fachhochschule ottersberg kunsttherapie/

Transcription

fachhochschule ottersberg kunsttherapie/
FACHHOCHSCHULE OTTERSBERG
KUNSTTHERAPIE/ -PÄDAGOGIK
DIPLOMARBEIT
ANNEGRET SOLTAU - DER FADEN
EINE BIOGRAFIE
EINE AUSWAHL AUS IHREM WERK
VOR DER KUNSTGESCHICHTE IHRER ZEIT
UND
JOHN DEWEY KUNST ALS ERFAHRUNG
MARTINA OHRT
201461
PROFESSORIN DOKTORIN CONSTANZE SCHULZE
UND
PROFESSORIN DOKTORIN GABRIELE SCHMID
OTTERSBERG-LERCHENWEG2-04205-315289
E-MAIL MARTI.OHRT@HOTMAIL.DE
30.8.2011
1
INHALTSVERZEICHNIS
VORWORT
3
1960-1977
4
SIE SELBST BEZEICHNET DIESE ZEIT ALS EINE ´SUCHPHASE`, ...
4
HAMBURG
5
DIE POLITISCHE STIMMUNG
6
HISTORISCHE STIMMUNG
7
BEWUSSTSEIN FÜR ERFAHRUNG
8
... IN DER SIE VERSCHIEDENE TECHNIKEN AUSPROBIERT
10
MAILAND
11
ENGE DES BILDES
13
VON INNEN NACH AUßEN
15
DARMSTADT
17
FOTOPERFORMANCES FOTOÜBERNÄHUNG PERFORMANCES
18
PHYSISCHE GEGENWART
21
1977-1990
25
FOTORADIERUNG
27
ZUSTÄNDE
29
DIN A4 HEFTE
31
TABLEAUS
37
MÜTTERLICHKEIT UND FÜRSORGE
40
FOTOVERNÄHUNGEN
45
ROM
48
1990-2011
51
FOTOVERNÄHUNGEN
51
GANZKÖRPERPORTRAITS
52
GENERATIV
56
ABHÄNGUNGEN
59
HYBRIDE
60
ERFAHRUNGEN
61
UND ERWEITERUNGEN
62
NACHWORT
64
LITERATURNACHWEIS
66
ABBILDUNGSNACHWEIS
68
ERKLÄRUNG
69
ABBILDUNGEN
70-98
2
VORWORT
Das künstlerische Werk von Annegret Soltau benutzt einen Faden, um einen Bezug
zu dem Leben als Mitglied einer Gesellschaft und einer Familie und zu dem Leben
als Frau sowohl ´ persönlich ` als auch ´ politisch ` herzustellen.
Wie hat Annegret Soltau diesen Faden gefunden und aufgenommen?
" Später dann, Du warst vielleicht 9 Monate, habe ich Dich zu Oma gegeben, "
schreibt ihre Mutter in einem Brief.1 1946 geboren wächst Annegret Soltau bei ihrer
Großmutter auf dem Land auf. Ihr Vater bleibt nach dem zweiten Weltkrieg
verschollen.
Die Erziehung findet in dem klaren Rollenbild der Zeit und der Großmutter statt.
Abends wurde gehandarbeitet. " Ich hab´ das natürlich nicht gerade so toll gefunden,
weil es so zwanghaft war, dass man abends dann da sitzt und Strümpfe strickt, und
Handschuhe. Ich hab´ mich dagegen gewehrt. Ich wollte lesen, ich wollte eigentlich
´was ganz anderes machen und ich wollte nicht so fest in dieser Rolle sitzen ", sagt
Annegret Soltau am 27.5.2011 in einem Gespräch im hr dazu.2
John Dewey
3
spricht von einer Kontinuität der und innerhalb der Erfahrungen, die
Materie, Objekte, Gefühle und Ideen in ihrer individuellen Reihenfolge zueinander
stellt. Der Mensch und der Künstler mag dieser Kontinuität Ausdruck verleihen,
indem sie Materie mit Bedeutung versehen, Objekte und Symbole werden
geschaffen, Handlungen und Ereignisse finden statt. Aus Materie, Bedürfnissen und
Zielen schafft der Mensch Objekte, die seine Bedürfnisse befriedigen und seine Ziele
erfüllen. Er sammelt Erfahrungen.
Ein Handwerker stellt in einem direkten und bewussten Umgang mit Materie einen
Gegenstand her, der einen konkreten Nutzen hat. Er setzt in einer Begegnung mit der
Materie seine Erfahrungen aus der Erinnerung, seine Erfahrungen und die Ereignisse
in der direkten Wahrnehmung und seine Bedürfnisse einer Interaktion aus, die er
1
A. Soltau, 1983, hrsg. v. Frankfurter Kunstverein anlässlich der Installation ´schwanger-sein`, VierTürme-Verlag, Münsterschwarzach, S. 24-25;
2
A. Soltau, hr 27.5.2011, http://www.hronline.de/website/rubriken/kultur/index.jps?rubrik=5986&key=standard_dukument_41626733,
14.6.2011;
3
J. Dewey, Kunst als Erfahrung, 1988, Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main;
3
genauso reflektierend und handelnd lenkt, wie die Materie sie in ihrer Eigenschaft
zulässt. Ein Künstler stellt unter derselben Bedingung der aktiven Begegnung ein
Kunstwerk her, in dem Erfahrungen Symbolen zugeordnet sind, und Erfahrungen
dokumentiert dargestellt sind unter der Verwendung von Material, welches die
Erfahrungen lebendig erhält und zu einer weiteren wahrnehmbaren Erfahrung
verdichtet.
Ich möchte von der Künstlerin Annegret Soltau erzählen. Ihre biografischen Daten
voranstellen, aus ihrem Werk in chronologischer Reihenfolge auswählen, um vor
dem gesellschaftlichen Geschehen der Emanzipation der Frau sichtbar werden zu
lassen, wie Annegret Soltau diese und ihre Erfahrungen kontinuierlich empfängt und
wieder hergibt.
1960 BIS 1977
Sie selbst bezeichnet diese Zeit als eine ´Suchphase`4, ...
Auf dieser Suche sammelt der Mensch Erfahrungen, indem er die in seiner
Umgebung, in seiner Umwelt enthaltenen Objekte und Ereignisse über seine
Sinnesorgane wahrnimmt. Er begegnet diesen Objekten und Ereignissen in ihrer
Materialität, weil er sie wahrnimmt. " Die Sinne sind diejenigen Organe, durch die
das lebendige Geschöpf unmittelbar an den Vorgängen der es umgebenden Welt
teilnimmt. "5 Diese Teilnahme ermöglicht dem lebendigen Geschöpf in dieser Welt
zu handeln, in einer Begegnung mit ihr zu interagieren und zu leben. Es steigert
unmittelbar das Daseinsgefühl, handelnd Erfahrungen und Bedürfnisse bewusst
wahrzunehmen und zu einer Erfüllung zusammen zu führen. Objekte und Ereignisse
imprägnieren sich im Bewusstsein des lebendigen Geschöpfes über ihre
Eigenschaften und Materialität, weil sie ihm eine Erfahrung bereiten. Sie erhalten
eine ästhetische Bedeutung, während sie wahrgenommen werden. So findet Leben
statt, im Austausch, in der Interaktion mit der Umgebung.
" Kein Lebewesen existiert ausschließlich innerhalb des Bereichs seiner eigenen
4
A. Soltau, Mathildenhöhe Darmstadt, 2006, hrsg. v. Kathrin Schmidt, Ph. Reinheimer GmbH
Darmstadt, S. 25;
5
J. Dewey, Kunst als Erfahrung, 1988, Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main, S. 31;
4
Haut. Vielmehr stellen seine subkutanen Organe die Verbindung zu dem her, was
außerhalb seines Körpers liegt, und um leben zu können, muss es sich dieser Umwelt
angleichen - sei es durch friedliche Anpassung, durch Verteidigung oder durch
Eroberung. Ein Lebewesen ist jederzeit den Gefahren seiner Umwelt ausgesetzt, und
jederzeit muss es auf seine Umwelt zurückgreifen, wenn es seine Bedürfnisse
befriedigen will. "6
In der ästhetischen Eigenschaft der Materie und in dem Bedürfnis des lebendigen
Geschöpfes sind die Organe einerseits empfangend sowohl dem drängenden eigenen
Bedürfnis gegenüber als auch der wahrnehmbaren Materialität der Objekte
gegenüber. Andererseits sind diese Organe innerhalb einer Interaktion gebend, wenn
sie dem Objekt einen Platz in Gebrauch und Bedeutung, in Bewusstsein und
Symbolik schaffen. Aus einer Begegnung entsteht auf geistiger Ebene Erfahrung, sie
- die Organe - geben Erfahrung weiter.
HAMBURG
1960 beendet Annegret Soltau die Schule. Mit der finanziellen Unterstützung ihres
Lehrers Schubert besucht sie die Handelsschule, erhält 1962 einen Abschluss aber
keine reguläre Ausbildung. Sie arbeitet als Bankgehilfin, als Assistentin in einer
Unfallchirurgie im Hamburger Hafen und verbringt ein Jahr als Au-Pair in England.
In England nimmt sie neben dem Sprachunterricht an einer Zeichenklasse teil. In
einem Tagebuch 1965/19667 beschreibt sie ihren Erfolg, ihr Interesse und verfasst die
Niederschrift eines Briefes an einen Freund mit der Bitte, sie in einer Bewerbung für
das Studium der Freien Malerei und Grafik an der Hochschule für Bildende Künste
in Hamburg zu unterstützen.
Zu einem Besuch bei der Mutter im Dezember 1974 notiert Annegret Soltau in der
Rückschau, " denn Zeichnen drückt Alles aus, in Worten gelingt die Vollständigkeit
weniger, dessen war und bin ich mir bewusst, ich kann mir bewusster werden." 8
Annegret Soltau absolviert das Hochschulstudium der Freien Malerei und Grafik bei
6
ebd., S. 21;
A. Soltau, Tagebücher, Nachlass zu Lebzeiten, Hessisches Staatsarchiv, Bestand 0 59 Soltau, Nr. 1
und 2;
8
ebd., Nr. 3, 21.12.74;
7
5
Hans Thiemann, Kurt Kranz, Rudolf Hausner und David Hockney in den Jahren
1967 - 1972.
Hans Thiemann und Kurt Kranz sind Bauhausschüler gewesen. Die 1919 gegründete
Bauhaus Kunstschule war als Arbeitsgemeinschaft konzipiert, in der Handwerker und
Künstler als gleichwertig gesehen wurden. Es sollte der damaligen Idee entgegen
gewirkt werden, dass Kunst als Formsprache aus vergangenen Epochen nahm und
maschinell herstellbar war. Es sollte das künstlerische Handwerk belebt werden, neue
Formsprachen zu entwickeln, die auch dem Herstellungskonzept der Industrie
gerecht
werden
konnten.9
Ein
Ort,
an
dem
sich
Schöpferisches
und
Wissenschaftliches trafen.
Im Studium heiratet sie 1970 den Bildhauer Baldur Greiner. Sie erhält ein
Auslandstipendium für Wien 1972 und für Mailand 1973, wo auch Baldur Greiner
sich als Stipendiat aufhält. Mit ihm zieht sie nach Studium und Stipendien nach
Darmstadt, wo sie heute noch mit Baldur Greiner lebt.
DIE POLITISCHE STIMMUNG
Ihre Umgebung war erfüllt von der Erregung der Studenten über die politischen
Strukturen ihrer Zeit. Die so genannten Studentenunruhen beherrschten allerorts das
Leben an den Universitäten. In der damaligen BRD war die Studentenbewegung von
emanzipatorischen Gedanken der Frankfurter Schule geprägt, Menschen sollten nicht
über Menschen herrschen, Staaten nicht über andere Staaten, Staat nicht über Bürger,
Lehrer nicht über Schüler, Eltern nicht über Kinder, Männer nicht über Frauen.
Die Frauenbewegung, die Emanzipation, ging in ihre zweite Welle. Das Wahlrecht
und der Zugang zu den Bildungsstätten waren schon in der ersten Welle erkämpft
worden. Die Gleichberechtigung und das Gefühl, was das Sein kann, waren in der
Abhängigkeit der hierarchischen und patriarchalischen Gesellschaftsstrukturen
stecken geblieben, letztlich auch durch das Familienbild der Nationalsozialisten
unterbrochen.
" Sie (die Frau, Anm. der Verfasserin) ist die Wahrheit, Schönheit, Poesie, ist alles:
9
http://de.wikipedia.org./wiki/bauhaus, 15.8.2011;
6
alles in der Gestalt des anderen, alles nur nicht sie selbst. " 9
In der Befreiung von dem Mann, von den patriarchalischen Strukturen, die das Innen
und Außen, das Sinnliche, den Sinn und das Bild nicht nur der Frauen festhielten, lag
auch eine Selbstbefreiung, die über das Bewusstsein der eigenen Körperlichkeit und
Gefühle Erfahrungen, Vokabular und ein eigenes Bild von sich für das persönliche
und öffentliche Verständnis schuf. In dieser Parallelität der Emanzipation der Frau
zu den emanzipatorischen Gedanken der 1960er entstand der Gedanke, das
Persönliche ist politisch und das Politische ist persönlich, so diese beiden Orte
einander maßgeblich durchwirken.
Bleibt das Persönliche in der Rollenverteilung, kann es das Politische nicht anders
bilden als aus diesen Rollen herau. Verändert sich die Gestaltung der persönlichen
Beziehungen und der Erziehung, wirken beide auf die Gesellschaft von Innen.
Verändern sich die politischen Ideen, können sich die Rollen verändern.
HISTORISCHE STIMMUNG
Für die Werke Weiblicher Kunst und deren Anerkennung in der Kunstgeschichte
sind folgende Stimmen noch aus dem Beginn des 20. Jahrhunderts bestimmend.
Aus dem Jahre 1917: " Wenn es aber nicht zu leugnen ist, dass man die
Künstlerinnen aus der Kunstgeschichte streichen könnte, ohne eine empfindliche
Lücke im Entwicklungsgange zu erhalten, wie ja auch ein Bau darum unerschüttert
stehen bleibt, wenn man ihm einige seiner reizenden Verzierungen nimmt, so ist es
doch nicht minder gewiss, dass die ganze Kunstgeschichte in ein ödes Nichts
zusammenbräche, wenn man die Frauen aus ihr entfernte. Ich meine nun nicht die
Frauen, welche gemalt haben, sondern die, welche sich haben malen lassen." 10
Und so ..." zumindest bleibt den Frauen nach der üblichen Rollenzuweisung als
Vorlage und Anregung männlicher Produktion der Weg in die ästhetische
Selbstbestimmung versperrt," sowohl in der aktiven Rolle den Pinsel führend und
sich gestaltend als auch in der passiven Rolle, ein originäres Ideal denkend und
verkörpernd in den Raum zu stellen, denn: "Sie sind Objekt, nicht Subjekt, Geschöpf,
9
S. de Beauvoir in G. Nabakowski, H. Sander, P. Gorsen, Frauen in der Kunst, Bd. 2, 1980, Suhrkamp
Verlag, Frankfurt am Main, S. 19;
10
Wilhelm Lübke in ebd., S. 18;
7
nicht Schöpfer der Kunstgeschichte." 11
Dem voraus aus dem Jahre 1913: " Die Gestalt des Weibes wird in der Literatur und
Kunst nur geoffenbaret durch Spiegelreflex aus der Seele des Mannes. Sie ist sein
Denken, sein Traum und seine Wunschsymbolik. Selbstbekenntnisse der Weiber sind
selten. .... Siegen tut seit langer Zeit immer nur das einzelne Weib im Gegensatz zur
Gesamtheit der Frauen, und es siegt dann nur durch die in ihm ruhende genitale
Macht. "
12
Diese Steigerung seiner Allmacht, geniale Kultur aus den Händen der
Frau war durch eine unstreitbare Männlichkeit in ihr oder die Kopie einer seiner
Ideen geschaffen, also niemals weiblich im autonomen Sinne, denn sie war die
lebendige Verkörperung seiner Idee, trug die Auguren für die Handlungen der Frau in
ihrer Zukunft. Sie war nicht sie selbst, nicht in der Erfüllung der Bilder, nicht auf der
Leinwand und nicht in der Politik. Den Ort, die Zeit und die Art, ein Selbst bzw.
selbst zu erfahren, zu wollen, zu handeln und aus zustatten, in Bild, Bedürfnis und
Ziel Bedeutungen zu verleihen, stand ihr bevor.
Unter diesen Bedingungen sollte die die Frau darstellende Kunst die realistische
Wiedergabe der Frau, der Umgebung, der Objekte und der Ideen sein, ohne dass eine
reflektierende Beziehung zu dieser Umwelt Erfahrungen aus dieser Beziehung zum
Ausdruck brächte. Die Frau selbst also ohne Interaktion in dieser Umwelt stand und
handelte. Diese Theorien waren 60 Jahre alt, als Annegret Soltau ihr Studium
begann.
BEWUSSTSEIN FÜR ERFAHRUNG
Während der Mensch in der Interaktion mit seiner Umwelt gewöhnliche Erfahrungen
macht, um seine elementaren Bedürfnisse zu erfüllen, trifft er in den Objekten dieser
Umwelt auf Widerstand und Gleichklang, die über sein Empfinden, seine Erfahrung,
eine Ordnung erfahren, der auch er unterliegt. Er lebt von und mit diesen Objekten in
einem kreativen Austausch, und die Objekte geben ihm das Material für sein Leben
und seine Erfahrungen. " Die direkte Erfahrung ergibt sich aus der Wechselbeziehung
zwischen Mensch und Natur. Innerhalb dieser Wechselbeziehung sammelt sich die
menschliche Energie, wird freigesetzt, aufgestaut, zurückgedrängt und setzt sich
11
12
ebd., S. 19;
Alfred Kind in ebd., S.20;
8
siegreich durch. Es gibt einen rhythmischen Wechsel von Bedürfnis und
Befriedigung, Pulsschläge ausgeübten und aufgehaltenen Tuns. " 12
Der Mensch ist sich dieser Vorgänge bewusst und ist somit in der Lage, eine Ursache
in ein Mittel und eine Wirkung in eine Folge zu wandeln, weil er Erfahrungen
sammelt, Erinnerungen hat und mit beidem planen kann zu handeln. John Dewey
setzt seinen Kunstbegriff dort an, wo " der Mensch Stoffe und Energien der Natur in
der Absicht nützt, sein Leben zu erweitern ... , und dass der Mensch fähig ist,
bewusst - und dieses auf der Ebene der Bedeutung - die für das lebendige Geschöpf
so typische Einheit von Sinneswahrnehmung, Bedürfnis, Wollen (Impulse) und
Handeln wiederherzustellen. "
13
Dort, wo der Mensch sich aktiv in seiner und der
ihn umgebenden Gegenwart seiner Verstandeskraft und Ausdruckkraft bewusst wird.
Dort, wo er nicht kopiert. Und dort, wo er einem organischen Verlangen - sowohl der
Organe, die Befriedigung suchen als auch der, die Sinn suchen - einen Weg schenkt.
" Sinn aber, der sich als Bedeutung so unmittelbar in der Erfahrung verkörpert, dass
er durch diese seine eigene Bedeutung erhellt, ist die einzige Bezeichnung, die die
Funktion der Sinnesorgane in ihrer vollen Verwirklichung zum Ausdruck bringt. " 14
Annegret Soltau bewundert in ihrem Tagebuch den Stil Anais Nin´s
15
, nach dem
Gefühl zu schreiben, " ohne den anmaßenden Gedanken, Kunst machen zu wollen,
natürlich müssen die formalen Sachen mit drin sein, aber nicht als Ausgangspunkt.
Ich arbeite von Innen nach Außen, es gibt auch den umgekehrten Fall, eben die
Objektivität, die im Moment stark gefragt ist, aber auch die Subjektivität kann doch
objektiv werden, eben indem man sie mit anderen konfrontiert, und die anderen
Menschen sich damit auseinandersetzen. "16
12
J. Dewey, Kunst als Erfahrung, 1988, Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main, S. 24;
ebd., S. 35;
14
ebd., S. 31;
15
http://de.wikipedia.org/wiki/Anaïs_Nin, 1903-1977, französische Schriftstellerin, 23.8.2011;
16
A. Soltau, Tagebücher, Nachlass zu Lebzeiten, Hessisches Staatsarchiv, Bestand 0 59 Soltau, Nr. 3,
2.9.74;
13
9
... in der sie verschiedene Techniken ausprobiert.
Annegret Soltau probiert sich aus: Eine mit Fineliner ´Überzeichnete Frau`, 1972, ein
Bildausschnitt aus einer Illustrierten.17 Gezeichnete Portraits in Bleistift, (seltenem)
Buntstift und schließlich Portraits in Drucktechnik, Aquatinta Radierungen. Die
Plastizität dieser Portraits ist auf das Nötigste reduziert, feine Linien oder starke helldunkel Kontraste grenzen Gesicht und Medium voneinander ab. Letztere mögen auch
überzeichnet im Portrait einer Stimmung Ausdruck verleihen, ´Schmerz`, 1973,
Radierung (Abb. 1, S. 70) oder das Gesicht zu seiner Verhüllung kontrastieren. Der
Umraum gibt keinen Ort her, kein Gegenstand steht dem Portrait zur Seite. Diese
Leere, dieser perspektivlose Raum, rahmt bis heute die dargestellte Figur im Werk
von Annegret Soltau. Die Blätter dieses ersten Werkzyklus` bleiben im DIN A2
Format und kleiner. Die Titel der Arbeiten verraten die Anzahl der Dargestellten,
´Junge mit Hund`, 1971, Bleistiftzeichnung,18 ´Paar`, 1973, Aquatinta-Radierung,19
oder, was den Dargestellten widerfahren ist, ´umschlossene Figur`, 1973, AquatintaRadierung,20 ´umschlossener Kopf`, 1974 (Abb. 2, S. 71), ´umschlossene`, 1973,
Blei- und Buntstift,21 ´umsponnene `, 1973, Bleistift.22
Allen ist gemein, Frauen sind dargestellt, Augen und Münder sind verschlossen, ein
Faden wucherndem Körper-Haar oder sich fortsetzender Kleidung entwachsen spinnt
sich eng um Hals und Kinn. Als potenziere es sich selbst, was umgarnt, einwickelt,
verschnürt und Nähe in den Doppelportraits herstellt, die über ein siamesisches
Verwachsen-Sein an manchen Stellen hinausdeutet, ´Paar`, 1973, AquatintaRadierung.23
Annegret Soltau erarbeitet sich ihr handwerkliches Werkzeug in der Drucktechnik
und dokumentiert Enge zwischen dargestelltem Wesen, Linie und Faden. Die Köpfe
17
A. Soltau, Mathildenhöhe Darmstadt, 2006, hrsg. v. Kathrin Schmidt, Ph. Reinheimer GmbH
Darmstadt, S. 14;
18
ebd., S. 106;
19
A. Soltau, Von innen nach außen, Darmstädter Kunstedition Merck 37, 1996;
20
A. Soltau, Der verschnürte Mensch, Graphik-Kabinett, Karin Friebe, Darmstadt, F Bönsel, Lautertal,
1972;
21
A. Soltau, Mathildenhöhe Darmstadt, 2006, hrsg. v. Kathrin Schmidt, Ph. Reinheimer GmbH
Darmstadt, S. 16;
22
ebd., S. 15;
23
A. Soltau, Von innen nach außen, Darmstädter Kunstedition Merck 37, 1996;
10
sind vom Hals her umwickelt und umgarnt. Das eigene Haar oder die angelegte
Kleidung ergreifen das Subjekt, welches still erleidet. Von Außen nach Innen wirkt
der Faden und hält das Körperempfinden fest. In der hauptsächlich dargestellten Frau
verbindet sie das Gesehene mit dem Gefühlten, weil sie als Frau die Frau über die
reine Form und die Idee hinaus wahrnimmt, ihr subjektives Sein in das Werk
integriert. Gislind Nabakowski und Andere zitieren dazu den Begriff der ´body
experience` (engl.: Körpererfahrung) der Judy Chicago,24 " Frauen ... sähen von
außen auf ihr Darstellungsobjekt und seien zugleich es selbst. Gemeint sind
Erfahrungen, die die Objektivierungstendenzen des Augensinns durch ein
Körpergefühl ergänzen, das sich die Wahrnehmungswelt mimetisch-leiblich
aneignet. "25 Über die Hinzunahme der ´body experience` im Moment des Sehens
gestaltet sie neben dem gesehenen Objekt das eigene Körpergefühl. Dem Mann als
Künstler mag das in der Darstellung seiner selbst gelingen, in der Darstellung der
Frau bleibt sie seine Idee, in der er sie auch verfehlen kann. Es mag noch nicht die
eigene gegenwärtige Enge sein, der Annegret Soltau Ausdruck verleiht. Sie nähert
sich als Frau der Darstellung von Frauen, in deren Gefühl von Enge sie eine
Resonanz empfindet und darüber eine Nähe herstellt.
