40 Jahre Tip als PDF

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40 Jahre Tip als PDF
Verlagsbeilage Juni 2012
Jubiläum
40 Jahre Berlin
Geschichten aus tausendundneunundsechzig Heften
Im Tip lesen Sie,
Wie Sie bei
uns hören.
Vielen Dank
und herzlichen
Glückwunsch!
The Art of Listening
Ein Festival des Musikhörens
12. 13. 14. Juli 2012
Symposium, Radiale Nacht Experimente des Musikhörens
Neither, Nachtmusik,
Podiumsdiskussion
Foto: Sebastian Bolesch
Liebe Leserinnen, liebe Leser,
seit vierzig Jahren denken wir nur an Sie. Tag und Nacht. Ganz ehrlich:
Sie sind unser liebstes Phantom. Wenn wir uns vorstellen, für wen
wir schreiben, haben wir ausgehfreudige, bewegliche, aufs Neue gespannte, spontane und witzige Menschen vor Augen. Sie interessieren sich für ein Kulturfeld besonders, vielleicht Musik, vielleicht Film
oder Theater, und Sie sind derjenige oder diejenige, an die sich
Freunde und Bekannte wenden, wenn sie einen Ausgehtipp wollen.
Wahrscheinlich sehen Sie auch gut aus, egal ob sie Mitte zwanzig
sind oder Mitte fünfzig, schließlich macht Neugier immer schön. Und
Sie mögen es, ernst genommen zu werden, von jemandem, der über
die Stadt schreibt und ihre Kultur liebt wie Sie. Für Sie war der tip
wahrscheinlich immer schon da, alle zwei Wochen neu am Kiosk,
eine verlässliche Größe, egal ob man die Stadt für ein paar Urlaubstage verlassen hat oder sogar für ein paar Jahre. Vielleicht sind Sie
aber auch Neuberliner und halten Ihre erste tip-Ausgabe in den
Händen. Kein schlechter Einstieg in unsere Never-ending Story über
Berlin, deren erste Folge 1972 geschrieben wurde.
Seit vierzig Jahren denken wir nur an Sie – und an die Stadt, deren
Geschichten wir alle vierzehn Tage neu erzählen. Anlässlich des 40.
Geburtstags des tip haben wir nun das Gedächtnis des Magazins
selbst aktiviert: nicht als nostalgische Übung, sondern um 40 Jahre
Berlin gegenwärtig zu machen.
Volker Gunske, viele Jahre als tip-Filmredakteur mit dem Heft eng
verbunden, hat für dieses Special die 1 069 Ausgaben des tip durchstöbert, die seit 1972 erschienen sind. Er hat sie aus den Ordnern
des Archivs geholt, entstaubt und viele Storys herausgesucht, die
gemeinsam einen neuen Stadtroman bilden. Seine Arbeit wurde zu
einer Reise durch die Zeit, in der APO und Punk-Avantgarde, Discomode und Mauerfall, Eduscho-Studium und Mückenmangel auftauchen — spannend, komisch und immer wieder auch berührend.
Die Autoren dieser Texte (siehe Seite 46) stehen für die vielen Redakteure und festen und freien Mitarbeiter, die den tip ausmachen.
Man könnte hunderte Geschichten über Berlin aus den tip-Heften
montieren, dies hier ist eine. Gemeinsam schreiben wir mit Ihnen
seit vierzig Jahren einen Fortsetzungsroman, von dem alle vierzehn
Tage eine neue Folge erscheint.
Wir freuen uns auf die nächsten 40 Jahre mit Ihnen und dem tip!
