fachhochschule ottersberg kunsttherapie/
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FACHHOCHSCHULE OTTERSBERG KUNSTTHERAPIE/ -PÄDAGOGIK DIPLOMARBEIT ANNEGRET SOLTAU - DER FADEN EINE BIOGRAFIE EINE AUSWAHL AUS IHREM WERK VOR DER KUNSTGESCHICHTE IHRER ZEIT UND JOHN DEWEY KUNST ALS ERFAHRUNG MARTINA OHRT 201461 PROFESSORIN DOKTORIN CONSTANZE SCHULZE UND PROFESSORIN DOKTORIN GABRIELE SCHMID OTTERSBERG-LERCHENWEG2-04205-315289 E-MAIL MARTI.OHRT@HOTMAIL.DE 30.8.2011 1 INHALTSVERZEICHNIS VORWORT 3 1960-1977 4 SIE SELBST BEZEICHNET DIESE ZEIT ALS EINE ´SUCHPHASE`, ... 4 HAMBURG 5 DIE POLITISCHE STIMMUNG 6 HISTORISCHE STIMMUNG 7 BEWUSSTSEIN FÜR ERFAHRUNG 8 ... IN DER SIE VERSCHIEDENE TECHNIKEN AUSPROBIERT 10 MAILAND 11 ENGE DES BILDES 13 VON INNEN NACH AUßEN 15 DARMSTADT 17 FOTOPERFORMANCES FOTOÜBERNÄHUNG PERFORMANCES 18 PHYSISCHE GEGENWART 21 1977-1990 25 FOTORADIERUNG 27 ZUSTÄNDE 29 DIN A4 HEFTE 31 TABLEAUS 37 MÜTTERLICHKEIT UND FÜRSORGE 40 FOTOVERNÄHUNGEN 45 ROM 48 1990-2011 51 FOTOVERNÄHUNGEN 51 GANZKÖRPERPORTRAITS 52 GENERATIV 56 ABHÄNGUNGEN 59 HYBRIDE 60 ERFAHRUNGEN 61 UND ERWEITERUNGEN 62 NACHWORT 64 LITERATURNACHWEIS 66 ABBILDUNGSNACHWEIS 68 ERKLÄRUNG 69 ABBILDUNGEN 70-98 2 VORWORT Das künstlerische Werk von Annegret Soltau benutzt einen Faden, um einen Bezug zu dem Leben als Mitglied einer Gesellschaft und einer Familie und zu dem Leben als Frau sowohl ´ persönlich ` als auch ´ politisch ` herzustellen. Wie hat Annegret Soltau diesen Faden gefunden und aufgenommen? " Später dann, Du warst vielleicht 9 Monate, habe ich Dich zu Oma gegeben, " schreibt ihre Mutter in einem Brief.1 1946 geboren wächst Annegret Soltau bei ihrer Großmutter auf dem Land auf. Ihr Vater bleibt nach dem zweiten Weltkrieg verschollen. Die Erziehung findet in dem klaren Rollenbild der Zeit und der Großmutter statt. Abends wurde gehandarbeitet. " Ich hab´ das natürlich nicht gerade so toll gefunden, weil es so zwanghaft war, dass man abends dann da sitzt und Strümpfe strickt, und Handschuhe. Ich hab´ mich dagegen gewehrt. Ich wollte lesen, ich wollte eigentlich ´was ganz anderes machen und ich wollte nicht so fest in dieser Rolle sitzen ", sagt Annegret Soltau am 27.5.2011 in einem Gespräch im hr dazu.2 John Dewey 3 spricht von einer Kontinuität der und innerhalb der Erfahrungen, die Materie, Objekte, Gefühle und Ideen in ihrer individuellen Reihenfolge zueinander stellt. Der Mensch und der Künstler mag dieser Kontinuität Ausdruck verleihen, indem sie Materie mit Bedeutung versehen, Objekte und Symbole werden geschaffen, Handlungen und Ereignisse finden statt. Aus Materie, Bedürfnissen und Zielen schafft der Mensch Objekte, die seine Bedürfnisse befriedigen und seine Ziele erfüllen. Er sammelt Erfahrungen. Ein Handwerker stellt in einem direkten und bewussten Umgang mit Materie einen Gegenstand her, der einen konkreten Nutzen hat. Er setzt in einer Begegnung mit der Materie seine Erfahrungen aus der Erinnerung, seine Erfahrungen und die Ereignisse in der direkten Wahrnehmung und seine Bedürfnisse einer Interaktion aus, die er 1 A. Soltau, 1983, hrsg. v. Frankfurter Kunstverein anlässlich der Installation ´schwanger-sein`, VierTürme-Verlag, Münsterschwarzach, S. 24-25; 2 A. Soltau, hr 27.5.2011, http://www.hronline.de/website/rubriken/kultur/index.jps?rubrik=5986&key=standard_dukument_41626733, 14.6.2011; 3 J. Dewey, Kunst als Erfahrung, 1988, Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main; 3 genauso reflektierend und handelnd lenkt, wie die Materie sie in ihrer Eigenschaft zulässt. Ein Künstler stellt unter derselben Bedingung der aktiven Begegnung ein Kunstwerk her, in dem Erfahrungen Symbolen zugeordnet sind, und Erfahrungen dokumentiert dargestellt sind unter der Verwendung von Material, welches die Erfahrungen lebendig erhält und zu einer weiteren wahrnehmbaren Erfahrung verdichtet. Ich möchte von der Künstlerin Annegret Soltau erzählen. Ihre biografischen Daten voranstellen, aus ihrem Werk in chronologischer Reihenfolge auswählen, um vor dem gesellschaftlichen Geschehen der Emanzipation der Frau sichtbar werden zu lassen, wie Annegret Soltau diese und ihre Erfahrungen kontinuierlich empfängt und wieder hergibt. 1960 BIS 1977 Sie selbst bezeichnet diese Zeit als eine ´Suchphase`4, ... Auf dieser Suche sammelt der Mensch Erfahrungen, indem er die in seiner Umgebung, in seiner Umwelt enthaltenen Objekte und Ereignisse über seine Sinnesorgane wahrnimmt. Er begegnet diesen Objekten und Ereignissen in ihrer Materialität, weil er sie wahrnimmt. " Die Sinne sind diejenigen Organe, durch die das lebendige Geschöpf unmittelbar an den Vorgängen der es umgebenden Welt teilnimmt. "5 Diese Teilnahme ermöglicht dem lebendigen Geschöpf in dieser Welt zu handeln, in einer Begegnung mit ihr zu interagieren und zu leben. Es steigert unmittelbar das Daseinsgefühl, handelnd Erfahrungen und Bedürfnisse bewusst wahrzunehmen und zu einer Erfüllung zusammen zu führen. Objekte und Ereignisse imprägnieren sich im Bewusstsein des lebendigen Geschöpfes über ihre Eigenschaften und Materialität, weil sie ihm eine Erfahrung bereiten. Sie erhalten eine ästhetische Bedeutung, während sie wahrgenommen werden. So findet Leben statt, im Austausch, in der Interaktion mit der Umgebung. " Kein Lebewesen existiert ausschließlich innerhalb des Bereichs seiner eigenen 4 A. Soltau, Mathildenhöhe Darmstadt, 2006, hrsg. v. Kathrin Schmidt, Ph. Reinheimer GmbH Darmstadt, S. 25; 5 J. Dewey, Kunst als Erfahrung, 1988, Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main, S. 31; 4 Haut. Vielmehr stellen seine subkutanen Organe die Verbindung zu dem her, was außerhalb seines Körpers liegt, und um leben zu können, muss es sich dieser Umwelt angleichen - sei es durch friedliche Anpassung, durch Verteidigung oder durch Eroberung. Ein Lebewesen ist jederzeit den Gefahren seiner Umwelt ausgesetzt, und jederzeit muss es auf seine Umwelt zurückgreifen, wenn es seine Bedürfnisse befriedigen will. "6 In der ästhetischen Eigenschaft der Materie und in dem Bedürfnis des lebendigen Geschöpfes sind die Organe einerseits empfangend sowohl dem drängenden eigenen Bedürfnis gegenüber als auch der wahrnehmbaren Materialität der Objekte gegenüber. Andererseits sind diese Organe innerhalb einer Interaktion gebend, wenn sie dem Objekt einen Platz in Gebrauch und Bedeutung, in Bewusstsein und Symbolik schaffen. Aus einer Begegnung entsteht auf geistiger Ebene Erfahrung, sie - die Organe - geben Erfahrung weiter. HAMBURG 1960 beendet Annegret Soltau die Schule. Mit der finanziellen Unterstützung ihres Lehrers Schubert besucht sie die Handelsschule, erhält 1962 einen Abschluss aber keine reguläre Ausbildung. Sie arbeitet als Bankgehilfin, als Assistentin in einer Unfallchirurgie im Hamburger Hafen und verbringt ein Jahr als Au-Pair in England. In England nimmt sie neben dem Sprachunterricht an einer Zeichenklasse teil. In einem Tagebuch 1965/19667 beschreibt sie ihren Erfolg, ihr Interesse und verfasst die Niederschrift eines Briefes an einen Freund mit der Bitte, sie in einer Bewerbung für das Studium der Freien Malerei und Grafik an der Hochschule für Bildende Künste in Hamburg zu unterstützen. Zu einem Besuch bei der Mutter im Dezember 1974 notiert Annegret Soltau in der Rückschau, " denn Zeichnen drückt Alles aus, in Worten gelingt die Vollständigkeit weniger, dessen war und bin ich mir bewusst, ich kann mir bewusster werden." 8 Annegret Soltau absolviert das Hochschulstudium der Freien Malerei und Grafik bei 6 ebd., S. 21; A. Soltau, Tagebücher, Nachlass zu Lebzeiten, Hessisches Staatsarchiv, Bestand 0 59 Soltau, Nr. 1 und 2; 8 ebd., Nr. 3, 21.12.74; 7 5 Hans Thiemann, Kurt Kranz, Rudolf Hausner und David Hockney in den Jahren 1967 - 1972. Hans Thiemann und Kurt Kranz sind Bauhausschüler gewesen. Die 1919 gegründete Bauhaus Kunstschule war als Arbeitsgemeinschaft konzipiert, in der Handwerker und Künstler als gleichwertig gesehen wurden. Es sollte der damaligen Idee entgegen gewirkt werden, dass Kunst als Formsprache aus vergangenen Epochen nahm und maschinell herstellbar war. Es sollte das künstlerische Handwerk belebt werden, neue Formsprachen zu entwickeln, die auch dem Herstellungskonzept der Industrie gerecht werden konnten.9 Ein Ort, an dem sich Schöpferisches und Wissenschaftliches trafen. Im Studium heiratet sie 1970 den Bildhauer Baldur Greiner. Sie erhält ein Auslandstipendium für Wien 1972 und für Mailand 1973, wo auch Baldur Greiner sich als Stipendiat aufhält. Mit ihm zieht sie nach Studium und Stipendien nach Darmstadt, wo sie heute noch mit Baldur Greiner lebt. DIE POLITISCHE STIMMUNG Ihre Umgebung war erfüllt von der Erregung der Studenten über die politischen Strukturen ihrer Zeit. Die so genannten Studentenunruhen beherrschten allerorts das Leben an den Universitäten. In der damaligen BRD war die Studentenbewegung von emanzipatorischen Gedanken der Frankfurter Schule geprägt, Menschen sollten nicht über Menschen herrschen, Staaten nicht über andere Staaten, Staat nicht über Bürger, Lehrer nicht über Schüler, Eltern nicht über Kinder, Männer nicht über Frauen. Die Frauenbewegung, die Emanzipation, ging in ihre zweite Welle. Das Wahlrecht und der Zugang zu den Bildungsstätten waren schon in der ersten Welle erkämpft worden. Die Gleichberechtigung und das Gefühl, was das Sein kann, waren in der Abhängigkeit der hierarchischen und patriarchalischen Gesellschaftsstrukturen stecken geblieben, letztlich auch durch das Familienbild der Nationalsozialisten unterbrochen. " Sie (die Frau, Anm. der Verfasserin) ist die Wahrheit, Schönheit, Poesie, ist alles: 9 http://de.wikipedia.org./wiki/bauhaus, 15.8.2011; 6 alles in der Gestalt des anderen, alles nur nicht sie selbst. " 9 In der Befreiung von dem Mann, von den patriarchalischen Strukturen, die das Innen und Außen, das Sinnliche, den Sinn und das Bild nicht nur der Frauen festhielten, lag auch eine Selbstbefreiung, die über das Bewusstsein der eigenen Körperlichkeit und Gefühle Erfahrungen, Vokabular und ein eigenes Bild von sich für das persönliche und öffentliche Verständnis schuf. In dieser Parallelität der Emanzipation der Frau zu den emanzipatorischen Gedanken der 1960er entstand der Gedanke, das Persönliche ist politisch und das Politische ist persönlich, so diese beiden Orte einander maßgeblich durchwirken. Bleibt das Persönliche in der Rollenverteilung, kann es das Politische nicht anders bilden als aus diesen Rollen herau. Verändert sich die Gestaltung der persönlichen Beziehungen und der Erziehung, wirken beide auf die Gesellschaft von Innen. Verändern sich die politischen Ideen, können sich die Rollen verändern. HISTORISCHE STIMMUNG Für die Werke Weiblicher Kunst und deren Anerkennung in der Kunstgeschichte sind folgende Stimmen noch aus dem Beginn des 20. Jahrhunderts bestimmend. Aus dem Jahre 1917: " Wenn es aber nicht zu leugnen ist, dass man die Künstlerinnen aus der Kunstgeschichte streichen könnte, ohne eine empfindliche Lücke im Entwicklungsgange zu erhalten, wie ja auch ein Bau darum unerschüttert stehen bleibt, wenn man ihm einige seiner reizenden Verzierungen nimmt, so ist es doch nicht minder gewiss, dass die ganze Kunstgeschichte in ein ödes Nichts zusammenbräche, wenn man die Frauen aus ihr entfernte. Ich meine nun nicht die Frauen, welche gemalt haben, sondern die, welche sich haben malen lassen." 10 Und so ..." zumindest bleibt den Frauen nach der üblichen Rollenzuweisung als Vorlage und Anregung männlicher Produktion der Weg in die ästhetische Selbstbestimmung versperrt," sowohl in der aktiven Rolle den Pinsel führend und sich gestaltend als auch in der passiven Rolle, ein originäres Ideal denkend und verkörpernd in den Raum zu stellen, denn: "Sie sind Objekt, nicht Subjekt, Geschöpf, 9 S. de Beauvoir in G. Nabakowski, H. Sander, P. Gorsen, Frauen in der Kunst, Bd. 2, 1980, Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main, S. 19; 10 Wilhelm Lübke in ebd., S. 18; 7 nicht Schöpfer der Kunstgeschichte." 11 Dem voraus aus dem Jahre 1913: " Die Gestalt des Weibes wird in der Literatur und Kunst nur geoffenbaret durch Spiegelreflex aus der Seele des Mannes. Sie ist sein Denken, sein Traum und seine Wunschsymbolik. Selbstbekenntnisse der Weiber sind selten. .... Siegen tut seit langer Zeit immer nur das einzelne Weib im Gegensatz zur Gesamtheit der Frauen, und es siegt dann nur durch die in ihm ruhende genitale Macht. " 12 Diese Steigerung seiner Allmacht, geniale Kultur aus den Händen der Frau war durch eine unstreitbare Männlichkeit in ihr oder die Kopie einer seiner Ideen geschaffen, also niemals weiblich im autonomen Sinne, denn sie war die lebendige Verkörperung seiner Idee, trug die Auguren für die Handlungen der Frau in ihrer Zukunft. Sie war nicht sie selbst, nicht in der Erfüllung der Bilder, nicht auf der Leinwand und nicht in der Politik. Den Ort, die Zeit und die Art, ein Selbst bzw. selbst zu erfahren, zu wollen, zu handeln und aus zustatten, in Bild, Bedürfnis und Ziel Bedeutungen zu verleihen, stand ihr bevor. Unter diesen Bedingungen sollte die die Frau darstellende Kunst die realistische Wiedergabe der Frau, der Umgebung, der Objekte und der Ideen sein, ohne dass eine reflektierende Beziehung zu dieser Umwelt Erfahrungen aus dieser Beziehung zum Ausdruck brächte. Die Frau selbst also ohne Interaktion in dieser Umwelt stand und handelte. Diese Theorien waren 60 Jahre alt, als Annegret Soltau ihr Studium begann. BEWUSSTSEIN FÜR ERFAHRUNG Während der Mensch in der Interaktion mit seiner Umwelt gewöhnliche Erfahrungen macht, um seine elementaren Bedürfnisse zu erfüllen, trifft er in den Objekten dieser Umwelt auf Widerstand und Gleichklang, die über sein Empfinden, seine Erfahrung, eine Ordnung erfahren, der auch er unterliegt. Er lebt von und mit diesen Objekten in einem kreativen Austausch, und die Objekte geben ihm das Material für sein Leben und seine Erfahrungen. " Die direkte Erfahrung ergibt sich aus der Wechselbeziehung zwischen Mensch und Natur. Innerhalb dieser Wechselbeziehung sammelt sich die menschliche Energie, wird freigesetzt, aufgestaut, zurückgedrängt und setzt sich 11 12 ebd., S. 19; Alfred Kind in ebd., S.20; 8 siegreich durch. Es gibt einen rhythmischen Wechsel von Bedürfnis und Befriedigung, Pulsschläge ausgeübten und aufgehaltenen Tuns. " 12 Der Mensch ist sich dieser Vorgänge bewusst und ist somit in der Lage, eine Ursache in ein Mittel und eine Wirkung in eine Folge zu wandeln, weil er Erfahrungen sammelt, Erinnerungen hat und mit beidem planen kann zu handeln. John Dewey setzt seinen Kunstbegriff dort an, wo " der Mensch Stoffe und Energien der Natur in der Absicht nützt, sein Leben zu erweitern ... , und dass der Mensch fähig ist, bewusst - und dieses auf der Ebene der Bedeutung - die für das lebendige Geschöpf so typische Einheit von Sinneswahrnehmung, Bedürfnis, Wollen (Impulse) und Handeln wiederherzustellen. " 13 Dort, wo der Mensch sich aktiv in seiner und der ihn umgebenden Gegenwart seiner Verstandeskraft und Ausdruckkraft bewusst wird. Dort, wo er nicht kopiert. Und dort, wo er einem organischen Verlangen - sowohl der Organe, die Befriedigung suchen als auch der, die Sinn suchen - einen Weg schenkt. " Sinn aber, der sich als Bedeutung so unmittelbar in der Erfahrung verkörpert, dass er durch diese seine eigene Bedeutung erhellt, ist die einzige Bezeichnung, die die Funktion der Sinnesorgane in ihrer vollen Verwirklichung zum Ausdruck bringt. " 14 Annegret Soltau bewundert in ihrem Tagebuch den Stil Anais Nin´s 15 , nach dem Gefühl zu schreiben, " ohne den anmaßenden Gedanken, Kunst machen zu wollen, natürlich müssen die formalen Sachen mit drin sein, aber nicht als Ausgangspunkt. Ich arbeite von Innen nach Außen, es gibt auch den umgekehrten Fall, eben die Objektivität, die im Moment stark gefragt ist, aber auch die Subjektivität kann doch objektiv werden, eben indem man sie mit anderen konfrontiert, und die anderen Menschen sich damit auseinandersetzen. "16 12 J. Dewey, Kunst als Erfahrung, 1988, Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main, S. 24; ebd., S. 35; 14 ebd., S. 31; 15 http://de.wikipedia.org/wiki/Anaïs_Nin, 1903-1977, französische Schriftstellerin, 23.8.2011; 16 A. Soltau, Tagebücher, Nachlass zu Lebzeiten, Hessisches Staatsarchiv, Bestand 0 59 Soltau, Nr. 3, 2.9.74; 13 9 ... in der sie verschiedene Techniken ausprobiert. Annegret Soltau probiert sich aus: Eine mit Fineliner ´Überzeichnete Frau`, 1972, ein Bildausschnitt aus einer Illustrierten.17 Gezeichnete Portraits in Bleistift, (seltenem) Buntstift und schließlich Portraits in Drucktechnik, Aquatinta Radierungen. Die Plastizität dieser Portraits ist auf das Nötigste reduziert, feine Linien oder starke helldunkel Kontraste grenzen Gesicht und Medium voneinander ab. Letztere mögen auch überzeichnet im Portrait einer Stimmung Ausdruck verleihen, ´Schmerz`, 1973, Radierung (Abb. 1, S. 70) oder das Gesicht zu seiner Verhüllung kontrastieren. Der Umraum gibt keinen Ort her, kein Gegenstand steht dem Portrait zur Seite. Diese Leere, dieser perspektivlose Raum, rahmt bis heute die dargestellte Figur im Werk von Annegret Soltau. Die Blätter dieses ersten Werkzyklus` bleiben im DIN A2 Format und kleiner. Die Titel der Arbeiten verraten die Anzahl der Dargestellten, ´Junge mit Hund`, 1971, Bleistiftzeichnung,18 ´Paar`, 1973, Aquatinta-Radierung,19 oder, was den Dargestellten widerfahren ist, ´umschlossene Figur`, 1973, AquatintaRadierung,20 ´umschlossener Kopf`, 1974 (Abb. 2, S. 71), ´umschlossene`, 1973, Blei- und Buntstift,21 ´umsponnene `, 1973, Bleistift.22 Allen ist gemein, Frauen sind dargestellt, Augen und Münder sind verschlossen, ein Faden wucherndem Körper-Haar oder sich fortsetzender Kleidung entwachsen spinnt sich eng um Hals und Kinn. Als potenziere es sich selbst, was umgarnt, einwickelt, verschnürt und Nähe in den Doppelportraits herstellt, die über ein siamesisches Verwachsen-Sein an manchen Stellen hinausdeutet, ´Paar`, 1973, AquatintaRadierung.23 Annegret Soltau erarbeitet sich ihr handwerkliches Werkzeug in der Drucktechnik und dokumentiert Enge zwischen dargestelltem Wesen, Linie und Faden. Die Köpfe 17 A. Soltau, Mathildenhöhe Darmstadt, 2006, hrsg. v. Kathrin Schmidt, Ph. Reinheimer GmbH Darmstadt, S. 14; 18 ebd., S. 106; 19 A. Soltau, Von innen nach außen, Darmstädter Kunstedition Merck 37, 1996; 20 A. Soltau, Der verschnürte Mensch, Graphik-Kabinett, Karin Friebe, Darmstadt, F Bönsel, Lautertal, 1972; 21 A. Soltau, Mathildenhöhe Darmstadt, 2006, hrsg. v. Kathrin Schmidt, Ph. Reinheimer GmbH Darmstadt, S. 16; 22 ebd., S. 15; 23 A. Soltau, Von innen nach außen, Darmstädter Kunstedition Merck 37, 1996; 10 sind vom Hals her umwickelt und umgarnt. Das eigene Haar oder die angelegte Kleidung ergreifen das Subjekt, welches still erleidet. Von Außen nach Innen wirkt der Faden und hält das Körperempfinden fest. In der hauptsächlich dargestellten Frau verbindet sie das Gesehene mit dem Gefühlten, weil sie als Frau die Frau über die reine Form und die Idee hinaus wahrnimmt, ihr subjektives Sein in das Werk integriert. Gislind Nabakowski und Andere zitieren dazu den Begriff der ´body experience` (engl.: Körpererfahrung) der Judy Chicago,24 " Frauen ... sähen von außen auf ihr Darstellungsobjekt und seien zugleich es selbst. Gemeint sind Erfahrungen, die die Objektivierungstendenzen des Augensinns durch ein Körpergefühl ergänzen, das sich die Wahrnehmungswelt mimetisch-leiblich aneignet. "25 Über die Hinzunahme der ´body experience` im Moment des Sehens gestaltet sie neben dem gesehenen