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Informationen zur Raumentwicklung
Heft 5/6.2010
365
Harmonisierung der internationalen
Immobilienmärkte und Folgen für
die Immobilienbewertung
1 Einführung
In allen Bereichen der weltweiten Wirtschaft konnte in den letzten Jahrzehnten
eine stetig wachsende Internationalisierung
beobachtet werden. Diese umfasst sowohl
Handels- als auch Finanzströme. Eine natürliche Konsequenz dieser Entwicklung ist
die – auch durch den Wunsch nach Diversifikation getriebene – Zunahme grenzüberschreitender Immobilienanlagen. Immobilien unterscheiden sich jedoch von anderen
Anlageformen durch ihre örtliche Bindung,
Heterogenität und vergleichsweise hohen
Transaktionskosten, die eine eingeschränkte Liquidität und Fungibilität nach sich ziehen. Die Direktanlage in Immobilien stellt
daher hohe Anforderungen an den Investor.
Aufgrund der Heterogenität und – im Vergleich zu Wertpapieren – geringen Handelsfrequenz bildet eine Immobilienbewertung
in der Regel die Grundlage für Immobilientransaktionen. Allerdings stoßen mit dem
Zusammentreffen von internationalen
und lokalen Marktteilnehmern auch unterschiedliche Philosophien der Immobilienbewertung aufeinander. Divergierende
Wertvorstellungen, die sich ausschließlich
aus methodischen Differenzen ergeben,
stellen indes ein unnötiges Hindernis für
die erfolgreiche Öffnung der Immobilienmärkte dar.1
Die Untersuchung der im Folgenden vorgestellten Bewertungsphilosophien basiert auf
den maßgeblichen nationalen Bewertungsstandards sowie entsprechender Sekundärliteratur. Die sich daran anschließende Analyse des Harmonisierungspotenzials stützt
sich insbesondere auf eine Serie strukturierter Experteninterviews mit international führenden Wissenschaftlern, Praktikern
und Entscheidungsträgern aus den betroffenen Bewertungsräumen.
Philipp Naubereit
2 Grundlagen
der Immobilienbewertung
Ziele und Wertbegriffe
Immobilienbewertungen können aus vielfältigen Anlässen mit jeweils unterschiedlichen Zielsetzungen vorgenommen werden.
Daher ist die Frage, die am Anfang jeder
Wertermittlung steht: Welcher Wert wird
ermittelt?2 Hieraus leitet sich der zu unterlegende Wertbegriff ab. Wesentliche Wertbegriffe in der deutschen Immobilienbewertung sind u. a.3:
• der Verkehrswert
• der Beleihungswert
• der Versicherungswert
• der steuerliche Bedarfswert.
Die Bezeichnungen deuten bereits auf die
damit verbundenen Bewertungsanlässe
hin. Im Kontext der Internationalisierung
von Immobilieninvestitionen steht der Verkehrswert bzw. Marktwert im Mittelpunkt,
da ein Großteil der internationalen Immobilienbewertungen einen Transaktionshintergrund hat.4 Der Marktwert bezeichnet im
Wesentlichen – in seinen unterschiedlichen
internationalen Ausprägungen – den Preis
einer Immobilie, der im Rahmen eines typischen Verkaufs erzielt werden könnte. Ein
besonderes Merkmal des Verkehrswerts ist
die Vielzahl der Methoden, die zu seiner Ermittlung herangezogen werden.
Bewertungsansätze
Für die Bewertung von Immobilien stehen
grundsätzlich drei Ansätze zur Verfügung:
Nutzenorientierung, Einzelwirtschaftsgut­
orientierung, Vergleichsorientierung. Von
Ihnen lassen sich alle in der weltweiten Praxis verwendeten Varianten ableiten; in der
amerikanischen Bewertung spricht man
Dr. Philipp Naubereit
Real Estate Special Assignments & Research
MEAG Munich
Ergo AssetManagement
Oskar-von-Miller-Ring 18
80333 München
E-Mail: pnaubereit@meag.com
366
Philipp Naubereit: Harmonisierung der internationalen Immobilienmärkte und Folgen
für die Immobilienbewertung
Tabelle 1
Grundlegende Bewertungsansätze
Ansatz
Nutzenorientierung
Einzelwirtschaftsgut­
orientierung
Vergleichsorientierung
Basiskriterium
Hauptvarianten
Zukunftsertrag
Ertragswertverfahren
Zukunftsüberschuss
DCF-Verfahren
Zukunftsrisiken
APT-Verfahren
Rekonstruktionswerte
Substanzwertverfahren
Abwicklungswerte
Liquidationswert-Verfahren
Marktwerte aller Wirtschafts­
güter
Asset-Wert-Verfahren
Realisierte Kaufpreise
Comparative Company Ap­proach
Branchengewinn/CF
Market Multiples
Branchenkennziffer
Vergleichswertverfahren
auch von „the three approaches“.5 Einen
guten Überblick über die allgemeingültigen
Ansätze bietet eine Zusammenfassung von
Barthel6, die der Übersicht in Tabelle 1 zugrunde liegt.7
Alle Bewertungsansätze stellen einen expliziten oder impliziten Vergleich dar, auch
wenn dies nicht immer in ihrer Bezeichnung Ausdruck findet.8 Bei der Nutzenorientierung findet der Vergleich beispielsweise über die Wirtschaftlichkeit der Immobilie
statt.9 Hier zeigt sich auch die besondere
Herausforderung der Bewertung von Immobilien: die Suche nach geeigneten Vergleichsobjekten und -größen. Bei der transaktionsorientierten Immobilienbewertung
haben sich national wie international die
nutzenorientierten Verfahren – ergänzt
durch Vergleichsverfahren – durchgesetzt.
Sie spiegeln die wirtschaftliche Motivation
der Anleger am besten wider und bieten je
nach Verfahren eine direkte Schnittstelle
zur Investitionsrechnung.
Grenzen der Immobilienbewertung
Auch wenn sich alle gegenwärtig angewandten Immobilienbewertungsverfahren
in die grundlegende Kategorisierung einordnen lassen, haben sich international
verschiedene Immobilienbewertungsphilosophien entwickelt. Sie unterscheiden sich
hinsichtlich ihrer Präferenz für bestimmte
Bewertungsansätze, der Art und Tiefe der
verwendeten Bewertungsparameter sowie
der Ermessensspielräume der Gutachter in
der Anwendung. Insbesondere die Freiheit
des Gutachters bei der Wertermittlung ist
eng mit der Frage des wissenschaftlichen
Anspruchs der Immobilienbewertung verknüpft und ein wesentlicher Bestandteil des
Diskurses zwischen dem anglo-amerikanischen und dem deutschen Sachverständigenwesen, der erst kürzlich wieder neue
Brisanz erhalten hat.10 Diese Grundsatzfrage wurde von Gilbertson in der Formulierung: „Appraisal or Valuation: An Art or a
Science? “ auf den Punkt gebracht.11
Die Immobilienbewertung steht im Spannungsfeld zwischen den wissenschaftlichen
Prinzipien des Bewertens und deren begrenzter Anwendung durch den Gutachter
unter realen Bedingungen, was zwingend
Spielraum für menschliches Ermessen und
somit Ungenauigkeiten lässt. Besondere
Herausforderungen ergeben sich aus der
ökonomischen Unvollkommenheit von Immobilienmärkten, die sich vor allem in beschränkter Information ausdrückt. Hierfür
lassen sich drei Gründe anführen:12
(1) eine ungenügende Zahl von Transaktionen für die Gewinnung von Marktdaten
(2) eine ausreichende Anzahl von Transaktionen, deren Information jedoch nicht
zugänglich ist
(3) begrenzte Übertragbarkeit der Transaktionen aufgrund stark abweichender Eigenschaften.