MAILAND
Auf den Straßen von Mailand lässt sie sich inspirieren, " weil in Italien die Menschen
auch die Emotionen nach außen tragen. In Wien dagegen war alles so versteckt. Und
in Italien dann auch diese Frauen, diese italienischen Frauen mit den Tüchern, das hat
mich inspiriert, wie die sich so eingewickelt haben, was undefinierbare Gebilde
waren, was Einengung und Schutz zugleich war. Also, das ist etwas Wesentliches."26
Die Zusage für ein
Stipendium
bedeutet
Anerkennung, sie festigt das
Selbstwertgefühl: Annegret Soltau beherrscht die Technik der Druckgrafik und kann
24
http://de.wikipedia.org/wiki/Judy_Chicago, geb. 1939 USA, feministische Künstlerin, Schriftstellerin
und Erzieherin, 22.8.2011;
25
G. Nabakowski, H. Sander, P. Gorsen, Frauen in der Kunst, Bd. 2, 1980, Suhrkamp Verlag,
Frankfurt am Main, S. 41;
26
A. Soltau, hr 27.5.2011, http://www.hronline.de/website/rubriken/kultur/index.jps?rubrik=5986&key=standard_dukument_41626733,
14.6.2011;
11
sie nun vertieft einsetzen.
Annegret Soltau läuft nicht mehr in der engen Verbindung zu den Kommilitonen
durch diese fremden Straßen. Weniger Gespräche über Professoren, über Politik,
über Veranstaltungen und über den Alltag binden ihre Aufmerksamkeit. Aus einer
kühl wirkenden Distanz heraus empfindet sie die Bilder in Mailand real in den
Begriffen von Einengung und Schutz. Die ästhetischen Erfahrungen ihrer eigenen
Schöpfungen setzen sich fort in den Tüchern der Mailänder Frauen und der
emotionalen Gestik dieser Menschen. In dieser öffentlichen Körpersprache sind mehr
bedeutende Zeichen für verschiedene Emotionen enthalten. Der Faden, der sich
außen um den Hals legt, der für das Innen einen Eindruck zeichnet, wickelt weiter.
Ihre Interaktion mit der Umwelt, ihre Erfahrungen und ihr Bedürfnis, dem Ausdruck
zu verleihen, verdichten sich. Den Antrieb, den sie in sich wahrnimmt, bezeichnet
John Dewey als " eine Bewegung des gesamten Organismus, die sich vorwärts und
nach außen richtet, und für die die speziellen Antriebsfaktoren Hilfsmittel
darstellen. "27 Die Antriebsfaktoren sind äußerlich in dem Auftreten der Mailänder
Frauen zu sehen, während sie innerlich in den ästhetischen Eigenschaften der
Erfahrungen von Annegret Soltau selbst liegen. Die Linie der Radiernadel, die sich
als Haar oder Stoff um Hals und Kopf ihrer Portraits schlingt, die Stimmung der
gesellschaftlichen Enge für die Frau, die Identifikation damit und der bisherige
Erfahrungsschatz im Einsatz ihrer Mittel bestätigen Annegret Soltau ihre Interaktion
mit ihrer Umwelt. Die Absicht ihres Antriebs und die Erfüllung des Bedürfnisses, der
Erfahrung der Enge Ausdruck zu verleihen, treffen sich in einer für sie und andere
nachvollziehbaren Erfahrung, die über das Bild stattfindet. Ihre " Verhaltensformen
... füllen sich mit Bedeutung,"28 ihre Materie ist die Erfahrung, weil sie ihr gemäß
darstellend handelt.
27
28
J. Dewey, Kunst als Erfahrung, 1988, Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main, S. 72;
ebd., S. 73;
12
ENGE DES BILDES
In diesem Anblick der neuen Umgebungen transzendiert das eine Bild in das
folgende. Es finden Begegnung und Interaktion mit der Umwelt statt. Das
Verwickelt-Sein mit sich und mit der Umwelt. Eine Erregung gekennzeichnet in der
nach außen getragenen Emotion und setzt das Bild unter Spannung. Engt das Denken
und die Erwartung der Umwelt ein? Engt das Bild der Frau ein? Welches emp-findet
sie? Das eigene oder das der Gesellschaft, dem sie entsprechen möchte oder muss?
Vor was schützt sie sich? Vor den Erwartungen, vor dem Urteil über das, was sie
verkörpert? Soll sie sich schützen, weil sie eine Frau ist?
Der Faden aus der
Radiernadel Annegret Soltaus bindet die Frau, den Protagonisten ihrer Kunst, dicht
an die Wahrheit, die sie verkörpert und in der sie steht. Sie empfindet die Enge des
Bildes und der Idee, in die die Umwelt sie stellt, deren anerkanntes Dokument bis
dato der Mann geschöpft hat.
Grundlegend hat er sie dort verfehlt, wo sie in seinem Dokument, in seinem Werk,
als passiv erleidend stand, weil er sie sich so vorstellte. Wirtschaftlich war sie von
ihm abhängig bis ca. zum Ende des 19. Jahrhunderts. Rechtlich und politisch konnte
sie erst mit zunehmender und gleicher Bildung ihre Stimme in den Alltag einbringen
und einen gleichwertigen Beruf ergreifen. Ihr künstlerischer Ausdruck in
Abhängigkeit der Bildung beschränkte sich auf
handwerkliche Tätigkeiten, die
Gestaltung des Haushaltes, der Erziehung der Kinder und ihrer selbst, alles er bei
seiner Rückkehr von der Arbeit in den Haushalt selbstverständlich in Anspruch
nahm. In seinem Dokument dieser Umwelt stand sie schön, sexy oder keusch,
bekleidet mit Aussehen und Aufgabe. Vor dem Dokument, seinem Werk, stand sie
und entsprach seinem Bild. Er hat sie dort verfehlt, weil er von dem Moment ihrer
Erfahrung bis zu dem Moment der Bedeutung seinen Körper als die Erfahrung
wahrnehmend und deutend setzte. Sein Bedürfnis und deren Erfüllung waren
vorrangig. Erklären will sich diese Rollenverteilung aus der Not der passiven Rolle,
die nicht aggressiv unentschieden blieb.
Annegret Soltau erspürt diese Verbindungen, wie das Außen das Innen erwirkt und
das Innen das Außen bildet.
Eine Liste von Radierungen aus einem Tagebuch dieser Zeit nennt Themen,
13
" 1. Doppelportrait, 2. Frauenportrait, 3. Frau am Tisch sitzend, 4. 2 Frauen im
Raum, 5. Reihe, 6. Schmerz, 7. Verzweifelung, 8. Trauer, 9. Selbstportrait, 10.
Gudrun Enslin, 11. 3 Generationen. " Einige Zeilen darunter ist ein weiterer Titel
eines Drucks mit einem Kommentar angegeben.
" 2 Frauen wartend, bis zur
Selbstaufgabe, Hingabe, Ausdauer, nur wartend, auf was, auf das Leben, die Zeit, das
Alter, den Tod. "29
Über den Menschen schreibt sie: " Ein Gefühl bezwingt den Menschen, es ist im
Gesicht zu lesen, tritt nach außen, bezwingt den Menschen, der Mensch verliert sein
volles Bewusstsein und tritt in einen Zustand, ist entrückt. Ich möchte ein Gesicht
umkehren. Es von Innen nach Außen umwenden. Die Seele hervorholen, das Wesen
herausschälen. "30
Die Form der Darstellung ist nachvollziehbar, es geht um die direkte Darstellung von
Gefühl und Ursache bzw. Mittel in dem Fall der künstlerischen Darstellung. Das
Portrait lässt keinen Zweifel an dem Protagonisten. Annegret Soltau erarbeitet sich
Material, welches sich in ihren persönlichen Erfahrungen gefunden um die Erfahrung
bereichert, die in der Darstellung direkt und in der Betrachtung derselben stattfinden
kann. Gelenkt von diesen Erfahrungen, " sie sind die Organe, mit denen " sie "
wahrnimmt, "31 stellt sie ihr Werk dichter an eine Wirkung denn an eine Aussage,
weil diese sich darauf beschränkt, lediglich Bedingungen anzuzeigen, " unter denen
die Erfahrungen eines Objektes oder einer Situation gemacht werden. "32
" Erfahrung ist das Resultat, das Zeichen und der Lohn einer jeden Interaktion von
Organismus und Umwelt, die, wenn sie voll zum Tragen kommt, die Interaktion in
gegenseitige Teilnahme und Kommunikation verwandelt." ... Sinnesorgane " und der
an sie angeschlossene Bewegungsapparat " ... sind " die Werkzeuge dieser
Teilnahme. "33
Mit einem daraus resultierenden Ziel findet Annegret Soltau und setzt seine Suche
fort.
29
A. Soltau, Tagebücher, Nachlass zu Lebzeiten, Hessisches Staatsarchiv, Bestand 0 59 Soltau, Nr. 79,
27.11.72;
30
ebd., 29.11.1972;
31
J. Dewey, Kunst als Erfahrung, 1988, Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main, S. 106;
32
ebd., S. 100;
33
ebd., S. 32;
14
VON INNEN NACH AUßEN
Daraufhin verbindet der Faden sich mit der Umwelt. Er entwächst einer ´Verletzung`,
1974 (Abb. 3, S. 72), nimmt den direkten Weg aus dem Blatt heraus, oder er spinnt
sich im Blatt zu einem Netz mit Verankerungen an Mund, Augenlid und Blattrand,
´Maske`, Aquatinta-Radierung und ´Paar`, Radierung, beide 197434 entstanden.
Diesen beiden Arbeiten ist noch gemein, dass sie wie tatsächliche Masken dem
Körper entrissen abgelegt auf dem Blatt ruhen. Wie auf einem schwarz-weiß Negativ
hebt sich die dunklere Maske von dem hellen Untergrund ab, an ihrem Rand ist mit
gebrochener Linie der Riss gezeichnet, auf dem Untergrund bewegen sich dünne und
feine Linien im Weiß und beides - Weiß und Linie - sich auch auf die Maske zu
legen scheinen.
1975 zerbricht die Haut der Dargestellten, der Faden ist nun feiner Riss oder
klaffender Spalt, ´Risse`,1975, Aquatinta-Radierung und ´Spaltung`, 1975,
Aquatinta-Radierung.35 Zu einem Selbstportrait des Künstlers Walter Pichler36
schreibt Annegret Soltau: " Alles quillt aus ihm heraus, aufgelöst, zerfließend. Feine
Nerven, die sich ziehen, länger und feiner werden, bis sie zerreißen."37 Annegret
Soltau setzt sich meisterhaft mit der Technik des Druckes auseinander und schreibt
dazu: " Radieren ist eine verletzende Technik, die Platte wird geritzt, gegerbt,
eingefressen, eingebrannt, es gibt Brandmale."38
Sie antwortet auf die Frage der Schriftstellerin Marie Luise Kaschnitz,39 die in
Frankfurt lebte, warum sie Frauen darstelle?
" Mein Interesse gilt nicht der Frau, sondern dem Menschen und ich bin eine Frau,
daher die Darstellung der Frauen in ihren jeweiligen Situationen, Zuständen, oder
Verhängnissen - es könnte auch ein Mann dafür stehen."40 Die Abbildung der Frau
34
A. Soltau, Der verschnürte Mensch, Graphik-Kabinett, Karin Friebe, Darmstadt, F Bönsel, Lautertal,
1972;
35
ebd.;
36
http://de.wikipedia.org/wiki/Walter_Pichler, geb. 1936 Südtirol, Architekt, Objektkünstler,
Bildhauer, Zeichner, 22.8.11;
37
A. Soltau, Tagebücher, Nachlass zu Lebzeiten, Hessisches Staatsarchiv, Bestand 0 59 Soltau, Nr. 79,
Nov. 72;
38
ebd., Nr. 3, 18.11.74;
39
http://de.wikipedia.org/wiki/Marie_Luise_Kaschnitz, 1901 - 1974, deutsche Schriftstellerin, 22.8.11;
40
A. Soltau, Tagebücher, Nachlass zu Lebzeiten, Hessisches Staatsarchiv, Bestand 0 59 Soltau, Nr. 3,
15
ermöglicht es Annegret Soltau über die persönliche ´body experience` das
Körperempfinden so zu integrieren, dass neben dem Bild von Enge und
Einengendem eine körperliche Resonanz dargestellt ist, die abhängig ist von ihrer
eigenen Gegenwart und von ihrer Umwelt. Nicht nur eine Idee bildet sich im Bild ab,
wirkt von außen nach innen. Das Innen zeigt eine Reaktion, es zeichnet sich dicht an
der Realität ab, auf der Haut.
In diesem Moment der Emanzipation suchte eine/die Künstlerin sich darüber neu zu
bestimmen, dass sie für sich genau dort, wo das Bild der Frau als Idee stand, ein Bild
mit eigenem emotionalem Inhalt schuf. Ihre Idee um ihrer Selbst angereichert und
erfüllt von authentischem Innen. Die Künstlerin schuf so das reale Bild passend zu
ihrer Wahrnehmung. Dort trennten sich weibliche und männliche Kunst, weil dem
Künstler der Zugang zu jenem Ort der ästhetische Wahrnehmung versperrt war und
bleibt. Gislind Nabakowski und andere fanden in diesem Ort die ästhetischen
Manifestationen der Unterdrückung der Frau als Person und Künstlerin, in dem sie
sich nun befreien konnte, weil sie sich unterdrückt und eingeengt darzustellen
vermochte, das Einengende materialisieren konnte und darüber hinaus das Eigene
und Reale dem entgegen zusetzen vermochte.41
Einige Zeilen weiter im Tagebuch der Annegret Soltau ihre Gedanken zu dem irischenglischen Maler Francis Bacon:42 " Bacon stellt Verletzbarkeit dar, die große
Wunde, den Schrei. Aber er macht es mit der gleichen Intensität, was der Schrei ist.
Es ist doppelt dargestellt, der expressive, brutale Ausdruck in dem menschlichen
Gesicht und dazu noch der expressive Ausdruck der Malerei. Die Wunde, den
Schmerz, das Leiden stellt er nicht dar, sondern die Zerstörung an sich. "43
Und Gedanken von Annegret Soltau zum Ausdruck von " Menschen wie Tiere - ist
der Ausdruck stark wie das Lachen, das Weinen, das Schreien, ist der Ausdruck
außen sichtbar. Ist der Ausdruck still, ist er in sich gekehrt, ertragend, leidend,
erduldend und gelangweilt. "44 ..." Wenn ein äußerlich starker Ausdruck herrscht, tritt
die Eigenart zurück, der Ausdruck überwiegt, das Gesicht ist im Eigentlichen, dem
23.2.74;
41
G. Nabakowski, H. Sander, P. Gorsen, Frauen in der Kunst, Bd. 2, 1980, Suhrkamp Verlag,
Frankfurt am Main, S. 47;
42
http://de.wikipedia.org/wiki/Francis_Bacon_(Maler), 1909-1992, 23.8.2011;
43
A. Soltau, Tagebücher, Nachlass zu Lebzeiten, Hessisches Staatsarchiv, Bestand 0 59 Soltau, Nr. 3,
23.2.74;
44
ebd., Nr. 79, Nov. 72;
16
Erkennbaren zerstört, es ist zerschlagen, der Ausdruck verzerrt das Aussehen."45
DARMSTADT
Die Körperlichkeit in ihrer Kunst nimmt zu. Sie portraitierte, das Portrait wird an
manchen Stellen ein Ganzkörperbild . Die Wortwahl ´ Situationen, Zustände oder
Verhängnisse ` in der Antwort auf die Frage von Marie Luise Kaschnitz verrät die
Nähe zu dem Körper und Körperlichen, die Annegret Soltau in ihren Arbeiten sucht.
Sie sucht die Verbindung zu dem von Außen bedingenden, zu den Verbindungen, die
ungesehen oder unentdeckt sich selbst gezogen haben, die feinen Linien der Zeit, die
der Körper empfängt und entsendet. Zu diesen Verbindungen sucht sie die beiden
Enden. Dazu aus den Tagebüchern: " Selbstzerstörung der Seele oder Zerstörung von
anderen Menschen. Menschen hängen zusammen ineinander an einander gekettet,
abhängig voneinander, sie quälen sich, zerstören sich. Feine Nerven oder Seelenfäden
spannen sich über den Menschen, Gesicht und Körper, werden in Fäden oder Fäden
werden zerstört (durch Erlebnisse, andere Menschen, Brutalität, Alltagsleben,
Stadtleben), wird der Mensch krank. Die Fäden sind sehr leicht zu verletzen, sie sind
aber dehnbar und lassen mit sich spielen, bis sie überspannen und reißen."46
Annegret Soltau findet mit der haptischen Gegenwart des Fadens in ihren Arbeiten
das Außen, welches sich den Weg um die dargestellte Person herum bahnt. Sie nähert
sich der Umwelt, sie zieht sie an ihren Fäden, die wirken aber noch nicht ihr ganzes
Material preisgeben, welches Quelle ihrer Kraft ist. " Was ausgedrückt wird, wird
dem, der es hervorbringt, durch den Druck abgerungen, den die konkreten Dinge auf
die natürlichen Impulse und Neigungen ausüben."47 Es ist das Material des Objektes
in der direkten Begegnung, welches sich Ausdruck verleiht und Ausdruck zulässt,
genau in dem Moment dieser beiden Erfahrungen, des Drucks und des Handelns, es
eine Bedeutung in der Begegnung erhält.
45
ebd., 27.11.72;
ebd., Okt. 1973;
47
J. Dewey, Kunst als Erfahrung, 1988, Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main, S. 79;
46
17
FOTOPERFORMANCES
FOTOÜBERNÄHUNGEN
PERFORMANCES
Ein neuer Werkzyklus beginnt. In einer Fotoperformance umwickelt sie ihr eigenes
Gesicht eng mit schwarzem Zwirn. Die Radiernadel wird zu einem haptischen Faden,
der einen konkreteren Kontakt entwickelt. Es entsteht ein Dokument aus 5x3 Bildern.
Eine Reihe aus 14 Selbstportraits, die in 12 schwarz-weiß Fotos den immer dichter
gewickelten Faden über Gesicht, Hals und Schultern dokumentieren. Das Gesicht
wendet sich mal nach links, mal nach rechts. Auf dem 13. Dokument schneidet ihre
rechte Hand mit einer Schere in den Fadenwickel hinein, auf dem 14. ist das
geschnittenes Loch und auf einem 15. Blatt ist ein Fadenknäuel ohne das Gesicht zu
sehen, ´selbst`, 1975. (Abb. 4, S. 73) Diese Fotoperformance findet für die
fotografische Dokumentation statt.
Parallel dazu näht sie einen Faden in eine schwarz-weiß Fotografie ihrer selbst. Sie
benennt die Technik dieser Arbeiten mit Fotoübernähungen. Mal ist es auf 38,8x28
cm ein schwarzer Zwirn, der fein und symmetrisch in ihrem Gesicht die Augen
umspannt, sie umschminkt, sie mit Ohren, Mundwinkeln und Kinn verbindet,
´selbst`, 10, 1975, Fotoübernähung48 Ein anderes Mal ist ein dicker Faden auf einem
6x4,5 cm großen schwarz-weiß Abzug genäht, der in dem Portrait über das Haptische
des Fadens hinaus dargestellter Gegenstand wird. Sein Einsatz bedarf sichtbar großer
Löcher, das Portrait ist verletzt und verdeckt, ´selbst`, 1975 (Abb. 5-6 S. 74-75).
Annegret Soltau umwickelt in weiteren Performances das eigene und fremde
Gesichter, den eigenen und fremde nackte Oberkörper mit Zwirn, so dass der Zwirn
dicht gewickelt die Aussicht und Ansicht versperrt. Die Körperteile sind nahezu
bedeckt und eng eingewickelt. Das fotografische Dokument dieser Performances
zeigt Stadien der Umwickelung und der Befreiung. Nach seiner Entfernung bleiben
sichtbare Furchen in der Haut, die sich nach einiger Zeit glätten. Es sind freiwillige
Einzelpersonen und Gruppen aus dem Publikum, die sich bekleidet oder mit
entblößtem Oberkörper einwickeln und mit dem Köper nebenan verspinnen lassen.
Die Umwickelten werden frei geschnitten oder befreien sich selbst, ´permanente
demonstration`, 17.1.1976, schwarz-weiß Fotografie,49 ´demonstration`, 19. und
48
A. Soltau, Mathildenhöhe Darmstadt, 2006, hrsg. v. Kathrin Schmidt, Ph. Reinheimer GmbH
Darmstadt, S. 19;
49
A. Soltau, Der verschnürte Mensch, Graphik-Kabinett, Karin Friebe, Darmstadt, F Bönsel, Lautertal,
18
22.1.1976 (Abb. 7, S. 76) und Aktion ´Ver-Bindungen`, 19.5.1976, schwarz-weiß
Fotografie.50 Dieser aktive Faden und die Furche in der Haut als sein Dokument
erinnern hier an den Ritz der Radiernadel in der Platte, nur plastischer im einzelnen.
Zu einer Performance hängt Annegret Soltau dicht Fäden von der Decke in den
Eingangsraum. Die Gäste fühlen diese Fäden beim Betreten der Galerie in ihren
Gesichtern, an ihren Schultern, auf der Haut, ´Berührungsraum`, 1976, schwarz-weiß
Fotografie.51 Annegret Soltau setzt hier ein deutliches und verdichtetes Symbol für
Verbindungen, die in uns hinein wirkend gleichzeitig leben, die im Nacheinander der
Performance voneinander differenziert auftreten, und die in einem Miteinander
stehen.
Annegret Soltau erweitert den Zweck eines Fadens zu verbinden, zu wickeln, zu
halten oder Stoff zu sein, zu einer Form, die eine unmittelbare Erfahrung in der
Betrachtung dieses Fadens ermöglicht. Immer noch wickelnd schränkt er die Sicht
und Ansicht ein, verbindend behindert er Bewegung, bewegt das angeschlossene, und
haltend legt er tiefe Furchen. " Der Stoff, aus dem sich ein Kunstwerk
zusammensetzt, gehört eher der allgemeinen Welt als dem Ich an. Und dennoch
findet sich Selbstdarstellung in der Kunst, da das Ich diesen Stoff auf eine besondere
Art assimiliert, um ihn an die öffentliche Welt in einer Form zurückzugeben, die ein
neues Objekt hervorbringt."52 Das Kunstwerk lebt aus dem Prozess heraus, den das
Ich und die allgemeinen Welt einander gleichwertig eingehen und formen.
Erfahrungen wirken dabei lenkend.
Annegret Soltau nähert sich ihrem Bedürfnis, die Verstrickungen der Menschen in
dieser Zeit darzustellen, die sich übergeordnet in Idee und Bild in der Gesellschaft als
Ordnung und Moral strukturieren. Das Feste des haptischen Fadens und die Enge in
dem Moment seiner Anwendung, konkretisieren den Zustand der Verstrickungen und
Abhängigkeiten. Ordnung, Moral und Rolle einmal gedacht ringen um ihren Erhalt.