Objekt das eigene Körpergefühl. Dem Mann als Künstler mag das in der Darstellung seiner selbst gelingen, in der Darstellung der Frau bleibt sie seine Idee, in der er sie auch verfehlen kann. Es mag noch nicht die eigene gegenwärtige Enge sein, der Annegret Soltau Ausdruck verleiht. Sie nähert sich als Frau der Darstellung von Frauen, in deren Gefühl von Enge sie eine Resonanz empfindet und darüber eine Nähe herstellt. MAILAND Auf den Straßen von Mailand lässt sie sich inspirieren, " weil in Italien die Menschen auch die Emotionen nach außen tragen. In Wien dagegen war alles so versteckt. Und in Italien dann auch diese Frauen, diese italienischen Frauen mit den Tüchern, das hat mich inspiriert, wie die sich so eingewickelt haben, was undefinierbare Gebilde waren, was Einengung und Schutz zugleich war. Also, das ist etwas Wesentliches."26 Die Zusage für ein Stipendium bedeutet Anerkennung, sie festigt das Selbstwertgefühl: Annegret Soltau beherrscht die Technik der Druckgrafik und kann 24 http://de.wikipedia.org/wiki/Judy_Chicago, geb. 1939 USA, feministische Künstlerin, Schriftstellerin und Erzieherin, 22.8.2011; 25 G. Nabakowski, H. Sander, P. Gorsen, Frauen in der Kunst, Bd. 2, 1980, Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main, S. 41; 26 A. Soltau, hr 27.5.2011, http://www.hronline.de/website/rubriken/kultur/index.jps?rubrik=5986&key=standard_dukument_41626733, 14.6.2011; 11 sie nun vertieft einsetzen. Annegret Soltau läuft nicht mehr in der engen Verbindung zu den Kommilitonen durch diese fremden Straßen. Weniger Gespräche über Professoren, über Politik, über Veranstaltungen und über den Alltag binden ihre Aufmerksamkeit. Aus einer kühl wirkenden Distanz heraus empfindet sie die Bilder in Mailand real in den Begriffen von Einengung und Schutz. Die ästhetischen Erfahrungen ihrer eigenen Schöpfungen setzen sich fort in den Tüchern der Mailänder Frauen und der emotionalen Gestik dieser Menschen. In dieser öffentlichen Körpersprache sind mehr bedeutende Zeichen für verschiedene Emotionen enthalten. Der Faden, der sich außen um den Hals legt, der für das Innen einen Eindruck zeichnet, wickelt weiter. Ihre Interaktion mit der Umwelt, ihre Erfahrungen und ihr Bedürfnis, dem Ausdruck zu verleihen, verdichten sich. Den Antrieb, den sie in sich wahrnimmt, bezeichnet John Dewey als " eine Bewegung des gesamten Organismus, die sich vorwärts und nach außen richtet, und für die die speziellen Antriebsfaktoren Hilfsmittel darstellen. "27 Die Antriebsfaktoren sind äußerlich in dem Auftreten der Mailänder Frauen zu sehen, während sie innerlich in den ästhetischen Eigenschaften der Erfahrungen von Annegret Soltau selbst liegen. Die Linie der Radiernadel, die sich als Haar oder Stoff um Hals und Kopf ihrer Portraits schlingt, die Stimmung der gesellschaftlichen Enge für die Frau, die Identifikation damit und der bisherige Erfahrungsschatz im Einsatz ihrer Mittel bestätigen Annegret Soltau ihre Interaktion mit ihrer Umwelt. Die Absicht ihres Antriebs und die Erfüllung des Bedürfnisses, der Erfahrung der Enge Ausdruck zu verleihen, treffen sich in einer für sie und andere nachvollziehbaren Erfahrung, die über das Bild stattfindet. Ihre " Verhaltensformen ... füllen sich mit Bedeutung,"28 ihre Materie ist die Erfahrung, weil sie ihr gemäß darstellend handelt. 27 28 J. Dewey, Kunst als Erfahrung, 1988, Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main, S. 72; ebd., S. 73; 12 ENGE DES BILDES In diesem Anblick der neuen Umgebungen transzendiert das eine Bild in das folgende. Es finden Begegnung und Interaktion mit der Umwelt statt. Das Verwickelt-Sein mit sich und mit der Umwelt. Eine Erregung gekennzeichnet in der nach außen getragenen Emotion und setzt das Bild unter Spannung. Engt das Denken und die Erwartung der Umwelt ein? Engt das Bild der Frau ein? Welches emp-findet sie? Das eigene oder das der Gesellschaft, dem sie entsprechen möchte oder muss? Vor was schützt sie sich? Vor den Erwartungen, vor dem Urteil über das, was sie verkörpert? Soll sie sich schützen, weil sie eine Frau ist? Der Faden aus der Radiernadel Annegret Soltaus bindet die Frau, den Protagonisten ihrer Kunst, dicht an die Wahrheit, die sie verkörpert und in der sie steht. Sie empfindet die Enge des Bildes und der Idee, in die die Umwelt sie stellt, deren anerkanntes Dokument bis dato der Mann geschöpft hat. Grundlegend hat er sie dort verfehlt, wo sie in seinem Dokument, in seinem Werk, als passiv erleidend stand, weil er sie sich so vorstellte. Wirtschaftlich war sie von ihm abhängig bis ca. zum Ende des 19. Jahrhunderts. Rechtlich und politisch konnte sie erst mit zunehmender und gleicher Bildung ihre Stimme in den Alltag einbringen und einen gleichwertigen Beruf ergreifen. Ihr künstlerischer Ausdruck in Abhängigkeit der Bildung beschränkte sich auf handwerkliche Tätigkeiten, die Gestaltung des Haushaltes, der Erziehung der Kinder und ihrer selbst, alles er bei seiner Rückkehr von der Arbeit in den Haushalt selbstverständlich in Anspruch nahm. In seinem Dokument dieser Umwelt stand sie schön, sexy oder keusch, bekleidet mit Aussehen und Aufgabe. Vor dem Dokument, seinem Werk, stand sie und entsprach seinem Bild. Er hat sie dort verfehlt, weil er von dem Moment ihrer Erfahrung bis zu dem Moment der Bedeutung seinen Körper als die Erfahrung wahrnehmend und deutend setzte. Sein Bedürfnis und deren Erfüllung waren vorrangig. Erklären will sich diese Rollenverteilung aus der Not der passiven Rolle, die nicht aggressiv unentschieden blieb. Annegret Soltau erspürt diese Verbindungen, wie das Außen das Innen erwirkt und das Innen das Außen bildet. Eine Liste von Radierungen aus einem Tagebuch dieser Zeit nennt Themen, 13 " 1. Doppelportrait, 2. Frauenportrait, 3. Frau am Tisch sitzend, 4. 2 Frauen im Raum, 5. Reihe, 6. Schmerz, 7. Verzweifelung, 8. Trauer, 9. Selbstportrait, 10. Gudrun Enslin, 11. 3 Generationen. " Einige Zeilen darunter ist ein weiterer Titel eines Drucks mit einem Kommentar angegeben. " 2 Frauen wartend, bis zur Selbstaufgabe, Hingabe, Ausdauer, nur wartend, auf was, auf das Leben, die Zeit, das Alter, den Tod. "29 Über den Menschen schreibt sie: " Ein Gefühl bezwingt den Menschen, es ist im Gesicht zu lesen, tritt nach außen, bezwingt den Menschen, der Mensch verliert sein volles Bewusstsein und tritt in einen Zustand, ist entrückt. Ich möchte ein Gesicht umkehren. Es von Innen nach Außen umwenden. Die Seele hervorholen, das Wesen herausschälen. "30 Die Form der Darstellung ist nachvollziehbar, es geht um die direkte Darstellung von Gefühl und Ursache bzw. Mittel in dem Fall der künstlerischen Darstellung. Das Portrait lässt keinen Zweifel an dem Protagonisten. Annegret Soltau erarbeitet sich Material, welches sich in ihren persönlichen Erfahrungen gefunden um die Erfahrung bereichert, die in der Darstellung direkt und in der Betrachtung derselben stattfinden kann. Gelenkt von diesen Erfahrungen, " sie sind die Organe, mit denen " sie " wahrnimmt, "31 stellt sie ihr Werk dichter an eine Wirkung denn an eine Aussage, weil diese sich darauf beschränkt, lediglich Bedingungen anzuzeigen, " unter denen die Erfahrungen eines Objektes oder einer Situation gemacht werden. "32 " Erfahrung ist das Resultat, das Zeichen und der Lohn einer jeden Interaktion von Organismus und Umwelt, die, wenn sie voll zum Tragen kommt, die Interaktion in gegenseitige Teilnahme und Kommunikation verwandelt." ... Sinnesorgane " und der an sie angeschlossene Bewegungsapparat " ... sind " die Werkzeuge dieser Teilnahme. "33 Mit einem daraus resultierenden Ziel findet Annegret Soltau und setzt seine Suche fort. 29 A. Soltau, Tagebücher, Nachlass zu Lebzeiten, Hessisches Staatsarchiv, Bestand 0 59 Soltau, Nr. 79, 27.11.72; 30 ebd., 29.11.1972; 31 J. Dewey, Kunst als Erfahrung, 1988, Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main, S. 106; 32 ebd., S. 100; 33 ebd., S. 32; 14 VON INNEN NACH AUßEN Daraufhin verbindet der Faden sich mit der Umwelt. Er entwächst einer ´Verletzung`, 1974 (Abb. 3, S. 72), nimmt den direkten Weg aus dem Blatt heraus, oder er spinnt sich im Blatt zu einem Netz mit Verankerungen an Mund, Augenlid und Blattrand, ´Maske`, Aquatinta-Radierung und ´Paar`, Radierung, beide 197434 entstanden. Diesen beiden Arbeiten ist noch gemein, dass sie wie tatsächliche Masken dem Körper entrissen abgelegt auf dem Blatt ruhen. Wie auf einem schwarz-weiß Negativ hebt sich die dunklere Maske von dem hellen Untergrund ab, an ihrem Rand ist mit gebrochener Linie der Riss gezeichnet, auf dem Untergrund bewegen sich dünne und feine Linien im Weiß und beides - Weiß und Linie - sich auch auf die Maske zu legen scheinen. 1975 zerbricht die Haut der Dargestellten, der Faden ist nun feiner Riss oder klaffender Spalt, ´Risse`,1975, Aquatinta-Radierung und ´Spaltung`, 1975, Aquatinta-Radierung.35 Zu einem Selbstportrait des Künstlers Walter Pichler36 schreibt Annegret Soltau: " Alles quillt aus ihm heraus, aufgelöst, zerfließend. Feine Nerven, die sich ziehen, länger und feiner werden, bis sie zerreißen."37 Annegret Soltau setzt sich meisterhaft mit der Technik des Druckes auseinander und schreibt dazu: " Radieren ist eine verletzende Technik, die Platte wird geritzt, gegerbt, eingefressen, eingebrannt, es gibt Brandmale."38 Sie antwortet auf die Frage der Schriftstellerin Marie Luise Kaschnitz,39 die in Frankfurt lebte, warum sie Frauen darstelle? " Mein Interesse gilt nicht der Frau, sondern dem Menschen und ich bin eine Frau, daher die Darstellung der Frauen in ihren jeweiligen Situationen, Zuständen, oder Verhängnissen - es könnte auch ein Mann dafür stehen."40 Die Abbildung der Frau 34 A. Soltau, Der verschnürte Mensch, Graphik-Kabinett, Karin Friebe, Darmstadt, F Bönsel, Lautertal, 1972; 35 ebd.; 36 http://de.wikipedia.org/wiki/Walter_Pichler, geb. 1936 Südtirol, Architekt, Objektkünstler, Bildhauer, Zeichner, 22.8.11; 37 A. Soltau, Tagebücher, Nachlass zu Lebzeiten, Hessisches Staatsarchiv, Bestand 0 59 Soltau, Nr. 79, Nov. 72; 38 ebd., Nr. 3, 18.11.74; 39 http://de.wikipedia.org/wiki/Marie_Luise_Kaschnitz, 1901 - 1974, deutsche Schriftstellerin, 22.8.11; 40 A. Soltau, Tagebücher, Nachlass zu Lebzeiten, Hessisches Staatsarchiv, Bestand 0 59 Soltau, Nr. 3, 15 ermöglicht es Annegret Soltau über die persönliche ´body experience` das Körperempfinden so zu integrieren, dass neben dem Bild von Enge und Einengendem eine körperliche Resonanz dargestellt ist, die abhängig ist von ihrer eigenen Gegenwart und von ihrer Umwelt. Nicht nur eine Idee bildet sich im Bild ab, wirkt von außen nach innen. Das Innen zeigt eine Reaktion, es zeichnet sich dicht an der Realität ab, auf der Haut. In diesem Moment der Emanzipation suchte eine/die Künstlerin sich darüber neu zu bestimmen, dass sie für sich genau dort, wo das Bild der Frau als Idee stand, ein Bild mit eigenem emotionalem Inhalt schuf. Ihre Idee um ihrer Selbst angereichert und erfüllt von authentischem Innen. Die Künstlerin schuf so das reale Bild passend zu ihrer Wahrnehmung. Dort trennten sich weibliche und männliche Kunst, weil dem Künstler der Zugang zu jenem Ort der ästhetische Wahrnehmung versperrt war und bleibt. Gislind Nabakowski und andere fanden in diesem Ort die ästhetischen Manifestationen der Unterdrückung der Frau als Person und Künstlerin, in dem sie sich nun befreien konnte, weil sie sich unterdrückt und eingeengt darzustellen vermochte, das Einengende materialisieren konnte und darüber hinaus das Eigene und Reale dem entgegen zusetzen vermochte.41 Einige Zeilen weiter im Tagebuch der Annegret Soltau ihre Gedanken zu dem irischenglischen Maler Francis Bacon:42 " Bacon stellt Verletzbarkeit dar, die große Wunde, den Schrei. Aber er macht es mit der gleichen Intensität, was der Schrei ist. Es ist doppelt dargestellt, der expressive, brutale Ausdruck in dem menschlichen Gesicht und dazu noch der expressive Ausdruck der Malerei. Die Wunde, den Schmerz, das Leiden stellt er nicht dar, sondern die Zerstörung an sich. "43 Und Gedanken von Annegret Soltau zum Ausdruck von " Menschen wie Tiere - ist der Ausdruck stark wie das Lachen, das Weinen, das Schreien, ist der Ausdruck außen sichtbar. Ist der Ausdruck still, ist er in sich gekehrt, ertragend, leidend, erduldend und gelangweilt. "44 ..." Wenn ein äußerlich starker Ausdruck herrscht, tritt die Eigenart zurück, der Ausdruck überwiegt, das Gesicht ist im Eigentlichen, dem 23.2.74; 41 G. Nabakowski, H. Sander, P. Gorsen, Frauen in der Kunst, Bd. 2, 1980, Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main, S. 47; 42 http://de.wikipedia.org/wiki/Francis_Bacon_(Maler), 1909-1992, 23.8.2011; 43 A. Soltau, Tagebücher, Nachlass zu Lebzeiten, Hessisches Staatsarchiv, Bestand 0 59 Soltau, Nr. 3, 23.2.74; 44 ebd., Nr. 79, Nov. 72; 16 Erkennbaren zerstört, es ist zerschlagen, der Ausdruck verzerrt das Aussehen."45 DARMSTADT Die Körperlichkeit in ihrer Kunst nimmt zu. Sie portraitierte, das Portrait wird an manchen Stellen ein Ganzkörperbild . Die Wortwahl ´ Situationen, Zustände oder Verhängnisse ` in der Antwort auf die Frage von Marie Luise Kaschnitz verrät die Nähe zu dem Körper und Körperlichen, die Annegret Soltau in ihren Arbeiten sucht. Sie sucht die Verbindung zu dem von Außen bedingenden, zu den Verbindungen, die ungesehen oder unentdeckt sich selbst gezogen haben, die feinen Linien der Zeit, die der Körper empfängt und entsendet. Zu diesen Verbindungen sucht sie die beiden Enden. Dazu aus den Tagebüchern: " Selbstzerstörung der Seele oder Zerstörung von anderen Menschen. Menschen hängen zusammen ineinander an einander gekettet, abhängig voneinander, sie quälen sich, zerstören sich. Feine Nerven oder Seelenfäden spannen sich über den Menschen, Gesicht und Körper, werden in Fäden oder Fäden werden zerstört (durch Erlebnisse, andere Menschen, Brutalität, Alltagsleben, Stadtleben), wird der Mensch krank. Die Fäden sind sehr leicht zu verletzen, sie sind aber dehnbar und lassen mit sich spielen, bis sie überspannen und reißen."46 Annegret Soltau findet mit der haptischen Gegenwart des Fadens in ihren Arbeiten das Außen, welches sich den Weg um die dargestellte Person herum bahnt. Sie nähert sich der Umwelt, sie zieht sie an ihren Fäden, die wirken aber noch nicht ihr ganzes Material preisgeben, welches Quelle ihrer Kraft ist. " Was ausgedrückt wird, wird dem, der es hervorbringt, durch den Druck abgerungen, den die konkreten Dinge auf die natürlichen Impulse und Neigungen ausüben."47 Es ist das Material des Objektes in der direkten Begegnung, welches sich Ausdruck verleiht und Ausdruck zulässt, genau in dem Moment dieser beiden Erfahrungen, des Drucks und des Handelns, es eine Bedeutung in der Begegnung erhält. 45 ebd., 27.11.72; ebd., Okt. 1973; 47 J. Dewey, Kunst als Erfahrung, 1988, Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main, S. 79; 46 17 FOTOPERFORMANCES FOTOÜBERNÄHUNGEN PERFORMANCES Ein neuer Werkzyklus beginnt. In einer Fotoperformance umwickelt sie ihr eigenes Gesicht eng mit schwarzem Zwirn. Die Radiernadel wird zu einem haptischen Faden, der einen konkreteren Kontakt entwickelt. Es entsteht ein Dokument aus 5x3 Bildern. Eine Reihe aus 14 Selbstportraits, die in 12 schwarz-weiß Fotos den immer dichter gewickelten Faden über Gesicht, Hals und Schultern dokumentieren. Das Gesicht wendet sich mal nach links, mal nach rechts. Auf dem 13. Dokument schneidet ihre rechte Hand mit einer Schere in den Fadenwickel hinein, auf dem 14. ist das geschnittenes Loch und auf einem 15. Blatt ist ein Fadenknäuel ohne das Gesicht zu sehen, ´selbst`, 1975. (Abb. 4, S. 73) Diese Fotoperformance findet für die fotografische Dokumentation statt. Parallel dazu näht sie einen Faden in eine schwarz-weiß Fotografie ihrer selbst. Sie benennt die Technik dieser Arbeiten mit Fotoübernähungen. Mal ist es auf 38,8x28 cm ein schwarzer Zwirn, der fein und symmetrisch in ihrem Gesicht die Augen umspannt, sie umschminkt, sie mit Ohren, Mundwinkeln und Kinn verbindet, ´selbst`, 10, 1975, Fotoübernähung48 Ein anderes Mal ist ein dicker Faden auf einem 6x4,5 cm großen schwarz-weiß Abzug genäht, der in dem Portrait über das Haptische des Fadens hinaus dargestellter Gegenstand wird. Sein Einsatz bedarf sichtbar großer Löcher, das Portrait ist verletzt und verdeckt, ´selbst`, 1975 (Abb. 5-6 S. 74-75). Annegret Soltau umwickelt in weiteren Performances das eigene und fremde Gesichter, den eigenen und fremde nackte Oberkörper mit Zwirn, so dass der Zwirn dicht gewickelt die Aussicht und Ansicht versperrt. Die Körperteile sind nahezu bedeckt und eng eingewickelt. Das fotografische Dokument dieser Performances zeigt Stadien der Umwickelung und der Befreiung. Nach seiner Entfernung bleiben sichtbare Furchen in der Haut, die sich nach einiger Zeit glätten. Es sind freiwillige Einzelpersonen und Gruppen aus dem Publikum, die sich bekleidet oder mit entblößtem Oberkörper einwickeln und mit dem Köper nebenan verspinnen lassen. Die Umwickelten werden frei geschnitten oder befreien sich selbst, ´permanente demonstration`, 17.1.1976, schwarz-weiß Fotografie,49 ´demonstration`, 19. und 48 A. Soltau, Mathildenhöhe Darmstadt, 2006, hrsg. v. Kathrin Schmidt, Ph. Reinheimer GmbH Darmstadt, S. 19; 49 A. Soltau, Der verschnürte Mensch, Graphik-Kabinett, Karin Friebe, Darmstadt, F Bönsel, Lautertal, 18 22.1.1976 (Abb. 7, S. 76) und Aktion ´Ver-Bindungen`, 19.5.1976, schwarz-weiß Fotografie.50 Dieser aktive Faden und die Furche in der Haut als sein Dokument erinnern hier an den Ritz der Radiernadel in der Platte, nur plastischer im einzelnen. Zu einer Performance hängt Annegret Soltau dicht Fäden von der Decke in den Eingangsraum. Die Gäste fühlen diese Fäden beim Betreten der Galerie in ihren Gesichtern, an ihren Schultern, auf der Haut, ´Berührungsraum`, 1976, schwarz-weiß Fotografie.51 Annegret Soltau setzt hier ein deutliches und verdichtetes Symbol für Verbindungen, die in uns hinein wirkend gleichzeitig leben, die im Nacheinander der Performance voneinander differenziert auftreten, und die in einem Miteinander stehen. Annegret Soltau erweitert den Zweck eines Fadens zu verbinden, zu wickeln, zu halten oder Stoff zu sein, zu einer Form, die eine unmittelbare Erfahrung in der Betrachtung dieses Fadens ermöglicht. Immer noch wickelnd schränkt er die Sicht und Ansicht ein, verbindend behindert er Bewegung, bewegt das angeschlossene, und haltend legt er tiefe Furchen. " Der Stoff, aus dem sich ein Kunstwerk zusammensetzt, gehört eher der allgemeinen Welt als dem Ich an. Und dennoch findet sich Selbstdarstellung in der Kunst, da das Ich diesen Stoff auf eine besondere Art assimiliert, um ihn an die öffentliche Welt in einer Form zurückzugeben, die ein neues Objekt hervorbringt."52 Das Kunstwerk lebt aus dem Prozess heraus, den das Ich und die allgemeinen Welt einander gleichwertig eingehen und formen. Erfahrungen wirken dabei lenkend. Annegret Soltau nähert sich ihrem Bedürfnis, die Verstrickungen der Menschen in dieser Zeit darzustellen, die sich übergeordnet in Idee und Bild in der Gesellschaft als Ordnung und Moral strukturieren. Das Feste des haptischen Fadens und die Enge in dem Moment seiner Anwendung, konkretisieren den Zustand der Verstrickungen und Abhängigkeiten. Ordnung, Moral und Rolle einmal gedacht ringen um ihren Erhalt. Die Zeichnung auf der Haut, ihr Bild in der Gegenwart stellt die Wirkung dar. Sie konzentriert sich sicher auf das Bild, welchem sie entspricht, und auf die Rolle, die die Zeit verkörpern, die so nicht passen. Die Nähe der aktiven Handlung und dem 1972; 50 ebd.; 51 A. Soltau, Mathildenhöhe Darmstadt, 2006, hrsg. v. Kathrin Schmidt, Ph. Reinheimer GmbH Darmstadt, S. 161; 52 J. Dewey, Kunst als Erfahrung, 1988, Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main, S. 126 19 passiven Ort wirkt in dem Moment befreiend, in dem von Innen heraus aktiv gefühlt und geschnitten wird. Sie konzentriert sich auf ihre Wahrnehmung und die darin enthaltene Diskrepanz zu dem Bild, zu der Rolle. Sie wünscht sich die Wahrheit, eine aktive Rolle. Im Kontakt mit der Mutter während eines Besuchs nimmt sie das Bedürfnis wahr, die Wahrheit zu sprechen, - und die Rücksichtnahme. Sie nennt es ´Verwischung für die Leute.