abgasreinigung pkw - Daimler-Blog
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42 ABGASREINIGUNG PKW Daimler HTR 02/2007 Abgasreinigung Pkw 43 ZEIT FÜR DIE BLAUE STUNDE Dieselantriebe mit BLUETEC machen eine saubere Karriere Die „Blue(tec)-Brothers“: Forscher Bernd Krutzsch (links) und Entwickler Bernd Lindemann haben entscheidend mitgeholfen, diese Technologie bis zur Serienreife zu bringen. Daimler 44 � WAS IST BLUETEC? Das BLUETEC-Paket BLUETEC ist ein modulares Paket zur Abgasnachbehandlung, das sich je nach Fahrzeugtyp, Motorisierung und gesetzlichen Anforderungen so schnüren lässt, dass es den jeweils höchsten Anforderungen an das Emissionsverhalten entspricht. Der erste Baustein umfasst die Optimierung der Motoren und der Verbrennung. Ziel ist es, möglichst geringe Rohemissionen bei der Verbrennung im Zylinder entstehen zu lassen. Dies war eine der entscheidenden Voraussetzungen für beide BLUETEC-Varianten, die eingesetzt werden, um die Stickoxide im Abgas auf ein Minimum zu reduzieren. Das zweite BLUETEC-Modul ist der Oxidationskatalysator, mit dem die Dieselmodelle von Mercedes-Benz ausgestattet sind. Ein Oxi-Kat vermindert den Ausstoß von Kohlenmonoxid (CO) und unverbrannten Kohlenwasserstoffen (HC). Baustein drei ist der wartungsfreie Partikelfilter, der seit Sommer 2005 in allen Mercedes-Benz-Pkw mit Dieselantrieb in vielen Ländern serienmäßig ist. Er reduziert die Emissionen an Rußpartikeln um bis zu 98 Prozent. Er erfüllt die geltenden US-Normen und unterbietet deutlich die aktuellen Partikelgrenzwerte (Euro 4) auf dem Niveau der zukünftigen Limits von Euro 5. Aufgabe des vierten und jüngsten BLUETECBausteins ist der Stickoxidabbau. Hier setzen die Fahrzeugentwickler von Mercedes-Benz Cars je nach Fahrzeugmodell und Marktanforderung auf zwei alternative technische Lösungen unter der Motorhaube – entweder den SCR-Kat mit AdBlue-Einspritzung (siehe Grafik S. 47) oder den verbesserten Stickstoffspeicherkat mit passivem SCR (siehe Grafik S. 48). In den Labors der Daimler-Forschung ... B ernd Lindemann überlegt nur kurz für die Antwort: „Am besten ist BLUETEC mit dem Drei-Wege-Katalysator für den Benziner vergleichbar, und zwar sowohl, was die Komplexität anbelangt, als auch hinsichtlich des Emissionsrückgangs.“ Beide Facetten der BLUETEC-Technologie zur Reinigung von Dieselabgasen kennen nur wenige besser als der Diplom-Ingenieur: Von Beginn an leitete er das abteilungsübergreifende Projekt BLUETEC 1 in der Serienentwicklung von Mercedes-Benz Cars und erlebte hautnah, wie viele technische Hürden die Ingenieure aus dem Weg räumen mussten, aber auch welch enormes Potenzial die von ihnen verfolgten Technologien erschließen. Die Aufgabe des Projektteams war es, basierend auf den Forschungsprojekten der Abteilung von Bernd Krutzsch, dessen Team 2006 zusammen mit zwei Kollegen aus der Pkw-Entwicklung dafür den Daimler-Forschungspreis erhalten hat, in nur zweieinhalb Jahren ein Dieselfahrzeug zur Serienreife zu entwickeln. Dieses Fahrzeug zeichnet etwas aus, was bis dato als Quadratur des Kreises galt: den Dieselantrieb hinsichtlich aller Schadstoffe so