Du kannst nicht tiefer fallen Liedpredigt
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Du kannst nicht tiefer fallen Liedpredigt
Gottesdienst zum Ewigkeitssonntag (21. November 2010) Liedpredigt: „Du kannst nicht tiefer fallen als nur in Gottes Hand“ „Du kannst nicht tiefer fallen als nur in Gottes Hand.“ Das sind wunderschöne Worte! Wir finden sie auf Spruchkarten und auf Todesanzeigen. Sie werden auch in Trauergottesdiensten gerne aufgenommen und zitiert. Schöne Sprüche. Wie haben Sie es? Fühlen Sie sich dadurch angesprochen? Sammeln Sie solche Worte, damit Sie sie bei Gelegenheit für sich oder andere gebrauchen können? Ist das für Sie ein wertvoller Schatz, von dem Sie zehren? Oder ist es gar nicht Ihre Art und können Sie damit nichts anfangen? Sind Sie sogar richtig allergisch darauf? Mit solchen Sprüchen darf man Ihnen gar nicht kommen! Schöne Sprüche. Wie haben Sie es als Trauernde erlebt? Was ist Ihnen so alles gesagt und geschrieben worden? Was war hilfreich? Was gar nicht? Und was sagen und schreiben Sie Trauernden? Wagen Sie es überhaupt oder sind Sie froh, wenn es Ihnen zum Beispiel Ihre Frau abnimmt? Ich möchte Ihnen einen Moment Zeit geben, darüber nachzudenken. Das gäbe vermutlich einen sehr spannenden Austausch! Es käme manches zum Vorschein über unsere Art und über sehr Schönes, was wir erlebt haben, aber auch über Dinge, die uns verletzt haben. Wir wissen, es ist gar nicht leicht, die rechten Worte zueinander zu finden. Auch heute, an diesem Tage, wo wir unserer Verstorbenen gedenken. Manchmal sind schöne Sprüche wirklich daneben. Aber einander gar nichts zu sagen und zu schreiben kann auch nicht die Lösung sein. „Du kannst nicht tiefer fallen als nur in Gottes Hand.“ Das sind grosse Worte. Was steht dahinter? Sind das nette fromme Worte geschrieben am Schreibtisch einer Person, die gar keine Ahnung hat, wie hart das Leben sein kann? Unser Liedtext ist 1941 entstanden, also mitten im Zweiten Weltkrieg. Der Dichter ist Arno Pötzsch, geboren 1900. Er wurde früh mit den schwierigen Seiten seines Lebens konfrontiert: sein Vater starb, als er 16 war, und die Mutter musste kämpfen, wie sie die Familie durchbrachte. Es war ein langer und harter Weg, bis er schliesslich doch noch studieren und das werden, was er sich wünschte: Theologe und Pfarrer. Er hatte auch häufig mit Depressionen zu kämpfen. 1941 ist Arno Pötzsch als Marinepfarrer in Holland stationiert. In seiner ersten Gemeinde war er bekannt als guter Prediger und einfühlsamer Seelsorger. Arno Pötzsch verkündigte ein klares Evangelium und wagte es auch, ab und zu ein klares Wort in die damalige politische Situation hinein zu sagen. Das führte dazu, dass es sehr bald Ärger gab. Der Kreisbauernführer hatte ihn bei der Gestapo angezeigt. Pötzsch war denunziert worden – durch eine Person aus dem eigenen Kirchenvorstand. Man kannte sich aus vielen Sitzungen, hatte sich freundschaftlich die Hand gegeben. Erst kürzlich hatte Arno Pötzsch die Tochter dieses Mannes getraut. Er war tief enttäuscht. Es hatte aber keine weiteren Folgen. Einige Zeit später kam es allerdings zu einem offenen Konflikt mit dem Ortsgruppenleiter der NSDAP. Wer sich in einem kleinen Dorf mit einer solchen Person anlegte, für den wurde es gefährlich. Inzwischen war das Jahr 1937. Es wurden bereits, obwohl es noch zwei Jahre bis zum Krieg waren, Heerespfarrer gesucht. Die vorgesetzte Kirchenbehörde hatte ihn weiterempfohlen. Man