Mangels hinreichender Datengrundlage
wird die professionelle Erfahrung des Gutachters gefordert; das Ergebnis entfernt
sich von den wissenschaftlichen Grundsätzen und Annahmen.13
Informationen zur Raumentwicklung
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3 Anglo-amerikanische und deutsche
Immobilienwertermittlung
Britischer Ansatz
Großbritannien kann auf eine lange Historie
in der Immobilienbewertung zurückblicken,
die auf eine frühe Abschaffung des Feudalismus und Entwicklung ausgereifter Bodeneigentumsrechte zurückzuführen ist.14
Durch die immer noch engen politischen
und wirtschaftlichen Verbindungen der
Staaten des Commonwealth ist die britische
Bewertungsphilosophie international weit
verbreitet und wird oft neben nationalen
Standards anerkannt.15 Die Übertragbarkeit
der Wertermittlung ist insbesondere durch
die an das britische Vorbild angelehnten
Rechtssysteme und entsprechende Eigentumsrechte gewährleistet. Der maßgebliche
Berufsverband für die Immobilienbewertung ist die Royal Institution of Chartered
Surveyors (RICS). Die RICS wurde 1868 als
Institution of Surveyors in London gegründet. Zurzeit ist sie in 120 Ländern vertreten und hat ca. 110 000 Mitglieder. Obwohl
grundsätzlich jeder in Großbritannien als
Sachverständiger tätig sein kann, wird in
der Praxis der Großteil der Bewertungen
von Chartered Surveyors vorgenommen.16
In Großbritannien bestehen keine den deutschen Vorschriften entsprechenden Vorgaben für die Wertermittlung von Grundstücken, was sich auf die britische Tradition
des Case Law zurückführen lässt. Die Entwicklung und Etablierung von Bewertungsstandards in der Praxis erfolgt durch die
Berufsverbände.17 Zu diesem Zweck gibt
die RICS das „Appraisal and Valuation Manual“ (oder auch „Red Book“) heraus, das
mittlerweile in der 6. Auflage erschienen ist.
Es enthält eine Vielzahl von Bewertungsvorschriften, die als „Practice Statements“
bezeichnet werden. Darüber hinaus finden
sich dort Anhänge zu den Practice Statements sowie erläuternde „Guidance Notes“,
die in ihrer Funktion den deutschen Wertermittlungsrichtlinien nahe kommen. Da es
sich nicht um gesetzlich festgelegte Richtlinien handelt, ist die Einhaltung der Vorgaben des Red Book nur für Mitglieder der
RICS verbindlich; sie können jedoch bei gegebenem Anlass von ihnen abweichen. Dies
steht bei genauer Betrachtung keineswegs
im Gegensatz zur Situation in Deutschland, da auch die deutsche Wertermittlung
grundsätzlich für jedes geeignete Verfahren
367
geöffnet ist, sofern sich dafür eine Notwendigkeit ergibt.18
Der gebräuchlichste Wertbegriff in der britischen Immobilienbewertung war bis zur 4.
Auflage des Red Book der sog. „Open Market
Value“ (OMV). Er ist definiert als der beste Preis, der für ein Grundstück zum Zeitpunkt der Wertermittlung erzielbar ist. Voraussetzung für die Ermittlung des OMV ist
zum einen die Existenz einer zum Verkauf
bereiten Person („willing seller“) und zum
anderen die Einräumung eines angemessenen Zeitraums, in dem Verkaufsverhandlungen stattfinden können.19 Im Zuge der
Überarbeitung des Red Book wurde in dessen 5. Auflage20 der OMV zugunsten des an
den International Valuation Standards (IVS)
des International Valuation Standards Committee (IVSC) orientierten und auch von der
TEGoVA (The European Group of Valuers
Associations) übernommenen „Market Value“ (MV)21 aufgegeben. Durch die Berücksichtigung der European Valuation Standards (EVS) als auch der IVS sucht die RICS
ihren internationalen Anspruch und ihre
Bedeutung auszubauen.22 Trotz der Adaption des Market Value ist die Orientierung am
„besten erzielbaren Preis“ noch nicht gänzlich aus den Köpfen der britischen Sachverständigen verschwunden.
Der Market Value wird dabei als der Wert einer Liegenschaft angesetzt, ohne die Kosten
eines Kaufs oder Verkaufs zu berücksichtigen oder mit der Transaktion anfallende
Steuern einzubeziehen.23 Die Appraisal and
Valuation Standards der RICS befassen sich
nicht mit Bewertungsmethoden. Gleichwohl haben sich in der britischen Bewertungspraxis fünf grundlegende Verfahren
der Wertermittlung etabliert:24
(1) Comparison Method
(2) Income Method
(3) Investment Method
(4) Profits Method
(5) Residual oder Development Method.
Von den aufgezählten Verfahren decken sich
insbesondere die ersten drei mit den grundlegenden Ansatzpunkten der Wertermittlung und finden ihre Entsprechung in der
deutschen Wertermittlung.25 Die britische
Immobilienbewertung sucht in der Regel
einen möglichst direkten Marktbezug bei
der Wertermittlung, was wegen der aktiven
368
Philipp Naubereit: Harmonisierung der internationalen Immobilienmärkte und Folgen
für die Immobilienbewertung
und transparenten Immobilienmärkte gut
umsetzbar ist. Dies zeigt sich an der großen
Bedeutung der Comparison Method in der
britischen Bewertungspraxis.26 Die Hauptanwendungsgebiete für diese Methode sind
– neben der Bewertung – die Marktanalyse
und die Plausibilisierung anderer Bewertungsergebnisse.27
Die Comparison Method stellt den simpelsten und direktesten Ansatz in der angelsächsischen Wertermittlung dar. Das Verfahren wurde vor Gericht bestätigt und wird
von den Sachverständigen vorbehaltlos
angenommen. Transaktionsbelege stellen
das Fundament der meisten Wertermittlungen dar, was auch die Funktion als Informationsquelle für andere Verfahren einschließt.28 Als Grundlage der Wertfindung
wird auf den unmittelbaren Vergleich mit
erzielten Preisen vergleichbarer Objekte zurückgegriffen.29
Grundvoraussetzung für die Anwendbarkeit
dieses Verfahrens ist die Verfügbarkeit geeigneter Vergleichsobjekte. Mit zunehmenden Abweichungen bei den Vergleichsmerkmalen sinkt die Aussagekraft des Ansatzes.
