Fundstück: Ludwigsdorf
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Fundstück: Ludwigsdorf
Fundstück: Ludwigsdorf Abschrift: Oberlausitzer Gemeinde-ABC. (Artikelreihe in "Die Kirche", 1950 bis 1952) Vom Turmknopf Wer eine Baugeschichte schreibt, beginnt gemeinhin wie einst der Erbauer selbst mit der Gründung des Hauses und berichtet zuerst über die Grundsteinlegung. Dann baut er von Stockwerk zu Stockwerk weiter, bis er Hebefest feiern und das schützende Dach aufsetzen kann. Dagegen darf der Chronist, der den Lebensweg einer Kirchengemeinde zu schildern sich unterfängt, im Anfang höher greifen und versuchen, von Turmknopf aus zu beginnen. Er öffnet ihn und findet in Ludwigsdorf eine Urkunde eingekapselt, die dieses sagt: „ Die Erbauung der Kirche fällt in das 12. oder 13. Jahrhundert. Seit 1346 gehörte sie zum erzpriesterlichen Stuhle Görlitz. Es war an ihr außer einem Plebanus (Leutepriester) oder Pfarrer noch ein Altarist angestellt. Der Altar der Kirche war der Jungfrau Maria und der Heiligen Catharina geweiht. Die Reformation ist allhier im Jahre 1527 eingeführt worden.“ Auch Pastor Zobel (Görlitz, Dreifaltigkeitskirche) vermutet in seiner Schrift „ Die Anfänge der Reformation in Görlitz und der Preußischen Oberlausitz“, daß Ludwigsdorf nicht viel später als Leopoldshain (1525) die evangelische Predigt erhalten und daß unstreitig die Nähe von Görlitz dem frühzeitigen Eindringen der Reformation Vorschub geleistet habe. Die Urkunde im Turmknopf zählt dann die Pfarrer und Altaristen auf, die in der katholischen Zeit in Ludwigsdorf amtierten. Darunter wird als letzter katholischer Pfarrer des reichen Emmrich Sohn aus Görlitz Simon Emrich genannt, der 1527 an der Pest starb. Seine Brüder Jacob und Urban Emrich beriefen als Besitzer von Ludwigsdorf am Pfingsttage des gleichen Jahres Franziskus Benedictus als ersten evangelischen Prediger. Er hatte früher Franziskus Behnes oder Behnisch geheißen und war Franziskanermönch in Zittau gewesen. Er verheiratete sich in Ludwigsdorf, hatte 3 Söhne, von denen einer, David, ihm im Alter helfend zur Seite stand und dann auch im Amt nachfolgte. Er hatte, weil er in Frankfurt a. O. studierte, im März 1558 von dem Superintendenten Andreas Muskulus in Frankfurt geprüft und ordiniert werden sollen. Im September 1561 ist der Vater Benedictus gestorben. Weiter werden in der Urkunde die evangelischen Pfarrer in Ludwigsdorf und die Schullehrer bis 1859 genannt. Es heißt dann: „Seit dem Jahre 1830 sind allhier auch Adjuvanten an der Schule angestellt worden und sind bis daher 8 gewesen. Das Patrocinium der Kirche und Schule ruhte früher auf dem Rittergute Klingewalde und dem Dominium Nieder Ludwigsdorf, von deren Besitzern dasselbe abwechselnd ausgeübt und auch nach einem Receß (Auseinandersetzung, Vertrag) von 10. Februar 1741 wechselnd von denselben die Pfarr- und Schulstelle besetzt wird.