Die Zeichnung auf der Haut, ihr Bild in der Gegenwart stellt die Wirkung dar. Sie
konzentriert sich sicher auf das Bild, welchem sie entspricht, und auf die Rolle, die
die Zeit verkörpern, die so nicht passen. Die Nähe der aktiven Handlung und dem
1972;
50
ebd.;
51
A. Soltau, Mathildenhöhe Darmstadt, 2006, hrsg. v. Kathrin Schmidt, Ph. Reinheimer GmbH
Darmstadt, S. 161;
52
J. Dewey, Kunst als Erfahrung, 1988, Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main, S. 126
19
passiven Ort wirkt in dem Moment befreiend, in dem von Innen heraus aktiv gefühlt
und geschnitten wird. Sie konzentriert sich auf ihre Wahrnehmung und die darin
enthaltene Diskrepanz zu dem Bild, zu der Rolle. Sie wünscht sich die Wahrheit, eine
aktive Rolle. Im Kontakt mit der Mutter während eines Besuchs nimmt sie das
Bedürfnis wahr, die Wahrheit zu sprechen, - und die Rücksichtnahme. Sie nennt es
´Verwischung für die Leute.`53
Annegret Soltau erinnert sich in ihrem Tagebuch eines Moments in London (196566) mit einer Freundin, in dem sie sich bewusst wurde, dass ´die menschliche
Existenz sinnlos, endlos und haltlos ist.`54
Verbindet das menschliche Wesen in der direkten Erfahrung von Materie ein Objekt
mit Bedeutung, kann es das Material innerhalb seiner Eigenschaften formen, und es
erfährt in der Handlung sich und das geformte Objekt interagierend. Das Leben erhält
ein neues Objekt und wird um diese Form und Erfahrung seiner bereichert und
verändert. Elementare Erfahrungen wie Hunger erleben eine Sättigung und
gewöhnliche Erfahrungen erschließen - sich - aktiv die Umwelt. In diesem Umgang
mit der Umwelt erfährt der Mensch aus einem Mangel heraus einen Ausgleich, eine
Anpassung. Die Umwelt, die in ihr enthaltenen Objekte und sein Wollen und
Handeln unterliegen den Rhythmen der Natur, es herrscht Bewegung. Das Objekt
unterstützt den Prozess der Interaktion, indem es seine ästhetischen Eigenschaften in
das Bewusstsein des Menschen über Erfahrung in Bedeutung niederschlägt. Der
Mensch kehrt über Wachstum, über sich ändernde Bedürfnisse und über sein
Bewusstsein nicht zu einer Anpassung an Stagnierendes zurück, er findet Stabilität in
einer Neuanpassung. Sich neu anpassen zu können, ist eine Erfahrung, die sich
ausdrückt. Eine Sammlung von Erfahrungen innerhalb eines Prozesses, entspricht
einem Ereignis und Erinnern wird einer Umwelt, die sich ändert, unter Umständen
nicht gerecht.55
Es sind die Rhythmen selbst, die Erfahrung ermöglichen und Rhythmen sind es, die
Form bedingen. In der Begegnung mit der Umwelt, dem Widerstand in einem Objekt
ohne Bedeutung, ohne Symbol, weil es dazu keine Erfahrung gibt, kann nur eine
53
A. Soltau, Tagebücher, Nachlass zu Lebzeiten, Hessisches Staatsarchiv, Bestand 0 59 Soltau, Nr. 3,
21.12.74;
54
ebd., Feb. 1974;
55
J. Dewey, Kunst als Erfahrung, 1988, Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main, S. 21;
20
Interaktion stattfinden, wenn Materie über seine ästhetischen Eigenschaften, Wesen
über ihr Handwerk und ihre Erfahrungen formen. Selbst dort entsteht Rhythmus, wo
Bewegung angehalten, Interaktion um-ge-lenkt und Neues sich aus solchem Wandel
formt. Dies entspricht dem Geben und Nehmen, hier in der Interaktion mit
Erfahrungen.56
In diesem Moment der physischen Gegenwart der Person und des Fadens in den
Arbeiten von Annegret Soltau hält der Faden jenen Moment in London an, wenn er
die gegenwärtige Realität im Handeln erweitert und öffnet. Sinnlosigkeit und
Endlosigkeit werden abgeschnitten, Haltlosigkeit verankert sich in der Handlung. Sie
durchbricht den ihr zugedachten Ort der Passiven und der Dargestellten.
PHYSISCHE GEGENWART
Dazu schrieb Peter Weibel 1965 in seinem Essay ´Von den Möglichkeiten einer
nicht-affirmativen Kunst:` " Die Regression aufs Material als allgemeines Prinzip der
Entwickelung der bildenden Kunst in den letzten Dekaden ist Anzeichen für eine
Methode der Wahrnehmung, die durch einen Körper nach einem anderen Körper
zielt, die sich in der Welt ereignet und nicht im falschen Schein der schönen
Künste."57 Aus diesen schönen Künsten, wie Peter Weibel sie nennt, das Bild der
Frau schien als Vorstellung des Autoren, des Mannes meist, der sie dort verfehlt hat,
wo er sie sich passiv dachte. Der Aktionismus in der Performance von Annegret
Soltau setzt den Körper als Material und Material - den Faden - formend ein. Auf den
fotografischen
Dokumenten
ihrer Performances
sind
Frauen
wie Männer
eingewickelt, was ihrer Aussage Marie Luise Kaschnitz gegenüber entspricht, es
könnte auch ein Mann sein, sie eben eine Frau ist. Sie bildet das Außen ab in dem
Moment, in dem es das Innen bildet.
In der künstlerischen Interaktion, die John Dewey beschreibt, trägt die Form selbst
einen ästhetischen Wert, als sie aus der Interaktion von Materie und bewusster
Erfahrung hervortritt. John Dewey beschreibt die Form mit einem ästhetischen Wert,
weil sie Form hat durch den Prozess, " Erfahrungsmaterial so zu sehen, zu empfinden
56
ebd., S. 171-179;
P. Weibel in G. Nabakowski, H. Sander, P. Gorsen, Frauen in der Kunst, Bd. 1, 1980, Suhrkamp
Verlag, Frankfurt am Main, S.139;
57
21
und dazustellen, dass es möglichst schnell und effektiv zum Stoff für den Aufbau
einer entsprechenden Erfahrung bei Menschen wird, die weniger begabt sind als der
eigentliche Schöpfer."58 Die Form repräsentiert Materie, wie Erfahrung, wie
Rhythmus und wie Prozess.
Die Interaktion ergibt sich in ein Objekt oder in ein Ereignis, in ein Kunstwerk als
Träger von Erfahrungen, das sich zusammensetzt aus dem Material Erfahrung. Jedes
einzelne Stück Erfahrung steht jedem einzelnen Stück Erfahrung in einem vielleicht
konkreten Zustand, bzw. als ein Symbol, in einer Bedeutung, zur Seite, so dass unter
dieser Dynamik, diesem Rhythmus eine Erfahrung geschaffen wird. Selbst diese eine
Erfahrung erlebt in der Begegnung mit dem Autor und einem Betrachter wiederum,
eine Dynamik, ein Werden. " Das Werk " - eine dem Künstler bewusste Erfahrung " selbst ist der Stoff, der zur ästhetischen Substanz geformt wurde."59 Innerhalb des
dargestellten Prozesses ist es schwer, einen konkreten Unterschied zu ziehen, wenn
das Objekt - in der Erfahrung bewusst - eine Symbolkraft verkörpert, eine Erfahrung
formt und entlässt, zu gleichen Teilen es und die Erfahrung die Substanz zu dem
Werk sind.
Er setzt dem künstlerischen Werk eine Maschine gegenüber, weil diese auch
entwickelt unter Anpassung jedoch in der Form des Ausdruckes sich wiederholt und
somit Grenzen setzt.60 Wir können uns erinnern bis zu dem Zeitpunkt, an dem eine
Sehnsucht uns fort trägt.
Weiter Peter Weibel: " Im Horizont des Leibes und der Welt angesiedelt, ist das
künstlerische Medium der Körper. Der menschliche Körper selbst ist das Kunstwerk,
das Material. "61
In der Aktion mit der Umwelt wirkt eben dieser Körper als Ganzes, als Leib, welcher
die Einheit all seiner Funktionen und Bedürfnisse in Ausdruck und Eindruck
sammelt. Er ist Material genauso wie Form.
In dieser Aktion bereichert sich der Körper um seine Körperlichkeit, die in ihrer
Form ein gegenwärtiges Bild zeichnet, welches nicht einem vorgestellten Bild mehr
entspricht. Der individuelle Körper zeichnet. " Ein freier Umgang mit dem
58
J. Dewey, Kunst als Erfahrung, 1988, Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main, S. 128;
ebd., S. 128;
60
ebd., S. 156-157;
61
P. Weibel in G. Nabakowski, H. Sander, P. Gorsen, Frauen in der Kunst, Bd. 1, 1980, Suhrkamp
Verlag, Frankfurt am Main, S.139;
59
22
künstlerischen Material befreite das Material auch von seinen alten repressiven
Bedeutungen und setzte neue prospektive Bedeutungen frei. "62
Der Aktionismus geboren aus dem Gedanken der Dadaisten, ´Kunst sei eine
Richtung von Leben`63 und geformt durch die aktionistische Malerei, den
körperlichen Einsatz des Tachismus, des Informell, des Action Painting oder der
Cobra-Gruppe, setzte sich in der Fluxus-Bewegung mit intermedialen Darbietungen
fort und Anfang der 1970er wurden Körpererfahrungen gesucht, entwickelt und
dargestellt. Es wurden soziale Beziehungen und Rollen, welche der Körper in ihren
Bedeutungen lebte, dargestellt und hinterfragt. 64
Für den feministischen Aktionismus dieser Zeit lag darin die Möglichkeit, sich des
Handwerkszeuges zu bedienen, welches direkt über die Körperlichkeit seine - ihre Wahrheit beschrieb. Hier zunächst die Enge und den Schmerz der Erwartung und
Entfremdung, beides möglicherweise Zustände im Unbewussten. Dann die Realität
über den Alltag einer Frau: Umwelt, Arbeit, Blutungen, Kinder, Schwangerschaft,
Haut und Veränderung. Um schließlich den einen Schritt zu tun, eigene Ideen zu
zeichnen. " Das befreite erweiterte Material erweitert das Bewusstsein und befreit
den Menschen von alten und beengenden Bedeutungen und Bedingungen. " 65
Dazu eine Aussage von Annegret Soltau über sich selbst: " Ich denke, dass diese
Unruhe, die man ja auch für künstlerische Prozesse braucht, dieses ewige Suchen und
unruhig sein, dass mich gerade das auch antreibt, lebendig macht." 66
Erfahrung bedarf einer Vitalität, um aktiv mit der Umwelt umzugehen. In der Folge
von Sättigung und Stabilität, von Ordnung und Gleichklang stehen veränderte
Bedingungen, Neues, Widerstand, Unordnung und Hunger, Sehnsucht, Bedürfnis und
Gefühl. In dieser Begegnung mit der Umwelt stehen wir Kräften gegenüber, die
hindern und fördern, wenn wir die Kräfte der Materie ver-wandeln. In diesem
Prozess liegt der ästhetische Wert der Erfahrung, weil wir handelnd über unsere
Sinne wahrnehmen. Wie der Künstler dem Objekt die Form gibt, die eine ästhetische
62
ebd.;
A. Brenne, Diskussionsbeiträge zur ästhetischen Bildung, Bd. 7, die Kunst, der Körper, das Textile,
hrsg. v. N. Schütz und M. Blohm, 2005, salon verlag, Köln, S. 30;
64
ebd., S. 30-33;
65
P. Weibel in G. Nabakowski, H. Sander, P. Gorsen, Frauen in der Kunst, Bd. 1, 1980, Suhrkamp
Verlag, Frankfurt am Main, S.139;
66
A. Soltau, Mathildenhöhe Darmstadt, 2006, hrsg. v. Kathrin Schmidt, Ph. Reinheimer GmbH
Darmstadt, S. 4;
63
23
Erfahrung trägt, bedeutet, dass er Erfahrung sucht, die er empfindet. Erfüllt sich sein
Bedürfnis, erhebt er die ästhetischen Eigenschaften, die diese Sinne kommunizieren,
zu ästhetischen Erfahrungen. " Und wenn sich diese Partizipation ", die erfolgreiche
Interaktion mit der Umwelt, " nach einer Periode der Auseinandersetzung und der
Konflikte einstellt, so trägt sie den Keim zu einer mit Ästhetik eng verwandten
inneren Erfüllung in sich. " 67
Es entsteht aus der Fähigkeit, Erfahrungen zu machen, die Fähigkeit ästhetisch
wahrzunehmen, und die " Sehnsucht nach Wiederherstellung der Einheit kehrt bloßes
Gefühl " von Einheit und Erfüllung " um in Interesse an den Objekten als den
Voraussetzungen für die Verwirklichung von Harmonie " - von Gleichklang. 68
So wird im feministischen Aktionismus das Objekt der männlichen Geschichte zum
Subjekt seiner eigenen Geschichte. Annegret Soltau bindet sich in dem leeren
Umraum ihres Werkes selbstverständlich an den Eindruck der Fäden in der Umwelt,
sie tut dieses genauso aktiv wie jeder andere - ob Frau oder Mann - und konzentriert
sich auf die Dichte dieses Raumes, der nicht leer ist. Die Leere im Umraum gibt
Raum für Aktivität und Nähe, auf dem Weg zum Performativen. Hier nimmt
Annegret Soltau den Weg in die Aktivität, sie verlässt die der Frau eigene Passivität,
die Basis und das Charakteristikum der Unterdrückung.
Charlotte Martin schreibt 2006 in Seitenblicke, Sichtweisen auf das Werk von
Annegret Soltau: " Annegret Soltau weist von jeher resignatives Dulden mit Tatkraft
zurück: ... "69
67
ebd., S. 23;
ebd., S. 23;
69
C. Martin, Seitenblicke, Sichtweisen auf das Werk von Annegret Soltau, Darmstädter Dokumente 25,
Wissenschaftsstadt Darmstadt, S. 26;
68
24
1977 BIS 1990
In ihrem Tagebuch notiert Annegret Soltau den Gesprächsinhalt mit dem
befreundeten Maler Robert Preyer 70 und ihre Gedanken dazu. " Er bittet niemanden,
er schert sich nicht um das Publikum. " Sie erwidert gedanklich, " dass ein Künstler
gesehen werden will, um nicht für sich zu arbeiten. Preyer reduziert sich auf das
Wesentliche, auf das Formale, er setzt keine Dekoration ein. Für ihn ist ein
Kunstwerk Horizontale und Vertikale. Auch sein Leben ist reduziert, es gibt kein
Beiwerk, keine Menschen. Kunst muss rein sein. " Für sich selbst entscheidet sie, ´
Reduktion sei gut, aber nicht um bei Geometrie zu landen. ... Sie wolle zur Klarheit
und zur Realität in der Form und im Inhalt. Eine große Form, darin Auflockerung, ...
Erklärung, Leben, ob positiv oder negativ. Nicht die leblose Form. `71
Immer wieder sind ihre Tagebucheintragungen ein Dokument der Suche nach und der
Auseinandersetzung mit der nahen und weiten Umwelt. An einer anderen Stelle
überlegt sie, ob sie selbst zu inaktiv, ja zu faul, zu trocken sei, wenn sie sich nicht
handelnd in der Zeit von Baader und Meinhof engagiere. Sie ist selbstkritisch,
vergleicht die Zeichnungen der Studienzeit mit den aktuellen, welche ihr schlechter
erscheinen.
Sie erinnert sich daran und fordert sich, andere Literatur zu lesen,
Literatur der Frauenbewegung. Sie erinnert sich an die Zeit des Lebens allein, in der
sie keine Minderwertigkeitsgefühle empfand. Sie findet sich nicht in der
Rollenteilung wieder, die Frau sei die schwache und passive, sie sei nicht die
aggressive und zerstörerische. Sie empfindet in dieser Einteilung und dem daraus
folgenden Aktionsradius, der für die Frau bleibt, Ohnmacht. Annegret Soltau beklagt,
kein Vertrauen und kein Wertgefühl zu haben als Frau. Sie sieht auch, dass aus der
Kunst und aus dem Erfolg mit der Kunst keine Bestätigung wächst. 72
Über das Performative Werk, welches in Fotografien festgehalten worden ist,
erarbeitete Annegret Soltau sich in einer erlebten und durchlebten Körperlichkeit
Nähe zu Verstrickungen, zu den Situationen, den Zuständen und den Verhängnissen
in der Gesellschaft. Es sind Formen und Rollen, die dem Menschen als Lebensräume
70
http://www.wiesbadenaktuell.de/nachrichten/news-detail-view/article/geburtstagsdoppelausstellungim-rathaus-und-in-der-galerie-b-haasner.html, 24.8.2011;
71
A. Soltau, Tagebücher, Nachlass zu Lebzeiten, Hessisches Staatsarchiv, Bestand 0 59 Soltau, Nr. 3,
27.11.74;
72
ebd., 13.12.74;
25
angeboten sind, die von einander erwarteten, die Grenzen nicht zu überschreiten. Im
Miteinander herrschte mehr Kontrolle als Respekt, wenn Berührungspunkte
auftraten. Annegret Soltau stellte diese Berührung über die Haut dar. Die
Berührungen hinterließen Spuren und beeinflussten die Beweglichkeit in der
Verstrickung.
Ihr eigenes Unbehagen misstraut. Sie beobachtet bei sich und in ihrer Umwelt direkte
Verletzungen, Enge, Abhängigkeit, Entfremdung und den Schmerz des Schweigens.
Sie beobachtet das Aufbrechen dieser Räume von Innen heraus, weil ihre
persönlichen Erfahrungen nicht in diese Räume passen. Über das Performative Werk
entsteht sichtbare Dynamik, der Körper bewegt sich, welches seine Tiefe Wahrheit
ist. Er bewegt sich und ist bewegt. Sie ist aktiv.
Der Antrieb nährt sich aus der Erregung innerhalb des Organismus, Hunger, Not und
Bedürfnis, er steht unmittelbar vor dem Ausdruck bzw. dem Ausdrucksakt, vor der
Erfahrung. In der Bewegung und mit seiner Energie interagiert er mit der Umwelt, in
solchem Moment erfährt das Bewusstsein die Absicht der Bewegung, weil es sich
mit der Umwelt zunächst auseinandersetzt. Es ist der Moment, indem die Suche in
einer Bewegung beginnt, weil ein Unvollständiges in uns drängt. 73
John Dewey unterscheidet den Ausdruck, den er einem " von innen kommenden
Drang " zuordnet, solcher Art von dem Ausdrucksakt, dass der zweite aktiv unter
"Einbeziehung der Werte früherer Erfahrung " stattfindet - " geläutert und geordnet "
wird. Der bloße Ausdruck steht ohne Bezug zu seiner Umwelt, die Erfüllung bleibt
aus. John Dewey geht soweit, dem Ausdruck seinen Druck zu nehmen, wenn die
Erregung, die Energie, in der Bewegung und der Sehnsucht nicht an einem Stoff in
der Absicht geformt wird, diese zu gestalten. Die Energie verpufft ohne Ausdrucksakt, wenn sie sich in der Bezugnahme zur Umwelt nicht formt.74
Für den Künstler, für Annegret Soltau mag ein Moment des Antriebs in der
Veränderung ihrer Körperlichkeit liegen.
73
74
J. Dewey, Kunst als Erfahrung, 1988, Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main, S. 73;
ebd., S. 76;
26
FOTORADIERUNG
" Ich wusste, dass ich das, was ich tun wollte, in genau dieser Zeit tun musste. Die
Schwangerschaften habe ich als Annäherung an meinen Körper erlebt. "75
1977 nehmen die Fotografie und das Selbstportrait in Fotoperformances einen
bedeutenden Platz in dem Werk von Annegret Soltau ein. Der Faden verliert für
diesen Moment seine haptische Präsens, er verschwindet in der Nadel. Annegret
Soltau bearbeitet in diesem nächsten Werkzyklus schrittweise die schwarz-weiß
Negative verschiedener Selbstportraits. In diesen Fotoradierungen stellt sie sich dar;
mit dem Oberkörper auf einem Tisch liegend; vor dem Tisch sitzend mit einem
Spiegel zu ihrer Rechten, der sie spiegelt; in einer Raumecke stehend mit dem Kopf
gegen die Wand; und nackt mit den Armen um die Knie geschlungen auf einem
Tisch sitzend. Die Bewegung, die Dynamik der Performance erhält ihren Platz
formal in der Reihung der Abzüge und in der Geschichte der Ein-Wickelung. Der
Faden findet sich in der sukzessiven Bearbeitung des Negativs, der Abzüge, die diese
Schritte in der Nachbarschaft zu dem nächsten Abzug verbinden. Er findet sich auch
in der Rückbindung zu seiner Herkunft in diesem Werk, den Drucken und der
wickelnden Linie.
Die Negative werden geritzt. Es werden ihre Schichten dort verletzt, wo die
Abbildung der Person steht. Innerhalb der schrittweise Bearbeitung werden
fotografische Abzüge gedruckt. In den jeweiligen Reihen sind umwickelte Körper zu
sehen. Die Linie, der Faden, legt sich eng und enger um den Körper. Der Körper
verliert sein Aussehen, seine Form und seine Hülle in dem Maße, wie das Geritzte
sich vermehrt und zu Löchern wird. In der Dunkelkammer bilden sich diese Löcher
als schwarze Flecken auf dem Abzug ab. Mehr noch hinterlässt das sich aufrollende
Negativmaterial, welches abgetrennt hinfällig würde, weiße Spuren auf dem Abzug,
weil es der Belichtung widersteht.
Schwarze und weiße Linien, schwarze und weiße Löcher liegen in einer körperlichen
Hülle auf dem Tisch, sitzen vor einem Spiegel am Tisch, gehen gegen eine Wand und
hocken auf einem Tisch. Ein Tisch, wartend daran sitzend, darauf sitzend, eine
Wand, dagegen gehend, der Blick nach innen gerichtet. Im Spiegel das Gesicht und
75
A. Soltau, Seitenblicke, Sichtweisen auf das Werk von Annegret Soltau, Darmstädter Dokumente 25,
Wissenschaftsstadt Darmstadt, S. 10;
27
eine Reihe Sprossenfenster im Hintergrund. Hierhin, in den Spiegel, braucht die
gewartete Zeit mehr Zeit, das Negativmaterial bleibt im Rahmen des Spiegels länger
unverletzt, die Bearbeitungsschritte sind zeitversetzt. Der Tisch und der Spiegel
bleiben erhalten, wobei das Spiegelbild eben ein anderes Stadium vorweist als das
Original, ´Ich, wartend`, 1977, Fotoradierung, 9 schwarz-weiß Fotos, je 24x30,5 cm,
Ausschnitt.76
´Ich, bedrückt`, 1977/78, 4x5 Abbildungen (Abb. 8, S. 77)', der Oberkörper Annegret
Soltaus liegt auf einem Holztisch, nach rechts oder links, erfährt die schrittweise
Bearbeitung mit der Radiernadel und bleibt als Hülle zurück. In der Reihe ´da-gegengehen`, 1977-79, Fotoradierung, 12 schwarz-weiß Fotos,77 ist im ersten Bild nur die
Wand abgebildet, daraufhin wächst der Kopf in das Bild, wird Körper, der im fünften
Bild schräg vor der Wand lehnt. Die schwarzen Löcher nehmen derart Größe an,
dass der zwölfte Abzug schwarz ist, ein Loch. Auch ´allein`, 1979, 1-13,
Fotoradierung, 13 schwarz-weiß Fotos,78 ist mit dem Negativrand als Gegenstand
daneben gestellt ein schwarzes Bild in dem letzten Abzug, Annegret Soltau sitzt
nackt auf einem Tisch. Ein Bild von einem Loch und der Rest des Negativs daneben
gestellt. In diesen Arbeiten zeigt sich für einen kurzen Moment Mobiliar im Werk
von Annegret Soltau, der Tisch, der Spiegel, der Stuhl und das Sprossenfenster, was
sich in den folgenden Arbeiten sofort wieder in leeren perspektivlosen Raum
wandelt.
