Dokumentation des Besuchsprogramms 2008
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Dokumentation des Besuchsprogramms 2008
Deutsch-Japanisches Studienprogramm für Fachkräfte der Jugendarbeit „Lebenskompetenz fördern“ vom 17. bis 31. Mai 2008 in Japan Dokumentation der Fachdelegation A2 „Förderung benachteiligter Jungendlicher“ im Auftrag des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Inhaltsverzeichnis VORWORT ............................................................................................................................................ 4 ABLAUF DES PROGRAMMS IN JAPAN ................................................................................................ 8 EINFÜHRUNG...................................................................................................................................... 10 ERFAHRUNGSBERICHTE ..................................................................................................................... 16 Tag 2: Fachvortrag (19.05.2008)....................................................................................................... 16 Tag 3: Tokyo Metropolitan Education Consultation Center (20.05.2008).................................. 21 Tag 4: Fachvortrag über „Wakamono Jiritsu Juku“ (21.05.2008) ................................................ 25 Tag 4: „Wakamono Jiritsu Juku“: Yokohama Modern Apprenticeship Center (21.05.2008) . 31 Tag 5-9: National Ozu Youth Friendship Center (22.-26.05.2008) ................................................ 36 Tag 6: Fachvortrag an der Universität von Ehime (23.05.2008)................................................... 40 Tag 6: Free space „Noraneko-Gakkan“ (23.05.2008)................................................................... 45 Tag 7: Job-Café „Ai-Work“ in Ehime (24.05.2008) ......................................................................... 48 Tag 9: Ozu FUREAI School des Ozu Youth Friendship Center (26.05.2008) ................................ 51 Tag 11: Öffentliche Mittelschule Shinjuku (28.05.2008) ................................................................. 57 Tag 11: Futaba Fashion Academy (28.05.2008) ............................................................................ 64 LISTE DER TEILNEHMENDEN ................................................................................................................ 67 KURZINFORMATION........................................................................................................................... 68 -2- Die in dieser Dokumentation verwendeten Fotos stammen ausschließlich von den Teilnehmenden. Foto Deckblatt: Fachdelegation A2 mit japanischen Teilnehmenden aus 2007 beim Fach kräfteseminar am 29.05.2008 -3- Vorwort Nach dem Beschluss der jeweils verantwortlichen Fachministerien, dem deutschen Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) und dem japanischen Ministerium für Bildung, Kultur, Sport, Wissenschaft und Technologie (MEXT) verantwortet seit 2005 das Japanisch-Deutsche Zentrum Berlin (JDZB) gemeinsam mit IJAB – Fachstelle für internationale Jugendarbeit die Leitung eines deutsch-japanischen Fachkräfteaustausches unter dem übergreifenden Thema „Lebenskompetenz fördern“. Im Rahmen dieses Programms besuchen jeweils zwei Fachdelegationen das andere Land, um in einen Erfahrungsaustausch zu spezifischen jugendpolitischen Themenstellungen mit den Fachkollegen zu treten. In den Jahren 2005 bis 2007 stand der Austausch der durch das JDZB verantworteten Delegation (A2) unter dem Thema „Vermittlung sozialer Kompetenzen“. In Anbetracht wachsender Bemühungen um die gelingende Integration insbesondere sozial benachteiligter junger Menschen, regte Mitte 2007 die deutsche Seite die Hinwendung zu diesem Themenkomplex an. Das Problem der Benachteiligung junger Menschen wird in Deutschland insbesondere im Kontext mit Kinderarmut, dem in verschiedenen Studien verdeutlichten Zusammenhang von sozialer Herkunft und Bildungserfolg und den damit verbundenen Chancen auf dem Ausbildungsund Arbeitsmarkt diskutiert. Die Komplexität und Brisanz des Problems verlangt künftig nach Bemühungen aller gesellschaftlicher Kräfte, darunter auch der Kinderund Jugendhilfe, um benachteiligten Jugendlichen ein soziales Umfeld zu schaffen, in dem sie Kompetenzen erwerben, sich entfalten und Verantwortung übernehmen können. Auch in Japan gerät diese Problematik zunehmend in den Fokus des öffentlichen Interesses. Seit Jahren wird versucht, „Jugendlichen mit Schwierigkeiten“, wie die Zielgruppe im Japanischen genannt wird, Chancen zu eröffnen, sich in die Gesellschaft zu integrieren. Unter dem Begriff „Jugendliche mit Schwierigkeiten“ subsumieren dabei Kinder und Jugendliche, die nicht zur Schule gehen, die sozial abgeschottet bzw. isoliert leben, junge Menschen, die keine Ausbildung oder Bewerbung anstreben oder die keine feste oder lediglich Anstellungen im Niedriglohnsektor finden. Darüber hinaus zählen zu den „Jugendlichen mit Schwierigkeiten“ junge Menschen mit Behinderungen und jene, die aus krankheitsbedingten Gründen nicht an außerschulischen Aktivitäten teilnehmen können. Angesichts ähnlich gelagerter Problemstellungen konnten die Verantwortlichen beider Ministerien sich mit dem Thema „Förderung benachteiligter Jugendlicher“ auf den gemeinsamen Schwerpunkt der Zusammenarbeit in den nächsten Jahren einigen. -4- Im Programm der Fachdelegation A2 sollen dabei insbesondere junge Menschen mit Problemen in Schule und in der Übergangsphase in Ausbildung und/oder Beruf im Mittelpunkt stehen. Durch Fachvorträge und -gespräche, Besuche nationaler Modellprojekte, aber auch langfristig angelegter kommunaler Maßnahmen und Engagements von freien Trägern sollen die Teilnehmenden die unterschiedlichen Strukturen der Kinder- und Jugendhilfe in Japan erfahren. Neben dem Austausch mit den japanischen Fachkräften soll die Teilnahme am Programm eine tiefgreifende fachliche Reflexion und Diskussion des eigenen Tätigkeitsfelds ermöglichen und die Auseinandersetzung mit den fachlichen Ansätzen des Gastgeberlandes, aber auch der eigenen deutschen Kolleginnen und Kollegen anregen. Deutsche Delegation mit den Gastfamilien Unter diesen Voraussetzungen wurden Ende 2007 interessierte Fachkolleginnen und -kollegen aus dem Arbeitsbereich „Förderung benachteiligter Jugendlicher – soziale und berufliche Integration“ eingeladen, sich um die Teilnahme am deutsch-japanischen Fachkräfteaustausch zu bewerben. Die vier Teilnehmerinnen und vier Teilnehmer waren Vertreterinnen und Vertreter von freien Trägern der Jugendhilfe, die sich der sozialen und beruflichen Integration junger Menschen widmen, der Bundesmodellprojekte „Kompetenzagentur“ und „Schulverweigerung – die 2. Chance“, aber auch Berufsberater aus den Agenturen für Arbeit. Im April 2008 absolvierten diese acht Teilnehmenden die erste Etappe ihres persönlichen Erlebnisses „Japan“, das Vorbereitungsseminar. Dieses Wochenende dient einem Kennenlernen in allen Belangen. Dem Kennenlernen jener, mit denen man selbst das große Abenteuer antreten wird, dem Kennenlernen eines äußerst anspruchsvollen und auch anstrengenden Programms, dem Kennenlernen erster japanischer -5- Höflichkeitsfloskeln sowie dem Kennenlernen der Fettnäpfchen, die Japan neben seiner Gastfreundschaft für seine Gäste auch bereit hält. Neben Dress-Code, Visitenkartenübergabe, der Sorge ob der möglichen kommunikativen Hürden und kulturellen Missverständnisse standen im Mittelpunkt dieses Seminars aber auch die fachlichen Erwartungen der Teilnehmenden. Dazu gehörten in dieser Delegation u. a. folgende Fragen rund um das Thema „Förderung benachteiligter Jugendlicher in Japan“: • • • • • • • • • • • Sozialisations- und Interventionsmöglichkeiten außerhalb der Familie Anregungen für die Arbeit mit schulabsenten Jugendlichen Formen außerschulischer Angebote für Jugendliche Umgang mit gesellschaftlichem Leitungsdruck Bedeutung der Kreativität in der Arbeit für benachteiligte Jugendliche Ideen für den Umgang mit Verweigerungshaltungen junger Menschen Verlust moralischer Werte und deren gesellschaftliche Auswirkungen Identifikationsmöglichkeiten für junge Menschen Einfluss des Staates auf Bildung und Schule Ritualisierungsformen in der Jugendarbeit Gibt es eine Lobby für benachteiligte Jugendliche? Die folgenden Erfahrungsberichte der Teilnehmenden dokumentieren wichtige Stationen des fachlich-inhaltlichen Programms in Japan. So ist z. B. der Bericht von Meike von Appen geeignet, die Bedeutung des Lebensmottos des ehemaligen Rektors der Uni Tôkyô, SAKAGUCHI Junji, und des durch ihn mitentwickelnten Förderprogramms nachzuvollziehen; „Die jungen Menschen sind voller Möglichkeiten und Antrieb als Vorreiter für eine neue Zeit. Aber sie brauchen dazu die liebevolle Unterstützung von Erwachsenen.“ Stephanie Schöne hingegen reflektiert in ihrem Bericht den Besuch der Ozu FUREAI School und damit verbunden die japanischen Ansätze, sich dem Problem der Schulabsenz zu stellen. Dies sind nur zwei Beispiele von acht sehr persönlichen Blicken auf japanische Erlebnisse und Begebenheiten. Ich möchte Sie herzlich einladen teilzuhaben an diesen Eindrücken, dem Abgleich zwischen dem im Vorfeld des Eintauchens in eine andere Welt Gelesenen oder Gehörten und dem in Japan selbst Gesehenen und Gefühlten. Sicherlich haben sich nicht alle persönlichen Hoffnungen der Teilnehmenden erfüllt. So muss das Kabuki-Theater ebenso auf einen zweiten Besuch verschoben werden wie die Besteigung des Fuji-san. Dennoch, lassen Sie sich durch die folgenden Berichte entführen und begeistern von einem Land, für das es eine Reihe von Klischees und auch Vorurteilen gibt, welches aber, bei genauerem Hinsehen, vielfältig, spannend, einzigartig und in jedem Fall mindestens eine Reise wert ist. Das Gelingen eines solchen Austauschprogramms ist von vielen Faktoren abhängig. Ein entscheidender ist die vertrauensvolle und gelungene Zusammenarbeit der Beteiligten. In diesem Kontext gilt der besondere Dank zunächst unserem japa-6- nischen Partner, dem National Institution for Youth Education (NIYE), und dem Zuwendungsgeber MEXT. Auf deutscher Seite wurden die Bemühungen um ein qualitativ hochwertiges und anspruchsvolles Austauschprogramm von unserem Partner IJAB, aber auch vom BMFSFJ und dem Bundesverwaltungsamt tatkräftig unterstützt, auch Ihnen gilt unser großer Dank. Ein Austauschprogramm zweier unterschiedlicher Kulturen steht und fällt mit der sprachlichen und interkulturellen Vermittlung: unser besonderer Dank gilt dem unermüdlichen Einsatz unserer Dolmetscherin, IWAMA Tomoko, die zum fachlichen Austausch, der Vertiefung des Themas sowie dem Verständnis für das jeweils andere Land eine entscheidende Rolle gespielt und damit zum Gelingen des Programms in erheblicher Weise beigetragen hat. Mir, als Delegationsleiterin der A2, bleibt zum Abschluss der Dank an acht deutsche Fachkräfte, die mich als Japanerin mein eigenes Land mit einem anderen Blick erleben ließen, die Dinge hinterfragten, die mir vertraut und „normal“ sind, die das eine oder andere Mal Durchhaltevermögen bewiesen, auch wenn die Reserven am Ende schienen und die Reflexionsrunde noch nicht einmal begonnen hatte und die im entscheidenden Moment die eigenen Belange zurück- und in den Dienst der Gruppe stellten. Dafür an dieser Stelle meinen herzlichen Dank. Berlin, im April 2009 Nauka Miura Am Strand in einer der wenigen Pausen in Ehime -7- Ablauf des Programms in Japan Tag Dat. Ort 0 17.5. Sa. Paris 1 18.5. So. 19.5. Mo. Tokyo 2 3 20.5 Di. 4 21.5. Mi. 5 22.5. Do. 6 23.5. Fr. Zeit Programm Treffpunkt am Gate 23:35 Abflug Paris (AF 278) nach Narita Int’l Airport 18:00 Ankunft in Tokyo 22:30 interne Besprechung A2 Tokyo 10:00 Einführung (gemeinsam mit A1) 1. Programmeinführung 2. Vorstellung der Arbeit des NIYE Referent: Herr YAMAMOTO Yûji, Abteilungsleiter Program Dept., NIYE 13:30– Fachvortrag: „Jugendpolitische Maßnamen für benachteiligte Jugendliche in Japan“ 16:00 Referent: Herr YAMANAKA Kazuyuki, stellv. Referatsleiter und Fachreferent Förderung der Erlebnispädagogik und Internat. Jugendarbeit, Referat Jugend, Abteilung Sport und Jugend, MEXT 16:15 Besuch Playpark Haru no Ogawa (Frühlingsbach) in Yoyogi Shô-Kôen (Kleiner Yoyogi Park) gemeinsam mit A1 18:00- Begrüßungsempfang Tokyo 09:30- Besuch des Tokyo Metropolitan Education Consultation Center 12:00 Rundgang, Überblick über das Center (Schwerpunkt: Unterstützung der schulabsenten Kinder und Jugendliche), Diskussion 14:00- Reflexion im Hotel 17:00 - u.a. Fragen für den Schulbesuch (28.5.) zusammenfassen Tokyo 09:30- Fachvortrag: Vorstellung des Projektes „Wakamono Jiritsu Juku“ (Schule zur 12:00 Selbständigkeit junger Menschen) Referent: Herr Junji SAKAGUCHI, Vorsitzender Fachkomitee des Projekts * Situation von NEET (Not in Employment, Education or Training) und Freeter (Jobhopper) in Japan, Vorstellung des Konzepts „Wakamono Jiritsu Juku“ Negishi 15:00 Praxisbesuch: Wakamono Jiritsu Juku „Yokohama Modern Apprenticeship Center (Y-MAC)“ Abendessen und Austausch mit Jugendlichen des Y-MAC Tokyo 11:05 Abflug vom Flughafen Haneda (JL 1465) Ehime 12:40 Ankunft am Flughafen Matsuyama 16:00 Höflichkeitsbesuch beim Bürgermeister der Stadt Ôzu (Herr Takao ÔMORI) 17:20 Ankunft National Ozu Youth Friendship Center 17:30 Rundgang durch die Bildungsstätte 20:30 Fachvortrag: Die Arbeit des National Ozu Youth Friendship Center 21:30 Reflexion Ehime 10:00 Fachvortrag: „Förderung der Partizipation von Jugendlichen an Schulen und im Sozialraum“ Referent: Herr Satoshi SHIRAMATSU (Associate-Professor der Universität Ehime) 14:00 Besuch des Free space „Noraneko-Gakkan“ -16:00 Fachvortrag: Angebote des Noraneko-Gakkan Referentin: Frau Shimako SHIOMI (Leiterin des Noraneko- Gakkan, freier Träger) Kennenlernen des japanischen Lebensstils: 2 Std. Onsen/heiße Quelle und Abendessen (Buffet) 19:30- Austausch mit Jugendlichen, Mitarbeitern und Ehrenamtlichen des 21:30 Noraneko-Gakkans -8- Tag Dat. 7 24.5. Sa. Ort Ehime Zeit Programm 10:00- Besuch des Job-Café „Ai-Work“ und 12:00 Fachvortrag: „Förderung von Jugendlichen beim Übergang ins Berufsleben“ Referentin: Frau Yumi ÔUCHI (Leiterin des Job-Cafés) 14:20- Kennenlernen der japanischen Kultur (Teezeremonie) 16:20 18:00 Austauschabend mit Vorstellung der Gastfamilien anschließend ins Homestay 8 25.5. So. 26.5. Mo. Ehime 10 27.5. Di. 11 28.5. Mi. Tokyo 12 29.5. Do. Tokyo 13 30.5. Fr. Tokyo 14 31.5. Sa. Tokyo 9 Ehime Tokyo ganztägig: Homestay 09:30 Austausch mit Jugendlichen der Ôzu FUREAI School Fachgespräch mit Fachkräften der Ôzu FUREAI School nachm. Vertiefungsseminar mit den Mitarbeitern des National Ozu Youth Friendship Center ganz- Selbststudium tägig 09:15 Besuch der öffentlichen Mittelschule Shinjuku -11:30 Nach- Besuch der Futaba Fashion Academy mittag Unterrichtsbesichtigung (2 Klassen in der 6. Stunde) und Gespräch mit Lehrkräften Reflexion / Abendessen (Selbstverpflegung) Vorm. Selbststudium 13:15 Japanisch-Deutsches Fachkräfteseminar -16:30 (Diskussion mit ehemaligen japanischen TN aus 2007) Reflexion: Vorbereitung der Auswertung 10:00 Auswertungsgespräch A1+A2 14:30 Kennenlernen der Japanischen Kultur (gemeinsam mit A1) Besuch des Tokyo National Museum 18:00- Abschlussparty 20:30 Rückflug nach Deutschland Besuch des Nezu Schrein -9- Einführung Bericht über die Studienreise im Rahmen des Deutsch-Japanischen Studienprogramms für Fachkräfte der Jugendarbeit 2008 In der Zeit vom 18.05. bis zum 31.05.2008 nahm eine Fachdelegation aus 8 Expert/innen der Jugendberufshilfe an einer Studienreise nach Japan teil. Thema der Studienreise war: „Lebenskompetenz fördern – Förderung benachteiligter Jugendlicher“. Organisiert wurde der Studienaustausch vom Japanisch-Deutschen Zentrum Berlin (JDZB), der Fachstelle für internationale Jugendarbeit der Bundesrepublik Deutschland (IJAB) im Auftrag des Deutschen Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) sowie dem Japanischen Ministerium für Bildung, Kultur, Sport, Wissenschaft und Technologie (MEXT) in Kooperation mit der National Institution for Youth Education (NIYE). Unsere Reiseziele waren die Hauptstadt Tokyo und die Region Ehimé auf der im Süden gelegenen Insel Shikoku. In der deutschen Fachdelegation waren Berufsberater der Agentur für Arbeit, Mitarbeiter/innen freier Träger aus den Bereichen Schulsozialarbeit und Projekten der Bildung und beruflichen Orientierung Jugendlicher sowie aus Leitungen von sozialen Ausbildungsträgern. Die Leitung der Delegation hatte Frau Nauka Miura vom Japanisch-Deutschen Zentrum Berlin. In Japan stand uns während des gesamten Aufenthalts eine engagierte Dolmetscherin, Frau Tomoko Iwama, zur Seite. Zur Vorbereitung der Studienreise fand vom 11.-13. April 2008 ein Vorbereitungsseminar im Japanisch-Deutschen Zentrum Berlin statt. Neben landeskundlichen Informationen erhielten wir eine Einführung in die inhaltliche Problematik, erlernten nützliche japanische Worte der Begrüßung sowie besonders zu beachtende japanische Bräuche und probierten unser erstes Sushi. In einem umfangreichen und gut organisierten Programm besuchten wir in Japan 17 Institutionen und Projekte. Neben Fachvorträgen und dem Informationsaustausch mit den Mitarbeiter/innen fanden 3 offizielle Empfänge mit Vertretern der gastgebenden Institutionen statt. Dabei standen der Dank für die Ermöglichung der Studienreise und ein Austausch über die kulturellen Eigenheiten im Vordergrund. Die lecker angerichteten kulinarischen Köstlichkeiten und unsere (vorher eingeübten) musikalischen Darbietungen sorgten für freundliche Stimmung in der - oft sprachlich eingeschränkten - Begegnung zweier sich fremder Kulturen. Trotz des umfangreichen Studienprogramms gab es ein wenig Zeit, auf „eigene Faust“ die Großstadt Tokyo mit 18 Mio. Einwohnern zu entdecken und die Kleinstadt Ozu in der Region Ehimé auf der Insel Shikoku kennen zu lernen. Besuche in einem Onsen (Bad einer heißen Vulkanquelle) und historischer Orte im ländlichen Raum, die Teilnahme an einer Teezeremonie sowie der Besuch des Nationalmuseums in Tokyo - 10 - verschafften uns viele Eindrücke der japanischen Kultur. Spannend für alle Teilnehmer/innen war der Wochenendaufenthalt in einer japanischen Gastfamilie, der herzliche Empfang und die liebevolle und umfassende Betreuung durch unsere Gastgeber. Das Fachprogramm orientierte sich an den beruflichen Hintergründen der Teilnehmenden und an die im Vorfeld formulierten Interessen der Delegation. Nach einer Einführung in die Problematik benachteiligter Jugendlicher in Japan, darunter die sog. “Einnister“ (hikikomori, d. h. Jugendliche, die sich sozial abkapseln), schulabsente Jugendliche (futôkô, mit der Konnotation „nicht in die Schule gehen können“) und „NEET“ (Jugendliche ohne Ausbildung und ohne - dauerhafte Beschäftigung) wurden uns die jugendpolitischen Ziele der Regierung erläutert und verschiedene Angebote zur erlebnispädagogischen Förderung von Kindern und Jugendlichen dargestellt, wie z. B. die Kampagne zur allgemeinen Jugend- und Familienförderung: „Früher ins Bett gehen, früher Aufstehen, gemeinsam Frühstücken!