Das verregnete Hochzeitsfoto
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Das verregnete Hochzeitsfoto
FREIZEIT & HOBBY Lesegeschichten Das verregnete Hochzeitsfoto VON PETER TAMME W ährend der Meister die pünktlich fertig gewordenen Schuhe einpackte und nach dem Wechselgeld suchte, hatte ich Zeit, das große Farbfoto hinter ihm an der Wand zu betrachten. Es zeigte eine Hochzeitsgesellschaft in überstürzter Auflösung. Man konnte Regentropfen, Windstöße, eingezogene Köpfe und Röcke raffende Damenhände erkennen. Nur das Brautpaar in der Bildmitte hielt den Elementen stand. Während ich das Wechselgeld einsteckte, fragte ich den Meister: „Was hat es denn mit diesem Bild auf sich? Warum hängt es hier in Ihrer Werkstatt?“ Er lächelte mich an: „Diese Frage habe ich natürlich schon oft beantwortet. Haben Sie ein paar Minuten Zeit?“ Natürlich hatte ich. „Es beginnt mit meiner Kindheit. Denn schon so früh habe ich mich für unser Wetter und seine Phänomene interessiert. Ich wusste, dass die Iso- 152 baren keine Inselgruppe im Indischen Ozean waren, dass „Hoch und Tief“ nicht allein der Name der größten Firma im Ort war, sondern dass davon auch unser Wetter abhing. Natürlich nannten mich meine Freunde bald nur noch „Wetterfrosch“. Ich hatte auch keine Angst vor Gewittern, im Gegenteil. Besonders gern habe ich immer die drohenden schwarzen Wolken auf dem Fahrrad verfolgt. Eines Tages jedoch verirrte ich mich dabei völlig. Und Handys gab es ja noch nicht. Meine Eltern sprachen, als ich endlich durchnässt und zerknirscht wieder daheim war, ein Machtwort. Ich würde Meteorologie studieren dürfen, wenn ich die Gewitterwolken zukünftig in Ruhe lassen würde. Ein zufriedener Schuhmacher Doch schon wenige Wochen nach Studienbeginn erkannte ich den riesigen Unterschied zwischen einem geliebten Lesegeschichten Hobby und dem Büffeln trockener wissenschaftlicher Materie. Ich erinnerte mich an die Worte meiner Eltern, die Foto: xwefotolia/Fotolia.com Als die lila-schwarze Wolke immer näher kam, habe ich unsere Gäste zur Eile gemahnt. Vergeblich. Matura sei zwar zum Wecken von Interessen an Musik, Kunst, Literatur geeignet. Aber für mein Leben solle ich lieber ein Handwerk erlernen. Das tat ich, und nun sitzt vor Ihnen ein zufriedener orthopädischer Schuhmacher- meister. Der freut sich immer noch, seinen Kunden helfen zu können. „Ja, aber das ‚stürmische Hochzeitsfoto‘?“, setzte ich nach. Er lachte wieder: „Hier in dieser Werkstatt hat einmal ein junger Sportinvalide nicht nur ein paar Schuhe zur Reparatur, sondern auch seine Schwester mitgebracht. Aus der ist die Braut auf diesem Foto geworden. Für unsere Hochzeit habe ich mir noch einmal einen Rückfall in mein Jugendhobby geleistet. Ich habe das Datum nach Auswertung der Großwetterlage gewählt. Alles hat gestimmt, doch die lokalen Schauer sind ja auch heute noch unvorhersehbar. Als die lila-schwarze Wolke immer näher kam, habe ich unsere Gäste zur Eile gemahnt. Vergeblich. Die Frauen mussten sich herrichten, die Kinder quengelten, der Fotograf stellte noch einige Gäste um – und dann brach das Unwetter los, und deshalb kam nur dieses eine Foto zustande, wahrlich kein Meisterstück. Es zeigt aber eins: Während alle auf der Flucht waren, hielt mich meine Braut so eisern fest, dass ich mir in diesem Augenblick sicher war, dass sie auch bei vom Pfarrer erwähnten Stürmen des Lebens zu mir halten würde. Und deshalb hängt sie hier – mit mir.“ « 153