“ Dorfgeschichte Ehe wir uns weiter in den Inhalt des Turmknopfes vertiefen, wollen wir hören, was ein unbestechlicher Heimatforscher über unser Ludwigsdorf, genauer über das ganze Kirchspiel: Ober- und Nieder- Ludwigsdorf und Oberneundorf anzumerken hat. Was mag ihm auffallen, was weiß er aus Geschichte und Landeskunde unserem Wissen zuzufügen? Es ist nicht so leicht, den Weltenwanderer, der unsere Heimat durchstreift, aufzuhalten; aber nachdem es endlich gelungen ist, ihn in den Kretscham zu locken und an einem Tische festzuhalten, zieht er einen vergilbten Kalender aus der ledernen Reisetasche und beginnt zu „referieren“. Er ist ein ganz Genauer, der nicht eher ruht, als bis er alles, was er sah und hörte und aus altem Druckwerk herausgelesen hat, vor seinen Hörern umständlich ausgebreitet hat. „ Nun ja“, meint er nach einer Atempause und doziert aus seinem zerlesenen Blättern, „es ist nicht zu bezweifeln, daß euer schönes Bauerndorf vor den Toren der alten Sechsstadt Görlitz ursprünglich nach seinem Begründer genannt sein mochte. 1305 hieß es jedenfalls Lodewigisdorph, 1413 Lodewigistorff und seit1430 Ludwigsdorff. Bis vor kurzen das hab ich schon gehört, gab es zwei selbständige Gemeinden: Nieder- und Ober- Ludwigsdorf. Und diese Zweiteilung soll sich schon seit der Zeit kurz nach dem Dreißigjährigen Kriege, d. h. seit 1665, herschreiben. 1525 waren die beiden Gebrüder Urbahn und Jakob Emrich, die reichen Görlitzer Kaufherren, Grundherren von Ludwigsdorf. 1539 erwarb der Rat der Königlichen Stadt Görlitz das Gut. Am 14. Oktober desselben Jahres leistete die ganze Gemeinde dem Rate der Stadt Görlitz den Treueeid und die Huldigung als neuem Grundherr. 1655 kaufte Herr v. Salza auf Ebersbach auch Ludwigsdorf. – Ihr meint, das alles ginge euch heute nichts mehr an? Mag sein; aber früher ging es die Ludwigsdorfer sehr viel an; denn wer das Gut besaß, der hatte das Dorf, und seine Bewohner waren ihm untertänig. Es geschah auch nicht von ungefähr, daß bei einer größeren Kirchen- und Schulhausreparatur im Jahre 1674 der notwendige Kalk abwechselnd vom Rate zu Görlitz und von der Herrschaft zu Nieder- Ludwigsdorf bezogen wurde. Man war der Stadt und der Herrschaft NiederLudwigsdorf gegenüber verpflichtet. Daß der spätere Besitzer des Dominiums Demisch in den siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts Bergbauversuche auf Kupfererze auf Ludwigsdorfer Flur anstellte, wissen die älteren Leute gewiß noch. Auch daß um 1900 die Firma Kulmitz den vermauerten Maximilianschacht aufs neue abteufte, ist wohl noch bekannt, wenn schon der ganze Betrieb 1907 eingestellt und alle Grubenbauten abgebrochen wurden, weil das Erzvorkommen nicht ergiebig genug war. „Aber das sei auch neidlos zugestanden“, hub der emsige Heimatforscher wieder an, „die 1928 eingeweihte Hauptschule mitten im Dorfe ist ein prächtiger, großzügiger Bau, auf den ihr mit Klingewalde und Oberneundorf wirklich stolz sein dürft.“ „Wie, 100.000 Mark hat der Bau verschlungen? Ihr habt recht, das war Anfang unseres Jahrhunderts eine ganz respektable Summe für einen Schulhausbau auf dem Lande! Alle Achtung!