Das dynamische Zerkratzen des Negatives, ein zerstörerischer Akt, etwas
unwiederbringliches findet statt und verschwindet in sich. Das Portrait, die Person
darauf macht Platz. Ohnmacht und Ausgeliefertsein an den Körper löschen aus oder
stellen Fragen. Für Annegret Soltau sind beide Schwangerschaften eine existenzielle
Bedrohung. Es bedeutet Veränderung jeden Tag, es bedeutet fest eingebunden zu sein
in der Schwangerschaft, in der Geburt, in der Beziehung zu den Kindern und in der
Verantwortung über die Kinder. Sie empfindet es als etwas Zwingendes, als eine
Gewalt in dem Zeitablauf.
76
A. Soltau, Von innen nach außen, Darmstädter Kunstedition Merck 37, 1996;
A. Soltau, Mutiere oder verwandele ich mich, Hessisches Landesmuseum Darmstadt, Harold Vits &
bureau, S. 12;
78
A. Soltau, Versuche, Saarländische Zeitschrift für Literatur & Grafik, St. Wendeler Buchdruckerei
und Verlag, 17/1981;
77
28
ZUSTÄNDE
" Als Frau bin ich stärker eingebunden in ganz bestimmte Lebensprozesse. Wenn ich
mich beispielsweise darauf einlasse, schwanger zu werden und zu bleiben, dann bin
ich natürlich ganz fest eingebunden in diesen Zeitablauf der neun Monate, und ich
kann nicht mehr aussteigen, also das ist das Zwingende oder die Gewalt dieses
Zeitablaufs, und er endet immer mit der Geburt. " 79
Das geschlechtliche Wesen der Frau war es, welches ihren Platz und ihre Rolle in der
Gesellschaft charakterisierte. Von ihrer Gebärfähigkeit ausgehend wurde sie als
reproduktiv, nachschaffend verstanden. Ihre Berufung blieb der Naturberuf, welcher
im Zeugungsakt passiv verstanden passiv gegenüber der aktiven Zeugungskraft des
Mannes stand. " Die ´logische Konsequenz ihrer physischen Organisation, d.h. eben
ihrer passiven Rolle im Geschlechtsleben` sei, dass der Frau die zeugende
Produktionsweise des Mannes nicht liege und ihr deshalb ´die kunstschöpferische
Gestaltungskraft gänzlich versagt ist. Die künstlerische Tätigkeit der Frau ist im
ganzen und großen ausschließlich nachschaffend`, es kann die Frau in der
Kunstgeschichte einzig als reproduzierendes Genie geben. "80
Genialität, die Frau hat sie auf den Gebieten, " wo sie ihre leiblich-geistige
Persönlichkeit ohne jede Einschränkung einsetzen kann: im Leben und in der
Liebe."81 Das geschlechtliche Wesen der Frau war es auch, welches in einer
"widernatürlichen Entartung,"82 wenn es seine Natur verfehlte, wenn es die
wesentlichen Funktionen nicht ausübte, wenn es schöpferisch tätig war,
geschlechtslos als Mannweib, als physischer oder psychischer Zwitter zurück blieb.
Sie scheiterte als weibliche Frau und war als emanzipierte Frau geschlechtslos. In
Folge der Geschlechtslosigkeit stand der Verlust der Kulturzugehörigkeit. Sie stand
im Raum ihrer Zeit ohne eine Rolle zu spielen, für nicht konkurrenzfähig erklärt und
im Verlust ihrer Weiblichkeit.
Die Lebensprozesse der Frau sind es, die im Werk vieler feministischer
Künstlerinnen hervorgeholt werden, in das Bewusstsein gerückt werden, dieser
79
A. Soltau, ZeitErfahrung, Hessisches Landesmuseum Darmstadt, Roether-Druck, 1994;
G. Nabakowski, H. Sander, P. Gorsen, Frauen in der Kunst, Bd. 2, 1980, Suhrkamp Verlag,
Frankfurt am Main, S. 24;
81
ebd., S.23;
82
ebd., S 25-26;
80
29
Geschlechtslosigkeit und Kulturlosigkeit mit der inneren Kultur entgegen zu wirken,
mit dem Unbewussten und dem Eigenen das Bild nicht nur zu korrigieren, das Bild
entsprechend einer und der eigenen Wahrheit zu schaffen.
Auf der einen Seite steht die Künstlerin. Ihr Werk sammelt in der Interaktion mit
ihrer direkten Umwelt Erfahrungen zusammen, Erfahrungen aus vergangenen
Begegnungen und Erfahrung im gegenwärtigen Umgang mit den Materialien, die in
ihr - in der Künstlerin - Sehnsüchte und Bedürfnisse wecken. Aus einem Handgriff,
einem Symbol und einer Erfahrung entsteht ihre menschliche Form, einem Material
begegnen zu wollen, indem sie sich ausdrückt und ihre Summe der Erfahrungen
nachvollziehbar macht. " Unmittelbarkeit und Individualität, die das konkrete Dasein
kennzeichnen, ergeben sich aus augenblicklichem Anlass; Bedeutung, Gegenstand
und Inhalt ergeben sich aus dem, was von der Vergangenheit her im Ich verankert
ist."83 Auf der anderen Seite steht die Frau, das weibliche Geschlechtswesen, sich
unterscheidend von dem männlichen Geschlechtswesen, weil in ihrem/seinem Körper
ein Mensch von der Zygote an über die ersten Zellteilungen, über den Embryo neun
Monate heranwachsen kann. Ihr Körper gibt sich diesem Prozess hin, und sie geht
über die Geburt hinaus eine Symbiose mit dem Neugeborenen ein, um es zu nähren,
physisch und psychisch. In dieser körperlichen Fähigkeit - gelebt oder ungelebt - wird
immer ein Unterschied zu dem anderen Geschlecht liegen, die jede Art von
Lebendigkeit beeinflusst, die John Dewey in seinem Begriff der Erfahrung mit
einbezieht, wenn er Leben bedeutet. Als drittes tritt eine weibliche Rolle auf, der es
aus seiner ideellen Geschichte heraus nicht möglich sein soll, künstlerisch zu
schaffen, während ihre Physis sich reproduzierend ausdrückt. Eine Rolle, die nicht
erlebt oder gelebt, der Frau die der Weiblichkeit nehmen kann.
Diese Rolle ist aber schon umstritten, in der weiblichen Kunst der 1970er begegnen
sich Körperlichkeit und Umwelt, um die Grenzen zu überwinden und eine eigene
Ästhetik zu schaffen. Neben und mit den körperlichen Gegebenheiten ist ein jedes
menschliche Wesen mit Erfahrung begabt, weil es erleidet, tut, handelt und plant im
Ereignis der Erfahrung.
Annegret Soltau gibt sich mit der Entscheidung, Kinder zu haben, bewusst einem
Prozess hin, aus dem sie, wie sie selbst sagt, ´nicht mehr aussteigen könne,` einem
83
J. Dewey, Kunst als Erfahrung, 1988, Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main, S. 87;
30
Prozess, der noch den Ruf hat, einer Frau die künstlerische Kreativität zu nehmen,
einem Prozess, der weiblicher nicht sein kann, einem Prozess, dem immanent eine
dominante organische Dynamik ist, und einem Prozess, der beiden Angst einjagen
kann, der Frau und der Künstlerin. Sie sucht eine distanziert beobachtende und
wahrnehmende Haltung zu den Prozessen in ihr und vermittelt das Zwingende und
den Druck - ihrer Zeit.
DIN A4 HEFTE
In ´Zustände`, 1978/9 (Abb. 9-10, S. 78-79), trägt sie in einem DIN A4 Heft
körperliche Zustände zusammen, die den Körper befallen. In diesem Heft mit zehn
fotokopierten Blättern wird auf einigen Seiten fotografisches Material nackter
Ganzkörperportraits liegend und sitzend abgebildet. Die Abbildungen sind von
Rahmen aus getippten Zeilen gerahmt, hier jeweils 14 oben und unten, auf anderen
Abbildungen 17, 6 oder eine andere Anzahl von Zeilen. Dem abgebildeten Foto sind
Fragmente entrissen, ihm wird das Innere der Hülle ausgerissen und mit groben
Stichen wieder eingenäht, der Faden erscheint wieder. Andere Abbildungen zeigen
Fotoübernähungen von Passfotos der Künstlerin, in Reihen zueinander gestellt oder
collagiert.
Auf dem Titelblatt ist eine Abbildung von Annegret Soltau nackt. Sie liegt noch nicht
ganz oder nicht mehr, ihr nackter Körper ist noch erhoben. Der Körper weist große
Nähte entlang der Arme und Beine, über den Busen und das Gesicht. Es sind
Fotovernähungen, die wie Narben unregelmäßige Formen haben, die mit groben
Stichen das vorher eingerissene Foto wieder zusammen genäht haben, und die an der
Nahtstelle das weiße Material des Fotopapiers zeigen. Die Abbildung ist oben und
unten in die sich wiederholenden und getippten Worte ´in Zustände FALLEN in
Zustände FALLEN in Zu...` gerahmt.
Auf dem folgenden Blatt sind 2x4 Passfotos von Annegret Soltau mit grobem Faden
übernäht und gerahmt von den Worten
´Verspannungen HABEN Verspannungen HABEN Versp...`. Auf der Rückseite
dieses Blattes sind die Fäden der Übernähung zu sehen. Eine Reihe grafischer Linien.
31
´ausgeliefert-SEIN ausgeliefert-SEIN ausge...` , ein kleines einzelnes Foto in der
Mitte mit der Hülle eines Körpers halb liegend, bis zur Unkenntlichkeit übernäht und
mit sechs Stichen an den Untergrund genäht. Wie ein Luftschiff im Boden verankert.
Zu ´ausgeliefert-SEIN ausgeliefert-SEIN ausge...` auf der Rückseite das nächste
Blatt, eine Fotovernähung des Körpers von Annegret Soltau. Im Foto ist der Körper
zunächst an den Tisch gebunden, ihr Kopf ist erhoben. Das Foto ist hernach vernäht,
die Beine sind auseinander gestellt, in die Scheide ist der Fotoabriss eines Kiefers
genäht. Darunter wiederholt sich dazu collagiert der Ausschnitt der Beine und
Scheide, und allem übergeklebt ein Polaroid einer sitzenden Frau im Bikini, die
Beine weit auseinander gestellt. Auch das Polaroid ist im Körper der abgebildeten
horizontal und vertikal eingerissen und vernäht.
´lachen-MÜSSEN-lachen-MÜSSEN-lach...`, Fotocollagen mit vernähten Gesichtern
und einem Mundausschnitt. Die Rückseite mit den grafischen Fäden gerahmt von
´chen-MÜSSEN lachen-MÜSSEN la...`.
´BRECHEN bis zum zer-BRECHEN bis zum zer-...` die Fotovernähung eines
lachenden Mundes, auf der Rückseite der nackte Oberkörper mit lachendem Gesicht.
´CHEN bis zum zer-BRE...`, dem Oberkörper sind nun nicht mehr die Originalteile
eingenäht worden und dem Gesicht fehlen die Augen. Es folgen ´lachen-Müssen
lach... `, ´in mir selbst BLEIBEN in mir selbst BLEIBEN...`, ´einsam-WERDEN...´
und ´mit anderen austauschen WOLLEN...`, ein Blatt mit 2x3 vernähten Passfotos
gefolgt von den grafischen Linien der Nähte auf der Rückseite, beide Seiten gerahmt
mit dem Getippten. Das letzte Blatt mit 5x5 vernähten Passfotos und je einer Zeile
Getipptem - oben und unten, ´...mit anderen austauschen WOLLEN mit...`
Und, gibt sie sich dem hin? Wird sie über ihre Schwangerschaften ihre kreative Kraft
verlieren? Wer ist sie, Mutter oder Künstlerin?
Der Kunsthistoriker Karl Scheffler schrieb in seinem Reisebericht über die
Kunststadt Paris ein eigenes Kapitel über die Geschlechter, in dem er die Pariserin
stellvertretend für das weibliche Geschlecht sah, wie sie den Mann zu Aufstand und
Revolution anstachelte, zu den schlimmsten Grausamkeiten trieb. Er beschrieb sie,
die vor einem Kinderlächeln nicht weich wurde, die nicht schön war, und schloss aus
seinen Beobachtungen, nur gebärende Frauen sich spezifische Weiblichkeit erhielten:
" Die unfruchtbare, und am meisten die künstlich unfruchtbare Frau ist im Instinkt
32
immer mehr oder weniger aggressiv maskulin."84 Er attestierte ihr, die sich
künstlerisch betätigte, Verkleinerung, Krankhaftigkeit oder Hypertrophie des
Geschlechtsgefühls, von Perversion oder Sterilität begleitet. ... " Denn das geistige
Wesen der Frau ist im hohen Maße mit ihrem Geschlechtsbewusstsein verwachsen,
viel mehr als beim Manne. "85
Als Gislind Nabakowski und Andere 1980 ´Frauen in der Kunst` herausgaben,
beschrieben sie Schefflers Werk ´Die Frau und die Kunst` (1908) als den bis dato
ausführlichsten
Versuch
von
kunsthistorischer
Seite,
die
schöpferische
Unselbständigkeit der Frau zu beweisen. Als einflussreicher Kunsthistoriker und
Publizist im ersten Drittel des 20. Jahrhundert stellte er dieser Unselbständigkeit ein
weibliches Geschlechtsgenie gegenüber: " Von der Natur aus zur Mütterlichkeit
bestimmt, gravitiert alles Fühlen und Denken der Frau zur Mutterschaft. Wenn es für
sie auch, ebenso wie für den Mann, gilt, dass sich der Geist den Körper baut, so
determiniert bei ihr doch auch das Körperliche viel mehr den Geist."86
Der enge Kontakt der Frau zu ihrem Körper, weil er sich der Natur zu gewissen
Zeiten nur unterordnen kann, die Natur sich in ihm deutlicher manifestiert, wird der
Frau angelastet. Der Natur sich als Wissender, als Bedeutung gebender, als
Formender hinzugeben, widerspricht dem Gefühl der Macht des so Tuenden. Dass
die Natur da ist, das sie Material gibt, dem der Mensch unter Erfahrung Bedeutung
und Form abgewinnt, dass unser Körper geht, wie er kommt, dass sie uns formt,
wenn wir formen, ist ein Hinweis auf ein gleichwertige Beziehung von Natur und
Mensch. Er kann nur eine Beziehung führen, wenn es gewisse Beständigkeiten in den
ästhetischen Eigenschaften dieser Natur gibt, Ordnungen, sonst gäbe es keine
Erfahrungen mit Bedeutungen, wohl in der Folge auch keinen Geist als ein Ort des
Bewusstseins. Ordnung als Ort der Erfahrung, die sich neu anpassen wird, wenn die
gewisse Beständigkeit sich in den Fluss, den Rhythmus, der Zeit gibt. Das
Machtgefühl ist in der Form und mit der Form, weil der Mensch sich daran erkennt.
Gewinnen als Ausdruck von Macht tut er nur die Erfahrung und das Leben. Er
gewinnt die Form aber nicht ohne die ästhetischen Eigenschaften der Materie. Die
84
G. Nabakowski, H. Sander, P. Gorsen, Frauen in der Kunst, Bd. 2, 1980, Suhrkamp Verlag,
Frankfurt am Main, S. 27;
85
ebd., S. 27;
86
ebd., S. 28;
33
kreative Beziehung ist eine gleichwertige Beziehung von Materie und Mensch.
Es gibt viele Gründe, Körper und Geist voneinander zu trennen. Dass der Mann sich
dieser Art von der Frau trennt, mag in ihrer Nähe zu der Natur und dem Tod liegen,
mag in seinem Wissenwollen liegen, was er nur daran erkennt, wenn das Gegenüber
nicht weiß. Es mag daran liegen, dass die Form hinfällig wird wenn sich die
Bedingungen ändern, also die Natur sich in Naturereignissen ausdrückt.
Die Zustände und das Ausgeliefertsein eines Körpers im direkten Bezug zu seiner
Umwelt, der Resonanzkörper im Werk von Annegret Soltau identifiziert sich in den
Darstellungen
der
eigenen
Schwangerschaften
kompromisslos
mit
dem
Geschlechtsgenie, weil es in diesem Moment der Ort ihrer Erfahrung ist: Der Körper
schafft und das ihm angeschlossene Bewusstsein nimmt wahr.
Maria Lassnig87 vollzog in 1970er Jahren einen Wechsel ihres Standpunktes als
Malerin, die von sich selbst sagte, " der die Natur analysierenden Malerei müde "
geworden zu sein. Sie nannte ihre Bilder, in denen es zu einer Verschmelzung innerer
Gefühle mit äußeren Objekten kam, " körperbefindliche Malerei ", weil sie auf der
Suche nach mehr Realität, " die mehr in meinem Besitz wäre als die Außenwelt ", ihr
eigenes Körpergehäuse realer empfand als die äußere Realität.88
Ein weiteres DIN A4 Heft ´schwanger`, Annegret Soltau 78 (Abb. 11, S. 80, Abb. 12,
Soziogramm, S. 81), enthält Abbildungen von Fotovernähungen und Soziogrammen:
Sie selbst vorn übergebeugt stehend, die Arme im Kreis hängend vor dem Leib, als
hielte sie eine Last; sie selbst stehend mit den Armen hinter sich verschränkt; sie
selbst auf dem Tisch gebunden und liegend; wieder liegend auf dem Tisch nicht
angebunden.
Alle Darstellungen ihres nackten Körpers zeigen die Narben der Vernähungen,
zeigen das weiße Fotopapier an der Rissstelle. Eine Zahnreihe in der Scheide
eingenäht und nur eine einzelne Brustwarze, die Anatomie beginnt zu derangieren,
während die Körperhüllen erhalten bleiben. Die Soziogramme stellen Phasen der
Schwangerschaft und des Bewusstseins in stenografierten Worten dar, stellen
Eindrücke und Bedeutungen zueinander, opponieren Gefühle mit Ideen, ziehen
87
http://de.wikipedia.org/wiki/Maria_Lassnig, 22.8.2011, geb. 1919, österreichische Malerin und
Medienkünstlerin, 23.8.11;
88
G. Nabakowski, H. Sander, P. Gorsen, Frauen in der Kunst, Bd. 2, 1980, Suhrkamp Verlag,
Frankfurt am Main, S. 42;
34
gestrichelte und durchgezogene Linien für ihre Beziehungen. Annegret Soltau
benennt und beobachtet die schnelle Veränderung in ihrem Leib, die Emotionen, die
Wünsche, die Last, die Angst, die Unwissenheit, die Ausweglosigkeit, die Beziehung
und den Plan - die Geburt.
´geboren-WERDEN
geboren-WERDEN...`
und
´gebären-MÜSSEN
gebären-
MÜSSEN...` Die rhythmischen Endlosschleifen der Titel, die Soziogramme in
Telegrammstil und die berstenden Nähte, denn immer scheint das weiße Papier
hindurch, üben Druck, Zeitdruck aus. Diese Hefte sind keine Lektüre, sie geben
schnell mitgeschriebene Stichworte für ´Leere + Unlust`, für ´Ahnung + Reaktion +
Andere + Unsicherheit`, für ´Lebenszeichen`, für ´Schwere`, für ´Brechen`,
für
´Idee`, für ´Dehnung`, für ´Stürzen`, ´ich hänge fest`, ´langsames Zeit-Vergehen`,
´Lähmung`, ´ Veränderung + Grund `, ´ Zeichen + hören + fühlen = sehen dadurch. `
Annegret Soltau trifft mit diesen Schwangerschaften eine tiefe Unsicherheit. Bleibt
einer Frau ein Werk und die Fähigkeit, dieses fortzusetzen, wenn ihr Körper so stark
einem Bedürfnis folgt und die Erfüllung dazu findet? " Meine Angst saß viel tiefer.
Ich befürchtete, die Männer, die Jahrhunderte lang behauptet hatten, dass sich das
doppelte Schöpferisch-Sein-Können von Frauen in Kunst und Natur gegenseitig
ausschließt, könnten vielleicht doch Recht haben. "89
Sie trifft auf einen
allgemeingültigen Grund der Trennung in Kultur und Natur, weil der Natur in ihren
Prozessen sich verausgabend keine Zeit bleibt zu analysieren, keinen Stanpunkt
einnimmt, Wirkendes zu sehen, was die Kultur als bedeutend für sich vereinnahmt.
Wobei, Kultur ist das Zeugnis für stattgefundene Interaktion zwischen Mensch und
Natur, ist das Zeugnis für diese Beziehung, " stellt nicht das Produkt von
menschlichen Kräften dar, die sich im leeren Raum oder aus sich selbst heraus
entfalten, sondern sie ist das Ergebnis einer umfangreichen und sich steigernden
Interaktion mit der Umwelt, " mit der Natur. 90
Im Frühjahr 1983 notiert Annegret Soltau ein Gespräch mit Jacky Rohleder, einem
befreundeten Galeristen, Kunstwerkstatt Darmsttadt,91 in dem er die Trennung von
Körper und Geist unterstützt, weil keine Einheit zu schaffen ist. Annegret Soltau
89
A. Soltau, Mathildenhöhe Darmstadt, 2006, hrsg. v. Kathrin Schmidt, Ph. Reinheimer GmbH
Darmstadt, S. 138;
90
J. Dewey, Kunst als Erfahrung, 1988, Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main, S. 38;
91
A. Soltau, e-mail, marti.ohrt@hotmail.de, 22.8.11;
35
fragt sich, ob ein Mann weniger Körperbewusstsein besäße, somit der Körper
weniger Bedeutung hätte. Ist die Folge daraus, dass eine sexuelle Regung als Störung
bei geistiger Arbeit empfunden zu dieser Trennung von Geist und Körper beitrüge?
" Verbindet man diese: im Körper den Geist spüren - im Geist den Körper
wahrnehmen. Kunst ist geistig, kann auch körperlich sein, weil sie aus dem Körper
kommt. Ebenso wertvollste Kunst aus der Symbiose beider, wie der Mensch auch
beide Pole gleichwertig in sich vereint hat, den weitesten Blick hat. Der Geist ist mir
weniger bewusst als der Körper. Ich weiß nicht, genau den Geist zu definieren. " 92
Diese Trennung von Geist und Körper kann sich auf den Moment der Handlung
beziehen, in dem der Geist von ihm entfernt ist, und Geist selbst von einer Handlung
an sich entfernt sein kann.
Im Selbstportrait dieser Zeit stellt sich das abweichende Bild dem angepassten Bild
gegenüber. Es untersucht die Körperlichkeit in Rollen und zeitlich begrenzten
Zuständen, von denen es unter Umständen ein Bild gab, dass aber als fremd
empfunden wurde, weil es nicht der Realität entsprach. Der Schritt in die Darstellung
der eigenen Körperrealität in den Bereichen des Alltags sprengt die Vorgabe und
Ordnung, gibt Raum für individuelle Bedürfnisse. Als Medium und Material - der
Schritt und der Körper formen und re-formieren. Die Realität mag danach eine
andere werden, von der Langeweile und Einsamkeit bei Abwasch und Haarefärben
über
Verlustgefühle
in
Körperzuständen
bis
hin
zu
Schmerzen
und
unwiederbringlichen Veränderungen. In dieser Ambivalenz und der Darstellung der
Wirklichkeit von Unterdrückung bis zu alternativen Ansichten beginnt die
Frauenkunst. Judy Chicago nannte es das verbindende Element, wenn in der
Produktionsweise verschiedener Künstlerinnen keine Aufteilung in Subjekt und
Objekt stattgefunden hat, weil die gesehene Form gleichzeitig die erlebte Form
geworden war.93
Über den Körper, " einer Einheit aus Bewegungskraft und Sinnesstruktur, " erfährt
der Mensch seine Lebensfähigkeit. Begegnet diese Einheit Stagnation, Hindernissen
und Widerständen, entstehen Wünsche und Begehren. John Dewey benennt diese
92
A. Soltau, Tagebücher, Nachlass zu Lebzeiten, Hessisches Staatsarchiv, Bestand 0 59 Soltau, Nr. 17,
10.4.83;
93
G. Nabakowski, H. Sander, P. Gorsen, Frauen in der Kunst, Bd. 2, 1980, Suhrkamp Verlag,
Frankfurt am Main, S. 42-43;
36
Einheit auch " organisches Verlangen " als " Quelle für die Bindung an Objekte. "
Ein Interesse und eine Aufmerksamkeit der Umwelt gegenüber, genährt aus Suchen
und Fortbewegung, gefunden über Trieb, Antrieb und instinktives Handeln, nimmt
"Gestalt und Tragweite " - Bedeutung - an, weil ein erfolgreicher Austausch mit
dieser Umwelt stattfinden darf, die Bewegung im Austausch selbst lohnt sich. " Da
Leben Aktivität ist, entsteht, wann immer ein Handeln verhindert wird, ein
Wünschen und Begehren. "94
Er fasst diesen Vorgang, den Austausch mit der
Umwelt, wenn er in das Bewusstsein dringt, als in einer Perzeption, wenn die
organische Einheit von Körper und Ich das Wahrgenommene mit Wert aufladen und
wahrnehmen. Für den Künstler, die Künstlerin, dürfen diese Sinnesstruktur und
Bewegungskraft nicht abgetrennt werden von seinen und ihren Gedanken, weil der
Körper in dieser Einheit sich nicht bloß nährt, er erfährt über seine ästhetische
Begabung.