“. Darüber hinaus konnten wir konkrete Projekte zur Förderung benachteiligter und behinderter Jugendlicher besuchen: u. a. Einrichtungen der beruflichen Beratung und Förderung (das JobCafé „Ai-Work“, die Schule zur Förderung des selbständigen Lebens junger Menschen „Wakamono Jiritsu Juku“, das „Yokohama Modern Apprenticeship Center Y-MAC“, die Erziehungs- und Familienberatung im Tokyo Metropolitan Education Consultation Center, die private Berufsbildungseinrichtung „Futaba Fashion Academy“) als auch öffentliche Schulen (Mittelschule Shinjuku, die Ozu Fureai School mit einem gesonderten Raum und Programm für Lernbeeinträchtigte und Schulabsente) und Projekte freier Träger, z. B. die kreative Förderung von Menschen mit Behinderungen in der „Free Space: Noraneko-Gakkan“ (Schule der ‚Straßenkatzen’). Ziel des Fachkräfteaustausches war es, Eindrücke, Informationen, Inspirationen und Ideen zu sammeln und sofern möglich, auch gegenseitige Erfahrungen auszutauschen. Dies ist dank des großen Engagements unserer Dolmetscherin und der japanischen Gastgeber gut gelungen. So hatten wir Gelegenheit, einen Tag mit den Mitgliedern der japanischen Delegation zu verbringen, die im Dezember 2007 in Deutschland waren. Für einen Vergleich der Systeme und Angebote und für die notwendige Durchdringung der Bedingungen und Konzepte waren die zwei Wochen jedoch zu kurz. Eine gemeinsame Definition „benachteiligter“ Jugendlicher für Japan und Deutschland kann aufgrund der gesellschaftlichen und historisch bedingten Voraussetzungen selbstverständlich nicht vorliegen. In Deutschland versteht man darunter z. B. Jugendliche und junge Erwachsene unter 25 Jahren, die arbeitslos sind, oder die aufgrund ihres sozialen Umfelds lernbeeinträchtigt sind und keinen Schulabschluss erreicht haben. Auch sind Jugendliche und junge Erwachsene „benachteiligt“, wenn sie straffällig geworden sind oder ausländischer Herkunft mit Integrationsproblemen und die einen individuellen Förderbedarf zur Verbesserung - 11 - ihrer Bildung und ihrer Chancen auf eine Integration in Arbeit haben. In Japan konnten wir beobachten, dass darunter Jugendliche und junge Erwachsene bis zum 35. Lebensjahr, mit starken persönlichen Auffälligkeiten und physischen oder psychischen Behinderungen verstanden werden. Diese wurden aus der Gemeinschaft gemobbt oder ziehen sich selbst zurück. Sie werden als „Einnister“ (Menschen, die sich komplett abkapseln), als „futôkô“ (schulabsente Kinder und Jugendliche), als „NEET“ (Not in Employment, Education or Training) oder als „Freeter“ (Jobhopper) bezeichnet. Diese Problematik wird in Japan fast ausschließlich den Jugendlichen und jungen Erwachsenen selbst zugeschrieben, die Ursachen scheinen kaum erforscht zu werden und die finanzielle Verantwortung für die Inanspruchnahme der Hilfs- und Förderangebote wird zu einem wesentlichen Teil der Familie übertragen. Die bei uns im Vordergrund stehende Problematik der Integration von Jugendlichen mit Migrationshintergrund ist in Japan kaum vorhanden, die relativ geringe Zahl von Immigranten stammt aus eher bildungsbewussten Ländern wie Korea und Australien. Auch das Problem der Jugendarbeitslosigkeit ist in Japan nachrangig, da aufgrund rückläufiger Geburtenzahlen und positiver Arbeitsmarktentwicklung die Nachfrage nach Arbeitskräften gut ist. Laut Aussage der Mitarbeiterin des „Job-Café“ „findet jeder, der möchte, eine Anstellung (wenn auch zunehmend nur befristet)“. Die steigende Nachfrage nach Arbeitskräften führt dazu, dass eine Förderung von jungen Menschen mit Benachteiligungen an Bedeutung gewinnt. Im Gegensatz zu unserem Handlungsansatz in Deutschland, bei dem die individuelle Förderung und Entwicklung eines Jugendlichen in seinem Umfeld im Vordergrund steht, haben wir grundsätzlich folgendes in Japan festgestellt: In Japan hat sich das Individuum dem „Ganzen“, also den Anforderungen der Gesellschaft, unterzuordnen. Daher sind individuelle Förderungen auf die Anpassung an die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Anforderungen und weniger auf die Einbeziehung der möglichen Ursachen für Fehlentwicklungen und des sozialen Umfelds ausgerichtet. Es gab für die deutsche Delegation bemerkenswerte Eindrücke, auf die im Folgenden kurz eingegangen wird: Rituale spielen in der japanischen Gesellschaft eine große Rolle. Wir konnten feststellen, dass in der durch uns erlebten offiziellen Kommunikation ritualisierte Verhaltensregelungen relativ großen Raum einnahmen, während der kleinere Teil vom inhaltlichen Austausch bestimmt war. Die Kommunikation verläuft nicht so direkt, wie wir es in Deutschland kennen, sondern ist von einem vorsichtigen Abtasten der Positionen bestimmt. Niemand darf das „Gesicht verlieren“, niemandem zu Nahe treten – „Japanische Harmonie“ ist angesagt. Eine historisch entwickelte kulturelle Form des Umgangs, die angenehme Seiten hat, aber u. E. auch Entscheidungen hinauszögern und individuelles Engagement verhindern kann. Wir konnten sehen, dass Kinder und Jugendliche stets eigene Verantwortung für die Ordnung und Sauberkeit der Räume und Einrichtungen übernommen haben. Die - 12 - Bereitschaft zur Verantwortung für das Gesamte gehört zu den Grundlagen japanischer Erziehung und erscheint als selbstverständliche Aufgabe der Lernenden. Daher sind Schulen und öffentliche Orte stets sauber. Der Wechsel der Schuhe beim Betreten von Gebäuden (auch Schulen) gehört zu den von uns als positiv wahrgenommenen Ritualen. Eingang der Mittelschule Shinjuku Beeindruckend nach deutschem Verständnis war auch das große ehrenamtliche Engagement von Privatpersonen für gemeinschaftliche und soziale Aktivitäten, aus unserer Sicht oft verbunden mit einem umfangreichen Einsatz von Zeit und finanziellen Mitteln. Ein Playpark (Abenteuerspielsplatz nach deutschem Vorbild) in Tokyo wurde von Rentnern aus der Nachbarschaft mit betreut. Eine ehemalige Lehrerin in Ehimé hat ihre gesamte Pension für eine Fördereinrichtung von Behinderten und Schulabsenten eingesetzt und ist dort selbst aktiv. In den vielen Gesprächen ist uns jedoch aufgefallen, dass die Bedeutung „freier Träger“ vom Staat nicht besonders hoch geschätzt wird, eine Zusammenarbeit mit öffentlichen Einrichtungen oft nicht erwünscht zu sein scheint und eine Förderung durch öffentliche Mittel leider nur selten vorhanden ist. Die Eltern müssen oft wesentliche finanzielle Beiträge auch für die Betreuung und Angebote öffentlicher Träger leisten. Daher spielt privates Engagement, der Einsatz von Studenten in der Ausbildung und Nachbarschaftshilfe eine große Rolle. In öffentlichen und privaten Einrichtungen konnten wir sehr professionelle Angebote und eine sehr gute Ausstattung kennen lernen. Besonders beeindruckend waren stadtteilorientierte Gemeinwesenprojekte in Kombination mit Jugendsozialarbeit. Die „Wakamono Jiritsu Juku“, die Schule zur Selbständigkeit junger Menschen, bietet ein von freien Trägern durchgeführtes 3-monatiges Programm zur Verbesserung der Kommunikation mit anderen, zur Vermittlung der Fähigkeit zur selbständigen - 13 - Bewältigung des Alltags und zur Einübung von Schlüsselkompetenzen und Arbeitserfahrungen in verschiedensten Arbeits- und Projektgruppen. Die jugendlichen „Einnister“ und „NEET“ leben gemeinsam mit ihren Betreuern in Wohngruppen. Oft sind sie mit über 30 Jahren zum ersten Mal wieder mit dem Umgang mit Menschen außerhalb ihrer Familie konfrontiert. In Yokohama konnten wir das Projekt „Y-MAC/K2“ (Schule zur Selbständigkeit) besichtigen, welches im Stadtteil verschiedene Aktivitäten und Angebote für Jugendliche unterhält, von der Unterbringung in betreuten Wohngruppen, über berufliche Trainingsangebote für benachteiligte Jugendliche bis hin zu Beschäftigungs- und Arbeitsangeboten im Verkauf eigener Produkte auf einem Markt und im Betrieb eines attraktiven öffentlich zugänglichen Restaurants. Die Betreuer/innen sind oft ehemalige Lehrkräfte oder kommen aus anderen Berufen, da es in Japan keinen Studiengang für Sozialarbeit/-pädagogik gibt. Für alle Schüler/innen Japans bieten zahlreiche Schullandheime in allen Teilen des Landes ein breites Spektrum von erlebnispädagogischen Sport- und Kulturangeboten mit 3-5 tägiger Dauer/Jahr an. Während unseres Aufenthalts dort in Ozu konnten wir die Freude, Umsicht und Disziplin der Jugendgruppen im „Naturhaus“ erleben. Erweiterte erlebnispädagogische Angebote, z. B. in Gartenbau und Tierhaltung sind auch ein wichtiger Ansatz für die Aktivierung und Integration benachteiligter Jugendlicher. Ein weiteres Beispiel war die äußerst nutzerfreundliche Organisation einer Jobberatungsstelle (Job Café Ai-Work) für Menschen unter 35 Jahren in einem Einkaufszentrum in Matsuyama, freundlich modern gestaltet, mit einer gut gepflegten Datenbank und der öffentlichen Darstellung vieler positiver Vermittlungserfolge. „Glückwunsch-Ecke“ im Job Café Ai Work Wir konnten während unseres Aufenthaltes in Tokyo auch widersprüchliches entdecken. Neben den offiziellen Tageserlebnissen in Institutionen war die „Straßenszene“ in Tokyo mit Massen an bunt und schrill gekleideten Jugendlichen in einer von Werbung und Spielhöllen blinkenden Szene für uns Deutsche ein Zeichen, dass der Wunsch nach Individualität auch bei jungen Menschen in Japan von - 14 - größerer Bedeutung ist, als offiziell zugegeben wird. Neben den fachlichen Eindrücken der Arbeit waren für die Teilnehmer des Austausches einige technische Perfektionen in Japan sehr beeindruckend. Dabei ließen wir uns besonders von den Schließeinrichtungen für Regenschirme und den Regenschirmtrocknern (mit Wasserabsaugung und Fön) begeistern. Auch die beheizten Toiletten mit elektronisch regelbarem Wasserstrahl waren für uns eine technische und hygienische Besonderheit. Der Fachaustausch, die gewonnenen Eindrücke und Erfahrungen werden alle Teilnehmer/innen noch lange beschäftigen. Die Informationen und Bilder aus Japan lassen sich nicht einfach beschreiben. Das Erlebte hat uns viele Anregungen gegeben, und besonders die vielen kulturellen und zum Teil philosophischen Ansätze werden unsere weitere Arbeit begleiten. Unter den in Japan gewonnenen Eindrücken lasen wir umso aufmerksamer die Mitteilungen über steigende Zahlen von Schulschwänzern in Berlin-Neukölln (ca. 20% an den Hauptschulen), über Kinder, die sich in der Schule ausgegrenzt fühlen und die verschiedenen Vorschläge der politisch Verantwortlichen, dem entgegenzuwirken. Wir danken allen Beteiligten für die freundliche Aufnahme, das perfekt organisierte Programm und die vielen liebevollen menschlichen Kontakte in einer für uns sehr fremden Kultur. Es wird für die Völkerfreundschaft und für das gegenseitige Verständnis in der global agierenden Welt zunehmend wichtiger, derartige persönliche Kontakte zu pflegen. Einen besonderen Dank verdient unsere Delegationsleiterin, Nauka Miura, die aufgrund ihrer persönlichen Lebenserfahrung und Sprachkenntnisse uns geduldig viele Hintergründe und Bedingungen erschlossen hat. Wir möchten die Fachaustausche gerne weiterhin unterstützen und bedanken uns für die Teilnahme. Burkhard Schäfer und Meike von Appen Kinder auf dem Schulweg - 15 - Erfahrungsberichte Tag 2: Fachvortrag (19.05.2008) Im Rahmen des Deutsch-Japanischen Fachkräfteaustausches zu Thema: Lebenskompetenz fördern – Förderung benachteiligter Jugendlicher“ erhielten wir am 19.05.2008 einen Fachvortrag von Herrn Kazuyki Yamanaka dem stellvertretenden Referatsleiter und Fachreferenten für Förderung der Erlebnispädagogik und internationaler Jugendarbeit (Ref: Jugend, Abteilung Sport und Jugend des MEXT) zum Thema: „Jugendpolitische Maßnahmen für benachteiligte Jugendliche in Japan“. Herr Yamanaka stellte die Struktur des Jugendministeriums und seines Aufgabenbereiches vor. Er ist seit 4 Jahren im Ministerium für die Modellprojekte zur Förderung der Erlebnispädagogik und für den Internationalen Jugendaustausch zuständig. Im Rahmen der Neuorganisation des Ministeriums wurden jugendpolitisch drei Säulen für lebenslanges Lernen festgelegt: 1. Lernen durch Erlebnisse 2. Maßnahmen gegen jugendgefährdende Medien 3. Förderung des Lesens Das „Lernen durch Erlebnisse“ ist ein übergreifender gesellschaftspolitischer Ansatz, bei dem die Erlebnispädagogik im Vordergrund steht und erstmals die Zusammenarbeit verschiedener Fachministerin (Arbeit, Justiz, Schule, Jugend usw.) erreicht wurde. Eine einheitliche Definition des Begriffs „benachteiligte Jugendliche“ besteht nicht. Es ist ein zusammenfassender Begriff für mehrere Auffälligkeiten und Probleme: Sie werden als „Einnister“ (schulabsente Kinder und Jugendliche), als „NEET“ (Not in Emplyoment, Education or Training) oder als „Freeter“ (Jobhopper) bezeichnet. Als Schulabsenz werden in Japan 23.825 Kinder von Elementarschulen, 103.069 Jugendliche in Junior High Schulen und 57.544 Jugendliche an Senior High Schulen erfasst. Als „NEET“ werden schätzungsweise 64.000 Jugendliche und junge Erwachsene im Alter zwischen 15 und 34 Jahren benannt. Das Ministerium beobachtet die Veränderungen der Gesellschaft und die Auswirkungen auf die Jugend. Als Einnister werden Kinder und Jugendliche bezeichnet, die nicht zur Schule gehen können. Es sind Kinder und Jugendliche, die sich zuhause in ihrem Zimmer vergraben, große Angst vor anderen haben und Schwierigkeiten, Kontakte aufzubauen. Sie leiden daran, dass sie sich nicht überwinden können, in die Schule zu gehen, bringen keine Eigeninitiative auf und verlassen ihr Zimmer oft monate- oder sogar jahrelang nicht. Einnister sind keine Einzelerscheinung, sondern ein zunehmendes Problem in der japanischen Gesellschaft, das bei Kindern im Grundschulalter beginnt, während der - 16 - Pubertät am häufigsten vorkommt, aber auch bei Erwachsenen auftritt. Ein in dieser Form in Deutschland nicht bekanntes Phänomen. Eine wichtige Zielgruppe für die Angebote sind Menschen mit geistiger und körperlicher Behinderung. Sie werden ebenfalls unter den Begriff benachteiligte Jugendliche gefasst. Die Zahl der „Einnister“ wird auf ca. 1,6 Mio. Jugendliche geschätzt. Das Ministerium versucht Modellprojekte aufzulegen. Dafür stehen 260 Mio. Yen zur Verfügung. Das ist für die große Anzahl an Jugendlichen zu wenig. Es ist daher auch Ziel der Programme, dass „freie Träger“ und die „Regionalverwaltungen“ selbst Mittel für die Programme einbringen. Japan ist dabei, die zentrale Verwaltung zu reduzieren und den Gemeinden und Regionalverwaltungen mehr Verantwortung zu übertragen. Herr Yamanaka gab einige Bespiele über die Programme: „Man braucht sehr viel Zeit, um die Jugendlichen (Einnister) in die Gesellschaft zurückzubringen“. Die Mitarbeiter benötigen Verständnis für die Jugendlichen. Eine enge Zusammenarbeit von Behörden, Trägern und Fachkräften wie z. B. Psychologen (eine Sozialpädagogenausbildung vergleichbar mit der deutschen gibt es in Japan nicht) ist erforderlich. Ein Programm versucht, die Jugendlichen (Einnister) in 30 Tagen über verschiedene „Erlebnistage in der Natur“ zu gewinnen. Da sich die Jugendlichen abkapseln, sind sie am Beginn sprachlos miteinander. Das Erlebnisprogramm ist gestaffelt: 1. gemeinsame Tageserlebnisse und Trainings in Wohnnähe. Wenn die Betreuer und Fachkräfte einen ersten Erfolg erkennen, folgt die 2. Stufe. 2. ein Tag mit Übernachtung und erlebnispädagogischen Angeboten zur Gewinnung des Selbstvertrauens. 