Unterschiede können sich beispielsweise
aus der Lage des Grundstücks oder dem
Zustand der Gebäude ergeben. Die notwendigen Anpassungen reduzieren den
unmittelbaren Vergleich zum mittelbaren.
Die Zu- bzw. Abschläge, die im Rahmen der
Anpassungen vorgenommen werden, liegen
zum großen Teil im Ermessensspielraum
des Sachverständigen, die Objektivität und
der direkte Marktbezug des Verfahrens werden auf diesem Weg kompromittiert.30
Die Income Method erfährt in Großbritannien von allen Verfahren am meisten wissenschaftliche Beachtung. Auch hier handelt es sich im Kern um einen Vergleich, bei
dem die Rendite als Vergleichsgröße dient.31
Nichtsdestotrotz ist der entscheidende
Werttreiber bei diesem Bewertungsansatz der von der Immobilie erwirtschaftete
Zahlungsüberschuss, was die Bezeichnung
Income Method insofern rechtfertigt. Ein
großer Teil des Immobilienmarkts in Großbritannien wird von Immobilien gestellt,
bei denen Eigentum und Nutzung nicht
zusammenfallen. Für den Eigentümer wird
die Immobilie zum Investitionsobjekt, bei
dem das eingesetzte Kapital zur erwarteten
Rendite in Bezug gesetzt wird.32
Die essentiellen Bestandteile für die Ermittlung des „Investment Value“ einer Immobilie sind ihre Nettoerträge, die sich aus
der eingenommenen Miete abzüglich der
beim Vermieter anfallenden Kosten ergeben, sowie ein der Immobilie angemessener
Diskontierungszinssatz. In der einfachsten
Form findet die Kapitalisierung des Einkommens mittels simpler Division durch
den Diskontierungszinssatz statt.33 Selbst
dann sind für die korrekte Anwendung des
Verfahrens mehr Informationen notwendig,
als auf den ersten Blick zu vermuten wäre,
da die Komponenten aggregierte Größen
darstellen.
Wichtigster Ausgangspunkt bei der Investment Method sind die gegenwärtige Miete
der zu bewertenden Liegenschaft (Current
Rent) sowie die bei einer Neuvermietung zu
unterstellende Marktmiete (Market Rent).
Während die gegenwärtige Miete vergleichsweise leicht über laufende Mietverträge bestimmt werden kann, erfordert die Bestimmung der Marktmiete einen detaillierten
Vergleich mit dem lokalen Marktniveau. Mit
geringer Restlaufzeit der bestehenden Mietverträge und hohem Leerstand gewinnt die
Marktmiete gegenüber der gegenwärtigen
Miete an Bedeutung.
Bei der Diskontierung kommt vornehmlich
die „All Risks Yield“ (ARY) zum Einsatz. Sie
wird für gewöhnlich auf Basis einer Analyse
der Renditen vergleichbarer, zeitnaher Immobilientransaktionen ermittelt. Als Alternative bietet sich die Ableitung der ARY von
der Verzinsung festverzinslicher Wertpapiere an. Die Fülle schwer quantifizierbarer
Adjustierungen macht diese Vorgehensweise in der Regel unpraktikabel.34
Amerikanischer Ansatz
Die führende Institution für Immobilienbewertungssachverständige in den USA ist
das Appraisal Institute, das die Designierungen MAI (Member Appraisal Institute)
und SRA (State-Certified Real Estate Appraiser) an qualifizierte Sachverständige vergibt.
1989 wurde im U.S. Kongress der „Financial
Institutions Reform, Recovery and Enforcement Act“ (FIRREA) verabschiedet. Zu den
Inhalten zählte die Festlegung einer Lizenzierung bzw. Zertifizierung von Sachverständigen, um Missbrauch in der Immobilienbewertung vorzubeugen.
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Die maßgeblichen Standards der Immobilienwertermittlung werden vom Appraisal
Standards Board (ASB) der 1987 gegründeten Appraisal Foundation unter dem Titel
„Uniform Standards of Professional Appraisal Practice“ (USPAP) herausgegeben. Das
ASB veröffentlicht auf jährlicher Basis die
aktuelle Fassung der USPAP, um Auslegung
und Änderungen der Standards den Adressaten zeitnah zur Verfügung zu stellen.35 In
der amerikanischen Immobilienbewertung
hat sich eine einheitliche Vorgehensweise bei der Wertermittlung von Immobilien
durchgesetzt, die unter dem Begriff „The
Appraisal Process“ zusammengefasst wird.
Der dominante Wertbegriff in der amerikanischen Immobilienbewertung ist der Market Value, für den jedoch keine einheitliche
Definition vorliegt. Die zurzeit allgemein
anerkannte Definition ist im FIRREA36 enthalten. Der Verzicht auf eine detaillierte
Definition des Market Value in den USPAP
kann durch die unterschiedlichen Anforderungen an den Wertbegriff in Abhängigkeit von der geltenden Rechtslage erklärt
werden. Daher weisen die USPAP explizit
darauf hin, dass die nach den rechtlichen
Rahmenbedingungen vorgesehene Definition anzuwenden ist. Das gilt analog für
den Gültigkeitsbereich von internationalen
Standards. Weiterhin sollte berücksichtigt
werden, dass Gesetzgeber und Aufsichtsbehörden aus verschiedenen Anlässen Marktwertdefinitionen neu festlegen.37
Darüber hinaus kennt die amerikanische
Immobilienbewertung noch weitere spezialisierte Wertbegriffe (Use Value, Investement Value, Going-Concern Value, Assessed
Value), die hier nicht weiter vertieft werden.
Die Mehrheit der Ertragsimmobilien in den
USA wird auf Basis ihres Ertragspotenzials veräußert. Sie werden typischerweise
als Anlage erworben, was für den Investor
die Ertragskraft zur entscheidenden Determinante des Immobilienwerts macht. Der
Wert wird entsprechend mit dem Income
Approach ermittelt. Dieser Ansatz führt
zwangsläufig zu einer zukunftsorientierten
Betrachtung der Immobilie, was sich im
Prinzip der „Anticipation“ in der amerikanischen Bewertung wiederfindet.38
Wie in der britischen Immobilienbewertung
wird zwischen Marktmiete (Market Rent)
und gegenwärtiger Vertragsmiete (Contract
Rent) im Rahmen der Ermittlung des Net-
369
toertrags der Immobilie unterschieden. Die
Kapitalisierung des Nettoertrags kann auf
zwei verschiedene Arten erfolgen. Bei der
Direct Capitalization erfolgt die Diskontierung über eine repräsentative Periode mittels einer einzelnen Overall Capitaliza­tion
Rate oder über die getrennte Kapitalisierung unterschiedlicher Ertragskomponenten der Liegenschaften mit individuell aus
dem Markt abgeleiteten Diskontierungszinssätzen.