`53 Annegret Soltau erinnert sich in ihrem Tagebuch eines Moments in London (196566) mit einer Freundin, in dem sie sich bewusst wurde, dass ´die menschliche Existenz sinnlos, endlos und haltlos ist.`54 Verbindet das menschliche Wesen in der direkten Erfahrung von Materie ein Objekt mit Bedeutung, kann es das Material innerhalb seiner Eigenschaften formen, und es erfährt in der Handlung sich und das geformte Objekt interagierend. Das Leben erhält ein neues Objekt und wird um diese Form und Erfahrung seiner bereichert und verändert. Elementare Erfahrungen wie Hunger erleben eine Sättigung und gewöhnliche Erfahrungen erschließen - sich - aktiv die Umwelt. In diesem Umgang mit der Umwelt erfährt der Mensch aus einem Mangel heraus einen Ausgleich, eine Anpassung. Die Umwelt, die in ihr enthaltenen Objekte und sein Wollen und Handeln unterliegen den Rhythmen der Natur, es herrscht Bewegung. Das Objekt unterstützt den Prozess der Interaktion, indem es seine ästhetischen Eigenschaften in das Bewusstsein des Menschen über Erfahrung in Bedeutung niederschlägt. Der Mensch kehrt über Wachstum, über sich ändernde Bedürfnisse und über sein Bewusstsein nicht zu einer Anpassung an Stagnierendes zurück, er findet Stabilität in einer Neuanpassung. Sich neu anpassen zu können, ist eine Erfahrung, die sich ausdrückt. Eine Sammlung von Erfahrungen innerhalb eines Prozesses, entspricht einem Ereignis und Erinnern wird einer Umwelt, die sich ändert, unter Umständen nicht gerecht.55 Es sind die Rhythmen selbst, die Erfahrung ermöglichen und Rhythmen sind es, die Form bedingen. In der Begegnung mit der Umwelt, dem Widerstand in einem Objekt ohne Bedeutung, ohne Symbol, weil es dazu keine Erfahrung gibt, kann nur eine 53 A. Soltau, Tagebücher, Nachlass zu Lebzeiten, Hessisches Staatsarchiv, Bestand 0 59 Soltau, Nr. 3, 21.12.74; 54 ebd., Feb. 1974; 55 J. Dewey, Kunst als Erfahrung, 1988, Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main, S. 21; 20 Interaktion stattfinden, wenn Materie über seine ästhetischen Eigenschaften, Wesen über ihr Handwerk und ihre Erfahrungen formen. Selbst dort entsteht Rhythmus, wo Bewegung angehalten, Interaktion um-ge-lenkt und Neues sich aus solchem Wandel formt. Dies entspricht dem Geben und Nehmen, hier in der Interaktion mit Erfahrungen.56 In diesem Moment der physischen Gegenwart der Person und des Fadens in den Arbeiten von Annegret Soltau hält der Faden jenen Moment in London an, wenn er die gegenwärtige Realität im Handeln erweitert und öffnet. Sinnlosigkeit und Endlosigkeit werden abgeschnitten, Haltlosigkeit verankert sich in der Handlung. Sie durchbricht den ihr zugedachten Ort der Passiven und der Dargestellten. PHYSISCHE GEGENWART Dazu schrieb Peter Weibel 1965 in seinem Essay ´Von den Möglichkeiten einer nicht-affirmativen Kunst:` " Die Regression aufs Material als allgemeines Prinzip der Entwickelung der bildenden Kunst in den letzten Dekaden ist Anzeichen für eine Methode der Wahrnehmung, die durch einen Körper nach einem anderen Körper zielt, die sich in der Welt ereignet und nicht im falschen Schein der schönen Künste."57 Aus diesen schönen Künsten, wie Peter Weibel sie nennt, das Bild der Frau schien als Vorstellung des Autoren, des Mannes meist, der sie dort verfehlt hat, wo er sie sich passiv dachte. Der Aktionismus in der Performance von Annegret Soltau setzt den Körper als Material und Material - den Faden - formend ein. Auf den fotografischen Dokumenten ihrer Performances sind Frauen wie Männer eingewickelt, was ihrer Aussage Marie Luise Kaschnitz gegenüber entspricht, es könnte auch ein Mann sein, sie eben eine Frau ist. Sie bildet das Außen ab in dem Moment, in dem es das Innen bildet. In der künstlerischen Interaktion, die John Dewey beschreibt, trägt die Form selbst einen ästhetischen Wert, als sie aus der Interaktion von Materie und bewusster Erfahrung hervortritt. John Dewey beschreibt die Form mit einem ästhetischen Wert, weil sie Form hat durch den Prozess, " Erfahrungsmaterial so zu sehen, zu empfinden 56 ebd., S. 171-179; P. Weibel in G. Nabakowski, H. Sander, P. Gorsen, Frauen in der Kunst, Bd. 1, 1980, Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main, S.139; 57 21 und dazustellen, dass es möglichst schnell und effektiv zum Stoff für den Aufbau einer entsprechenden Erfahrung bei Menschen wird, die weniger begabt sind als der eigentliche Schöpfer."58 Die Form repräsentiert Materie, wie Erfahrung, wie Rhythmus und wie Prozess. Die Interaktion ergibt sich in ein Objekt oder in ein Ereignis, in ein Kunstwerk als Träger von Erfahrungen, das sich zusammensetzt aus dem Material Erfahrung. Jedes einzelne Stück Erfahrung steht jedem einzelnen Stück Erfahrung in einem vielleicht konkreten Zustand, bzw. als ein Symbol, in einer Bedeutung, zur Seite, so dass unter dieser Dynamik, diesem Rhythmus eine Erfahrung geschaffen wird. Selbst diese eine Erfahrung erlebt in der Begegnung mit dem Autor und einem Betrachter wiederum, eine Dynamik, ein Werden. " Das Werk " - eine dem Künstler bewusste Erfahrung " selbst ist der Stoff, der zur ästhetischen Substanz geformt wurde."59 Innerhalb des dargestellten Prozesses ist es schwer, einen konkreten Unterschied zu ziehen, wenn das Objekt - in der Erfahrung bewusst - eine Symbolkraft verkörpert, eine Erfahrung formt und entlässt, zu gleichen Teilen es und die Erfahrung die Substanz zu dem Werk sind. Er setzt dem künstlerischen Werk eine Maschine gegenüber, weil diese auch entwickelt unter Anpassung jedoch in der Form des Ausdruckes sich wiederholt und somit Grenzen setzt.60 Wir können uns erinnern bis zu dem Zeitpunkt, an dem eine Sehnsucht uns fort trägt. Weiter Peter Weibel: " Im Horizont des Leibes und der Welt angesiedelt, ist das künstlerische Medium der Körper. Der menschliche Körper selbst ist das Kunstwerk, das Material. "61 In der Aktion mit der Umwelt wirkt eben dieser Körper als Ganzes, als Leib, welcher die Einheit all seiner Funktionen und Bedürfnisse in Ausdruck und Eindruck sammelt. Er ist Material genauso wie Form. In dieser Aktion bereichert sich der Körper um seine Körperlichkeit, die in ihrer Form ein gegenwärtiges Bild zeichnet, welches nicht einem vorgestellten Bild mehr entspricht. Der individuelle Körper zeichnet. " Ein freier Umgang mit dem 58 J. Dewey, Kunst als Erfahrung, 1988, Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main, S. 128; ebd., S. 128; 60 ebd., S. 156-157; 61 P. Weibel in G. Nabakowski, H. Sander, P. Gorsen, Frauen in der Kunst, Bd. 1, 1980, Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main, S.139; 59 22 künstlerischen Material befreite das Material auch von seinen alten repressiven Bedeutungen und setzte neue prospektive Bedeutungen frei. "62 Der Aktionismus geboren aus dem Gedanken der Dadaisten, ´Kunst sei eine Richtung von Leben`63 und geformt durch die aktionistische Malerei, den körperlichen Einsatz des Tachismus, des Informell, des Action Painting oder der Cobra-Gruppe, setzte sich in der Fluxus-Bewegung mit intermedialen Darbietungen fort und Anfang der 1970er wurden Körpererfahrungen gesucht, entwickelt und dargestellt. Es wurden soziale Beziehungen und Rollen, welche der Körper in ihren Bedeutungen lebte, dargestellt und hinterfragt. 64 Für den feministischen Aktionismus dieser Zeit lag darin die Möglichkeit, sich des Handwerkszeuges zu bedienen, welches direkt über die Körperlichkeit seine - ihre Wahrheit beschrieb. Hier zunächst die Enge und den Schmerz der Erwartung und Entfremdung, beides möglicherweise Zustände im Unbewussten. Dann die Realität über den Alltag einer Frau: Umwelt, Arbeit, Blutungen, Kinder, Schwangerschaft, Haut und Veränderung. Um schließlich den einen Schritt zu tun, eigene Ideen zu zeichnen. " Das befreite erweiterte Material erweitert das Bewusstsein und befreit den Menschen von alten und beengenden Bedeutungen und Bedingungen. " 65 Dazu eine Aussage von Annegret Soltau über sich selbst: " Ich denke, dass diese Unruhe, die man ja auch für künstlerische Prozesse braucht, dieses ewige Suchen und unruhig sein, dass mich gerade das auch antreibt, lebendig macht." 66 Erfahrung bedarf einer Vitalität, um aktiv mit der Umwelt umzugehen. In der Folge von Sättigung und Stabilität, von Ordnung und Gleichklang stehen veränderte Bedingungen, Neues, Widerstand, Unordnung und Hunger, Sehnsucht, Bedürfnis und Gefühl. In dieser Begegnung mit der Umwelt stehen wir Kräften gegenüber, die hindern und fördern, wenn wir die Kräfte der Materie ver-wandeln. In diesem Prozess liegt der ästhetische Wert der Erfahrung, weil wir handelnd über unsere Sinne wahrnehmen. Wie der Künstler dem Objekt die Form gibt, die eine ästhetische 62 ebd.; A. Brenne, Diskussionsbeiträge zur ästhetischen Bildung, Bd. 7, die Kunst, der Körper, das Textile, hrsg. v. N. Schütz und M. Blohm, 2005, salon verlag, Köln, S. 30; 64 ebd., S. 30-33; 65 P. Weibel in G. Nabakowski, H. Sander, P. Gorsen, Frauen in der Kunst, Bd. 1, 1980, Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main, S.139; 66 A. Soltau, Mathildenhöhe Darmstadt, 2006, hrsg. v. Kathrin Schmidt, Ph. Reinheimer GmbH Darmstadt, S. 4; 63 23 Erfahrung trägt, bedeutet, dass er Erfahrung sucht, die er empfindet. Erfüllt sich sein Bedürfnis, erhebt er die ästhetischen Eigenschaften, die diese Sinne kommunizieren, zu ästhetischen Erfahrungen. " Und wenn sich diese Partizipation ", die erfolgreiche Interaktion mit der Umwelt, " nach einer Periode der Auseinandersetzung und der Konflikte einstellt, so trägt sie den Keim zu einer mit Ästhetik eng verwandten inneren Erfüllung in sich. " 67 Es entsteht aus der Fähigkeit, Erfahrungen zu machen, die Fähigkeit ästhetisch wahrzunehmen, und die " Sehnsucht nach Wiederherstellung der Einheit kehrt bloßes Gefühl " von Einheit und Erfüllung " um in Interesse an den Objekten als den Voraussetzungen für die Verwirklichung von Harmonie " - von Gleichklang. 68 So wird im feministischen Aktionismus das Objekt der männlichen Geschichte zum Subjekt seiner eigenen Geschichte. Annegret Soltau bindet sich in dem leeren Umraum ihres Werkes selbstverständlich an den Eindruck der Fäden in der Umwelt, sie tut dieses genauso aktiv wie jeder andere - ob Frau oder Mann - und konzentriert sich auf die Dichte dieses Raumes, der nicht leer ist. Die Leere im Umraum gibt Raum für Aktivität und Nähe, auf dem Weg zum Performativen. Hier nimmt Annegret Soltau den Weg in die Aktivität, sie verlässt die der Frau eigene Passivität, die Basis und das Charakteristikum der Unterdrückung. Charlotte Martin schreibt 2006 in Seitenblicke, Sichtweisen auf das Werk von Annegret Soltau: " Annegret Soltau weist von jeher resignatives Dulden mit Tatkraft zurück: ... "69 67 ebd., S. 23; ebd., S. 23; 69 C. Martin, Seitenblicke, Sichtweisen auf das Werk von Annegret Soltau, Darmstädter Dokumente 25, Wissenschaftsstadt Darmstadt, S. 26; 68 24 1977 BIS 1990 In ihrem Tagebuch notiert Annegret Soltau den Gesprächsinhalt mit dem befreundeten Maler Robert Preyer 70 und ihre Gedanken dazu. " Er bittet niemanden, er schert sich nicht um das Publikum. " Sie erwidert gedanklich, " dass ein Künstler gesehen werden will, um nicht für sich zu arbeiten. Preyer reduziert sich auf das Wesentliche, auf das Formale, er setzt keine Dekoration ein. Für ihn ist ein Kunstwerk Horizontale und Vertikale. Auch sein Leben ist reduziert, es gibt kein Beiwerk, keine Menschen. Kunst muss rein sein. " Für sich selbst entscheidet sie, ´ Reduktion sei gut, aber nicht um bei Geometrie zu landen. ... Sie wolle zur Klarheit und zur Realität in der Form und im Inhalt. Eine große Form, darin Auflockerung, ... Erklärung, Leben, ob positiv oder negativ. Nicht die leblose Form. `71 Immer wieder sind ihre Tagebucheintragungen ein Dokument der Suche nach und der Auseinandersetzung mit der nahen und weiten Umwelt. An einer anderen Stelle überlegt sie, ob sie selbst zu inaktiv, ja zu faul, zu trocken sei, wenn sie sich nicht handelnd in der Zeit von Baader und Meinhof engagiere. Sie ist selbstkritisch, vergleicht die Zeichnungen der Studienzeit mit den aktuellen, welche ihr schlechter erscheinen. Sie erinnert sich daran und fordert sich, andere Literatur zu lesen, Literatur der Frauenbewegung. Sie erinnert sich an die Zeit des Lebens allein, in der sie keine Minderwertigkeitsgefühle empfand. Sie findet sich nicht in der Rollenteilung wieder, die Frau sei die schwache und passive, sie sei nicht die aggressive und zerstörerische. Sie empfindet in dieser Einteilung und dem daraus folgenden Aktionsradius, der für die Frau bleibt, Ohnmacht. Annegret Soltau beklagt, kein Vertrauen und kein Wertgefühl zu haben als Frau. Sie sieht auch, dass aus der Kunst und aus dem Erfolg mit der Kunst keine Bestätigung wächst. 72 Über das Performative Werk, welches in Fotografien festgehalten worden ist, erarbeitete Annegret Soltau sich in einer erlebten und durchlebten Körperlichkeit Nähe zu Verstrickungen, zu den Situationen, den Zuständen und den Verhängnissen in der Gesellschaft. Es sind Formen und Rollen, die dem Menschen als Lebensräume 70 http://www.wiesbadenaktuell.de/nachrichten/news-detail-view/article/geburtstagsdoppelausstellungim-rathaus-und-in-der-galerie-b-haasner.html, 24.8.2011; 71 A. Soltau, Tagebücher, Nachlass zu Lebzeiten, Hessisches Staatsarchiv, Bestand 0 59 Soltau, Nr. 3, 27.11.74; 72 ebd., 13.12.74; 25 angeboten sind, die von einander erwarteten, die Grenzen nicht zu überschreiten. Im Miteinander herrschte mehr Kontrolle als Respekt, wenn Berührungspunkte auftraten. Annegret Soltau stellte diese Berührung über die Haut dar. Die Berührungen hinterließen Spuren und beeinflussten die Beweglichkeit in der Verstrickung. Ihr eigenes Unbehagen misstraut. Sie beobachtet bei sich und in ihrer Umwelt direkte Verletzungen, Enge, Abhängigkeit, Entfremdung und den Schmerz des Schweigens. Sie beobachtet das Aufbrechen dieser Räume von Innen heraus, weil ihre persönlichen Erfahrungen nicht in diese Räume passen. Über das Performative Werk entsteht sichtbare Dynamik, der Körper bewegt sich, welches seine Tiefe Wahrheit ist. Er bewegt sich und ist bewegt. Sie ist aktiv. Der Antrieb nährt sich aus der Erregung innerhalb des Organismus, Hunger, Not und Bedürfnis, er steht unmittelbar vor dem Ausdruck bzw. dem Ausdrucksakt, vor der Erfahrung. In der Bewegung und mit seiner Energie interagiert er mit der Umwelt, in solchem Moment erfährt das Bewusstsein die Absicht der Bewegung, weil es sich mit der Umwelt zunächst auseinandersetzt. Es ist der Moment, indem die Suche in einer Bewegung beginnt, weil ein Unvollständiges in uns drängt. 73 John Dewey unterscheidet den Ausdruck, den er einem " von innen kommenden Drang " zuordnet, solcher Art von dem Ausdrucksakt, dass der zweite aktiv unter "Einbeziehung der Werte früherer Erfahrung " stattfindet - " geläutert und geordnet " wird. Der bloße Ausdruck steht ohne Bezug zu seiner Umwelt, die Erfüllung bleibt aus. John Dewey geht soweit, dem Ausdruck seinen Druck zu nehmen, wenn die Erregung, die Energie, in der Bewegung und der Sehnsucht nicht an einem Stoff in der Absicht geformt wird, diese zu gestalten. Die Energie verpufft ohne Ausdrucksakt, wenn sie sich in der Bezugnahme zur Umwelt nicht formt.74 Für den Künstler, für Annegret Soltau mag ein Moment des Antriebs in der Veränderung ihrer Körperlichkeit liegen. 73 74 J. Dewey, Kunst als Erfahrung, 1988, Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main, S. 73; ebd., S. 76; 26 FOTORADIERUNG " Ich wusste, dass ich das, was ich tun wollte, in genau dieser Zeit tun musste. Die Schwangerschaften habe ich als Annäherung an meinen Körper erlebt. "75 1977 nehmen die Fotografie und das Selbstportrait in Fotoperformances einen bedeutenden Platz in dem Werk von Annegret Soltau ein. Der Faden verliert für diesen Moment seine haptische Präsens, er verschwindet in der Nadel. Annegret Soltau bearbeitet in diesem nächsten Werkzyklus schrittweise die schwarz-weiß Negative verschiedener Selbstportraits. In diesen Fotoradierungen stellt sie sich dar; mit dem Oberkörper auf einem Tisch liegend; vor dem Tisch sitzend mit einem Spiegel zu ihrer Rechten, der sie spiegelt; in einer Raumecke stehend mit dem Kopf gegen die Wand; und nackt mit den Armen um die Knie geschlungen auf einem Tisch sitzend. Die Bewegung, die Dynamik der Performance erhält ihren Platz formal in der Reihung der Abzüge und in der Geschichte der Ein-Wickelung. Der Faden findet sich in der sukzessiven Bearbeitung des Negativs, der Abzüge, die diese Schritte in der Nachbarschaft zu dem nächsten Abzug verbinden. Er findet sich auch in der Rückbindung zu seiner Herkunft in diesem Werk, den Drucken und der wickelnden Linie. Die Negative werden geritzt. Es werden ihre Schichten dort verletzt, wo die Abbildung der Person steht. Innerhalb der schrittweise Bearbeitung werden fotografische Abzüge gedruckt. In den jeweiligen Reihen sind umwickelte Körper zu sehen. Die Linie, der Faden, legt sich eng und enger um den Körper. Der Körper verliert sein Aussehen, seine Form und seine Hülle in dem Maße, wie das Geritzte sich vermehrt und zu Löchern wird. In der Dunkelkammer bilden sich diese Löcher als schwarze Flecken auf dem Abzug ab. Mehr noch hinterlässt das sich aufrollende Negativmaterial, welches abgetrennt hinfällig würde, weiße Spuren auf dem Abzug, weil es der Belichtung widersteht. Schwarze und weiße Linien, schwarze und weiße Löcher liegen in einer körperlichen Hülle auf dem Tisch, sitzen vor einem Spiegel am Tisch, gehen gegen eine Wand und hocken auf einem Tisch. Ein Tisch, wartend daran sitzend, darauf sitzend, eine Wand, dagegen gehend, der Blick nach innen gerichtet. Im Spiegel das Gesicht und 75 A. Soltau, Seitenblicke, Sichtweisen auf das Werk von Annegret Soltau, Darmstädter Dokumente 25, Wissenschaftsstadt Darmstadt, S. 10; 27 eine Reihe Sprossenfenster im Hintergrund. Hierhin, in den Spiegel, braucht die gewartete Zeit mehr Zeit, das Negativmaterial bleibt im Rahmen des Spiegels länger unverletzt, die Bearbeitungsschritte sind zeitversetzt. Der Tisch und der Spiegel bleiben erhalten, wobei das Spiegelbild eben ein anderes Stadium vorweist als das Original, ´Ich, wartend`, 1977, Fotoradierung, 9 schwarz-weiß Fotos, je 24x30,5 cm, Ausschnitt.76 ´Ich, bedrückt`, 1977/78, 4x5 Abbildungen (Abb. 8, S. 77)', der Oberkörper Annegret Soltaus liegt auf einem Holztisch, nach rechts oder links, erfährt die schrittweise Bearbeitung mit der Radiernadel und bleibt als Hülle zurück. In der Reihe ´da-gegengehen`, 1977-79, Fotoradierung, 12 schwarz-weiß Fotos,77 ist im ersten Bild nur die Wand abgebildet, daraufhin wächst der Kopf in das Bild, wird Körper, der im fünften Bild schräg vor der Wand lehnt. Die schwarzen Löcher nehmen derart Größe an, dass der zwölfte Abzug schwarz ist, ein Loch. Auch ´allein`, 1979, 1-13, Fotoradierung, 13 schwarz-weiß Fotos,78 ist mit dem Negativrand als Gegenstand daneben gestellt ein schwarzes Bild in dem letzten Abzug, Annegret Soltau sitzt nackt auf einem Tisch. Ein Bild von einem Loch und der Rest des Negativs daneben gestellt. In diesen Arbeiten zeigt sich für einen kurzen Moment Mobiliar im Werk von Annegret Soltau, der Tisch, der Spiegel, der Stuhl und das Sprossenfenster, was sich in den folgenden Arbeiten sofort wieder in leeren perspektivlosen Raum wandelt. Das dynamische Zerkratzen des Negatives, ein zerstörerischer Akt, etwas unwiederbringliches findet statt und verschwindet in sich. Das Portrait, die Person darauf macht Platz. Ohnmacht und Ausgeliefertsein an den Körper löschen aus oder stellen Fragen. Für Annegret Soltau sind beide Schwangerschaften eine existenzielle Bedrohung. Es bedeutet Veränderung jeden Tag, es bedeutet fest eingebunden zu sein in der Schwangerschaft, in der Geburt, in der Beziehung zu den Kindern und in der Verantwortung über die Kinder. Sie empfindet es als etwas Zwingendes, als eine Gewalt in dem Zeitablauf. 