3. ein bis zwei Wochen Camp mit vielen Aktivitäten, z. B. Bergtouren oder Radtouren zum Teil auch mit den Eltern. Nach diesem Programm haben die Jugendlichen wieder besseres Selbstvertrauen und werden in die Schule zurückkehren. Voraussetzung ist die Zusammenarbeit mit dem Schulamt, die Registrierung der Schulabsenten und die Einbeziehung freier Träger mit dem Einsatz von Psychologen. Es findet eine Evaluation des Programms statt. Viele Probleme tauchen auf und müssen gelöst werden. Die jungen Einnister sind das Hauptthema und nicht die Natur. Für die Einstiegsphase werden sinnvolle gemeinnützige Projekte im Qualtier bzw. im Umweltschutz benötigt. Weiterhin werden Programme zur Vorbeugung von NEET und Schulabsenz benötigt. Ein Grund für die derzeitige negative Entwicklung wird in der zu späten Selbständigkeit von Jugendlichen in Japan gesehen, in der japanischen Gesellschaft ist vieles geregelt und leicht, ohne besonders Engagement zu erreichen. Frühzeitige Angebote zur Entwicklung von Selbständigkeit bereits im Vorschulalter ist ein neues wichtiges Thema. Herr Yamanaka berichtet, dass seit einigen Jahren auf Initiative des Jugendministeriums die Zusammenarbeit verschiedener Ministerien zur Förderung von Jugendlichen erreicht wurde. Früher waren die Ressorts streng getrennt und es war ein Tabu, auf andere Ministerin zuzugehen. Es gibt reiche und arme Ministerien. Vor - 17 - 10 Jahren wurde beispielsweise mit dem Ministerium für Transport und Infrastruktur (dort stehen sehr viele finanzielle Mittel für Investitionen zur Verfügung) und dem Jugendministerium neue Ideen vereinbart: Gestaltung und Organisation einer natürlichen Flussgestaltung: „Renaturierung“ als Erlebnisunterricht. Die Mittel für das Projekt kam aus beiden Ministerien. Weitere Beispiele sind die Hafengestaltung mit Erlebnisbereichen, die Zusammenarbeit mit dem Fischereiwesen und der Land- und Forstwirtschaft. Herr Yamanaka berichtet weiter, dass die Lehrkräfte oft mit Themen wie Mobbing und Schulverweigerung überfordert sind. Daher hat das Ministerium ein Programm zum Einsatz von Schulpsychologen aufgelegt: An 23.000 Elementarschulen und 11.000 Junior High Schulen wird je Schule ein Psychologe nach Möglichkeit mit Fachwissen über Jugendliche eingesetzt. Im Haushalt 2008 sind dafür 3,4 Mrd. Yen in der Abteilung Primär- und Sekundärerziehung vorgesehen. Dabei ist auch die Zusammenarbeit mit klinischen Psychologen und Psychiatern vorgesehen. Ein weiterer Schwerpunkt der Programme des Ministeriums ist die Bereicherung der Schulunterrichtsinhalte zum Interessenwecken für das spätere Berufsleben, Förderung der Einstellung zum Ergreifen des Berufs. Themen sind z. B. Laufbahnplanung, Alltagsverhalten, Was ist die Gesellschaft? Was bedeutet Arbeit für das Leben? Ziel ist es, Experten aus der Wirtschaft (Handel/Industrie/Handwerk) in die Schulen zu holen. Fast alle Senior High Schulen haben nur eine allgemeinbildende Ausrichtung. Es gibt auch Special High Schulen mit beruflicher Ausrichtung, diese sind aber nicht so anerkannt wie die allgemeinbildenden Schulen. Ein Projekt sind „Super Special High Schulen“: das sind z. B. Schulen für Jugendliche ohne feste Anstellung. Um die Situation der benachteiligten Jugendlichen zu verändern, hat sich das gesamte Kabinett der Thematik angenommen und ein Rahmenprogramm zur Jugendförderung entwickelt. Dazu gehört das Programm „Wakamono Jiritsu Shi-en Juku“ (Schule zur Unterstützung der Selbständigkeit junger Menschen) von NPOs (gemeinnützigen Organisationen). Es handelt sich um ein Programm zur Förderung der Selbständigkeit für „NEET“ und „Einnister“ durch gemeinnützige Tätigkeiten mit Kontakten mit der Gesellschaft; gemeinsame Unterkunft von etwa 3-6 Monaten, Arbeitstraining für arbeitssuchende Jugendliche. Freie Träger erhalten für diese Tätigkeit finanzielle Förderungen. Ein weiterer Schwerpunkt des Rahmenprogramms war die Einrichtung von Beratungsstellen in Städten und Gemeinden zur telefonischen Erziehungsberatung und Einrichtung von Sprechstunden für Kinder, Jugendliche und Eltern zu Erziehungsfragen. Weiterhin wird einmal jährlich eine Nationale Konferenz der sozialen Fachkräfte (im NIYE) durchgeführt. Ziel ist die Entwicklung gemeinsamer wirksamer Projekte. Fall- 18 - studien und Seminare zur Weiterbildung begleiten die Treffen der zuständigen Jugendberater aus öffentlicher und freier Trägerschaft. Bei den Konferenzen sind auch Vertreter unterschiedlicher Bereiche aus Erziehung, Bildung, Soziales, Justiz und Polizei anwesend. Von Herrn Yamanaka werden zum Ende des Vortrages auch Probleme angesprochen: Die Jugendförderung ist ein Programm mit langfristiger Wirkung und nicht in kurzen Zeiträumen zu erfassen. Der japanische Staat hat finanzielle Schwierigkeiten und Maßnahmen der Jugendförderung sind politisch nur schwer durchzusetzen. Die Finanzexperten verlangen Erfolgsnachweise und kurzfristige Berichte über Erfolge der Maßnahmen. Es wird versucht, die Modellprojekte im Land umzusetzen und gute Kombinationen und Kooperationspartner zu finden, um Netzwerke zu schaffen. Dabei bleiben viele Fragen offen: Wie kommen wir an die benachteiligten Jugendlichen heran, wenn diese den Kontakt ablehnen? Sie kommen oft nicht freiwillig mit ins Ferienlager. Die Ämter kennen die Lage der Jugendlichen und der Familien, aber die neuen Datenschutzgesetze lassen zum Teil den Informationsaustausch nicht zu. Seit zwei Jahren besteht ein neues Datenschutzgesetz und die Institutionen müssen damit erst umgehen lernen. Es gibt ein Modellprojekt zum Kinder- und Jugendschutz und dem neuen Datenschutz. Nach dem Vortrag werden die Fragen der Besucher durch Herrn Yamanaka beantwortet: 1. Wie wird der Kontakt zu den Schulverweigerern erreicht? Es gibt Kurse für die Anpassungsförderung und Beratungsangebote für Kinder, Jugendliche und Eltern. Der Erziehungsausschuss (der Ausschuss für Bildung und Erziehung ist ein Verwaltungsorgan von Präfektur/Kommune) spricht die Familien an. Den Kindern und Eltern ist dies oft peinlich und alle sind mit dem Problem überfordert. Es gibt daher auch gesonderte Angebote für Eltern und man versucht diese freiwillig zur Mitarbeit zu gewinnen. 2. Wie hoch ist die Rückfallquote von Schulverweigerern nach Projektabschluss? Dazu sind bisher keine Untersuchungen vorhanden. Es gibt Misserfolge und Abbrüche. Die Projekte laufen über 1 Jahr. Bei Abbrüchen bleiben die Betreuer dran – weitere persönliche Beratung, durch nachgehende Betreuung. Ein späterer Wiedereinstieg ist möglich. Auch der Wechsel in ein anderes Projekt, das vielleicht besser funktioniert, ist machbar. 3. Wie ist die Personalausstattung der Projekte? Die Projektausstattung ist oft 1:1 und besser. Es werden zusätzlich in großem Umfang Studenten und ehrenamtliche Personen eingesetzt. Die Modellprojekte sind außerdem finanziell gut ausgestattet. Mindestens ist das Verhältnis 5:1. 4. Welche Gründe gibt es für die Schulverweigerung? Der Hauptgrund ist das Mobbing. Mobbing hat körperliche und psychische Auswirkungen. In der japanischen Schule gibt es straffe Rahmenbedingungen und ein verantwortungsvolles Gemeinschaftsverhalten wird verlangt. Trainiert wird für Abschlüsse und Prüfungen. Wenn Kinder oder Jugendliche sich dem - 19 - nicht anpassen können, fallen diese aus der Gemeinschaft heraus. Finanzielle Unterschiede können Gründe für Mobbing sein, aber auch das Verhältnis zu den Lehren und das Verständnis für Bildung. Misshandlungen von Kindern und Jugendlichen sind im steigen, aber in der Regel kein Grund für Schulverweigerung. Die Schulverpflegung ist oft ein Grund, in die Schule zu kommen. Es gibt keine Untersuchung, ob mehr Jungs oder Mädchen die Schule schwänzen, dementsprechend gibt es auch keine gesonderten Projekte. 5. Welche Aufgaben haben die Schulpsychologen? Das Programm des Einsatzes von Schulpsychologen orientiert sich am amerikanischen System der „School-Councelor“. Da es keine Schulsozialpädagogen gibt, orientiert man sich am amerikanischen Beispiel. Es gibt einen Beratungsraum in der Schule und bedarfsgemäß kommen zusätzliche psychologische Fachkräfte in die Schule. Diese machen Angebote für Lehrer, für Kinder und Jugendliche und beraten auch die Eltern. 6. Gibt es Ausbildungsförderung für Jugendliche außerhalb der Betriebe? Die meisten Schüler erhalten an den Senior-High-Schulen nur Allgemeinwissen. Die Betriebe waren und sind für die betriebliche Ausbildung zuständig. In den vergangenen 10 Jahren gab es jedoch Veränderungen in der japanischen Gesellschaft. Der Übergang von der Schule in die Betriebe funktioniert nicht mehr reibungslos, die „Blasenwirtschaft“ ist geplatzt. Jugendliche wurden nicht eingestellt, weil die Betriebe keine Arbeit hatten. Japan hat immer noch eine schlechte Konjunkturentwicklung und Produktionen wurden in billige Lohngebiete verlagert. Seit einiger Zeit scheiden ältere Mitarbeiter aus und durch den deutlichen Geburtenrückgang sind Jugendliche für die Betriebe wieder gefragt. Einige Betriebe werben wieder mit guter Ausbildung an den (Hoch-)Schulen und wählen die Besten aus. Da aber meist nur (Hoch-)Schulleistungen als Erfolge genommen werden ist damit nicht immer eine gesicherte Entwicklung vorhanden. Schulleistungen und Leistungen im leben stehen nicht im direkten Verhältnis. Gute Schüler sind im Leben und Arbeitsprozess nicht immer gut und umgekehrt. Burkhard Schäfer Fachvortrag von Herrn YAMANAKA - 20 - Tag 3: Tokyo Metropolitan Education Consultation Center (20.05.2008) Das Tokyo Metropolitan Education Consultation Center ist eine von zwei zentralen Erziehungsberatungsstellen, die für die gesamte Präfektur Tokyo zuständig sind. Daneben gibt es in Tokyo 72 dezentrale kleinere Erziehungsberatungsstellen sowie Beratungseinrichtungen freier Träger. Das Tokyo Metropolitan Education Consultation Center ist eine große Einrichtung mit ca. 60 MitarbeiterInnen, bei denen es sich vor allem um PädagogInnen und ehemalige Lehrkräfte handelt. Pro Jahr finden insgesamt ca. 32000 Beratungen statt. Das Zentrum besitzt 10 Beratungs- und Büroräume, drei sog. Play-Rooms sowie 10 Telefonberatungsplätze. Die Aufgaben bzw. Arbeitsgebiete des Zentrums lassen sich in 5 Punkte unterteilen: 1. Allgemeine Erziehungsberatung 2. Beratung zur schulischen Laufbahn und Re-Start Place 3. Beratung für Lehrkräfte und schulische MitarbeiterInnen 4. Entsendung von FachberaterInnen an die Schulen 5. Erstellen von Studien und Untersuchungen 1. Allgemeine Erziehungsberatung: In der Beratung geht es vor allem um Erziehungs- und Schulprobleme. Die Beratung richtet sich an alle Altersgruppen vom Kleinkind bis zum Senior High School-Alter bzw. an deren Eltern und Familien. Zu den Beratungsthemen gehören: - Entwicklungsstörungen - Emotionale Instabilität - Mobbing - Schlechte Schulleistungen und Schulabsenz - Gewalt in der Familie - Sexualität - Suizidgefahr Für Beratungen zum den Themen Drogen bzw. Missbrauch/Misshandlung gibt es besondere Beratungsstellen. Die Beratung erfolgt in persönlichen Gesprächen und Sprechstunden, per Telefon sowie per E-Mail. Auch nachts sind MitarbeiterInnen der Einrichtung telefonisch erreichbar. 2. Beratung zur schulischen Laufbahn und Re-Start Place: In diesen Beratungen geht es vor allem um schulische Probleme und über Informationen zu den verschiedenen Schultypen bzw. -modellen. Ein wichtiger Bereich hier- - 21 - bei ist auch die Schulabsenz bzw. der Wiedereinstieg in die Schulkarriere. Für diesen Bereich gibt es im Rahmen des Re-Start Place sowohl Einzel- als auch Gruppenberatungen bzw. -angebote. Die Angebote richten sich ebenso an Jugendliche wie an deren Eltern. Die Ziele sind Informationsaustausch, Abbau von Ängsten, Gruppenfähigkeit, Vermittlung an weitere Stellen (Zentrum für Arbeitssuchende, Teilzeitschulen etc.) und Vorbereitung der Reintegration in die Schule. 3. Beratung für Lehrkräfte und schulische Mitarbeiter Die MitarbeiterInnen des Zentrums stehen auch als BeraterInnen für die Lehrkräfte und MitarbeiterInnen der ca. 2200 Schulen (darunter 60 Schulen für Behinderte) in der Präfektur Tokyo zur Verfügung. Sie führen Fachberatungen durch, organisieren Fortbildungen und machen Kriseninterventionen. 4. Entsendung von FachberaterInnen an die Schulen Das Zentrum entsendet auf Anfrage der Schulen auch BeraterInnen direkt an die Schulen. Da es nur an wenigen Schulen sog. School Councelor (vergleichbar mit SchulsozialpädagInnen) gibt, werden bei Bedarf Fachkräfte an die Schulen gesandt, die je nach Anfrage einen pädagogischen, medizinischen oder psychologischen beruflichen Hintergrund haben. Auch diese Fachkräfte führen Seminare, Fallstudien und Kriseninterventionen durch. 5. Erstellen von Studien und Untersuchungen Aufgabe des Zentrum ist es außerdem, wissenschaftliche Untersuchungen und Studien zu den Bereichen Bildung und Erziehung zu erstellen. Ein Beispiel dafür ist z.B. eine Studie zu Einstellungen von Jugendlichen in der Pubertät. Rundgang durch die Einrichtung: Das Tokyo Metropolitan Education Consultation Center liegt im Erdgeschoss eines großen Bürogebäudes der Präfektur Tokyo. Zur Begrüßung wurde unsere Gruppe aber der schönen Aussicht wegen in einen Besprechungsraum im 8. Stock geführt. Dort begrüßte uns Herr Sekiguchi als Leiter der Einrichtung mit sechs weiteren leitenden Angestellten des Zentrums (darunter eine Frau). Beim anschließenden Rundgang wurden wir zunächst in ein Großraumbüro geführt, in dem sich die Büroarbeitsplätze der einzelnen Beratungsbereiche befinden und auf einer Seite außerdem ca. 8 Telefonberatungsplätze. Die Telefonberatung wird hauptsächlich von ehemaligen Lehrkräften durchgeführt, außerdem ist dort eine Psychologin beschäftigt. Die Beratung ist auf Wunsch anonym und wird vor allem von Eltern wahrgenommen. Sie ist wochentags von 9 bis 21 Uhr besetzt, am Wochenende bis 17 Uhr. Außerdem gibt es zum Thema Mobbing eine Hotline, die 24 Stunden am Tag besetzt ist. Pro Tag gehen ca. 30-100 Anrufe dort ein. Im Bereich der Beratungsräume gibt es einen gemütlichen Warteraum mit Sofas und Stofftieren sowie mehrere Beratungsräume. Die Räume haben keine Fenster nach außen. Zum Beratungsteam gehören 10 PsychologInnen und sechs weitere BeraterInnen, die auch Fallbesprechungen untereinander abhalten. - 22 - Weiter gibt es im Beratungsbereich des Zentrums verschiedene Räume, in den unterschiedliche Methoden, Untersuchungen und Aktivitäten durchgeführt werden: - einen Raum mit zwei Sandkisten und vielen Figuren, die für Aufstellungen genutzt werden und mit Mal- und Zeichengelegenheiten - einen Play-Room für kleine Kinder mit Tatami-Matten - einen größeren Play-Room für Grundschüler - einen größeren Raum für Jugendliche, in dem auch die Gruppenangebote bzw. -therapien stattfinden. Dieser Raum ist u.a. mit einer Tischtennisplatte, einer Dart-Scheibe, Musikinstrumenten, Comics etc. ausgestattet. Die Teilnahme an den Gruppenangeboten ist freiwillig, einmal im Jahr wird auch zusammen gekocht. Die Gruppenangebote sind für max. 6 Jugendliche und werden von 2 hauptamtlichen sowie 2 nebenamtlichen BetreuerInnen begleitet. - In einem Raum besteht die Möglichkeit, Intelligenz- bzw. Charaktertests durchzuführen. Dort befindet sich unterschiedliches diagnostisches Material. - In einem anderen Raum befindet sich zahlreiches Informationsmaterial über die verschiedenen Schultypen und -modelle, in denen sich Schulabbrecher über die verschiedenen Möglichkeiten der Fortsetzung ihrer Schulkarriere informieren können. Im Rahmen des sich an den Rundgang anschließenden Fachgesprächs wurden unterschiedliche Fragen zur Arbeit des Zentrums angesprochen: - Die Werbung für die Angebote des Zentrums erfolgt durch Plakate, Flyer und eine Infozeitung der Präfektur. Darüber hinaus publizieren die Schulen die Angebote der Einrichtung. - Der Erstkontakt zu den Jugendlichen erfolgt meistens über die Eltern, die sich an das Zentrum wenden. Die BeraterInnen gehen nicht in die Familien, die Beratung erfolgt im Zentrum oder an Schulen. - Bei der Frage nach Ursachen von Schulverweigerung werden an erster Stelle Schwierigkeiten der betroffenen Jugendlichen in ihrem Sozialverhalten genannt. Mobbing kann eine weitere Ursache sein, sozioökonomische Ursachen wie z.B. mangelnde Bildungs- bzw. Berufsperspektiven sowie steigender Leistungsdruck in der Schule werden auf Anfrage ebenfalls als mögliche Ursachen von Schulabstinenz eingeschlossen. - Es gibt vermehrt besondere Schulmodelle, in denen Methoden erprobt werden, die Jugendliche zum Schulbesuch ermuntern sollen. Dazu gehören die Einführung berufspraktischer Anteile während der Schulzeit, Betriebspraktika und internetgesteuertes Lernen. Fazit: Mit dem Tokyo Metropolitan Education Consultation Center hatten wir die Gelegen- - 23 - heit, eine große Beratungseinrichtung in Japan kennen zu lernen, die mit einem multiprofessionellem Team verschiedene Beratungsbereiche abdeckt. In Aufbau und Methodik ähnelt die Einrichtung dabei auch dem, was wir aus verschiedenen Beratungseinrichtungen aus Europa kennen. Unterschiede ließen sich vor allem bei der Definition psychologischer Störungen und Auffälligkeiten und ihrer Ursachen feststellen. Individuelle Betrachtungs- und Interventionsformen sind in Japan mehr die Regel als bei uns, systemische Blickwinkel in der Arbeit mit auffälligen Jugendlichen haben geringere Bedeutung. Insgesamt war der Besuch der Einrichtung informativ und interessant. Wünschenswert von unserer Seite aus wäre darüber hinaus noch die Möglichkeit gewesen, sich in kleiner Runde mit einzelnen MitarbeiterInnen des Zentrums auszutauschen, die nicht in Leitungsfunktionen sind. Dies hätte für die PraktikerInnen beider Seiten den informativen Wert des Besuches sicherlich noch erhöhen können. Hendrik Abel Besuch beim Tokyo Metropolitan Education Consultation Center - 24 - Tag 4: Fachvortrag über „Wakamono Jiritsu Juku“ (21.05.2008) Inhaltliche Wiedergabe des Fachvortrags von Herrn Junji Sakaguchi, Vors. des Projekt-Fachkomitees Herr Sakaguchi ist Ausbilder für Pädagogen und ehemaliger Rektor an der Uni Tokyo. Als Psychologe hat er sich mit Gestalttherapie beschäftigt und Gruppenprozesse untersucht. Eine der Grundlagen seiner Arbeit ist die Abhandlung „Die Psyche der Jugend“ von Herbert Spranger aus dem Jahr 1924. Sein Motto ist: „Die jungen Menschen sind voller Möglichkeiten und Antrieb als Vorreiter für eine neue Zeit. Aber sie brauchen dazu die liebevolle Unterstützung von Erwachsenen.“ Die Kenntnis der Schwierigkeiten von Jugendlichen, in ihrem Zwischenstadium vom Kind zum Erwachsenen eine gute Kommunikation(sfähigkeit) zu entwickeln und damit Vertrauen und Freundschaften aufzubauen, motiviert Herrn Sakaguchi zu seiner Arbeit. Die Problemlage und Ursachen Herr Sakaguchi stellt bei Jugendlichen heute einen Mangel an „menschlicher Kompetenz“ fest insbesondere eine ungenügende Fähigkeit zur Kommunikation mit den Mitmenschen. Dafür macht er sowohl externe als auch interne Faktoren in einer sich wandelnden Gesellschaft verantwortlich. Als externe Faktoren definiert er: - den Wandel im familiären Umfeld, das Auseinanderbrechen der Familien (Scheidungen), den Rückgang der Geburtenrate, die Verringerung der Kommunikation in der Familie u.