sauber wie einen Benzinmotor zu machen, ohne dafür die Effizienz des Selbstzünderprinzips und dessen Spritsparqualitäten zu opfern. HTR 02/2007 Abgasreinigung Pkw ... untersuchte man die Reaktionen an den Katalysatoroberflächen bis ins kleinste Detail, ... � Der technologische Schlüssel hierzu liegt in einem Paket aus innermotorischen Optimierungen sowie einem modularen System zur Abgasnachbehandlung mit vier Bausteinen und einer ausgeklügelten Betriebsstrategie (siehe Kasten S. 44). Entscheidend für den Erfolg war es, Abgasnachbehandlungssystem, Motor und Getriebe bestmöglich aufeinander abzustimmen. Obwohl es auf den Erklärungsfolien der Forscher und Entwickler von Mercedes-Benz zugeht, als stellten sie die verschachtelten Prozesse einer kompletten Chemiefabrik dar, in der gleichzeitig eine Vielzahl von Substanzen auf-, ab- und umgebaut werden, und die Diagramme der Motorsteuerung die unterschiedlichsten Verbrennungszustände von einer Millisekunde zur nächsten zeigen, merkt der Fahrer eines BLUETEC-Fahrzeugs davon eigentlich nur eines: nämlich gar nichts. Beeindruckend effektiv Die hochkomplexe Technik arbeitet still und unsichtbar, dafür aber beeindruckend effektiv, vor allem beim Ausstoß von Stickoxiden, dem letzten noch verbliebenen Emissionsmanko des Diesels gegenüber dem Benzinmotor. Hier brachte BLUETEC die Entwickler einen Riesenschritt nach vorn. Konkret lässt sich dies an ihrem jüngsten Coup festmachen, dem E 300 BLUETEC, der im September 2007 sein Eu- ropadebüt feiern konnte. Gegenüber dem in Fahrleistungen und Verbrauch vergleichbaren E 320 CDI ist der Stickoxidausstoß der BLUETEC-Variante deutlich reduziert. Auch bei allen anderen Schadgasemissionen und beim CO2-Ausstoß ist der E 300 BLUETEC vorbildlich unterwegs und erreicht tendenziell niedrigere Werte als der E 320 CDI. Damit qualifiziert sich der E 300 BLUETEC als erster am europäischen Markt erhältlicher Seriendiesel für eine Euro-5-Einstufung – ein Standard, der erst ab Herbst 2009 für Neufahrzeuge verbindlich in Europa gelten wird. Mit der frühen Markteinführung sind die Entwickler von Mercedes-Benz Cars allerdings dem europäischen Gesetzgeber einen Schritt vorausgeeilt: Das Gesetz, das die Euro-5Grenzwerte und die erst ab Herbst 2014 geltende Verschärfungsstufe Euro 6 festschreibt, ist derzeit noch nicht in Kraft. Rudolf Thom, der in der Pkw-Entwicklung für die Fahrzeugzertifizierung zuständig ist, erläutert, was der Vorsprung vor der Legislative bedeutet: „Keine Behörde in Europa kann unser Fahrzeug nach der Euro-5-Norm zertifizieren, solange das Gesetz nicht formell verabschiedet ist.“ Im Klartext bedeutet das: In den Fahrzeugpapieren wird der E 300 BLUETEC zunächst als Euro-4-Fahrzeug ausgewie- 45 ... um die Reinigungswirkung zu optimieren. „BLUETEC ist mit dem Drei-Wege-Kat für den Benziner vergleichbar“ Bernd Lindemann, Entwicklung Mercedes-Benz Cars sen, Mercedes-Benz garantiert indes jedem Kunden den Wechsel auf Euro 5 mit einer herstellerspezifischen Bescheinigung, sobald der Gesetzgeber seine Hausaufgaben erledigt haben wird. Erfolg in den USA Der E 320 BLUETEC ist seit Oktober 2006 in 45 