“ Krieg und Kriegsgeschrei Nachdem sich der Heimatchronist gestärkt hatte, ward er gebeten, doch etwas aus alten Kriegszeiten zu berichten, wie es im Dreißigjährigen Kriege und später zugegangen wäre. Er setzte seinen Vortrag etwas schulmeisterlich fort: „Das ist kein leichtes Kapital, ihr guten Leuten, aber ich glaube, ihr, die ihr zwei Weltkriege durchlebt habt, ihr werdet die Kriegsnöte von anno dazumal heute besser begreifen und nachfühlen können und nicht so leichthin darüber hinweglesen wie wir in unseren jungen Jahren. Die große Nähe der Festung Görlitz und eure Lage an der alten Heerstraße ist dem Dorf oft zum Verderb gewesen. Hört nur zu, was dem Pfarrer Peter Mäntler, der von 1624 bis 1661 hier amtierte, widerfuhr. „Er ist“, wie es in der Chronik heißt, „bei den langwährigen unseligen Kriegsläufften zweimal totaliter ruiniert worden und darüber noch 18 schwere Landsplünderungen außgestanden, dadurch Er sein und seiner Ehewirthin ansehnlich Patrimonium eingebüßet und in große Schulden eingerunnen ist.“ Sein ganzes Wirtschaftsinventar bestand nur noch in einem alten Kessel. „E. E. Rath der Stadt Görlitz als Patron der Kirche bewilligte unterm 11. July 1648 genanntem Pfarrer von der Kirchenbereitesten Gelder (in Anbetracht seines kümmerlichen Zustandes) 300 Mark zur ergetzlichkeit zu geben.“ Im Schlesischen Kriege 1745 rücken die Preußen in Ludwigsdorf ein, und die Bauern mußten weite beschwerliche Fuhren außer Landes leisten. Am 5. September 1757 wurde das Dorf von einer gewaltigen preußischen Fouragierung, man könnte es fast Ausplünderung nennen, aus dem Lager bei der Landeskrone heimgesucht. Alles, was zu haben war, wurde requiriert: Getreide, Heu, Brot, Butter, Quark, Bier, Branntwein, Säcke, Seile und sogar Hebebäume. Das Niederdorf mit dem Gute hatte 1807 allein 1135 Taler zur französischen Kriegskontribution zu zahlen. Weit härtere Lasten aber wurden dem Orte 1813- 15 auferlegt. Am schlimmsten scheint es am 22. und. 23. Mai 1813 hergegangen zu sein, wo nach der Schlacht bei Bautzen viele Tausende von Preußen und Russen durch das Dorf flüchteten und alles Vieh mitnahmen, was noch vorgefunden wurde. Franzosen und Italiener folgten und nahmen das Letzte. Aus dem Sterberegister und den Kirchenrechnungen könnte ich euch wohl stundenlang vielerlei Einzelheiten berichten. Vielleicht würde mancher von seinen Vorfahren erfahren, wie Not und Tod, Krieg und Pestilenz, Feuersnot und Wetterschlag seine Familien heimgesucht haben. Ihr würdet erkennen, wie Glaube und Gottvertrauen und Nachbarschaftshilfe in der Gefahr die Gemeinde in allen Nöten gestärkt haben und daß immer wieder neues Wachstum und junges Leben zum Lichte gedrängt, bis auf den heutigen Tag. Da ist – um nur weniges herauszuheben- am 19. April des Jahres 1665 Jakob Pfuhl zu Oberneundorf im gesegneten Alter von 105 Jahren selig entschlafen. Auch über den erschütternden Tod von des Schulmeisters „Christgeliebter Ehegenossin“, Frau Elisabeth Eleonore Rißmann, berichtet die Dorfgeschichte. Sie wurde vor 200 Jahren, genau am 28. Juli 1752 nachmittags ¾ auf 4 Uhr beim Wetterläuten neben ihrem Eheliebsten von einem Blitzstrahl getroffen und sogleich getötet. „Der Strahl aber durchs Gewölbe auf die Kanzel fuhr, allda er das ¾ und 4/4 Seiger-Glas zerschmetterte. „Es war eine so große Menge Volks“ schreibt der Pfarrer, „bei der Beerdigung, daß man in der Kirche keinen Platz haben und vor