Stefanie Dörre & Robert Weixlbaumer
Impressum Verlagssonderbeilage
tip Verlag GmbH & Co. KG Karl-Liebknecht-Straße 29,
10178 Berlin
Redaktion Stefanie Dörre, Robert Weixlbaumer (V.i.S.d.P.),
Volker Gunske
Produktion & Layout Raufeld Medien GmbH,
Paul-Lincke-Ufer 42/43, 10999 Berlin
Grafik Anna Trautmann, Friedrich Schmidgall, Christine Seibold
Anzeigenleitung Martin Stedler
Anzeigenverkauf Alexander Falk, Melanie Gartzke, Klaus
Gennrich, Konstanze Köhler, Michael Lüdicke, Kristina Lorenz,
Johannes Nielsen, Susann Rack, Michelle Thiede
Geschäftsführung Robert Rischke, Michael Braun, Stefan Hilscher
Druck Frank Druck GmbH & Co. KG
Titelgestaltung Friedrich Schmidgall
Holzmarktstr. 33
10243 Berlin
Spreeufer am Ostbahnhof
Tickets www.radialsystem.de
030 288 788 588
40 Jahre Tip • Die 70er Jahre
Die siebziger
Fassbinder, Lindenberg, Deep Purple, Manfred Salzgeber, Lok Kreuzberg, Sex Pistols, Disco,
Tunix-Kongress, SO36, Beuys, Frauenbuchläden, Günter Grass, Nina Hagen, Rosa von Praunheim
4 40 Jahre tip
tip 13·12
Die 70er Jahre • 40 Jahre Tip
Nummer eins
Sechs Seiten, mit denen alles begann
Rückblickend ist es ganz einfach. Als 1972 die
ersten Programmkinos entstanden, wusste kaum
jemand, was da so lief. Die Berliner Medien ignorierten die neue Kulturszene nach Kräften. Das
merkte auch Klaus Stemmler, der gerade mit einem Freund das Notausgang-Kino ins Leben gerufen hatte. Was tun? Na klar, einfach das Programm selbst drucken. Dazu ein, zwei ArtikeI,
Infos von befreundeten Kinos, das Fernsehprogramm und Kleinanzeigen. Tausend Stück gedruckt und kostenlos in Kneipen und Unis verteilt. So ging’s los, und es ging immer besser. Der
tip wurde aus dem Stand zu einem Cultural und
Social Network. Hier fand man die richtigen Filme
und die zukünftige WG. Richtige Idee, richtige
Zeit, richtige Leute, richtige Stadt.
13·12 tip
40 Jahre tip 5
40 Jahre Tip • Die 70er Jahre
1972 • Juli • tip 27
1973 • April • tip 8
Peinliche Berlinale
Der letzte
Tango in Paris
„Alles vorbei Tom Dooley“ – das Festival bedröhnt das
Publikum mit Schlagermusik
Beim Rummel der Preisverleihung hätte der Zoo-Palast gewiß
einen Sonderpreis verdient. Sein
Bemühen, alte Schlager aus den
Jahren 1955–1958 einem breiten
Publikum zugänglich zu machen,
war unermüdlich. Doch leider
besitzt man im Zoo-Palast nur
eine Schallplatte. Der Wettbewerb im Zoo-Palast bestand aus
25 verschiedenen Filmen, zu allen Filmen wurde dieselbe Platte
gedudelt. Hörte man irgendwo
jemanden einen alten Schlager
vor sich hin summen, so konnte
man sicher sein: auch ein ZooPalast-Besucher. Selbst „Fillmore“ wurde nicht verschont. „Santana“, „The Greatful Dead“ und
als Vormusik „Alles vorbei Tom
Dooly“. Das ist nicht mehr komisch, das ist peinlich, schließt
aber den Kreis der Eindrücke, die
vom Festival zurückbleiben.
1972 • September • tip 34
The Who
Das Kinospektakel des
Jahres zieht die Massen an
Nicht endende Schlangen vor
den Vorverkaufskassen (City und
Kuli) beweisen es trotz überhöhter Eintrittspreise: Man will
sich das Kinospektakel des Jahres nicht entgehen lassen! Denn
schließlich prophezeien Kinoplakate und Publikationen eine
Sex­orgie zwischen der jungen
Maria Schneider (Jeanne) und
dem alternden Hollywood-Star
Marlon Brando (Paul). Aber
nicht scharfe Pornographie, sondern eher das Psychogramm
einer kaputten Welt erwartet
den sexhungrigen Zuschauer.
Die Rockstars floppen in der Deutschlandhalle
11.000 Fans füllten die Deutschlandhalle. „My Generation“ war
zuhauf gekommen und wollte ihre
Idole, die Who, feiern. Doch als
Hollands „Golden Earing“ vier Minuten nach acht die Bühne betraten, kam es anders: Sie bewiesen,
daß sie mehr als nur eine Anheizergruppe sind. Als die Who mit
einer superlauten Rock-Explosion
nach der Pause begannen, reagierte das Publikum nur flau. Die
Show der Who vor einigen Jahren
im Berliner Sportpalast ist unvergessen geblieben – heute ist man
wohl zu verwöhnt. Daß auch
Weltstars wie die Who sich etwas
Neues einfallen lassen müßten,
sei auch diesen wohl hiermit ins
Stammbuch geschrieben.