Bundesstaaten der USA und seit Oktober dieses Jahres in allen 50 auf dem Markt. Der Grund, weshalb beide Saubermänner nicht als Zwillinge zur Welt kommen konnten, liegt an unterschiedlichen Dieselqualitäten und der durchschnittlichen Belastung des Antriebsstrangs dies- und jenseits des Atlantiks. Die gerade ein Jahr junge Verkaufsgeschichte des E 320 BLUETEC in den USA ist ausgesprochen bemerkenswert: 20 Prozent aller Daimler 46 Dank einer speziellen Sonde im Brennraum gelingt es den Fahrzeugentwicklern, die wichtigsten ... erfassen. Das ergibt ein genaueres Bild Verbrennungsparameter während der Fahrt und damit unter Realbedingungen zu ... als Messungen unter Laborbedingungen. „Wir arbeiten mit Hochdruck daran, beide Technologien in die Breite zu tragen“ Bernd Lindemann, Entwicklung Mercedes-Benz Cars Käufer einer E-Klassen-Limousine mit 6-Zylinder-Motor (ohne Allrad-Variante) entschieden sich vom Fleck weg für BLUETEC. Das mag aus europäischer Sicht nicht spektakulär klingen. Doch 20 Prozent Dieselanteil signalisieren ein Erdbeben hinsichtlich des Käuferverhaltens in den USA. Anders als in Europa, wo sich mittlerweile fast 80 Prozent der Käufer von Mittelklasselimousinen wie der E-Klasse vor allem aus Wirtschaftlichkeitsgründen für einen Dieselmotor entscheiden und wo niemand über die Sportlichkeit und Agilität der Dieselvarianten erstaunt ist, sind auf Amerikas Straßen Pkw und SUVs mit einem Diesel unter der Haube angesichts eines Marktanteils von drei Prozent geradezu Exoten. Hinzu kommt: Das Image des Diesels ist in den USA von lange zurückliegenden Erfahrungen geprägt. Viele erinnern sich zwar noch an die Wirtschaftlichkeit der Aggregate, verbinden mit ihnen aber auch laut nagelnde, behäbige Vehikel, die schwarze, penetrant riechende Rußwolken hinter sich ließen. Die enormen Fortschritte, die vor allem dank Dieseldirekteinspritzung (Common-Rail) und hinsichtlich der Emissionsminderung (Oxi-Kat und Partikelfilter) für die breite Akzeptanz und Beliebtheit des Selbstzünders in Europa gesorgt haben, haben viele Autofahrer in den USA bislang noch gar nicht wahrgenommen. Vor diesem Hintergrund ist ein Verkaufsanteil „aus dem Stand“ von 20 Prozent für die BLUETEC-Variante des E 320 ein Riesenerfolg. Nachwuchs bei Familie BLUETEC Angespornt von diesem deutlichen Käuferzuspruch, so verrät Rudolf Thom, bereitet Mercedes-Benz Cars unterdessen die zweite „blaue Welle“ vor. Im nächsten Jahr wird die BLUETEC-Limousine E 320 nämlich mit der ML-, der GL- und der R-Klasse gleich drei große BLUETEC-Brüder bekommen. Erstmals wird damit das sauberste Konzept der Abgasnachbehandlung für Dieselmotoren auch im Fahrzeugsegment der SUVs verfügbar sein. Mehr noch, die Pkw-Entwickler haben mit diesem Fahrzeug-Trio sogar eine besonders hohe Hürde übersprungen: Während der E 320 BLUETEC die zurzeit gültige US-Abgasnorm BIN 8 beziehungsweise LEV 2 erfüllt, werden die BLUETEC-Diesel der ML-, Rund GL-Klasse sogar die schärfsten Limits auch für schwere Fahrzeugtypen erfüllen. � Möglich wurde dieser erneut deutlich abgesenkte NOx-Ausstoß, weil im Abgasstrang der drei neuen BLUETEC-Modelle ein