Der Bestimmung der Kapitalisierungsraten fällt wegen ihres direkten Werteinflusses eine zentrale Rolle zu. Die unter
ver­schiedenen
Methoden
bevorzugte
Tech­nik für ihre Bestimmung ist die Ableitung von Transaktionen vergleichbarer
Liegenschaften (Comparable Sales). Zu
den benötigten Transaktionsdaten der Vergleichsliegenschaften gehören: Preis, Ertrag,
Bewirt­schaftungskosten, Finanzierungskonditionen und die Marktlage zum Zeitpunkt
der Veräußerung.39
Die Discounted-Cashflow-Analyse ist die
zweite fundamentale Methode im Rahmen
des Income Approach. Die Yield Capitalization beinhaltet mehrere Techniken für die
Umwandlung einer Reihe von zukünftigen
Zahlungen in ein Werturteil. Für diesen
Prozess muss eine adäquate Yield, die vom
Sachverständigen aus Marktdaten und den
Erwartungen typischer Investoren abgeleitet wurde, verwendet werden. Der typische
Betrachtungszeitraum beträgt zehn Jahre
ab dem Stichtag der Wertermittlung mit einer unterstellten Veräußerung der Immobilie am Ende des Betrachtungszeitraums.
Der Veräußerungserlös wird als „Terminal
Value“ bezeichnet und in der Regel durch
Anwendung einer Capitalization Rate auf
den geschätzten Netto-Cashflow der elften
Periode ermittelt.
Der Sales Comparison Approach beruht
auf dem Vergleich zu kürzlich veräußerten
Liegenschaften. Dies entspricht den ökonomischen Prinzipien von Substitution sowie
Angebot und Nachfrage insofern, als die
Preise vergleichbarer Liegenschaften zum
einen durch die Angebots- und Nachfragebedingungen zum Verkaufszeitpunkt, zum
anderen durch die Preise für Liegenschaften mit demselben Nutzen beeinflusst werden. Der Sales Comparison Approach wird
sowohl als eigenständiger Ansatz als auch
zur Plausibilisierung von anderen Ansätzen
eingesetzt.
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Philipp Naubereit: Harmonisierung der internationalen Immobilienmärkte und Folgen
für die Immobilienbewertung
Deutscher Ansatz
Anders als im angelsächsischen Sprachraum ist in Deutschland keine allgemein
gebräuchliche Berufsbezeichnung für die
im Bereich der Immobilienwertermittlung
tätigen Personen verbreitet. Der Mangel an
einem einheitlichen Berufsbild führt dazu,
dass für unterschiedliche Bewertungsanlässe verschiedene Gruppen von Sachverständigen herangezogen werden. Bewertungen
im Rahmen von Kreditvergaben werden
beispielsweise in der Regel von bankinternen Gutachtern durchgeführt, während bei
Erbauseinandersetzungen und Scheidungen häufig öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige mit der Wertermittlung
beauftragt werden.40
Hierzulande stehen vier unterschiedliche
Wertbegriffe im Zentrum der Immobilienbewertung, wobei dem Verkehrswert die
größte Bedeutung beizumessen ist:
• Verkehrswert41
• Beleihungswert
• Versicherungswert
• steuerlicher Grundbesitzwert.
Die deutsche Wertermittlung kann grundsätzlich in normierte und nicht normierte
Verfahren unterteilt werden. Bei den normierten handelt es sich um die in der Wertermittlungsverordnung (WertV) geregelten
Verfahren. Hierzu zählen:
• Vergleichswertverfahren (§§13–14 WertV)
• Sachwertverfahren (§§15–20 WertV)
• Ertragswertverfahren (§§21–25 WertV).
Die WertV wurde zuletzt im Jahr 1997 novelliert, unter anderem um Auswirkungen der
deutschen Einheit zu berücksichtigen. Sie
wird voraussichtlich in der laufenden Legislaturperiode durch die am 1. April 2009
vom Bundeskabinett verabschiedeten ImmoWertV abgelöst werden.
Das Vergleichswertverfahren kommt in der
deutschen Immobilienbewertung vornehmlich bei der Wertermittlung des Bodenwerts
von Grundstücken zur Anwendung. Aufgrund der restriktiven Anforderungen an
Vergleichsobjekte und – anders als in britischen und amerikanischen Märkten – einem Mangel an zeitnahen Transaktionen
ist die Anwendung bei bebauten Grundstücken im Allgemeinen nicht üblich.42
Das Sachwertverfahren, dessen Anwendung
zur Bestimmung von Verkehrswerten mittlerweile kritisch betrachtet wird, kommt
hauptsächlich bei der Ermittlung von Versicherungswerten oder zur Plausibilisierung
anderer Ansätze zum Einsatz.43
Das Ertragswertverfahren bestimmt den
Objektwert anhand der zu erwartenden
zukünftigen Immobilienerträge. Der Wert
ergibt sich hierbei aus der Summe der Barwerte aller bei ordnungsgemäßer Bewirtschaftung eines Grundstücks nachhaltig
erzielbaren Reinerträge einschließlich des
Barwerts des Bodenwerts. Ähnlich wie bei
der Direct Capitalization in der amerikanischen Bewertung wird auch in Deutschland
der nachhaltige Nettoertrag einer repräsentativen Periode kapitalisiert. Eine wesentliche Besonderheit der deutschen Immobilienbewertung ist jedoch die separate
Berücksichtigung des Bodenwerts, der am
Ende der Ertragswertermittlung der baulichen Anlagen hinzuaddiert wird. Damit er
nicht doppelt berücksichtigt wird, muss die
Bodenwertverzinsung, die in der Regel als
Produkt von Liegenschaftszinssatz und Bodenwert bemessen wird, vom Nettoertrag
der Liegenschaft vor der Kapitalisierung abgezogen werden.
4 Harmonisierung
der Immobilienbewertung
Treiber der Harmonisierung
Die Haupttreiber für die fortgesetzte internationale Harmonisierung der Immobilienbewertung sind das Wachstum grenzüberschreitender Immobilientransaktionen und
die gestiegenen Ansprüche an die Belastbarkeit und Vergleichbarkeit von Verkehrswerten. Diese Anforderungen erklären sich
vor dem Hintergrund der voranschreitenden überregionalen Entwicklung der Kapitalanlage in Immobilien. Die Immobilie ist
von einem „alternative asset“ zu einer eigenständigen und anerkannten Anlageklasse für institutionelle Investoren avanciert.
In der Folge werden dieselben Maßstäbe an
zur Kapitalanlage gehaltene Immobilien gestellt wie an traditionelle Anlageformen wie
z. B. Aktien und Anleihen.