1973 • Januar • tip 1
Manfred Salzgeber
In Zehlendorf öffnet Deutschlands bestes Polit-Kino –
Manfred Salzgebers Bali
Es tut sich was in Zehlendorf.
Nach jahrelanger einseitiger
Programmgestaltung wird sich
im Bali in Zehlendorf einiges
ändern. Manfred Salzgeber, einer der Mitbegründer des Arsenal und engagierter Buchhändler bei Marga Schöller, eröffnet
am 5. Januar unter völlig neuer
Konzeption das Bali. Als erster
Film läuft Peter Handkes „Die
Angst des Tormanns beim Elfmeter“ unter der Regie von Wim
Wenders.
Der größte „Heuler“ des Programms wird aber zweifellos der
Film „Der Weg des Hans Monn“
6 40 Jahre tip
sein. Ein Film über Wittenau, wie
man in die Nervenklinik kommt
und wie man darin behandelt
wird. Die Gestaltung des Spielplanes ist vom Tagesprogramm
über die Spätvorstellung bis hin
zur „Kindervorstellung“ kompromißlos, eigenwillig, engagiert
und konsequent – neben dem
Arsenal mit keinem anderen Kino zu vergleichen.
22 Nach dem Bali-Kino leitete
Manfred Salzgeber ab 1980
die Berlinale-Sektionen
Info-Schau und Panorama.
Er starb 1994 an Aids.
1973 • Januar • tip 1
Deep Purple
Das letzte Konzert
im legendären Sportpalast
Nach langem Hin und Her wird
der bei den Berlinern ach so beliebte Sportpalast, mit dem sich
ja auch so nette Erinnerungen
verbinden („Wollt ihr den totalen Krieg?“), doch abgerissen!
Damit ist der Auftritt der Deep
Purple sozusagen der „Popabschied“ vom Sportpalast.
(16. Januar, Sportpalast, 20 Uhr)
tip 13·12
Die 70er Jahre • 40 Jahre Tip
1972 • Juli • tip 28
1974 • Januar • tip 1
Loretta im
Garten
Was ist an
Fassbinder so toll?
Eine der ersten KneipenKritiken im tip
Über diese Kneipe kann man eigentlich nur sagen, daß man
über sie nichts sagen kann. Hier
ist nichts los, außer ständigem
Verkehr (Publikumsverkehr natürlich), besonders im Sommer.
»Würstchen gibt es
auch. Und das ist
schon alles, was man
zu essen bekommt«
Loretta im Garten ist dem Wetter ausgesetzt, was Gärten so an
sich haben. Loretta, die frühere
Mitbesitzerin, ist nicht mehr da,
dafür aber der Garten. Er besteht aus Tischen, an denen man
sitzen kann, und Bäumen, deren
Äste einem ständig im Gesicht
herumhängen, wenn man etwas
lustwandeln will. Romantische
Typen verziehen sich hinter die
Hecke und sind fast ungestört,
bis auf den Lärm. In einer Ecke
steht eine Theke, an der man nur
etwas bekommt, wenn es voll
ist. Hier werden auch Würste
gebraten, und das ist schon alles, was man zu essen bekommt.
22 Loretta im Garten wurde
dann doch zu einer WestBerliner Institution.
2007 musste der Biergarten
an der Lietzenburger Straße
schließen.
Rainer Werner Fassbinder geht an der Freien Volksbühne
die Puste aus
Warum zerbrechen sich intelligente
Menschen über diesen vielgerühmten Tausendsassa des bundesdeutschen Films den Kopf? Sprachen
einige Leute geradezu euphorisiert
über seine schnell hininszensierten
Filme, so drangen seine Theaterarbeiten nicht so stark ins Bewußtsein, blieben bis auf vielleicht „Bremer Freiheit“ nicht haften.
Nun wagt er sich an Ibsens „Hedda
Gabler“, ein interessantes, wenn
auch nicht das wichtigste in Ibsens
psychologischen Frauendramen.
Liest man die Fragmente der Probengespräche im Programmheft
nach, so entdeckt man mit Erstaunen, so toll ist das ja gar nicht.
Dem Fassbinder geht ja auch mal
die Puste aus.
