg in deutscher Übersetzung erschien und in aller Munde war. Auf einmal eroberte die Idee vom Abenteuer „Ski“ die ganze zivilisierte Welt - soweit sie Berge besaß. So zog es auch immer mehr skiund schneebesessene Neugierige ins hochalpine Arlberg-Gelände. „Mit Schneeschuhen von St. Anton nach St. Christoph in eineinhalb Stunden, von St. Christoph auf die Galzigspitze, 2185 m, in zwei Stunden zehn Minuten, abwärts in 18 Minuten. Schneehöhe 0,68 bis 1,60 m - herrliche Rundsicht“. So steht es unter dem 10. Dezember 1899 im Fremdenbuch des berühmten Hotels „Hospiz“ in St. Christoph am Arlberg. Herrmann Hartmann, ein Lindauer Zollbeamter, hatte zum ersten Mal den Galzig bestiegen. Von da an ging’s steil bergauf mit den Abfahrten am Arlberg. Auch die Einheimischen gewöhnten sich an den Anblick der mit Ski und Einstock ausgerüsteten Gipfelstürmer. Der Gesprächsstoff in den Arlberg-Gemeinden St. Anton, St. Christoph, Stuben, Zürs und Lech ging nicht aus. Auch nicht bei den sechs Freunden, die am Weihnachtsabend im Jahr 1900 im Lumpenstüberl der „Alten Post“ in St. Anton zusammensaßen. Sie redeten sich die Köpfe heiß über die begeisterten Berichte der Tourengeher. Schließlich schlug der Postwirt Carl Schuler vor, den Worten auch einmal Taten folgen zu lassen - mit einer Skitour von St. Anton nach St. Christoph. Ein Ausflug zum Hospiz, der Geschichte machen sollte. Gründung des Skiclubs Arlberg Keiner der sechs Freunde wird davon etwas geahnt haben, als sie sich am 3. Januar 1901 bei strahlendem Sonnenschein die einfachen Bretter unter die Stiefel schnallten und mit dem Einstock in der Hand, eingehüllt in wetterfeste Loden, abmarschierten. Der Aufstieg nach St. Christoph im frischen Pulverschnee war problemlos. Aus der geplanten Rast beim Hospizwirt Oswald Trojer und seiner Tochter Liesl wurde eine ausgiebige Feier: bei Zithermusik und Glühwein saßen sie in der gemütlichen Stube zusammen. In seiner Freude über den rundum geglückten Tag machte der Gemeindearzt Adolf Rybizka den Vorschlag, einen Skiclub zu gründen und die euphorische Stimmung tat ihr Übriges, dass diese Idee begeisterte Zustimmung fand. Rybizka setzte sich ans Gästebuch und schrieb: „Durch die Natur entzückt, durch den Sport begeistert, durchdrungen von der Notwendigkeit, am Arlberg einen bescheidenen Sammelplatz für die Freunde dieses edlen Vergnügens zu schaffen, fühlen sich die am ex tempore beteiligten Ausflügler bewogen, den Skiclub Arlberg zu gründen. St. Christoph, 3. Jänner 1901“ Unterzeichnet haben die Gründungsmitglieder Carl und Adolf Schuler, Dr. Adolf Rybizka, Oswald Trojer, Josef Schneider, Ferdinand Beil, Dr. F. Gerstel und Liesl Trojer. Der Arlberg - Wiege des Skilaufs ... Mit der Gründung des Skiclubs Arlberg (SCA) hatte man das erste Kind bereits „geschaukelt“. Aus den acht Geburtshelfern wurden bis heute mehr als 5000 Skiclub-Mitglieder aus aller Welt. Fast auf den Tag genau drei Jahre nach der SCA-Gründung lag bereits das zweite Arlberg-Baby in der Wiege: Am 5. und 6. Januar 1904 fand das „1. Allgemeine Skirennen“ (der Alpen) in St. Anton statt. Die Strecke war festgelegt und mit ausgearbeiteten Rennbestimmungen wurden Vorarbeiten für künftige Skirennen