" Für mich ist der Körper auch eine Erkenntnisquelle, der ich mich nicht verschließen
möchte. Nur so kann ich teilhaben an der Darstellung eines veränderten
´Frauenbildes`, indem ich ohne Rücksicht auf Andere den offensten Ausdruck
meines Selbst finde, um vorgeprägte Bilder zu durchbrechen. " 95
TABLEAUS
Ihr Fotografisches Werk setzt sich in einem Zyklus mit Fotoradierungen fort, die in
Tableaus präsentiert sind. Annegret Soltau dokumentiert sehr genau ihre
Schwangerschaften. Zu der zweiten Schwangerschaft entstehen Fototableaus mit 42,
80, 135 oder mehr Abbildungen. Sie hebt mit diesen Fotoradierungen das Lebendige
im Austausch mit sich hervor. Helke Sander zitiert in ´ Frauen in der Kunst ` eine
Beschreibung von Mütterlichkeit von Negt/Kluge, die die gelungene Mutter-KindBeziehung als eine Produktionsweise matriarchalischer Herkunft beschreiben, die
sich nicht auf einen funktionierenden Hormonhaushalt reduzieren darf. In den
entsprechenden Umgangsformen, die darauf abzielten, das Kind nach seinen
Fähigkeiten zu behandeln, und seine Bedürfnisse zu stillen, liegt eine den
Mechanismen der Umwelt eigentliche Überlegenheit. Wenige Zeilen weiter wird
94
95
J. Dewey, Kunst als Erfahrung, 1988, Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main, S. 298-300;
A. Soltau, ZeitErfahrung, Hessisches Landesmuseum Darmstadt, Roether-Druck, 1994;
37
diese Produktionsweise der Anspruch an die Emanzipation, ihre Erfahrungen in den
Alltag der Gesellschaft zu integrieren.96
Im Zentrum der Arbeit ´schwanger`, 1980-81, Fotoradierung, 9x15 schwarz-weiß
Fotos auf 156x186 cm,97 stehen vertikal neun schwarz-weiß Abzüge des mit
Schwangerschaft anwachsenden Leibes von Annegret Soltau. Ist der erste Abzug eine
Aufnahme des ganzen Körpers, so zeigt der letzte von oben nach unten gelesen noch
den prallen Bauch. Jede horizontale Sequenz wendet sich nach rechts und links von
dem schwangeren Bauch im Zentrum des Tableaus ab. Das Negativ wird schrittweise
von der Radiernadel zerkratzt und belichtet. Um den Körper legt sich eine feine
Linie, dann erfasst die Radiernadel den Umraum, Flächen brechen aus dem
Negativmaterial, so dass abstrakte schwarze und weiße Flecken entstehen. Das Bild
als Abbildung verschwindet unter der Bearbeitung. In der Zeit der Schwangerschaft
gibt sich der weibliche Körper dem neuen Leben hin. Nicht das Außen ist hier
beeinflussend, es ist das Innen, Teil seiner selbst. Dieses Tableau setzt sich aus
Momenten zusammen, die nicht still zu stehen scheinen, weil es sich in zwei
Richtungen ausdehnt, es sich um Wachstum handelt.
Das Tableau ´geteilte Mutter-Säule`, 1980/81 (Abb. 13, S. 82) bildet den
schwangeren Leib in einem Moment und die erstgeborene Tochter im Alter von zwei
Jahren ab. Wieder ist der Körper vertikal zentral platziert. Rücken an Rücken stehen
zwei Bäuche, die die Abzüge ausfüllen. Von oben nach unten entfernen sie sich von
einander, die Bäuche - der Ausschnitt - werden kleiner und erhalten Arme, Po und
Beine, bis der ganze Körper in das Bild gerückt ist und auf eine schwarze Fläche
blickt. Zu beiden Seiten der Abbildungen des Bauches ist das den ganzen Körper
abbildende Negativ mit der Radiernadel bearbeitet, wobei hier die schwarzen Flächen
überwiegen, die sich neben den Körper von Annegret Soltau oder neben den der
Tochter stellen. Die Mutter wendet ihren Blick nach unten und außen, die Tochter
zur Säule hinauf. Weiße Flächen sind dort, wo die Körper ausradiert sind. In diesem
Tableau stehen die schwarz-weißen Abbildungen diagonal und die schwarzkörperlichen Abbildungen diagonal zueinander.
96
G. Nabakowski, H. Sander, P. Gorsen, Frauen in der Kunst, Bd. 1, 1980, Suhrkamp Verlag,
Frankfurt am Main, S.52;
97
A. Soltau, Mathildenhöhe Darmstadt, 2006, hrsg. v. Kathrin Schmidt, Ph. Reinheimer GmbH
Darmstadt, S. 46;
38
Ein persönlicheres Tableau ´Erwartung`, 1980/81, Fotoradierung, 5x12 schwarz-weiß
Fotos auf 96x225 cm,98 zeigt den schwangeren Oberkörper von Annegret Soltau sich
selbst zugewandt und einen größeren Ausschnitt, in dem sie lächelt und sich dem
Außen zuwendet. Beiden Darstellungen ist das identischen Bild gegenüber gestellt,
sich spiegelnd zugewandt oder abgewandt. Fünf vertikalen Reihen aus Paaren stehen
rechts und links jeweils eine sich nicht spiegelnde Reihe zur Seite. Im Zentrum des
ganzen Tableau bleiben zwei Abzüge unbearbeitet stehen.
´Im Gleichgewicht`, 1980/81, Fotoradierung, 10x8 schwarz-weiß Fotos auf 127x112
cm,99 zeigt Tochter und schwangere Mutter sitzend auf dem Boden, Mutter sitzend
abgewendet und Mutter mit Tochter im Arm sitzend auf dem Boden. An den Füßen
im Rand der Abzüge liegt jeweils eine Spiegelachse. Der schwangere Leib mit und
ohne Kind sitzt sich selbst gegenüber. Für das Auge ist Symmetrie in der Anordnung
der vertikalen Reihen und sich spiegelnden Abzügen wahrnehmbar. Mutter und
Tochter werden vertikal abwärts, rechts im Tableau ist die Tochter im Arm der
Mutter, links sitzen beide nebeneinander. Während das Licht widerstandslos das
Fotopapier schwarz färbt in der zentralen Darstellung, werden die Leiber nach unten
gelesen sichtbarer. Im Zentrum sitzt die schwangere allein ihrem Spiegelbild
gegenüber, den Blick abgewendet, und verschwindet in dem belichteten Raum
vertikal abwärts. Rechts und links der zentralen vertikalen Reihe, in der die
Schwangere sich selbst gegenüber sitzt und nach hinten hinaus blickt, sind zwei
Reihen einzelner bzw. nicht gespiegelter Abzüge vertikal gesetzt, die nur einen Rest
an Körper und überwiegend schwarze Fläche abbilden. Neben der Symmetrie der
Spiegelungen entfaltet sich eine Symmetrie über Helligkeit und Dunkelheit von recht
nach links gelesen.
In ´Einheit und Trennung`, 1980/81, (Abb. 14, S. 83) sitzen Tochter und Mutter im
Schneidersitz mit einem Teddy zwischen sich und schauen einander an, mal zur
linken mal zur rechten Seite. Wieder stehen ein Bild und sein Spiegelbild
nebeneinander, wieder zeigt sich über diese körperliche Symmetrie hinausweisend
eine grafische Symmetrie, die unten links im Tableau mit schwarzen Flächen sich
über die Mitte vertikal nach oben und schließlich nach rechts mit denselben
schwarzen Flächen windet.
98
99
ebd., S. 42;
ebd., S. 48;
39
Es entstehen rhythmische, schwarz-weiße Collagen mit vertikaler und horizontaler
Lesrichtung.
Die
Pluralität
des
Körpers,
des
umgarnten
Körpers,
des
verschwindenden Körpers und die abstrakten Flächen, die Raum geben und nehmen,
die filmisch aneinander gereihten Abbildungen des Prozesses der Bearbeitung mit der
Radiernadel erzählen. Wer oder was verschwindet eigentlich, die Flächen oder die
Körper? Wer oder was löst sich auf und nimmt sich Platz?
Den Vergleich der weiblichen Kunst mit der männlichen Kunst dort gezogen zu
haben, wo seine Werke sich lohnenswerter verkauften, er präsenter der Kultur voran
stand, löste sich mit zunehmender Bildung und daraus folgender sozioökonomischer
Unabhängigkeit der Frauen auf. Die Struktur des Reproduktionsmodells Familie
durfte sich in der Rücksichtname auf die Tätigkeiten und Fähigkeiten aller
Beteiligten ändern, es entstanden Toleranz und Arbeitsteilung. Die reproduktive
Rolle der Frau war um die indirekte Wirkung auf die Kultur über ihren Lebenspartner
erweitert worden, sie durfte ihn anspruchsvoller direkt beeinflussen und bilden.
MÜTTERLICHKEIT UND FÜRSORGE
Sie, die Frau gleich in die Industriegesellschaft und der Produktionsweisen dort zu
entlassen, wurde in der Erkenntnis ihrer ganzheitlichen Leistung kritisch betrachtet.
Der familiäre Bereich wurde als eine ´gestaltete Ganzheit ` beschrieben, die in all
ihrer ´ Mannigfaltigkeit von einem durchaus einheitlichen Sinn gelenkt ` eine
Synthese schaffte. " Hier ist ein objektives Gebilde, dessen Eigenart mit nichts
anderem verglichen werden kann, durch die besonderen Fähigkeiten und Interessen,
Gefühlsweise und Intellektualität der Frau, durch die ganze Rhythmik ihres Wesens
geprägt worden. "100 Die Fähigkeit zu einer gestalteten Ganzheit mag sich begrifflich
in der Mütterlichkeit auf den Bereich Mutter-Kind-Haushalt beziehen und scheint
dort in der Geschichte der Frau als wie immer begabtes Wesen gefangen. Dieselbe
Begabung als Fürsorge betrachtet und benannt, erweitert und öffnet den Raum. Sie
wird sich entsprechend ihrer ästhetischen Empfindung Materie und Form suchen, im
Ausdrucksakt ihrer körperlichen Einheit Erfahrungen darstellen, für sich als
Interaktion mit ihrer Umwelt und für das Bewusstsein des Betrachters als
100
G. Nabakowski, H. Sander, P. Gorsen, Frauen in der Kunst, Bd. 2, 1980, Suhrkamp Verlag,
Frankfurt am Main, S. 63;
40
ästhetisches Ereignis.
Dieser Anspruch an die Produktionsweise herrschte in den männlich hierarchisch
organisierten Produktionsbereichen nicht. Wettbewerbsorientiert ging es nicht um die
Bedürfnisse anderer, und profitorientiert ging es nicht um den Menschen an sich.
Der Kapitalismus entfremdet den Menschen, er " produziert Entfremdungsstrukturen
im Verkehr der Menschen, die der weiblichen Entfaltung hinderlich sind. "101 Die
Frau, ist " Produzentin
sozialer
Beziehungen wie von Geselligkeit und
innerhäuslicher Kommunikation " und fördert damit die " Vergesellschaftung
menschlicher Beziehungen. "102 Gislind Nabakowsky und andere sahen die
spezifische Qualifikation und den Bereich der Kreativität der Frau, die in der
Konkurrenz mit dem Mann verloren gehen könnten.
In den folgenden collagierten Fototableaus bildet Annegret Soltau sich allein ab.
1983 ist ´sich-entfernen` (diagonales Kreuz) 4-teilig, Fotoradierung, 1352 Fotos je
9x9 cm, 232x460 cm,103 entstanden. In diesem 4-teiligen Tableau spiegeln sich
jeweils zentral Oben und Unten an einer horizontalen Achse und Rechts und Links an
einer vertikalen Achse. Die Technik des Fotoradierens bearbeitet schrittweise die
Abbildung des Körpers von Annegret Soltau, ergreift den Umraum der Figur bis das
Negativ zerstört einen schwarzen Abzug hinterlässt. Die Symmetrie, in der die vier
Teile sich spiegelnd das diagonale Kreuz darstellen, wird noch verstärkt, indem einer
filmischen Sequenz ähnlich hell und dunkel langsam von Abzug zu Abzug
ineinander übergehen. Der abgebildete Körper entfernt sich. Das tut er zweimal, er
geht verloren in der Radierung und in dem Abstand, der für die Gesamtansicht in der
Betrachtung gehalten werden muss. Zu klein ist er auf dem Einzelabzug und zu viele
Abbildungen mindern das Wesen des Portraits einer Person, so dass der Prozess der
eigenen Abstraktion gefördert wird.
´Alleinsein - tausendundeinenacht`, 1983, 3-teilig, Fotoradierung, 1001 Fotos,
116x690 cm104 abstrahiert auf gleiche Weise den abgebildeten Körper von Annegret
Soltau. Die Fotoradierungen des Negativmaterials sind in kleinen Schritten
festgehalten, die Abzüge und ihre Spiegelbilder stehen in einem Verhältnis so
101
ebd., S. 62;
ebd., S. 64;
103
A. Soltau, Lebenszeichen, FOTO-Arbeiten und VIDEO-Bänder, Heidelberger Kunstverein, 1984,
Benedict Press, Münsterschwarzach, S. 19;
104
ebd., S. 21;
102
41
zueinander, dass eine Symmetrie aus hell, dunkel, konkreter Körper und abstrakte
Fläche sich zeigt. Die Gesamtansicht verhindert das Widererkennen.
´hindurchgehen I` und ´hindurchgehen II`, beide 1983-84, Fotoradierung, jeweils 240
schwarz-weiß Fotos, 140x227 cm105 verwendet das negative Material der Arbeit ´dagegen-gehen`. Diagonal zueinander stehen helle und dunkle Flächen im Tableau. In
den horizontalen und vertikalen Reihen sind Sequenzen nachvollziehbar, die sich
entwickeln. Der filmische Rhythmus ist lesbar, die Geschichte endet in
´hindurchgehen I` wie ein Text unten rechts mit feinen geritzten Linien, die in dem
Auf und Ab einer Welle sich diagonal im Negativ abzeichnen. Ein helles Ende - kein
dunkles Loch eines ausradierten Negatives und kein Körper oder Rest desselben.
Für ´ hindurchgehen II `stellt Annegret Soltau die Helligkeit ausschließlich in das
Zentrum des Tableaus und die Figur lehnt sich entgegen der Lesrichtung mit dem
Kopf an die Wand.
Frauen würden sich bereichern, wenn sie sich ihren weiblichen und kreativen, den
weiblich-kreativen Fähigkeiten stellten, die sich in dem Begriff der Mütterlichkeit
ausdrückten. Sie produzierten nicht Mütterlichkeit, sie sind mütterlich in ihrem
Wesen. Fähig bedürfnisorientiert und imaginativ verantwortungsvoll zu handeln,
fähig der Fürsorge, was sich nicht auf häuslich reproduktive Arbeiten reduzieren
musste, weil ihr Geschlechtsorgan als reproduktiv bezeichnet wurde. Simone de
Beauvoir grenzte die Geschlechtsbezeichnungen sehr schön voneinander unabhängig
ab, indem sie schrieb, " Männchen und Weibchen sind zwei Typen von Individuen,
die sich innerhalb einer Art im Hinblick auf die Fortpflanzung differenzieren. "106
Diese Fähigkeit der Fürsorge bereichert in einem künstlerischen Prozess, der Materie
über ästhetische Eigenschaften zueinander stellt, die Fähigkeit, den Eigenschaften
entsprechend Relationen wahrzunehmen und zu binden in einem Kunstwerk.
Faktisch ändert sich die Umwelt und die Materie in Anpassung und Neuanpassung.
Es herrscht ein Mangel an Fürsorgefähigkeit, von immer gleichen Bedingungen
auszugehen. John Dewey führt typische Wesensmerkmale der Umwelt an, die eine
künstlerische Form an sich ermöglichen. Die Rhythmen der äußeren Welt,
105
A. Soltau, Mutiere oder verwandele ich mich, Hessisches Landesmuseum Darmstadt, Harold Vits &
bureau, S. 18-21;
106
S. de Beauvoir, Das andere Geschlecht, Sitte und Sexus der Frau, Rowohlt Verlag, Reinbek, 1968,
S. 23;
42
Jahreszeiten, Tag und Nacht, Ein- und Ausatmen definieren jede Verwirklichung von
dynamischer Ordnung in dem Prozess der An- und Neuanpassung.107
Annegret Soltau teilt ihren Alltag in Kinder, Haushalt und Kunst. Sie macht die
Künstlerin und die Mutter sichtbar. Einzelteile des Tages führt sie immer wieder
zusammen, sie erhält sich Verfügbarkeit über ihre Zeit, indem sie entscheidet, die
Kinder an dem Kunstprozess zu beteiligen. Sie reflektiert ihre Mutterrolle als
"ungeheure Verantwortung, weil der Erwachsene die Kinder prägt, Kinder
entwickeln sich im Beispiel der Erwachsenen, der Mutter, " sie fühlt sich in ihrem
Bewusstseinsprozess gefordert, ihr Handeln zu reflektieren. Es fällt ihr auf, dass
"Mutter-Arbeit = unsichtbare Arbeit"108 ist. An dieser und anderer Stelle den Alltag
sichtbar zu machen, mit dem Bild des Privaten das Bewusstsein des Menschen zu
sensibilisieren, so seine politische Handlung diese private Basis seines Seins
berücksichtigt, und umgekehrt das Politische den Alltag ermöglicht und nicht
manipuliert, das macht die Idee der Emanzipation dieser Zeit aus, das Private ist
politisch, das Politische privat.
Sie kritisiert, dass " wir unsere Kinder vor der Lohnverhältnissen verstecken, diese
aber gleichzeitig als LohnarbeiterInnen vorbereiten .... Wir gehen den verkehrten
Weg, wenn wir nicht gleichzeitig massiv unsere Kinder mit einbringen in diese
Arbeit, in die Lohnarbeit. "109 Sie schreibt schlussfolgernd, die Kinder am
künstlerischen Prozess zu beteiligen und nimmt sie mit in das Bild. Ihr Bedürfnis
nach Arbeit entspringt einmal einem existentiellen Druck, sie äußert Unmut über "
die Nichtbezahlung von Kunst, dass sie als Künstlerin gut rechnen muss, dass: Kunst
nicht bezahlt wird, aber in Anspruch genommen wird, der Betrachter entspannt ist
und dann sagt, nur Armut kann den Künstler gut arbeiten lassen. "110 Ein weiteres
Mal beschreibt sie Unruhe: einer inneren Unruhe Bewegung und Erfüllung zu
verschaffen, indem sie Kunst macht.111
Und schließlich übernimmt sie
Verantwortung als Künstlerin und Mutter vor ihren Kindern und vor der
107
J. Dewey, Kunst als Erfahrung, 1988, Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main, Kap. VII, Die
Entwickelung der Form, S. 156;
108
A. Soltau, Tagebücher, Nachlass zu Lebzeiten, Hessisches Staatsarchiv, Bestand 0 59 Soltau, Nr.
17, 25.4.83;
109
ebd., 27.6.83;
110
ebd., Feb. 83;
111
A. Soltau, Mathildenhöhe Darmstadt, 2006, hrsg. v. Kathrin Schmidt, Ph. Reinheimer GmbH
Darmstadt, S. 4;
43
Gesellschaft.
Für den Moment der dynamischen Ordnung sind die Bedürfnisse und Sehnsüchte
erfüllt und die Form der Ordnung ist Träger ihrer ästhetischen Eigenschaften, über
die der Mensch sich in dieser Ordnung wahrnimmt. Erfüllung in dieser Form schlägt
sich als Freude über die gesamte Interaktion nieder, nicht weil der Mensch an dieser
rhythmischen Darstellung und Verkörperung aktiv teilnimmt, denn er ist ihr
verwachsen. " Sondern Freude entspringt letzten Endes der Tatsache, dass solches
beispielhaft für die Beziehung ist, die, ob auf natürlichem Wege oder künstlich
herbeigeführt, den Lauf des Lebens bestimmen. "112 Und die Freude des Künstlers in
seinem ihm eigenen Bedürfnis, " bedeutet, dass alles, dem Ausdruck verliehen
werden kann, ein Aspekt des Verhältnisses zwischen dem Menschen und seiner
Umwelt ist und dass dieser Stoff zu seiner vollkommensten Vereinigung mit Form
gelangt, wenn man sich auf die Grundrhythmen, die die Interaktion dieser beiden
bestimmen, verlässt und sich ihnen rückhaltlos anvertraut."113
Von Innen heraus drückt der Wunsch an die Oberfläche, sich von der Besetzung
durch das äußere Leben zu befreien. Zu dem künstlerischen Prozess zu
´hindurchgehen I + II` schreibt Annegret Soltau, sie " kann nicht klar sehen, Gefühle
sind von wo anders besetzt, ich bin abgelenkt. " Sie wolle äußere Gefühlsregungen
und Verwirrungen nicht in die Arbeit nehmen, es bringe sie von der Arbeit ab.114
Annegret Soltau weiß, dass sie für ihren täglichen Rhythmus bestehend aus
künstlerischer Arbeit, Handwerk, Kinder und Haushalt nicht abheben darf, Ruhe
bewahren will, denn ´ ihre Arbeiten sollten einer Besinnung entspringen.` Sie sieht
sich als gebundene Frau, die nur wirklich lebt, in dem sie schafft, oder aber mit
anderen (Partnern und Kindern): " Arbeit sollte der Ruhe entspringen (nicht Chaos,
Unruhe, Überlastung, Hektik), - einen Dialog führen mit dem, was von selbst aus
einem heraus kommt. ... Ich habe mich mir selbst entlassen (in die Welt nach außen),
dieser entlassene Teil hat sich verselbstständigt, von mir befreit und kann als eigener
Teil Auslöser für Reflexionen, Gespräche etc. werden. Ist Kunst = über sich selbst
hinauswachsen, in Freiheit entlassen, der leibliche Körper wird Medium (zum
112
J. Dewey, Kunst als Erfahrung, 1988, Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main, S. 174;
ebd., 176;
114
A. Soltau, Tagebücher, Nachlass zu Lebzeiten, Hessisches Staatsarchiv, Bestand 0 59 Soltau, Nr.
17, 7.6.84;
113
44
Benutzen des Handwerkes der sichtbaren körperlichen Arbeit daran), die Person
Transformator? ... Das nennt sich altmodisch Schöpfung, wie auch bei der Schöpfung
eines Kindes, wird der Körper zum Medium, d.h. er wird benutzt für das Weiterleben
+ Leben der Menschen, wozu auch die Kunst gehört."115 Mit der Vervielfältigung in
den Tableaus gelingt es Annegret Soltau die private Situation des Selbstportraits
aufzulösen, uns den Körper zu zeigen, der in den Strukturen Halt findet und verliert.