Die Attraktivität von Immobilien leitet sich
aus portfoliotheoretischer Sicht aus dem
hohen Diversifikationspotenzial ab, das
sich bei geringer Korrelation zu anderen
Informationen zur Raumentwicklung
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Anlageklassen ergibt. Durch eine internationale Streuung der Immobilienanlagen
über direkte oder indirekte Anlageformen
soll der Diversifikationseffekt zusätzlich gesteigert werden.44 Das deutliche Wachstum
bei grenzübergreifenden Immobilientransaktionen kann als empirischer Beleg für
die zunehmende Umsetzung dieser Anlagestrategie gewertet werden. Die Zunahme
transnationaler
Immobilieninvestitionen
entspricht jedoch auch dem im Rahmen
der wirtschaftlichen Globalisierung beobachtbaren Trend zur länderübergreifenden
Allokation.45 Hierbei ist auch zu berücksichtigen, dass Investitionen in anderen Industriezweigen in der Regel gleichzeitig eine
Immobilieninvestition darstellen.46 Mit dem
Zusammenwachsen der Immobilienmärkte
treffen nicht nur Investoren unterschiedlicher Nationalität, sondern auch verschiedene Bewertungsphilosophien aufeinander.
Zusammenfassend lassen sich zwei primäre Quellen für internationale Bewertungsanlässe identifizieren:47
(1) die kontinuierlich steigende Anzahl
grenzüberschreitender
Immobilien­
trans­aktionen
(2) die mit dem Halten internationaler Immobilienbestände verbundenen Offenlegungs- und Bilanzierungspflichten.48
Die Faktoren sind zudem miteinander verknüpft, da ein wesentlicher Bestandteil der
internationalen Transaktionen laufende Berichtspflichten nach sich ziehen und somit
einen kontinuierlichen Bedarf für interna­
tionale Wertermittlungen generieren.
Da Immobilien in vielen Fällen nicht nur
als Anlagegut, sondern gleichzeitig auch
als Finanzierungssicherheit fungieren, sind
belastbare Immobilienwerte über den einzelwirtschaftlichen Kontext hinaus auch
von gesamtwirtschaftlicher Bedeutung. Die
jüngste Finanz-/ Wirtschaftskrise hat eindrucksvoll den Kaskadeneffekt demonstriert,
der sich aus markt- oder bewertungsinduzierten Untersicherungen von Immobilienfinanzierungen ergeben kann. Dabei handelt es sich hier um keinen Einzelfall, wie
eine Studie von Hilbers, Lei und Zacho über
den Zusammenhang von Immobilienmärkten und Finanzkrisen belegt.49 Abbildung 1
zeigt den Vorlauf von Wohn- wie auch Gewerbeimmobilienmärkten vor den betrachteten Finanzkrisen.
371
Abbildung 1
Durchschnittliche Immobilienpreise und Finanzkrisen
120
115
110
105
100
95
90
85
80
-10
-8
-6
Residential
-4
-2
0
2
4
(Jahre vor/nach der Krise)
6
8
10
Commercial
Quelle: Hilbers, P.;Lei, Q.; Zacho, L.: Real Estate Market Developments and Financial Sector Soundness. – Washington: International Monetary 2001. = IMF Working
Paper, S. 28–34 (12)
Bestehende Harmonisierungsansätze
Immobilienbewertung ist nur eingeschränkt
national gebunden, wie das Beispiel der britischen Wertermittlung zeigt, die weltweit
– vornehmlich im ehemaligen Commonwealth – Anwendung findet (siehe Abb. 2).
Die Immobilienwertermittlung hat eine
Vielzahl an Komponenten, zu denen Bewertungsstandards,
Sachverständigenwesen,
Marktgepflogenheiten und Bewertungspraxis zählen. Historisch lässt sich beobachten,
dass eine Harmonisierung in der Wertermittlung in der Regel auf eine wachsende
wirtschaftliche Verflechtung folgt. Die ersten Annäherungen in der internationalen
Immobilienbewertung fanden auf europäischer Ebene statt. Dort werden die Diskrepanzen in der Immobilienwertermittlung
bereits seit Ende der 1970er Jahre thematisiert. Diese Entwicklung erscheint vor dem
Hintergrund der allgemeinen europäischen
Annäherung natürlich und reflektiert die
wirtschaftliche und politische Integration
der Mitgliedstaaten.
In den Jahren 1978–1979 entstand ein Dialog zwischen kleineren Gruppen in den USA
und Großbritannien – möglicherweise auch
als Reaktion auf die europäische Initiative.
Auch hier lässt sich die Annäherung auf die
enge wirtschaftliche Verflechtung der Wirtschaften und die traditionelle Verknüpfung
der Staaten zurückführen. Dies findet im
überproportionalen Anteil amerikanischer
Direktinvestitionen in Großbritannien wie
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Philipp Naubereit: Harmonisierung der internationalen Immobilienmärkte und Folgen
für die Immobilienbewertung
Abbildung 2
Geographische Verbreitung von Bewertungsphilosophien
auch umgekehrt seinen Ausdruck. Die Annäherung zwischen den USA und Großbritannien wurde unter anderem durch die
gleiche Sprache und die hohe Professionalisierung der Branchen befördert. Die gemeinsame Sprache entpuppte sich jedoch
stellenweise eher als Hemmnis denn als
Stütze. Denn es zeigte sich rasch, dass sie
nicht die unterschiedliche Terminologie
ausgleichen konnte, sondern Missverständnisse provozierte.
Im Wesentlichen gibt es zwei Verbände, die
sich die internationale Harmonisierung in
der Immobilienwertermittlung zum Ziel
gesetzt haben: das International Valuations
Standards Committee (IVSC) und The European Group of Valuers Associations (TEGoVA). Aufgrund des europäischen Fokus und
der bisherigen Entwicklung der TEGoVA
soll hier nur auf das IVSC und die von ihm
entwickelten Standards eingegangen werden. Das International Valuation Standards
Committee wurde 1981 gegründet. Es zählt
zu den NG-Organisationen und ist als solches Mitglied der Vereinten Nationen. Das
IVSC arbeitet mit verschiedenen interna­tio­
nalen Organisationen und Verbänden zusammen, um Bewertungsstandards zu harmonisieren sowie deren Übereinstimmung
und Verständnis zu fördern. Über den Austausch mit dem International Accounting
Standards Board, der International Federation of Accountants, der International
Organization of Security Commissions und
dem Baseler Ausschuss für Bankenaufsicht
versucht es zudem einheitliche Standards
in der bilanzorientierten Bewertung zu etablieren.
Ein wesentlicher Erfolg des IVSC war die
Verabschiedung des International Valuation
Standard 1 – Market Value Basis of Valua­
tion. Hiermit wurde eine global einheitliche
Marktwertdefinition geschaffen, die durch
die erfolgreiche Zusammenarbeit mit der
TEGoVA auch in den European Valuation
Standards (EVS) Einzug hielt. Weitere Bedeutung kommt der verabschiedeten Definition durch die Adaption des Market Value
durch die RICS zugunsten des Open Market
Value in der 5. Auflage des Red Book zu. Der
vom IVSC verfolgte Harmonisierungsansatz entspricht der anglo-amerikanischen
Bewertungsphilosophie und zielt auf eine
Standardisierung der Wertdefinitionen und
Konzepte ab. Eine detaillierte und formalisierte Festlegung der Bewertungsmethodologie, wie sie in der deutschen Wertermittlung gegeben ist, wird nicht angestrebt.