1974 • März • tip 5
Udo Lindenberg
Lindenberg gastiert zum ersten Mal in Berlin
Nachdem sich in der deutschen
Rock- und Popszene mit Joy Fleming schon eine Bluessängerin
mit vornehmlich deutschen Texten mit Erfolg durchgesetzt hat,
zeigt sich nun ein zweiter Vertreter dieser Deutsch-Rock-Art: Udo
Lindenberg, der vielen erst durch
seinen Fernsehauftritt in Reinhard
Mays Show bekannt wurde.
Mit seinen zum großen Teil autobiographischen Texten, fernab
der sonst in Deutschlands Schlagerwelt üblichen, abgedroschenen Klischees und Leerformeln,
beweist Udo Lindenberg die
Hoffähigkeit der deutschen
Sprache auch für die Rockmusik.
Quartier Latin, 8. bis 10. März
1973 • Januar • tip 2
Elefanten Press Galerie
Eine neue Art Galerie öffnet in Kreuzberg
Eine neue Galerie besteht seit
November 72 in Kreuzberg, und
schon ihr Name sollte die Vorstellung von einer üblichen Galerie erst gar nicht aufkommen
lassen. Obwohl keine neue Stätte der stillen Andacht beabsichtigt war, denn die Räume sind,
über den Rahmen von ständigen
13·12 tip
Ausstellungen hinaus, für die
vielfältigsten Aktivitäten und
Veranstaltungen geplant worden,
hat man am 13.1. eine Ausstellung
von Lars Pranger eröffnet.
Weil seine Bilder und Collagen,
die ästhetisch sehr beeindruckend sind, die Frage nach dem
Sinn und Zweck solcher Kunst
nicht beantworten können, muß
dieser Künstler während der gesamten Dauer der Ausstellung,
die hoffentlich nicht verlängert
wird, ständig in den Räumen der
Galerie anwesend sein, um sich
den Fragen der Besucher zu stellen. Die Galerie befindet sich in
der Dresdener Straße 10.
40 Jahre tip 7
40 Jahre Tip • Die 70er Jahre
1975 • Januar • tip 2
1974 • Dezember • tip 25
Kluge und Reitz
Ost-Berliner
Szene
Die allererste Frage im allerersten tip-Interview ging
an die Regisseure Alexander Kluge und Edgar Reitz
Zunächst einmal die Gretchenfrage nach dem Zielpublikum
eures Films „In Gefahr und
höchster Not bringt der Mittelweg den Tod“. Habt ihr nicht die
Befürchtung, daß einmal mehr
nur Intellektuelle die Hauptbesucherschicht eures Films sein
werden?
KLUGE/REITZ Wir wissen, daß
der Film nicht nur von Studenten gesehen wird, sondern auch
gerade von Arbeitern, Ange-
stellten und berufstätigen Frauen. Dies hat uns auch nicht
überrascht. Der Film ist in Kinos
vorgeführt worden, in denen
diese nicht spezifisch intellektuellen Kreise in der Überzahl waren. Vor diesem gemischten
Publikum haben wir uns in der
Diskussion überzeugen können,
daß der Film gerade bei dem
Publikum ankam, das keine besonderen Bildungswege durchlaufen hat.
1974 • Juni • tip 12
Berlinale und WM
Als die Filmfestspiele noch im Sommer waren –
und gleichzeitig die Fußball-WM im eigenen Land stattfand
Vor ein paar Jahren wünschte
man sich nichts sehnlicher, als
daß der Wettbewerb um Goldene
und Silberne Bären recht bald
eingehen möge. Nachdem man in
den ersten Jahren der „Spaltung“
(zwischen Wettbewerb und Forum) immer mehr zu der Überzeugung gelangte, daß das eigentliche Festival sich doch im
Arsenal und im Atelier am Zoo
abspielte, scheint es in diesem
Jahr wieder sinnvoller, sich in die
Wettbewerbsfilme zu wagen.
Zum äußeren Ablauf der Filmfestspiele: Im Festspielzentrum
(Europa-Center) stehen Fernsehgeräte, damit die Fußballfans
nicht zu kurz kommen. Ursprünglich hatte man auf eine Projekti-
8 40 Jahre tip
on an die große Leinwand im
Zoo-Palast spekuliert, doch die
Fifa war dagegen.
Kneipentipp: Historische
Weinstuben am Alex
Berlins Stadtplaner lassen ab
und zu auch ein paar historische
Häuser stehen: In unmittelbarer
Alexumgebung, in der Poststr.