aktives SCR-Katalysatorsystem mithilfe des Additivs AdBlue den Stickoxiden den Garaus macht (siehe Kasten S. 47). Hier wählten die Entwickler dasselbe Entstickungskonzept, das auch in den Nutzfahrzeugen von MercedesBenz erfolgreich zum Einsatz kommt. Der Umstieg auf die zumindest auf Dauer noch effektivere SCR-Reinigung mittels AdBlue wurde möglich, weil bis zum Verkaufsstart der neuen BLUETEC-Modelle das Additiv flächendeckend am nordamerikanischen Markt verfügbar sein wird, erläutert Rudolf Thom. Fünf Herausforderungen Die Ausdehnung des BLUETEC-Angebots auf weitere Märkte, Baureihen und Motorisierungsvarianten hat, so macht Bernd Lindemann deutlich, für die Pkw-Entwickler von Mercedes-Benz Cars oberste Priorität: „Wir arbeiten mit Hochdruck daran, beide Technologien, also NSK Advanced und SCR sinnvoll in die Breite unserer Produktpalette zu tragen, und das gilt HTR 02/2007 Abgasreinigung Pkw � 47 DER AKTIVE SCR-KATALYSATOR SCR mit AdBlue HARNSTOFF CO(NH2)2 NO2 NO NO2 NO2 NH3 NH3 N2 NO O2 NO NO NH3 NH3 N2 H2O NO Oxi-Kat Partikelfilter AdBlue-Ventil SCR-Kat BLUETEC mit Additiv und selektiver katalytischer Reduktion Das SCR-Verfahren (Selective Catalytic Reduction) basiert auf der Zugabe eines wässrigen Reduktionsmittels in den Abgasstrom. So lassen sich Stickoxide um bis zu 80 Prozent mindern – die leistungsfähigste Art der Abgasnachbehandlung bei Dieselantrieben. Es war Frank Duvenage, damals Leiter der Vorentwicklung Dieselantriebe, der auf die Idee kam, dieses bei Nutzfahrzeugen so erfolgreiche Verfahren auf die Gegebenheiten von Pkw-Dieselaggregaten anzupassen. Wie bei der BLUETEC-Variante des NSK Advanced strömt das Abgas vom Motor zunächst durch einen Oxidationskatalysator, der den Gehalt an Kohlenwasserstoffen (HC) und Kohlenmonoxid (CO) verringert. Der nachfolgende Partikelfilter hält Rußteilchen zurück. Anschließend beginnt der Abbau von Stickoxiden: Durch ein Dosierventil wird das Reduktionsmittel AdBlue in den vorgereinigten Abgasstrom eingedüst. AdBlue ist eine wässrige Harnstofflösung, die sich im Abgasrohr zu Ammoniak (NH3) umwandelt. Das geschieht in einem zweistufigen Prozess: Die Hitze im Abgasrohr lässt das Wasser im Additiv verdampfen, und durch Thermolyse entsteht das erste von zwei Ammoniakmolekülen aus einem Molekül Harnstoff. Außer Ammoniak bildet sich Isocyansäure. Diese verbindet sich mit einem Molekül Wasser, und es entsteht das zweite Ammoniakmolekül. Im nachgeschalteten SCR-Katalysator reduziert der Ammoniak die Stickoxide (NOx) zu unschädlichem Luftstickstoff (N2) und zu Wasser. Entscheidend für den hohen Wirkungsgrad des Verfahrens ist die exakte Dosierung von AdBlue je nach Betriebszustand des Motors. Dafür sorgt ein Stickoxidsensor am Ende des Abgasstrangs. AdBlue befindet sich in einem Zusatztank. Der Verbrauch beträgt bei Pkw ein bis zwei Prozent des Dieselkonsums, sodass man mit einer AdBlue-Füllung sehr große Distanzen zurücklegen kann. Die Daimler-Entwickler haben den Tank so dimensioniert, dass er nur zu den regelmäßigen Wartungsintervallen vom Servicepersonal aufgefüllt werden muss. Für den Kunden ist es also sehr komfortabel, da