Aktueller Stand der Harmonisierung
Die Wertermittlung kennt drei fundamentale Ansätze. Sie sind in Abhängigkeit vom
Wertermittlungsauftrag unterschiedlich geeignet, ein Werturteil zu treffen. Durch den
Rückgriff auf mehrere Ansätze ergeben sich
ein umfassenderes Wertverständnis und
eine interne Kontrolle des Bewertungspro-
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373
Tabelle 2
Gegenüberstellung der Bewertungsphilosophien
Merkmal
Großbritannien
USA
Deutschland
Festlegung der Standards
Primäre Wertdefinition
Bewertungs­ansätze
(nach Präferenz)
RICS
Market Value
Comparison M.
Income Method
Cost Method
gering
nein
Appraisal Foundation
Market Value
Income Approach
Sales Comparison
Cost Approach
mittel
nein
Gesetzgeber
Verkehrswert (~Market Value)
Ertragswertverf.
Sachwertverf.
Vergleichswertv.53
hoch
teilweise
Formalisierung der Methoden
Standardisierte Parameter
zesses.50 Es überrascht daher nicht, dass
die drei grundlegenden Ansätze der Wertermittlung in allen untersuchten Bewertungsphilosophien vertreten sind. Die nationalen Ausprägungen und Schwerpunkte
der jeweiligen Ansätze können als Spiegel
der wirtschaftlichen Usancen und der historischen Entwicklung der Professionen
gewertet werden.51 Die starke Formalisierung der deutschen Immobilienbewertung
steht demnach im Einklang mit der für
Deutschland typischen Regulierungsdichte,
während die angloamerikanische Immobilienbewertung in ihrem Verzicht auf die
Vorgabe von Methoden dem Vertrauen auf
die Selbstregulierung der Marktteilnehmer
und Verbände entspricht.52 Tabelle 2 gibt einen Überblick der wesentlichen Merkmale
der Bewertungsphilosophien.
Die bestehenden Harmonisierungsansätze
haben unter dem Druck der zusammenwachsenden Märkte bereits erste Erfolge erzielt. Der länderübergreifend gebräuchliche
transaktionsorientierte Marktwert stimmt
inhaltlich sowohl bei der angelsächsischen,
amerikanischen und deutschen Immobilienwertermittlung als auch mit den Standards des IVSC und der TEGoVA überein.54
Auch unter Vernachlässigung der bestehenden Harmonisierungsbestrebungen zeigen
sich bereits grundlegende Kongruenzen bei
den verschiedenen nationalen Bewertungsphilosophien. Das globale Primat des Marktwerts als Zielgröße der Wertermittlung kann
als Schlüsselelement kompatibler Wertermittlungen gesehen werden. Hierbei stehen
Wertbegriff und Wertermittlungsmethode
in eindeutigem Zusammenhang; jedoch
kann nicht von einer „Untrennbarkeit“55
gesprochen werden, die im Widerspruch
zu der in der Bewertungspraxis anerkannten Methodenpluralität steht. Analog zu einem evolutorischen Prozess setzen sich die
besser geeigneten Ansätze im Markt durch,
unabhängig von der Regulierungsform.56
Dabei steht die Immobilienbewertung in ei-
nem koevolutorischen Zusammenhang mit
dem Markt. Die zentrale Rolle des Marktes
und sein Einfluss auf den Kontext der Immobilienbewertung werden aus Abbildung
3 ersichtlich.
Mit der globalen Präferenz für transaktionsorientierte Wertdefinitionen liegt der Kern
der Bewertungsaufgabe in der Abbildung
der Entscheidungslogik des relevanten Immobilienmarkts. Dabei können sich trotz
der weitgehenden inhaltlichen Übereinstimmung der internationalen Marktwertdefinitionen signifikante Unterschiede bei
den Bewertungsergebnissen ergeben, in
Abhängigkeit von den Präferenzen der örtlichen Marktteilnehmer. Eine realistische
Immobilienbewertung überträgt die im
Markt beobachteten Präferenzen adäquat
auf das Bewertungsobjekt. Der Marktwert
ergibt sich damit gemäß der unterlegten
Wertdefinition als „zu erwartender Preis“
bei einer fiktiven Transaktion. Dabei ist es
unerheblich, ob das angewandte Marktkalkül ökonomisch valide ist, da eine risikoAbbildung 3
Erweiterter Kontext der Immobilienbewertung
Quelle: Naubereit, P.: Harmonisierung internationaler Immobilienbewertungsansätze.
Köln 2009, S. 220
374
Philipp Naubereit: Harmonisierung der internationalen Immobilienmärkte und Folgen
für die Immobilienbewertung
freie Arbitrage nicht möglich ist. Während
einer Immobilienblase muss der Marktwert
folglich der Entwicklung folgen, da zu diesem Zeitpunkt in einer Transaktion ein entsprechender Preis zu erzielen wäre.57 Eine
Harmonisierung der Immobilienbewertung
kann also nur im Einklang mit dem Zusammenwachsen der internationalen Immobilienmärkte und der Präferenzen der Marktteilnehmer erfolgreich sein.
Ein im Harmonisierungsdiskurs bisher
weitgehend vernachlässigter Aspekt sind
die Bewertungsparameter. Hier bieten sich
teilweise unabhängig von den verschiedenen Bewertungsmethoden Möglichkeiten
zu einer nationalen und internationalen
Standardisierung. Hierzu zählen in Abhängigkeit vom Bewertungsansatz u. a.:
signifikanter Unterschied zur ewigen Kapitalisierung.
Eine wesentliche Voraussetzung für eine
internationale Standardisierung der Bewertungsparameter liegt in der Überwindung
der terminologischen Barrieren zwischen
den Bewertungsphilosophien. Parallel zur
qualitativen Standardisierung der Bewertungsparameter muss eine länder- und
sprachübergreifende
Vereinheitlichung
der Bewertungsterminologie erfolgen. Für
Sachverständige und Bewertungsadressaten müssen die der Wertermittlung unterlegten Parameter und Methoden eindeutig
und transparent zuordbar sein. Dies könnte
in Form eines von den wesentlichen Bewertungsverbänden anerkannten Bewertungsglossars realisiert werden.
• Flächenmaße
• Brutto- und Nettomieten
5 Ausblick
• Preisdefinitionen
Die Aufgabe der zentralen Koordinierung
der Harmonisierung sowie der Gewährleistung hochwertiger Standards kann zu
diesem Zeitpunkt effektiv nur vom International Valuation Standards Committee (IVSC) übernommen werden. Hierfür
spricht neben der erfolgreichen internationalen Etablierung die Kooperation mit dem
Interna­tio­nal Accounting Standards Board,
die über die Rechnungslegung den notwendigen effektiven Verbreitungskanal für
internationale Wertermittlungsstandards
bietet. Institutionelle Hemmnisse werden
durch breite internationale Partizipation in
den Gremien des IVSC vermieden. Jedoch
besteht die Gefahr, dass einzelne Parteien
größeren Einfluss nehmen wollen, um ihre
Bewertungsstandards stärker einzubringen.