ä. - die Abnahme des gemeinschaftlichen Zusammenhalts im Wohnumfeld, in der Gemeinde und in der Region, den Verfall der nachbarschaftlichen Beziehungen, insbesondere in Bezug auf bisher als gemeinschaftlich empfundene Aufgaben wie z. B. die gemeinschaftliche Reinhaltung des Wohnumfelds, gemeinsame Feste der Nachbarschaft, Begegnungen und die gemeinsame Sorge für das Wohlergehen aber auch das Wohlverhalten der Kinder. - die Priorität der Ökonomie, die die bisher konfuzianisch geprägten traditionellen Werte und Rollenverteilungen in Familie und Gesellschaft verdrängt. Eine der negativen Begleiterscheinungen der Entwicklung von Individualität ist der Egoismus, der im scheinbaren Widerspruch der gesellschaftlich vermittelten Werte (Individuum/Leistung – Gemeinschaft/Unterordnung) zur Isolation von Einzelnen führen kann. Die Verbreitung der IT-Technik verändert das allgemeine Kommunikationsverhalten der Nutzer. - 25 - - Das Schulsystem verändert sich zugunsten vermehrter Wissensvermittlung auf Kosten der Entwicklung von Lebenskompetenz. Erhöhter Leistungsdruck erzeugt Konkurrenz und verdrängt die soziale Kompetenz. - Seit der 2. Hälfte der 80er Jahre verändern Globalisierung und Neoliberalismus das Wirtschaftsgeschehen und haben einen konjunkturabhängigen Arbeitsmarkt geschaffen. Die lebenslange Bindung der Arbeitnehmer/innen an einen Betrieb nimmt ab, kurzfristige Arbeitsverhältnisse bei wechselnden Firmen nehmen zu und führen zu neuen Normen und Werten in der Arbeitswelt und zur Zersplitterung der Gesellschaft. Die Jugendlichen werden zunehmend als frei verfügbare „Ware Arbeitskraft“ gesehen. Sie fühlen sich einerseits frei aber andererseits auch fremdbestimmt und als – schlecht bezahltes – „Eigentum“ der Betriebe und der Erwachsenen. Sie erleben ihre Kündigung durch den Betrieb in Zeiten der Konjunkturschwäche als soziale Ausgrenzung und Entsolidarisierung der Gesellschaft von oben. Zur Zeit arbeiten ca. 3 Millionen Japaner in Teilzeit und müssen als „working poor“ ihr Leben organisieren. Als Reaktion auf diese Entwicklung nimmt die Identifikation der Jugendlichen mit der Gesellschaft ab, sie verlieren ihre soziale Kompetenz. Als interne Faktoren definiert Herr Sakaguchi: - das Gefühl bei Jugendlichen, den Wertewandel nicht mithalten zu können. Er sieht eine Entwicklung vom „Have to Be” – die Gesellschaft vermittelt den Wert des Habens (Besitz und Geld) – die Jugendlichen entwickeln für sich den Wert des (selbstbestimmten) Seins als Individuum. - Die Erziehungsziele der Eltern werden von den Kindern nicht mehr angenommen, es gibt eine Kommunikationslücke zwischen Eltern und Kindern. Für das Leben der veränderten Werte fehlen die Vorbilder und gesellschaftlichen Muster. Das Wahrnehmen des „Ich als Einzelperson“, die Entwicklung eines Bewusstseins des eigenen Ichs im (An)Erkennen der Unterschiede zu anderen und eine neue Definition der Beziehungen zwischen dem Ich und der Gesellschaft müssen die Jugendlichen alleine bewältigen. - Die durch die Eltern vermittelten Werte und die gesellschaftlichen Anforderungen werden von den Jugendlichen zunehmend als Hindernis für die eigene Entwicklung wahrgenommen. Jugendliche sind im Stadium des „weder – noch“ bzw. des „sowohl - als auch“. Jugendliche bringen die erforderliche gesellschaftliche Toleranz nicht mit. Fehlende Erfahrungen und geringe Hilfestellung durch Erwachsene in diesem individuell erlebten Konflikt können krank machen, führen zu einem Mangel an Durchhaltevermögen und zu Entwicklungsstörungen, wie z.B. zu Schulabsenz und selbstgewählter Isolation zuhause („Einnisten“). Ein weiterer - 26 - Aspekt ist bei steigender Verbreitung der IT-Technik die Gefahr der Vereinzelung vor dem Fernseher oder dem PC. Maßnahmen und Kooperationen In Kooperation der Ministerien für Gesundheit, Arbeit und Wohlfahrt (MEXT) und Wirtschaft, Handel und Industrie wurde vom Kabinett der „Plan für die Selbständigkeit und Herausforderung von jungen Menschen“ mit verschiedenen Maßnahmen beschlossen: - Die Gründung von Schulen zur Reintegration von „Einnistern“ in die Gesellschaft (Wakamono Jiritsu Juku – Schule zur Selbständigkeit junger Menschen), die Einrichtung von „Job-Cafés“ für die verbesserte Arbeitsvermittlung von Jugendlichen, die Einführung der „Job-Card“, erste Ausbildungsgänge im dualen System (ähnlich wie in Deutschland), berufsorientierende Angebote in Elementarschulen und Junior High Schools, Schulalternativen für benachteiligte Jugendliche (Wakamono Jiritsu Juku) und Beratungseinrichtungen. Angesichts der steigenden Zahl von betroffenen jungen Menschen haben sich seit längerem freie Träger gegründet die Angebote für die Reintegration junger Menschen entwickelt und umgesetzt haben. Seit 2003 kooperieren die Behörden mit den freien Trägern und unterstützen deren Arbeit auch finanziell. Nach Meinung von Herrn Sakaguchi kommt das 2003 von der Verwaltung und den Behörden initiierte Programm jedoch zu spät. Darüber hinaus ist die Arbeit der inzwischen vier beteiligten Ministerien leider immer noch von Kompetenzstreitigkeiten geprägt und dadurch behindert bzw. weniger effizient. Das Konzept der Schule Die „Wakamono Jiritsu Juku“, die Schule für die Selbständigkeit junger Menschen, wurde vom Ministerium für Gesundheit, Arbeit und Wohlfahrt (MEXT) gegründet. Das Konzept wurde von England übernommen. Es steht unter dem Motto „Welfare from work - Welfare to work“ (Wohlstand von der Arbeit - Freude an der Arbeit) und arbeitet nach folgenden vier Schlüsselbegriffen: Trust–Learning–Association–Challenge (Vertrauen–Bildung–Gemeinschaft–Wettbewerb) Die Schule nimmt Jugendliche auf, die seit Jahren nicht mehr am öffentlichen Bildungsangebot teilgenommen haben, die seit der Junior Highschool (Ausscheiden meistens im 3. Jahr, kurz vor der Aufnahmeprüfung in die Senior Highschool) nicht mehr zur Schule gehen bzw. keinen Arbeitsplatz suchen. Aufnahme oder Austritt (bei - 27 - Erfolg) sind jederzeit möglich. Das Training an der Schule beruht auf der Stärkung der 3 Säulen: 1. Entwicklung und Festigung einer Tagesstruktur (Wohnen in einer Wohngemeinschaft mit innewohnender Betreuung, Entwerfen und Erproben von Lebensgewohnheiten) 2. Kombination von Lernen und praktischer Arbeit im Betrieb, z. B. Hotel und Gaststätten, für private Auftraggeber oder bei kommunalen Aufgaben, Grünpflege und Wohnumfeld (Test und Profiling zum Erkennen der individuellen Potenziale und Stärken des Einzelnen, Stärkung der Motivation zur Integration in Arbeit und Betrieb). 3. Gezielte Qualifizierung nach Möglichkeit mit der Perspektive der anschließenden Übernahme in Arbeit oder Ausbildung (Stärkung der schulischen Bildung, Absolvierung kleiner Bildungsmodule mit Zertifikat z.B. in der Altenpflege, in der aufgrund der alternden Gesellschaft zukünftig viele Arbeitsplätze entstehen werden, als Helfer im Transport gefährlicher Güter, als Hundeführer u.ä. Nach ca. der Hälfte der Teilnahmezeit von gewöhnlich ca. 3 Monaten (!) können die Jugendlichen mit ihrer Arbeit ein kleines Einkommen erzielen. Folgende didaktische Schwerpunkte bilden den roten Faden der Aktivitäten: - Entwicklung sozialer Kompetenzen durch die Förderung von Beziehungen zu anderen Menschen (gemeinsame Arbeit und gemeinsame Erlebnisse in Gruppenaktivitäten mit Kameraden und Betreuern), Einführung von Ritualen der gegenseitigen Begrüßung und ausgesprochenen Wertschätzung der Arbeit des anderen. - Erlebnispädagogische Angebote und Kontakt zur Natur und zu Tieren (Natur als Lehrmeisterin). Es gibt 30 Einrichtungen dieser Art in Japan, die alle von freien Trägern (Jugendverbände, freie Schulen, Bildungsorganisationen und Einrichtungen der Wohlfahrt für Behinderte) geführt werden. Zur Zeit (2008) nehmen 2.000 Jugendliche das Angebot wahr. Die Nachfrage ist sehr groß, nur ca. 10 % der Anfragen können berücksichtigt werden. Die Angebote werden über Aushänge, Vorträge von Mitarbeitern in den Job-Cafés, über die ca. 100 existierenden psychologischen Beratungsstellen (Support-Stationen) oder über die Jugendberatungshäuser bekannt gemacht. Ein Budget von jährlich 1 Mrd. Yen steht zur Verfügung. Davon werden neben den Bildungskosten nur 50% der Lebenshaltungskosten für die Jugendlichen finanziert. Der Rest wird von den Eltern aufgebracht (Nach unserer Berechnung sind das ca. 650,- Euro/Mon.). Empfänger von Sozialhilfe können dafür einen Kredit beantragen oder vom Staat subventioniert werden. - 28 - Praxiseinblick Es wurde ein 10-min. Film aus dem Jahr 2006 vorgeführt, der die Arbeit mit einigen von zur Zeit 650.000 Jugendlichen „NEET“ (Not in Employment, Education or Training) schildert. Darin werden Interviews und Demonstrationen der praktischen Arbeitsgebiete in der „Wakamono Jiritsu Juku in einer kleineren Gemeinde Japans gezeigt. Die Arbeit der Schule wird vor Ort durch Betriebe, u.a. ein Hotel unterstützt. Es bietet Praktika und Ausbildungsplätze im Bereich des Tourismus an. Die Gemeinde lebt vom Tourismus und bietet den Jugendlichen reale Arbeitserfahrungen in der Öffentlichkeit. 2 Jugendliche berichten von Ihren Lern- und Arbeitserfahrungen („Macht Spaß ist aber anstrengend !“) Die interviewten Betreuer erwähnen, dass auch sie selbst durch den Kontakt mit diesen Jugendlichen wertvolle Erfahrungen machen, die ihre Lebenskompetenz stärken. Die Fortführung des erfolgreichen Konzepts bedarf aber weiterer öffentlicher Finanzierung. Die örtlichen Behörden in der Präfektur unterstützen das Anliegen. Erfolg und Ausblick Wakamono-Schulkonzept: Die Erfolge im 3. Jahr seit Einführung sprechen für sich. Ca. 60% der Jugendlichen haben eine Anstellung in Teilzeit oder Vollzeit gefunden, 87 % der TN insgesamt haben sich verändert (Ende des NEET). Sie haben einen Ausbildungs-, Schul- oder einen Studienplatz (!) gefunden und konnten wieder in die Gesellschaft integriert werden. Eine Vermittlung in weiterführende Angebote wird unterstützt und auch das Coaching im Anschluss an die Integration ist möglich. Ab 2008 soll die Dauer der Teilnahme auf 6 Monate verlängert werden, um die Qualifizierung zu verbessern, z. B. um kleine abschlussorientierte Bildungsmodule zu absolvieren. Zukünftig sollen die Gemeinden verstärkt in die Finanzierung der Schulen eingebunden werden (staatliche Unterstützung wird gekürzt) und die Schulen sollen einen stärkeren Eigenbeitrag erwirtschaften. Schulabschluss: Um die Verfestigung der Problematik der Abkapselung von Jugendlichen zu verhindern, ist auch eine weitere Veränderung des Schulsystems erforderlich. Früher haben schulabsente Jugendliche keinen Abschluss bekommen. Heute gibt es Alternativen, z. B. „Free Space“ (freie Schulräume) innerhalb der regulären Schulen für Kinder mit Schwierigkeiten, freie Schulen als gesonderte Einrichtungen oder die Möglichkeit für die Schüler, ihren Abschluss der Senior Highschool im E-Learning Verfahren zu absolvieren. Ausbildung: Die Gesellschaft sollte mehr Möglichkeiten für eine berufliche Integration der Jugendlichen bieten und die Perspektiven und Nachhaltigkeit des Schulkonzepts stärken. Berufliche Ausbildung findet heute vor allem in großen Betrieben statt, in die ca. 30% der jungen Menschen einmünden. 70% werden von mittelständischen Betrieben eingestellt und erhalten dort im Wesentlichen nur eine - 29 - praktische Ausbildung in der Arbeit. 30% der Angestellten wechseln (oft nach 2-3 Jahren) den Betrieb und müssen selbst für ihre Weiterbildung sorgen. Regionaler Zusammenhalt: Angedacht ist die Gründung einer Interessenvertretung, eines „Netzwerkes von Menschen für Menschen“ als lokale Gemeinschaft in der Gesellschaft (z.B. in einem Wohnumfeld), um zu sensibilisieren, um weitere Vorschläge zu entwickeln und politisch durchzusetzen. In den Sozialräumen, deren Bewohner/innen sich am Konzept des „Achtet aufeinander !“ beteiligen, ist die Jugendkriminalität deutlich zurückgegangen. Fazit: Nicht das Festhalten an den traditionellen Werten der Gesellschaft ist wünschenswert, sondern die Entwicklung einer neuen Kooperation „im Geiste“ ist notwendig. Vorbilder sind dabei Habermas und Taylor (Kommunitarismus und öffentliche Philosophie). Unterstützt werden kann dieser Prozess dabei durch die heute zur Verfügung stehende Informationstechnologie, die den direkten persönlichen und weitweiten Austausch ermöglicht. Meike von Appen Fachvortrag über „Wakamono Jiritsu Juku“ - 30 - Tag 4: „Wakamono Jiritsu Juku“: Yokohama Modern Apprenticeship Center (21.05.2008) Nach dem Fachvortrag von Herr Junji SAKAGUCHI zu dem Projekt „Wakamono Jiritsu Juku“ ist unsere Delegation am Nachmittag nach Negishi gefahren. Dort besuchten wir den freien Träger K2 International Group, der unter anderem das Projekt „Wakamono Jiritsu Juku“ (eine Schule für die Selbständigkeit junger Menschen) im Auftrag des Y-Mac durchführt. Nach der freundlichen Begrüßung der Mitarbeitenden begann unsere Besichtigung der Einrichtung. Als erstes wurden uns die verschiedenen Aufenthaltsräume gezeigt: einmal steht den Jugendlichen ein Computerraum mit Fernseher zur Verfügung. Hier haben die Jugendlichen die Möglichkeit zu arbeiten, im Internet zu surfen und auch ihre Zeit miteinander zu verbringen. Der Raum wirkte sehr freundlich. Das lag mitunter daran, dass an den Wänden verschiedene Plakate mit Fotos hingen, auf denen die zahlreichen Aktionen und Projekte zu sehen war, die mit den Jugendlichen gemacht wurden. Ebenfalls stehen ein Besprechungsraum für Elterngespräche und ein Spielzimmer für die Kinder der Teilnehmer/innen bereit. Hier erhalten die Alleinerziehenden Unterstützung bei der Erziehung ihrer Kinder. Diese Arbeit wird von ehrenamtlichen Helfern geleistet, meistens von älteren Damen, die den Müttern bzw. Vätern mit ihrem Erfahrungsschatz zur Seite stehen. Die nächste Station unserer Besichtigung war eine von mehreren Unterkünften für Jugendliche, die am Programm „Wakamono Jiritsu Juku“ teilnehmen, zwischen 21 und 34 Jahre alt sind. Der älteste Teilnehmer bildete mit seinen 36 Jahren schon eine Ausnahme, auch weil er ungefähr 15 Jahre lang in seinem Zimmer ohne sozialen Kontakt zur Familie oder anderen gelebt hat. Abhängig vom Betreuungszustand der Jugendlichen werden sie in die verschiedenen Heime der Einrichtung untergebracht. Das erste besichtigte Heim war für Jugendliche, die teilweise sich schon selbst versorgen können. Im Erdgeschoss wohnten die Jungs, im oberen Stockwerk waren die Mädchen untergebracht, insgesamt wohnten 14 Jugendliche in diesem Haus. Jedes Zimmer hatte eine Kochund Waschgelegenheit und je nach Belegung und Verfassung eines Jugendlichen wurden die Zimmer auch zu zweit bewohnt. Die Betreuer der Jugendlichen leben selbst nicht in dem Haus, da sie sich soweit stabilisiert hatten. Dieses Haus diente zur schrittweisen Eingewöhnung in die Selbständigkeit der Jugendlichen. Das Mittagund Abendessen gab es jedoch in der Einrichtung. Wenn sich die Selbständigkeit der Jugendlichen weiter verbesserte und gefestigte hatte, zogen die Jugendlichen aus. Die nächste Stufe der Unterbringung war die Rückführung in die Selbständigkeit. Die Jugendlichen versorgten sich komplett selbständig und suchten von dort aus dann eine eigene Wohnung und eine Arbeit. Die Heime von K2 International Group waren bei den Jugendlichen deshalb beliebt, da sie sowohl in der Nähe der Stadt - 31 - waren als auch mitten im Wohngebiet lagen. Diese Art der Umgebung und des Wohnens waren die Jugendlichen gewohnt und boten ihnen somit auch Sicherheit. Danach besuchten wir den Markt von Negishi, der einer Markthalle glich. Die einzelnen Stände lagen nebeneinander an einer kleinen überdachten Straße. Hier hatte die Einrichtung zwei verschiedene Stände, einen kleinen Imbissstand und ein offenen Treff. Der vordere Teil der Marktstraße wurde vor einiger Zeit durch einen Brand zerstört, dadurch verlor die Einrichtung ihren Kaffeestand. Doch diese Katastrophe barg auch etwas positives. Vor dem Brand hatten die Marktbesitzer und Anwohner eine eher ablehnende Haltung gegenüber den Jugendlichen, die anscheinend nicht arbeiten „wollen“. Sie zeigten eher wenig Verständnis für die schwierige Situation der Jugendlichen. Doch als es nach dem Brand um die Beseitigung des Schutts ging, halfen die Jugendlichen tatkräftig mit, dadurch konnte kostengünstig der Schutt beseitigt und somit Geld gespart werden. Diese gemeinsame Aktion bot den Standbesitzern und Anwohnern die Gelegenheit, ihre Meinung über die Jugendlichen zu revidieren. Das Verständnis und Vertrauen wurde größer und die Jugendlichen hatten auch die Möglichkeit, sich in die Gemeinschaft einzuleben und den Umgang mit fremden Menschen zu üben. Es wurde ein neuer Stand aufgemacht, der ein offener Treff ist. Hier kommen die Elementarschüler hin und die Jugendlichen der Einrichtung betreuen die Kleinen bei den Hausaufgaben oder spielen mit ihnen. Der im 2. Stock mit Tatamimatten ausgelegte Raum dient als Aufenthaltsraum und zum Tee trinken. Nachdem wir die leckeren selbstgebackenen Kekse verköstigt hatten, wurden wir zu einem weiteren Heim geführt. Betreuer des Wakamono Jiritsu Juku am Imbissstand des Projektes auf dem Markt Negishi - 32 - Die Jugendlichen, die in dieser Wohngemeinschaft untergebracht waren, benötigten eine engmaschige Betreuung. Es waren schwere Fälle, die entweder psychisch oder emotional schwer gestört waren und Medikamente brauchten. Die Betreuer lebten mit den Jugendlichen in einem Haus. Im ersten Stock befanden sich der Gemeinschaftsraum, Küche, Bad und Wohnzimmer. Im 2. Stock waren die Zimmer der Jugendlichen und der Betreuer. Das besondere daran war, dass die Betreuer mit den Jugendlichen ein Zimmer teilten und der Arbeitsrhythmus der Betreuer sehr intensiv war: sie waren eine Woche lang für 24 Stunden Ansprechpartner und Betreuer der Jugendlichen! Die Betreuer wechselten sich ab und sprachen sich auch untereinander zwecks Freizeitgestaltung ab. Falls alle drei Betreuer nicht konnten, z.B. wegen einer Sitzung, kam ein ehrenamtlicher Helfer für die Zeit, um die Jugendlichen zu beaufsichtigen. Insgesamt lebten in dem Haus 13 bis 14 Jugendliche mit insgesamt 3 verantwortlichen Betreuern (2 Männer und 1 Frau). Ein Wohnprinzip in diesem Haus war beispielsweise, dass die Gemeinschaftsräume immer sauber zu sein hatten. Die Betreuer erstellten den Putzund Arbeitsplan unter Berücksichtigung der Fähigkeiten der Jugendlichen, damit auch gewährleitstet werden konnte, dass alles gemacht wurde. Dafür wurde das Zimmer der Jugendlichen nicht kontrolliert. In einem Zimmer lebten insgesamt vier Jugendliche mit ihrem Betreuer! Das hatte uns in ziemlich große Verwunderung versetzt. Wir nahmen an, dass die Betreuer ihre eigene Zimmer im Haus hatten, doch dem war nicht so. Im Erdgeschoß gab es auch ein Tatamizimmer, dies war das Arbeitszimmer des Vorgesetzten, der auch teilweise dort schlief. Nach der Besichtigung hörten wir dann zum Abschluss einen Vortrag über die Einrichtung K2 International Group. Die Arbeit begann vor 20 Jahren. Es