Hitze und Brodem keinen Atem holen konnte, und da außer der Kirche noch mehr Volks als in der Kirche war, wurde auf dem Kirchenhof unter den Linden ein Tisch und Stühle hingesetzt, auf welche sich die anwesenden Herrschaften niederließen, das Volk aber sich herumstellte, daß auch die Kirchenmauer, Häuser und Fenster voll waren und ich, J. G. Freund, p. t. Pastor, die Leichenpredigt über Ebr. VI, 14- 20 bei allervollkommensten und ungemeinen Stille hielt. Gloria Deo!“ Kirchen und Geläut Wir wollen nun unseren Heimatforscher verlassen und einmal einen Blick in die Kirchenrechnungen werfen. Glaubt nicht, daß da nur langweilige Zahlenreihen darin stehenNein, ihr werdet sehen, daß Zahlen eine beredte Sprache sprechen und daß sie bisweilen deutlichere Auskünfte geben als lange Schreiberei. Versuchen wir’s: 11 Mark wurden 1660 bezahlt für die Reparatur der Turmuhr von Josef Seydel, Deutsch- Ossig. 1610 war diese Schlaguhr bereits auf die Kirche aufgesetzt unter der Verwaltung des berühmten Görlitzer Bürgermeisters Bartholomäi Sculteti und der Herren Heinze und Emrich. 90 Taler kostete 1669 das Umgießen der neuen Mittelglocke, dazu 10 Taler für den Transport nach Dresden und zurück 1672 mußten eine neue Schlaguhr von Seydel, Deutsch- Ossig, für 75 Taler aufgestellt werden. So können wir aus der Kirchenrechnung ohne Mühe die Lebensdauer unserer Kirchenuhr bis in die Neuzeit ablesen und erkennen, daß sie nicht nur gute und schwere Stunden schlug, sondern manches Mal aussetzte und der Gemeinde selbst Sorgen bereitete. Kein Menschwerk ist von Dauer hier unter dem wechselnden Mond, auch eine treue Turmuhr nicht. 1674 ward bei dem Kirchenumbau eine Kapelle auf dem Friedhof erwähnt. Damals sind auch ein neuer Turmknopf und die Wetterhähne auf das Kirchdach aufgesetzt worden. 1690 am 6. November brachen Diebe in die Kirche ein, schnitten ein Stück aus dem Altartuch und erbeuteten 31 Mark 18 Kreutzer 9 Pfr. Kirchen- und Almosengeld. 1696 wurde die große Glocke, die zersprungen war, in Görlitz umgegossen, wofür der Glockengießer 99 Thaler, der Schmied 11 Thaler erhielt. 1756 mußte anstelle des 1674 aufgesetzten Turmknopfs ein neuer beschafft werden. Der alte Herr, der in Sturm und Wetterschlag so manches Mal sein müdes Haupt, auch über dir Menschen da unten, geschüttelt haben mag, hat also immerhin das ehrwürdige Alter von 82 Jahren erreicht. 1758 zersprang die Mittelglocke, die Rot- und Glockengießer Seifert in Görlitz umgoß. (Kosten des Umgusses rund 35 und 13 Thaler). 1767 wurde die Kirche geweißt und vom Maler Neumeister mit Freskomalereien ausstaffiert. (Kosten 77 Thaler). 1768 zersprang die Mittelglocke wiederum und wurde 1770 von Jannasch in Bautzen umgegossen (248 Thaler). So berichtet die gewissenhafte Dorf- und Kirchengeschichte noch viele Dinge. Wir wollen sie jetzt behutsam schließen, und uns nachdenklich der Neuzeit zuwenden und uns bewegen lassen von den Worten, die der Chronist am 8. November 1865 an den Schluß seines Berichts gesetzt: „Was also geschrieben ist, das bleibe zum Gedächtnis für die spätesten Zeiten! Der Herr aber behüte sein Haus und lasse es eine Stätte zum Preise seines herrlichen Namens und zum Segen und Heile der Gemeinde sein, die von Christo Jesu ist, daß alle, die darin ein- und ausgehen und sein Worte hören, auch durch dasselbe selig werden mögen! Amen!