Gerade die Behandlung nationaler Besonderheiten kann große Herausforderungen
stellen.
• Betriebskosten.
Für die betrachten Bewertungsphilosophien bestehen substanzielle und nutzbare
Schnittstellen zwischen den zentralen Bewertungsparametern. Es ist zudem beachtenswert, dass viele Bewertungsparameter
oft noch nicht auf nationaler Ebene standardisiert wurden, was bei einer internatio­
nalen Harmonisierung als Spielraum genutzt werden könnte.
Eine besondere Herausforderung kann sich
ergeben, wenn bestimmte Parameter in
anderen Ländern grundsätzlich nicht berücksichtigt werden. Ein Beispiel ist die getrennte Behandlung des Bodenwerts bei der
Ertragswertermittlung von Immobilien in
Deutschland58, die allerdings von Japan und
einigen weiteren Ländern geteilt wird.59 Im
angelsächsischen Raum hingegen findet
die Berücksichtigung des Bodenwertbeitrags zum Ertrag nur indirekt im Zins statt,60
was eine geringe Transparenz und eingeschränkte Plausibilität nach sich zieht. Es
lässt sich jedoch zeigen, dass die Konzepte nur bei endlichen Restnutzungsdauern
voneinander abweichen.61 Im Unterschied
zur anglo-amerikanischen Praxis erfolgt die
Kapitalisierung im deutschen Ertragswertverfahren nur über die Restnutzungsdauer
der baulichen Anlagen. Bei den in der Bewertungspraxis üblicherweise angesetzten
Restnutzungsdauern ergibt sich jedoch kein
Eine weiterführende Harmonisierung in der
internationalen Immobilienbewertung sollte aufgrund der Präferenz für die freie Methodenwahl in der anglo-amerikanischen
Bewertungsphilosophie das hohe Standardisierungspotenzial der Bewertungsparameter nutzen. Länderübergreifende Standards für die Definition und den Ansatz von
Bewertungsparametern können die Transparenz und grenzübergreifende Vergleichbarkeit von Immobilienwerten deutlich verbessern. Mit diesem Schritt sollte auch die
immer wieder aufkeimende vergleichende
Informationen zur Raumentwicklung
Heft 5/6.2010
375
Diskussion um nationale Bewertungsstandards in den Hintergrund treten. Bereits
ohne eine Harmonisierung der Methoden
lassen sich keine signifikanten Unterschiede in der Bewertungsgenauigkeit feststellen62, auch wenn dies mit nationalen Interessen teilweise anders interpretiert wird.
Der Prozess der Harmonisierung der Immobilienbewertung hat – wenn auch zunächst
unbemerkt – bereits vor geraumer Zeit be-
gonnen. Die Aufgabe besteht somit nicht in
der Initiierung, sondern der Koordinierung
und Optimierung der Harmonisierung. In
Anbetracht des wirtschaftlichen Gewichts
der Assetklasse Immobilie und den potenziellen Gefahren schwacher Immobilienbewertungen besteht ein kollektiver Anreiz,
zuverlässige internationale Standards zu
schaffen und umzusetzen.
Anmerkungen
(1)
Dies schließt jedoch nicht abweichende
ökonomische Einschätzungen ein, die sich
beispielsweise aus unterschiedlichen Erwartungen und Risikoeinschätzungen der Marktteilnehmer ergeben können.
(2)
Vgl. Phillips, L.: The Appraisal of Real Estate.
– Chicago 2001, S. 20
(3)
Vgl. Kleiber, W.; Simon, J.; Schröter, K.: Verkehrswertermittlung von Grundstücken. – Köln
2007, S. 109–114
(4)
Vgl. Gelbtuch, H.C.; Mackmin, D.; Milgrim,
M.R.: Real Estate Valuation in Global Markets.
– Chicago 1997, S. 29–31; Lind, H.: The definition of market value – Criteria for judging
proposed definitions and an analysis of three
controversial components. Journal of Property Valuation & Investment 16 (1998) 2, S.
159–174
(5)
Vgl. Phillips, L.: The Appraisal, a.a.O., S. 62
(6)
Vgl. Barthel, C.W.: Unternehmenswert: Die
vergleichsorientierten
Bewertungsverfahren
– Vergleichswert schlägt Ertragswert. Der Betrieb 49 (1996) 4, S. 149–163 (152)
(7)
Vgl. Phillips, L.: The Appraisal, a.a.O., S. 62
(8)
Kleiber, S.: Verkehrswertermittlung, a.a.O., S.
902
(9)
Vgl. Fisher, J.D.; Martin, R.S.: Income Property
Valuation – London 1994, S. 145
(10)
Vgl. Morgan, J.F.W.: Deutsche Wertermittlungsrichtlinien verbesserungsfähig – Die Berufsorganisationen haben hier bislang versagt.
Immobilien Zeitung 13.8.1998, S. 4; Katzung,
N.: Bewerter im Kulturkampf. Immobilien Zeitung 3.12.2009, S. 1
(11)
Vgl. Gilbertson, B.G.: Appraisal or Valuation:
An Art or a Science. Real Estate Issues 26.3
(Okt. 2001). S. 86–88
(12)
Vgl. Peto, R.: Market information management
for better valuations – Part II – data availability
and application. Journal of Property Valuation &
Investment 15 (1997) 5, S. 411–422, (413)
(13)
Vgl. Johnson, T.; Davies, K.; Shapiro, E.: Modern
Methods of Valuation – of Land, Houses and
Buildings. – London 2000, S. 204 f.; Gilbertson,
B.G.: Appraisal or Valuation, a.a.O., S. 86
(14)
Vgl. Morgan, J.F.W.: The Natural History of Professionalisation and its Relevance to Valuation
Methodology and Practice in the United Kingdom and Germany. – Reading 1998, S. 393
(15)
Vgl. Morgan, J.F.W.: The natural history of professionalisation and its effects on valuation theory and practice in the UK and Germany. Journal
of Property Valuation & Investment 16 (1998)2, S.
185–206 (191)
(16)
Vgl. Mackmin, D.: The United Kingdom. In: Real
Estate Valuation in Global Markets. Hrsg.: H.C. v.
Gelbtuch, D. Mackmin, M.R. Milgrim. – Chicago
1997, S. 21–41 (27)
(17)
Vgl. Thomas, M.: Income Approach versus Ertragswertverfahren (Teil 2). Grundstücksmarkt u.
Grundstückswert 6 (1995) 2, S. 82–90 (36)
(18)
Vgl. Kleiber, W.: WertR 02 : Wertermittlungsrichtlinien 2002. – Köln 2003, S. 197
(19)
Vgl. Mackmin, D.: The United Kingdom, a.a.O.,
S. 29 f.
(20)
Die momentan aktuelle 6. Auflage erschien
2007.
