Östrogenfreie Pille

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Östrogenfreie Pille
FORTBILDUNG + KONGRESS
HORMONELLE KONTRAZEPTION
Östrogenfreie Pille: Blutungsverhalten
und Therapie von Zusatzblutungen
Hans-Joachim Ahrendt, Daniela Kose
Östrogenfreie Pillen haben für viele Patientinnen Vorteile, doch
können Zusatzblutungen die Akzeptanz erheblich vermindern.
Eine Beobachtungsstudie macht deutlich, welches Blutungsverhalten zu erwarten ist; die Therapieempfehlungen der
AG Hormone des BVF sollen helfen, das für die individuelle
Patientin günstigste Vorgehen zu wählen.
Die überwiegende Mehrzahl der hormonalen Kontrazeptiva sind Kombinationspräparate, die Ethinylestradiol (EE) in unterschiedlicher Dosierung sowie Gestagene mit unterschiedlicher sekretorischer Potenz
und Partialwirkung enthalten. Die
Dosierung der Gestagene entspricht
meist der anderthalb- bis zweifachen
ovulationshemmenden Wirkung. Um
östrogenbedingte Nebenwirkungen
zu vermeiden, wird die Östrogendosis zunehmend reduziert (von 50 µg
EE auf 20 µg EE und weniger).
Östrogenfreie Pillen
und ihre Charakteristika
Darüber hinaus kommen östrogenfreie Systeme unterschiedlicher Applikationsart (oral, subdermal, intrauterin, intramuskulär) zur Anwendung. Bei den reinen Gestagen-Pillen (Progestin-only-Pills = POP) muss
die „typische Minipille“ mit 30 µg Levonorgestrel pro Tablette ohne Ovulationshemmung von der östrogenfreien Pille mit 75 µg Desogestrel
und voller Ovulationshemmung unterschieden werden.
Da die östrogenfreie Pille mit 75 µg
Desogestrel nicht nur die peripheren
Parameter wie Zervixschleim, Endometrium und Tube beeinflusst, sondern über eine zentrale Inhibition
der Achse Hypothalamus-HypophyseOvar auch eine Hemmung der Ovulation bewirkt, ist eine hohe kontra-
134
FRAUENARZT 49 (2008) Nr. 2
zeptive Sicherheit analog den Kombinationspräparaten gegeben.
Östrogenfreie Pillen haben den Vorteil, nicht nur zyklusabhängige Beschwerden wie menstruelle Migräne,
Dysmenorrhoe und prämenstruelles
Syndrom zu vermeiden, sondern auch
östrogenbedingte Nebenwirkungen
in Form von Ödemen, Mastodynie
u.a. zu bessern. Dies geht aber zu
Lasten eines regelmäßigen Blutungsgeschehens, da die Anwendung
aller östrogenfreien Systeme kontinuierlich ohne Pause erfolgt. Das individuelle Blutungsverhalten und individuelle Blutungsmuster sind bei
den Gestagen-only-Systemen nicht
vorhersehbar.
Für die in der Praxis tätigen Gynäkologinnen und Gynäkologen ist es
wichtig zu wissen, wie im Einzelfall
derartige irreguläre Blutungen verlaufen und vor allem, wie sie behandelt werden können. Evidenzbasierte
Studien liegen hierzu allerdings nicht
vor, sodass hierbei Erfahrungswerte
und Meinungen von Expertengruppen
von Bedeutung sind. Dem soll auch
die im Folgenden vorgestellte Beobachtungsstudie dienen.
Material und Methode
In dieser Studie wurden die individuellen Blutungsmuster von 31 Probandinnen analysiert, die innerhalb einer
Präventionsstudie zur „Menstruellen
Migräne“ (1) die östrogenfreie Pille
mit 75 µg Desogestrel über sechs Monate (6 Blister, 168 Tage) einnahmen.
Die Blutungen der Probandinnen
wurden nach folgenden Gesichtspunkten bewertet:
Blutungen je Referenzperiode,
Blutungen pro Monat,
individuelle Blutungsmuster über
den Zeitverlauf von 168 Tagen.