wollte ihn loswerden und mit ihm keine weiteren Probleme in der Kirche haben. Nach Ausbruch des Krieges kam er nach Holland und war zuständig für die Seelsorge der Soldaten, die auf dem Meer vor Holland, Belgien und Nordfrankreich stationiert waren. Er war viel unterwegs. Mit dem Lauf des Krieges wurde er immer öfter gerufen, um gefallene Soldaten beizusetzen. Der Tod war allgegenwärtig. Eine der schwierigsten Aufgaben war es, den zum Tod Verurteilten beizustehen. An die 200 Menschen hat er auf diesem letzten Weg begleitet. Die Gespräche mit ihnen dauerten oft bis tief in die Nacht hinein und haben ihn bis an das Lebensende verfolgt. Den Witwen schrieb er jährlich einen Rundbrief. In dieser Zeit besuchte er auch öfters den letzten Kaiser Deutschlands, Wilhelm II. Er hatte Kontakt zu Menschen, die im Widerstand standen. Wieweit er selbst beteiligt war, ist unbekannt, da er den grössten Teil seiner Unterlagen verbrannt hat. Er pflegte ein gutes Verhältnis zu der holländischen Bevölkerung und hat vielen geholfen. Dies brachte ihm in Holland über den Krieg hinaus einen guten Ruf ein. Er wurde von den Holländern als ein Beispiel dafür hingestellt, dass nicht alle Deutsche gleich waren. Am Beginn seiner Tätigkeit in Holland ist sein Lied „Du kannst nicht tiefer fallen“ entstanden. Schauen wir es näher an. Strophe 1: „Du kannst nicht tiefer fallen als nur in Gottes Hand, die er zum Heil uns allen barmherzig ausgespannt.“ Es gibt sehr verschiedene Situationen, in denen wir Menschen fallen können, nicht nur im Blick auf den Tod. Es bleibt uns allen nie ganz erspart, dass wir solche Erfahrungen und Phasen durchstehen müssen. Niemand kann ein Leben lang nur Erfolge feiern. Das Scheitern und so genannte Schicksalsschläge gehören zu uns. Für einen Teil davon sind wir selbst verantwortlich. Für anderes können wir echt nichts dafür. Wir müssen es annehmen und durchstehen. Da kann sich mitten im Leben, konfrontiert mit Schicksal, Schuld und Tod, massiv das Gefühl ausbreiten, ins Bodenlose zu fallen, dass nichts mehr da ist, das einem hält. Plötzlich ist brutal alles anders. Arno Pötzsch verschweigt die Tiefe und die Schwere des Fallens nicht. Er betont aber, dass es ein kein Fallen ins Bodenlose ist. Gottes Hand fängt uns auf. Sie setzt allem Fallen ein Ende. Es gibt ein Netz, das trägt. Trotz allem. Das ist eine reale Erfahrung. Daran zu glauben ist nie einfach. Wir müssen vorsichtig sein, allzu rasch jemandem, der dieses Fallen erlebt, zu sagen: Gottes Hand fängt dich auf. Wir müssen die Trauer, die Enttäuschung, den Zorn und den Zweifel zulassen. Das gehört unbedingt zu einem einfühlsamen Umgang. Das Dasein und das Verständnis für die Not ist sehr wichtig. Der Trost kommt später. Wichtig ist, dass wir innerlich füreinander glauben, dass der andere durchkommt und bei sich entdecken kann, dass da ein Netz ein, das aufgefangen hat. Wir fühlen uns in diesem Zusammenhang vielleicht erinnert an jenes bekannte Gedicht „Herbst“ von Rainer Maria Rilke, wo es heisst: „Die Blätter fallen, fallen wie von weit, als welkten in den Himmeln ferne Gärten; sie fallen mit verneinender Gebärde. In den Nächten fällt die schwere Erde aus allen Sternen in die Einsamkeit. Wir alle fallen. Diese Hand da fällt. Und sieh dir andre an: es ist in allen. Und doch ist einer, welcher dieses Fallen unendlich sanft in seinen Händen hält.