AdBlue prinzipiell beim regelmäßigen Ölwechsel nachgefüllt wird. Auch an die Gefahr des Einfrierens der AdBlue-Lösung haben die Ingenieure gedacht. Eine elektrische Heizung des Zusatztanks und der Leitungen sorgt dafür, dass das System auch bei Minusgraden zuverlässig arbeitet. Daimler 48 � NSK ADVANCED N I T R AT NO NO NH3 NO O2 NO2 NO2 NO NO N2 NO Magerphase H2O NO3- AMMONIAK Oxi-Kat DeNOx-Kat Partikelfilter SCR-Kat N I T R AT H2 H2 H2 N2 NH3 N2 Fettphase NO - H2 3 NO3- AMMONIAK Vom Stickstoffspeicherkat zum NSK Advanced Prinzipbedingt herrscht im Abgas von Dieselmotoren ein Sauerstoffüberschuss; Fachleute sprechen vom Magerbetrieb. In dieser oxidierenden Umgebung ist es sehr schwierig, unerwünschte Stickoxide (NOx) chemisch zu reduzieren, sie also in harmlosen Luftstickstoff (N2) umzuwandeln. Eine elegante Lösung bietet hierfür NSK Advanced, der verbesserte Stickstoffspeicherkat. Erst, als es den Verbrennungsspezialisten im Team gelungen war, einen Dieselmotor fett zu betreiben, war der Weg zur Systemanwendung frei. Bereits 1996 begannen die Abgasnachbehandlungsspezialisten der Forschung von Daimler in Untertürkheim damit, die Grundlagen für diese Technik zu erarbeiten. Der entscheidende Ansatz ist, zwei Katalysatoren, nämlich den NSK und den SCR-Kat sinnvoll miteinander zu einem autarken Abgasnachbehandlungssystem zu kombinieren. Die Stickoxide werden dabei sowohl im NSK als auch im SCR-Kat abgebaut. Michel Weibel, Teamleiter Katalysatorsysteme, erklärt, wie sich die katalytischen Reaktionen effizient und synergetisch verknüpfen lassen. „Der Kern besteht darin, an Bord des Fahrzeugs, und zwar im NSK, gezielt Ammoniak zu erzeugen, das im nachfolgenden SCR-Kat die aus dem NSK durchgebrochenen Stickoxidmoleküle weiter zu Luftstickstoff reduziert. Deshalb arbeitet NSK Advanced auch ohne zusätzliches AdBlue-Additiv sehr effizient.“ Dazu bedarf es einer ausgeklügelten Motorsteuerung. Bei dem nun serienreifen System läuft der Dieselmotor fast immer im Magerbetrieb. Dabei wird der Löwenanteil der Stickoxide als Nitrat im NSK gespeichert. Der Rest der Stickoxide wandert zum SCR-Kat. Dort wird NOx mithilfe von gespeichertem Ammoniak (NH3) zu unschädlichem Luftstickstoff N2 reduziert. Nach einer solchen Magerphase sorgt die Motorsteuerung während einiger Sekunden für einen „fetten“ also kraftstoffangereicherten Betrieb. Nun gelangen Reduktionsmittel wie Kohlenmonoxid (CO), Wasserstoff (H2) und Kohlenwasserstoffe (HC) in den Abgasstrom. Sie reduzieren einen Teil der im NSK gespeicherten Nitrate zu Luftstickstoff (N2). Dank einer speziell darauf angepassten Betriebsstrategie werden zugleich die restlichen Nitrate in Ammoniak (NH3) umgewandelt. Das so erzeugte NH3 passiert zunächst den anschließenden Partikelfilter und bildet im SCR-Katalysator das Ammoniakdepot für den nächsten Magerzyklus. Erst der detaillierte Blick auf jeden einzelnen Katalysatorbaustein ermöglichte es den Forschern, die chemischen Vorgänge im Katalysator hinreichend genau zu verstehen. „Die Vielfalt der Parameterabhängigkeiten und die Komplexität der katalytischen Reaktionen waren eine enorme Herausforderung“, erinnert sich Michel Weibel an die diffizile Arbeit der vergangenen Jahre. HTR 02/2007 Abgasreinigung Pkw 49 Am Anfang steht das Konzept, das sich in ... ... harten Erprobungen bewähren muss. nicht nur für das Segment der Sechszylindermotoren.