Entsprechend der Empfehlung der WHO
erfolgte die Beurteilung der Blutungsmuster bei Gestagen-only-Systemen,
bei denen in der Regel „28-Tage-Zyklen“ nicht erkennbar sind, in Referenzperioden von jeweils 90 Tagen (3,
4). Da im ersten Monat der Anwendung
oraler Kontrazeptiva wegen des Beginns mit der Medikation am ersten
Blutungstag verstärkt Zusatzblutungen auftreten, wurde zusätzlich eine
„verschobene Referenzperiode“ (Tag
29 bis Tag 118) eingeführt (s. Abb. 1
auf S. 135). Diese verschobene Referenzperiode vernachlässigt also die
ersten 28 Tage, die häufiger mit zusätzlichen Blutungen belastet sind. Da
sich die vorliegende Studie über 168
Tage erstreckte, konnten sowohl die
erste Referenzperiode und als auch die
verschobene Referenzperiode analysiert werden. Alle statistischen Auswertungen erfolgten anhand nichtparametrischer Verfahren, da für die Daten keine Normalverteilung angenommen werden konnte.
Ergebnisse
Blutungsereignisse in der
ersten Referenzperiode und der
verschobenen Referenzperiode
In der ersten Referenzperiode war
eine Patientin (3,2%) amenorrhoisch, 12,9% hatten ein bis zwei und
45,2% drei bis fünf Blutungsereig-
Einteilung der Blutungsereignisse nach Referenzperioden
Referenzperiode
1
2
3
4
Einnahmedauer
1–90
28–118 (verschobene Referenzperiode)
91–180
181–270
271–360
Bewertung der Blutungsereignisse
Amenorrhoe
keine Blutung
seltene B/S
1 oder 2 B/S-Episoden
weniger häufige B/S
3 bis 5 B/S-Episoden
häufige B/S
6 oder mehr B/S-Episoden
verlängerte B/S
B/S-Episoden >14 Tage
B/S = Blutung/Spotting
Abb. 1: Grundlagen für die Analyse der individuellen Blutungsmuster.
In der verschobenen Referenzperiode, in der die ersten 28 Tage nicht
mit beurteilt wurden, beobachtete
man bereits fünf Patientinnen mit
Amenorrhoen (16,1%). Hier hatten
12,9% ein bis zwei und 45,2% drei
bis fünf Blutungsereignisse. Es gab
keine Patientin mit sechs und mehr
Blutungsereignissen, aber 25,8% der
Frauen hatten Dauerblutungen von
14 und mehr Tagen (s. Abb. 2). Auch
in der verschobenen Referenzperiode
traten regelstarke Blutungen hochsignifikant (p<0,001) seltener auf als
leichte Spottings.
Blutungen je Monat
Die Beurteilung nach durchschnittlicher Blutungsdauer in Tagen je Monat und nach der Blutungsstärke
spiegelt das Blutungsverhalten jedoch deutlicher wider als die Einteilung nach Referenzperioden.
schnittlich 8,7 Blutungstage auf und
im sechsten Monat durchschnittlich
4,6 Blutungstage.
Im ersten Monat bluteten 17 Patientinnen (54,8%) bis maximal sechs Tage. Von diesen hatte eine Patientin
eine Amenorrhoe. In den Monaten 5
und 6 hatten sogar 25 (80,6%) bzw.
20 Patientinnen (64,5%) sechstägige
und kürzere Blutungen, wobei bei 12
bzw. 13 Frauen Amenorrhoen auftraten. Nur noch zwei Frauen (6,5%)
hatten Dauerblutungen von 14 Tagen
und länger (s. Tab. 1 auf S. 136).