23, befinden sich die „Historischen Weinstuben“. In mondlosen Nächten ist eine Taschenlampe angebracht, um den verfallenen Eingang zu finden. Der
Name ist etwas überholt, die
Weinstuben bestehen seit vier
Jahren nur noch aus einer einzigen Stube mit gut dreißig Plätzen. Der Raum erinnert irgendwie an eine Laube, das Mobiliar
wirkt ein bißchen zusammengesammelt und vergammelt. Trotzdem ist es hier gemütlich, wie in
einer badischen Weinstube. Auf
der Speisekarte: verschiedene
Schweinesteaks auf Toast, Gewürzfleisch und Wurst- oder
Fleischsalat. Der hungrige Gast
braucht dafür nur 2,90 bis 5,20
Mark zu bezahlen. Hauptsächlich
gibt es natürlich Weine: ungarische Weißweine, Tokaji (1961!),
Muskateller, rumänische Rotund Weißweine und einen sehr
guten 67er aus der DDR,
„Schlosskeller“. Die 0,2-LiterSchoppen liegen zwischen 2,–
und 4,– Mark, die Flaschen zwischen 6,– und 24,– Mark.
22Die Historischen Weinstuben
überlebten den Mauerfall.
Die Adresse ist geblieben,
Preise und Ausstattung
haben sich geändert.
»Möge der Wettbewerb
um Silberne und Goldene Bären recht bald
eingehen«
Nun, Fernsehen ist ja auch ganz
nett. Eine Verlegung der Filmfestspiele war übrigens nicht möglich,
da die internationale Reihenfolge
Cannes, Berlin, Moskau, Venedig
eingehalten werden muß. Sei’s
drum, Film- und Fußballfreunde,
schlaft schon mal auf Vorrat, es
erwarten euch lange Tage!
tip 13·12
Die 70er Jahre • 40 Jahre Tip
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1976 • Januar • tip 2
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Lok Kreuzberg
Neue Wege zur Vermittlung politischer Songs
Es ist noch gar nicht so lange her,
da präsentierte die Lok im Quartier Latin das letzte Mal ihre musikalische Vielfältigkeit. Zusammen mit Volker Kriegels Mild
Mania Orchestra versuchte sie, im
Konzerteinerlei neue Wege zu
gehen. Ende Januar zeigt die Lokomotive Kreuzberg an gleichem
Ort ihr neues Programm: „Countdown!“ Grundlage und ausschlaggebend für dieses Stück
war nicht nur die Suche nach
neuen Wegen zur Vermittlung
politischer Songs, sondern vor
allen Dingen die Auseinandersetzung mit Problemen Jugendlicher. Die Arbeit an diesem Stück
(es handelt sich um ein RockMusical) zeigt, wie stark sich diese Musikgruppe bemüht, eine
Kommunikationsebene zum jugendlichen Publikum zu finden.
22Die Lok-Mitglieder Herwig
Mitteregger, Bernhard
Potschka und Manfred
Praeker spielten später in
der Nina Hagen Band.
1980 gründeten sie Spliff.
1976 • Juni • tip 13
Frauenbuchladen
Foto: Frank Roland-Beeneken
Zweiter Berliner Frauenbuchladen öffnet in Charlottenburg
Männer brauchen nicht zu befürchten, dass sie Lilith verfallen, sie haben sowieso keinen
Zutritt zum neuen Frauenbuchladen, der am 29. Mai in der
Kantstraße 125 unter diesem
Namen eröffnet wurde. Was für
den Frauenbuchladen in der
Yorckstraße gilt, gilt auch für
den im Off-Ku’damm-Bereich.
Gründe für diese Regelung liefern neben der Theorie der Frauenbewegung auch die Praxis: Wo
13·12 tip
Männer auftauchen, haben die
Frauen häufig nicht mehr viel zu
melden oder trauen sich nicht
mehr ihre Meinung zu vertreten,
wenn sie von der ihrer männlichen Begleiter abweicht. Damit
Frauen in Ruhe in Büchern
schmökern können, sich zwanglos unterhalten können und
selbst entscheiden, ob und was
sie kaufen, gilt für Männer wie
andernorts für Hunde: „Wir müssen draußen bleiben.“
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tip 13·12
Die 70er Jahre • 40 Jahre Tip
1978 • Februar • tip 3
1978 • September • tip 18
Was war los
mit den Sex
Pistols?