„ E. W. G. Oberlausitzer Gemeinde_ ABC. Ludwigsdorf (Fortsetzung) (Seite 1-6 bereits eingesandt) Die neue Zeit Wenn wir nun zur Neuzeit kommen, die die Alten im Kirchspiel Ludwigsdorf noch gut überblicken, weil sie zugleich die ihnen von Gott geschenkte Lebenszeit ist, so möchte man zuerst einmal tief Atem holen. Denn was bis jetzt geschrieben ist, scheint ein für unsere Vorfahren erträgliches Maß nicht überstiegen zu haben. Doch was wir jetzt verzeichnen müßten, scheint wenigstens in unsern Landen noch keiner Generation auferlegt worden zu sein. Wir haben 2 Weltkriege erlebt, und wir gehören zu denen, die sie überstanden haben. Die Lücken, die die beiden Kriege gerissen, und die Wunden, die sie geschlagen haben, sind noch bis heute offen. Wenn wir den Chronisten gefragt hätten, was denn in alten Zeiten die Menschen nach blutigen Kriegen oder anderen Notzeiten getan haben, so hätte er uns sicher noch Manches erzählt über Bitt- und Bußgottesdienste, über das Rufen und Beten unserer Vorfahren zu Gott, dem Herren, aber ebenso darüber, daß der allmächtige Gott ihr Rufen gehört und erhört hat und ihnen wieder seine Gnade zuwandte. Ob wir dies in unserer neuen Zeit auch sagen können? Ist nicht vielmehr das das Kennzeichen unserer Zeit, daß sie sich von Gott abgekehrt hat und dafür himmelstürmende Pläne schmiedet? Gott aber schaut auch heute vom Himmel und sucht, wo Menschen sind, die nach Ihm fragen, denn ihre Buße und ihr Gebet geben auch heute der Welt den Bestand. Unter den Pastoren dieser Zeit nennen wir als ersten Pastor Apelt, der von 1868 bis 1915, also 47 Jahre hindurch, dieser Gemeinde ein treuer Hirte gewesen ist. Er erlebte hier den deutschfranzösischen Krieg von 1870/71 und den Ausbruch des ersten Weltkrieges. Wenige Jahre vor seinem Amtsantritt in Ludwigsdorf (1862) war das Pfarrhaus durch einen großzügigen Anbau erweitert worden. Pastor Apelts erste Tat war, daß er 1869 die drei alten Bronzeglocken bei der Firma Hondanik & Söhne in Hoyerswerda umgießen ließ, die am 2. September desselben Jahres unter großer Beteiligung der Gemeinde in einem Gottesdienst eingeweiht wurden. Die Inschriften der drei Glocken waren: große Glocken: „Kommt her zu seinen Vorhöfen, lasset uns dem Herrn frohlocken und jauchzen dem Hort unseres Heils“, mittlere Glocke: „Bleibe bei uns, dem es will Abend werden, und der Tag hat sich geneiget“, kleine Glocke: „Sei getreu bis an den Tod, so will ich dir die Krone des Lebens geben“. Pastor Apelt hat es nicht mehr erlebt, daß im Juni 1917 die beiden größeren Glocken den Turm wieder verlassen mußten. 