“ Für Arno Pötzsch ist es nicht nur unbestimmt „Einer, der uns hält“. Dieser „Einer“ wird ganz konkret, er erhält einen Namen. Es ist Gott. Seine Hand hält uns. Im zweiten Teil der ersten Strophe wird es noch konkreter: „die er zum Heil uns allen barmherzig ausgespannt.“ Denkt er dabei an die ausgebreiteten Arme Christi am Kreuz? Christus am Kreuz: Gott solidarisch im Leiden mit uns Menschen! Strophe 2: „Es münden alle Pfade durch Schicksal, Schuld und Tod doch ein in Gottes Gnade trotz aller unsrer Not.“ Hier ist vom Lebensweg die Rede. Was begegnet uns auf dem Weg? Schicksal, Schuld und Tod! Schicksal. Das tönt so unpersönlich, so namenlos. Es ist halt Schicksal, da kann man nichts machen. Dieses Wort bringt unsere Ohnmacht und Ungewissheit zum Ausdruck. Schuld. Wie oft wird Arno Pötzsch in seinen Gesprächen mit dem Thema Schuld konfrontiert worden sein. Schuld wirkt belastend und hemmend auf unserem Lebensweg. Erst recht der letzte Schritt in die Ewigkeit kann zu einem äusserst schweren Schritt werden, wenn da noch unvergebene Schuld im Raum steht. Gut, wenn es doch noch ausgesprochen werden kann! Tod, Abbruch jeglicher Beziehung, Ende aller Träume. Tod, nicht erst am Ende eines erfüllten Lebens, sondern mitten im Leben, so völlig sinnlos. Wohin führen unsere Wege, was ist das Ziel unserer Lebenswege? Für Arno Pötzsch ist die Antwort klar: Sie „münden ein in Gottes Gnade trotz aller unsrer Not“, trotz Schicksal, Schuld und Tod, trotz so vieler ungelöster Fragen. Das erinnert stark an den Psalm 23, wo es heisst: „Und ob ich schon wanderte im finsteren Tal, fürchte ich kein Unglück, denn du bist bei mir, dein Stecken und Stab trösten mich.“ Und: Gottes Gnade – das erinnert an seine Hand, die er uns zum Heil barmherzig ausgespannt hat. Es erinnert an die Gnade, die uns in Jesus Christus begegnet, der am Kreuz für uns stirbt. Strophe 3: „Wir sind von Gott umgeben auch hier in Raum und Zeit, und werden in ihm leben und sein in Ewigkeit.“ Diese Strophe weitet unseren Blick. Sahen wir am Anfang nichts weiter als nur die Tiefe und die Dunkelheit vor und unter uns, so öffnet uns Arno Pötzsch den Blick für den Gott, der nicht nur ab und zu und an ganz wenigen Orten bei uns ist, sondern überall und allezeit bei uns ist. Es ist erinnert an ein anderes Lied von Arno Pötzsch: „Meinem Gott gehört die Welt, meinem Gott das Himmelszelt. Ihm gehört der Raum, die Zeit, sein ist auch die Ewigkeit.“ Die dritte Strophe erinnert zudem an Psalm 139, wo David sagt: „Hinten und vorn hast du mich umschlossen, und deine Hand hast du auf mich gelegt.“ Wieder diese Hand, die tief unten hier ist, um uns aufzufangen. Sie ist auch über uns. Es gibt keinen Ort, der uns aus der Geborgenheit Gottes herausfallen lässt. „Stiege ich hinauf zum Himmel, du bist dort, und schlüge ich mein Lager auf im Totenreich, so bist du da. Nähme ich die Flügel der Morgenröte und liesse ich mich nieder am äussersten Ende des Meeres, auch dort würde deine Hand mich leiten und deine Rechte mich fassen.“ Arno Pötzsch hat seinem Gedicht eine eigene Überschrift gegeben: „Unverloren.“ Weil Gott überall ist und weil wir durch Christus mit diesem Gott verbunden sind, gibt es nichts und niemand, der uns aus seiner Hand reissen kann. Amen. Diese Predigt wurde angeregt durch Gedanken von Pfr. Werner Kenkel, Halver, Deutschland, den ich im Rahmen von Begegnungen zwischen der deutschen Pfarrgebetsbruderschaft und der Schweizerischen Evangelischen Pfarrgemeinschaft kennen lernen konnte.