Ein geplatztes KonzertInterview mit Veranstalter
Conny Konzack
Weshalb ist das Konzert mit den
Sex Pistols geplatzt?
KONZACK Wir haben die Pistols
acht Tage vor dem Konzert, das
für den 22. Januar geplant war,
bei der Frankfurter Agentur Mama Concerts gebucht. Die Truppe
sollte erst im Kant-Kino auftreten, als die Nachfrage aber immer
stärker wuchs, haben wir uns für
die Neue Welt entschieden.
»Die Pistols hätten
etwas über 4 500 Mark
gekostet«
Foto: Ingo Harney
Wann habt Ihr erfahren, dass
das Ding platzt?
Am Mittwoch vor dem Konzert
kursierten die ersten Gerüchte,
die Pistols hätten sich aufgelöst.
Nachts wurde das noch mal
durch den BBC bestätigt. Am
Donnerstag erfuhren wir das offiziell von Mama Concerts.
Ist euch ein Schaden entstanden?
Ja, obwohl sich der in Grenzen
hält. Wir zahlen an die Neue Welt
300 Mark Ausfallmiete, für die
Werbung haben wir natürlich
auch Geld locker gemacht, so daß
sich alles insgesamt auf etwa
1 500 Mark Schaden beläuft.
Wieviel hätten die Sex Pistols
gekostet?
Etwas über 4 500 Mark.
Das Konzert in der Neuen Welt
wäre das erste der Pistols in
Deutschland gewesen?
Richtig. Am 23. Januar wollte die
Truppe in Berlin eine Platte einspielen, am 24. sollte sie in Hamburg auftreten.
Zur Zeit kursieren Gerüchte, die
Auflösung der Band sei unwahr,
ein Werbegag.
Ich bin nicht besser informiert
als Ihr.
22 Conny Konzack leitete später
die Konzertagentur Albatros
und managte Extrabreit,
Ideal und Die Ärzte.
13·12 tip
Das SO36 legt los
Punk-Mekka, Insider-Laden, Provo-Treff
SO36: Buntes Neon, Wände zum
Bemalen, Bühne, Bier, der kontrollierende Blick in den Spiegel
auf den Toiletten oder sonstwo
fällt aus – es gibt keine Spiegel.
Am Heinrichplatz in Kreuzberg
ist ein „Punk-Mekka“ entstanden, das sich als Alternative zum
traditionellen Unterhaltungsbetrieb versteht: Die, die sonst
kein Podium finden, erhalten es
hier. Eine Bedingung: Es muss
dreist genug sein.
So startete der Insider-Laden
mit einem Musikfestival unter
dem Motto: „Zwei schräge deutsche Nächte in Süd-Ost“ mit
zahlreichen Punkrockbands.
Den Höhepunkt bildete in der
Nacht zum 13. August ein Geburtstagsständchen der WallCity-Rock-Bands (PVC, FFURS,
WALL) für die Mauer. Hierzu
wurde den Musikern und den
Besuchern ein Kuchen in der
Form der Mauer mit Stacheldraht aus Schokolade und der
Aufschrift „Anstiftung“ gereicht.
Provokation?!
Der Veranstaltungsbereich im
SO36 wird in den nächsten Wochen intensiviert, es sind Undergroundfilme zu erwarten, viel
Musik und Multi-Media. Der Laden
hat mittwochs, freitags und samstags von 21 bis 5 Uhr geöffnet.
1978 • Januar • tip 2
Tunix-Kongress
Aufruf zum legendären Rebellen-Treffen in West-Berlin
Zu einer dreitägigen Massenveranstaltung ruft der Berlin Koordinationsausschuß „Reise nach
Tunix“ auf.
»Sie haben uns genug
kommandiert, die
Gedanken kontrolliert«
An diesem Ausschuss sind beteiligt unter anderem: Verband des
linken Buchhandels, Erich Fried,
Jean-Luc Godard mit seiner Mediengruppe, Rote Hilfe Westberlin, Daniel Cohn-Bendit, Alexander Kluge, Schwulenzentrum
Berlin, die italienische Gruppe
Lotta Continua, die französische
Zeitung „Liberation“ und alternative Blätter in der Bundesrepublik.