geleistet. Die Teilnehmer, einige für damalige Verhältnisse weit angereist, traten zum ausgeschriebenen Fernlauf an. Sie wühlten sich durch den Schnee - von der Ulmer Hütte über den Schindlerferner zum Arlensattel, dann auf den Galzig und hinunter über St. Christoph nach St. Anton. Ein ungeheurer Kraft- und Leistungsaufwand, den man heute - mit dem Wissen um vorhandene Lifte, Seilbahnen und präparierte Pisten - gedanklich kaum noch nachvollziehen kann. Skirennen am Arlberg wurden zur festen Einrichtung. Sie zogen nicht nur durchtrainierte Teilnehmer an, sondern auch sportbegeisterte Zuschauer. 1905 kündigte der SCA das erste Mal sein Rennen mit Werbeplakaten an und das Jahr darauf (der Club hatte bereits 99 Mitglieder) wurde parallel zum „III. Allgemeinen Rennen“ der „I. Alpine Fernlauf um die Meisterschaft von Tirol 1906“ gestartet. Mit der Zeit wurde die Nachfrage für Skikurse immer größer und damit auch die Diskussion um den zweckmäßigsten Fahrstil. Die Arlberger Pioniere fanden schnell heraus, dass sie mit dem norwegischen Telemark-Stil nicht weit kommen, sondern eher tief und weich fallen konnten. Das steile, hochalpine Gelände war für diesen „Ausfallschritt“ wenig geeignet. Aufsehen erregte damals ein Lausbub, nicht nur wegen seiner blitzfrechen Augen und seiner langen Nase: Hannes Schneider aus Stuben war ein außergewöhnliches Skifahr-Talent. Bereits 1903 gewann er als knapp 13-jähriger ein internes SkiclubRennen und danach hatte er nur noch zwei Dinge im Sinn: Skifahren und nochmal Skifahren. Dabei hatte er sich in den Kopf gesetzt, einen optimalen und kraftschonenden Bewegungsablauf für die langen, schwierigen Alpen-Abfahrten zu finden. Unermüdlich feilte er an seiner neuen Technik, bei der er zum Kurvenfahren das Gewicht verlagerte, gleichzeitig locker in den Knien blieb und den Schwung herumriss. Die Schussfahrten bewältigte er in der Hocke, die Position bei der er sich am schnellsten und sichersten fühlte. Der Wirt der „Alten Post“, ganz offensichtlich ausgestattet mit einem Riecher für Ereignisse, die später in die Geschichte eingehen sollten und Gründungsmitglied des Skiclubs - holte sich Hannes Schneider als Skilehrer für sein Hotel nach St. Anton. Erstmals spielten dabei im Zusammenhang mit Skifahren geschäftliche Interessen eine Rolle. Die Faszination am „weißen Rausch“ sollte den Fremdenverkehr ankurbeln. Der Postwirt lag richtig. Der elegante Stil des Hannes Schneider hatte sich schnell herumgesprochen und eine immer größer werdende Schar von Brettl-Rutschern kam nach St. Anton, um die Arlberg-Technik zu lernen. Die erste Skischule Im Winter 1921/1922 setzte Hannes Schneider einen weiteren Meilenstein der Skigeschichte: er gründete in St. Anton am Arlberg eine Skischule, in der die Schüler entsprechend ihres Könnens in verschiedene Gruppen eingeteilt waren und nach festgelegten Richtlinien von ausgebildeten Skilehrern unterrichtet wurden. Gruppenskikurse, was für uns heute so selbstverständlich ist, war damals eine Weltpremiere und glich einer skipädagogischen Revolution. Die „Golden Twenties“ bestimmten den Zeitgeist, und der Schwung der 20-er Jahre schwappte auch übers Gebirge: am Arlberg brachen „moderne Zeiten“ an, Spielfilme wurden gedreht. Die Regie hatte Arnold Fanck von der Freiburger Berg- und Sportfilmgesellschaft, Schauplatz waren die schneebedeckten Hänge zwischen Lech und St. Anton und der Hauptdarsteller hieß - natürlich - Hannes Schneider. Filme, wie „Wunder der Schneeschuhe“ oder „Die weiße Kunst“ demonstrierten in traumhaften Bildern anschaulich die Arlberg-Methode und riefen auf der ganzen Welt Begeisterung und Bewunderung hervor. Das Publikum strömte in die Kinos und danach in die Berge, um den Traum vom Skifahren zu verwirklichen. Wer in Wintersportkreisen oder zumindest in der feinen Gesellschaft etwas auf sich hielt, machte sich auf zum Filmschauplatz. Die Lehrer der Schneider’schen Skischule hatten gut zu tun: Bis zu 2000 ambitionierte Skifahrer waren’s täglich, die sich in der Kunst des Schwingens oder der Arlberg-Hocke einweisen lassen wollten. Dass das Erlernen der Skitechnik nicht die einfachste Sache der Welt war (und heute noch nicht ist), beweisen die höhnischen Worte eines - vielleicht nur neidischen - Zuschauers: „ Es ist noch keineswegs ein Hannes, der Po im Klostil fährt und meint er kann es!“ Trotzdem: Arlberg-Technik und -Skischule hatten sich durchgesetzt und wurden richtungsweisend für andere Skinationen. Das Arlberg-Kandahar-Rennen In den 20-er Jahren fand ein weiteres Skisport-Ereignis statt, das den Namen des Arlbergs als Mekka des Skilaufs endgültig festigte: Sein Name klingt so international wie die dazugehörige Entstehungsgeschichte: Arlberg-Kandahar-Rennen. Die Briten, die damals in ihrer Sport- und Reiselust alle anderen Europäer übertrafen, tummelten sich auch mit Begeisterung in den Alpen. Schließlich gründeten sie im schweizerischen Mürren einen Skiclub, den Kandahar Skiclub. Der Name Kandahar ist nicht irgendeine geistreiche britische Erfindung, sondern der Name einer Provinzhauptstadt in Afghanistan. Lord Robert, ein englischer General, brachte ihn in den Skisport ein: Der General diente Ihrer Majestät als Kommandeur in Afghanistan so vorbildlich, dass er für seine Verdienste zum „Earl of Kandahar“ geadelt wurde. Sein Skiclub sollte an der Freude teilhaben und er stiftete großzügig den „Roberts of Kandahar-Preis“. Arnold Lunn, einer der britischen Skipioniere, hatte sich in den Kopf gesetzt, mit dem „Skigott“ Hannes Schneider gemeinsame Sache zu machen. Im Winter 1927 organisierten die Mitglieder des englischen Kandahar-Clubs und der Skiclub Arlberg ein Skirennen in St. Anton. Arnold Lunn, vom Slalom-Pioniergeist ergriffen, rammte Stangen in den Schnee - für den Arlberg eine neue Skivariante. Mehr als 20 junge St. Antoner Skicracks kurvten mit riesen Spaß um die spitzen Hindernisse. Die Begeisterung aller Beteiligten ermutigte Schneider und Lunn im darauffolgenden Jahr einen, bisher noch unbekannten alpinen Kombinationswettbewerb, bestehend aus Slalom und Abfahrtslauf, auf die Beine zu stellen. Das war die Geburt des Arlberg-Kandahar-Rennens. Die beiden Gründerclubs gaben ihm den Namen. Sein internationales Debüt fand am 3. und 4. März 1928 am Galzig statt, auf einer schnellen, geländemäßig ungemein coupierten Strecke, die der Skiwelt ungehörigen Respekt abverlangte. Obwohl sich bis heute verschiedene Alpenorte mit der Austragung des Skisport-Ereignisses abwechseln, hat der Beschluss der beiden Gründerclubs nach wie vor Gültigkeit: Es bleibt beim Namen Arlberg-Kandahar. Hier zu siegen, zählt zu den sportlichen Höhepunkten der Weltklasse-Skifahrer. Dem St. Antoner Rudi Matt übrigens, der so viele Rennen gewonnen hat, war es nie vergönnt, bei der „Kandahar“ ganz oben auf dem Treppchen zu stehen. 