76 A. Soltau, Von innen nach außen, Darmstädter Kunstedition Merck 37, 1996; A. Soltau, Mutiere oder verwandele ich mich, Hessisches Landesmuseum Darmstadt, Harold Vits & bureau, S. 12; 78 A. Soltau, Versuche, Saarländische Zeitschrift für Literatur & Grafik, St. Wendeler Buchdruckerei und Verlag, 17/1981; 77 28 ZUSTÄNDE " Als Frau bin ich stärker eingebunden in ganz bestimmte Lebensprozesse. Wenn ich mich beispielsweise darauf einlasse, schwanger zu werden und zu bleiben, dann bin ich natürlich ganz fest eingebunden in diesen Zeitablauf der neun Monate, und ich kann nicht mehr aussteigen, also das ist das Zwingende oder die Gewalt dieses Zeitablaufs, und er endet immer mit der Geburt. " 79 Das geschlechtliche Wesen der Frau war es, welches ihren Platz und ihre Rolle in der Gesellschaft charakterisierte. Von ihrer Gebärfähigkeit ausgehend wurde sie als reproduktiv, nachschaffend verstanden. Ihre Berufung blieb der Naturberuf, welcher im Zeugungsakt passiv verstanden passiv gegenüber der aktiven Zeugungskraft des Mannes stand. " Die ´logische Konsequenz ihrer physischen Organisation, d.h. eben ihrer passiven Rolle im Geschlechtsleben` sei, dass der Frau die zeugende Produktionsweise des Mannes nicht liege und ihr deshalb ´die kunstschöpferische Gestaltungskraft gänzlich versagt ist. Die künstlerische Tätigkeit der Frau ist im ganzen und großen ausschließlich nachschaffend`, es kann die Frau in der Kunstgeschichte einzig als reproduzierendes Genie geben. "80 Genialität, die Frau hat sie auf den Gebieten, " wo sie ihre leiblich-geistige Persönlichkeit ohne jede Einschränkung einsetzen kann: im Leben und in der Liebe."81 Das geschlechtliche Wesen der Frau war es auch, welches in einer "widernatürlichen Entartung,"82 wenn es seine Natur verfehlte, wenn es die wesentlichen Funktionen nicht ausübte, wenn es schöpferisch tätig war, geschlechtslos als Mannweib, als physischer oder psychischer Zwitter zurück blieb. Sie scheiterte als weibliche Frau und war als emanzipierte Frau geschlechtslos. In Folge der Geschlechtslosigkeit stand der Verlust der Kulturzugehörigkeit. Sie stand im Raum ihrer Zeit ohne eine Rolle zu spielen, für nicht konkurrenzfähig erklärt und im Verlust ihrer Weiblichkeit. Die Lebensprozesse der Frau sind es, die im Werk vieler feministischer Künstlerinnen hervorgeholt werden, in das Bewusstsein gerückt werden, dieser 79 A. Soltau, ZeitErfahrung, Hessisches Landesmuseum Darmstadt, Roether-Druck, 1994; G. Nabakowski, H. Sander, P. Gorsen, Frauen in der Kunst, Bd. 2, 1980, Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main, S. 24; 81 ebd., S.23; 82 ebd., S 25-26; 80 29 Geschlechtslosigkeit und Kulturlosigkeit mit der inneren Kultur entgegen zu wirken, mit dem Unbewussten und dem Eigenen das Bild nicht nur zu korrigieren, das Bild entsprechend einer und der eigenen Wahrheit zu schaffen. Auf der einen Seite steht die Künstlerin. Ihr Werk sammelt in der Interaktion mit ihrer direkten Umwelt Erfahrungen zusammen, Erfahrungen aus vergangenen Begegnungen und Erfahrung im gegenwärtigen Umgang mit den Materialien, die in ihr - in der Künstlerin - Sehnsüchte und Bedürfnisse wecken. Aus einem Handgriff, einem Symbol und einer Erfahrung entsteht ihre menschliche Form, einem Material begegnen zu wollen, indem sie sich ausdrückt und ihre Summe der Erfahrungen nachvollziehbar macht. " Unmittelbarkeit und Individualität, die das konkrete Dasein kennzeichnen, ergeben sich aus augenblicklichem Anlass; Bedeutung, Gegenstand und Inhalt ergeben sich aus dem, was von der Vergangenheit her im Ich verankert ist."83 Auf der anderen Seite steht die Frau, das weibliche Geschlechtswesen, sich unterscheidend von dem männlichen Geschlechtswesen, weil in ihrem/seinem Körper ein Mensch von der Zygote an über die ersten Zellteilungen, über den Embryo neun Monate heranwachsen kann. Ihr Körper gibt sich diesem Prozess hin, und sie geht über die Geburt hinaus eine Symbiose mit dem Neugeborenen ein, um es zu nähren, physisch und psychisch. In dieser körperlichen Fähigkeit - gelebt oder ungelebt - wird immer ein Unterschied zu dem anderen Geschlecht liegen, die jede Art von Lebendigkeit beeinflusst, die John Dewey in seinem Begriff der Erfahrung mit einbezieht, wenn er Leben bedeutet. Als drittes tritt eine weibliche Rolle auf, der es aus seiner ideellen Geschichte heraus nicht möglich sein soll, künstlerisch zu schaffen, während ihre Physis sich reproduzierend ausdrückt. Eine Rolle, die nicht erlebt oder gelebt, der Frau die der Weiblichkeit nehmen kann. Diese Rolle ist aber schon umstritten, in der weiblichen Kunst der 1970er begegnen sich Körperlichkeit und Umwelt, um die Grenzen zu überwinden und eine eigene Ästhetik zu schaffen. Neben und mit den körperlichen Gegebenheiten ist ein jedes menschliche Wesen mit Erfahrung begabt, weil es erleidet, tut, handelt und plant im Ereignis der Erfahrung. Annegret Soltau gibt sich mit der Entscheidung, Kinder zu haben, bewusst einem Prozess hin, aus dem sie, wie sie selbst sagt, ´nicht mehr aussteigen könne,` einem 83 J. Dewey, Kunst als Erfahrung, 1988, Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main, S. 87; 30 Prozess, der noch den Ruf hat, einer Frau die künstlerische Kreativität zu nehmen, einem Prozess, der weiblicher nicht sein kann, einem Prozess, dem immanent eine dominante organische Dynamik ist, und einem Prozess, der beiden Angst einjagen kann, der Frau und der Künstlerin. Sie sucht eine distanziert beobachtende und wahrnehmende Haltung zu den Prozessen in ihr und vermittelt das Zwingende und den Druck - ihrer Zeit. DIN A4 HEFTE In ´Zustände`, 1978/9 (Abb. 9-10, S. 78-79), trägt sie in einem DIN A4 Heft körperliche Zustände zusammen, die den Körper befallen. In diesem Heft mit zehn fotokopierten Blättern wird auf einigen Seiten fotografisches Material nackter Ganzkörperportraits liegend und sitzend abgebildet. Die Abbildungen sind von Rahmen aus getippten Zeilen gerahmt, hier jeweils 14 oben und unten, auf anderen Abbildungen 17, 6 oder eine andere Anzahl von Zeilen. Dem abgebildeten Foto sind Fragmente entrissen, ihm wird das Innere der Hülle ausgerissen und mit groben Stichen wieder eingenäht, der Faden erscheint wieder. Andere Abbildungen zeigen Fotoübernähungen von Passfotos der Künstlerin, in Reihen zueinander gestellt oder collagiert. Auf dem Titelblatt ist eine Abbildung von Annegret Soltau nackt. Sie liegt noch nicht ganz oder nicht mehr, ihr nackter Körper ist noch erhoben. Der Körper weist große Nähte entlang der Arme und Beine, über den Busen und das Gesicht. Es sind Fotovernähungen, die wie Narben unregelmäßige Formen haben, die mit groben Stichen das vorher eingerissene Foto wieder zusammen genäht haben, und die an der Nahtstelle das weiße Material des Fotopapiers zeigen. Die Abbildung ist oben und unten in die sich wiederholenden und getippten Worte ´in Zustände FALLEN in Zustände FALLEN in Zu...` gerahmt. Auf dem folgenden Blatt sind 2x4 Passfotos von Annegret Soltau mit grobem Faden übernäht und gerahmt von den Worten ´Verspannungen HABEN Verspannungen HABEN Versp...`. Auf der Rückseite dieses Blattes sind die Fäden der Übernähung zu sehen. Eine Reihe grafischer Linien. 31 ´ausgeliefert-SEIN ausgeliefert-SEIN ausge...` , ein kleines einzelnes Foto in der Mitte mit der Hülle eines Körpers halb liegend, bis zur Unkenntlichkeit übernäht und mit sechs Stichen an den Untergrund genäht. Wie ein Luftschiff im Boden verankert. Zu ´ausgeliefert-SEIN ausgeliefert-SEIN ausge...` auf der Rückseite das nächste Blatt, eine Fotovernähung des Körpers von Annegret Soltau. Im Foto ist der Körper zunächst an den Tisch gebunden, ihr Kopf ist erhoben. Das Foto ist hernach vernäht, die Beine sind auseinander gestellt, in die Scheide ist der Fotoabriss eines Kiefers genäht. Darunter wiederholt sich dazu collagiert der Ausschnitt der Beine und Scheide, und allem übergeklebt ein Polaroid einer sitzenden Frau im Bikini, die Beine weit auseinander gestellt. Auch das Polaroid ist im Körper der abgebildeten horizontal und vertikal eingerissen und vernäht. ´lachen-MÜSSEN-lachen-MÜSSEN-lach...`, Fotocollagen mit vernähten Gesichtern und einem Mundausschnitt. Die Rückseite mit den grafischen Fäden gerahmt von ´chen-MÜSSEN lachen-MÜSSEN la...`. ´BRECHEN bis zum zer-BRECHEN bis zum zer-...` die Fotovernähung eines lachenden Mundes, auf der Rückseite der nackte Oberkörper mit lachendem Gesicht. ´CHEN bis zum zer-BRE...`, dem Oberkörper sind nun nicht mehr die Originalteile eingenäht worden und dem Gesicht fehlen die Augen. Es folgen ´lachen-Müssen lach... `, ´in mir selbst BLEIBEN in mir selbst BLEIBEN...`, ´einsam-WERDEN...´ und ´mit anderen austauschen WOLLEN...`, ein Blatt mit 2x3 vernähten Passfotos gefolgt von den grafischen Linien der Nähte auf der Rückseite, beide Seiten gerahmt mit dem Getippten. Das letzte Blatt mit 5x5 vernähten Passfotos und je einer Zeile Getipptem - oben und unten, ´...mit anderen austauschen WOLLEN mit...` Und, gibt sie sich dem hin? Wird sie über ihre Schwangerschaften ihre kreative Kraft verlieren? Wer ist sie, Mutter oder Künstlerin? Der Kunsthistoriker Karl Scheffler schrieb in seinem Reisebericht über die Kunststadt Paris ein eigenes Kapitel über die Geschlechter, in dem er die Pariserin stellvertretend für das weibliche Geschlecht sah, wie sie den Mann zu Aufstand und Revolution anstachelte, zu den schlimmsten Grausamkeiten trieb. Er beschrieb sie, die vor einem Kinderlächeln nicht weich wurde, die nicht schön war, und schloss aus seinen Beobachtungen, nur gebärende Frauen sich spezifische Weiblichkeit erhielten: " Die unfruchtbare, und am meisten die künstlich unfruchtbare Frau ist im Instinkt 32 immer mehr oder weniger aggressiv maskulin."84 Er attestierte ihr, die sich künstlerisch betätigte, Verkleinerung, Krankhaftigkeit oder Hypertrophie des Geschlechtsgefühls, von Perversion oder Sterilität begleitet. ... " Denn das geistige Wesen der Frau ist im hohen Maße mit ihrem Geschlechtsbewusstsein verwachsen, viel mehr als beim Manne. "85 Als Gislind Nabakowski und Andere 1980 ´Frauen in der Kunst` herausgaben, beschrieben sie Schefflers Werk ´Die Frau und die Kunst` (1908) als den bis dato ausführlichsten Versuch von kunsthistorischer Seite, die schöpferische Unselbständigkeit der Frau zu beweisen. Als einflussreicher Kunsthistoriker und Publizist im ersten Drittel des 20. Jahrhundert stellte er dieser Unselbständigkeit ein weibliches Geschlechtsgenie gegenüber: " Von der Natur aus zur Mütterlichkeit bestimmt, gravitiert alles Fühlen und Denken der Frau zur Mutterschaft. Wenn es für sie auch, ebenso wie für den Mann, gilt, dass sich der Geist den Körper baut, so determiniert bei ihr doch auch das Körperliche viel mehr den Geist."86 Der enge Kontakt der Frau zu ihrem Körper, weil er sich der Natur zu gewissen Zeiten nur unterordnen kann, die Natur sich in ihm deutlicher manifestiert, wird der Frau angelastet. Der Natur sich als Wissender, als Bedeutung gebender, als Formender hinzugeben, widerspricht dem Gefühl der Macht des so Tuenden. Dass die Natur da ist, das sie Material gibt, dem der Mensch unter Erfahrung Bedeutung und Form abgewinnt, dass unser Körper geht, wie er kommt, dass sie uns formt, wenn wir formen, ist ein Hinweis auf ein gleichwertige Beziehung von Natur und Mensch. Er kann nur eine Beziehung führen, wenn es gewisse Beständigkeiten in den ästhetischen Eigenschaften dieser Natur gibt, Ordnungen, sonst gäbe es keine Erfahrungen mit Bedeutungen, wohl in der Folge auch keinen Geist als ein Ort des Bewusstseins. Ordnung als Ort der Erfahrung, die sich neu anpassen wird, wenn die gewisse Beständigkeit sich in den Fluss, den Rhythmus, der Zeit gibt. Das Machtgefühl ist in der Form und mit der Form, weil der Mensch sich daran erkennt. Gewinnen als Ausdruck von Macht tut er nur die Erfahrung und das Leben. Er gewinnt die Form aber nicht ohne die ästhetischen Eigenschaften der Materie. Die 84 G. Nabakowski, H. Sander, P. Gorsen, Frauen in der Kunst, Bd. 2, 1980, Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main, S. 27; 85 ebd., S. 27; 86 ebd., S. 28; 33 kreative Beziehung ist eine gleichwertige Beziehung von Materie und Mensch. Es gibt viele Gründe, Körper und Geist voneinander zu trennen. Dass der Mann sich dieser Art von der Frau trennt, mag in ihrer Nähe zu der Natur und dem Tod liegen, mag in seinem Wissenwollen liegen, was er nur daran erkennt, wenn das Gegenüber nicht weiß. Es mag daran liegen, dass die Form hinfällig wird wenn sich die Bedingungen ändern, also die Natur sich in Naturereignissen ausdrückt. Die Zustände und das Ausgeliefertsein eines Körpers im direkten Bezug zu seiner Umwelt, der Resonanzkörper im Werk von Annegret Soltau identifiziert sich in den Darstellungen der eigenen Schwangerschaften kompromisslos mit dem Geschlechtsgenie, weil es in diesem Moment der Ort ihrer Erfahrung ist: Der Körper schafft und das ihm angeschlossene Bewusstsein nimmt wahr. Maria Lassnig87 vollzog in 1970er Jahren einen Wechsel ihres Standpunktes als Malerin, die von sich selbst sagte, " der die Natur analysierenden Malerei müde " geworden zu sein. Sie nannte ihre Bilder, in denen es zu einer Verschmelzung innerer Gefühle mit äußeren Objekten kam, " körperbefindliche Malerei ", weil sie auf der Suche nach mehr Realität, " die mehr in meinem Besitz wäre als die Außenwelt ", ihr eigenes Körpergehäuse realer empfand als die äußere Realität.88 Ein weiteres DIN A4 Heft ´schwanger`, Annegret Soltau 78 (Abb. 11, S. 80, Abb. 12, Soziogramm, S. 81), enthält Abbildungen von Fotovernähungen und Soziogrammen: Sie selbst vorn übergebeugt stehend, die Arme im Kreis hängend vor dem Leib, als hielte sie eine Last; sie selbst stehend mit den Armen hinter sich verschränkt; sie selbst auf dem Tisch gebunden und liegend; wieder liegend auf dem Tisch nicht angebunden. Alle Darstellungen ihres nackten Körpers zeigen die Narben der Vernähungen, zeigen das weiße Fotopapier an der Rissstelle. Eine Zahnreihe in der Scheide eingenäht und nur eine einzelne Brustwarze, die Anatomie beginnt zu derangieren, während die Körperhüllen erhalten bleiben. Die Soziogramme stellen Phasen der Schwangerschaft und des Bewusstseins in stenografierten Worten dar, stellen Eindrücke und Bedeutungen zueinander, opponieren Gefühle mit Ideen, ziehen 87 http://de.wikipedia.org/wiki/Maria_Lassnig, 22.8.2011, geb. 1919, österreichische Malerin und Medienkünstlerin, 23.8.11; 88 G. Nabakowski, H. Sander, P. Gorsen, Frauen in der Kunst, Bd. 2, 1980, Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main, S. 42; 34 gestrichelte und durchgezogene Linien für ihre Beziehungen. Annegret Soltau benennt und beobachtet die schnelle Veränderung in ihrem Leib, die Emotionen, die Wünsche, die Last, die Angst, die Unwissenheit, die Ausweglosigkeit, die Beziehung und den Plan - die Geburt. ´geboren-WERDEN geboren-WERDEN...` und ´gebären-MÜSSEN gebären- MÜSSEN...` Die rhythmischen Endlosschleifen der Titel, die Soziogramme in Telegrammstil und die berstenden Nähte, denn immer scheint das weiße Papier hindurch, üben Druck, Zeitdruck aus. Diese Hefte sind keine Lektüre, sie geben schnell mitgeschriebene Stichworte für ´Leere + Unlust`, für ´Ahnung + Reaktion + Andere + Unsicherheit`, für ´Lebenszeichen`, für ´Schwere`, für ´Brechen`, für ´Idee`, für ´Dehnung`, für ´Stürzen`, ´ich hänge fest`, ´langsames Zeit-Vergehen`, ´Lähmung`, ´ Veränderung + Grund `, ´ Zeichen + hören + fühlen = sehen dadurch. ` Annegret Soltau trifft mit diesen Schwangerschaften eine tiefe Unsicherheit. Bleibt einer Frau ein Werk und die Fähigkeit, dieses fortzusetzen, wenn ihr Körper so stark einem Bedürfnis folgt und die Erfüllung dazu findet? " Meine Angst saß viel tiefer. Ich befürchtete, die Männer, die Jahrhunderte lang behauptet hatten, dass sich das doppelte Schöpferisch-Sein-Können von Frauen in Kunst und Natur gegenseitig ausschließt, könnten vielleicht doch Recht haben. "89 Sie trifft auf einen allgemeingültigen Grund der Trennung in Kultur und Natur, weil der Natur in ihren Prozessen sich verausgabend keine Zeit bleibt zu analysieren, keinen Stanpunkt einnimmt, Wirkendes zu sehen, was die Kultur als bedeutend für sich vereinnahmt. Wobei, Kultur ist das Zeugnis für stattgefundene Interaktion zwischen Mensch und Natur, ist das Zeugnis für diese Beziehung, " stellt nicht das Produkt von menschlichen Kräften dar, die sich im leeren Raum oder aus sich selbst heraus entfalten, sondern sie ist das Ergebnis einer umfangreichen und sich steigernden Interaktion mit der Umwelt, " mit der Natur. 