1872 konnte er der von den Gebrüdern Schlag aus Schweidnitz neuerbauten Orgel die Weiherede halten. Niemand aber wird wissen, daß die Christnachtfeier am Heiligen Abend, wie wir sie jetzt feiern, noch garnicht so alt ist. Unter dem Jahre 1880 steht eine Notiz, die lautet: „In diesen Jahre fand die erste Christnachtfeier statt, nachdem der Bauerngutsbesitzer Lehmann in Oberludwigsdorf 2 Kronleuchter geschenkt hatte, welche 317 Mark kosteten“. Das bedeutet natürlich nicht, daß die Christnachtfeiern damals etwas völlig Neues waren. Die in der katholischen Kirche üblichen mitternächtlichen Christmetten sind nach der Reformation auch in der evangelischen Kirche weiterhin gefeiert worden. Doch etwa von 1750 ab sind sie in unserer Kirche allmählich ausgestorben. Pastor Apelt ist nun derjenige gewesen, der sie Weihnachten 1880 zum ersten Male wieder in unserer Gemeinde eingeführt hat. Dazwischen stoßen wir auch auf Nachrichten, die nicht von kirchlichen Leben, sondern von Freud und Leid unserer Vorfahren berichten, z. B. von schweren Regenfällen mit Hochwasser und Überschwemmungen durch die Neiße, wobei die Neißedämme an vielen Stellen durchbrochen wurden, so in den Jahren 1880, 1888 und 1897. Oder wir hören von ungewöhnlicher Hitze, langanhaltender Kälte oder von Feuerbrünsten. Vielen heute noch Lebenden wird der Brand des Getreidespeichers der Pohl’schen Mühle am 19. Oktober 1908 in Erinnerung sein. Wer wird noch wissen, daß am 27. Februar 1910 in Ludwigsdorf zum ersten Male das elektrische Licht brannte? Doch mit solchen Nachrichten könnte man unbegrenzt fortfahren und würde kein Ende finden. Aber wir wollen noch etwas über Pastor Apelt berichten. Am 25. Februar 1912 gründete er mir seiner Gattin und 16 Ludwigsdorfer Frauen die Evangelische Frauenhilfe. So durften wir in diesem Jahre am 26. Februar das 40 jährige Bestehen unserer Frauenhilfe feiern. Die Zahl der Mitglieder ist inzwischen auf 200 angestiegen. Gott sei Lob und Dank für diese Führung durch 40 Jahre. Am 3. Oktober 1915, dem Erntedankfest, hielt Pastor Apelt seine Abschiedspredigt. Die 47 Jahre seiner Amtszeit hat die Ludwigsdorfer Gemeinde für Jahre hinaus geformt. Bei manchem Gemeindeglied hängt noch heute sein Bild, und es wird mit Dank und Ehrerbietung von ihm gesprochen. Schon am 20. Oktober 1915 zog der neue Pastor Otto Schwarz in das Ludwigsdorfer Pfarrhaus mit seiner Familie ein, feierlich von der Gemeinde empfangen. Aber es war Kriegszeit. Der Krieg drückte immer mehr dem gesamten Leben der Gemeinde seinen Stempel auf. 1917 mußten die beiden größten Glocken abgeliefert werden, kurze Zeit darauf auch die Prospektpfeifen der Orgel. Es war bitter, das abbauen zu müssen, was der Vorgänger geschaffen hatte. Schon 1920 aber konnten von einer Breslauer Firma drei neue Bronzeglocken gekauft werden. Die Glocken kosteten 98.400 Mark. Es war ja die Zeit, da die Inflation begann. Die feierliche Einholung der Glocken von der Dorfgrenze Oberludwigsdorf aus und die Weihe der Glocken ist noch heute in der Gemeinde in lebendiger Erinnerung. Einige Zeit später konnten auch die Prospektpfeifen der Orgel wieder ersetzt werden. Von besonderer Wichtigkeit für unsere Gemeinde ist die Gründung der Schwesternstation. Am 1. Oktober 1919 hielt die erste Diakonisse, Schwester Martha Schlosser, ihren Einzug in Ludwigsdorf. Heute ist die Schwesternstation aus unserer Gemeinde nicht mehr hinwegzudenken. Am 30. Juni verließ Pastor Schwarz die Gemeinde. Nach kurzer Vakanz kam zum 1. Oktober 1928 Pastor