gab eine kleine Gruppe von freien Trägern, die unter anderem das Ziel verfolgten, schulabsente Schüler zu unterstützen. Die heutige K2 International Group lässt sich in 6 Organisationen gruppieren mit einer schulischen Außenstelle der „Yoyogi Senior High School“. Im folgenden werde ich kurz die Tätigkeitsbereiche der Untergruppen skizzieren. Beginnend mit der K2 International Japan Co: Hier werden verschiedene Unterstützungsprogramme für junge Menschen angeboten, beispielsweise Hilfestellung bei der Stellensuche oder beim alternativen Auslandsstudium. Des weiteren die „Wakamono Jiritsu Juku“ und das Y-MAC Yokohama Modern Apprenticeship Centre. Unter dem Bereich K2 Food Service Ltd. werden die selbständige Gastronomieangebote zusammengefasst wie das Okonomiyaki Columbus in Negishi und in Konandai, das Don Cafe HAMA Market und die Imbissbude. Hier haben die jungen Menschen die Möglichkeit zu arbeiten, um unter anderem Anerkennung zu erfahren. Die gemeinnützige Organisation Columbus Academy bietet unter anderem Beratung, das Besuchsangebot „Mental Friend“, die gemeinsame Unterkunft Hamacolo und einen „Raum für Dich“ in Geborgenheit für Kinder an. Soziale Unterstützungsprogramme für erwerbslose junge Menschen, die Unterkunft „Group Home“, eine Werkstatt und den Verkaufsladen liegen im Aufgabenfeld der gemeinnützigen Organisation Human Fellowship. In Australien und Neuseeland gibt es zwei weitere Stellen der K2 Group. Hier haben die Jugendlichen die Möglichkeit, - 33 - ins Ausland zu gehen, um ein Auslandsstudium oder die Schule zu absolvieren. An dieser Stelle möchte ich auf die Betreuung, die den Jugendlichen in dieser Einrichtung zu gute kommt, beschreiben. Junge Menschen, die Schwierigkeiten haben zu arbeiten werden auf individuelle Art unterstützt. Der erste Schritt ist ein Wohnumfeld in Geborgenheit ihnen zu geben, damit sie dementsprechend professionell seelisch betreut und stabilisiert werden können. Die Vermittlung und das Aneignen von Grundlebensgewohnheiten ist ein weiterer Baustein, der bei der Arbeit mit den Jugendlichen eine wichtige Rolle spielt. Das Ziel soll ein Aufbau von Kameradschaft zwischen den jungen Menschen sein, die Schwierigkeiten haben im Umgang mit anderen Menschen. Die Organisation bietet verschiedene Arbeitsfelder an, in denen die Jugendlichen sich betätigen können und individuelle Unterstützung erfahren. Dadurch kann die Eignung jedes Einzelnen festgestellt werden und ist bei der weiteren Betreuung hilfreich. Das Ziel ist, dass die Jugendlichen vermittelt werden. Entweder in einen Teilzeitjob, befristete Arbeit oder in eine Vollbeschäftigung. Wenn die Jugendlichen selbständig arbeiten, können sie trotzdem, falls erwünscht, weiter von der Einrichtung betreut werden. An dieser Stelle werden die Besonderheiten des Projektes „Wakamono Jiritsu Juku“ beschrieben. Das Projekt ermöglicht erstmals eine Zusammenarbeit zwischen den Ämtern für Kindheit, für Jugend und für Erwachsene. Zuvor gab es keine Zusammenarbeit zwischen diesen, da in Japan der Datenschutz einen sehr hohen Stellenwert hat und somit einen Austausch verhindert hatte. Durch diese Zusammenarbeit ist nun eine Förderung aller möglich. Die Kosten für eine Teilnahme an der „Wakamono Jiritsu Juku“ werden zu 50% vom Staat übernommen. Diese Förderung ist bis jetzt in Japan einmalig! Wie kam es zu diesem Schritt? Zum einen sind die Beiträge in die Rentenkasse rückläufig gewesen, bedingt durch eine geringe Geburtenrate. Ein weiteres Phänomen kam hinzu: der Beratungsbedarf in den Beratungsstellen stieg stark an. Deshalb war der Staat gezwungen, entsprechende Maßnahmen zu ergreifen. Bevor weitere Schritte unternommen werden konnten, bedurfte es einer Begriffsbestimmung. Vor 20 Jahren wurde das Phänomen von Schülern, die nicht zur Schule gingen, als „einkapseln“ bezeichnet. Betraf also die Junior und die Senior High School Schüler. Doch die „sich einkapselnden Kinder“ sind älter geworden. Deshalb wurde der Begriff „soziale Einnister“ amtlich eingeführt. Dieser Begriff beschreibt die Verschärfung des Phänomens „Einkapseln“, da ein bis zu völliges Zurückziehen stattfindet. Es wird dann von „Einnisten“ gesprochen, wenn länger als 6 Monate kein Kontakt zu anderen besteht, außer mit der Familie. Mit dem Projekt „Wakamono Jiritsu Juku“ soll die Integration in die Arbeitswelt gefördert werden. Leider gibt es in der japanischen Gesellschaft viele Vorurteile, welche diese Unterstützung der jungen Menschen betrifft. Ein altes japanisches Sprichwort heißt: „Wer nicht arbeitet, darf nicht essen!“. Deshalb sind über der Hälfte der Japaner gegen die finanzielle Förderung. - 34 - Im Falle des Projektes ist die staatliche finanzielle Unterstützung auf max. 3 Monate Maßnahmenlaufzeit befristet. Die anderen 50% übernehmen in den meisten Fällen die Eltern, denen es ein großes Anliegen ist, dass ihre Kinder wieder ein Teil der japanischen Gesellschaft werden. Doch die Erfahrung zeigt, dass die Laufzeit von 3 Monaten zu kurz ist, um den jungen Menschen die Unterstützung zukommen zu lassen, die sie dringend benötigen. Das bedeutet, dass nach den drei Monaten die Kosten komplett selbst zu tragen sind. Die Hinführung zur Selbständigkeit dauert eigentlich zwischen 6 – 12 Monate. Die K2 Group hat eine Vermittlungsquote von 70%! Lange Zeit waren die gesellschaftlichen Probleme tabuisiert. Zu dieser Zeit gab es kaum Unterstützung von schulabsenten Kindern. Doch jetzt haben endlich die Behörden das Problem erkannt und streben eine Zusammenarbeit mit den freien Trägern an. Es gibt erst seit 5 Jahren eine finanzielle Unterstützung von freien Trägern. 1999 wurde erst ein Gesetzt für die NGO´s (bzw. NPO – Non Profit Organizations) in Japan erlassen, die K2 Group besteht schon seit 1989. Nach diesen vielen Eindrücken und Informationen beschlossen wir unseren Tag im Okonomiyaki-Laden. Ein ehemaliger Teilnehmer der „Wakamono Jiritsu Juku“ ist der Geschäftsführer des Restaurants. Hier gingen wir dann in den entspannten und lustigen Teil unseres Tages über. Neben den vielen kulinarischen Köstlichkeiten, die wir verköstigen durften, und dem leckeren Bier hatten wir hier die Gelegenheit, drei Teilnehmer und die Mitarbeiter des Projektes kennen zu lernen. Es wurde zu einem unvergesslichen Abend, der leider viel zu früh endete. Liane Hagelauer Okonomiyaki-Laden des Wakamono Jiritsu Juku - 35 - Tag 5-9: National Ozu Youth Friendship Center (22.-26.05.2008) Im oben genannten Zeitraum sind wir auf die Insel Shikoku in die Präfektur Ehime gereist. Während dieses Aufenthaltes haben wir verschiedene Programmpunkte wahrgenommen. Unsere Unterbringung erfolgte, bis auf die Übernachtung bei einer Gastfamilie, im „National Ozu Youth Friendship Center“ (OFC). Der Empfang im OFC wurde getragen von einer großen Herzlichkeit. Dies drückte sich zum Beispiel durch ein eigens für uns gemaltes Plakat aus, welches bei unserer Ankunft von Jugendlichen und Mitarbeitern des OFC präsentiert wurde. Diese Herzlichkeit zog sich durch unseren gesamten Aufenthalt auf Shikoku hindurch. Besonderer Dank gebührt in diesem Zusammenhang Herrn Takashi Sonoda, der die Planung für die verschiedenen Programmpunkte während des Aufenthalts in der Präfektur Ehime übernommen hatte und uns während unseres gesamten Aufenthaltes auf Shikoku begleitete. Während der Unterbringung hatten wir die Gelegenheit, einen Einblick in die Arbeit des OFC zu bekommen. Das OFC besteht seit 1974 und liegt an einem Berg der Stadt Ozu oberhalb des Hijikawa Flusses. Die Schwerpunkte der Arbeit des OFC wurden immer wieder an die Bedürfnisse der Jugendarbeit angepasst, die letzte Reorganisation hat im April 2006 stattgefunden und bildet seitdem das derzeitige Programmangebot. Eine Einführung über die Angebote des OFC bekamen wir ebenfalls durch Herrn Sonoda, der zurzeit Chief Programm Director des OFC ist. Herr Sonoda ist Elementarschullehrer und seit 10 Jahren in der Jugendarbeit tätig, für die Dauer von 3 Jahren ist er abgeordnet für den Aufgabenbereich beim OFC. „National Youth Friendship Center“ wie in Ozu gibt es über ganz Japan verteilt, sie stehen alle in Verbindung mit dem „National Institution for Youth Education“ (NIYE) mit Sitz in Tokyo, welches als Dachorganisation fungiert und dem Ministry of Education, Culture, Sports, Science & Technology (MEXT). Das OFC verfügt zur Zeit über 22 Mitarbeiter, wovon einige wie Herr Sonoda abgeordnet sind, andere wiederum sind direkt beim OFC angestellt. Das Angebot des OFC untergliedert sich in vier Bereiche: 1. Originalprogramme (Standardangebote) 1.1 Ausbildung von Leaders (Gruppenleiter, Betreuer usw.) Hier werden Betreuer für verschiedene Bereiche in der Jugendarbeit ausgebildet, zum Beispiel für den Bereich der Erlebnispädagogik oder Projekten, die Arbeiten in der Natur beinhalten. Ein Fokus liegt hier sowohl auf dem pädagogischen Bereich der Gruppenarbeit als auch auf der Organisation und der Gestaltungsmöglichkeit solcher Projekte. - 36 - 1.2 Unterstützung zur Selbständigkeit In diesem Bereich gibt es verschiedene Projekte für z. B. „Einnister“ , schulabsente Jugendliche und Jugendliche mit Lernschwächen. Im OFC ist die „Ozu Fureai School“ angesiedelt, die sich z. B. mit diesen Zielgruppen beschäftigt. Ergänzend dazu gibt es Lehrgänge zur Erziehungsberatung (für Eltern) und Lehrgänge für ehrenamtliche Helfer usw. 1.3 Programm mit traditionellen Kulturen Unter diesem Programmpunkt werden Erlebnispädagogik mit Teilen traditioneller Kulturen verbunden. Die Gruppen erarbeiten z. B. wie die Dorfbewohner in der Edo Zeit gelebt haben oder es werden Kanutouren am Fuß der Berge durchgeführt, wobei während der Kanutour auf die Historie von Ozu und die Bedeutung des Flusses für die Region eingegangen wird. 2. Förderung von Kontaktaufnahme und Zusammenarbeit Das OFC sieht sich als Bindeglied zwischen verschiedenen Organisationen und versucht hier die Kontaktaufnahme und Zusammenarbeit zu erleichtern und zu unterstützen z. B. zwischen dem Shikoku Youth Forum und dem Verband der Vereinigung junger Menschen in 4 Präfekturen von Shikoku. Oder auch zwischen den Betreuern für den Bereich „traditionelle Kultur in der Iyo-Region“ und der Universität Ehime usw. 3. Studien Das MEXT legt zur Zeit Wert auf eine stärkere Einbindung der Elementarschulen im Bereich der Erlebnispädagogik, daher arbeitet das OFC an einem Programm zur Gestaltung von entsprechenden Aktivitäten. Bisher sind die Verweildauern der einzelnen Gruppen zwischen 2 bis 3 Tage, dies soll in der nächsten Zeit ausgeweitet werden. Das OFC übernimmt diesbezüglich die Planung, die Ausbildung der Betreuer und erhebt die Ergebnisse positiver und negativer Veränderungen durch einen längeren Aufenthalt in der Einrichtung, um dann ggf. im Bereich der Angebotsstruktur oder der Ausbildung von Betreuern nachsteuern. Die Ergebnisse werden dann an das MEXT weitergeleitet. 4. Unterstützung der Lehrgänge und Programme anderer Gruppen Im Jahr 2007 zählte das OFC insgesamt 125.069 Besucher. Diese setzten sich zusammen aus Kinder- und Jugendgruppen verschiedenster Organisationen, Schülern der Junior High School, der Senior Highschool, der Elementarschulen und weiteren Organisationen wie Unternehmen, sonstige Schulen, Familiengruppen usw. Den größten Anteil hatten daran die Kinder- und Jugendgruppen mit insgesamt ca. 50.000 Teilnehmern - 37 - Das OFC hat zur Zeit ca. 40 verschiedene Angebote, einen Schwerpunkt bildet hier das Kanufahren unter Anleitung, dies bedingt sich durch die gute Lage zum Hijikawa Fluss, auf welchem man optimale Voraussetzungen für das Kanufahren findet. Des weiteren gibt es: Freeclimbing, Stadtrallye, Kendo, Fahrradtouren, Tee-Zeremonie usw. Es gibt Angebote mit ausgebildeten Fachleuten z. B. für die Kanufahrten. Diese können dann sowohl mit den Lehrern zusammen, als auch ohne Lehrer durchgeführt werden. Der Aufenthalt im OFC ist für Schulklassen kostenlos, einzig die Verpflegung in der hauseigenen Mensa muss bezahlt werden. Andere nichtschulische Gruppen zahlen ca. 250 Yen (entspricht ca. 2€) pro Tag und Kopf Benutzungsgebühr, hinzu kommt noch Verpflegung, Bettwäsche usw. Im letzten Jahr sind die Zahlen der Schulgruppen leicht zurück gegangen, man vermutet, dass dies mit einer Änderung der Überstundenvergütung von Lehrern zu tun hat. Insgesamt stehen im OFC 400 Betten zur Verfügung, hier gibt es sowohl 4-Bett-Zimmer, als auch kleine Schlafsäle. Am ehesten könnte man diese Einrichtung wohl mit einem „Schullandheim“ vergleichen, wobei das Betreuungs- und Bildungsangebot in Japan bei weitem größer ist als in einem deutschen Schullandheim. „Morgenappell“ Am 23.05. hatten wir als deutsche Delegation noch die Ehre, an einem für die Friendship Center üblichen Morgenappell teilzunehmen. Der Morgenappell und Abendappell wird in allen Youth Friendship Centern durchgeführt, einzige Ausnahme bildet hier das Friendship Center in Tokyo (National Olympics Memorial Youth Center – NYC). Um 6:30 Uhr wird man durch Musik aus Lautsprechern einer Sprechanlage geweckt. Es folgt eine Begrüßung über den Lautsprecher und man wird an den Morgenappell erinnert, welcher um 7:00 Uhr stattfindet. Zum Morgenappell versammeln sich die Schüler, Lehrkräfte und Gruppen auf dem Sportplatz, bei Regen findet der Appell in der Turnhalle statt. Beeindruckend bei dieser Zusammenkunft war vor allem die große Disziplin, welche die Jugendlichen aus verschiedenen Altersgruppen an den Tag legten. Die einzelnen Personen stellten sich in Reihen und Gruppen auf, mit Blick auf Herrn Sonoda, der sich an einer Seite des Sportplatzes mit einem Mikrofon bereithielt. Um 7:00 Uhr begrüßte Herr Sonoda alle Anwesenden, dann ertönte aus den Lautsprechern Klaviermusik und Anweisungen zu Leibesübungen, die stark an Turnvater Jahn erinnerten. Die Übungen wurden von Herrn Sonoda, mit dem Gesicht zu den Gruppen, vorgeturnt - 38 - und von den Gruppen nachgeturnt. Diese Leibesübungen erstreckten sich über ca. 5 Minuten und wurde sehr diszipliniert durchgeführt. Danach wurde zur japanischen Hymne die Nationalflagge und die Flagge des OFC gehisst. Dann trat je ein Vertreter aus den Gruppen vor und begrüßte die anderen Gruppen. Auch die deutsche Delegation konnte sich kurz vorstellen und entmystifizierte den Aufenthalt der ungewöhnlich aussehenden Europäer im OFC etwas, denn für die Jugendlichen war die Delegation schon etwas sehr außergewöhnliches. Am Ende des Morgenappells fanden sich die verschiedenen Gruppen noch mal zusammen, um vor dem Frühstück den Tagesablauf durchzusprechen. In der Nachschau wurde der Morgenappell von einzelnen Delegationsmitgliedern mit den Riten der Schulzeit in der DDR verglichen. Tatsächlich hat er einen leicht paramilitärischen Eindruck hinterlassen. Zudem ist das Hissen der Nationalflagge in Japan ein sensibles Thema, da Japan ähnlich wie Deutschland im Krieg schon als Aggressor aufgetreten ist. Ursprünglich war geplant, auch am Abendappell teilzunehmen, dies war jedoch wegen einer Terminüberschneidung nicht möglich. Stephan Heinicke Im Speisesaal des National Ozu Youth Friendship Center - 39 - Tag 6: Fachvortrag an der Universität von Ehime (23.05.2008) „Förderung der Partizipation von Jugendlichen an Schulen und im Sozialraum“ Referent: Satoshi Shiramatsu (Associate-Professor / Universität Ehime) Die Universität von Ehime: Die Universität liegt im Stadtgebiet von Matsuyama, der größten Stadt mit ca. 500 000 Einwohnern auf der Insel Shikoku. Die Universität wurde im Mai 1949 gegründet, sie hat sich sehr schnell positiv entwickelt und gehört heute zu den 20 besten staatlichen Universitäten in Japan. An der Universität studieren ca. 10 000 Studenten in den Bereichen Rechtswissenschaft, Erziehungswissenschaften, Naturwissenschaften, Medizin, Ingenieurwissenschaften und Agrarwissenschaften. Ferner beschäftigt die Universität ca. 2000 Mitarbeiter sowohl im akademischen als auch im administrativen Bereich. Zum Vortrag von Prof. Shiramatsu Der Referent Satoshi Shiramatsu hat an der Universität von Hiroshima zunächst Pädagogik studiert, anschließend in Erziehungswissenschaften promoviert. Seine erste Dozentenstelle trat er an der Tokushima Bunri Universität im Bereich Literaturwissenschaften an, nach 3 Jahren wechselte er zur Universität von Ehime als Assistenz-Professor für Erziehungswissenschaften. Herr Shiramatsu hat in den Jahren 1997-2007 in der einschlägigen Fachliteratur mehrere Artikel und Aufsätze zu den Themen „Jugendkultur“ und „Erziehungswissenschaften“ veröffentlicht. Sein Forschungsschwerpunkt ist die Drogenproblematik unter Jugendlichen, des Weiteren gilt er auch als Experte für Delinquenz und Fachmann für Benachteiligtenförderung von psychisch kranken Jugendlichen. In seinem Referat geht es um präventive Maßnahmen in der Benachteiligtenförderung, bezogen auf eine Provinzstadt in der Präfektur Ehime. Ausgangspunkt seiner Darlegungen ist eine Untersuchung aus dem Jahr 2002, die die Situation von Jugendlichen im NEET-Zustand (nicht in Arbeit, Ausbildung oder in einem Trainingsprogramm) im Alter von 15-34 Jahren zum Thema hat. Die Untersuchung kommt zu folgendem Ergebnis: in Japan gibt es ca. 850 000 Jugendliche (oft „Einnister“: psychisch kranke Jugendliche, die außerhalb des Elternhauses keine sozialen Kontakte mehr haben) im NEET-Zustand, davon leben etwas 10 500 in der Präfektur Ehime, das sind ca. 3% der Gesamtbevölkerung - die fünftschlechteste Bilanz in Japan. Bezogen auf die Arbeitslosenquote im Alter von 15-24 Jahren weißt diese Untersuchung für diese Region mit 16,3% die drittschlechteste Arbeitslosenquote in Japan nach. Eine Befragung der arbeitslosen Jugendlichen hat gezeigt, - 40 - dass 80% der Befragten eine Beschäftigung anstreben. Eine Untersuchung, die die Entwicklung der schulabsenten Kinder in der Grundschule in den Jahren 2002-2007 verfolgt, kommt zu dem Ergebnis, dass in dieser Zeit die absolute Zahl der Schulabsenten leicht abgenommen hat. Allerdings ist die Quote insgesamt nicht wesentlich besser, weil auch die Kinderzahl in Japan als Ganzes abgenommen hat. Im Jahr 2007 steigt die Zahl der schulabsenten Kinder sogar wieder leicht an. In absoluten Zahlen ausgedrückt bedeutet