“ Sein Team hat mit dem C 250 BLUETEC auch den „4-Zylinder-BLUETEC“ auf der Agenda. Dabei handelt es sich keineswegs um eine simple Anpassung der Technik, denn es gilt, die jeweils am besten geeignete Reinigungstechnologie für Fahrzeuge zu konzipieren, die sich hinsichtlich Gewichtsklasse, Motorisierung und Package-Situation deutlich voneinander unterscheiden. In jeder BLUETEC-Variante müssen die Module also anders verbaut werden, die Volumina aller Katalysatoren wollen optimiert sein und auch die Algorithmen für die Motorsteuerung müssen maßgeschneidert für jedes Modell passen. Last, but not least: Die zwangsläufigen Mehrkosten für ein BLUETEC-System müssen für die Kunden akzeptabel bleiben. jede Fehlfunktion schnell erkennen, ohne aber Falschmeldungen auf dem Display anzuzeigen. „In diesem Spagat müssen wir uns zuverlässig und mit hoher Genauigkeit bewegen“, so Bernd Lindemann. Dafür bedarf es neuer Algorithmen für die Motorsteuergeräte sowie für die Auswertung der Temperaturund der Lambdaverläufe. Daran arbeiten momentan die Ingenieure mit den Elektronikspezialisten der Fahrzeugentwicklung. Anspruchsvolle Selbstdiagnose Als zweites Aufgabenfeld benennt Bernd Lindemann die Weiterentwicklung der BLUETEC-Selbstdiagnose im Fahrzeug. „Schon von Gesetzes wegen müssen die Systeme onboard überwacht werden. Die Anforderungen hierfür werden in den kommenden Jahren sowohl in den USA als auch innerhalb der EU deutlich steigen.“ Auch hier geht es vor allem darum, dass der Fahrer von der „Hintergrundarbeit“ des Systems gar nichts merkt. Die Überwachungseinheit im Fahrzeug muss möglichst Vereinfachungen gesucht Herausforderung Nummer drei betrifft die BLUETEC-Module selbst: Die Entstickung mittels SCR plus AdBlue hält Bernd Lindemann bereits heute für eine stabile Technik. Ihre Achillesferse ist die hohe Komplexität des Gesamtsystems. Daher arbeiten die Ingenieure an einer „Vereinfachung“ des SCR-Moduls. Es geht etwa darum, Teile und damit Kosten einzusparen. Beim Stickstoffspeicherkat steht dessen Langzeitstabilität auf der Agenda. � Im Neuzustand bringt es ein NSK (siehe Kasten S. 48) auf Stickoxidumwandlungsraten, die denen eines aktiven SCR-Systems ebenbürtig sind. Doch mit zunehmender Laufleistung sinkt diese Rate im NSK langsam ab und pendelt sich auf einem niedrigeren Niveau ein. Daher sucht man nach besser geeigneten Materialen und Katalysatortypen. Daimler 50 Besonders wertvolle Einblicke – im übertragenen wie im wörtlichen Sinn – erhalten die Entwickler bei der sogenannten Indizierung: Während der Versuchsfahrt misst eine Sonde im Zylinder ständig den Druck. So lässt sich online im Fahrzeug die Wärmefreisetzung während aller Takte verfolgen. Im September 2007 konnten die Besucher der Internationalen Automobilausstellung IAA in Frankfurt bei einigen der 19 dort von Mercedes-Benz vorgestellten Exponaten erkennen, welche vierte