90 Im Frühjahr 1983 notiert Annegret Soltau ein Gespräch mit Jacky Rohleder, einem befreundeten Galeristen, Kunstwerkstatt Darmsttadt,91 in dem er die Trennung von Körper und Geist unterstützt, weil keine Einheit zu schaffen ist. Annegret Soltau 89 A. Soltau, Mathildenhöhe Darmstadt, 2006, hrsg. v. Kathrin Schmidt, Ph. Reinheimer GmbH Darmstadt, S. 138; 90 J. Dewey, Kunst als Erfahrung, 1988, Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main, S. 38; 91 A. Soltau, e-mail, marti.ohrt@hotmail.de, 22.8.11; 35 fragt sich, ob ein Mann weniger Körperbewusstsein besäße, somit der Körper weniger Bedeutung hätte. Ist die Folge daraus, dass eine sexuelle Regung als Störung bei geistiger Arbeit empfunden zu dieser Trennung von Geist und Körper beitrüge? " Verbindet man diese: im Körper den Geist spüren - im Geist den Körper wahrnehmen. Kunst ist geistig, kann auch körperlich sein, weil sie aus dem Körper kommt. Ebenso wertvollste Kunst aus der Symbiose beider, wie der Mensch auch beide Pole gleichwertig in sich vereint hat, den weitesten Blick hat. Der Geist ist mir weniger bewusst als der Körper. Ich weiß nicht, genau den Geist zu definieren. " 92 Diese Trennung von Geist und Körper kann sich auf den Moment der Handlung beziehen, in dem der Geist von ihm entfernt ist, und Geist selbst von einer Handlung an sich entfernt sein kann. Im Selbstportrait dieser Zeit stellt sich das abweichende Bild dem angepassten Bild gegenüber. Es untersucht die Körperlichkeit in Rollen und zeitlich begrenzten Zuständen, von denen es unter Umständen ein Bild gab, dass aber als fremd empfunden wurde, weil es nicht der Realität entsprach. Der Schritt in die Darstellung der eigenen Körperrealität in den Bereichen des Alltags sprengt die Vorgabe und Ordnung, gibt Raum für individuelle Bedürfnisse. Als Medium und Material - der Schritt und der Körper formen und re-formieren. Die Realität mag danach eine andere werden, von der Langeweile und Einsamkeit bei Abwasch und Haarefärben über Verlustgefühle in Körperzuständen bis hin zu Schmerzen und unwiederbringlichen Veränderungen. In dieser Ambivalenz und der Darstellung der Wirklichkeit von Unterdrückung bis zu alternativen Ansichten beginnt die Frauenkunst. Judy Chicago nannte es das verbindende Element, wenn in der Produktionsweise verschiedener Künstlerinnen keine Aufteilung in Subjekt und Objekt stattgefunden hat, weil die gesehene Form gleichzeitig die erlebte Form geworden war.93 Über den Körper, " einer Einheit aus Bewegungskraft und Sinnesstruktur, " erfährt der Mensch seine Lebensfähigkeit. Begegnet diese Einheit Stagnation, Hindernissen und Widerständen, entstehen Wünsche und Begehren. John Dewey benennt diese 92 A. Soltau, Tagebücher, Nachlass zu Lebzeiten, Hessisches Staatsarchiv, Bestand 0 59 Soltau, Nr. 17, 10.4.83; 93 G. Nabakowski, H. Sander, P. Gorsen, Frauen in der Kunst, Bd. 2, 1980, Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main, S. 42-43; 36 Einheit auch " organisches Verlangen " als " Quelle für die Bindung an Objekte. " Ein Interesse und eine Aufmerksamkeit der Umwelt gegenüber, genährt aus Suchen und Fortbewegung, gefunden über Trieb, Antrieb und instinktives Handeln, nimmt "Gestalt und Tragweite " - Bedeutung - an, weil ein erfolgreicher Austausch mit dieser Umwelt stattfinden darf, die Bewegung im Austausch selbst lohnt sich. " Da Leben Aktivität ist, entsteht, wann immer ein Handeln verhindert wird, ein Wünschen und Begehren. "94 Er fasst diesen Vorgang, den Austausch mit der Umwelt, wenn er in das Bewusstsein dringt, als in einer Perzeption, wenn die organische Einheit von Körper und Ich das Wahrgenommene mit Wert aufladen und wahrnehmen. Für den Künstler, die Künstlerin, dürfen diese Sinnesstruktur und Bewegungskraft nicht abgetrennt werden von seinen und ihren Gedanken, weil der Körper in dieser Einheit sich nicht bloß nährt, er erfährt über seine ästhetische Begabung. " Für mich ist der Körper auch eine Erkenntnisquelle, der ich mich nicht verschließen möchte. Nur so kann ich teilhaben an der Darstellung eines veränderten ´Frauenbildes`, indem ich ohne Rücksicht auf Andere den offensten Ausdruck meines Selbst finde, um vorgeprägte Bilder zu durchbrechen. " 95 TABLEAUS Ihr Fotografisches Werk setzt sich in einem Zyklus mit Fotoradierungen fort, die in Tableaus präsentiert sind. Annegret Soltau dokumentiert sehr genau ihre Schwangerschaften. Zu der zweiten Schwangerschaft entstehen Fototableaus mit 42, 80, 135 oder mehr Abbildungen. Sie hebt mit diesen Fotoradierungen das Lebendige im Austausch mit sich hervor. Helke Sander zitiert in ´ Frauen in der Kunst ` eine Beschreibung von Mütterlichkeit von Negt/Kluge, die die gelungene Mutter-KindBeziehung als eine Produktionsweise matriarchalischer Herkunft beschreiben, die sich nicht auf einen funktionierenden Hormonhaushalt reduzieren darf. In den entsprechenden Umgangsformen, die darauf abzielten, das Kind nach seinen Fähigkeiten zu behandeln, und seine Bedürfnisse zu stillen, liegt eine den Mechanismen der Umwelt eigentliche Überlegenheit. Wenige Zeilen weiter wird 94 95 J. Dewey, Kunst als Erfahrung, 1988, Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main, S. 298-300; A. Soltau, ZeitErfahrung, Hessisches Landesmuseum Darmstadt, Roether-Druck, 1994; 37 diese Produktionsweise der Anspruch an die Emanzipation, ihre Erfahrungen in den Alltag der Gesellschaft zu integrieren.96 Im Zentrum der Arbeit ´schwanger`, 1980-81, Fotoradierung, 9x15 schwarz-weiß Fotos auf 156x186 cm,97 stehen vertikal neun schwarz-weiß Abzüge des mit Schwangerschaft anwachsenden Leibes von Annegret Soltau. Ist der erste Abzug eine Aufnahme des ganzen Körpers, so zeigt der letzte von oben nach unten gelesen noch den prallen Bauch. Jede horizontale Sequenz wendet sich nach rechts und links von dem schwangeren Bauch im Zentrum des Tableaus ab. Das Negativ wird schrittweise von der Radiernadel zerkratzt und belichtet. Um den Körper legt sich eine feine Linie, dann erfasst die Radiernadel den Umraum, Flächen brechen aus dem Negativmaterial, so dass abstrakte schwarze und weiße Flecken entstehen. Das Bild als Abbildung verschwindet unter der Bearbeitung. In der Zeit der Schwangerschaft gibt sich der weibliche Körper dem neuen Leben hin. Nicht das Außen ist hier beeinflussend, es ist das Innen, Teil seiner selbst. Dieses Tableau setzt sich aus Momenten zusammen, die nicht still zu stehen scheinen, weil es sich in zwei Richtungen ausdehnt, es sich um Wachstum handelt. Das Tableau ´geteilte Mutter-Säule`, 1980/81 (Abb. 13, S. 82) bildet den schwangeren Leib in einem Moment und die erstgeborene Tochter im Alter von zwei Jahren ab. Wieder ist der Körper vertikal zentral platziert. Rücken an Rücken stehen zwei Bäuche, die die Abzüge ausfüllen. Von oben nach unten entfernen sie sich von einander, die Bäuche - der Ausschnitt - werden kleiner und erhalten Arme, Po und Beine, bis der ganze Körper in das Bild gerückt ist und auf eine schwarze Fläche blickt. Zu beiden Seiten der Abbildungen des Bauches ist das den ganzen Körper abbildende Negativ mit der Radiernadel bearbeitet, wobei hier die schwarzen Flächen überwiegen, die sich neben den Körper von Annegret Soltau oder neben den der Tochter stellen. Die Mutter wendet ihren Blick nach unten und außen, die Tochter zur Säule hinauf. Weiße Flächen sind dort, wo die Körper ausradiert sind. In diesem Tableau stehen die schwarz-weißen Abbildungen diagonal und die schwarzkörperlichen Abbildungen diagonal zueinander. 96 G. Nabakowski, H. Sander, P. Gorsen, Frauen in der Kunst, Bd. 1, 1980, Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main, S.52; 97 A. Soltau, Mathildenhöhe Darmstadt, 2006, hrsg. v. Kathrin Schmidt, Ph. Reinheimer GmbH Darmstadt, S. 46; 38 Ein persönlicheres Tableau ´Erwartung`, 1980/81, Fotoradierung, 5x12 schwarz-weiß Fotos auf 96x225 cm,98 zeigt den schwangeren Oberkörper von Annegret Soltau sich selbst zugewandt und einen größeren Ausschnitt, in dem sie lächelt und sich dem Außen zuwendet. Beiden Darstellungen ist das identischen Bild gegenüber gestellt, sich spiegelnd zugewandt oder abgewandt. Fünf vertikalen Reihen aus Paaren stehen rechts und links jeweils eine sich nicht spiegelnde Reihe zur Seite. Im Zentrum des ganzen Tableau bleiben zwei Abzüge unbearbeitet stehen. ´Im Gleichgewicht`, 1980/81, Fotoradierung, 10x8 schwarz-weiß Fotos auf 127x112 cm,99 zeigt Tochter und schwangere Mutter sitzend auf dem Boden, Mutter sitzend abgewendet und Mutter mit Tochter im Arm sitzend auf dem Boden. An den Füßen im Rand der Abzüge liegt jeweils eine Spiegelachse. Der schwangere Leib mit und ohne Kind sitzt sich selbst gegenüber. Für das Auge ist Symmetrie in der Anordnung der vertikalen Reihen und sich spiegelnden Abzügen wahrnehmbar. Mutter und Tochter werden vertikal abwärts, rechts im Tableau ist die Tochter im Arm der Mutter, links sitzen beide nebeneinander. Während das Licht widerstandslos das Fotopapier schwarz färbt in der zentralen Darstellung, werden die Leiber nach unten gelesen sichtbarer. Im Zentrum sitzt die schwangere allein ihrem Spiegelbild gegenüber, den Blick abgewendet, und verschwindet in dem belichteten Raum vertikal abwärts. Rechts und links der zentralen vertikalen Reihe, in der die Schwangere sich selbst gegenüber sitzt und nach hinten hinaus blickt, sind zwei Reihen einzelner bzw. nicht gespiegelter Abzüge vertikal gesetzt, die nur einen Rest an Körper und überwiegend schwarze Fläche abbilden. Neben der Symmetrie der Spiegelungen entfaltet sich eine Symmetrie über Helligkeit und Dunkelheit von recht nach links gelesen. In ´Einheit und Trennung`, 1980/81, (Abb. 14, S. 83) sitzen Tochter und Mutter im Schneidersitz mit einem Teddy zwischen sich und schauen einander an, mal zur linken mal zur rechten Seite. Wieder stehen ein Bild und sein Spiegelbild nebeneinander, wieder zeigt sich über diese körperliche Symmetrie hinausweisend eine grafische Symmetrie, die unten links im Tableau mit schwarzen Flächen sich über die Mitte vertikal nach oben und schließlich nach rechts mit denselben schwarzen Flächen windet. 98 99 ebd., S. 42; ebd., S. 48; 39 Es entstehen rhythmische, schwarz-weiße Collagen mit vertikaler und horizontaler Lesrichtung. Die Pluralität des Körpers, des umgarnten Körpers, des verschwindenden Körpers und die abstrakten Flächen, die Raum geben und nehmen, die filmisch aneinander gereihten Abbildungen des Prozesses der Bearbeitung mit der Radiernadel erzählen. Wer oder was verschwindet eigentlich, die Flächen oder die Körper? Wer oder was löst sich auf und nimmt sich Platz? Den Vergleich der weiblichen Kunst mit der männlichen Kunst dort gezogen zu haben, wo seine Werke sich lohnenswerter verkauften, er präsenter der Kultur voran stand, löste sich mit zunehmender Bildung und daraus folgender sozioökonomischer Unabhängigkeit der Frauen auf. Die Struktur des Reproduktionsmodells Familie durfte sich in der Rücksichtname auf die Tätigkeiten und Fähigkeiten aller Beteiligten ändern, es entstanden Toleranz und Arbeitsteilung. Die reproduktive Rolle der Frau war um die indirekte Wirkung auf die Kultur über ihren Lebenspartner erweitert worden, sie durfte ihn anspruchsvoller direkt beeinflussen und bilden. MÜTTERLICHKEIT UND FÜRSORGE Sie, die Frau gleich in die Industriegesellschaft und der Produktionsweisen dort zu entlassen, wurde in der Erkenntnis ihrer ganzheitlichen Leistung kritisch betrachtet. Der familiäre Bereich wurde als eine ´gestaltete Ganzheit ` beschrieben, die in all ihrer ´ Mannigfaltigkeit von einem durchaus einheitlichen Sinn gelenkt ` eine Synthese schaffte. " Hier ist ein objektives Gebilde, dessen Eigenart mit nichts anderem verglichen werden kann, durch die besonderen Fähigkeiten und Interessen, Gefühlsweise und Intellektualität der Frau, durch die ganze Rhythmik ihres Wesens geprägt worden. "100 Die Fähigkeit zu einer gestalteten Ganzheit mag sich begrifflich in der Mütterlichkeit auf den Bereich Mutter-Kind-Haushalt beziehen und scheint dort in der Geschichte der Frau als wie immer begabtes Wesen gefangen. Dieselbe Begabung als Fürsorge betrachtet und benannt, erweitert und öffnet den Raum. Sie wird sich entsprechend ihrer ästhetischen Empfindung Materie und Form suchen, im Ausdrucksakt ihrer körperlichen Einheit Erfahrungen darstellen, für sich als Interaktion mit ihrer Umwelt und für das Bewusstsein des Betrachters als 100 G. Nabakowski, H. Sander, P. Gorsen, Frauen in der Kunst, Bd. 2, 1980, Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main, S. 63; 40 ästhetisches Ereignis. Dieser Anspruch an die Produktionsweise herrschte in den männlich hierarchisch organisierten Produktionsbereichen nicht. Wettbewerbsorientiert ging es nicht um die Bedürfnisse anderer, und profitorientiert ging es nicht um den Menschen an sich. Der Kapitalismus entfremdet den Menschen, er " produziert Entfremdungsstrukturen im Verkehr der Menschen, die der weiblichen Entfaltung hinderlich sind. "101 Die Frau, ist " Produzentin sozialer Beziehungen wie von Geselligkeit und innerhäuslicher Kommunikation " und fördert damit die " Vergesellschaftung menschlicher Beziehungen. "102 Gislind Nabakowsky und andere sahen die spezifische Qualifikation und den Bereich der Kreativität der Frau, die in der Konkurrenz mit dem Mann verloren gehen könnten. In den folgenden collagierten Fototableaus bildet Annegret Soltau sich allein ab. 1983 ist ´sich-entfernen` (diagonales Kreuz) 4-teilig, Fotoradierung, 1352 Fotos je 9x9 cm, 232x460 cm,103 entstanden. In diesem 4-teiligen Tableau spiegeln sich jeweils zentral Oben und Unten an einer horizontalen Achse und Rechts und Links an einer vertikalen Achse. Die Technik des Fotoradierens bearbeitet schrittweise die Abbildung des Körpers von Annegret Soltau, ergreift den Umraum der Figur bis das Negativ zerstört einen schwarzen Abzug hinterlässt. Die Symmetrie, in der die vier Teile sich spiegelnd das diagonale Kreuz darstellen, wird noch verstärkt, indem einer filmischen Sequenz ähnlich hell und dunkel langsam von Abzug zu Abzug ineinander übergehen. Der abgebildete Körper entfernt sich. Das tut er zweimal, er geht verloren in der Radierung und in dem Abstand, der für die Gesamtansicht in der Betrachtung gehalten werden muss. Zu klein ist er auf dem Einzelabzug und zu viele Abbildungen mindern das Wesen des Portraits einer Person, so dass der Prozess der eigenen Abstraktion gefördert wird. ´Alleinsein - tausendundeinenacht`, 1983, 3-teilig, Fotoradierung, 1001 Fotos, 116x690 cm104 abstrahiert auf gleiche Weise den abgebildeten Körper von Annegret Soltau. Die Fotoradierungen des Negativmaterials sind in kleinen Schritten festgehalten, die Abzüge und ihre Spiegelbilder stehen in einem Verhältnis so 101 ebd., S. 62; ebd., S. 64; 103 A. Soltau, Lebenszeichen, FOTO-Arbeiten und VIDEO-Bänder, Heidelberger Kunstverein, 1984, Benedict Press, Münsterschwarzach, S. 19; 104 ebd., S. 21; 102 41 zueinander, dass eine Symmetrie aus hell, dunkel, konkreter Körper und abstrakte Fläche sich zeigt. Die Gesamtansicht verhindert das Widererkennen. ´hindurchgehen I` und ´hindurchgehen II`, beide 1983-84, Fotoradierung, jeweils 240 schwarz-weiß Fotos, 140x227 cm105 verwendet das negative Material der Arbeit ´dagegen-gehen`. Diagonal zueinander stehen helle und dunkle Flächen im Tableau. In den horizontalen und vertikalen Reihen sind Sequenzen nachvollziehbar, die sich entwickeln. Der filmische Rhythmus ist lesbar, die Geschichte endet in ´hindurchgehen I` wie ein Text unten rechts mit feinen geritzten Linien, die in dem Auf und Ab einer Welle sich diagonal im Negativ abzeichnen. Ein helles Ende - kein dunkles Loch eines ausradierten Negatives und kein Körper oder Rest desselben. Für ´ hindurchgehen II `stellt Annegret Soltau die Helligkeit ausschließlich in das Zentrum des Tableaus und die Figur lehnt sich entgegen der Lesrichtung mit dem Kopf an die Wand. Frauen würden sich bereichern, wenn sie sich ihren weiblichen und kreativen, den weiblich-kreativen Fähigkeiten stellten, die sich in dem Begriff der Mütterlichkeit ausdrückten. Sie produzierten nicht Mütterlichkeit, sie sind mütterlich in ihrem Wesen. Fähig bedürfnisorientiert und imaginativ verantwortungsvoll zu handeln, fähig der Fürsorge, was sich nicht auf häuslich reproduktive Arbeiten reduzieren musste, weil ihr Geschlechtsorgan als reproduktiv bezeichnet wurde. Simone de Beauvoir grenzte die Geschlechtsbezeichnungen sehr schön voneinander unabhängig ab, indem sie schrieb, " Männchen und Weibchen sind zwei Typen von Individuen, die sich innerhalb einer Art im Hinblick auf die Fortpflanzung differenzieren. "106 Diese Fähigkeit der Fürsorge bereichert in einem künstlerischen Prozess, der Materie über ästhetische Eigenschaften zueinander stellt, die Fähigkeit, den Eigenschaften entsprechend Relationen wahrzunehmen und zu binden in einem Kunstwerk. Faktisch ändert sich die Umwelt und die Materie in Anpassung und Neuanpassung. Es herrscht ein Mangel an Fürsorgefähigkeit, von immer gleichen Bedingungen auszugehen. John Dewey führt typische Wesensmerkmale der Umwelt an, die eine künstlerische Form an sich ermöglichen. Die Rhythmen der äußeren Welt, 105 A. Soltau, Mutiere oder verwandele ich mich, Hessisches Landesmuseum Darmstadt, Harold Vits & bureau, S. 18-21; 106 S. de Beauvoir, Das andere Geschlecht, Sitte und Sexus der Frau, Rowohlt Verlag, Reinbek, 1968, S. 23; 42 Jahreszeiten, Tag und Nacht, Ein- und Ausatmen definieren jede Verwirklichung von dynamischer Ordnung in dem Prozess der An- und Neuanpassung.107 Annegret Soltau teilt ihren Alltag in Kinder, Haushalt und Kunst. Sie macht die Künstlerin und die Mutter sichtbar. Einzelteile des Tages führt sie immer wieder zusammen, sie erhält sich Verfügbarkeit über ihre Zeit, indem sie entscheidet, die Kinder an dem Kunstprozess zu beteiligen. Sie reflektiert ihre Mutterrolle als "ungeheure Verantwortung, weil der Erwachsene die Kinder prägt, Kinder entwickeln sich im Beispiel der Erwachsenen, der Mutter, " sie fühlt sich in ihrem Bewusstseinsprozess gefordert, ihr Handeln zu reflektieren. Es fällt ihr auf, dass "Mutter-Arbeit = unsichtbare Arbeit"108 ist. An dieser und anderer Stelle den Alltag sichtbar zu machen, mit dem Bild des Privaten das Bewusstsein des Menschen zu sensibilisieren, so seine politische Handlung diese private Basis seines Seins berücksichtigt, und umgekehrt das Politische den Alltag ermöglicht und nicht manipuliert, das macht die Idee der Emanzipation dieser Zeit aus, das Private ist politisch, das Politische privat. Sie kritisiert, dass " wir unsere Kinder vor der Lohnverhältnissen verstecken, diese aber gleichzeitig als LohnarbeiterInnen vorbereiten .... Wir gehen den verkehrten Weg, wenn wir nicht gleichzeitig massiv unsere Kinder mit einbringen in diese Arbeit, in die Lohnarbeit. "109 Sie schreibt schlussfolgernd, die Kinder am künstlerischen Prozess zu beteiligen und nimmt sie mit in das Bild. Ihr Bedürfnis nach Arbeit entspringt einmal einem existentiellen Druck, sie äußert Unmut über " die Nichtbezahlung von Kunst, dass sie als Künstlerin gut rechnen muss, dass: Kunst nicht bezahlt wird, aber in Anspruch genommen wird, der Betrachter entspannt ist und dann sagt, nur Armut kann den Künstler gut arbeiten lassen. "110 Ein weiteres Mal beschreibt sie Unruhe: einer inneren Unruhe Bewegung und Erfüllung zu verschaffen, indem sie Kunst macht.111 Und schließlich übernimmt sie Verantwortung als Künstlerin und Mutter vor ihren Kindern und vor der 107 J. Dewey, Kunst als Erfahrung, 1988, Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main, Kap. VII, Die Entwickelung der Form, S. 156; 108 A. Soltau, Tagebücher, Nachlass zu Lebzeiten, Hessisches Staatsarchiv, Bestand 0 59 Soltau, Nr. 17, 25.4.83; 109 ebd., 27.6.83; 110 ebd., Feb. 83; 111 A. Soltau, Mathildenhöhe Darmstadt, 2006, hrsg. v. Kathrin Schmidt, Ph. Reinheimer GmbH Darmstadt, S. 4; 43 Gesellschaft. Für den Moment der dynamischen Ordnung sind die Bedürfnisse und Sehnsüchte erfüllt und die Form der Ordnung ist Träger ihrer ästhetischen Eigenschaften, über die der Mensch sich in dieser Ordnung wahrnimmt. Erfüllung in dieser Form schlägt sich als Freude über die gesamte Interaktion nieder, nicht weil der Mensch an dieser rhythmischen Darstellung und Verkörperung aktiv teilnimmt, denn er ist ihr verwachsen. " Sondern Freude entspringt letzten Endes der Tatsache, dass solches beispielhaft für die Beziehung ist, die, ob auf natürlichem Wege oder künstlich herbeigeführt, den Lauf des Lebens bestimmen. "112 Und die Freude des Künstlers in seinem ihm eigenen Bedürfnis, " bedeutet, dass alles, dem Ausdruck verliehen werden kann, ein Aspekt des Verhältnisses zwischen dem Menschen und seiner Umwelt ist und dass dieser Stoff zu seiner vollkommensten Vereinigung mit Form gelangt, wenn man sich auf die Grundrhythmen, die die Interaktion dieser beiden bestimmen, verlässt und sich ihnen rückhaltlos anvertraut."113 Von Innen heraus drückt der Wunsch an die Oberfläche, sich von der Besetzung durch das äußere Leben zu befreien. Zu dem künstlerischen Prozess zu ´hindurchgehen I + II` schreibt Annegret Soltau, sie " kann nicht klar sehen, Gefühle sind von wo anders besetzt, ich bin abgelenkt. " Sie wolle äußere Gefühlsregungen und Verwirrungen nicht in die Arbeit nehmen, es bringe sie von der Arbeit ab.114 Annegret Soltau weiß, dass sie für ihren täglichen Rhythmus bestehend aus künstlerischer Arbeit, Handwerk, Kinder und Haushalt nicht abheben darf, Ruhe bewahren will, denn ´ ihre Arbeiten sollten einer Besinnung entspringen.