dies, dass im Durchschnitt etwa 2 Schüler pro Klasse wegen Schulabsenz nicht am Unterricht teilnehmen. Insbesondere der schulpsychologische Dienst versucht mit familientherapeutischen Maßnahmen, zur Verringerung der Schulabsenz beizutragen. Dies gelingt aber nur dort, wo dem schulpsychologischen Dienst auch die Fälle bekannt sind. Als besonders problematisch gilt das 2. Jahr in der Junior High School, hier ist insbesondere die Zusammenarbeit zwischen Lehrern und schulpsychologischem Dienst noch zu verbessern. In erster Linie werden hier datenschutzrechtliche Gründe für die mangelnde Kommunikation angeführt. Laufende Maßnahmen in der Provinzstadt von Ehime Maßnahmen durch Verwaltung und Behörden zur Unterstützung der „Einnister“, NEET- und schulabsenten Jugendlichen. Durchgeführt durch Ai-Work („Job-Cafe“), die Ministerien der Präfektur Ehime sowie die „Ehime Support Station“: • Job-Training, z. B. Verkaufstraining im Kaufhaus • Training zur Förderung der Selbständigkeit • Betriebspraktika, Betriebsbesuche, Softskills-Training, Job-Training • Beratungsangebote im Zentrum für Erziehung und Bildung (Ausschuss für Bildung und Erziehung der Präfektur Ehime). Diese Beratungsangebote sind für Familien kostenfrei. • Zentrum für Entwicklung und Behinderungen der Präfektur Ehime. Das Zentrum ist relativ neu, Professor Shiramatsu von der Universität ist gleichzeitig Leiter des Zentrums. • Freie Träger, die Beratung gegen Bezahlung anbieten. • Kurse zur Anpassungsförderung an öffentlichen Schulen, einschließlich der Ozu Fureai School. Derzeit gibt es 12 Einrichtungen. Diese bieten lebenspraktische Erziehung und sozial-kommunikatives Training an. Im Unterstützungsplan für die Jugend von Ehime werden Maßnahmen für NEETJugendliche festgelegt. - 41 - Aufbau eines Netzwerks: • „Ehime Wakamono Support Station“ zur Integration von NEET- Jugendlichen durch ehrenamtliche Tätigkeiten für die Gesellschaft („Dog-sitting“) • Sensibilisierung der Gesellschaft für die Unterstützung der NEET-Jugendlichen, Durchführung von Beratungs- und Aufklärungsarbeit. Förderung der Selbständigkeit in der Gesellschaft • Erfassen und Führen von unterstützungsbedürftigen Jugendlichen • Förderung des Erwerbs der grundlegenden sozialen Kompetenz und der positiven Einstellung zur Arbeit. • Unterstützung für Eltern von NEET-Jugendlichen Problemstellungen • Kinder im Grundschulalter sind auf die Unterstützung der Eltern angewiesen, z. B. Begleitung der Kinder auf dem Schulweg • Die Beratung und die Kontaktaufnahme von langfristigen „Einnistern“ ist sehr schwierig • Durch die Haushaltlage und die finanzielle Ausstattung der Präfektur fehlt es zum Teil an Beratungs- und Unterstützungsmöglichkeiten und am Personal • Große Konzerne und Betriebe könnten sich unterstützend engagieren, da sie die finanziellen Ressourcen haben. Es fehlt ihnen aber an Problembewusstsein • Kleine und mittelgroße Betriebe erkennen zum Teil die Problematik, haben aber nicht die finanziellen Mittel, um helfend eingreifen zu können. • Es gibt große regionale Unterschiede zwischen den Ballungszentren Tokyo und Osaka sowie den ländlichen Provinzen, was die Wirtschaftskraft der Regionen und damit auch die Arbeitslosigkeit betrifft Unterstützung zur Integration in Arbeit / Ausbildung Die Beschäftigungslandschaft in Japan hat sich in den letzten Jahrzehnten verändert. Nicht jeder Arbeitnehmer verbleibt lebenslang in „seiner“ Firma. Es werden Menschen entlassen oder Stellen neu angetreten. Deswegen ist eine breitere Qualifikation für den Arbeitnehmer wichtig. Ein flexibleres Reagieren am Arbeitsmarkt durch den Arbeitnehmer ist gefragt. Die Mobilität hat deutlich zugenommen in allen Bildungsschichten und wird auch in der japanischen Gesellschaft immer weniger als negativ erlebt. Berufliche Beratung wird aus diesem Veränderungsprozess heraus als zunehmend wichtiger über alle Schulformen hinweg erlebt. Es kommt auch zu einem verstärkten Einsatz von „ehrenamtlichen Beratern“. - 42 - Pensionäre berichten Schülern von ihrer früheren Berufstätigkeit, treten somit als nachahmenswerte Vorbilder auf. Auflistung einiger aktueller Maßnahmen zur verstärkten Integration in Arbeit 1. Reibungsloserer Übergang in die einzelnen Bildungssysteme. • Zusammenarbeit mit „Job-Cafe Ai-Work“ (vergleichbar mit unserer Berufsberatung in der Agentur für Arbeit) • Durchführung von Praktika, zeitlich befristete Arbeitsverhältnisse, Anstellung auf Probe • Durchführung einer Berufsausbildung, bisher oft „training on the job“ • Unterstützung der Beschäftigung in der Landwirtschaft 2. Nach der Anstellung: attraktive Gestaltung des Arbeitslebens und weitere berufliche Qualifizierung 3. Förderung der Vielfältigkeit und des Neuanfangs im Arbeiten Erfahrungen aus dem National Ozu Youth Friendship Center Schulabsenz hängt häufig mit dramatischen Schulerlebnissen zusammen. 1. Ozu Fureai School Die Jugendlichen haben intensiven Kontakt mit sehr problembewussten, einfühlsamen Pädagogen. Mit der Zeit wächst gemeinsames Vertrauen, die Jugendlichen fangen an, sich zu öffnen und nehmen sowohl schulische als auch freizeitpädagogische Angebote wahr. Das Alter der Teilnehmer liegt zwischen 15 und 30 Jahren. Die jungen Menschen haben ausreichend Zeit, ein tragfähiges Vertrauensverhältnis aufzubauen und ihr Verhalten zu ändern. „Sie müssen nicht schnell erwachsen werden, aber sie können sich überlegen, wie es wäre, erwachsen zu sein“. Im ersten Jahr erhalten sie Beratung und schulische Nachhilfe, im zweiten Jahr haben sie verstärkt Kontakt mit unterschiedlichen Erwachsenen, im dritten Jahr werden sie an lebensfrohen Freizeitprojekten beteiligt. Sie können den Alltag der „Edo-Zeit“ kennen lernen, sie werden mit der japanischen Geschichte vertraut gemacht, auch um die Gegenwart bewusster zu erleben. Mit der Zeit wird auch verstärkt Kontakt mit außerschulischen Einrichtungen aufgenommen, z. B. freien Trägern oder sozialen Projekten im Wohnumfeld. Speziell in den sozialen Projekten des Wohnumfeldes haben die Jugendlichen die Möglichkeit, negative Lebensläufe, auch die Lebensläufe von negativen - 43 - „Vorbildern“, aufzuarbeiten, um neuen Mut für die Aufgaben der Zukunft zu entwickeln. Jugendliche können den Teufelskreis des stetigen Misstrauens gegenüber den Erwachsenen und der Gesellschaft durchbrechen. Über die Kontaktaufnahme mit offenen, einfühlsamen und vertrauenswürdigen Menschen entsteht somit eine neue gesellschaftliche Bindung („social bound“). 2. Gemeindehäuser Es gibt verschiedene Projekte in Gemeindehäusern, die Nachhilfe, Sport- und Kulturangebote anbieten. Hier engagieren sich auch ältere Menschen aus der Gemeinde im Rahmen eines Multigenerationsaustausches. Ergänzende erzieherische Angebote dienen zur Vorbeugung, damit es gar nicht erst zu Schulabsenz und “Einnisten“ kommt. 3. Junior High School Matsuyama Hier handelt es sich um ein Projekt an der Junior High-School der Stadt Matsuyama. Aufgrund der erhöhten Mobbing-Gefahr wurde ein „Null-Mobbing-Projekt“ ins Leben gerufen, das durch die Eigeninitiative der Schüler entstanden ist und überwiegend praktische Angebote zur Prävention enthält. Schüler, Lehrer, Studenten, Eltern engagieren sich im Wohnumfeld und unterstützen die emotionale Entwicklung und die Integration in die Gesellschaft. Aber auch an der Schule selbst werden präventive Erziehungsmaßnahmen angeboten, wie z. B. Konfliktbearbeitung, Streitschlichtung und gemeinsame „Planspiele“, in denen insbesondere die Gemeinschaft und die Teamentwicklung gefördert werden sollen. Dies kann aber nur den Anfang darstellen. Insbesondere um die Aktivitäten außerhalb der Schule zu stärken, sind mehr ehrenamtliche Helfer notwendig, ebenso die Stärkung und Weiterentwicklung der Netzwerke. Christoph Emrich Fachvortrag an der Universität Ehime - 44 - Tag 6: Free space „Noraneko-Gakkan“ (23.05.2008) Um es gleich vorweg zu nehmen, der Besuch beim Freien Träger im „Noraneko-Gakkan“ (zu Deutsch Straßenkatzen-Haus) gehörte für uns zu den emotionalsten Begegnungen unserer Japanreise. Und nach zweimonatigem Abstand kommen uns die Erlebnisse im „Katzenhaus“ umso mehr wie ein Märchen vor: „Es war einmal eine Frau, die hieß Shimako SHIOMI, sie war unglaublich vitale 76 Jahre alt und lebte auf der wunderschönen japanischen Insel Shikoku im Pazifischen Ozean. Frau SHIOMI arbeitete lange Jahre als Lehrerin. Als zwei ihrer vier Kinder starben, wechselte sie zu einer Sonderschule für Behinderte, um ihre Trauer aufzuarbeiten und ihrem Leben einen neuen Sinn zu geben. Dort arbeitete sie 12 Jahre lang und als sie mit 57 Jahren in Pension ging, verwirklichte sie sich ihren Traum: Sie kaufte von ihrer Pensions-Abfindung ein Haus mit Grundstück und öffnete es für Menschen mit Behinderung oder anderen Benachteiligungen. Den Nachbarn gefiel das gar nicht. Sie schauten voller Vorurteile und Argwohn auf das Haus. Aber im Laufe der Jahre erkannten diese Menschen den „guten Geist“ des Hauses. Da das „Straßenkatzen-Haus“ von den Reichen keine finanzielle Unterstützung bekommt, musste Frau SHIOMI einen anderen Weg finden, um Geld zu verdienen. Seitdem organisiert sie in ganz Japan als Referentin ca. 200 Veranstaltungen im Jahr, auf denen sie anderen Menschen den Umgang mit Behinderten vermittelt. Denn Frau SHIOMI ist der festen Überzeugung, dass ein Jeder dazu bestimmt ist, für Jemanden auf der Welt da zu sein. Diese Überzeugung teilen mittlerweile viele Menschen und unterstützen ihre Arbeit ehrenamtlich. Besonders ihre Tochter, die Ballett-Unterricht gibt, ist eine große Hilfe. Und an jedem Wochenende treffen sich in ihrem Haus Menschen zwischen 9 und 50 Jahren, um gemeinsam zu tanzen und zu lachen und ihre Freude zu teilen. Und wenn sie nicht gestorben sind …, leben sie noch ewig glücklich und zufrieden miteinander.“ Während unseres Besuches sagte Frau SHIOMI: „Menschen leben mit und von ihrem Traum.“ Wir durften eine außergewöhnliche Frau kennen lernen, die voller Energie, humorvoll und selbstlos ihren Traum auf so wunderbare Weise wahr gemacht hat. Frau SHIOMI zeigte uns, dass nur Geld allein nicht glücklich macht, sondern für sie bedeutet Glück, ihr Leben lang mit Menschen zu arbeiten, sie emotional zu - 45 - berühren und zum Strahlen zu bringen. Dass ihr das gelingt, spürten wir während ihrer äußerst berührenden Schilderungen über ihr Leben und ihre Berufung und unserer Abendbegegnung im „Straßenkatzenhaus“. Gemeinsam mit ca. 30 Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen, von denen die Hälfte Behinderungen durch Autismus, Down-Syndrom, Lähmungen und aggressiven Verhaltensauffälligkeiten gezeichnet war oder zu den „Einnistern“ gehörten, tanzten wir ausgelassen im Kreis. Zum Abschluss gab es Tee, selbstgebackenen Kuchen und für alle Geschenke. Noraneko-Gakkan: links Frau Shiomi, rechts Frau Iwama (Dolmetscherin) Als alle zum Abschied Beethovens „Freude schöner Götterfunken“ sangen und ihre Hände zu einem langen Tor verbanden, durch das wir das Haus verließen, waren wir mehr als gerührt. Auf die Frage, wieso das Haus „Straßenkatze“ heißt, erklärte Frau SHIOMI, dass das Wort „Straßenkatze“ in Japan bedeutet, „nichts wert“ zu sein. Aber in ihrem Haus ist „alles und jeder etwas wert“ und willkommen. Das folgende Gedicht des Dichters Shinmin Sakamura aus Ehime, das in großer Schrift das Haus schmückt, drückt die Seele des „Noraneko-Gakkan“ und von Frau SHIOMI aus: - 46 - Alles leuchtet von Shinmin Es leuchtet Es leuchtet Alles leuchtet Es gibt auf der Welt nichts, was nicht leuchtet. Und wenn es von alleine nicht leuchten kann, spiegelt es das Licht der anderen und leuchtet. Dieses wunderschöne Gedicht haben wir mit nach Deutschland genommen. Es ist eine Erinnerung an die großartige Begegnung mit den Menschen im „Straßenkatzen-Haus“ und ein Symbol für die große Wertschätzung eines Jeden und den Gemeinschaftssinn in Japan. Kathrin Jahnke Austauschabend im NorakenoGakkan: in der Mitte die Tochter von Frau Shiomi - 47 - Tag 7: Job-Café „Ai-Work“ in Ehime (24.05.2008) Eine kleine Einführung Die Quote der jungen Arbeitslosen in der Präfektur Ehime zählt zu den schlechtesten in Japan. Seit 1991 besteht in Ehime eine wirtschaftliche Flaute und es gab so gut wie keine Neueinstellungen seit dieser Zeit. Diese schwierige Lage wird als „Eiszeit“ für die Stellensuche für Berufsanfänger bezeichnet. Es ist zu befürchten, dass in Zukunft schwerwiegende Probleme entstehen könnten, wie z.B. lückenhafte Weitergabe von technischen und handwerklichen Fertigkeiten, Verschlechterung der Wettbewerbsfähigkeit der regionalen Industrie etc. Als das Modellprojekt Job-Café Ai-Work im März 2007 endete, wurde die Organisation „Ehime Organization for the Promotion of Young Human Resources“ gegründet. Unter Mitwirkung von der regionalen Wirtschaft, Erziehungs- und Ausbildungseinrichtungen, Elternverbänden und interessierten Unternehmen konnte die Organisation realisiert werden. Die Finanzierung von Job-Café Ai-Work Die regionalen Betriebe sind Mitglieder und unterstützen die Organisation mit ihrem Mitgliedsbeitrag. Doch 70% der Kosten übernimmt immer noch der Staat. Diese finanzielle Leistung nimmt leider jährlich ab. Das Ziel des Staates ist die Kostenübernahme durch die Präfekturen und Provinzen. Eine Auswirkung dieser Entwicklung ist, dass die Angestellten im Job-Café Ai-Work teilweise auch befristete Verträge haben. (Also auch eigentliche Freeter sind). Vorstellung des Angebots im Job-Café Ai-Work Die bisherigen öffentlichen Einrichtungen zur Stellenvermittlung waren strikt und bürokratisch und wirkten somit eher abweisend. Das Job-Café Ai-Work ist aber eine Einrichtung, die für junge Menschen unter 35 Jahren eine Informations- und Arbeitsvermittlung in Café-Atmosphäre anbietet. Es stellt ein niederschwelliges Angebot für junge Menschen dar. Deshalb wurde darauf geachtet, dass es gut zugänglich in einer Einkaufspassage liegt. Jede/r kann dort vorbei kommen, sich registrieren lassen und sich über freie Stellen erkundigen. Das besondere am Job-Café Ai-Work ist, dass vor Ort Berufsberater vom Arbeitsamt und Pädagogen zusammenarbeiten. Dies führt zur Bündelung der fachlichen Kompetenzen und ermöglicht ein breites Angebot für die jungen Stellensuchenden. Die persönlichen Berufsberater kümmern sich um die Zielgruppe, indem sie unter anderem Einzelberatungen anbieten, dies schließt auch E-Mail und Telefonate mit ein. Die Beratungen decken den Bedarf der ganzen Präfektur ab. Die Unterstützung bei der Stellensuche bedeutet zum Beispiel, dass sie gemeinsam Interview-Treffen - 48 - mit Unternehmen und Stellensuchenden organisieren sowie Seminare, Bewerbungstrainings, Vermittlung von Praktika anbieten. Auch gehen die Berufsberater mit den Stellensuchenden vor Ort und besichtigen verschiedene Arbeitsplätze, damit die jungen Menschen neue Berufsbilder kennen lernen können. Sie sind auch nach Anstellung Ansprechpartner für die jungen Menschen. Falls sie Sorgen und Probleme am Arbeitsplatz und im Umgang mit Kollegen haben sollten, können sie sich an ihre Berufsberater wenden. Sie werden mit ihrem Anliegen ernst genommen und werden in ihrem Durchhaltevermögen gestärkt. Neben der Arbeit mit den jungen Menschen arbeitet das Job-Café Ai-Work eng mit den Unternehmen in der Präfektur zusammen. Diese können sich einerseits beraten lassen und sie haben die Möglichkeit, ihre offenen Stellenangebote dort zu offerieren. Eine weitere Maßnahme zur Unterstützung der regionalen Unternehmen ist die Zusammenführung von Arbeitssuchenden, die z Zt. außerhalb der Präfektur Ehime leben, und den stellenanbietenden Betrieben. Ein kleiner Rundgang durch das Job-Café Ai-Work Schon im Eingangsbereich kommt die einladende Atmosphäre auf: Ein Teppich liegt vor der Tür, der extra für das Café von Studenten gestaltet wurde. Die Blautöne des Teppichs werden zur Eingangstür stufenweise heller, damit das Eintreten den jungen Menschen erleichtert wird. Neben der Tür steht ein Schild, dass dem Eintretenden das tagesaktuelle Angebot zeigt. Auf der Rückseite wird täglich ein anderer Spruch bzw. Weisheit geschrieben, damit der Hinausgehende etwas mit auf den Weg nimmt, bspw. „Wenn du denkst, du schaffst es heute, dann beginn auch heute“. Ähnliches kennen wir ja auch in Deutschland: „Was du heute kannst besorgen, dass verschiebe nicht auf morgen“. Das Café ist in drei Bereiche eingeteilt. Im Eingangsbereich findet man die aktuellen Informationen zum Arbeitsmarkt. Neben den Informationen ist gleich die „Glückwunsch-Ecke“. Dort hängen Fotos von den Jugendlichen, die eine Arbeit gefunden haben. Das Plakat soll als Motivationshilfe dienen. Gleich daneben befindet sich der Empfang. Hier werden die eintretenden Jugendlichen befragt, was sie wollen und es wird geklärt wie ihnen geholfen werden kann. Erstbesuchern wird das Job-Café mit seinen Angeboten und Möglichkeiten vorgestellt. Damit die Jugendlichen die erste Hemmung verlieren, hängen an der Wand Bilder von den Berufsberatern. Nach der Bedarfsklärung werden die Jugendlichen an die entsprechende Stelle geführt. Neben dem Empfang schließen sich gleich die Arbeitsplätze der Berufsberater vom Arbeitsamt an. Der zweite Bereich des Cafés ist der „Refreshment Corner“. Die Jugendlichen können hier eine kleine Pause machen, sich hinsetzten, ausruhen und arbeiten, lesen oder auch Bewerbungen schreiben. Im dritten Bereich stehen Plätze zur Beratung der Jugendlichen bereit. Hier finden - 49 - die Jugendlichen Ansprechpersonen, die über die Stellensuche hinaus ihnen Hilfe und Unterstützung anbieten. Besonders hat uns…. die liebevolle Gestaltung die wertschätzende Einrichtung der strukturierte Eingangsbereich die angenehme Atmosphäre der logische Aufbau der Einrichtung die Bündelung der Fachkompetenzen gefallen. Und nicht zu vergessen: das ehrenamtliche Engagement der Studierenden. Denn ohne diesen Einsatz der Studierenden würde aller Wahrscheinlichkeit das Café sich nicht so präsentieren können, wie es sich uns präsentiert hat. Liane Hagelauer Eingang des Job-Café Ai-Work in Ehime (in der Mitte Frau Ôuchi) Teppich vor der Eingangstür des Job Café Ai Work - 50 - „Jeder hat sein eigenes Tempo, in dem er sich vorwärts bewegt“ (Motto der FUREAI