Wo liegt Tunix? Die Veranstalter:
„... zum Strand von Tunix, der
weit weg liegen kann, oder vielleicht auch unter dem Pflaster
von diesem Land“. Weiter: „Sie
haben uns genug kommandiert,
die Gedanken kontrolliert, die
Ideen, die Wohnungen, die Pässe, die Fresse poliert. Am 27., 28.
und 29. Januar wird deshalb in
West-Berlin ein Treffen aller
Freaks, Freunde und Genossen
stattfinden, denen es stinkt in
diesem Land.“
40 Jahre tip 11
40 Jahre Tip • Die 70er Jahre
1977 • September • tip 19
1977 • Mai • tip 11
Günter Grass über Kritiker:
Wadenbeißer und Pisser
Buh, Bravo,
Theatertreffen
Wie Grass einmal prominente deutsche Literaturkritiker in den Boden rammte
Seine Telefonnummer, weil geheim und in keinem Berliner
Fernsprechbuch abgedruckt,
wird unter Insidern nur mit Bedenken weitergegeben. Sein
Domizil, idyllisch im Schöneberger Stadtteil Friedenau gelegen,
knapp zwanzig Meter entfernt
von der unfallträchtigen Handjery-/Niedstraße, wird abgeschirmt von seinem Sekretariat.
Im roten Backsteinhaus, das
durch einen verwilderten Vorgarten getarnt wird, residiert
der Schriftsteller und Grafiker
Günter Grass im ersten Stock,
hinter einem überbreiten Monstrum von Tisch und dreht Zigaretten („Schwarzer Krauser“).
Seit dem 10. August wird sein
700-Seiten-Buch „Der Butt“ (tip
17/77) verkauft, das in der
„Spiegel“-Bestseller-Liste den
Sprung von Null auf den ersten
Platz schaffte. Im tip-Interview
rechnet Günter Grass ungewohnt scharf und wütend mit
der deutschen Literaturkritik ab.
Wie steht der Autor Grass zur
bundesdeutschen Literaturkritik? Marcel Reich-Ranicki beispielsweise will den „Butt“ in
der Tradition eines bestimmten
Realismus wissen ...
GRASS Ranicki (Marcel ReichRanicki ist Literaturkritiker der
„Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ – Anm. d. Red.) ist im
Grunde in seiner Einstellung zur
erzählenden Prosa beim geläuterten sozialistischen Realismus
stehengeblieben. Deswegen wird
er auch immer enttäuscht sein,
wenn ein Autor diese Formen
nicht mehr für tragfähig hält.
Joachim Kaiser von der „Süddeutschen Zeitung“ spricht von
der „Zusammenlesewut und
Zitierseligkeit des geborenen
Autodidakten“. Was sagt Grass
zu Kaiser?
Er stellt seine Besprechung unter die Überschrift „Gelang Grass
ein Danziger ‚Zauberberg‘?“
Dann beantwortet er sich seine
selbst gestellte Frage, ohne aber
auch nur eine Sekunde darauf
Rücksicht zu nehmen, ob ich jemals vorgehabt hätte, einen
neuen „Zauberberg“ zu schreiben. Er hätte mich nur anrufen
müssen, ich hätte es ihm verneinen können. (...)
Nochmal: Wie steht der Autor
Grass zur Literaturkritik?
Ich habe das Gefühl, daß die Literaturkritik in der Bundesrepublik auf eine beschämende Art
maßstabslos ist. Man hört im
günstigsten Fall, wenn es ein
belesener, ein gut aufgelegter
Kritiker ist, seine persönliche
Lesermeinung, mehr oder weniger witzig formuliert, und auch
in erster Linie darum bemüht,
mit Witz zu demonstrieren:
Schaut, wie geschickt ich das
Buch reflektiere. (...) Es gibt eine
Legion von heruntergekommenen Literaturkritikern, ich nenne
mal den Karasek (Hellmuth Karasek ist Feuilleton-Chef des
„Spiegel“ – Anm. d. Red.) als
Beispiel, der hat auch mal in der
„Stuttgarter Zeitung“ gut und
groß angefangen, das ist runtergekommen zu einer Legion von
Wadenbeißern und Wadenpissern, die nur noch von der
„Spiegel“-Häme, das heißt: von
der Hand in den Mund leben,
ihren Aufhänger suchen und ihren Text runterschreiben und
genau wissen: Das kommt dem
deutschen Bedürfnis nach Häme
entgegen. Hier wird rasch befriedigt, das ist „Bildzeitung“ auf
mittlerem Niveau.