Die Frau war gleich Mutter und Mutter war nicht gleich kulturell schöpfend, nicht
gleich Künstlerin. Das Leben von Annegret Soltau trennt sich nicht in diese beiden
Personen. In einem Gespräch mit Raimund Koplin im November 1984 sagt Raimund
Koplin, sie sei doch eine glückliche Frau und Mutter, da sie die Einheit zwischen
Kunst und Mutterschaft gefunden hätte. Annegret Soltau gibt ihm Recht, " Glück und
Kunst schließen einander nicht aus. "116 Nachdem sie den Kindergartenbesuch der
Kinder auf einen halben Tag verkürzt hat, ist sie froh, " für große und lange
Trennungen ist es noch zu früh, die kommen noch. "117
FOTOVERNÄHUNGEN
Parallel arbeitet Annegret Soltau an Fotovernähungen verschiedener Maße. Die
Reihe ´Selbst`, 1975 - 1978, 38.8x28 cm oder 6.0x4,5 cm, schwarz-weiß Fotografien
übernäht mit schwarzem Faden,118 zeigt Selbstportraits. Sie sitzt auf einem Fels, den
Blick zugewandt und ein fingerdicker Faden umwickelt fest den portraitierten Körper
als sei er ein Seil. Oder, ihr Gesicht mit dem Blick nach unten gesenkt und der
Vernähung einem Spinnennetz gleich sich von den Wimpern an spannt. In dieser
Reihe enthalten sind
Fotovernähungen der Arbeiten ´schwanger`, 1978 und
´zustände `, 1978/79 (s. oben), Portraits der Künstlerin, die eingerissen, fragmentiert
und zusammen genäht werden, dabei eine rissige, vernarbte Anatomie erhalten bleibt
oder das Gesicht unzählige Augenpaare und mehrere Münder erhält. Die Form und
die Hülle undurchbrochen erhalten das Leben in diesen Foto-Collagen.
Die Reihe ´ Mutter-Glück` mit Tochter und Sohn , 1978/80 - 86, 45x35 cm, (Abb.
115
ebd., 20.2.84;
ebd., Nov. 84;
117
ebd., 29.11.84;
118
A. Soltau, ZeitErfahrung, Hessisches Landesmuseum Darmstadt, Roether-Druck, 1994;
116
45
15, S. 84) oder kleiner, schwarz-weiß und Farbfotos von den Köpfen der Kinder und
Mutter, eingerissen, fragmentiert und mit schwarzem Faden vernäht. Grobe Stiche
und dicker Faden setzen den lachenden Mund einer Annegret Soltau zu einem
ernsten linken Auge, welches aus dem Augenwinkel blickend einer Seitenansicht
entrissen ist. Im Arm ein Kleinkind schreiend, das linke Auge zugekniffen, an den
Platz des rechten ist das ernste Auge der Mutter genäht. Die Anatomie der
Portraitierten vermischt sich in diesen Collagen. Kinderaugen mit Lippenstiftmund,
Mutter mit den Augen der Tochter.
In der Reihe ´Grima` - mit Tier und Kind , 1986 - 92, Farbfotos und schwarzer
Faden, sind in den Farbportraits der Künstlerin in meist schwarzem T-Shirt vor
schwarzem Hintergrund Teile von Kindergesichtern und Tierpostern collagiert und
vernäht:
´Grima - mit Löwe und Tochter` , Fotovernähung, 70x50,7 cm,119 ´Grima - mit
Kaninchen`, 275A, Fotovernähung, 70x 50.8 cm,120 ´Grima - Krokodilechse und
Fisch`, 69,7x50,5 cm (Abb. 16, S. 85, Abb. 17, Rückseite, S. 86), ´ Grima - mit
jungem Leopard und Kind `, 75x52 cm121.
Wie schon in den DIN A4 Heften zu sehen war, erhalten jetzt die Rückseiten der
Fotovernähungen mehr Aufmerksamkeit. Der Faden hält das Ausgerissene mit
geraden Linien an seinem Träger, er reicht über die Risskante, Fadenstück neben
Fadenstück nicht gleichmäßig, nicht parallel, von unterschiedlichen Längen, zeichnet
er einen abstrakten Umriss von den Formen, hier den ovalen Kopfformen,
Halsansätzen
und
schlägt
Verbindungslinien
zu
weiteren
Flächen.
Bunte
Posterrückseiten und nacktes weißes Fotopapier neben schwarzem Garn, blind
gezeichnetes Nebeneinander.
" Ich drehe die Arbeit um, sie liegt jetzt mit der Rückseite vor mir. Es sind die
Silhouetten, sozusagen die Arbeitsspur der Vorderseite. Es ist eine ganz
eigenständige Arbeit - die Rückseite, eine Zeichnung mit dem schwarzen Faden auf
dem weißen rückseitigen Fotopapier. ... Es bildet die Umrisslinie der Figur ab,
...angefüllt mit einem Liniengewirr von Gedankenfäden ... Es ist das, was übrig
119
A. Soltau, Seitenblicke, Sichtweisen auf das Werk von Annegret Soltau, Darmstädter Dokumente
25, Wissenschaftsstadt Darmstadt, S. 25;
120
A. Soltau, Mathildenhöhe Darmstadt, 2006, hrsg. v. Kathrin Schmidt, Ph. Reinheimer GmbH
Darmstadt, S. 110;
121
A. Soltau, Von innen nach außen, Darmstädter Kunstedition Merck 37, 1996;
46
bleibt: Das Feste, das Starke, das was alles zusammenhält und uns trägt. "122
Zu der Reihe ´Mutter-Glück`, 1978/80-86, entsteht im Schatten der Reaktorexplosion
in Tschernobyl eine Reihe von Portraits ´ Mutter-Glück ` nach Tschernobyl, 1990,
100x90 cm (Abb. 18, S. 87). Farbfotografien der Künstlerin mit ihren Kindern, bunte
Kleidung, geschlossene und verkniffene Augen, angerissene Münder und Augenlider,
Löcher, denen das Viertel einer Fotografie von hinten angenäht wurde. Der viereckig
Bildrand von 100x90 cm ist durchbrochen, unregelmäßige Rechtecke hängen sich an
das zentrale Portrait.
Der schöpferische Prozess im Leben von Annegret Soltau ist ein Aufnehmen von
dem, was ihm begegnet. Sie sammelt die Dinge sensitiv auf, " meine Kinder waren
es, die Tiere in mein Leben brachten, sich einen Hamster wünschten, Tierposter
aufhängten. Es ist oft etwas Simples und schon ist ein neuer Impuls da." 123
" Wenn ich meinem eigenen Portrait das Gesicht ausreiße, geht es mir nicht um die
Zerstörung an sich, sondern um das Finden von neuen Bedeutungs- und
Sinnzusammenhängen. Wenn ich etwas heil lasse, dann wird es statisch weiterhin
bestehen, aber ich möchte nicht diese Statik, sondern ich möchte den Prozess
deutlich machen. Es gibt ja diese Verpuppungen in der Natur, wo ein Prozess beendet
wird, und es zu eine Zerstörung kommt, damit etwas Neues entsteht. ... Der
Unterschied zur Natur ist nur, dass in meinen Arbeiten die Spuren dieses Prozesses
sichtbar bleiben ", an früherer Stelle nennt sie es Verstrickungen, Verbindungen.124
" Wir brauchen weder bis ans Ende der Welt zu gehen noch uns um Jahrtausende
zurückversetzen, um Völkern zu begegnen, für die all das Gegenstand tiefster
Verehrung ist, was das unmittelbare Daseinsgefühl steigert. "125 Denn die Kunst ist
nicht eine wirklichkeitsgetreue Wiedergabe der Objekte, an die wir dann erinnert
werden. Sie vermittelt die reflektierten Ideen und Gefühle über ästhetisch
aufgeladene Darstellungen von Erfahrung im Prozess der Reflektion, die die
Interaktion mit der Umwelt festhalten.126 Sie ist eine Form der Erfahrung, für den
Schaffenden und Betrachtenden und Erfahrung ist ihre Materie und ihr Objekt, denen
122
A. Soltau, Diskussionsbeiträge zur ästhetischen Bildung, Bd. 7, die Kunst, der Körper, das Textile,
hrsg. v. N. Schütz und M. Blohm, 2005, salon verlag, Köln, S. 167;
123
A. Soltau, Seitenblicke, Sichtweisen auf das Werk von Annegret Soltau, Darmstädter Dokumente
25, Wissenschaftsstadt Darmstadt, S. 24;
124
A. Soltau, ZeitErfahrung, Hessisches Landesmuseum Darmstadt, Roether-Druck, 1994;
125
J. Dewey, Kunst als Erfahrung, 1988, Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main, S. 13;
126
ebd., S. 14;
47
sie begegnen will.
ROM
Im August 1986 zieht Annegret Soltau mit beiden Kindern für ein Jahr nach Rom in
die Villa Massimo, sie erhält ein Arbeitsstipendium. Sie findet sich in einer
Wohnung mit Atelier wieder, im Keller der Villa gibt es eine Dunkelkammer.
Geplant ist ein weiteres Fototableau, ´sich-fallen-lassen`, Fotoradierung, 672
schwarz-weiß Fotos.127
Annegret Soltau findet im Austausch mit anderen Stipendiaten der Villa Massimo
alte Vorurteile über Frauenkunst. Sie notiert in ihren Tagebüchern, dass " die Kinder
unwichtig sind, die Türen der Ateliers geschlossen blieben ", und sie fühlt sich im
Alltagsgeschehen mit ihren Kindern isoliert.128 Ein Maler äußert, ´eine erfolgreiche
Frau zu haben, sei eine Konkurrenz.` Ein Anderer meint, ´der Körper sei als Träger
des Geistes an sich bedeutungslos.`129 In einem Gespräch mit Klaus Kröger130
widerspricht sie innerlich dem Auslöschen der Person, " des Menschen bis zum
nichts hin. Das ist so nicht akzeptabel, das komplette Auslöschen, ich setze dem
gleichzeitig das Werden entgegen. Durch das Zerstören wird das Neue aufgebaut."131
Bei einer Lesung anwesender Schriftsteller erntet Annegret Soltau Kritik an ihrer
´schamlosen ` Kunst. ´ Feministische Kunst würde nicht gefallen.` Sie erwidert, ´ sie
stelle menschliche Dinge dar, die die Hälfte der Menschheit erlebt. Sie schaue sich
auch Bilder von Expeditionen und Kriegen an, wo ein Großteil der Kunstgeschichte
läge. Und sie sage auch nicht, sie möge keine männliche Kunst. ` Sie verspürt
Abstand und, dass sie umstritten ist.132 Später bestätigt ihr Nachbar Giso Westing133
ihren Eindruck und fügt hinzu, ´es gäbe keine richtigen Malerinnen.` " Frauen
machen keine richtige Malerei, sie sorgen biologisch für andere, darin liegt eine
127
A. Soltau, Fragmente des Ichs, Mainz ´91, Mainzer Kunstverein, Druckerei Ensch, Trier;
A. Soltau, Tagebücher, Nachlass zu Lebzeiten, Hessisches Staatsarchiv, Bestand 0 59 Soltau, Nr.
19, 9.8.86;
129
ebd., 8.9.86;
130
http://de.wikipedia.org/wiki/Klaus_Kröger, Maler, 1920-2010, Hamburg, 22.8.2011;
131
A. Soltau, Tagebücher, Nachlass zu Lebzeiten, Hessisches Staatsarchiv, Bestand 0 59 Soltau, Nr.
19, 21.9.86;
132
ebd., 30.9.86;
133
http://de.wikipedia.org/wiki/Giso_Westing, Maler, geb. 1955, Hannover, 22.8.2011;
128
48
große Befriedigung und Erfüllung. Frauen sind nicht für das Große. "134
In der Distanz von nicht ganz zwanzig Jahren zu den politischen Umbrüchen der
Emanzipation dieser unwirtlichen Atmosphäre, diesen Traditionen, einer solchen
Diskriminierung in einem Raum zu begegnen, von dem jeder dächte, eine andere
Konzentration von Bildung bilde die Basis, ist schlicht weg enttäuschend. Annegret
Soltau hat es selbst schon formuliert, dass sie
ihrer Anerkennung
männlicher
Künstler nicht an der Stärke oder Schwäche der Männer, nicht an den bevorzugten
Themen und selbst nicht an der Form der Kunstwerke messe.
´ sich-fallen-lassen `, 1986/87, 672 schwarz-weiß Fotos, 354x304 cm, Fotoradierung,
ein Tableau mit zwei hellen Zentren, die zu den äußeren Rändern in der Anordnung
von mit der Radiernadel bearbeiteten Abzügen dunkel werden. In den Zentren ist der
nackte und zusammen gekauerte Körper der Künstlerin auf einem weißen Untergrund
abgebildet. In der horizontalen und vertikalen Mittellinie spiegelt sich die Arbeit. In
den beiden Zentren ist der ganze Körper abgebildet, umschlungen von Geritztem löst
er sich zu drei Seiten in schwarz-weiße, dann in schwarze Flächen auf. Zu der
vertikalen Spiegelachse hin vergrößert sich der Bildausschnitt, das Gesicht mit
geschlossenen Augen von Annegret Soltau erfüllt den Bildraum. Auf dieser
Vertikalen löst sich das Gesicht in der Bearbeitung nach oben und unten auf.
´abgrenzen`,1983/86, Fotoradierung, 196 schwarz-weiß Fotos, 180x210 cm,135 dieses
Tableau mit Fotoradierungen ist in drei Säulen nebeneinander angeordnet, neben
denen links und rechts zum Bildrand der Arbeit jeweils eine Reihe der Abzüge allein
steht, als ob es sich um einen Bildausschnitt handele, die neben stehenden Säulen
sich aus dem Bild heraus fortsetzen. Die drei vollständig abgebildeten Säulen mit
vier Fotografien jeweils haben von links nach rechts geschaut ein helles, ein dunkles
und ein helles Zentrum - in der horizontalen Mitte der ganzen Arbeit. Wie Menschen
in einem Hochhaus sitzen die Mutter und die Kinder in einem leeren Raum mal
gegenüber voneinander, mal Rücken an Rücken. Das geritzte Negativmaterial lässt
bald alles Licht auf das Fotopapier, es entstehen schwarze Flächen, die zunächst die
Personen schlucken und schließlich das Einzelfoto erfüllen. In der gesamten Ansicht
verdunkeln sich die hellen Flächen nach oben und unten, und versetzt dazu die
134
A. Soltau, Tagebücher, Nachlass zu Lebzeiten, Hessisches Staatsarchiv, Bestand 0 59 Soltau, Nr.
19, 1.10.86;
135
A. Soltau, Von innen nach außen, Darmstädter Kunstedition Merck 37, 1996;
49
dunkle Fläche der zentralen Säule sich erhellt.
Lu Märten sah für die Frau, die den Beruf in dem häuslich-familiären
Lebenszusammenhang abgelegt hat, " einen Ersatz der einstigen familiären
Eigenproduktion, "136 ihre kreativen Fähigkeiten und Kräfte in sozialisierende
Organisationen zu stellen, dort Verantwortung zu übernehmen. Sie sah dort die
geistige und schöpferische Energie und Kraft der Frau. 137
Annegret Soltau resümiert für sich, dass der Aufenthalt in der ´ Villa Massimo ihre
Kunst wenig inspiriert hätte, da ihre Kunst sich auf das Persönliche konzentriere. `
Sie reflektiert für sich ihr Außen und Innen. ´ Das Außen reagiere neugierig in der
Begegnung mit der Umwelt, es höre, nehme auf, stelle sich darauf ein. Das Innen
erhielte seine Inspirationen von Innen, sie nehme es als stark und sensibel wahr. ` Ihr
Bewusstsein registriert Unkonzentriertheit, ´ die Geschichten von Außen würden
Verwirrung spenden. Würde eine dritte Schwangerschaft sie zu ihrem Kern
führen?`138
Zu einem späteren Zeitpunkt erkennt sie, ´ im Leben Kompromisse zu machen, denn
sie wolle ein heiles und harmonisches Leben, in der Kunst, in der Arbeit aber seien
keine Kompromisse nötig. `139
Und in einem Gespräch mit Gislind Nabakowski reflektiert sie ein weiteres mal ein
Bewusstsein für den Unterschied, im Außen liegt ´ ein übernommener Habitus, ein
Frauenverhalten des Sich-Nicht-Stellen, keine Eigeninitiative in der direkten
Begegnung. In der Kunst läge die deutliche Geste der Selbstbehauptung mit einer
positiven Stimme. Mit dieser Geschmeidigkeit, dieser Kraft von Innen mag sie sich
auch ausliefern. ` 140
136
L. Märten in G. Nabakowski, H. Sander, P. Gorsen, Frauen in der Kunst, Bd. 2, 1980, Suhrkamp
Verlag, Frankfurt am Main, S. 65;
137
G. Nabakowski, H. Sander, P. Gorsen, Frauen in der Kunst, Bd. 2, 1980, Suhrkamp Verlag,
Frankfurt am Main, S. 66;
138
A. Soltau, Tagebücher, Nachlass zu Lebzeiten, Hessisches Staatsarchiv, Bestand 0 59 Soltau, Nr.
19, 31.5.87;
139
ebd., Nr. 21, 31.8.87;
140
ebd., 27.10.87;
50
1990 - 2011
FOTOVERNÄHUNGEN
1991 und 1992 entstehen Doppelköpfe, die die bisher erhaltene Hülle durchbrechen.
Es sind Fotovernähungen von Portraits der Künstlerin und ihrer Kinder.
Farbfotografien, die mit Haut, Pullover und Hintergrund in einer Dreifarbigkeit
bleiben.
´Doppelkopf - mit Tochter`, 1991-92, 40,5x44 cm, Fotovernähung mit schwarzem
Garn, zeigt eine deutlich breite Silhouette, die zwei Hälse und Häupter besitzt und
der Anzahl nach alle Sinnesorgane im Gesicht. Bei dem ´Doppelkopf - mit Sohn`,
1991-92, 64x72 cm, farbige Fotovernähung mit schwarzem Garn141 überschreiten die
Anzahl der Sinnesorgane das Normale und den Rand der Silhouette. Zwei der drei
Augen sind dem Mundwinkel angeschlossen, welcher selber um einen halben Mund
verlängert ist. Neben dem linken Auge prangert eine leere Stirn. Das Doppelportrait
der Künstlerin, dem alles eingenäht ist, nimmt zwei verschiedene Haltungen ein, sie
richtet den Blick geradeaus und zur Seite. Der ´Drillingskopf - mit Tochter und
Sohn`, 1991-92, 23,5x40,5 cm, Fotovernähung mit schwarzem Garn
142
schaut aus
drei Augen, riecht mit drei Nasen, schmeckt mit drei Mündern, und tut dieses Alles
auf den drei Hälsen mit drei rechten Händen der Künstlerin. Die Rückseiten der
Arbeiten sind abgebildet, ihre abstrakt gezeichneten Nähte umstricheln den Umriss
des Dargestellten. Kurze Fäden nebeneinander, lange Fäden überspannen auch mal
zwei Umrisse, und Fäden, die sich überlagern, immer sind Andeutungen von Kinn,
Hals, Blickrichtung oder Anzahl der Personen zu erahnen.
Wenn sich bei Lu Märten die schöpferischen Kräfte der familiären Eigenproduktion
der Frau idealer weise in sozialisierenden Organisationen in der Gesellschaft
anstrengten, dort Kultur schafften, stellten diese Kräfte sich gleichberechtigt neben
die der Männer.143 Helke Sander nahm den Begriff der Vergesellschaftung der
Mütterlichkeit, der Fürsorge, und ließ Frauen sich organisieren in Frauengruppen,
141
A. Soltau, Von innen nach außen, Darmstädter Kunstedition Merck 37, 1996;
ebd.;
143
L. Märten in G. Nabakowski, H. Sander, P. Gorsen, Frauen in der Kunst, Bd. 2, 1980, Suhrkamp
Verlag, Frankfurt am Main, S. 66-67;
142
51
Gewerkschaften und an medial begabten Orten, weil sie den weiten Begriff der
Mütterlichkeit und Fürsorge auch schon früh, im Sinne von Jahren an Alter, an
Kinder zu lehren vermochten. " Wenn ich in diesem Aufsatz weiterhin von
Mütterlichkeit spreche, dann als eine Eigenschaft, mit der Ethnologen die
Fähigkeiten einer Gesellschaft beschreiben könnten. ... Damit ist gesagt, dass
Menschen solche Fähigkeiten erwerben können. "144
GANZKÖRPERPORTRAITS
Der Faden etabliert sich wieder, der Körper steht da in seiner Gänze - seine Hülle
steht ihm zur Verfügung. Sie hält, was er sich einverleibt. Annegret Soltau arbeitet
mit eigenen Ganzkörperportraits. Ihrem nackten Körper sind in ´Körperaugen`, 1990,
schwarz-weiß Fotovernähung mit schwarzem Garn, Vorder- und Rückseite,145 von
Kopf bis Fuß mehrere Dutzend Augen und ein Mund - an richtiger Stelle - eingenäht.
Große und kleine Ausrisse von ihren Augen starren aus dieser Nackten zurück, sie
lächeln, blicken ins Leere, sind erstaunt und schauen ernst. Der Umriss verrät die
Weiblichkeit, der Schambereich ist eben verdeckt und die Arme sind so eng hinter
dem Rücken verschränkt, dass der Dargestellten die freie Handlungsfähigkeit
genommen zu sein scheint. ´ Körperbisse `, 1990, schwarz-weiß Fotovernähung mit
schwarzem Garn, Vorder- und Rückseite,146 zeigt die dunkle Seite, positive Ausrisse
sind in den Negativabzug vernäht. Offene Münder, der Länge nach von der Vagina
bis über den Bauchnabel, von der einen Schulter zur anderen und kleiner, kurz vor
dem Zubiss, erfüllen von Kopf bis Schambereich den Körper. Zwei Augen im Rumpf
und ein zyklopenartiges Auge in der Stirn blicken aus der negativen Hülle Annegret
Soltaus. Die Arme bleiben weit hinter dem Rücken verschränkt. Die Rückseiten
beider Arbeiten zeigen deutlich die Silhouette des Künstlerinnenkörpers, die
umnähten weißen Ausrisse stehen wie Gebiete nebeneinander oder als Köperteile
zueinander.
" Aggression. Die Zähne als Zeichen von Aggression. Jede neue Idee ist ja eine
144
G. Nabakowski, H. Sander, P. Gorsen, Frauen in der Kunst, Bd. 1, 1980, Suhrkamp Verlag,
Frankfurt am Main, S. 55;
145
A. Soltau, Bild-Schnitt-Bild, Kunsthalle Darmstadt, Kunstverein Darmstadt e. V.;
146
ebd.;
52
Aggression. Und Aggression ist eine Eigenschaft, die im absoluten Widerspruch steht
zum Bild des Weiblichen, das die Männer in sich tragen, und das sie auf die Frauen
projizieren. Lachen, lachend, Zähnefletschen, die Oberlippe hochgezogen; ein
riesiges breites Lachen. Immer die Zähne zeigen. Zähne zeigen heißt, Biss haben.
Zähne zeigen, also sich durchsetzen können, vorangehen. "147
Im Bild einer Aggression sind Bewegung und Bedrohung eingeschlossen. Schnelle,
vielleicht ruckartige Bewegung, spontane Bewegung, wenn sich die Kraft entlädt,
und angehaltene, um dem Ausdruck der Aggression näher zu kommen, haltende und
stagnierende Bewegung, wenn sie unterdrückt wird. Die Bedrohung ist immer mit
eingeschlossen in dem Begriff der Aggression, weil die Erregung und die Kraft das
Gegenüber erregen. Die Interaktion ist nicht harmonisch, wenn die eine Kraft sich
größer gebärdet als die andere, die erste mag die zweite überwältigen. Beidem, der
Bewegung und der Bedrohung, und der Begegnung ist Kraft, physische Kraft eigen.
Selbst einem intellektuellen Austausch ist über das Thema, die Wortwahl, die Form
der Erzählung und die Intonation eine physische Kraft eigen.