Blutungsstärke
Die meisten der aufgetretenen Blutungen waren Spottings. Sie traten etwa dreimal so häufig auf wie regelstarke Blutungen. Im ersten Anwen-
50
Nicht behandlungsbedürftige
Blutungen
Bei 21 (67,75%) der 31 Patientinnen
traten nicht behandlungsbedürftige
%
45,2
40
30
25,8
20
10
Blutungsdauer
Mit zunehmender Einnahme der östrogenfreien Pille reduzierten sich die
Blutungstage um etwa die Hälfte. Im
ersten Einnahmemonat traten durch-
Individuelle Blutungsmuster
Für das beratende Gespräch mit der
Patientin ist die Kenntnis der durchschnittlichen Zahl der Blutungstage
nur bedingt hilfreich, da bei jeder
einzelnen Patientin ein individuelles
Blutungsmuster zu erwarten ist. Es
ist also wichtig, solche individuellen
Blutungsmuster zu kennen.
Verschobene Referenzperiode – Blutungsereignisse
Anteile
nisse. 6,5% der Patientinnen hatten
jedoch sechs und mehr Blutungsereignisse und 32,2% gar Dauerblutungen von 14 und mehr Tagen. Dabei traten hochsignifikant (p<0,001)
häufiger leichte Spottings auf als regelstarke Zusatzblutungen.
Im gleichen Zeitraum nahm die
durchschnittliche Zahl der Tage mit
regelstarken Blutungen von 3,3 Tagen auf 1,2 Tage ab (s. Abb. 3 auf
S. 136). Der Anteil der Spottings an
der Gesamtzahl der Blutungen blieb
dabei mit drei Vierteln fast konstant.
Die mittlere Blutungsintensität, in
die sowohl Anzahl als auch Stärke der
Blutungen eingingen, reduzierte sich
somit unter der östrogenfreien Pille
signifikant (p=0,008), was durch die
hochsignifikante Reduktion der Blutungsmaxima (p<0,001) wie auch
durch die Reduktion der Anzahl der
Blutungen (p=0,008) bedingt wurde.
Zudem zeigte sich, dass sich die Zahl
der Spottings verringerte (p=0,051),
während gleichzeitig die Anzahl der
regelstarken Blutungen sogar hochsignifikant zurückging (p<0,001).
FORTBILDUNG + KONGRESS
dungsmonat waren 5,4 Tage mit Spottings zu beobachten und im sechsten
Einnahmemonat 3,3 Tage.
Definitionen
16,1
12,9
0
0
Amenorrhoe
1–2
B/S-Episoden
3–5
B/S-Episoden
6 und mehr
B/S-Episoden
verlängerte
B/S
Abb. 2: Blutungsereignisse in der verschobenen Referenzperiode.
FRAUENARZT 49 (2008) Nr. 2
135
Blutungsdauer der Patientinnen
maximal 6 Tage
bis 14 Tage
länger als 14 Tage
Zeitraum
Monat 1
Monat 2
Monat 3
Monat 4
Monat 5
Monat 6
17
12
18
22
25
20
8
16
10
6
4
9
Blutungsstärke je Monat
10
Mittlere Anzahl der Tage mit
Blutungsereignissen insgesamt, davon:
Spottings
regelstarke Blutungen
8
6
4
2
0
Monat 1
Monat 2
Monat 3
Monat 4
Medikationszeitraum
Monat 5
Monat 6
Abb. 3: Die überwiegende Mehrzahl der Zusatzblutungen waren Spottings, nur wenige regelstarke Zusatzblutungen.
Blutungsmuster auf, von denen in
Abbildung 4 (S. 138) einige dargestellt sind.
Therapiebedürftige
Blutungen
Bei 10 (32,25%) der 31 Patientinnen
traten irreguläre und Dauerblutungen
in einer Häufigkeit und Stärke auf,
die der therapeutischen Intervention
bedurften. Vier solcher Blutungsmuster sind in Abbildung 5 (S. 138)
dargestellt.
Diskussion der Ergebnisse
Zusatzblutungen unter oralen Kontrazeptiva (OC) stellen für die meisten Patientinnen eine starke Belastung dar und sind compliancemindernd. Sie sind abhängig von der
Östrogendosis, dem synthetischen
Gestagen, aber auch von externen
Faktoren wie Stress, der zusätzlichen
Einnahme von Medikamenten, dem
136
6
3
3
3
2
2
Tab. 1: Mit zunehmender Einnahmedauer reduzierten sich die Blutungstage signifikant.