Johannes Fliegenschmidt in das hiesige Pfarramt. Auch er ist nicht lange in Ludwigdorf gewesen. Am 17. Oktober 1935 starb er nach langem schweren Krankenlager im Görlitzer Krankenhaus. Er hatte es bei seinem Amtsantritt nicht ganz leicht. Aber mit großer Tatkraft ist er daran gegangen, das kirchliche Leben in der Gemeinde weiter zu fördern. Vor allem war es ihm wichtig, die Jugend zu sammeln. So rief er am 20. Januar 1929 einen „Jungmädchenverein“ ins Leben. Wir erkennen heute darin den Vorläufer unserer Jungen Gemeinde. Aber auch mit anderen Ergebnissen war seine kurze Amtszeit reich ausgefüllt. Das Schicksal unseres Vaterlandes seit dem Ausgang des ersten Weltkrieges, die inneren Erschütterungen, die unser Volk bis heute noch nicht zur Ruhe kommen ließen, beeinflussten auch die Amtstätigkeit eines Pastors in steigendem Maße. Zweierlei sei noch aus der Zeit Pastor Fliegenschmidts erwähnt. Am 7. Dezember 1928 wurde die neue Schule, damals Zentralschule genannt, feierlich eingeweiht. Am 23. September 1929 brannte die Pohlmühle zum zweiten Male ab, dieses Mal wurde fast der gesamte Komplex ein Raub der Flammen. Diese Feuersbrunst wurde der Anlaß, da eine Motorspritze angeschafft wurde. Nach Pastor Fliegenschmidts Tode blieb die Gemeinde fast 2 Jahren verwaist. Pastor Schall aus Zodel hat damals neben seinem eigenen ausgedehnten Kirchspiel die seelsorgerliche Betreuung unserer Gemeinde übernommen. Am 1. Februar 1937 übernahm Pastor Johannes Hoppe aus Ruhland das Pfarramt. Damals war der unselige Kirchenkampf innerhalb unserer Kirche schon Jahrelang gegangen und hatte überall Verwüstung angerichtet. Unsere Gemeinde war, Gott sei Lob, davon verschont geblieben. Kirchenaustritte kamen vor, doch waren stets die „Zugezogenen“, Pastor Hoppe trieb nun in richtiger Erkenntnis in besonderer Weise Jugendarbeit. Er sammelte die Schuljugend und die konfirmierte Jugend und richtete von neuem sonntäglichen Kindergottesdienst ein. Im Winter 1937/38 begann er auch mit Männerabenden, die damals für die Gemeinde etwas völlig Neues waren. So blühte das kirchliche Leben der Gemeinde neu auf. Der Ausbruch des zweiten Weltkrieges brachte aber neue ungeahnte Schwierigkeiten. Die Männer wurden eingezogen, die Jugend wurde immer mehr politisch fanatisiert. Im Mai 1942 wurden wieder die drei Glocken vom Turm heruntergeholt, nachdem sie zur Trauung von Pastor Hoppe zum letzten Male geläutet hatten. Nachdem er selbst 1940 zum Militär eingezogen worden war, blieb natürlich alle besondere kirchliche Arbeit liegen. Doch war es ihm möglich, von seinem Standort Görlitz aus die sonntäglichen Gottesdienste in Ludwigsdorf weiter zu halten. Anfang 1945 wurde Pastor Hoppe von Görlitz versetzt und ist seitdem verschollen. Den nun folgten Zeitabschnitt in seiner ganzen Fruchtbarkeit zu schildern, ist nicht Aufgabe dieses Berichts. Es genügt, diese jüngste Vergangenheit durch einige Angaben und Daten zu kennzeichnen. Ludwigsdorf beherbergte in dieser Zeit etwa drei Mal soviele Flüchtlinge, als es selbst Einwohner hatte. Im Jahre 1945 wurden auf dem hiesigen Friedhofe 113 Personen begraben, während die frühere