Aggression bedeutet zunächst Angriff, Anlauf und logischer Schluss,
148
es stammt
von dem Verb aggredior = heranschreiten, sich nähern, sich begeben, für sich zu
gewinnen suchen ab. Aus der assimilierten Präposition ad (zu ag) = zu, bei, an..., mit
Rücksicht auf149 heraus entsteht eine sich zuwendende Bewegung. Die Kraft, die
Energie, sind als physischer Ausdruck, als Körperenergie, als Antrieb, selbst als
Symbol und in der unabwendbaren Bedeutung davon nicht anerkannt, als sich der
Geist in der Geschichte zu dem Körper opponiert. Ein Organismus erfreut sich der
Ordnung und ist verunsichert in der Unordnung. Über Institutionen kann sich eine
Gesellschaft eine Ordnung schaffen, die sich geistig und ideell in der Kultur in
Symbolen niederschlägt. Den Institutionen ist daran gelegen, ihre Ordnungen zu
erhalten, indem sich ihre Subjekte über Erinnerung und Assoziationen bewegen, sie
halten Regeln ein. Aus vielen Richtungen ist die Opposition und schließlich die
geringere Wertschätzung und Verurteilung des Körpers und seiner Manifestationen
gewachsen. Werden Bedürfnisse verfolgt, ist Lust der Antrieb, und herrscht
147
A. Soltau, Diskussionsbeiträge zur ästhetischen Bildung, Bd. 7, die Kunst, der Körper, das Textile,
hrsg. v. N. Schütz und M. Blohm, 2005, salon verlag, Köln, S. 166;
148
Langenscheidts Handwörterbuch, Lateinisch - Deutsch, erweit. Ausgabe 1983, Druckhaus
Langenscheidt, Berlin, S. 36;
149
ebd., S. 22;
53
Bewegung, scheint der Geist dem Körper zu unterliegen.
John Dewey verfolgt den Gedanken soweit, dass er deutet, er hat " seine Ursache in
der Angst vor dem Leben. Der Gegensatz zwischen Geist und Körper ... ist ein
Zeichen für Verengung und Rückzug. " In der Anerkennung, dass Bedürfnisse und
Triebe, dass unsere organische Struktur eine Verwandtschaft zu den animalische
Vorfahren herstellt, liegt nicht " die Rückstufung des Menschen auf die Ebene des
Tieres." Die Verwandtschaft ist unsere Fähigkeit, über Erfahrungen in unserer
Umwelt zu leben, und ermöglicht dem Menschen, " die Einheit von Empfindung
und innerem Antrieb, von Gehirn, Auge und Ohr zu ungeahnten Höhen zu bringen
und sie mit den bewusst gewordenen Bedeutungen zu sättigen, die er aus der
Kommunikation und aus überlegtem Ausdruck gewonnen hat. "150
Erfahrung ist in seiner Eigenschaft und Funktion dem Neuen zugewandt, ist der
Begegnung, der Kommunikation zugewandt und über den Körper zeichnet sich ihre
Ästhetik ab, in Gefühlen. Aus einer selben Sinneswahrnehmung heraus entscheiden
sich Köper und Geist zusammen für das Neue. Geist steht an keiner Stelle für
Stagnation solange er die Dynamik seiner körperlichen Fähigkeiten und Bedürfnisse
begleitet.
" Ich habe Angst vor den Menschen. Und zugleich Interesse an ihnen. "151 Charlotte
Martin dazu über Annegret Soltau: " ... vielleicht ist es das, was den Betrachter dazu
führt, ihre Kunst ´aggressiv ` zu nennen. Ihre Aggression ist eine Schöpferische, ein
Herangehen an das Leben, ein Unter-die-Haut-gehen - wo sie zerstörerisch scheint,
zeichnet sie durchlebtes nach und nicht vor. "152
Gernot Böhme153 stellt die Gewalt, die sie sich und ihrer Familie für uns - den
Betrachter antut, zwischen radikale Selbstpreisgabe und die Natur, die wir selbst
sind, weil die Künstlerin
" uns etwas zu verstehen gibt, das nur in radikaler
Selbstpreisgabe zu vermitteln ist. Gerade weil es um den je eigenen Körper geht, also
den Leib, die Natur... ."154
´ Körperlachen I und II `, 1991, schwarz-weiß Fotovernähung mit schwarzem Garn,
150
J. Dewey, Kunst als Erfahrung, 1988, Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main, S. 30-32;
A. Soltau, Seitenblicke, Sichtweisen auf das Werk von Annegret Soltau, Darmstädter Dokumente
25, Wissenschaftsstadt Darmstadt, S. 22;
152
C. Martin, ebd., S. 26;
153
http://de.wikipedia.org/wiki/Gernot_Böhme, geb. 1937, deutscher Philosoph, 23.8.2011;
154
G. Böhme Seitenblicke, Sichtweisen auf das Werk von Annegret Soltau, Darmstädter Dokumente
25, Wissenschaftsstadt Darmstadt, S. 18;
151
54
Vorder- und Rückseite,155 eine Arbeit in römisch I - positivem Abzug und römisch II
- negativem Abzug. Bis zum Schambereich sind in ´ Körperlachen I ` (Abb. 19, S.
88, Rückseite Abb. 20, S. 89) zwei weit aufgerissene Münder eingenäht, zwei sehr
unterschiedliche Augen stehen auf der Stirn. Dem ´ Körperlachen II ` ist das Lachen
ein wenig vergangen, die positiven Münder sind kleiner und geschlossener zentral in
die negative Arbeit montiert. Gelacht wird im Oberkörper und zwischen den Beinen.
Den Rückseiten hängen die Fäden bis über den Bildrand.
Bisher montiert Annegret Soltau meist eigene Körperteile in eigene Körperhüllen,
"Ich nehme mich selbst zum Modell, weil ich mit mir am weitesten gehen kann."156
Die Kinder, in die Arbeit mit integriert seit den Schwangerschaften, werden dieser
Symbiose wie jeder Mutter-Kind-Symbiose entwachsen. Noch sind sie dem Leben
und Werk so verwachsen, dass es erst befremdlich werden wird. Der Faden vernäht
wieder als Material sichtbar, als die Beziehungen individuell emanzipierter werden,
die Beziehungen zu unabhängigen Wesen beginnen sich zu formen.
" Der Faden bedeutet aber auch etwas Verbindendes, Reparierendes, was die Risse
zusammenbringt und -hält. Die Risse im Lebenslauf bleiben sichtbar wie die Falten
als Lebensspuren."157 Der Faden vernäht, was in emanzipierten Beziehungen
zueinander steht. Oder, noch einmal in Worten von Helke Sander: " Diese
Mütterlichkeit hat zwar ihren Ursprung in der Beziehung zum Kind, wird aber von
Frauen ständig auf die Beziehungen zu anderen Menschen übertragen. "158
´Pubertät - Tochter doppelt`, 1994, 80x71 cm, farbiges Foto mit schwarz-weiß
Fotovernähung, (Abb. 21, S. 90) demontiert und montiert jetzt den Körper der
Tochter. Sie steht dreibeinig und zweiköpfig nackt im leeren Bildraum, fasst sich
rechtsseitig mit der linken Hand an den rechten Oberarmmuskel, während linksseitig
derselbe rechte Arm seitlich horizontal aus dem Körper wächst. Ein linkes und ein
rechtes Bein sind mittig zu dem dritten Standbein vernäht, bis an den Fuß reichen die
Nähte. Schwarz-weiße Augenausrisse, die jeweils groß über den Rumpf und die
Stirnen des Geschöpfes prangen, sind bis zu den Hüften vernäht. Die äußeren
155
A. Soltau, der Mensch als Readymade, Sonderdruck aus C. G. Philipp, Metamorphoto, Jonas
Verlag, S. 70-73;
156
A. Soltau, Mathildenhöhe Darmstadt, 2006, hrsg. v. Kathrin Schmidt, Ph. Reinheimer GmbH
Darmstadt, S. 24;
157
ebd., S. 64;
158
G. Nabakowski, H. Sander, P. Gorsen, Frauen in der Kunst, Bd. 1, 1980, Suhrkamp Verlag,
Frankfurt am Main, S. 55;
55
Standbeine zeigen nur grobe Nähte, das mittlere ist vernäht mit einem Auge und
Hautflächen, in den Gesichtern herrscht noch das Lächeln der Tochter - zweimal. Die
Rückseite wirkt in grobem Hin und Her langer, kurzer, dünner und dicker Fäden
abstrakter als bisher.
Die Arbeit ´Pubertät - Tochter`, 91, 1994/99, 270x200 cm, farbiges Foto mit
schwarz-weiß Fotovernähung,159 zeigt drei nackte Körper. Rechts und links steht die
sich spiegelnde Tochter mit schwarz-weißen Augenausrissen in Rumpf und Kopf
vernäht. Sie lächelt mit geschlossenem Mund und hält ein drittes Wesen leicht im
Arm. Die Abzüge sind in einer vertikalen Mitte über die Bildränder so nah
zueinander geschoben, die zwei Abbildungen des Körpers im Arm verschmelzen zu
einem. Es verschwinden Köpfe, Bauchnäbel und Schambereiche des mittleren
Wesen, die Beine verschmelzen zu einer Säule und die Brustwarzen liegen so nah
beieinander, dass sie schauen. Die Rückseite verheimlicht das dritte Wesen.
GENERATIV
Mit ´generativ - Tochter mit Mutter`, 1995, 19x10,5x4 cm, Injektprint mit
Fotovernähungen in Plexiglasblock,160 nimmt Annegret Soltau einen neuen
Werkzyklus auf. Dem nackten Körper der Tochter sind im Rumpf verschiedene
Brüste von den Schultern bis über die Taille eingenäht, die Augen und der schwarzweiße Abzug des Schambereichs sind fremde, die Körperteile der Mutter. An
Oberarmen und Beinen ziehen sich grobe Stiche entlang. Die weiße Reißkante des
Fotopapiers leuchtet auffällig aus dem dunkelgrün, fluoreszierenden und gelben
Körper, der scheinbar durchsichtig ist. Die Rückseite verliert das Figurative,
Andeutungen von Körperteilen unterliegen dem prominenten Faden.
´ Tochter - mit Mutter, Großmutter und Urgroßmutter `, 96, 1994/99, 242x120 cm,
Injektprint
mit
Fotovernähung,161
wieder
steht
die
Tochter
mit
dieser
fluoreszierenden Haut im Zentrum der Arbeit, mit eigenen Augen und Brüsten trägt
sie den Mund, den Schambereich und die Bäuche ihrer Vorfahrinnen.
159
A. Soltau, Mathildenhöhe Darmstadt, 2006, hrsg. v. Kathrin Schmidt, Ph. Reinheimer GmbH
Darmstadt, S. 68;
160
A. Soltau, Von innen nach außen, Darmstädter Kunstedition Merck 37, 1996;
161
A. Soltau, Mathildenhöhe Darmstadt, 2006, hrsg. v. Kathrin Schmidt, Ph. Reinheimer GmbH
Darmstadt, S. 66;
56
´generativ - mit Tochter`, 1994, 30x21 cm, farbige Fotovernähung,162 Annegret
Soltau präsentiert jetzt auch sich als Mutter und Spender des Körpers.
´ generativ - mit Tochter, Mutter, Großmutter und Urgroßmutter `, 1994, 21x30 cm,
farbige Fotovernähung (Abb. 22, S. 91, Rückseite, Abb. 23, S. 92), die vier
Generationen stehen nebeneinander nackt im leeren Umraum, Augen, Münder,
Brüste und Bäuche sind ausgetauscht vernäht, Arme und Beine bleiben unversehrt.
Die Rückseite hebt die Größenunterschiede hervor, zeigt personenhafte Oberkörper
und gibt eine nüchterne Darstellung der Verbindungen zueinander wider, manche
Fäden spannen sich über die vier Rümpfe oder stellen von Kopf zu Kopf, von
Körperteil zu Körperteil Verbindungen her.
" Ich bin zurückgegangen in meinen Arbeiten auf meine Großmutter und hab´
versucht, die Generationen zu verbinden bis hin zu meiner Tochter, auf der
weiblichen Ebene sozusagen, diese matrilineare Verbindung darzustellen. Also nicht
die Weitergabe von Mann zu Mann, sondern die Weitergabe von Frau zu Frau, ganz
bewusst. Ich meine die Weitergabe nicht nur biologisch, sondern bezogen auf die
gesellschaftliche Ebene. Es geht nicht um die patriarchalische Weitergabe, ob sich
das an Familiennamen dokumentiert oder der Vererbung von Besitz. Ich wollte die
Weitergabe über die Geburt behandeln, von Körper zu Körper, dargestellt auf der
Körperebene."163
In
diesen
Arbeiten
´generativ`
sind
es
meist
die
Geschlechtsmerkmale Schambereich und Brüste, Münder und Augen, die einander
gegeben und vernäht sind. Beine und Arme sind unversehrt oder weisen bloße,
vernähte Risse auf. Das Familienphoto zeigt die nackten Mitglieder, rosa-weiße
Haut, bläuliche und faltige Häute vor einem hellblauen Raum ohne Tiefe. Annegret
Soltau bezieht die körperlichen Prozesse in ihre Arbeiten mit ein, das Jungsein, das
Altwerden und Altsein, um bewusst den Körper als Kraftort dort zu kennzeichnen,
wo er weitergibt.
In der Anerkennung der weiblich-kreativen Kräfte Mütterlichkeit und Fürsorge, der
Sorge um und der Produktion von sozialen Beziehungen und innerhäuslicher
Kommunikation, die sich in geringerer Teilung der Arbeitsprozesse, in einer
geringeren Abstraktion von konkreten Bedürfnissen und Interessen charakterisieren
ließ, beschrieb Ulrike Prokop die Frau. " Die geringe Teilung von geistiger und
162
163
A. Soltau, Heilung, Städtische Galerie am Markt, 1994, Oscar Mahl KG, S. 25;
ebd., S. 19;
57
körperlicher Arbeit im weiblichen Lebenszusammenhang ... bewahrt der Frau
bestimmte Fähigkeiten der Bedürfnisorientierung und der Imagination" und erhält ihr
"die Möglichkeit und Fähigkeit zu expressivem, nicht instrumentalem Verhalten, "
weil ihr Arbeitsprozess nicht einem Ziel mit Plan und Material ausgestattet zustrebt,
weil der Arbeitsprozess der dynamischen Umwelt gegenüber flexibel ist.
164
Blieb
die Frau in häuslichen Verhältnissen, blieben auch die Fähigkeiten nur dieser Umwelt
ausgesetzt und würden sich nicht weiter entfalten.
Aber die Emanzipation in der Teilnahme am kapitalistischen Arbeitsprozess
verhinderte die kreative Kraft der Frau. Sie musste sich Produktionsformen
unterordnen, konnte also nicht mit dem Wort der Emanzipation beschrieben werden.
Die Beteiligung an der Gesellschaft nur durch den Beruf der Hausfrau, wie auch
immer gut er bewertet würde, förderte weiter die Teilung der beiden Fähigkeiten von
weiblicher und männlicher Seite.
" Viele empfinden die Zumutungen aus der Berufssphäre, den Berufszwang als
schwer zu bewältigende Spannung gegen ihre spezifisch weiblichen Wesenskräfte;
viele fühlen sich widerwillig in spezialisierte Erwerbsarten gedrängt, die ihnen als
Wirkungsformen keine innere Befriedigung gewähren." 165
Der Wunsch nach Ausdruck, der Ausdrucksakt und die Bedürfnisse werden ihrer Zeit
entsprechen, so dass der Verbleib einer Frau in den häusliche Zusammenhängen
keiner Neuanpassung Material in Erfahrung und Objekt bietet.
164
U. Prokop in G. Nabakowski, H. Sander, P. Gorsen, Frauen in der Kunst, Bd. 2, 1980, Suhrkamp
Verlag, Frankfurt am Main, S. 64;
165
M. Weber in ebd., S. 66;
58
ABHÄNGUNGEN
Im Sommer 1994 wird das Werk ´generativ `, 1994, 60x80 cm + Rückseite aus einer
Wanderausstellung ´Ästhetik im Alter` an zwei Ausstellungsorten mit der
Begründung entfernt, es verletze die Moralvorstellungen der Besucher, insbesondere
der muslemischen Volksgruppen, wegen der Hässlichkeit der entblößten alten
Frauenkörper. 1995 entfernt der Frankfurter Verleger Siegfried Unseld vier Bilder
der Künstlerin aus dem Band ´Von der Auffälligkeit des Leibes` der Autorin Farideh
Akashe-Böhme in der Reihe ´Gender Studies.` Die bewusst verfolgte Ästhetik des
Hässlichen
findet
Podiumsdiskussion
nicht
seine
Toleranz.
Im
Februar
1996
findet
eine
zu dem Thema ´Ausgrenzung der Frauen in der Kunst am
Beispiel Annegret Soltau ` in Darmstadt statt.
Der geladene Kunsthistoriker Professor Dr. Georg Bußmann grenzt die subjektive
Ablehnung als persönliche Freiheit eines jeden Betrachters von der institutionellen
Ablehnung ab, die die Aufgabe von Kunst verhindert und im Falle von politischen
Körpern bewusst manipulierend totalitär handelt. 166
"Die Weigerung, Grenzen anzuerkennen, die durch Konventionen gesetzt sind, ist die
Quelle häufiger Denunziationen künstlerischer Objekte als unmoralisch, "167 die
Regeln verletzend, " denn die Kultur ist seit Jahrhunderten nicht in der Lage, " den
Körper anzusprechen. Weil unsere ganze Kultur geistfixiert ist, sie sich über Geist
und Rationalität definiert, ist der Körper irgendwie so ein Anhängsel. Typische
Ausdrucksform dafür ist, wir sagen, wir haben einen Körper, dabei sind wir
Körper."168 Doch ist es gerade eine der Funktionen der Kunst, eben die moralische
Furchtsamkeit zu untergraben, die den Verstand dazu bringt, vor bestimmtem
Material zurückzuscheuen und sich zu weigern, es in das klare und reinigende Licht
des perzeptiven Bewusstseins einzulassen. "169 Die perzeptive Fähigkeit, zu beiden
Seiten einer Verbindung in der Interaktion, zu beiden Enden einer Reihe von
Erfahrungen, ist in der Begegnung Neues zu suchen und körperlich zu empfinden.
166
G. Bußmann, Ausgrenzung der Frauen in der Kunst am Beispiel A. Soltau, Darmstädter Dokumente
Nr. 2, Magistrat der Stadt Darmstadt, 1997, Druckwerkstatt Kollektiv GmbH, S. 25;
167
J. Dewey, Kunst als Erfahrung, 1988, Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main, S. 219;
168
G. Bußmann, Ausgrenzung der Frauen in der Kunst am Beispiel A. Soltau, Darmstädter Dokumente
Nr. 2, Magistrat der Stadt Darmstadt, 1997, Druckwerkstatt Kollektiv GmbH, S. 37;
169
J. Dewey, Kunst als Erfahrung, 1988, Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main, S. 220;
59
Für Annegret Soltau sind die Prozesse des Werdens und Gehens, die abgehängt
werden, näher an der Realität. Das schmerzliche Verbunden-Sein über die Geburt,
die Ähnlichkeiten, die daraus resultieren, die Abhängigkeit, die daraus folgt. Es gibt
die Individualität als solche, aber nicht in der körperlichen Abgeschiedenheit, wenn
der Körper selbst aktiv über sein Bewusstsein eine Einheit mit seiner Umwelt sucht.
" Die anderen Fotos, die üblichen Familienfotos, behandeln ja mehr die äußere
Darstellung des Glücks, die Harmonie. Und ich möchte das durchbrechen, ich
möchte alles darstellen. ... Es gibt Harmonien nur partikelweise, aber keine totale
Harmonie. Das ist ja mehr ein idealistisches Bild. Ich möchte aber die Realität
darstellen, die gesellschaftliche Realität."170
Es ist sicher irreführend in dieser Zeit, in der Familienstrukturen für überkommen
gehalten wenig Halt bieten, Harmonie in der Form eine Geschichte im Bild ist. In der
gelebten Realität sie sich anders gebärdet, und das Ererbte oft in negativen
Zusammenhängen ein individuelles Bild zurück bindet an das Fleisch und Blut, was
einem einen Körper gegeben hat. Annegret Soltau stellt den Alterungsprozess in der
einen Richtung, den Wachstumsprozess in der anderen Richtung dar und vergisst
nicht zu sagen, dass es so gehört - noch.
" Die Vorstellung, dass den Dingen festgelegte, unveränderliche Werte innewohnen,
ist genau das Vorurteil, von dem uns die Kunst befreit. Gerade weil die traditionellen
Assoziationen beseitigt wurden, treten die natürlichen Eigenschaften der Dinge mit
überraschender Kraft und frische hervor."171
HYBRIDE
In ´ Tochter/Mutter/Großmutter doppelt (geviert) `, 87, 1994/98, 67x84 cm, farbige
Fotovernähung,172 collagiert Annegret Soltau ein Gruppenbild, in deren zentralem
Raum ein Stück nackten Torsos vertikal liegt. In der Größe füllt er die Fläche
zwischen den vier Figuren, an seinen Rändern liegen ihm insektenartig ein linkes und
ein rechtes Bein - zu Füssen, als säße etwas im Schneidersitz. Über ihm beugen sich
170
A. Soltau, Heilung, Städtische Galerie am Markt, 1994, Oscar Mahl KG, S. 20;
J. Dewey, Kunst als Erfahrung, 1988, Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main, S. 113;
172
A. Soltau, Mathildenhöhe Darmstadt, 2006, hrsg. v. Kathrin Schmidt, Ph. Reinheimer GmbH
Darmstadt, S. 74;
171
60
vier Oberkörper, vernäht mit Brüsten und symmetrisch zu beiden Seiten stehen ein
linkes und rechtes Standbein der Randfiguren. In allen Vernähungen sind die
Proportionen der Körperteile zueinander verschieden, hier ist ein Unterschied
erreicht, deren Form nicht mehr der menschlichen Wesensform angehört. Diesen
Schaffensschritt, diese ´neue Formulierung` nimmt Annegret Soltau zu einem
späteren Zeitpunkt in den Hybriden wieder auf.
1999 und 2000 entspringen digital-collagierte Arbeiten dem Computer. Eingescannte
Fotofragmente sind zueinander gestellt, weiter bearbeitet und verfremdet, indem sie
an einer Mittelachse zusammen geschoben sich spiegeln, zu einer dünnen Säule
schrumpfen. Haarschöpfe ohne Gesichter, stiftdünne Taillen, Bienenkörper und Füße,
im Verbund zu der Körpersäule oder ohne. Der symmetrische ´ Tochter-Totem 1 - 3
`, 1999, digitale Fotofragmente,
173
und der symmetrische ´ Tochter-Totem 1- 4`,
2000, digitale Fotofragment, (Abb. 24-25, S. 93-94) verwachsen in der
geschrumpften Collage zu handfesten Gesten. Die jungen Fäuste erhebend oder die
Hände sicher die schmalen Hüften haltend stützen sich zwei alte in die Krücken, ein
vierarmiges Wesen. Die Nähte, die weißen Flächen des Fotopapiers, das Rosa des
jungen Körpers und das Braunrosa des alten Körpers, die Symmetrie bis hin zu dem
identischen Ring - an welcher Hand eigentlich, an der rechten oder der linken - gibt
der Arbeit diesen Wert, alles ist machbar. Das neue Medium, welches so sehr für
Verwandeln, Verändern und neu Zusammenfinden steht, drängt die Direktheit, das
Individuelle und das Unmittelbare der Vernähungen in den Hintergrund. Die Form
und der Titel Tochter-Totem geben den Verbindungen in die Vergangenheit Halt,
gerade noch, denn unter der digitalen Bearbeitung, dem Verschieben der Relationen,
verschwinden die Beine in den Spiegelungen, das Körperliche leidet.