(21)
Vgl. RICS: Appraisal and Valuation Manual,
PS 3.2; Definition im Original: „The estimated
amount for which a property should exchange
on the date of valuation between a willing buyer
and a willing seller in an arm’s-length transaction
after proper marketing wherein the parties had
each acted knowledgeably, prudently and without compulsion.“
(22)
Vgl. Schulte, K.-W.: IAS/IFRS Immobilienbewertung und -rechnungslegung: Es wird internationaler. Immobilien Zeitung, 22.12.2003, S. 10
(23)
Vgl. RICS: Appraisal and Valuation Manual,
PS 3.3
(24)
Mackmin, D.: The United Kingdom, a.a.O., S.
33
(25)
Vgl. Tabelle 1
(26)
Vgl. Baum, A.; Mackmin, D.; Nunnington, N.:
The Income Approach to Property Valuation. –
London 2002, S. 41
(27)
Vgl. White, D. u. a.: Internationale Bewertungsverfahren für das Investment in Immobilien. – Wiesbaden 1999, S. 85
(28)
Vgl. Crosby, N.: United Kingdom. In: European
Valuation Practice: Theory and Techniques.
Hrsg.: A. Adair u. a. – London 1996, S. 265–
306 (276 f.)
(29)
Vgl. Johnson, T.: Modern Methods, a.a.O., S.
14
(30)
Vgl. Leopoldsberger, G.: Immobilienbewertung, a.a.O., S. 499
(31)
Vgl. Crosby, N.: United Kingdom, a.a.O., S.
278
(32)
Vgl. Johnson, T.: Modern Methods, a.a.O., S.
13 f.
(33)
Vgl. Baum, A.; Mackmin, D.; Nunnington, N.:
The Income Approach to Property Valuation. –
London 2002, S. 44 f.
(34)
Vgl. Leopoldsberger, G.: Immobilienbewertung, a.a.O., S. 502
(35)
Phillips, L.: The Appraisal, a.a.O., S. 22
(36)
Vgl. „Appraisal Standards for Federally Related Transactions“, Federal Register, Vol. 55,
No. 165, August 24, 1990, Rules and Regulations, Sections 34, 43
376
Philipp Naubereit: Harmonisierung der internationalen Immobilienmärkte und Folgen
für die Immobilienbewertung
(37)
Phillips, L.: The Appraisal, a.a.O., S. 22
(38)
Vgl. Gelbtuch, H.C.: The United States. In:
Real Estate Valuation in Global Markets. Hrsg.:
H.C. Gelbtuch, D. Mackmin, M.R. Milgrim, Michael R. – Chicago 1997, S. 1–19 (11)
(39)
Vgl. Fisher, J.D.: Income Property Valuation,
a.a.O., S. 149
(40)
Vgl. Leopoldsberger, G.: Immobilienbewertung, a.a.O., S. 453–528
(45)
Vgl. Edge, J.A.: The Globalization of Real Estate
Appraisal : A European Perspective. The Appraisal Journal 69 (2001)1, S. 84–94 (84)
(46)
Unter der realistischen Einschätzung, dass Immobilien notwendiger Produktionsfaktor der
meisten Formen von Wertschöpfung sind
(47)
Steuerliche Bewertungen grenzüberschreitend
gehaltener Immobilien sind hier nicht einzubeziehen, da in diesem Fall in der Regel Bewertungsadressat (steuererhebende Entität) und Objekt im
gleichen Land liegen.
(41)
Der Verkehrswert wird in §194 Baugesetzbuch (BauGB) definiert: „Der Verkehrswert
wird durch den Preis bestimmt, der in dem
Zeitpunkt, auf den sich die Ermittlung bezieht,
im gewöhnlichen Geschäftsverkehr nach den
rechtlichen Gegebenheiten und tatsächlichen
Eigenschaften, der sonstigen Beschaffenheit und der Lage des Grundstücks oder des
sonstigen Gegenstands der Wertermittlung
ohne Rücksicht auf ungewöhnliche oder persönliche Verhältnisse zu erzielen wäre.“
(48)
Insbesondere für Immobilienfonds, Versicherungen und nach IAS/IFRS bilanzierende Konzerne
(42)
Vgl. Keunecke, K.P.: Immobilienbewertung. –
Berlin 1994, S. 57
(51)
Vgl. Morgan, J.F.W.: History of Professionalisation, a.a.O., S. 1 f.
(43)
Vgl. Zimmermann, P.: Der Pflegefall Sachwertverfahren – geht es ihm nun eigentlich besser?
Der Sachverständige 30 (2003)10, S. 284–292
(289 f.)
(52)
Vgl. Simon, J.: Europäische Standards für die Immobilienbewertung. Grundstücksmarkt u. Grundstückswert 11 (2000) 3, S. 134–141 (136)
(44)
Vgl. Wilson, P.; Zurbruegg, R.: International Diversification of Real Estate Assets – Is it Worth
It? Evidence from the Literature. – Sydney:
University of Technology, School of Finance
und Economics 2003. = Working Paper Series 126, S. 28 f. (http://econpapers.repec.org/
RePEc:uts:wpaper:126)
(49)
Vgl. Hilbers, P.;Lei, Q.; Zacho, L.: Real Estate Market Developments and Financial Sector
Soundness. – Washington: International Monetary 2001. = IMF Working Paper, S. 28–34
(50)
Vgl. Phillips, L.: The Appraisal, a.a.O., S. 62
(53)
Das Vergleichswertverfahren kommt wegen der
hohen geforderten Merkmalsübereinstimmungen
in der Regel nur zur Bestimmung des Bodenwerts zum Einsatz.
(54)
Vgl. Kleiber, W.: Was sind eigentlich die sog.
Internationalen Bewertungsverfahren? Grundstücksmarkt u. Grundstückswert 15 (2004) 4,
S. 193–207 (193); wobei Verkehrs- und Marktwert synonym verwendet werden.
(55)
Vgl. Baumunk, H.: Immobilien und Immobilienbewertung im Zeitalter der Globalisierung.
– Dresden 2004, S. 183
(56)
Auch in gesetzlich regulierten Märkten wird
der Gesetzgeber langfristig auf Marktusancen
reagieren müssen.
(57)
Das unterscheidet den Marktwert beispielsweise vom Beleihungswert, der stärker an den
nachhaltigen Wertkomponenten orientiert ist.
(58)
Vgl. Zurhorst, J.: Internationale Bewertungsverfahren: Es ist höchste Zeit für einheitliche
Standards: Methodische Unterschiede können
zu abweichenden Bewertungsergebnissen
führen. Immobilien Zeitung, 4.11.1999, S. 12
(59)
Vgl. Mackmin, D.: Valuation of real estate in
global markets. Property Management 17
(1999) 4, S. 353–367 (363)
(60)
Vgl. Siegesmund, R.: Angelsächsisch ist nicht
international – Deutsche Sachverständige
kontra britische Bewerter. Immobilien Zeitung,
13.1.2000, S. 8.
(61)
Vgl. Naubereit, P.: Standard Ground Value in
the Context of the Harmonization of Property
Valuation. The Appraisal Journal 76 (2008) 3,
S. 211–218 (213)
(62)
Vgl. RICS: Valuation and Sale Price Report
2008 – London 2008, S. 10 ff.