1930 wurde er in der Abfahrt Zweiter, den gleichen Platz belegte er 1934 im Slalom und in der Kombination. Die Spitzenposition, die er während seiner sportlichen Laufbahn nicht schaffte, gelang ihm nach seiner aktiven Zeit als Rennläufer: Von 1946 bis 1964 war er Vorsitzender des Arlberg-Kandahar-Komitees. Nach dem zweiten Weltkrieg wurde Rudi Matt auch Präsident des Skiclubs. In dieser Zeit eroberten SCA-Mitglieder, allen voran Karl Schranz, auf zahlreichen weißen Pisten Gold und trugen den Namen Arlberg in die Welt hinaus. Auch die berühmte Skischule Arlberg wurde neu organisiert. Rudi Matt übernahm die Leitung (zusammen mit Sepp Fahrner) und führte sie 30 Jahre lang im Sinne seines großen Lehrmeisters Hannes Schneider, der 1939 als engagierter Nazigegner des Landes verwiesen wurde und sich in Amerika eine neue Existenz aufbaute. Neues gab es auch in St. Christoph. Im Hospiz-Hotel erinnert in der gemütlichen Skiclub-Stub’n zwar noch eine große, goldumrandete Tafel an die einstige Idee der Gründungsväter „...eine bescheidene Sammelstätte zu schaffen ...“, ansonsten ist es hier mit der Bescheidenheit vorbei. Aus dem geschichtsträchtigen Hospiz auf der Passhöhe ist ein Fünf-Sterne-Hotel geworden, das zu den komfortabelsten der Alpen gehört. Im Haus gegenüber wird die Skiwissenschaft betrieben: Bundessportheim: Professor Stefan Kruckenhauser, der „Lehrmeister des Arlbergs“ setzte hier Anfang der 50-er Jahre neue Maßstäbe für Skilehrer. Die „Kruck-Ära“ ist überall in die Skianalen eingegangen, denn der sportliche Professor erfand das Wedeln, das 1955 seinen Siegeszug durch die Bergwelt antrat. Ihm folgte Professor Franz Hoppichler als Leiter des Bundessportheimes. Er entwickelte die Skifahrmethoden weiter und stellte den neuen Skilehrplan auf, der heute für den internationalen Skisport maßgebend ist. Inhaltlich wurde er von den Amerikanern übernommen und selbst in Japan entstand eine tonangebende „Arlberger Skischule“. Das weltweit hohe Ansehen des Arlbergs, der Bundesskischule und das ihres Leiters wurde während des Interski-Kongresses 1987 in der kanadischen Stadt Banff offensichtlich: Franz Hoppichler wurde zum Präsidenten des Weltverbandes der Skilehrer gewählt und St. Anton am Arlberg wurde Austragungsort des Interski-Kongresses 1991. Skilehrer aus aller Welt trafen sich auf den Arlberger Pisten und setzten an historischen Orten die Zukunft des weißen Sports fest. Professor Hoppichler starb 1995. In der Wintersaison 1995/96 hat Professor Werner Wörndle die Leitung des Bundessportheimes in St. Christoph übernommen. Nachdem er neun Jahre lang den alpinen Hochleistungssport im Österreichischen Skiverband verantwortlich geleitet hat, trat er am Arlberg in die Fußstapfen der legendären „Skipäpste“ Professor Kruckenhauser und Professor Hoppichler.