ERFAHRUNG
Zu dem Werkzyklus ´selbst ` gehören immer wieder Zeugnisse der Zeit, die auf der
einen Seite sehr erregen, in dem Sinne einen Antrieb auslösen, weil sie eine große
Nähe zu Annegret Soltau herstellen. So gehört dazu die im Oktober 2001 begonnene
Reihe Vernähungen mit dem Titel ´ N.Y.FACES - chirurgische Operationen II `,
173
A. Soltau, Mutiere oder verwandele ich mich, Hessisches Landesmuseum Darmstadt, Harold Vits &
bureau, S. 30-31;
61
11.10.2001, 40x31 cm, Fotovernähung.174 Annegret Soltau vernäht in der Hülle
eigener Passfotos dokumentarisches Fotomaterial eines chirurgischen Eingriffes im
eigenen
Kieferbereich.
Weit
aufgerissene
Münder,
Narkosespritzen,
gummibehandschuhte Finger, geschlossene Augen und Klammern füllen das Gesicht
der Künstlerin. Auf den Rückseiten sind einwortige Schlagzeilen der aktuellen
Ereignisse um den Anschlag vom 11.9.2001 in New York eingenäht: Kampf,
Afghanistan, teuflische Tat, Fahnder, Hintermänner ... ´ N.Y.FACES - chirurgische
Operationen X, 21.11.2001,175 der Mund als Organ der Mitteilung über Sprache und
Laute, teilt weit aufgerissen mit, er schreit.
UND ERWEITERUNG
Der Werkzyklus ´generativ` erweitert sich in den Jahren 1994/2005 zu
monumentalen Größen, ´ generativ - mit Mutter, Tochter und Großmutter `, 110,
1994/2005, 3 Bahnen je 262x127 cm, farbige Fotovernähungen und Rückseite,
und
um
die
Familienmitglieder
MutterVaterTochterSohn`,
81,
2005,
Fotovernähung und Rückseite.177
in
3
den
Bahnen
Arbeiten
´transgenerativ
je 275x105
cm,
176
-
farbige
Zu vielen Arbeiten entstehen hellgrün
fluoreszierende Spiegelungen, die in unheimlich braun-grünem Umraum stehen,
scheinbar Negative, radiologische Aufnahmen, denen aber die echten, die positiven
Körperfragmente eingenäht sind.
Das Familienportrait wird in kleineren Arbeiten von 65,5x 87,5 cm, ´ transgenerativ MutterVaterTochterSohn `, 2005, farbige Fotovernähung und Rückseite,(Abb. 26-27,
S. 95-96) festgehalten. Die Gruppe steht nicht mehr frontal, die Eltern stehen mal
oder die Kinder hocken mal.
Über den ´ Tochter - Totem ` hinaus entstehen Arbeiten wie ´ female hybrids`, 2002,
digitalisierte Fotofragmente. Annegret Soltau scannt "in einer Art Recyclingverfahren
"178 Restabschnitte ein und setzt sie am Computer wieder neu zusammen. Nur die
174
A. Soltau, Mathildenhöhe Darmstadt, 2006, hrsg. v. Kathrin Schmidt, Ph. Reinheimer GmbH
Darmstadt, S. 122;
175
ebd., S. 124;
176
ebd., S. 76-79;
177
ebd., S. 82-85;
178
A. Soltau, Seitenblicke, Sichtweisen auf das Werk von Annegret Soltau, Darmstädter Dokumente
62
einzelnen Körperteile und das Konzept von Kopf, Rumpf und Gliedern stellen eine
Verwandtschaft zu Menschlichem her, die Form dieser Wesen richtet sich nach
einem dominantem Charakteristikum. Einem riesig breiten Oberkörper stehen zwei
stämmige Beine und eine dreieckige Flosse schon von den Rippen abwärts zur
Verfügung. Ein Auge mit zwei Pupillen und ein kleiner wulstiger Mund, mehr
Sinnesorgane braucht es nicht. ´ female hybrids `, 1-26, 4a, 2002, digitalisierte
Fotofragmente. (Abb. 29, S. 98)
179
Faltige Augen dicht beieinander über einem
schulterbreiten Mund, dieses Wesen posiert mit vier Beinen, zwei Armen, einer
senkrechten Hautsäule und präsentiert seine Mehrbusigkeit, ´ female hybrids `, 1-26,
9b, 2002, digitalisierte Fotofragmente. (Abb. 28, S. 97) Nähte, Nacktheit,
Hautfarben, perspektivloser Umraum und Symmetrie halten diese Körper, halbseitig
zusammengesetzt am Bildschirm und ergänzt in einer Spiegelung. Die Arbeiten
dieses Werkzyklus ´ hybrid ` werden als kurze Wandprojektionen präsentiert.
2011 sind diese Hybride unzählig erweitert, sind wie die Selbstportraits, ein Spiegel
der eigenen Zeit-Erfahrungen, sukzessive entstanden, und sind über die weibliche
Attribute hinaus und mit Transgenerativem über die Geschlechtsnormen getreten, ein
Spiegel unserer experimentellen Wirklichkeit, ´ trans hybrids, ` liegen nicht in
Abbildungen vor
" Ich wollte das Ganze soweit treiben, dass es nur noch immateriell sichtbar ist und
man sich fragt: Was bleibt übrig? "180
Annegret Soltau ist eine anerkannte Künstlerin, viele Beteiligungen an Ausstellungen
und Einzelausstellungen reihen sich in einer langen Liste. Sie hat verschiedene Preise
gewonnen und Lehraufträge erhalten. Im Mai 2011 wurde ihr der Marlies HessKunstpreis gefördert durch den Hessischen Rundfunk verliehen. Noch vor der
Preisverleihung wurde ihr mitgeteilt, dass die Werke ´generativ` und ´ trans
generativ` zu bestimmten Veranstaltungen im Hessischen Rundfunk verhängt werden
würden. Man hatte sich die Mühe gemacht drei dunkel blaue Stoffbahnen in den
Ausmaßen von zweimal 278x377 cm insgesamt zu erstellen, um ausländische
Besucher rücksichtsvoll zu behandeln.
25, Wissenschaftsstadt Darmstadt, S. 14;
179
A. Soltau, Mathildenhöhe Darmstadt, 2006, hrsg. v. Kathrin Schmidt, Ph. Reinheimer GmbH
Darmstadt, S. 116;
180
A. Soltau, Seitenblicke, Sichtweisen auf das Werk von Annegret Soltau, Darmstädter Dokumente
25, Wissenschaftsstadt Darmstadt, S. 14;
63
"Wir lernen in unserem Jahrhundert vielleicht zu ersten Mal, die kulturellen und
kreativen Eigenschaften der Frau nicht mehr als unveränderliche, biologisch
bestimmbare Wesensmerkmale wahrzunehmen. Sie sind vielmehr das Ergebnis der
besonderen weiblichen Sozialisation und ohne die stattgefundenen ökonomischen
Arbeitsteilungen zwischen den Geschlechtern undenkbar. ... Die politische Hoffnung
des modernen Feminismus richtet sich auf die Möglichkeiten einer anderen
weiblichen Erfahrung und Sozialisation, einer weiblichen Kultur und Kunst, die ihr
Anderssein ohne patriarchalischen Machtanspruch der anderen Seite verwirklichen
kann."181
Wir können als Frauen an unserer Autorenschaft zweifeln, wenn uns die Dinge
befallen, und wir das als Schwächung definieren, weil wir bestimmen wollen.
NACHWORT
Annegret Soltau hat in dem Gesicht in ihren frühen Arbeiten den Ort für einen
Ausdrucksakt bezogen, in dem die Mimik des Menschen am deutlichsten auf ihre
Umwelt reagiert. Jede Regung ist dort auszumachen, jeder Kommentar zieht dort
über die Haut. Sie ist als Zeitgenossin der Emanzipation in den 1970er Zeugin eines
Prozesses, der mit Traditionen brechen wird, die mit regelrechten Institutionen die
Lebensräume des Menschen in passives Erleiden und aktives Handeln einteilen.
Beides, das Erleiden und das Handeln, zeigt sich im Körper des Menschen, seine
Bewegung formt ihn. Das Handeln erleidet in der Interaktion. Das Erleiden handelt in
der Haltung.
Annegret Soltau antwortet in ihrem Tagebuch am 27. 11. 84 auf die Frage, ob sie an
etwas Neuem arbeitet, " ich habe ein Grundthema, welches immer wieder anders
durchgespielt wird, menschliche Zustände."182
Sie erschließt sich den Ausdruck dieser Zustände im künstlerischen Umgang mit
Körperlichkeit und nähert sich den eigenen Zuständen. Sie ertastet mit
handwerklichen Mitteln und eigenen ästhetischen Mitteln ihre Umwelt. Das Bild
181
G. Nabakowski, H. Sander, P. Gorsen, Frauen in der Kunst, 2. Band, 1980, Suhrkamp Verlag,
Frankfurt am Main, S. 38;
182
A. Soltau, Tagebücher, Nachlass zu Lebzeiten, Hessisches Staatsarchiv, Bestand 0 59 Soltau, Nr.
17, 27.11.84;
64
dieser ihrer Handlung verdichtet sich, sie dynamisiert die Linie zu einem Faden, die
Linie zeichnet nach, der Faden verbindet, verstrickt und verletzt. Das Innen und
Außen des Menschen, dessen Haut ihn schützt und doch eine Stimme hat.
Die Trennung von Geist und Körper, das hierarchische Oben und Unten, das Wissen
und Tun, die Trennung in Objekt und Subjekt begleiten Annegret Soltau. Sie fragt
sich lange, ob eine Symbiose aller Teile nicht eher sinnvoll und eine Gleichwertigkeit
gegeben ist.
Wenn die Linie und der Faden von Außen sich um den Menschen legen, wirken ihre
Kräfte auf den Organismus Mensch, manifestieren sich im Körper über die
Interaktion in Form. Wenn der Mensch von Innen heraus Zuständen begegnet, mag er
sich ihnen ausgeliefert fühlen. Handelt es sich um innere Zustände, werden sie seine
Handlung direkt beeinflussen. Über die Schwangerschaften, die tiefe innere Zustände
sind, denen sie sich ausgeliefert fühlt, erarbeitet sich Annegret Soltau im Zentrum
jener Objekt-Subjekt-Diskussion einen Standpunkt. Sie stellt sich diesem Zwiespalt
und den Zweifeln einer Künstlerin und Mutter. Sie löst sich auf in der körperlichen
Aufgabe, erleidet den Moment, sie handelt im Prozess und sammelt ihre Erfahrungen
ein.
Mit der Radiernadel und der Nähnadel räumt Annegret Soltau mit Vorurteilen auf,
die das Leben der Subjekte, der Frauen, beurteilt und dann verurteilt haben. Sie
realisiert in ihrem Werk Wahres eher als Gültiges, weil sie die Herkunft der Zustände
nicht beschönigt, sondern sie roh ins Bild stellt.
Aus dem, was sie als junge Frau wahrnimmt wächst über die Zeit eine Perzeption für
die Umgebung wirkend in ihr als gleichberechtigter Körper.
Keiner ihrer eingerissenen und vernähten Körper leidet, aufrecht blicken sie aus den
Bildern, Blut fließt nicht und zerrissen sind sie auch nicht. Sie setzen sich zusammen
aus Teilen und bedeuten ein Ganzes, erhalten Fremdes und erreichen eine Ordnung.
Immer sind Linie und Naht Augenblicke des Bruches im Ganzen, die die Fähigkeit
zu Erfahrung leben lassen.
" Wenn sich der Wahrnehmende der Nähte und mechanischen Gelenkstellen bei
einem Kunstwerk bewusst ist, dann deshalb, weil die Substanz nicht durch eine
durchgängige Eigenschaft organisiert wird. "183
183
J. Dewey, Kunst als Erfahrung, 1988, Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main, S. 223;
65
LITERATURNACHWEIS
Annegret Soltau, Tagebücher, Nachlass zu Lebzeiten, Hessisches Staatsarchiv,
Bestand 0 59 Soltau;
A. Soltau, Der verschnürte Mensch, Graphik-Kabinett, Karin Friebe, Darmstadt, F
Bönsel, Lautertal, 1976;
A. Soltau, Versuche, Saarländische Zeitschrift für Literatur & Grafik, St. Wendeler
Buchdruckerei und Verlag, 17/1981;
A. Soltau, 1983, hrsg. v. Frankfurter Kunstverein anlässlich der Installation
´schwanger-sein`, Vier-Türme-Verlag, Münsterschwarzach;
A. Soltau, Lebenszeichen, FOTO-Arbeiten und VIDEO-Bänder, Heidelberger
Kunstverein, 1984, Benedict Press, Münsterschwarzach;
A. Soltau, Bild-Schnitt-Bild, Kunsthalle Darmstadt,, 1991, Kunstverein Darmstadt e.
V.;
A. Soltau, Fragmente des Ichs, Mainz ´91, Mainzer Kunstverein, Druckerei Ensch,
Trier;
A. Soltau, der Mensch als Readymade, Sonderdruck aus C. G. Philipp,
Metamorphoto, Jonas Verlag, (nach 1992);
A. Soltau, Heilung, Städtische Galerie am Markt, 1994, Oscar Mahl KG;
A. Soltau, ZeitErfahrung, Hessisches Landesmuseum Darmstadt, Roether-Druck,
1994;
A. Soltau, Von innen nach außen, Darmstädter Kunstedition Merck 37, 1996;
A. Soltau, Ausgrenzung der Frauen in der Kunst am Beispiel A. Soltau, Darmstädter
Dokumente Nr. 2, Magistrat der Stadt Darmstadt, 1997, Druckwerkstatt Kollektiv
GmbH;
A. Soltau, Mutiere oder verwandele ich mich, Hessisches Landesmuseum Darmstadt,
2000, Harold Vits & bureau;
A. Soltau, Mathildenhöhe Darmstadt, 2006, hrsg. v. Kathrin Schmidt, Ph.
Reinheimer GmbH Darmstadt;
A. Soltau, e-mail, marti.ohrt@hotmail.de, 22.8.11;
A. Soltau, hr 27.5.2011: http://www.hronline.de/website/rubriken/kultur/index.jps?rubrik=5986&key=standard_dukument_
41626733, 14.6.2011;
Francis Bacon: http://de.wikipedia.org/wiki/Francis_Bacon_(Maler), 1909-1992,
23.8.2011;
Bauhaus: http://de.wikipedia.org./wiki/bauhaus, 15.8.2011;
S. de Beauvoir, Das andere Geschlecht, Sitte und Sexus der Frau, Rowohlt Verlag,
Reinbek, 1968; Gernot Böhme: http://de.wikipedia.org/wiki/Gernot_Böhme, geb.
1937, deutscher Philosoph, 23.8.2011;
Judy Chicago:http://de.wikipedia.org/wiki/Judy_Chicago, geb. 1939 USA,
feministische Künstlerin, Schriftstellerin und Erzieherin, 22.8.2011;
Marie Luise Kaschnitz http://de.wikipedia.org/wiki/Marie_Luise_Kaschnitz, 1901 1974, deutsche Schriftstellerin, 22.8.11;
66
Klaus Kröger: http://de.wikipedia.org/wiki/Klaus_Kröger, Maler, 1920-2010,
Hamburg, 22.8.2011;
Maria Lassnig: http://de.wikipedia.org/wiki/Maria_Lassnig, 22.8.2011, geb. 1919,
österreichische Malerin und Medienkünstlerin, 23.8.11;
Anais Nin: http://de.wikipedia.org/wiki/Anaïs_Nin, 1903-1977, französische
Schriftstellerin, 23.8.2011;
Walter Pichler: http://de.wikipedia.org/wiki/Walter_Pichler, geb. 1936 Südtirol,
Architekt, Objektkünstler, Bildhauer, Zeichner, 22.8.11;
Robert Preyer: http://www.wiesbadenaktuell.de/nachrichten/news-detailview/article/geburtstagsdoppelausstellung-im-rathaus-und-in-der-galerie-bhaasner.html, 24.8.2011;
Giso Westing: http://de.wikipedia.org/wiki/Giso_Westing, Maler, geb. 1955,
Hannover, 22.8.2011;
S. de Beauvoir, Das andere Geschlecht, Sitte und Sexus der Frau, Rowohlt Verlag,
Reinbek, 1968;
J. Dewey, Kunst als Erfahrung, 1988, Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main;
Langenscheidts Handwörterbuch, Lateinisch - Deutsch, erweit. Ausgabe 1983,
Druckhaus Langenscheidt, Berlin;
G. Nabakowski, H. Sander, P. Gorsen, Frauen in der Kunst, Band 1 und 2, 1980,
Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main;
N. Schütz und M. Blohm, Diskussionsbeiträge zur ästhetischen Bildung, Bd. 7, die
Kunst, der Körper, das Textile, 2005, salon verlag, Köln;
Seitenblicke, Sichtweisen auf das Werk von Annegret Soltau, Darmstädter
Dokumente 25, Wissenschaftsstadt Darmstadt;
67
ABBILDUNGSNACHWEIS
Annegret Soltau, Tagebücher, Nachlass zu Lebzeiten, Hessisches Staatsarchiv,
Bestand 0 59 Soltau;
A. Soltau, Der verschnürte Mensch, Graphik-Kabinett, Karin Friebe, Darmstadt, F
Bönsel, Lautertal, 1976;
A. Soltau, Fragmente des Ichs, Mainz ´91, Mainzer Kunstverein, Druckerei Ensch,
Trier;
A. Soltau, Heilung, Städtische Galerie am Markt, 1994, Oscar Mahl KG;
A. Soltau, Von innen nach außen, Darmstädter Kunstedition Merck 37, 1996;
A. Soltau, Mutiere oder verwandele ich mich, Hessisches Landesmuseum Darmstadt,
2000, Harold Vits & bureau;
A. Soltau, Mathildenhöhe Darmstadt, 2006, hrsg. v. Kathrin Schmidt, Ph.
Reinheimer GmbH Darmstadt;
68
ERKLÄRUNG
Hiermit erkläre ich, Martina Ohrt, dass ich diese Arbeit selbstständig und nur mit den
angegebenen Hilfsmitteln angefertigt habe und dass alle Stellen, die dem Wortlaut
oder dem Sinne nach anderen Werken entnommen sind, durch die Angabe der
Quellen als Entlehnung kenntlich gemacht worden sind.
Martina Ohrt
69
Abbildung 1, Schmerz, 1973, Aquatinta-Radierung, 32x25 cm, A. Soltau, Von innen
nach außen, Darmstädter Kunstedition Merck 37, 1996;
70
Abbildung 2: umschlossener Kopf, 1974, Aquatinta-Radierung, A. Soltau, Der
verschnürte Mensch, Graphik-Kabinett, Karin Friebe, Darmstadt, F Bönsel, Lautertal,
1976;
71
Abbildung 3: Verletzung, 1974, Aquatinta-Radierung, A. Soltau, Der verschnürte
Mensch, Graphik-Kabinett, Karin Friebe, Darmstadt, F Bönsel, Lautertal, 1976;
72
Abbildung 4: selbst, 1975, Fotoperformance, 250x100 cm, A. Soltau, Mathildenhöhe
Darmstadt, 2006, hrsg. v. Kathrin Schmidt, Ph. Reinheimer GmbH Darmstadt, S. 18;
73
Abbildung 5: selbst, 1975, Fotoübernähung, 6x4,5 cm, A. Soltau, Von innen nach
außen, Darmstädter Kunstedition Merck 37, 1996;
74
Abbildung 6: selbst, ebd., Rückseite A. Soltau, Von innen nach außen, Darmstädter
Kunstedition Merck 37, 1996;
75
Abbildung 7: demonstration am 22.1.76, Foto einer Performance, A. Soltau, der
verschnürte Mensch, Graphik-Kabinett, Karin Friebe, Darmstadt, F Bönsel, Lautertal,
1976;
76
Abbildung 8: ich, bedrückt, 1977/78, Fotoradierung, 120x120,5 cm, A. Soltau, Von
innen nach außen, Darmstädter Kunstedition Merck 37, 1996;
77
Abbildung 9: Zustände, 78/9, DIN A4 Heft, copierte Blätter, Annegret Soltau,
Tagebücher, Nachlass zu Lebzeiten, Hessisches Staatsarchiv, Bestand 0 59 Soltau;
78
Abbildung 10: Zustände, 78/9,DIN A4 Heft, Rückseite, ebd. ;
79
Abbildung 11: schwanger, 78, geboren werden, DIN A4 Heft, copierte Blätter,
Annegret Soltau, Tagebücher, Nachlass zu Lebzeiten, Hessisches Staatsarchiv,
Bestand 0 59 Soltau;
80
Abbildung 12: Soziogramm, schwanger, 78, DIN A4 Heft, copierte Blätter, Annegret
Soltau, Tagebücher, Nachlass zu Lebzeiten, Hessisches Staatsarchiv, Bestand 0 59
Soltau;
81
Abbildung 13: geteilte Mutter-Säule, 1980/81, 120x90 cm, Fotoradierung, A. Soltau,
Mathildenhöhe Darmstadt, 2006, hrsg. v. Kathrin Schmidt, Ph. Reinheimer GmbH
Darmstadt, S. 44;
82
Abbildung 14: Einheit und Trennung, 1980/81, Fotoradierung, 144x135 cm, ebd., S.
50;
83
Abbildung 15: Mutter-Glück, 1978-86, Fotovernähung in Portofolio, 45x35 cm, A.
Soltau, Von innen nach außen, Darmstädter Kunstedition Merck 37, 1996;
84
Abbildung 16: Grima - mit Krokodilechse und Fisch, 302, 1990, Fotovernähung,
69,7x50,5 cm, A. Soltau, Mathildenhöhe Darmstadt, 2006, hrsg. v. Kathrin Schmidt,
Ph. Reinheimer GmbH Darmstadt, S. 114;
85
Abbildung 17: Grima - Krokodilechse und Fisch, Rückseite, in ebd., S. 115;
86
Abbildung 18: Mutter-Glück, Nach Tschernobyl 1990, Foto-Collage, schwarzer
Faden, 100x90 cm,
A. Soltau, Fragmente des Ichs, Mainz ´91, Mainzer Kunstverein, Druckerei Ensch,
Trier;
87
Abbildung 19: Körperlachen I, 1990, Vorderseite, A. Soltau, der Mensch als
Readymade, Sonderdruck aus C. G. Philipp, Metamorphoto, Jonas Verlag, (nach
1992), S. 71;
88
Abbildung 20: Körperlachen I, 1990, Rückseite, ebd., S. 70;
89
Abbildung 21: Pubertät - TOCHTER doppelt, 1994, Fotovernähung, 80x71 cm, Von
innen nach außen, Darmstädter Kunstedition Merck 37, 1996;
90
Abbildung 22: generativ - mit Tochter, Mutter und Großmutter, 1994,
Fotovernähung, 21x30 cm,
A. Soltau, Heilung, Städtische Galerie am Markt, 1994, Oscar Mahl KG, S. 33;
91
Abbildung 23: Generativ - mit Tochter, Mutter und Großmutter, Rückseite, ebd., S.
34;
92
Abbildung 24: Tochter-Totem 1-4, 2000, A. Soltau, Mutiere oder verwandele ich
mich, Hessisches Landesmuseum Darmstadt, 2000, Harold Vits & bureau, S. 32-33;
93
Abbildung 25: ebd.
94
Abbildung 26: transgenerativ - MutterVaterTochterSohn, 78, 2005, Fotovernähung,
65,5x87,5 cm, A. Soltau, Mathildenhöhe Darmstadt, 2006, hrsg. v. Kathrin Schmidt,
Ph. Reinheimer GmbH Darmstadt, S. 91;
95
Abbildung 27: transgenerativ - MutterVaterTochterSohn, 78, 2005, Rückseite, ebd.,
S. 92;
96
Abbildung 28: female hybrids, 1-26, 9a, 2002, digitalisierte Fotofragmente, ebd., S.
118;
97
Abbildung 29: female hybrids, 1-26, 4a, 2002, digitalisierte Fotofragmente, ebd., S.
116.
98
An dieser Stelle möchte ich mich herzlich bei Frau Annegret Soltau bedanken.
Für den Zugang zu ihrem Vorlass (Nachlass) zu Lebzeiten, wie sie es nennt, für
Gespräche und für Material.
Vielen Dank. Ottersberg, 30.8.2011
Martina Ohrt
99