Tage
FORTBILDUNG + KONGRESS
Durchschnittliche Blutungsdauer in Tagen je Monat
FRAUENARZT 49 (2008) Nr. 2
Rauchen und dem Körpergewicht (8,
16, 17).
Insbesondere aber ist die Häufigkeit
des Auftretens von Zusatzblutungen
abhängig von der Höhe der Östrogendosis in den Kombinationspräparaten (8, 16). Je niedriger die Östrogendosis ist, desto größer ist die
Zahl der Zusatzblutungen besonders
in den ersten drei Einnahmemonaten. Sie reicht im ersten Anwendungsmonat von 24% bei Pillen mit
30 µg Ethinylestradiol (EE) (15)
über 27% bei 20 µg EE (5, 13) bis
zu 35% bei 15 µg EE (7).
Bei östrogenfreien Präparaten sind
ähnlich hohe Raten an Zusatzblutungen in den ersten Anwendungsmonaten zu erwarten (6, 16). Hier
gibt es einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen der Art des synthetischen Gestagens und seiner Dosierung bezüglich seiner Potenz, das
Endometrium zu supprimieren (2, 18,
19).
Da die östrogenfreien Pillen kontinuierlich ohne Einnahmepause eingenommen werden, ist nicht vorhersehbar, welche Blutungsmuster auftreten werden. Zusatzblutungen stellen mit 25% den Hauptgrund für das
Absetzen der östrogenfreien Pille dar
(12).
Für die in der Praxis tätigen Gynäkologen ist es bei der Ordination der östrogenfreien Pille mit 75 µg Desogestrel wichtig zu wissen, welche Blutungsmuster individuell zu erwarten
und wie mögliche Zusatzblutungen
behandelbar sind.
In der vorliegenden Arbeit wurden
die Blutungsmuster von 31 Patientinnen ausgewertet, die die östrogenfreie Pille mit 75 µg Desogestrel
mit der Indikation „Menstruelle Migräne“ im Rahmen einer Beobachtungsstudie über sechs Monate (168
Tage) eingenommen haben (1).
Zuerst erfolgte eine Beurteilung nach
90-Tage-Referenzperioden. In der
ersten Referenzperiode traten bei
61,3% der Patientinnen bis zu fünf
Blutungsereignisse auf, bei 38,7%
sechs und mehr oder gar Dauerblutungen. In der verschobenen Referenzperiode, in der die ersten 28 Tage nicht mit berücksichtigt werden,
waren bei 74,2% bis zu fünf Blutungsereignisse zu verzeichnen. Davon hatten 16,1% eine Amenorrhoe.
Dauerblutungen von 14 und mehr Tagen hatten noch 25,8% der Patientinnen.
Die Darstellung der Blutungsereignisse nach Referenzperioden ist für
den Gynäkologen in der Praxis bei der
Beratung der Patientin aber wenig
hilfreich. Es ist hierbei nicht erkennbar, ob ein solches Blutungsereignis
nur einen Tag oder aber mehrere Tage dauert, und gerade das ist ja wichtig für die Anwenderin. Deshalb ist
eine Einteilung in Blutungstage pro
Monat aussagekräftiger.