` Sie sieht sich als gebundene Frau, die nur wirklich lebt, in dem sie schafft, oder aber mit anderen (Partnern und Kindern): " Arbeit sollte der Ruhe entspringen (nicht Chaos, Unruhe, Überlastung, Hektik), - einen Dialog führen mit dem, was von selbst aus einem heraus kommt. ... Ich habe mich mir selbst entlassen (in die Welt nach außen), dieser entlassene Teil hat sich verselbstständigt, von mir befreit und kann als eigener Teil Auslöser für Reflexionen, Gespräche etc. werden. Ist Kunst = über sich selbst hinauswachsen, in Freiheit entlassen, der leibliche Körper wird Medium (zum 112 J. Dewey, Kunst als Erfahrung, 1988, Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main, S. 174; ebd., 176; 114 A. Soltau, Tagebücher, Nachlass zu Lebzeiten, Hessisches Staatsarchiv, Bestand 0 59 Soltau, Nr. 17, 7.6.84; 113 44 Benutzen des Handwerkes der sichtbaren körperlichen Arbeit daran), die Person Transformator? ... Das nennt sich altmodisch Schöpfung, wie auch bei der Schöpfung eines Kindes, wird der Körper zum Medium, d.h. er wird benutzt für das Weiterleben + Leben der Menschen, wozu auch die Kunst gehört."115 Mit der Vervielfältigung in den Tableaus gelingt es Annegret Soltau die private Situation des Selbstportraits aufzulösen, uns den Körper zu zeigen, der in den Strukturen Halt findet und verliert. Die Frau war gleich Mutter und Mutter war nicht gleich kulturell schöpfend, nicht gleich Künstlerin. Das Leben von Annegret Soltau trennt sich nicht in diese beiden Personen. In einem Gespräch mit Raimund Koplin im November 1984 sagt Raimund Koplin, sie sei doch eine glückliche Frau und Mutter, da sie die Einheit zwischen Kunst und Mutterschaft gefunden hätte. Annegret Soltau gibt ihm Recht, " Glück und Kunst schließen einander nicht aus. "116 Nachdem sie den Kindergartenbesuch der Kinder auf einen halben Tag verkürzt hat, ist sie froh, " für große und lange Trennungen ist es noch zu früh, die kommen noch. "117 FOTOVERNÄHUNGEN Parallel arbeitet Annegret Soltau an Fotovernähungen verschiedener Maße. Die Reihe ´Selbst`, 1975 - 1978, 38.8x28 cm oder 6.0x4,5 cm, schwarz-weiß Fotografien übernäht mit schwarzem Faden,118 zeigt Selbstportraits. Sie sitzt auf einem Fels, den Blick zugewandt und ein fingerdicker Faden umwickelt fest den portraitierten Körper als sei er ein Seil. Oder, ihr Gesicht mit dem Blick nach unten gesenkt und der Vernähung einem Spinnennetz gleich sich von den Wimpern an spannt. In dieser Reihe enthalten sind Fotovernähungen der Arbeiten ´schwanger`, 1978 und ´zustände `, 1978/79 (s. oben), Portraits der Künstlerin, die eingerissen, fragmentiert und zusammen genäht werden, dabei eine rissige, vernarbte Anatomie erhalten bleibt oder das Gesicht unzählige Augenpaare und mehrere Münder erhält. Die Form und die Hülle undurchbrochen erhalten das Leben in diesen Foto-Collagen. Die Reihe ´ Mutter-Glück` mit Tochter und Sohn , 1978/80 - 86, 45x35 cm, (Abb. 115 ebd., 20.2.84; ebd., Nov. 84; 117 ebd., 29.11.84; 118 A. Soltau, ZeitErfahrung, Hessisches Landesmuseum Darmstadt, Roether-Druck, 1994; 116 45 15, S. 84) oder kleiner, schwarz-weiß und Farbfotos von den Köpfen der Kinder und Mutter, eingerissen, fragmentiert und mit schwarzem Faden vernäht. Grobe Stiche und dicker Faden setzen den lachenden Mund einer Annegret Soltau zu einem ernsten linken Auge, welches aus dem Augenwinkel blickend einer Seitenansicht entrissen ist. Im Arm ein Kleinkind schreiend, das linke Auge zugekniffen, an den Platz des rechten ist das ernste Auge der Mutter genäht. Die Anatomie der Portraitierten vermischt sich in diesen Collagen. Kinderaugen mit Lippenstiftmund, Mutter mit den Augen der Tochter. In der Reihe ´Grima` - mit Tier und Kind , 1986 - 92, Farbfotos und schwarzer Faden, sind in den Farbportraits der Künstlerin in meist schwarzem T-Shirt vor schwarzem Hintergrund Teile von Kindergesichtern und Tierpostern collagiert und vernäht: ´Grima - mit Löwe und Tochter` , Fotovernähung, 70x50,7 cm,119 ´Grima - mit Kaninchen`, 275A, Fotovernähung, 70x 50.8 cm,120 ´Grima - Krokodilechse und Fisch`, 69,7x50,5 cm (Abb. 16, S. 85, Abb. 17, Rückseite, S. 86), ´ Grima - mit jungem Leopard und Kind `, 75x52 cm121. Wie schon in den DIN A4 Heften zu sehen war, erhalten jetzt die Rückseiten der Fotovernähungen mehr Aufmerksamkeit. Der Faden hält das Ausgerissene mit geraden Linien an seinem Träger, er reicht über die Risskante, Fadenstück neben Fadenstück nicht gleichmäßig, nicht parallel, von unterschiedlichen Längen, zeichnet er einen abstrakten Umriss von den Formen, hier den ovalen Kopfformen, Halsansätzen und schlägt Verbindungslinien zu weiteren Flächen. Bunte Posterrückseiten und nacktes weißes Fotopapier neben schwarzem Garn, blind gezeichnetes Nebeneinander. " Ich drehe die Arbeit um, sie liegt jetzt mit der Rückseite vor mir. Es sind die Silhouetten, sozusagen die Arbeitsspur der Vorderseite. Es ist eine ganz eigenständige Arbeit - die Rückseite, eine Zeichnung mit dem schwarzen Faden auf dem weißen rückseitigen Fotopapier. ... Es bildet die Umrisslinie der Figur ab, ...angefüllt mit einem Liniengewirr von Gedankenfäden ... Es ist das, was übrig 119 A. Soltau, Seitenblicke, Sichtweisen auf das Werk von Annegret Soltau, Darmstädter Dokumente 25, Wissenschaftsstadt Darmstadt, S. 25; 120 A. Soltau, Mathildenhöhe Darmstadt, 2006, hrsg. v. Kathrin Schmidt, Ph. Reinheimer GmbH Darmstadt, S. 110; 121 A. Soltau, Von innen nach außen, Darmstädter Kunstedition Merck 37, 1996; 46 bleibt: Das Feste, das Starke, das was alles zusammenhält und uns trägt. "122 Zu der Reihe ´Mutter-Glück`, 1978/80-86, entsteht im Schatten der Reaktorexplosion in Tschernobyl eine Reihe von Portraits ´ Mutter-Glück ` nach Tschernobyl, 1990, 100x90 cm (Abb. 18, S. 87). Farbfotografien der Künstlerin mit ihren Kindern, bunte Kleidung, geschlossene und verkniffene Augen, angerissene Münder und Augenlider, Löcher, denen das Viertel einer Fotografie von hinten angenäht wurde. Der viereckig Bildrand von 100x90 cm ist durchbrochen, unregelmäßige Rechtecke hängen sich an das zentrale Portrait. Der schöpferische Prozess im Leben von Annegret Soltau ist ein Aufnehmen von dem, was ihm begegnet. Sie sammelt die Dinge sensitiv auf, " meine Kinder waren es, die Tiere in mein Leben brachten, sich einen Hamster wünschten, Tierposter aufhängten. Es ist oft etwas Simples und schon ist ein neuer Impuls da." 123 " Wenn ich meinem eigenen Portrait das Gesicht ausreiße, geht es mir nicht um die Zerstörung an sich, sondern um das Finden von neuen Bedeutungs- und Sinnzusammenhängen. Wenn ich etwas heil lasse, dann wird es statisch weiterhin bestehen, aber ich möchte nicht diese Statik, sondern ich möchte den Prozess deutlich machen. Es gibt ja diese Verpuppungen in der Natur, wo ein Prozess beendet wird, und es zu eine Zerstörung kommt, damit etwas Neues entsteht. ... Der Unterschied zur Natur ist nur, dass in meinen Arbeiten die Spuren dieses Prozesses sichtbar bleiben ", an früherer Stelle nennt sie es Verstrickungen, Verbindungen.124 " Wir brauchen weder bis ans Ende der Welt zu gehen noch uns um Jahrtausende zurückversetzen, um Völkern zu begegnen, für die all das Gegenstand tiefster Verehrung ist, was das unmittelbare Daseinsgefühl steigert. "125 Denn die Kunst ist nicht eine wirklichkeitsgetreue Wiedergabe der Objekte, an die wir dann erinnert werden. Sie vermittelt die reflektierten Ideen und Gefühle über ästhetisch aufgeladene Darstellungen von Erfahrung im Prozess der Reflektion, die die Interaktion mit der Umwelt festhalten.126 Sie ist eine Form der Erfahrung, für den Schaffenden und Betrachtenden und Erfahrung ist ihre Materie und ihr Objekt, denen 122 A. Soltau, Diskussionsbeiträge zur ästhetischen Bildung, Bd. 7, die Kunst, der Körper, das Textile, hrsg. v. N. Schütz und M. Blohm, 2005, salon verlag, Köln, S. 167; 123 A. Soltau, Seitenblicke, Sichtweisen auf das Werk von Annegret Soltau, Darmstädter Dokumente 25, Wissenschaftsstadt Darmstadt, S. 24; 124 A. Soltau, ZeitErfahrung, Hessisches Landesmuseum Darmstadt, Roether-Druck, 1994; 125 J. Dewey, Kunst als Erfahrung, 1988, Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main, S. 13; 126 ebd., S. 14; 47 sie begegnen will. ROM Im August 1986 zieht Annegret Soltau mit beiden Kindern für ein Jahr nach Rom in die Villa Massimo, sie erhält ein Arbeitsstipendium. Sie findet sich in einer Wohnung mit Atelier wieder, im Keller der Villa gibt es eine Dunkelkammer. Geplant ist ein weiteres Fototableau, ´sich-fallen-lassen`, Fotoradierung, 672 schwarz-weiß Fotos.127 Annegret Soltau findet im Austausch mit anderen Stipendiaten der Villa Massimo alte Vorurteile über Frauenkunst. Sie notiert in ihren Tagebüchern, dass " die Kinder unwichtig sind, die Türen der Ateliers geschlossen blieben ", und sie fühlt sich im Alltagsgeschehen mit ihren Kindern isoliert.128 Ein Maler äußert, ´eine erfolgreiche Frau zu haben, sei eine Konkurrenz.` Ein Anderer meint, ´der Körper sei als Träger des Geistes an sich bedeutungslos.`129 In einem Gespräch mit Klaus Kröger130 widerspricht sie innerlich dem Auslöschen der Person, " des Menschen bis zum nichts hin. Das ist so nicht akzeptabel, das komplette Auslöschen, ich setze dem gleichzeitig das Werden entgegen. Durch das Zerstören wird das Neue aufgebaut."131 Bei einer Lesung anwesender Schriftsteller erntet Annegret Soltau Kritik an ihrer ´schamlosen ` Kunst. ´ Feministische Kunst würde nicht gefallen.` Sie erwidert, ´ sie stelle menschliche Dinge dar, die die Hälfte der Menschheit erlebt. Sie schaue sich auch Bilder von Expeditionen und Kriegen an, wo ein Großteil der Kunstgeschichte läge. Und sie sage auch nicht, sie möge keine männliche Kunst. ` Sie verspürt Abstand und, dass sie umstritten ist.132 Später bestätigt ihr Nachbar Giso Westing133 ihren Eindruck und fügt hinzu, ´es gäbe keine richtigen Malerinnen.` " Frauen machen keine richtige Malerei, sie sorgen biologisch für andere, darin liegt eine 127 A. Soltau, Fragmente des Ichs, Mainz ´91, Mainzer Kunstverein, Druckerei Ensch, Trier; A. Soltau, Tagebücher, Nachlass zu Lebzeiten, Hessisches Staatsarchiv, Bestand 0 59 Soltau, Nr. 19, 9.8.86; 129 ebd., 8.9.86; 130 http://de.wikipedia.org/wiki/Klaus_Kröger, Maler, 1920-2010, Hamburg, 22.8.2011; 131 A. Soltau, Tagebücher, Nachlass zu Lebzeiten, Hessisches Staatsarchiv, Bestand 0 59 Soltau, Nr. 19, 21.9.86; 132 ebd., 30.9.86; 133 http://de.wikipedia.org/wiki/Giso_Westing, Maler, geb. 1955, Hannover, 22.8.2011; 128 48 große Befriedigung und Erfüllung. Frauen sind nicht für das Große. "134 In der Distanz von nicht ganz zwanzig Jahren zu den politischen Umbrüchen der Emanzipation dieser unwirtlichen Atmosphäre, diesen Traditionen, einer solchen Diskriminierung in einem Raum zu begegnen, von dem jeder dächte, eine andere Konzentration von Bildung bilde die Basis, ist schlicht weg enttäuschend. Annegret Soltau hat es selbst schon formuliert, dass sie ihrer Anerkennung männlicher Künstler nicht an der Stärke oder Schwäche der Männer, nicht an den bevorzugten Themen und selbst nicht an der Form der Kunstwerke messe. ´ sich-fallen-lassen `, 1986/87, 672 schwarz-weiß Fotos, 354x304 cm, Fotoradierung, ein Tableau mit zwei hellen Zentren, die zu den äußeren Rändern in der Anordnung von mit der Radiernadel bearbeiteten Abzügen dunkel werden. In den Zentren ist der nackte und zusammen gekauerte Körper der Künstlerin auf einem weißen Untergrund abgebildet. In der horizontalen und vertikalen Mittellinie spiegelt sich die Arbeit. In den beiden Zentren ist der ganze Körper abgebildet, umschlungen von Geritztem löst er sich zu drei Seiten in schwarz-weiße, dann in schwarze Flächen auf. Zu der vertikalen Spiegelachse hin vergrößert sich der Bildausschnitt, das Gesicht mit geschlossenen Augen von Annegret Soltau erfüllt den Bildraum. Auf dieser Vertikalen löst sich das Gesicht in der Bearbeitung nach oben und unten auf. ´abgrenzen`,1983/86, Fotoradierung, 196 schwarz-weiß Fotos, 180x210 cm,135 dieses Tableau mit Fotoradierungen ist in drei Säulen nebeneinander angeordnet, neben denen links und rechts zum Bildrand der Arbeit jeweils eine Reihe der Abzüge allein steht, als ob es sich um einen Bildausschnitt handele, die neben stehenden Säulen sich aus dem Bild heraus fortsetzen. Die drei vollständig abgebildeten Säulen mit vier Fotografien jeweils haben von links nach rechts geschaut ein helles, ein dunkles und ein helles Zentrum - in der horizontalen Mitte der ganzen Arbeit. Wie Menschen in einem Hochhaus sitzen die Mutter und die Kinder in einem leeren Raum mal gegenüber voneinander, mal Rücken an Rücken. Das geritzte Negativmaterial lässt bald alles Licht auf das Fotopapier, es entstehen schwarze Flächen, die zunächst die Personen schlucken und schließlich das Einzelfoto erfüllen. In der gesamten Ansicht verdunkeln sich die hellen Flächen nach oben und unten, und versetzt dazu die 134 A. Soltau, Tagebücher, Nachlass zu Lebzeiten, Hessisches Staatsarchiv, Bestand 0 59 Soltau, Nr. 19, 1.10.86; 135 A. Soltau, Von innen nach außen, Darmstädter Kunstedition Merck 37, 1996; 49 dunkle Fläche der zentralen Säule sich erhellt. Lu Märten sah für die Frau, die den Beruf in dem häuslich-familiären Lebenszusammenhang abgelegt hat, " einen Ersatz der einstigen familiären Eigenproduktion, "136 ihre kreativen Fähigkeiten und Kräfte in sozialisierende Organisationen zu stellen, dort Verantwortung zu übernehmen. Sie sah dort die geistige und schöpferische Energie und Kraft der Frau. 137 Annegret Soltau resümiert für sich, dass der Aufenthalt in der ´ Villa Massimo ihre Kunst wenig inspiriert hätte, da ihre Kunst sich auf das Persönliche konzentriere. ` Sie reflektiert für sich ihr Außen und Innen. ´ Das Außen reagiere neugierig in der Begegnung mit der Umwelt, es höre, nehme auf, stelle sich darauf ein. Das Innen erhielte seine Inspirationen von Innen, sie nehme es als stark und sensibel wahr. ` Ihr Bewusstsein registriert Unkonzentriertheit, ´ die Geschichten von Außen würden Verwirrung spenden. Würde eine dritte Schwangerschaft sie zu ihrem Kern führen?`138 Zu einem späteren Zeitpunkt erkennt sie, ´ im Leben Kompromisse zu machen, denn sie wolle ein heiles und harmonisches Leben, in der Kunst, in der Arbeit aber seien keine Kompromisse nötig. `139 Und in einem Gespräch mit Gislind Nabakowski reflektiert sie ein weiteres mal ein Bewusstsein für den Unterschied, im Außen liegt ´ ein übernommener Habitus, ein Frauenverhalten des Sich-Nicht-Stellen, keine Eigeninitiative in der direkten Begegnung. In der Kunst läge die deutliche Geste der Selbstbehauptung mit einer positiven Stimme. Mit dieser Geschmeidigkeit, dieser Kraft von Innen mag sie sich auch ausliefern. ` 140 136 L. Märten in G. Nabakowski, H. Sander, P. Gorsen, Frauen in der Kunst, Bd. 2, 1980, Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main, S. 65; 137 G. Nabakowski, H. Sander, P. Gorsen, Frauen in der Kunst, Bd. 2, 1980, Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main, S. 66; 138 A. Soltau, Tagebücher, Nachlass zu Lebzeiten, Hessisches Staatsarchiv, Bestand 0 59 Soltau, Nr. 19, 31.5.87; 139 ebd., Nr. 21, 31.8.87; 140 ebd., 27.10.87; 50 1990 - 2011 FOTOVERNÄHUNGEN 1991 und 1992 entstehen Doppelköpfe, die die bisher erhaltene Hülle durchbrechen. Es sind Fotovernähungen von Portraits der Künstlerin und ihrer Kinder. Farbfotografien, die mit Haut, Pullover und Hintergrund in einer Dreifarbigkeit bleiben. ´Doppelkopf - mit Tochter`, 1991-92, 40,5x44 cm, Fotovernähung mit schwarzem Garn, zeigt eine deutlich breite Silhouette, die zwei Hälse und Häupter besitzt und der Anzahl nach alle Sinnesorgane im Gesicht. Bei dem ´Doppelkopf - mit Sohn`, 1991-92, 64x72 cm, farbige Fotovernähung mit schwarzem Garn141 überschreiten die Anzahl der Sinnesorgane das Normale und den Rand der Silhouette. Zwei der drei Augen sind dem Mundwinkel angeschlossen, welcher selber um einen halben Mund verlängert ist. Neben dem linken Auge prangert eine leere Stirn. Das Doppelportrait der Künstlerin, dem alles eingenäht ist, nimmt zwei verschiedene Haltungen ein, sie richtet den Blick geradeaus und zur Seite. Der ´Drillingskopf - mit Tochter und Sohn`, 1991-92, 23,5x40,5 cm, Fotovernähung mit schwarzem Garn 142 schaut aus drei Augen, riecht mit drei Nasen, schmeckt mit drei Mündern, und tut dieses Alles auf den drei Hälsen mit drei rechten Händen der Künstlerin. Die Rückseiten der Arbeiten sind abgebildet, ihre abstrakt gezeichneten Nähte umstricheln den Umriss des Dargestellten. Kurze Fäden nebeneinander, lange Fäden überspannen auch mal zwei Umrisse, und Fäden, die sich überlagern, immer sind Andeutungen von Kinn, Hals, Blickrichtung oder Anzahl der Personen zu erahnen. Wenn sich bei Lu Märten die schöpferischen Kräfte der familiären Eigenproduktion der Frau idealer weise in sozialisierenden Organisationen in der Gesellschaft anstrengten, dort Kultur schafften, stellten diese Kräfte sich gleichberechtigt neben die der Männer.143 Helke Sander nahm den Begriff der Vergesellschaftung der Mütterlichkeit, der Fürsorge, und ließ Frauen sich organisieren in Frauengruppen, 141 A. Soltau, Von innen nach außen, Darmstädter Kunstedition Merck 37, 1996; ebd.; 143 L. Märten in G. Nabakowski, H. Sander, P. Gorsen, Frauen in der Kunst, Bd. 2, 1980, Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main, S. 66-67; 142 51 Gewerkschaften und an medial begabten Orten, weil sie den weiten Begriff der Mütterlichkeit und Fürsorge auch schon früh, im Sinne von Jahren an Alter, an Kinder zu lehren vermochten. " Wenn ich in diesem Aufsatz weiterhin von Mütterlichkeit spreche, dann als eine Eigenschaft, mit der Ethnologen die Fähigkeiten einer Gesellschaft beschreiben könnten. ... Damit ist gesagt, dass Menschen solche Fähigkeiten erwerben können. "144 GANZKÖRPERPORTRAITS Der Faden etabliert sich wieder, der Körper steht da in seiner Gänze - seine Hülle steht ihm zur Verfügung. Sie hält, was er sich einverleibt. Annegret Soltau arbeitet mit eigenen Ganzkörperportraits. Ihrem nackten Körper sind in ´Körperaugen`, 1990, schwarz-weiß Fotovernähung mit schwarzem Garn, Vorder- und Rückseite,145 von Kopf bis Fuß mehrere Dutzend Augen und ein Mund - an richtiger Stelle - eingenäht. Große und kleine Ausrisse von ihren Augen starren aus dieser Nackten zurück, sie lächeln, blicken ins Leere, sind erstaunt und schauen ernst. Der Umriss verrät die Weiblichkeit, der Schambereich ist eben verdeckt und die Arme sind so eng hinter dem Rücken verschränkt, dass der Dargestellten die freie Handlungsfähigkeit genommen zu sein scheint. ´ Körperbisse `, 1990, schwarz-weiß Fotovernähung mit schwarzem Garn, Vorder- und Rückseite,146 zeigt die dunkle Seite, positive Ausrisse sind in den Negativabzug vernäht. Offene Münder, der Länge nach von der Vagina bis über den Bauchnabel, von der einen Schulter zur anderen und kleiner, kurz vor dem Zubiss, erfüllen von Kopf bis Schambereich den Körper. Zwei Augen im Rumpf und ein zyklopenartiges Auge in der Stirn blicken aus der negativen Hülle Annegret Soltaus. Die Arme bleiben weit hinter dem Rücken verschränkt. Die Rückseiten beider Arbeiten zeigen deutlich die Silhouette des Künstlerinnenkörpers, die umnähten weißen Ausrisse stehen wie Gebiete nebeneinander oder als Köperteile zueinander. " Aggression. Die Zähne als Zeichen von Aggression. Jede neue Idee ist ja eine 144 G. Nabakowski, H. Sander, P. Gorsen, Frauen in der Kunst, Bd. 1, 1980, Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main, S. 55; 145 A. Soltau, Bild-Schnitt-Bild, Kunsthalle Darmstadt, Kunstverein Darmstadt e. V.; 146 ebd.; 52 Aggression. Und Aggression ist eine Eigenschaft, die im absoluten Widerspruch steht zum Bild des Weiblichen, das die Männer in sich tragen, und das sie auf die Frauen