School) Tag 9: Ozu FUREAI School des Ozu Youth Friendship Center (26.05.2008) Im Rahmen unseres Regionalprogramms und des Aufenthaltes im National Ozu Youth Friendship Center hatten wir am 26. Mai 2008 die Gelegenheit, sowohl mit Mitarbeitern als auch mit Jugendlichen des Schulalternativprojektes FUREAI School zu sprechen. Zum Projekt Die Ozu FUREAI School existiert seit 1997 als ein Angebot für schulabsente Jugendliche (sowohl Schüler der Elementary Schools als auch der Junior High Schools). Seit 2001 öffnete das Projekt sich auch der Gruppe der sich sozial abkapselnden Jugendlichen (Einnister) bis zum 22. Lebensjahr. In den 12 Jahren, die die FUREAI School besteht, wurden insgesamt 182 Jugendliche betreut. Im vergangenen Jahr nahmen 15 Schüler das Angebot des Projektes an. Hiervon konnten 8 Schüler in ihre Herkunftsschule mit Hilfe des Projektes reintegriert werden - 2 Schüler aus der Elementary School und 6 Schüler aus der Junior Highschool. Die verbleibenden 7 Jugendlichen waren Einnister, die ihre Schulpflicht bereits erfüllt haben (älter als Junior High School). Im Projekt arbeiten derzeit 6 Mitarbeiter und ehrenamtliche Helfer. Rahmenbedingungen In der FUREAI School können maximal 15 Jugendliche, meist aus der näheren Umgebung, begleitet und betreut werden. Die Jugendlichen werden in zwei Gruppen unterteilt: - schulpflichtige Jugendliche (Schüler der Elementary School und der Junior High School) - Jugendliche, die ihre Schulpflicht bereits erfüllt haben (16-22 Jahre) Als Ausschlusskriterium gelten psychische / psychiatrische Auffälligkeiten der Jugendlichen. Sollte ein Jugendlicher therapeutische Hilfe benötigen, wird dieser nicht in der FUREAI School aufgenommen. Hier sehen die Mitarbeiter sich eher in der Verantwortung, die Jugendlichen den für sie besser geeigneten Hilfen zuzuführen. - 51 - Die Zuweisung der Schüler erfolgt zumeist über die Schulpsychologen der Herkunftsschulen, aber die Schüler bzw. deren Eltern können sich auch direkt an das Projekt wenden. Die Teilnahme am Projekt ist freiwillig – sind die Schüler in der Ozu FUREAI School, so wird dies als Schulbesuch anerkannt. Die Angebote stehen den Jugendlichen montags bis donnerstags in der Zeit von 9:30 Uhr bis 15.30 Uhr zur Verfügung. Die Jugendlichen sollen jeden Morgen von einem Familienmitglied in die FUREAI School begleitet werden. Die Mitarbeiter des Projektes, alles ehemalige Lehrer, sind von 8.30 Uhr bis 17.00 Uhr anwesend, so dass die Betreuung der Schüler auch vor und nach der offiziellen Projektzeit erfolgen kann. Die Teilnahme am Projekt ist für die Jugendlichen kostenfrei. Es fallen lediglich Beiträge für die Essensversorgung an. Der FUREAI School stehen verschiedene Räume zur Verfügung - neben einer Küche, in der die Jugendlichen gemeinsam kochen können, gibt es einen Seminarraum, in dem die Einzel- und Gruppenangebote stattfinden. Dieser Raum ist mit 3 Arbeitstischen, 2 Computern, 1 Musikecke und 2 TV-Geräten ausgestattet. Die Verweildauer der Jugendlichen im Projekt beträgt im Regelfall ein Jahr – es sind in Einzelfällen allerdings Verlängerungen möglich. Teilnehmendenstruktur Die meisten Jugendlichen kommen im dritten und letzten Jahr der Junior High School zur FUREAI School. Sie nutzen die Angebote und Unterstützung der Projektmitarbeiter dahingehend, dass sie gezielte Nachhilfe und Motivation erhalten, um dann die Aufnahmeprüfung an einer Senior High School zu bestehen. Zumeist besuchen die Schüler dann wieder regelmäßig die Schule. Die Auffälligkeiten und Problemkonstellationen der Jugendlichen lassen sich wie folgt zusammenfassen: - Kommunikationsschwierigkeiten - Außenseiterposition in der Herkunftsklasse / in der Peergroup - Gefühl der Isolation - mangelnde / fehlende Gruppenfähigkeit - Mobbing in der Klasse Als ursächlich für die Probleme nehmen die Mitarbeiter die übertriebene Vorwegnahme von Sichtweisen anderer durch die Jugendlichen an. In den letzten Jahren ist die Teilnehmendenzahl im Projekt gesunken, da es mittlerweile in vielen Schulen gesonderte Angebote für die Schüler gibt, die Ängste und Hemmungen haben, im Klassenverband zu sitzen und zu lernen. Durch diese neuen Angebote an den Herkunftsschulen wird gut entstehender Schulabsenz vorgebeugt. - 52 - Viele Teilnehmende gehen nach der einjährigen Projektdauer zurück an die Regelschule. Die Jugendlichen, die älter als 22 Jahre sind, werden in weiterführende Angebote und Beratungen vermittelt – so bspw. zum Job-Café oder in ein Wakamono-Projekt. Viele ehemalige Teilnehmer lassen sich nach Beendigung des Projektes als ehrenamtliche Helfer der FUREAI School / des National Ozu Youth Friendship Center registrieren. Ihre Aufgabe ist es, im normalen Programm des Projektes bzw. des Centers zu helfen. Ein wichtiger Termin für die ehrenamtlichen Ehemaligen ist der jährlich stattfindende Tag der offenen Tür. Hier betreuen sie selbständig u. a. Bastelstände. Die Ehrenamtlichen erhalten hierfür eine geringe Aufwandsentschädigung (850 Yen / ca. 5,30€ inkl. Verpflegung) und einen kostenlosen Shuttleservice vom Bahnhof zum National Ozu Youth Friendship Center. Ablauf / Angebote Ziel des Projektes ist es, dass die Jugendlichen ihr Selbstvertrauen zurückgewinnen, um dann den Mut zu haben, den regelmäßigen Besuch in der Schule wieder zu versuchen. In der FUREAI School erfolgt kein regulärer Unterricht nach dem Lehrplan. Die Jugendlichen haben aber die Möglichkeit, in den Vormittagsstunden individuelle Nachhilfe zu bekommen. Die FUREAI School setzt einen großen Schwerpunkt auf erlebnispädagogische Angebote. Die Arbeit findet v. a. im Gruppensetting statt – Einzelarbeit mit den Jugendlichen stellt eher die Ausnahme dar. Den Jugendlichen ist es freigestellt, welche Programmbestandteile sie für sich auswählen - die Projektmitarbeiter unterstützen die Teilnehmer hierbei. Es gibt im Wesentlichen folgende Grundbausteine: 1. gesellschaftliche Aktivitäten - ehrenamtliche Tätigkeiten (in Altersheimen und Kindergärten) - Berufliche Orientierung - Praktika - Kennen lernen von Berufsbildern und Arbeitsplätzen 2. Erlebnisse in der Natur - Gemüse- und Obstanbau (Mitarbeit auf einer Mandarinenplantage) - Hilfe bei der Tierpflege auf einem Bauernhof 3. Kreativwerkstatt - Töpfern - Basteln - 53 - - Holzwerkstatt / Schnitzen 4. körperliche, sportliche Aktivitäten - Nutzen der vielfältigen Angebote des National Ozu Youth Friendship Centers Ein wichtiger Bestandteil des Projektes ist der Freitag als „Challenge Day“ – die teilnehmenden Schüler werden dahingehend motiviert, die Freitage als Experimentiertage zum Schulbesuch in der Herkunftsschule zu nutzen. Der Einbezug der Eltern wird durch die Aufforderung erreicht, dass sie ihre Kinder morgens zum Projekt begleiten und am Nachmittag wieder abholen sollen. Einmal im Monat findet zudem eine Elternversammlung statt, in der ein Berater / Mitarbeiter der FUREAI School mit den Eltern der teilnehmenden Jugendlichen zu verschiedenen Themen arbeitet. Einmal jährlich gibt es einen Tag, den die Eltern mit ihren Kindern im Projekt verbringen: es wird zusammen gekocht, gebastelt, gemalt, spaziert …etc. Zudem gibt es einmal jährlich ein Übernachtungserlebnis – eine Gruppenfahrt in die benachbarte Präfektur Hiroshima. Dort besuchen die Jugendlichen ebenfalls ein Youth Friendship Center und machen u. a. eine Kutterfahrt. Zusammenarbeit mit den Herkunftsschulen Da es das Hauptziel der FUREAI School ist, die teilnehmenden Jugendlichen in ihre Herkunftsschule zu reintegrieren, ist eine enge Kooperation mit den Lehrern der Regelschulen unverzichtbar. Monatlich werden Berichte über die Arbeit und die Entwicklung des einzelnen Schülers an die Herkunftsschule geschickt, die die Grundlage für die stattfindenden Gespräche mit den Lehren bilden. Die Auswertungs- und Planungsgespräche zwischen den Mitarbeitern der FUREAI School und den Lehrkräften der Herkunftsschule finden sowohl im National Ozu Youth Friendship Center als auch in den jeweiligen Schulen statt. Den Jugendlichen ist die Teilnahme an diesen Gesprächen freigestellt – fühlen sie sich dazu in der Lage, ihrem ehemaligen Klassenlehrer gegenüberzutreten, dann finden die Gespräche mit ihnen statt. Im Projektverlauf versuchen die Mitarbeiter der FUREAI School die Jugendlichen zu einer Teilnahme an diesen Gesprächen zu motivieren. Ebenso dienen die Gespräche zur Auswertung und Vorbereitung der Challenge Days. Gegen Ende der Projektzeit und vor der Reintegration des Jugendlichen in die Herkunftsschule finden Rückführungsgespräche mit dem Klassenlehrer statt. Hierbei steht im Mittelpunkt, dass der Jugendliche seine Wünsche für den Re-Start in der Klasse äußern kann und dass der Klassenlehrer Informationen erhält, worauf er besonders achten soll, damit die Rückführung möglichst erfolgreich verläuft. - 54 - Für die Teilnehmer, die ihre Schulpflicht bereits erfüllt haben, gibt es im Rahmen der FUREAI School folgende Abschlussmöglichkeiten: - Ermöglichung der Aufnahme an einer Senior High School Ermöglichung praktischer Arbeitserfahrungen Weitervermittlung an ein Job-Café, in ein Wakamono-Projekt oder ähnliches. Ursachen der Auffälligkeiten aus Sicht der Projektmitarbeiter Für die Schulabsenz v. a. der Junior High School-Schüler machen die Mitarbeiter der FUREAI School weniger den allgemeinen Leistungsdruck oder die überzogenen Erwartungshaltungen der Familien verantwortlich. Sie vermuten die Ursachen eher in einem nicht gelingenden Übergang zwischen den Elementary Schools zu den Junior High Schools. Ihre Beobachtungen sagen, dass die Wahrscheinlichkeit einer Schulflucht / Schulabsenz steigt, wenn das Gefühl der Isolation bei einem Schüler bereits im 1. Jahr der Junior High School besteht. Diese Hypothese wird scheinbar dadurch bestätigt, dass es an den Junior High Schools weniger Probleme mit sich abkapselnden Jugendlichen gibt, die spezielle Lehrer beschäftigen, die weder Klassen- noch Fachlehrer sind und sich so sehr intensiv um die neu ankommenden Schüler aus verschiedenen Elementary Schools kümmern können, indem sie bspw. den Prozess der Gruppenfindung in den neuen Klassen begleiten und unterstützen. Die Mitarbeiter der FUREAI School setzen sich demzufolge stark für eine Verbesserung des Übergangsmanagement von den Elementary Schools zu den Junior Highschools in der Umgebung ein. Reflexion aus deutscher Sicht Wir haben in der FUREAI School sehr engagierte Mitarbeiter kennen gelernt, die großen Wert darauf legen, die Kompetenzen der Jugendlichen wahrzunehmen und zu fördern. In dem Austausch, an dem auch 2 Jugendliche teilnahmen, fiel uns auf, dass es möglicherweise einen wesentlichen Unterschied in der Gruppe der schulabsenten Jugendlichen zwischen Deutschland und Japan gibt. Während wir in der FUREAI School den Eindruck gewannen, dass die teilnehmenden Jugendlichen zum Teil erhebliche individuelle Auffälligkeiten (bis hin zu psychischen Problemen) haben, setzt die Arbeit in deutschen Schulverweigererprojekten oftmals umfangreicher an: Veränderungen im Schulalltag und in der Unterrichtsgestaltung; Einbeziehung der - 55 - Eltern; gesellschaftlich-strukturelle Ursachen. Sehr angenehm fiel die enge Zusammenarbeit mit den Herkunftsschulen und den Eltern auf. Es wäre den Kollegen der FUREAI School sehr zu wünschen, dass ihre Ideen, Erfahrungen und Beobachtungen u. a. in der Gestaltung des Überganges von einer Schulform in die nächste berücksichtigt werden. Stephanie Schöne Icebreaker beim Projektbesuch Ozu FUREAI School - 56 - Tag 11: Öffentliche Mittelschule Shinjuku (28.05.2008) Die Shinjuku Junior High School entstand vor vier Jahren aus der Zusammenlegung von zwei Junior High Schools. Erst im April 2008 bezog die Schule das neu gebaute, sehr großzügig angelegte, helle und geräumige Schulgebäude, welches wir am 28.5.2008 besuchten. Diese Schule liegt in einem Botschafts- und Businessviertel Tokyos, so dass Schüler verschiedener Nationalitäten unterrichtet werden. Vor allem aus den Ländern Japan, China, Malaysia, Korea, der Ukraine und von den Philippinen kommen die Schüler. Zurzeit erhält ein Schüler aus China expliziten Japanisch-Unterricht (vgl. den DAZ 1-Klassen in Deutschland), alle anderen ausländischen Schüler sind voll in ihre Jahrgangsstufen integriert. Insgesamt hat die Schule 239 Schüler in 3 Jahrgangsstufen, wobei die Jahrgänge zweizügig unterrichtet werden. In jeder Klasse sind maximal 40 Schüler. Zudem gibt es 3 Sonderklassen für behinderte Kinder. Nach Aussage des Schulleiters Herrn MAKITA und der Schulberaterin Frau SAITO gibt es an dieser Schule aktuell einen Schüler in der 3. Jahrgangsstufe, der den Schulbesuch total verweigert und einige Schüler, die stunden- bzw. tageweise unentschuldigt fehlen. In japanischen Schulen ist es üblich, dass die Schüler die Verantwortung für Ordnung und Sauberkeit im Schulgebäude (mit) übernehmen. So reinigen die Schüler nach dem Unterricht selbst ihre Klassenzimmer. In der Shinjuku Junior Highschool besteht zudem Hausschuhpflicht – im Eingangsbereich der Schule wechseln alle (egal ob Besucher, Lehrer oder Schüler) die Schuhe. Der Besuch in der Junior Highschool teilte sich in 2 Abschnitte: einem Rundgang mit Vorstellung der einzelnen Arbeitsbereiche und einem ausführlichen Vortrag über die Tätigkeit der Schulberaterin (school counselor). Rundgang 1. Erste–Hilfe–Raum Diese Räume sind eine Besonderheit im japanischen Bildungssystem und finden keine Entsprechung in Deutschland. Hier gibt es 2 Betten und verschiedene Untersuchungsmöglichkeiten (Waage, Messmöglichkeit…). In dem Erste–Hilfe–Raum arbeitet die Pflegelehrerin, die gerade 2 Studentinnen (angehende Pflegelehrerinnen) zur Anleitung hat. Die Pflegelehrerin ist zuständig für „die Gesunderhaltung von Körper und Geist“; sie - 57 - gibt Unterricht in Sexualerziehung, Gesundheitsförderung (bspw. in Kooperation mit den Sportlehrern zum Thema Rauchen). Zielsetzung ist es, den Schülern Wissen und die Einstellung zu vermitteln, dass sie dazu in der Lage sind, gesund zu leben. Pflegelehrer sind ausgebildete Lehrer mit einer abgeschlossenen Zusatzqualifikation. In vielen japanischen Schulen sind die Pflegelehrer etwas wie „die gute Seele“ der Schule und sind bei den Schülern beliebt (sicher u. a. bedingt dadurch, dass die Pflegelehrer im Unterschied zu anderen Lehrern die Schüler nicht benoten). Die Schüler haben jederzeit die Möglichkeit, die Pflegelehrer aufzusuchen. Oft scheint es den Schülern auch leichter zu sein, als den Klassen- oder einen Fachlehrer anzusprechen. Nach Aussage der Pflegelehrerin der Shinjuku Junior High School kommen die Schüler u.a. mit folgenden Anliegen zu ihr: - bei körperlichen Symptomen (Fieber, Verletzungen, Schmerzen) - bei Gefühlen von Isolation / Vereinsamung (familiär, schulisch) Vor allem montags scheinen viele Schüler einfach kurz zum Reden vorbeizukommen, so dass sie die Hypothese entwickelt hat, dass ein Teil der Schüler im familiären Kontext wenig eingebunden zu sein scheinen. Diese Schüler scheinen gern zu nutzen, dass in der Person der Pflegelehrerin jemand da ist, der ihnen zuhört. Durchschnittlich nutzen 10-20 Schüler (plus Begleiter) täglich das Gesprächsangebot im Erste-Hilfe-Raum, wobei manche nahezu jede Stunde kommen, andere zweimal am Tag und wieder andere noch seltener. In den Gesprächs-, Beratungs- und Untersuchungssituationen kann die Pflegelehrerin in manchen Fällen Spuren von Misshandlungen (schulisch / familiär) und Mobbing feststellen. Dies sind bspw. Hunger, unzureichende Ernährung, schlechte bzw. unangemessene Kleidung, psychosomatisch bedingte Bauchschmerzen. Der Misshandlungs- oder Mobbingverdacht bestätigt sich nach Aussage der Lehrerin dadurch, dass die betreffenden Schüler im Gespräch und auf Nachfrage in Tränen ausbrechen. Der Unterricht der Pflegelehrerin zu Themen der Sexual- und Gesundheitserziehung findet wie folgt statt: Im ersten Trimester eines Schuljahres finden Gesundheitsuntersuchungen statt. Im 2. und 3. Trimester erfolgen Absprachen mit den Sportlehrern, in welchem Umfang welche Themen bearbeitet werden sollen. Vorrangig ist hierbei immer der originäre Sportunterricht. Der Gesundheitsunterricht findet als Team Teaching mit Pflegelehrerin und Sportlehrer statt. Im Rahmen der Nikotinaufklärung steht die Idee im Vordergrund, dass Wissen Nikotinkonsum verhindern kann. So lernen die Schüler viel über die Substanz Nikotin und die Auswirkungen auf einen - 58 - menschlichen Organismus, der sich im Wachstum befindet. Im Rahmen der Sexualerziehung geht es sowohl um Geschlechtskrankheiten als auch um umfängliche Informationen über alles, was Teenager über Sexualität wissen sollten. 2. Sonderklasse für behinderte Kinder Die Klasse besuchen Schüler, die besondere Unterstützung brauchen. Es werden die drei Jahrgangsstufen zusammen unterrichtet. In der Klasse sitzen 8 Schüler, die von 2 Lehrern unterrichtet werden. Im Fremdsprachenunterricht ist eine der Lehrkräfte Muttersprachler. Insgesamt gibt es an der Shinjuku Junior Highschool 19 Schüler mit besonderem Unterstützungsbedarf, die in drei Klassen mit maximal 8 Schülern aufgeteilt sind. Für die Unterrichtung stehen 4 Sonderpädagogen und 2 studentische Helfer zur Verfügung. In den Fächern Mathematik und Japanisch werden die Schüler in 4 Gruppen unterteilt, wobei weniger die Jahrgangsstufen als die individuellen Fähigkeiten ausschlaggebend sind. 3. Junior High School – Klassen In den Hauptfächern Mathematik, Englisch und den Naturwissenschaften werden die Klassen in 2-3 Gruppen aufgeteilt, die getrennt voneinander unterrichtet werden. Team Teaching scheint in Japan eine verbreitete Unterrichtsmethode zu sein. Die Klassenzimmer sind so gestaltet, dass Einzel- und Kleingruppenarbeit möglich sind. Die Tische sind im Unterrichtsgeschehen sehr in Bewegung: so sehen wir auf unserem Rundgang allein arbeitende Schüler, Gruppenarbeiten mit 4 Schülern und Zweiergruppen bspw. bei einer Dialogübung im Fach Englisch. Im Fach Sport wird die gesamte Jahrgangsstufe zusammen von 3 Sportlehrern unterrichtet. 