FORTBILDUNG + KONGRESS
Beispiele für nicht behandlungsbedürftige Blutungsmuster
Patientin 4: 6 Blutungstage (entspricht 1 Tag/Zyklus)
0
28
56
84
112
Medikationszeit in Tagen
140
Patientin 15: 30 Blutungstage (entspricht 5 Tage/Zyklus)
168
Patientin 21: 19 Blutungstage (entspricht 3 Tage/Zyklus)
0
28
56
84
112
Medikationszeit in Tagen
140
28
56
84
112
Medikationszeit in Tagen
140
28
56
84
112
Medikationszeit in Tagen
140
168
Patientin 38: 23 Blutungstage (entspricht 4 Tage/Zyklus)
168
Patientin 43: 27 Blutungstage (entspricht 4 Tage/Zyklus)
0
0
0
28
56
84
112
Medikationszeit in Tagen
140
168
Patientin 46: 18 Blutungstage (entspricht 3 Tage/Zyklus)
168
0
28
56
84
112
Medikationszeit in Tagen
140
168
Tag mit regelstarker Blutung Tag mit Spottings
Abb. 4: Die Mehrzahl der Patientinnen hatte nur zu Medikationsbeginn Blutungen, später kam es in vielen Fällen zur Amenorrhoe.
Beispiele für therapiebedürftige Blutungsmuster
Patientin 3: 67 Blutungstage (entspricht 11 Tage/Zyklus)
0
28
56
84
112
Medikationszeit in Tagen
140
Patientin 9: 64 Blutungstage (entspricht 10,5 Tage/Zyklus)
168
Patientin 14: 140 Blutungstage (entspricht 23 Tage/Zyklus)
0
28
56
84
112
Medikationszeit in Tagen
140
168
0
28
56
84
112
Medikationszeit in Tagen
140
168
Patientin 76: 97 Blutungstage (entspricht 16 Tage/Zyklus)
0
28
56
84
112
Medikationszeit in Tagen
140
168
Tag mit regelstarker Blutung Tag mit Spottings
Abb. 5: Bei dem für die Patientinnen nicht tolerablen Blutungsmustern reichte das Spektrum von häufigen und starken Blutungen bis zu Dauerblutungen.
Innerhalb der sechs Einnahmemonate reduzierte sich die Zahl der
Blutungstage um durchschnittlich
etwa die Hälfte, von 8,7 auf 4,6 Tage. Mit zunehmender Einnahmedauer ist mit einer Atrophie des Endometriums und damit auch mit Amenorrhoen zu rechnen (16). Allerdings ist die endometriale Response
bei Gestagenpillen schwer vorhersehbar (12).
138
FRAUENARZT 49 (2008) Nr. 2
In unserer Klientel bluteten im ersten Monat 17 Patientinnen (54,8%)
bis nur maximal sechs Tage (eine Patientin: Amenorrhoe), im Monat 5
und 6 sogar 25 (80,6%) bzw. 20 Patientinnen (64,5%), wobei bei zwölf
beziehungsweise 13 Frauen Amenorrhoen auftraten. Nur noch zwei Frauen (6,5%) hatten Dauerblutungen
von 14 Tagen und länger. Drei Viertel dieser waren leichte Spottings,
und dies sowohl im ersten als auch
im sechsten Einnahmemonat.
Die mittlere Blutungsintensität, in
die sowohl Anzahl als auch Stärke der
Blutungen eingehen, reduzierte sich
unter der östrogenfreien Pille signifikant (p=0,008). Das heißt, es ist
mit zunehmender Einnahmedauer nur
mit wenigen und leichten Spottings
oder gar Amenorrhoen zu rechnen.
Zu diesem Entschluss kommt man
insbesondere dann, wenn man die individuellen Blutungsmuster der einzelnen Anwenderinnen analysiert.
Dabei ist zu erkennen, dass sich die
Blutungsmuster über den Zeitverlauf
von sechs Monaten (168 Tage) bei jeder einzelnen Patientin grundsätzlich
unterscheiden. Keines dieser Bilder
gleicht dem anderen. Eine Systematisierung der Blutungsverläufe ist
kaum möglich. Dabei waren in unserer Studie die Blutungsmuster von 21
Patientinnen (67,75%) unauffällig
und nicht behandlungsbedürftig. Es
handelte sich meist nur um anfänglich auftretende Blutungen und später Amenorrhoen. Andere wiesen immer wiederkehrende leichte Spottings auf. 10 der 31 Patientinnen
(32,25%) hatten dagegen nicht tolerable, behandlungsbedürftige Blutungen, die von häufigen und starken Blutungen bis zu Dauerblutungen reichten.