projizieren. Lachen, lachend, Zähnefletschen, die Oberlippe hochgezogen; ein riesiges breites Lachen. Immer die Zähne zeigen. Zähne zeigen heißt, Biss haben. Zähne zeigen, also sich durchsetzen können, vorangehen. "147 Im Bild einer Aggression sind Bewegung und Bedrohung eingeschlossen. Schnelle, vielleicht ruckartige Bewegung, spontane Bewegung, wenn sich die Kraft entlädt, und angehaltene, um dem Ausdruck der Aggression näher zu kommen, haltende und stagnierende Bewegung, wenn sie unterdrückt wird. Die Bedrohung ist immer mit eingeschlossen in dem Begriff der Aggression, weil die Erregung und die Kraft das Gegenüber erregen. Die Interaktion ist nicht harmonisch, wenn die eine Kraft sich größer gebärdet als die andere, die erste mag die zweite überwältigen. Beidem, der Bewegung und der Bedrohung, und der Begegnung ist Kraft, physische Kraft eigen. Selbst einem intellektuellen Austausch ist über das Thema, die Wortwahl, die Form der Erzählung und die Intonation eine physische Kraft eigen. Aggression bedeutet zunächst Angriff, Anlauf und logischer Schluss, 148 es stammt von dem Verb aggredior = heranschreiten, sich nähern, sich begeben, für sich zu gewinnen suchen ab. Aus der assimilierten Präposition ad (zu ag) = zu, bei, an..., mit Rücksicht auf149 heraus entsteht eine sich zuwendende Bewegung. Die Kraft, die Energie, sind als physischer Ausdruck, als Körperenergie, als Antrieb, selbst als Symbol und in der unabwendbaren Bedeutung davon nicht anerkannt, als sich der Geist in der Geschichte zu dem Körper opponiert. Ein Organismus erfreut sich der Ordnung und ist verunsichert in der Unordnung. Über Institutionen kann sich eine Gesellschaft eine Ordnung schaffen, die sich geistig und ideell in der Kultur in Symbolen niederschlägt. Den Institutionen ist daran gelegen, ihre Ordnungen zu erhalten, indem sich ihre Subjekte über Erinnerung und Assoziationen bewegen, sie halten Regeln ein. Aus vielen Richtungen ist die Opposition und schließlich die geringere Wertschätzung und Verurteilung des Körpers und seiner Manifestationen gewachsen. Werden Bedürfnisse verfolgt, ist Lust der Antrieb, und herrscht 147 A. Soltau, Diskussionsbeiträge zur ästhetischen Bildung, Bd. 7, die Kunst, der Körper, das Textile, hrsg. v. N. Schütz und M. Blohm, 2005, salon verlag, Köln, S. 166; 148 Langenscheidts Handwörterbuch, Lateinisch - Deutsch, erweit. Ausgabe 1983, Druckhaus Langenscheidt, Berlin, S. 36; 149 ebd., S. 22; 53 Bewegung, scheint der Geist dem Körper zu unterliegen. John Dewey verfolgt den Gedanken soweit, dass er deutet, er hat " seine Ursache in der Angst vor dem Leben. Der Gegensatz zwischen Geist und Körper ... ist ein Zeichen für Verengung und Rückzug. " In der Anerkennung, dass Bedürfnisse und Triebe, dass unsere organische Struktur eine Verwandtschaft zu den animalische Vorfahren herstellt, liegt nicht " die Rückstufung des Menschen auf die Ebene des Tieres." Die Verwandtschaft ist unsere Fähigkeit, über Erfahrungen in unserer Umwelt zu leben, und ermöglicht dem Menschen, " die Einheit von Empfindung und innerem Antrieb, von Gehirn, Auge und Ohr zu ungeahnten Höhen zu bringen und sie mit den bewusst gewordenen Bedeutungen zu sättigen, die er aus der Kommunikation und aus überlegtem Ausdruck gewonnen hat. "150 Erfahrung ist in seiner Eigenschaft und Funktion dem Neuen zugewandt, ist der Begegnung, der Kommunikation zugewandt und über den Körper zeichnet sich ihre Ästhetik ab, in Gefühlen. Aus einer selben Sinneswahrnehmung heraus entscheiden sich Köper und Geist zusammen für das Neue. Geist steht an keiner Stelle für Stagnation solange er die Dynamik seiner körperlichen Fähigkeiten und Bedürfnisse begleitet. " Ich habe Angst vor den Menschen. Und zugleich Interesse an ihnen. "151 Charlotte Martin dazu über Annegret Soltau: " ... vielleicht ist es das, was den Betrachter dazu führt, ihre Kunst ´aggressiv ` zu nennen. Ihre Aggression ist eine Schöpferische, ein Herangehen an das Leben, ein Unter-die-Haut-gehen - wo sie zerstörerisch scheint, zeichnet sie durchlebtes nach und nicht vor. "152 Gernot Böhme153 stellt die Gewalt, die sie sich und ihrer Familie für uns - den Betrachter antut, zwischen radikale Selbstpreisgabe und die Natur, die wir selbst sind, weil die Künstlerin " uns etwas zu verstehen gibt, das nur in radikaler Selbstpreisgabe zu vermitteln ist. Gerade weil es um den je eigenen Körper geht, also den Leib, die Natur... ."154 ´ Körperlachen I und II `, 1991, schwarz-weiß Fotovernähung mit schwarzem Garn, 150 J. Dewey, Kunst als Erfahrung, 1988, Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main, S. 30-32; A. Soltau, Seitenblicke, Sichtweisen auf das Werk von Annegret Soltau, Darmstädter Dokumente 25, Wissenschaftsstadt Darmstadt, S. 22; 152 C. Martin, ebd., S. 26; 153 http://de.wikipedia.org/wiki/Gernot_Böhme, geb. 1937, deutscher Philosoph, 23.8.2011; 154 G. Böhme Seitenblicke, Sichtweisen auf das Werk von Annegret Soltau, Darmstädter Dokumente 25, Wissenschaftsstadt Darmstadt, S. 18; 151 54 Vorder- und Rückseite,155 eine Arbeit in römisch I - positivem Abzug und römisch II - negativem Abzug. Bis zum Schambereich sind in ´ Körperlachen I ` (Abb. 19, S. 88, Rückseite Abb. 20, S. 89) zwei weit aufgerissene Münder eingenäht, zwei sehr unterschiedliche Augen stehen auf der Stirn. Dem ´ Körperlachen II ` ist das Lachen ein wenig vergangen, die positiven Münder sind kleiner und geschlossener zentral in die negative Arbeit montiert. Gelacht wird im Oberkörper und zwischen den Beinen. Den Rückseiten hängen die Fäden bis über den Bildrand. Bisher montiert Annegret Soltau meist eigene Körperteile in eigene Körperhüllen, "Ich nehme mich selbst zum Modell, weil ich mit mir am weitesten gehen kann."156 Die Kinder, in die Arbeit mit integriert seit den Schwangerschaften, werden dieser Symbiose wie jeder Mutter-Kind-Symbiose entwachsen. Noch sind sie dem Leben und Werk so verwachsen, dass es erst befremdlich werden wird. Der Faden vernäht wieder als Material sichtbar, als die Beziehungen individuell emanzipierter werden, die Beziehungen zu unabhängigen Wesen beginnen sich zu formen. " Der Faden bedeutet aber auch etwas Verbindendes, Reparierendes, was die Risse zusammenbringt und -hält. Die Risse im Lebenslauf bleiben sichtbar wie die Falten als Lebensspuren."157 Der Faden vernäht, was in emanzipierten Beziehungen zueinander steht. Oder, noch einmal in Worten von Helke Sander: " Diese Mütterlichkeit hat zwar ihren Ursprung in der Beziehung zum Kind, wird aber von Frauen ständig auf die Beziehungen zu anderen Menschen übertragen. "158 ´Pubertät - Tochter doppelt`, 1994, 80x71 cm, farbiges Foto mit schwarz-weiß Fotovernähung, (Abb. 21, S. 90) demontiert und montiert jetzt den Körper der Tochter. Sie steht dreibeinig und zweiköpfig nackt im leeren Bildraum, fasst sich rechtsseitig mit der linken Hand an den rechten Oberarmmuskel, während linksseitig derselbe rechte Arm seitlich horizontal aus dem Körper wächst. Ein linkes und ein rechtes Bein sind mittig zu dem dritten Standbein vernäht, bis an den Fuß reichen die Nähte. Schwarz-weiße Augenausrisse, die jeweils groß über den Rumpf und die Stirnen des Geschöpfes prangen, sind bis zu den Hüften vernäht. Die äußeren 155 A. Soltau, der Mensch als Readymade, Sonderdruck aus C. G. Philipp, Metamorphoto, Jonas Verlag, S. 70-73; 156 A. Soltau, Mathildenhöhe Darmstadt, 2006, hrsg. v. Kathrin Schmidt, Ph. Reinheimer GmbH Darmstadt, S. 24; 157 ebd., S. 64; 158 G. Nabakowski, H. Sander, P. Gorsen, Frauen in der Kunst, Bd. 1, 1980, Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main, S. 55; 55 Standbeine zeigen nur grobe Nähte, das mittlere ist vernäht mit einem Auge und Hautflächen, in den Gesichtern herrscht noch das Lächeln der Tochter - zweimal. Die Rückseite wirkt in grobem Hin und Her langer, kurzer, dünner und dicker Fäden abstrakter als bisher. Die Arbeit ´Pubertät - Tochter`, 91, 1994/99, 270x200 cm, farbiges Foto mit schwarz-weiß Fotovernähung,159 zeigt drei nackte Körper. Rechts und links steht die sich spiegelnde Tochter mit schwarz-weißen Augenausrissen in Rumpf und Kopf vernäht. Sie lächelt mit geschlossenem Mund und hält ein drittes Wesen leicht im Arm. Die Abzüge sind in einer vertikalen Mitte über die Bildränder so nah zueinander geschoben, die zwei Abbildungen des Körpers im Arm verschmelzen zu einem. Es verschwinden Köpfe, Bauchnäbel und Schambereiche des mittleren Wesen, die Beine verschmelzen zu einer Säule und die Brustwarzen liegen so nah beieinander, dass sie schauen. Die Rückseite verheimlicht das dritte Wesen. GENERATIV Mit ´generativ - Tochter mit Mutter`, 1995, 19x10,5x4 cm, Injektprint mit Fotovernähungen in Plexiglasblock,160 nimmt Annegret Soltau einen neuen Werkzyklus auf. Dem nackten Körper der Tochter sind im Rumpf verschiedene Brüste von den Schultern bis über die Taille eingenäht, die Augen und der schwarzweiße Abzug des Schambereichs sind fremde, die Körperteile der Mutter. An Oberarmen und Beinen ziehen sich grobe Stiche entlang. Die weiße Reißkante des Fotopapiers leuchtet auffällig aus dem dunkelgrün, fluoreszierenden und gelben Körper, der scheinbar durchsichtig ist. Die Rückseite verliert das Figurative, Andeutungen von Körperteilen unterliegen dem prominenten Faden. ´ Tochter - mit Mutter, Großmutter und Urgroßmutter `, 96, 1994/99, 242x120 cm, Injektprint mit Fotovernähung,161 wieder steht die Tochter mit dieser fluoreszierenden Haut im Zentrum der Arbeit, mit eigenen Augen und Brüsten trägt sie den Mund, den Schambereich und die Bäuche ihrer Vorfahrinnen. 159 A. Soltau, Mathildenhöhe Darmstadt, 2006, hrsg. v. Kathrin Schmidt, Ph. Reinheimer GmbH Darmstadt, S. 68; 160 A. Soltau, Von innen nach außen, Darmstädter Kunstedition Merck 37, 1996; 161 A. Soltau, Mathildenhöhe Darmstadt, 2006, hrsg. v. Kathrin Schmidt, Ph. Reinheimer GmbH Darmstadt, S. 66; 56 ´generativ - mit Tochter`, 1994, 30x21 cm, farbige Fotovernähung,162 Annegret Soltau präsentiert jetzt auch sich als Mutter und Spender des Körpers. ´ generativ - mit Tochter, Mutter, Großmutter und Urgroßmutter `, 1994, 21x30 cm, farbige Fotovernähung (Abb. 22, S. 91, Rückseite, Abb. 23, S. 92), die vier Generationen stehen nebeneinander nackt im leeren Umraum, Augen, Münder, Brüste und Bäuche sind ausgetauscht vernäht, Arme und Beine bleiben unversehrt. Die Rückseite hebt die Größenunterschiede hervor, zeigt personenhafte Oberkörper und gibt eine nüchterne Darstellung der Verbindungen zueinander wider, manche Fäden spannen sich über die vier Rümpfe oder stellen von Kopf zu Kopf, von Körperteil zu Körperteil Verbindungen her. " Ich bin zurückgegangen in meinen Arbeiten auf meine Großmutter und hab´ versucht, die Generationen zu verbinden bis hin zu meiner Tochter, auf der weiblichen Ebene sozusagen, diese matrilineare Verbindung darzustellen. Also nicht die Weitergabe von Mann zu Mann, sondern die Weitergabe von Frau zu Frau, ganz bewusst. Ich meine die Weitergabe nicht nur biologisch, sondern bezogen auf die gesellschaftliche Ebene. Es geht nicht um die patriarchalische Weitergabe, ob sich das an Familiennamen dokumentiert oder der Vererbung von Besitz. Ich wollte die Weitergabe über die Geburt behandeln, von Körper zu Körper, dargestellt auf der Körperebene."163 In diesen Arbeiten ´generativ` sind es meist die Geschlechtsmerkmale Schambereich und Brüste, Münder und Augen, die einander gegeben und vernäht sind. Beine und Arme sind unversehrt oder weisen bloße, vernähte Risse auf. Das Familienphoto zeigt die nackten Mitglieder, rosa-weiße Haut, bläuliche und faltige Häute vor einem hellblauen Raum ohne Tiefe. Annegret Soltau bezieht die körperlichen Prozesse in ihre Arbeiten mit ein, das Jungsein, das Altwerden und Altsein, um bewusst den Körper als Kraftort dort zu kennzeichnen, wo er weitergibt. In der Anerkennung der weiblich-kreativen Kräfte Mütterlichkeit und Fürsorge, der Sorge um und der Produktion von sozialen Beziehungen und innerhäuslicher Kommunikation, die sich in geringerer Teilung der Arbeitsprozesse, in einer geringeren Abstraktion von konkreten Bedürfnissen und Interessen charakterisieren ließ, beschrieb Ulrike Prokop die Frau. " Die geringe Teilung von geistiger und 162 163 A. Soltau, Heilung, Städtische Galerie am Markt, 1994, Oscar Mahl KG, S. 25; ebd., S. 19; 57 körperlicher Arbeit im weiblichen Lebenszusammenhang ... bewahrt der Frau bestimmte Fähigkeiten der Bedürfnisorientierung und der Imagination" und erhält ihr "die Möglichkeit und Fähigkeit zu expressivem, nicht instrumentalem Verhalten, " weil ihr Arbeitsprozess nicht einem Ziel mit Plan und Material ausgestattet zustrebt, weil der Arbeitsprozess der dynamischen Umwelt gegenüber flexibel ist. 164 Blieb die Frau in häuslichen Verhältnissen, blieben auch die Fähigkeiten nur dieser Umwelt ausgesetzt und würden sich nicht weiter entfalten. Aber die Emanzipation in der Teilnahme am kapitalistischen Arbeitsprozess verhinderte die kreative Kraft der Frau. Sie musste sich Produktionsformen unterordnen, konnte also nicht mit dem Wort der Emanzipation beschrieben werden. Die Beteiligung an der Gesellschaft nur durch den Beruf der Hausfrau, wie auch immer gut er bewertet würde, förderte weiter die Teilung der beiden Fähigkeiten von weiblicher und männlicher Seite. " Viele empfinden die Zumutungen aus der Berufssphäre, den Berufszwang als schwer zu bewältigende Spannung gegen ihre spezifisch weiblichen Wesenskräfte; viele fühlen sich widerwillig in spezialisierte Erwerbsarten gedrängt, die ihnen als Wirkungsformen keine innere Befriedigung gewähren." 165 Der Wunsch nach Ausdruck, der Ausdrucksakt und die Bedürfnisse werden ihrer Zeit entsprechen, so dass der Verbleib einer Frau in den häusliche Zusammenhängen keiner Neuanpassung Material in Erfahrung und Objekt bietet. 164 U. Prokop in G. Nabakowski, H. Sander, P. Gorsen, Frauen in der Kunst, Bd. 2, 1980, Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main, S. 64; 165 M. Weber in ebd., S. 66; 58 ABHÄNGUNGEN Im Sommer 1994 wird das Werk ´generativ `, 1994, 60x80 cm + Rückseite aus einer Wanderausstellung ´Ästhetik im Alter` an zwei Ausstellungsorten mit der Begründung entfernt, es verletze die Moralvorstellungen der Besucher, insbesondere der muslemischen Volksgruppen, wegen der Hässlichkeit der entblößten alten Frauenkörper. 1995 entfernt der Frankfurter Verleger Siegfried Unseld vier Bilder der Künstlerin aus dem Band ´Von der Auffälligkeit des Leibes` der Autorin Farideh Akashe-Böhme in der Reihe ´Gender Studies.` Die bewusst verfolgte Ästhetik des Hässlichen findet Podiumsdiskussion nicht seine Toleranz. Im Februar 1996 findet eine zu dem Thema ´Ausgrenzung der Frauen in der Kunst am Beispiel Annegret Soltau ` in Darmstadt statt. Der geladene Kunsthistoriker Professor Dr. Georg Bußmann grenzt die subjektive Ablehnung als persönliche Freiheit eines jeden Betrachters von der institutionellen Ablehnung ab, die die Aufgabe von Kunst verhindert und im Falle von politischen Körpern bewusst manipulierend totalitär handelt. 166 "Die Weigerung, Grenzen anzuerkennen, die durch Konventionen gesetzt sind, ist die Quelle häufiger Denunziationen künstlerischer Objekte als unmoralisch, "167 die Regeln verletzend, " denn die Kultur ist seit Jahrhunderten nicht in der Lage, " den Körper anzusprechen. Weil unsere ganze Kultur geistfixiert ist, sie sich über Geist und Rationalität definiert, ist der Körper irgendwie so ein Anhängsel. Typische Ausdrucksform dafür ist, wir sagen, wir haben einen Körper, dabei sind wir Körper."168 Doch ist es gerade eine der Funktionen der Kunst, eben die moralische Furchtsamkeit zu untergraben, die den Verstand dazu bringt, vor bestimmtem Material zurückzuscheuen und sich zu weigern, es in das klare und reinigende Licht des perzeptiven Bewusstseins einzulassen. "169 Die perzeptive Fähigkeit, zu beiden Seiten einer Verbindung in der Interaktion, zu beiden Enden einer Reihe von Erfahrungen, ist in der Begegnung Neues zu suchen und körperlich zu empfinden. 166 G. Bußmann, Ausgrenzung der Frauen in der Kunst am Beispiel A. Soltau, Darmstädter Dokumente Nr. 2, Magistrat der Stadt Darmstadt, 1997, Druckwerkstatt Kollektiv GmbH, S. 25; 167 J. Dewey, Kunst als Erfahrung, 1988, Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main, S. 219; 168 G. Bußmann, Ausgrenzung der Frauen in der Kunst am Beispiel A. Soltau, Darmstädter Dokumente Nr. 2, Magistrat der Stadt Darmstadt, 1997, Druckwerkstatt Kollektiv GmbH, S. 37; 169 J. Dewey, Kunst als Erfahrung, 1988, Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main, S. 220; 59 Für Annegret Soltau sind die Prozesse des Werdens und Gehens, die abgehängt werden, näher an der Realität. Das schmerzliche Verbunden-Sein über die Geburt, die Ähnlichkeiten, die daraus resultieren, die Abhängigkeit, die daraus folgt. Es gibt die Individualität als solche, aber nicht in der körperlichen Abgeschiedenheit, wenn der Körper selbst aktiv über sein Bewusstsein eine Einheit mit seiner Umwelt sucht. " Die anderen Fotos, die üblichen Familienfotos, behandeln ja mehr die äußere Darstellung des Glücks, die Harmonie. Und ich möchte das durchbrechen, ich möchte alles darstellen. ... Es gibt Harmonien nur partikelweise, aber keine totale Harmonie. Das ist ja mehr ein idealistisches Bild. Ich möchte aber die Realität darstellen, die gesellschaftliche Realität."170 Es ist sicher irreführend in dieser Zeit, in der Familienstrukturen für überkommen gehalten wenig Halt bieten, Harmonie in der Form eine Geschichte im Bild ist. In der gelebten Realität sie sich anders gebärdet, und das Ererbte oft in negativen Zusammenhängen ein individuelles Bild zurück bindet an das Fleisch und Blut, was einem einen Körper gegeben hat. Annegret Soltau stellt den Alterungsprozess in der einen Richtung, den Wachstumsprozess in der anderen Richtung dar und vergisst nicht zu sagen, dass es so gehört - noch. " Die Vorstellung, dass den Dingen festgelegte, unveränderliche Werte innewohnen, ist genau das Vorurteil, von dem uns die Kunst befreit. Gerade weil die traditionellen Assoziationen beseitigt wurden, treten die natürlichen Eigenschaften der Dinge mit überraschender Kraft und frische hervor."171 HYBRIDE In ´ Tochter/Mutter/Großmutter doppelt (geviert) `, 87, 1994/98, 67x84 cm, farbige Fotovernähung,172 collagiert Annegret Soltau ein Gruppenbild, in deren zentralem Raum ein Stück nackten Torsos vertikal liegt. In der Größe füllt er die Fläche zwischen den vier Figuren, an seinen Rändern liegen ihm insektenartig ein linkes und ein rechtes Bein - zu Füssen, als säße etwas im Schneidersitz. Über ihm beugen sich 170 A. Soltau, Heilung, Städtische Galerie am Markt, 1994, Oscar Mahl KG, S. 20; J. Dewey, Kunst als Erfahrung, 1988, Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main, S. 113; 172 A. Soltau, Mathildenhöhe Darmstadt, 2006, hrsg. v. Kathrin Schmidt, Ph. Reinheimer GmbH Darmstadt, S. 74; 171 60 vier Oberkörper, vernäht mit Brüsten und symmetrisch zu beiden Seiten stehen ein linkes und rechtes Standbein der Randfiguren. In allen Vernähungen sind die Proportionen der Körperteile zueinander verschieden, hier ist ein Unterschied erreicht, deren Form nicht mehr der menschlichen Wesensform angehört. Diesen Schaffensschritt, diese ´neue Formulierung` nimmt Annegret Soltau zu einem späteren Zeitpunkt in den Hybriden wieder auf. 1999 und 2000 entspringen digital-collagierte Arbeiten dem Computer. Eingescannte Fotofragmente sind zueinander gestellt, weiter bearbeitet und verfremdet, indem sie an einer Mittelachse zusammen geschoben sich spiegeln, zu einer dünnen Säule schrumpfen. Haarschöpfe