durchschnittliche Zahl der Todesfälle etwa bei 15 lag. Pastor Halle aus Teutschel war auf der Flucht in Ludwigsdorf geblieben und hatte die Betreuung der Gemeinde übernommen, bis er Ende 1946 eine Pfarrstelle in Cottbus bekam. Die Kirche hatte während des Krieges so gut wie gar keinen Schaden erlitten. Doch als die ersten Ludwigsdorfer Ende Mai 1945 von der Flucht heimkehrten, war der Altarblock aus Sandstein von unbekannten Tätern gesprengt worden, wodurch das Innere der Kirche arg verwüstet worden war. Der Gemeindekirchenrat mit dem stellvertretenden Vorsitzenden, Herrn Kulke, setzte sofort alles in Bewegung, um den Schaden zu beheben. Die Gelegenheit wurde benutzt, um den gesamten Innenraum der Kirche zu renovieren. Die Malerarbeiten wurden vom dem ortsansässigen Malermeister, Herrn Pollotzek, ausgeführt. Im Sommer 1946 konnte die Kirche wieder in neuer Schönheit dem Gebrauch der Gemeinde übergeben werden. Nach dem Weggang von Pastor Halle übernahm Pastor Honnig die kommissarische Verwaltung des Pfarramtes, bis dann Anfang 1949 die Kirchenleitung die ordnungsgemäße Besetzung der Pfarrstelle anordnete. Am 1. März 1949 zog Pfarrer Heinz Graefe, vom Gemeindekirchenrat nach einer Probepredigt einstimmig gewählt, in die Ludwigsdorfer Gemeinde ein. Seine Aufgabe wird es sein, das kirchliche Leben wieder neu zu festigen auf dem Grunde, der von ihm gelegt wurde, welcher ist Jesus Christus, der Herr. So wurde die Arbeit an der konfirmierten Jugend wieder aufgenommen. Es entstand ein Mädelkreis, dann ein Jungenkreis, die Schuljugend wurde in der Evangelischen Jungschar gesammelt. Die kirchliche Männerarbeit lebte wieder auf und ist heute schon ein fester Bestandteil unseres kirchlichen Lebens. Die Frauenhilfe, der einzige kirchliche Arbeitszweig, der seit der Gründung unter Pastor Apelt alle Zeiten bis heute Gottes gnädige Hilfe überdauert hat, hat eine Mitgliederzahl aufzuweisen, wie sie seit der Gründung noch nicht erreicht worden ist. Das Anwachsen aller kirchlichen Arbeitszweige macht das Fehlen kircheneigener Räume schmerzlich fühlbar. Nach vieler Mühe gelang es, im Pfarrhaus durch Umbau einen größeren Raum zu schaffen, der nun Mittelpunkt aller kirchlichen Arbeit geworden ist. Seitdem 1. Juni des vergangenen Jahres steht er uns zur Verfügung. Anfang dieses Jahres 1952 erlebte unsere Gemeinde die große Freude, nach zehnjähriger Pause wieder 3 neue Glocken, dieses Mal Stahlglocken, zu erhalten. Am 14. Februar 1952 trafen sie, von Apolda kommend, mit einem LKW in Ludwigsdorf ein und wurden unter großer Beteilung der Gemeinde feierlich eingeholt. Am Sonntag, dem 17. Februar, fand ihre Weihe im Gottesdienst statt, die Herr Superintendent Demke aus Görlitz vornahm. Seitdem läuten unsere Glocken täglich zur Ehre Gottes und uns zur Freude und Mahnung. Nun steht die Gründung eines Posaunenchors als nächstes Ziel vor uns. Die Posaunen sind bestellt, und ihr Eintreffen wird täglich erwartet. Dann wird eine Zeit des Lernens und Übens beginnen, bis der Posaunenchor sich zum ersten Male der Gemeinde wird zeigen können, um dann zusammen mit dem Kirchenchor zum Lobe Gottes der Gemeinde zu dienen. H. G.