Herausforderung auf die Entwickler zukommen wird, nämlich die Verzahnung von BLUETEC mit anderen Technologiebausteinen, etwa der Hybridisierung des Dieselantriebs oder auch der Start-StoppFunktion. Beide Konzepte senken den Verbrauch und damit die CO2 -Emissionen. Aber beide wirken sich auch auf den Temperaturverlauf im Abgasstrom aus und damit natürlich auf die Effektivität der Reinigung. Hürde und Potenzial zugleich In diesen Herausforderungen sieht Bernd Lindemann allerdings nicht nur eine Hürde, die es zu meistern gilt, sondern auch ein zusätzliches technologisches Potenzial. Er nennt es die Verblockung von Konzepten zur CO2-Minderung mit solchen zur Reduktion des Schadstoffausstoßes. „Beide Ansätze können sich gegenseitig helfen. So lässt sich etwa dank effektiver Abgasnachbehandlung eine Motorauslegung wählen, die konsequent CO2optimiert ist. Umgekehrt erlaubt der Einsatz in einem Hybridantrieb Maßnahmen zum Temperaturmanagement, welche die Leistungsfähigkeit der Abgasnachbehandlung weiter steigern.“ Der klassische Trade-off im Motorenbau, also die Notwendigkeit, den zwangsläufig mit jeder Stufe der Emissionsminderung ansteigenden Kraftstoffverbrauch zu kompensieren oder, wenn möglich, sogar mehr als wettzumachen, geht in eine neue Runde. Für diese zeigt sich Bernd Lindemann gerüstet: „Dank BLUETEC können wir diesen Trade-off neu ausbalancieren, und zwar auf einem extrem niedrigen Emissionsniveau.“ � WEB-TIPP In HTR-online finden Sie zum Thema BLUETEC bei Pkw und Lkw vertiefende Informationen, etwa: Erfolgsfaktor Kooperation EU und USA: Verschiedene Wege BLUETEC 5 - Eine wirtschaftliche Lösung bei Nutzfahrzeugen BLUETEC 5 + Partikelfilter = Citaro EEV BLUETEC-Webspecial Animation: Die Chemie beim NSK Advanced www.daimler.com/innovation www.mercedes-benz.de HTR 02/2007 Abgasreinigung Pkw � 51 DIE BASIS LEGTE DIE DAIMLER-FORSCHUNG Blick ins BLUETEC-Labor Bernd Krutzsch merkt man die Begeisterung für die Arbeit sofort an. Schon beim Abholen des Besuchers erzählt der Leiter der Abteilung „Combustion & Emission Control“ in der Daimler-Forschung noch auf dem Gang von all den Projekten, die sein Forschungsteam in den letzten Jahren angepackt hat, um die technischen Grundlagen dafür zu legen, dass BLUETEC 1 in den Diesel-Pkw von MercedesBenz Einzug in die Serie halten konnte. Drei Meilensteine hält der Chemiker für entscheidend, um dieses Projekt angehen zu können: die sehr frühe Entscheidung der Forschung, 1992 ein DENOX-Projekt für Dieselmotoren zu starten, dadurch ließen sich die notwendigen Fachkompetenzen aufbauen, der Beschluss der Pkw-Entwicklung, das Common-Rail-Einspritzsystem für Diesel zur Serienreife zu bringen, dies schuf Freiräume für die Abgasnachbehandlung, und das Konzept, auch den Dieselmotor zeitweise fett zu betreiben, erst diese Betriebsstrategie ebnete der Entstickung mittels NSK beim Diesel den Weg. Zum damaligen Zeitpunkt war das Konzept, einen Dieselmotor „fett“, also mit Kraftstoffüberschuss zu betreiben, eine revolutionäre Idee. Sie zu verfolgen war wiederum nur möglich, weil bereits damals Chemiker und Motorenfachleute aus Forschung und Vorentwicklung