ohne Gesichter, stiftdünne Taillen, Bienenkörper und Füße, im Verbund zu der Körpersäule oder ohne. Der symmetrische ´ Tochter-Totem 1 - 3 `, 1999, digitale Fotofragmente, 173 und der symmetrische ´ Tochter-Totem 1- 4`, 2000, digitale Fotofragment, (Abb. 24-25, S. 93-94) verwachsen in der geschrumpften Collage zu handfesten Gesten. Die jungen Fäuste erhebend oder die Hände sicher die schmalen Hüften haltend stützen sich zwei alte in die Krücken, ein vierarmiges Wesen. Die Nähte, die weißen Flächen des Fotopapiers, das Rosa des jungen Körpers und das Braunrosa des alten Körpers, die Symmetrie bis hin zu dem identischen Ring - an welcher Hand eigentlich, an der rechten oder der linken - gibt der Arbeit diesen Wert, alles ist machbar. Das neue Medium, welches so sehr für Verwandeln, Verändern und neu Zusammenfinden steht, drängt die Direktheit, das Individuelle und das Unmittelbare der Vernähungen in den Hintergrund. Die Form und der Titel Tochter-Totem geben den Verbindungen in die Vergangenheit Halt, gerade noch, denn unter der digitalen Bearbeitung, dem Verschieben der Relationen, verschwinden die Beine in den Spiegelungen, das Körperliche leidet. ERFAHRUNG Zu dem Werkzyklus ´selbst ` gehören immer wieder Zeugnisse der Zeit, die auf der einen Seite sehr erregen, in dem Sinne einen Antrieb auslösen, weil sie eine große Nähe zu Annegret Soltau herstellen. So gehört dazu die im Oktober 2001 begonnene Reihe Vernähungen mit dem Titel ´ N.Y.FACES - chirurgische Operationen II `, 173 A. Soltau, Mutiere oder verwandele ich mich, Hessisches Landesmuseum Darmstadt, Harold Vits & bureau, S. 30-31; 61 11.10.2001, 40x31 cm, Fotovernähung.174 Annegret Soltau vernäht in der Hülle eigener Passfotos dokumentarisches Fotomaterial eines chirurgischen Eingriffes im eigenen Kieferbereich. Weit aufgerissene Münder, Narkosespritzen, gummibehandschuhte Finger, geschlossene Augen und Klammern füllen das Gesicht der Künstlerin. Auf den Rückseiten sind einwortige Schlagzeilen der aktuellen Ereignisse um den Anschlag vom 11.9.2001 in New York eingenäht: Kampf, Afghanistan, teuflische Tat, Fahnder, Hintermänner ... ´ N.Y.FACES - chirurgische Operationen X, 21.11.2001,175 der Mund als Organ der Mitteilung über Sprache und Laute, teilt weit aufgerissen mit, er schreit. UND ERWEITERUNG Der Werkzyklus ´generativ` erweitert sich in den Jahren 1994/2005 zu monumentalen Größen, ´ generativ - mit Mutter, Tochter und Großmutter `, 110, 1994/2005, 3 Bahnen je 262x127 cm, farbige Fotovernähungen und Rückseite, und um die Familienmitglieder MutterVaterTochterSohn`, 81, 2005, Fotovernähung und Rückseite.177 in 3 den Bahnen Arbeiten ´transgenerativ je 275x105 cm, 176 - farbige Zu vielen Arbeiten entstehen hellgrün fluoreszierende Spiegelungen, die in unheimlich braun-grünem Umraum stehen, scheinbar Negative, radiologische Aufnahmen, denen aber die echten, die positiven Körperfragmente eingenäht sind. Das Familienportrait wird in kleineren Arbeiten von 65,5x 87,5 cm, ´ transgenerativ MutterVaterTochterSohn `, 2005, farbige Fotovernähung und Rückseite,(Abb. 26-27, S. 95-96) festgehalten. Die Gruppe steht nicht mehr frontal, die Eltern stehen mal oder die Kinder hocken mal. Über den ´ Tochter - Totem ` hinaus entstehen Arbeiten wie ´ female hybrids`, 2002, digitalisierte Fotofragmente. Annegret Soltau scannt "in einer Art Recyclingverfahren "178 Restabschnitte ein und setzt sie am Computer wieder neu zusammen. Nur die 174 A. Soltau, Mathildenhöhe Darmstadt, 2006, hrsg. v. Kathrin Schmidt, Ph. Reinheimer GmbH Darmstadt, S. 122; 175 ebd., S. 124; 176 ebd., S. 76-79; 177 ebd., S. 82-85; 178 A. Soltau, Seitenblicke, Sichtweisen auf das Werk von Annegret Soltau, Darmstädter Dokumente 62 einzelnen Körperteile und das Konzept von Kopf, Rumpf und Gliedern stellen eine Verwandtschaft zu Menschlichem her, die Form dieser Wesen richtet sich nach einem dominantem Charakteristikum. Einem riesig breiten Oberkörper stehen zwei stämmige Beine und eine dreieckige Flosse schon von den Rippen abwärts zur Verfügung. Ein Auge mit zwei Pupillen und ein kleiner wulstiger Mund, mehr Sinnesorgane braucht es nicht. ´ female hybrids `, 1-26, 4a, 2002, digitalisierte Fotofragmente. (Abb. 29, S. 98) 179 Faltige Augen dicht beieinander über einem schulterbreiten Mund, dieses Wesen posiert mit vier Beinen, zwei Armen, einer senkrechten Hautsäule und präsentiert seine Mehrbusigkeit, ´ female hybrids `, 1-26, 9b, 2002, digitalisierte Fotofragmente. (Abb. 28, S. 97) Nähte, Nacktheit, Hautfarben, perspektivloser Umraum und Symmetrie halten diese Körper, halbseitig zusammengesetzt am Bildschirm und ergänzt in einer Spiegelung. Die Arbeiten dieses Werkzyklus ´ hybrid ` werden als kurze Wandprojektionen präsentiert. 2011 sind diese Hybride unzählig erweitert, sind wie die Selbstportraits, ein Spiegel der eigenen Zeit-Erfahrungen, sukzessive entstanden, und sind über die weibliche Attribute hinaus und mit Transgenerativem über die Geschlechtsnormen getreten, ein Spiegel unserer experimentellen Wirklichkeit, ´ trans hybrids, ` liegen nicht in Abbildungen vor " Ich wollte das Ganze soweit treiben, dass es nur noch immateriell sichtbar ist und man sich fragt: Was bleibt übrig? "180 Annegret Soltau ist eine anerkannte Künstlerin, viele Beteiligungen an Ausstellungen und Einzelausstellungen reihen sich in einer langen Liste. Sie hat verschiedene Preise gewonnen und Lehraufträge erhalten. Im Mai 2011 wurde ihr der Marlies HessKunstpreis gefördert durch den Hessischen Rundfunk verliehen. Noch vor der Preisverleihung wurde ihr mitgeteilt, dass die Werke ´generativ` und ´ trans generativ` zu bestimmten Veranstaltungen im Hessischen Rundfunk verhängt werden würden. Man hatte sich die Mühe gemacht drei dunkel blaue Stoffbahnen in den Ausmaßen von zweimal 278x377 cm insgesamt zu erstellen, um ausländische Besucher rücksichtsvoll zu behandeln. 25, Wissenschaftsstadt Darmstadt, S. 14; 179 A. Soltau, Mathildenhöhe Darmstadt, 2006, hrsg. v. Kathrin Schmidt, Ph. Reinheimer GmbH Darmstadt, S. 116; 180 A. Soltau, Seitenblicke, Sichtweisen auf das Werk von Annegret Soltau, Darmstädter Dokumente 25, Wissenschaftsstadt Darmstadt, S. 14; 63 "Wir lernen in unserem Jahrhundert vielleicht zu ersten Mal, die kulturellen und kreativen Eigenschaften der Frau nicht mehr als unveränderliche, biologisch bestimmbare Wesensmerkmale wahrzunehmen. Sie sind vielmehr das Ergebnis der besonderen weiblichen Sozialisation und ohne die stattgefundenen ökonomischen Arbeitsteilungen zwischen den Geschlechtern undenkbar. ... Die politische Hoffnung des modernen Feminismus richtet sich auf die Möglichkeiten einer anderen weiblichen Erfahrung und Sozialisation, einer weiblichen Kultur und Kunst, die ihr Anderssein ohne patriarchalischen Machtanspruch der anderen Seite verwirklichen kann."181 Wir können als Frauen an unserer Autorenschaft zweifeln, wenn uns die Dinge befallen, und wir das als Schwächung definieren, weil wir bestimmen wollen. NACHWORT Annegret Soltau hat in dem Gesicht in ihren frühen Arbeiten den Ort für einen Ausdrucksakt bezogen, in dem die Mimik des Menschen am deutlichsten auf ihre Umwelt reagiert. Jede Regung ist dort auszumachen, jeder Kommentar zieht dort über die Haut. Sie ist als Zeitgenossin der Emanzipation in den 1970er Zeugin eines Prozesses, der mit Traditionen brechen wird, die mit regelrechten Institutionen die Lebensräume des Menschen in passives Erleiden und aktives Handeln einteilen. Beides, das Erleiden und das Handeln, zeigt sich im Körper des Menschen, seine Bewegung formt ihn. Das Handeln erleidet in der Interaktion. Das Erleiden handelt in der Haltung. Annegret Soltau antwortet in ihrem Tagebuch am 27. 11. 84 auf die Frage, ob sie an etwas Neuem arbeitet, " ich habe ein Grundthema, welches immer wieder anders durchgespielt wird, menschliche Zustände."182 Sie erschließt sich den Ausdruck dieser Zustände im künstlerischen Umgang mit Körperlichkeit und nähert sich den eigenen Zuständen. Sie ertastet mit handwerklichen Mitteln und eigenen ästhetischen Mitteln ihre Umwelt. Das Bild 181 G. Nabakowski, H. Sander, P. Gorsen, Frauen in der Kunst, 2. Band, 1980, Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main, S. 38; 182 A. Soltau, Tagebücher, Nachlass zu Lebzeiten, Hessisches Staatsarchiv, Bestand 0 59 Soltau, Nr. 17, 27.11.84; 64 dieser ihrer Handlung verdichtet sich, sie dynamisiert die Linie zu einem Faden, die Linie zeichnet nach, der Faden verbindet, verstrickt und verletzt. Das Innen und Außen des Menschen, dessen Haut ihn schützt und doch eine Stimme hat. Die Trennung von Geist und Körper, das hierarchische Oben und Unten, das Wissen und Tun, die Trennung in Objekt und Subjekt begleiten Annegret Soltau. Sie fragt sich lange, ob eine Symbiose aller Teile nicht eher sinnvoll und eine Gleichwertigkeit gegeben ist. Wenn die Linie und der Faden von Außen sich um den Menschen legen, wirken ihre Kräfte auf den Organismus Mensch, manifestieren sich im Körper über die Interaktion in Form. Wenn der Mensch von Innen heraus Zuständen begegnet, mag er sich ihnen ausgeliefert fühlen. Handelt es sich um innere Zustände, werden sie seine Handlung direkt beeinflussen. Über die Schwangerschaften, die tiefe innere Zustände sind, denen sie sich ausgeliefert fühlt, erarbeitet sich Annegret Soltau im Zentrum jener Objekt-Subjekt-Diskussion einen Standpunkt. Sie stellt sich diesem Zwiespalt und den Zweifeln einer Künstlerin und Mutter. Sie löst sich auf in der körperlichen Aufgabe, erleidet den Moment, sie handelt im Prozess und sammelt ihre Erfahrungen ein. Mit der Radiernadel und der Nähnadel räumt Annegret Soltau mit Vorurteilen auf, die das Leben der Subjekte, der Frauen, beurteilt und dann verurteilt haben. Sie realisiert in ihrem Werk Wahres eher als Gültiges, weil sie die Herkunft der Zustände nicht beschönigt, sondern sie roh ins Bild stellt. Aus dem, was sie als junge Frau wahrnimmt wächst über die Zeit eine Perzeption für die Umgebung wirkend in ihr als gleichberechtigter Körper. Keiner ihrer eingerissenen und vernähten Körper leidet, aufrecht blicken sie aus den Bildern, Blut fließt nicht und zerrissen sind sie auch nicht. Sie setzen sich zusammen aus Teilen und bedeuten ein Ganzes, erhalten Fremdes und erreichen eine Ordnung. Immer sind Linie und Naht Augenblicke des Bruches im Ganzen, die die Fähigkeit zu Erfahrung leben lassen. " Wenn sich der Wahrnehmende der Nähte und mechanischen Gelenkstellen bei einem Kunstwerk bewusst ist, dann deshalb, weil die Substanz nicht durch eine durchgängige Eigenschaft organisiert wird. "183 183 J. Dewey, Kunst als Erfahrung, 1988, Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main, S. 223; 65 LITERATURNACHWEIS Annegret Soltau, Tagebücher, Nachlass zu Lebzeiten, Hessisches Staatsarchiv, Bestand 0 59 Soltau; A. Soltau, Der verschnürte Mensch, Graphik-Kabinett, Karin Friebe, Darmstadt, F Bönsel, Lautertal, 1976; A. Soltau, Versuche, Saarländische Zeitschrift für Literatur & Grafik, St. Wendeler Buchdruckerei und Verlag, 17/1981; A. Soltau, 1983, hrsg. v. Frankfurter Kunstverein anlässlich der Installation ´schwanger-sein`, Vier-Türme-Verlag, Münsterschwarzach; A. Soltau, Lebenszeichen, FOTO-Arbeiten und VIDEO-Bänder, Heidelberger Kunstverein, 1984, Benedict Press, Münsterschwarzach; A. Soltau, Bild-Schnitt-Bild, Kunsthalle Darmstadt,, 1991, Kunstverein Darmstadt e. V.; A. Soltau, Fragmente des Ichs, Mainz ´91, Mainzer Kunstverein, Druckerei Ensch, Trier; A. Soltau, der Mensch als Readymade, Sonderdruck aus C. G. Philipp, Metamorphoto, Jonas Verlag, (nach 1992); A. Soltau, Heilung, Städtische Galerie am Markt, 1994, Oscar Mahl KG; A. Soltau, ZeitErfahrung, Hessisches Landesmuseum Darmstadt, Roether-Druck, 1994; A. Soltau, Von innen nach außen, Darmstädter Kunstedition Merck 37, 1996; A. Soltau, Ausgrenzung der Frauen in der Kunst am Beispiel A. Soltau, Darmstädter Dokumente Nr. 2, Magistrat der Stadt Darmstadt, 1997, Druckwerkstatt Kollektiv GmbH; A. Soltau, Mutiere oder verwandele ich mich, Hessisches Landesmuseum Darmstadt, 2000, Harold Vits & bureau; A. Soltau, Mathildenhöhe Darmstadt, 2006, hrsg. v. Kathrin Schmidt, Ph. Reinheimer GmbH Darmstadt; A. Soltau, e-mail, marti.ohrt@hotmail.de, 22.8.11; A. Soltau, hr 27.5.2011: http://www.hronline.de/website/rubriken/kultur/index.jps?rubrik=5986&key=standard_dukument_ 41626733, 14.6.2011; Francis Bacon: http://de.wikipedia.org/wiki/Francis_Bacon_(Maler), 1909-1992, 23.8.2011; Bauhaus: http://de.wikipedia.org./wiki/bauhaus, 15.8.2011; S. de Beauvoir, Das andere Geschlecht, Sitte und Sexus der Frau, Rowohlt Verlag, Reinbek, 1968; Gernot Böhme: http://de.wikipedia.org/wiki/Gernot_Böhme, geb. 1937, deutscher Philosoph, 23.8.2011; Judy Chicago:http://de.wikipedia.org/wiki/Judy_Chicago, geb. 1939 USA, feministische Künstlerin, Schriftstellerin und Erzieherin, 22.8.2011; Marie Luise Kaschnitz http://de.wikipedia.org/wiki/Marie_Luise_Kaschnitz, 1901 1974, deutsche Schriftstellerin, 22.8.11; 66 Klaus Kröger: http://de.wikipedia.org/wiki/Klaus_Kröger, Maler, 1920-2010, Hamburg, 22.8.2011; Maria Lassnig: http://de.wikipedia.org/wiki/Maria_Lassnig, 22.8.2011, geb. 1919, österreichische Malerin und Medienkünstlerin, 23.8.11; Anais Nin: http://de.wikipedia.org/wiki/Anaïs_Nin, 1903-1977, französische Schriftstellerin, 23.8.2011; Walter Pichler: http://de.wikipedia.org/wiki/Walter_Pichler, geb. 1936 Südtirol, Architekt, Objektkünstler, Bildhauer, Zeichner, 22.8.11; Robert Preyer: http://www.wiesbadenaktuell.de/nachrichten/news-detailview/article/geburtstagsdoppelausstellung-im-rathaus-und-in-der-galerie-bhaasner.html, 24.8.2011; Giso Westing: http://de.wikipedia.org/wiki/Giso_Westing, Maler, geb. 1955, Hannover, 22.8.2011; S. de Beauvoir, Das andere Geschlecht, Sitte und Sexus der Frau, Rowohlt Verlag, Reinbek, 1968; J. Dewey, Kunst als Erfahrung, 1988, Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main; Langenscheidts Handwörterbuch, Lateinisch - Deutsch, erweit. Ausgabe 1983, Druckhaus Langenscheidt, Berlin; G. Nabakowski, H. Sander, P. Gorsen, Frauen in der Kunst, Band 1 und 2, 1980, Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main; N. Schütz und M. Blohm, Diskussionsbeiträge zur ästhetischen Bildung, Bd. 7, die Kunst, der Körper, das Textile, 2005, salon verlag, Köln; Seitenblicke, Sichtweisen auf das Werk von Annegret Soltau, Darmstädter Dokumente 25, Wissenschaftsstadt Darmstadt; 67 ABBILDUNGSNACHWEIS Annegret Soltau, Tagebücher, Nachlass zu Lebzeiten, Hessisches Staatsarchiv, Bestand 0 59 Soltau; A. Soltau, Der verschnürte Mensch, Graphik-Kabinett, Karin Friebe, Darmstadt, F Bönsel, Lautertal, 1976; A. Soltau, Fragmente des Ichs, Mainz ´91, Mainzer Kunstverein, Druckerei Ensch, Trier; A. Soltau, Heilung, Städtische Galerie am Markt, 1994, Oscar Mahl KG; A. Soltau, Von innen nach außen, Darmstädter Kunstedition Merck 37, 1996; A. Soltau, Mutiere oder verwandele ich mich, Hessisches Landesmuseum Darmstadt, 2000, Harold Vits & bureau; A. Soltau, Mathildenhöhe Darmstadt, 2006, hrsg. v. Kathrin Schmidt, Ph. Reinheimer GmbH Darmstadt; 68 ERKLÄRUNG Hiermit erkläre ich, Martina Ohrt, dass ich diese Arbeit selbstständig und nur mit den angegebenen Hilfsmitteln angefertigt habe und dass alle Stellen, die dem Wortlaut oder dem Sinne nach anderen Werken entnommen sind, durch die Angabe der Quellen als Entlehnung kenntlich gemacht worden sind. Martina Ohrt 69 Abbildung 1, Schmerz, 1973, Aquatinta-Radierung, 32x25 cm, A. Soltau, Von innen nach außen, Darmstädter Kunstedition Merck 37, 1996; 70 Abbildung 2: umschlossener Kopf, 1974, Aquatinta-Radierung, A. Soltau, Der verschnürte Mensch, Graphik-Kabinett, Karin Friebe, Darmstadt, F Bönsel, Lautertal, 1976; 71 Abbildung 3: Verletzung, 1974, Aquatinta-Radierung, A. Soltau, Der verschnürte Mensch, Graphik-Kabinett, Karin Friebe, Darmstadt, F Bönsel, Lautertal, 1976; 72 Abbildung 4: selbst, 1975, Fotoperformance, 250x100 cm, A. Soltau, Mathildenhöhe Darmstadt, 2006, hrsg. v. Kathrin Schmidt, Ph. Reinheimer GmbH Darmstadt, S. 18; 73 Abbildung 5: selbst, 1975, Fotoübernähung, 6x4,5 cm, A. Soltau, Von innen nach außen, Darmstädter Kunstedition Merck 37, 1996; 74 Abbildung 6: selbst, ebd., Rückseite A. Soltau, Von innen nach außen, Darmstädter Kunstedition Merck 37, 1996; 75 Abbildung 7: demonstration am 22.1.76, Foto einer Performance, A. Soltau, der verschnürte Mensch, Graphik-Kabinett, Karin Friebe, Darmstadt, F Bönsel, Lautertal, 1976; 76 Abbildung 8: ich, bedrückt, 1977/78, Fotoradierung, 120x120,5 cm, A. Soltau, Von innen nach außen, Darmstädter Kunstedition Merck 37, 1996; 77 Abbildung 9: Zustände, 78/9, DIN A4 Heft, copierte Blätter, Annegret Soltau, Tagebücher, Nachlass zu Lebzeiten, Hessisches Staatsarchiv, Bestand 0 59 Soltau; 78 Abbildung 10: Zustände, 78/9,DIN A4 Heft, Rückseite, ebd. ; 79 Abbildung 11: schwanger, 78, geboren werden, DIN A4 Heft, copierte Blätter, Annegret Soltau, Tagebücher, Nachlass zu Lebzeiten, Hessisches Staatsarchiv, Bestand 0 59 Soltau; 80 Abbildung 12: Soziogramm, schwanger, 78, DIN A4 Heft, copierte Blätter, Annegret Soltau, Tagebücher, Nachlass zu Lebzeiten, Hessisches Staatsarchiv, Bestand 0 59 Soltau; 81 Abbildung 13: geteilte Mutter-Säule, 1980/81, 120x90 cm, Fotoradierung, A. Soltau, Mathildenhöhe Darmstadt, 2006, hrsg. v. Kathrin Schmidt, Ph. Reinheimer GmbH Darmstadt, S. 44; 82 Abbildung 14: Einheit und Trennung, 1980/81, Fotoradierung, 144x135 cm, ebd., S. 50; 83 Abbildung 15: Mutter-Glück, 1978-86, Fotovernähung in Portofolio, 45x35 cm, A. Soltau, Von innen nach außen, Darmstädter Kunstedition Merck 37, 1996; 84 Abbildung 16: Grima - mit Krokodilechse und Fisch, 302, 1990, Fotovernähung, 69,7x50,5 cm, A. Soltau, Mathildenhöhe Darmstadt, 2006, hrsg. v. Kathrin Schmidt, Ph. Reinheimer GmbH Darmstadt, S. 114; 85 Abbildung 17: Grima - Krokodilechse und Fisch, Rückseite, in ebd., S. 115; 86 Abbildung 18: Mutter-Glück, Nach Tschernobyl 1990, Foto-Collage, schwarzer Faden, 100x90 cm, A. Soltau, Fragmente des Ichs, Mainz ´91, Mainzer Kunstverein, Druckerei Ensch, Trier; 87 Abbildung 19: Körperlachen I, 1990, Vorderseite, A. Soltau, der Mensch als Readymade, Sonderdruck aus C. G. Philipp, Metamorphoto, Jonas Verlag, (nach 1992), S. 71; 88 Abbildung 20: Körperlachen I, 1990, Rückseite, ebd., S. 70; 89 Abbildung 21: Pubertät - TOCHTER doppelt, 1994, Fotovernähung, 80x71 cm, Von innen nach außen, Darmstädter Kunstedition Merck 37, 1996; 90 Abbildung 22: generativ - mit Tochter, Mutter und Großmutter, 1994, Fotovernähung, 21x30 cm, A. Soltau, Heilung, Städtische Galerie am Markt, 1994, Oscar Mahl KG, S. 33; 91 Abbildung 23: Generativ - mit Tochter, Mutter und Großmutter, Rückseite, ebd., S. 34; 92 Abbildung 24: Tochter-Totem 1-4, 2000, A. Soltau, Mutiere oder verwandele ich mich, Hessisches Landesmuseum Darmstadt, 2000, Harold Vits & bureau, S. 32-33; 93 Abbildung 25: ebd. 94 Abbildung 26: transgenerativ - MutterVaterTochterSohn, 78, 2005, Fotovernähung, 65,5x87,5 cm, A. Soltau, Mathildenhöhe Darmstadt, 2006, hrsg. v. Kathrin Schmidt, Ph. Reinheimer GmbH Darmstadt, S. 91; 95 Abbildung 27: transgenerativ - MutterVaterTochterSohn, 78, 2005, Rückseite, ebd., S. 92; 96 Abbildung 28: female hybrids, 1-26, 9a, 2002, digitalisierte Fotofragmente, ebd., S. 118; 97 Abbildung 29: female hybrids, 1-26, 4a, 2002, digitalisierte Fotofragmente, ebd., S. 116. 98 An dieser Stelle möchte ich mich herzlich bei Frau Annegret Soltau bedanken. Für den Zugang zu ihrem Vorlass (Nachlass) zu Lebzeiten, wie sie es nennt, für Gespräche und für Material. Vielen Dank. Ottersberg, 30.8.2011 Martina Ohrt 99