Es ist also wichtig, solche individuellen Blutungsmuster zu kennen, um
daraus einerseits Schlüsse für das eigene ärztliche Verhalten und andererseits therapeutische Optionen für
die „Behandlung“ von irregulären,
die Anwenderin belastenden Blutungen abzuleiten.
Therapeutisches Vorgehen
Für das therapeutische Vorgehen liegen keine validierten Daten vor. Es
muss deshalb auf klinische Erfahrungen und Beobachtungsstudien zurückgegriffen werden. Dabei sollte
zunächst gefragt werden:
– Treten die Zusatzblutungen in den
ersten drei Anwendungsmonaten
oder später auf?
– Stellt sich ein hoch aufgebautes
Endometrium (mehr als 6 mm),
Optionen für die Behandlung von Zusatzblutungen
unter der östrogenfreien Pille
(Erarbeitet von der AG Hormone des BVF* unter Leitung von Prof. Dr. H.-J. Ahrendt)
irreguläre Blutungen innerhalb der ersten drei Monate
bei niedrigem Endometrium (≤6 mm)
Option 1 1 Tabl. Ethinylestradiol 25 µg über 21 Tage zusätzlich
oder
50 µg E2-Pflaster über 4–7 Tage zusätzlich
Option 2 desogestrelhaltiges Kombinationspräparat über 21 Tage an Stelle
der östrogenfreien Pille
Option 3 Tranexamsäure (Cyklokapron, Deutschland, Österreich)
3 mal 1 Tabl. zusätzlich über 5 Tage
oder
Mefenaminsäure 500 mg (Ponstan, Schweiz) 2 mal 1 Tabl.
über 5 Tage zusätzlich
bei hohem Endometrium (>6 mm)
Option 1 1 Tabl. Norethisteronacetat 2,5–5 mg über 10 Tage zusätzlich
Option 2 Absetzen der östrogenfreien Pille für 4 Tage
irreguläre Blutungen nach mehr als dreimonatiger Einnahmezeit
bei niedrigem Endometrium (≤ 6 mm)
Option 1 1 Tabl. Ethinylestradiol 25 µg über 21 Tage zusätzlich
oder
50 mg E2-Pflaster über 4 Tage zusätzlich
Option 2 desogestrelhaltiges Kombinationspräparat an Stelle der
östrogenfreien Pille
Option 3 Doxycyclin 100 mg über 10 Tage
Option 4 Tranexamsäure (Cyklokapron, Deutschland, Österreich)
3 mal 1 Tabl. zusätzlich über 5 Tage
oder
Mefenaminsäure 500 mg (Ponstan, Schweiz)
2 mal 1 Tab. über 5 Tage zusätzlich
FORTBILDUNG + KONGRESS
Für die Praxis bedeutet dies, nicht zu
früh die Behandlung wegen zusätzlicher Blutungen abzubrechen, sondern über den dritten Einnahmemonat hinaus zu warten. Sollten sich
dann immer noch Zusatzblutungen
darstellen, ist es ratsam, mit einer
gezielten Behandlung zu beginnen.
bei hohem Endometrium (>6 mm)
Option 1 1 Tab. Norethisteronacetat 2,5–5 mg über 10 Tage
Option 2 1 Tab. Cerazette über 28 Tage zusätzlich
Option 3 Absetzen der östrogenfreien Pille für 4 Tage
* Mitglieder der AG Hormone:
– Prof. Dr. med. Hans-Joachim Ahrendt,
Magdeburg
– Dr. med. Christian Albring, Hannover
– Prof. Dr. med. Cosima Brucker, Nürnberg
– PD Dr. med. Dolores Foth, Köln
– Prof. Dr. med. Gunther Göretzlehner,
Rostock
– Prof. Dr. med. Peyman Hadji, Marburg
– Dr. med. Werner Harlfinger, Mainz
– Prof. Dr. med. Ulrich Karck, Stuttgart
– Dr. med. Klaus König, Steinbach
– Dr. med. Armin Malter, Merzig
– Prof. Dr. med. Alfred O. Mueck, Tübingen
– Prof. Dr. med. Alexander Teichmann,
Aschaffenburg
– Prof. Dr. med. Hans-Peter Zahradnick,
Freiburg i. Br.