auf das Engste zusammenarbeiteten. Der Lohn dafür waren Basispatente, mit denen sich das Unternehmen bereits sehr früh das geistige Schutzrecht für diese neue Abgasreinigungstechnologie sichern konnte. Ein wenig Stolz mischt sich in seine Stimme, wenn er bekennt: „Ja, das ist schon ein tolles Gefühl, als Chemiker in einem Au- logien, nämlich NSK und SCR, noch Raum für Verbesserungen bieten, so sicher ist er auch, dass so schnell keine dritte, völlig neuartige Technologie auftauchen wird. „Aber es wird im zukünftigen Wettbewerb sehr wichtig sein, die beiden Basisverfahren im Detail weiterzuentwickeln. Hierbei stehen die Robustheit des Gesamtsystems – Motor und Abgasanlage – sowie die Kosten im Fokus der Arbeit“, erläutert er. Bernd Krutzsch (Mitte) mit seinem Team. tomobilunternehmen an einer so zentralen Technologie mitwirken zu können.“ Beim Gang durch die Labore berichtet er mit einem Leuchten in den Augen, dass hier alles seinen Anfang genommen hat. Neben einem Katalysatorteststand erklärt er, wie das Team Schritt für Schritt die experimentelle Basis gelegt hat. Insbesondere die Untersuchungen zur Schwefelproblematik der Katalysatoren lieferten Ergebnisse, anhand derer sich immer bessere Regenerations- und Betriebsstrategien entwickeln ließen. Das Serienprojekt unter der Leitung von Bernd Lindemann hat die Daimler-Forschung lange begleitet; hierbei konnten die Entwicklungsingenieure auf die hohe Kompetenz ihrer Kolleginnen und Kollegen in Sachen Katalyse zurückgreifen. Heute konzentriert sich das Forscherteam auf die Weiterentwicklung von BLUETEC-Systemen für Nutzfahrzeuge wie für Pkw. Die Zielgrößen der Forscher orientieren sich nicht nur an den folgenden Grenzwertnormen wie BIN 5 oder US 2010, sondern gehen auch darüber hinaus. So sicher sich Bernd Krutzsch ist, dass die beiden heute genutzten Entstickungstechno- Einer der Pfade, die das Team verfolgt, führt zu Katalysatoren, bei denen mehrere Funktionalitäten in einem Modul integriert sind. Als deren Vorteile gelten geringere Kosten, ein geringerer Bedarf an Bauraum und vor allem eine günstigere Einbauposition des Moduls in Motornähe. Im Labor prüft das Team momentan etliche neuartige Kat-Muster auf Herz und Nieren, wobei Bernd Krutzsch auch auf die möglichen Schwachstellen hinweist. „Knackpunkte der integrierten Systeme werden deren Dauerhaltbarkeit und Performance hinsichtlich der Reinigungswirkung sein.“ Ein wichtiges Zukunftsthema der Forscher ist die Modellierung von Katalysatoren und die Simulation der Emissionskette vom Motor bis zum letzten Katalysatormodul einschließlich einer angepassten Gesamtbetriebsstrategie. Da ist es für Bernd Krutzsch gut zu wissen, dass „das Unternehmen auch auf dem Gebiet der Simulation seit Mitte der 1990er-Jahre Pionierarbeit geleistet hat und heute im Wettbewerb auf diesem Feld die Messlatte setzt“. Die zentrale Rolle der Simulation sieht er in der heute erforderlichen Komplexität und Flexibilität des Gesamtsystems. „Ohne Simulation ist die Applikation in den unterschiedlichsten Fahrzeugtypen und Motorkombinationen für die verschiedenen Märkte gar nicht mehr möglich.“