4. Beratungsraum der Schulberaterin In der Shinjuku Junior Highschool hat die Schulberaterin einen eigenen Beratungsraum, der sowohl für Elterngespräche / Erziehungsberatungen (bei Bedarf bzw. auf Wunsch der Eltern) als auch als Pausenmöglichkeit für Schüler genutzt werden kann. In diesem sehr freundlich gestaltetem Raum gibt es eine abgetrennte Beratungsecke, Spielmöglichkeiten und einen Platz für Bürotätigkeiten der Schulberaterin. Weiterhin gibt es an der Shinjuku Junior Highschool: - 59 - - einen Raum für die japanische Teezeremonie - eine Budo–Halle - einen Speisesaal - einen Computerraum Sichtlich stolz sagt der Schulleiter, dass ein Rundgang durch die gesamte Schule mehr als eine Stunde dauern würde. Tätigkeit der Schulberaterin (school counselor) Die Schulberater sind keine Angestellten der Schulen, sondern freie Mitarbeiter der Präfektur, nicht des Bezirkes. Das japanische Kultusministerium unterstützt die Schaffung von Stellen für Schulberater finanziell. Schulberater müssen über ein Zertifikat in klinischer Psychologie verfügen. Hierzu ist keine staatliche Prüfung notwendig, aber eine Anerkennung und Zertifizierung durch die Gesellschaft für klinische Psychologie. Hierzu ist ein Studium der klinischen Psychologie erforderlich. In der Präfektur Tokyo sind in allen Junior Highschools und teilweise in den Elementary Schools und den Senior High Schools Schulberater im Einsatz. Frau SAITO ist bereits seit 13 Jahren als Schulberaterin tätig. In der Shinjuku Junior High School arbeitet sie einmal in der Woche, was bedeutet, dass eine gute Zusammenarbeit mit und ein funktionierender Informationsfluss zu / von den Lehrer unabdingbar sind. An den anderen Tagen arbeitet sie in einer Erziehungsberatungsstelle in einem anderen Stadtbezirk. Hauptaufgaben einer Schulberaterin sind: - Beratung von Schülern - Beratung von Eltern - Beratung von Lehrern - Seminar- und teilweise Unterrichtsgestaltung Die Verteilung der Aufgaben unterscheidet sich je nach Einzugsgebiet und Wohnumfeld der Schule. In der Shinjuku Junior High School übernimmt die Pflegelehrerin die „Managerrolle“ für die Schulberaterin. Die Lehrer teilen ihre täglichen Beobachtungen der Pflegelehrerin mit, die wiederum die Schulberaterin informiert, wenn weitergehende Unterstützungen erforderlich scheinen. Die Schulberaterin und die Pflegelehrerin stehen in engem Austausch. So kann die Pflegelehrerin an den Beratungsgesprächen der Schulberaterin teilnehmen. - 60 - Ebenso verfügt die Schule über drei ehrenamtlich tätige Studenten, die zweimal wöchentlich im Beratungsraum der Schulberaterin für die Schüler zur Verfügung stehen. Der Ansatz der Schulberaterin ist es, dass nicht nur durch die expliziten Beratungssituationen Hilfe geleistet wird, sondern dass dies auch und vor allem in alltäglichen Pausenkontakten und Kurzgesprächen möglich ist. Die Beratungsangebote bei der Schulberaterin gibt es für die Schüler generell in der Mittagspause bzw. nach dem Nachmittagsunterricht, in begründeten Einzelfällen ist eine Beratung während des Unterrichts möglich. Bei weiterführendem Beratungsund Therapiebedarf vermittelt die Schulberaterin die Eltern / den Schüler an eine Erziehungsberatungsstelle im Bezirk. Allerdings scheinen sich aus Sicht der Schulberaterin die Eltern ihrer Probleme oftmals nicht bewusst zu sein, so dass es schwierig ist, die Eltern für eine Zusammenarbeit zu gewinnen. Normalerweise findet der Kontakt zwischen Schule und Eltern über den Klassenlehrer (ggf. mit Unterstützung durch die Pflegelehrerin) statt. So ist die Schulberaterin selbst eher selten in Kontakt mit den Eltern der Schüler – es sind lediglich 2 Fälle jährlich, in denen es eine Beratung der Eltern durch die Schulberaterin gab. Die Lehrerberatung findet weniger im Rahmen eines Lehrer-Coachings statt. In den meisten der Fälle nutzen die Lehrer die Schulberaterin, um über einzelne Kinder mit besonderem Verhalten zu sprechen. In diesen Gesprächen bietet die Schulberaterin Erklärungen zu möglichen Gründen und Ursachen des Verhaltens an und entwickelt daraus mit den Lehrern Reaktions-, Interventions- und Unterstützungsmöglichkeiten. Thema Mobbing Das Thema Mobbing wird in der Shinjuku Junior High School von zwei Seiten betreut: zum einen durch die Schulberaterin und zum anderen durch die Lehrer, die zuständig sind für das Verhalten der Schüler im Alltag. In der Arbeit der Schulberaterin steht das Mobbing-Opfer im Mittelpunkt, eine Arbeit mit den Tätern bzw. zur zukünftigen Verhinderung solcher Situationen scheint weniger das Thema zu sein. Oftmals erfolgt das Mobbing unter den Schülern sehr verdeckt, ist schwer zu entdecken. Dann sind Lehrer auf Informationen von Freunden, Eltern angewiesen. Von Seiten der Schulleitung gibt es die Anweisung / Bitte an alle Lehrkräfte, genau auf jedes Kind und mögliche Verhaltensänderungen zu achten. Die Fokussierung auf die Opferarbeit begründet der Schulleiter mit Suizidfällen infolge von Mobbingerlebnissen. Er sieht die Konzentration auf die Opfer daher als Suizidprophylaxe. Die Täter werden ermahnt, damit sie verstehen, dass solch ein - 61 - Verhalten nicht erwünscht ist, dass sie es nicht wiederholen werden. In den gewählten Schülerversammlungen der Schulen des Stadtbezirkes war die Frage nach Möglichkeiten, Mobbing an Schulen zu verhindern, Thema. Die Schüler haben Ideen entwickelt, unter der Lehrerschaft gibt es keine solchen Präventivansätze, außer den einmal wöchentlich stattfindenden Moralunterricht in Verantwortung des Klassenlehrers, in dem gegenseitige Rücksichtsnahme und Wertschätzung des Anderen Thema sind. Gründe für Schulabsenz Die Vertreter der Shinjuku Junior Highschool verneinen die Frage, ob Shinjuku ein besonderer Schwerpunkt für Schulabsenz bzw. Mobbing sei. Generell scheinen in Tokyo solche Schwerpunkte nicht auszumachen zu sein. Die Minderjährigen, die abends und nachts in Shinjuku (v. a. in Bahnhofsnähe) zu beobachten seien, wären oftmals aus anderen Stadtbezirken. Die Gründe für die Schulabsenz der Schüler an der Shinjuku Junior High School sind aus Sicht der Schulberaterin sehr unterschiedlich: - Angst vor Leistungsversagen - Leistungsverweigerung - Familiäre Sorgen bzw. Sorge um die Familie (Krankheit der Eltern; Beaufsichtigung jüngerer Geschwister; psychische Auffälligkeiten der Eltern; Verlustängste) - Seelisch–emotionale Gründe Entwicklungsstörungen) bei den Schülern (Berührungsängste; Je nach Ursache würden die Lehrer, die Pflegelehrerin und die Schulberaterin versuchen, eine Lösung mit und für den Schüler zu finden. Reflexion aus deutscher Sicht Wir haben in Shinjuku eine sehr schöne und moderne Schule gesehen, die sich möglicherweise sehr von der „normalen“ Schule in Japan / Tokyo unterscheidet. Sehr beeindruckend fanden wir, wie es den Lehrern gelang, dass die Schüler Verantwortung für ihre Schule übernehmen. Es scheint ein gemeinsames Ziel zu sein, die Sauberkeit und das Neue an dem Schulgebäude lange zu erhalten. Interessant war die Institution der Pflegelehrerin – in Deutschland könnte die Schulsozialarbeit ein Äquivalent hierzu sein. Aber möglicherweise ist die Stellung der Pflegelehrerin in Japan einfacher und klarer im Lehrerkollegium, weil sie zur gleichen - 62 - Profession gehört. Ebenfalls war es sehr spannend zu sehen, dass Gruppenarbeit und Team Teaching im japanischen Bildungssystem (oder zumindest in der Shinjuku Junior High School) vertraute und angewandte didaktische Methoden sind. Stephanie Schöne Erste-Hilfe-Raum der öffentlichen Mittelschule Shinjuku Unterricht der öffentlichen Mittelschule Shinjuku - 63 - Tag 11: Futaba Fashion Academy (28.05.2008) Die Schule bietet die Fachrichtung Fashion Design in einer 3-jährigen Ausbildung mit Senior High School-Abschluss für Mädchen und Jungen an. Hierbei handelt es sich um eine mit der Fachoberschule vergleichbare Einrichtung, an der man mit der Berufsausbildung auch einen allgemeinbildenden Oberschulabschluss erwerben kann. Die Futaba Fashion Academy ist keine spezielle Schule für Benachteiligte, jedoch spielen Zeugnisse oder Anwesenheit an Mittelschulen keine Rolle, so dass de facto ehemalige schulabsente Schüler unterstützt und aufgenommen werden können. Der Ursprung der Futaba Fashion Academy liegt etwa 70 Jahre zurück. Es begann mit einem Schneiderkurs am Vorplatz des Bahnhofs von Kichijoji im Westen von Tokyo. In der Fachrichtung Fashion Design gibt es die Kombination aus einer 3-jährigen Ausbildung und dem schulischen Weg zum Senior High School-Abschluss. Die Schüler können nach dem Abschluss der Junior High School die Techniken und das Fachwissen der Mode erlernen und zur gleichen Zeit mit normalen Schulunterricht den Abschluss der Senior High School erwerben. Die Futaba Fashion Academy ist als Fachoberschule mit Doppelqualifizierung, d. h. einem System der Kombination von Allgemeinbildung und Berufsausbildung, vom Ausschuss für Bildung und Erziehung anerkannt und arbeitet zusammen mit der privaten Universität Tokai und der dazu gehörigen Bosei Senior High School. In 3 Jahren Schulzeit werden die Schüler umfassend über aktuelle Modetrends informiert und entsprechend ausgebildet. Der Lehrplan der Fachoberschule wird ergänzt durch den Lehrplan des spezialisierten Berufscolleges für Mode des gleichen Trägers. Die jungen Menschen im Alter von 15-18 Jahren, mit einem hohen kreativen Potential, sollen die Möglichkeit haben, ihre Persönlichkeit zu entfalten, ihre Sensibilität weiter zu entwickeln und sich neue geistige Fähigkeiten anzueignen, damit sie schon als Heranwachsende eine führende Rolle in der Modebranche spielen können. Für die Aufnahme spielen Noten und Schulabsenz keine Rolle, in einem Interview müssen die Schüler die Schulleitung von ihrer Kreativität und ihrem Interesse an Mode überzeugen. Es findet keine Aufnahmeprüfung statt, die Schüler schreiben einen Aufsatz, in dem sie ihr Interesse und ihre Ziele in Bezug auf die Mode formulieren. Sollten die Schüler aber mehr als 30 % Fehltage haben, kommt es nicht zur Versetzung. Grundsätzlich spielen Leistungen und Fehltage eine untergeordnete Rolle, in besonders extremen Fällen erhält der Schüler eine Versetzung auf Probe und eine gezielte Förderung, auch in seiner Freizeit. Die Eltern sind dabei aufgefordert, diese Förderung zu unterstützen und ihre Kinder auch zum Förderunterricht zu bringen. Der Persönlichkeit des Lehrers kommt sehr viel Bedeutung zu, er soll durch sein Auftreten die Schüler motivieren und inspirieren. Der Lehrplan setzt sich zusammen aus allgemeinbildenden und berufsbezogenen Fächern, eine Unterrichtsstunde dauert 45 Minuten und aufgrund der zum Teil weiten - 64 - Schulwege beginnt die Schule um 09:00 Uhr. Am Vormittag werden in der Regel die allgemeinbildenden Fächer unterrichtet, am Nachmittag dann die berufsbezogenen Fächer. Kontakte zu Betrieben sind aufgrund der Altersstruktur eher selten und wenn, dann im Rahmen von Praktika. Jedoch ist der Praxisanteil im Bereich des Berufscolleges (diese Schüler sind älter) wesentlich höher, dies ist ein weiterer Bildungsgang der Futaba Fashion Academy. An dieser Schule wurden bereits viele bekannte Modedesigner Japans ausgebildet, auch die derzeit sehr angesagte Hanae Mori hat an der Futaba Fashion Academy ihre Ausbildung erhalten. Diese erfolgreichen Designer sollen als positive Vorbilder für die junge Schülergeneration dienen. Die Schule beteiligt sich an weltweiten Ausschreibungen und nimmt an Wettbewerben teil. Im Mai wurden die Schüler auf einen Modewettbewerb für „Brautkleider“ im Juli vorbereitet. Durch den Erfolg bei den Wettbewerben ergibt sich eine zusätzliche Einnahmequelle, denn das Copyright für diese Produkte kann dann an Textilfirmen weiterverkauft werden. Die Persönlichkeiten der jungen Menschen, die hier eine Ausbildung beginnen, sind sehr vielfältig. Es sind durchaus auch schwierige Charaktere mit diversen persönlichen Problemen oder bislang schwachen Schulleistungen darunter zu finden, aber ebenso ehemalige schulabsente Jugendliche. Die Lehrer versuchen, die Kreativität zu fördern, gleichzeitig bemühen sie sich, den Schülern Regeln im Sinne des Gemeinwohls beizubringen (z. B. keine unentschuldigten Fehlzeiten, kontinuierliches Lernen für den Unterricht). Es besteht durchaus ein Spannungsfeld zwischen der Anpassung an die gesellschaftlichen Regeln und dem Fördern der individuellen Kreativität. Die Lehrer versuchen, mit pädagogischen und psychologischen Methoden auf die Schüler einzuwirken und sie über Einsicht und Erfolg zu motivieren. Die Schule gliedert sich im Bereich Textil- und Modedesign in 3 Schultypen: • Berufscollage • Fachoberschule • Berufsfachschule Der Schulträger bietet auch noch andere Berufsausbildungen an, jedoch nicht in Form der Doppelqualifizierung. Hierbei handelt es sich um 1-2 jährige Ausbildungen im Bereich Kosmetik, Friseurhandwerk und Kochen. Aufgrund der kürzeren Ausbildungsdauer kann hier der allgemeinbildende Unterricht nicht im vergleichbaren Umfang vermittelt werden. Bekannt ist die Schule auch für ihre Ausbildung zum Konditor/in, hier findet ein internationaler Austausch mit Belgien (Antwerpen) und Österreich (Wien) statt. Für die Schulausbildung, in der die Doppelqualifizierung angeboten wird, muss ein - 65 - Schulgeld gezahlt werden. Für Familien, die finanzielle Hilfen benötigen, gibt es Stipendien der Präfektur Tokyo, es sind aber auch individuelle Ratenzahlungen möglich. Die Raten werden pro Trimester gezahlt. Ansonsten gibt es keine staatliche Unterstützung durch die Präfektur. Die Schule ist insgesamt gut besucht, es gibt aber keine Wartelisten: Bei Bedarf könnte die Schule mehr Schüler aufnehmen. Die Schule verzichtet auch auf aktive Werbung, sie führt lediglich Informationstage durch. Diese Schulform der „Doppelqualifizierung“ ist allerdings in der Gesellschaft wenig bekannt. Da es in Japan nur ganz wenige dreijährige Ausbildungsgänge gibt, ist die Form der „Doppelqualifizierung“ eher selten. Nach dem Abschluss münden die Absolventen über vier Hauptbereiche ins Berufsleben ein: • Einstieg ins Berufsleben als Designer/in • Einstieg in ein Studium, z. B. Design • Einstieg in das Berufsfeld Verkauf • Einstieg in den Bereich Planung und Entwicklung bei einer Textilfirma Christoph Emrich Futaba Fashion Academy - 66 - Liste der Teilnehmenden Name Hendrik ABEL Beruf / Tätigkeit Entsendestelle Pädagogischer Mitarbeiter Jugendhilfe Göttingen e. V. Koordinierungsstelle Göttingen „Die 2. Chance“ Untere Karspüle 4, 37073 Göttingen E-Mail: 2.chance@jugendhilfe-goettingen.de Christoph EMRICH Mai 2008: Berufsberater U25, Mai 2008: Agentur für Arbeit Kaiserslautern (aktuell: Führungs- und Bildungsakademie der Supervisor u. Coach (aktuell: Dozent für Beratung Bundesagentur für Arbeit) U25, Kommunikation und E-Mail.: christoph.emrich20@arbeitsagentur.de Methodenkompetenz) Liane HAGELAUER Qualifizierungsbegleiterin Diakonische Jugendhilfe Region Heilbronn e.V. (aktuell: Wilhelmstr. 26, 74072 Heilbronn Schulsozialarbeiterin) E-Mail: liane.hagelauer@djhn.de Stephan HEINICKE Berufsberater U25 Agentur für Arbeit Herford (aktuell: Teamleiter U25) Hansastr. 33, 32049 Herford E-Mail: stephan.heinicke2@arbeitsagentur.de Kathrin JAHNKE Coach, Verbund für Soziale Projekte Koordinatorin „Kompetenzagentur“ MV Lübecker Str. 41, 19053 Schwerin E-Mail: vsp.coaching@web.de Burkhard SCHÄFER Leiter der Einrichtung SOS Berufsausbildungszentrum Berlin Oudenarder Str. 16, 13347 Berlin E-Mail: burkhard.schaefer@sos-kinderdorf.de Stephanie SCHÖNE Projektleitung „Die 2. Plan L e.V., Leipzig Chance“ und systemische Brandvorwerkstr. 78, 04275 Leipzig Therapeutin E-Mail: stephanie.schoene@planl-leipzig.de Meike VON APPEN Projektentwicklerin für Bil- Zukunftsbau GmbH, Berlin dung und Beschäftigung Strelitzer Str. 60, 10115 Berlin von Arbeitslosen E-Mail: mvappen@zukunftsbau.de MIURA Nauka Leiterin Jugendaustausch, Japanisch-Deutsches Zentrum Berlin (jp. Namen in dieser Delegationsleitung A2 Abt. Deutsch-Japanischer Jugendaustausch Reihenfolge) E-Mail:nmiura@jdzb.de Vorbereitungsseminar in Berlin - 67 - Kurzinformation Das Studienprogramm besteht aus zwei Fachdelegationen mit unterschiedlichen Themen, die auf deutscher Seite vom JDZB und IJAB - Fachstelle für Internationale Jugendarbeit der Bundesrepublik Deutschland e. V. verantwortlich organisiert und durchgeführt werden. Die dem JDZB beauftragte Fachdelegation steht auch 2009 unter dem Thema „Lebenskompetenz fördern – Schwerpunkt: Förderung benachteiligter Jugendlicher“ und wendet sich an Fachkräfte der Jugendarbeit, die als leitende bzw. verantwortliche Mitarbeiter von freien oder öffentlichen Trägern der Jugendhilfe aller föderaler Ebenen tätig sind und sich vorwiegend mit der Förderung von benachteiligten Jugendlichen beschäftigen. In einem zweiwöchigen Besuchsprogramm erhalten die 8 Teilnehmenden die Möglichkeit, sich mit Fachkräften der außerschulischen Jugendarbeit im Partnerland u. a. über das o. g. Thema und die Arbeit vor Ort, Probleme und Erfahrungen über und mit jungen Menschen auszutauschen. Wichtiger Bestandteil dabei ist ein Vorbereitungsseminar in Berlin (17.-19. April 2009). Die Finanzierung erfolgt aus Mitteln des deutschen BMFSFJ (KJP) und des japanischen Ministeriums für Bildung, Kultur, Sport, Wissenschaft u. Technologie [MEXT] mit einer Eigenbeteiligung von € 950,00. Die deutsche Delegation besucht vom 16. bis 30. Mai 2009 Japan, der Gegenbesuch der japanischen Delegation in Deutschland erfolgt vom 15. bis 28. November 2009. Auch für die folgenden Jahre ist die Fortsetzung des Studienprogramms geplant. Interesse an der Teilnahme, ferner Rückmeldungen, Fragen und Anregungen zu dieser Dokumentation richten Sie bitte an die folgende Adresse: Japanisch-Deutsches Zentrum Berlin (JDZB) Deutsch-Japanischer Jugendaustausch (DJJA) Nauka Miura, Hitomi Makino Saargemünder Straße 2, 14195 Berlin Tel: 030/83907-0, Fax: 030/83907-220 E-Mail: nmiura@jdzb.de, hmakino@jdzb.de Homepage: www.jdzb.de (bitte unter Austauschprogramme) oder bei unserem Kooperationspartner: IJAB - Fachstelle für Internationale Jugendarbeit der Bundesrepublik Deutschland e.V., Herr Meggers, Herr Szczesny, Herr Recht Godesberger Allee 142-148, 53175 Bonn Tel.: 0228 9506-0, Fax: 0228 9506-199 E-Mail: meggers@ijab.de, szczesny@ijab.de, recht@ijab.de Homepage: www.ijab.de - 68 -