unter weiterer Mitarbeit von:
– Prof. Dr. med. Johannes Bitzer, Basel
– Prof. Dr. med. Christian Ergarten, Wien
– Dr. med. Hans-Uwe Feldmann, Essen
– Dr. med. Silke Jensen-El Tobgui,
Frankfurt/Main
– Dr. med. Claudia Linemayr-Wagner, Wien
– Dr. med. Rolf Maek, Essen
– Dr. med. Gabriele Merki, Zürich
– Dr. med. Klaus Peters, Hamburg
– Prof. Dr. Dr. med. Thomas Rabe,
Heidelberg
– Dr. med. Katrin Schaudig, Hamburg
– Prof. Dr. med. Karl-Werner Schweppe,
Westerstede
Tab. 2: Zusammenstellung der Therapieoptionen bei irregulären Blutungen.
FRAUENARZT 49 (2008) Nr. 2
139
FORTBILDUNG + KONGRESS
ein niedriges oder gar atrophisches Endometrium dar?
In den ersten drei Anwendungsmonaten ist vor allem mit einer hormonellen Dysregulation zu rechnen.
Die kontinuierliche östrogenfreie Medikation bedingt eine Suppression
der Ovarien sowie eine fehlende Proliferation und eine irreguläre Sekretion (9). Hier scheint eine hormonelle Therapie je nach Endometriumdicke wohl die beste Option.
Später auftretende Blutungen sind
wahrscheinlich auf Störungen des vaskulären Kompartiments des Endometriums zurückzuführen. Möglicherweise sind sie besonders bei atrophischem Endometrium durch eine Angiogenese-Störung bedingt (16).
Diskutiert werden u.a. eine Unterdrückung der Entwicklung der endometrialen Spiralarterien durch Progesteron und eine dadurch veränderte Hämostase (10), eine verstärkte Venenbildung und Venenerweiterung im
endometrialen Übergang (9, 12, 22)
sowie eine Veränderung der Leukozyten im Sinne eines entzündlichen Prozesses (20, 23). Dies führt zunehmend
zu einer mikrovaskulären Brüchigkeit
und bedingt dadurch die irregulären
Blutungen (9). In diesen Fällen von
meist atrophischem Endometrium hat
eine Behandlung mit den Fibrinolysehemmer Tranexamsäure (9) oder dem
Prostaglandin-Synthese-Inhibitor Mefenaminsäure (11) in Studien sowie
auch in der Praxis zu längeren blutungsfreien Zeiträumen geführt. Beide Substanzen können ein Anwachsen
der vaskulären Stabilität bewirken.
Da eine subklinische Endometritis
(23) ebenso als Blutungsursache diskutiert wird, kann auch eine Behandlung mit Doxycyclin zum Erfolg
führen. Da eine exakte Ursache für
eine irreguläre Blutung unter der
Langzeiteinnahme einer östrogenfreien Pille meist nicht ausgemacht
werden kann, muss sich die individuelle Therapie auf diese durch einzelne Studien und klinische Erfahrungen gestützten Hypothesen und
140
FRAUENARZT 49 (2008) Nr. 2
Erkenntnisse berufen. Dementsprechend vielfältig sind auch die therapeutischen Optionen, die in Tabelle
2 (S. 139) dargestellt sind.
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Autoren
Prof. Dr. med.
Hans-Joachim Ahrendt
Frauenarztpraxis und Tagesklinik
Halberstädter Straße 122
39112 Magdeburg
Dipl.-Stat. (FH)
Daniela Kose
Institut für Biometrie und
Medizinische Informatik
Medizinische Fakultät der
Otto-von-Guericke-Universität
Leipziger Straße 44
39120 Magdeburg