Wenn Schauspieler zurückbuhen und Studenten sich
um Karten prügeln
„Bemerkenswertes Theater“ haben uns die zehn Jury-Mitglieder
des Theatertreffens ’77 versprochen, und bemerkenswertes
Theater haben wir bekommen.
„Kontrovers“ war das Stichwort
des diesjährigen Treffens. Bei
fast allen Aufführungen spaltete
sich das Publikum in Buh- und
Bravorufer, was am ersten Abend
von „Othello“ die Schauspieler
dazu veranlasste, ihrerseits das
Publikum auszubuhen. Leicht
war es für die Schauspieler und
Regisseure nicht; viel Arges
mussten aber auch die Zuschauer über sich ergehen lassen.
Für die Veranstalter, die Berliner
Filmfestspiele GmbH unter der
Leitung von Dr. Ulrich Eckhardt,
war es ein voller, fast stets ausverkaufter Erfolg. Dass regelrechte Kartenschlachten, angeleitet
von Studenten des Theaterwissenschaftlichen Instituts, die sich
um versprochene Eintrittskarten
betrogen fühlten, ausgefochten
wurden, schien in den Augen der
erschreckten Zuschauer zum
Glanze des Theatertreffens beigetragen zu haben.
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Freischwinger »Weimar«
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tip 13·12
Die 70er Jahre • 40 Jahre Tip
1978 • März • tip 5
1979 • Mai • tip 11
1979 • April • tip 9
Neue Kinos
für Berlin
Engagierte Kinomacher
starten die Programmkinos
Broadway, Yorck und Off
Nina Hagen
Nina Hagen erobert Berlin
Die Nina Hagen Band, deren erstes Konzert am 25. Februar das
Quartier Latin aus allen Nähten
platzen ließ, hat zweifellos Lob
verdient. Exzellenter, dynamischer Rock, Ninas phantastische
Stimme und die locker über die
Bühne gebrachte Show machen
die Gruppe zum (Geheim-)Tip.
1977 • November • tip 24
Fotos: Klaus Hemme (links), Beatrice Kunz / Christoph Maas
Extrem-Theater
Winterliches Freilufttheater
im Olympiastadion
Unter dem Titel „Winterreise“
zeigt die Schaubühne am Halleschen Ufer an acht Abenden zwischen dem 1. und 13. Dezember im
Berliner Olympiastadion eine Produktion von Klaus Michael Grüber,
die auf Hölderlins Roman „Hyperion“ basiert. Jeweils 800 Zuschauer werden auf der überdachten Haupttribühne Platz finden.
13·12 tip
Rosas Abrechnung
Rosa von Praunheim über deutsche Schwule und Heteros
Rosa von Praunheim (36),
schwuler Filmemacher („Die
Bettwurst“) und Schriftsteller
(„Sex und Karriere“), dokumentiert in seinem neuen Film „ Die
Armee der Liebenden oder Aufstand der Perversen“ die Aktivitäten der amerikanischen
Schwulen-Bewegung. Im tip-Interview grenzt sich Praunheim
hart gegen alle heterosexuellen
Männer ab, bezeichnet seine
Kollegen Werner Herzog, Wim
Wenders und Rainer Werner
Faßbinder als „Scheißer“ und
kritisiert scharf die „Umarmungen“ der heterosexuellen Linken: „Weil da nämlich ihre eigene verklemmte Sexualität aufbricht“ (Praunheim). Der Regisseur geht auch mit Deutschlands
Schwulen nicht grade zimperlich
um: „Die kiffen sich tot und fi-
cken, bis sie die Gelbsucht kriegen.“ Dennoch sieht er Chancen
einer Veränderung ...
Rosa, du hast jetzt, nach sieben
Jahren Arbeit, einen Film über
die amerikanische SchwulenBewegung abgeliefert. Interessiert dich die deutsche Bewegung nicht mehr?
PRAUNHEIM Ich hätte ganz gern
einen Film über die deutsche
Schwulen-Bewegung gemacht.
Aber das wäre sicherlich frus­
trierend gewesen, denn das, was
sich so in Deutschland abspielt,
dieses Hickhack von akademischen kleinen linken StudentenZirkeln, die es jetzt Gott sei
Dank nicht mehr gibt, ist nicht
sehr erfreulich. Ich finde es besser, dann was zu machen, was
halt Mut macht, was anregt, was
konstruktiv ist.
Nachdem die dreiköpfige Truppe
des Broadway am Tauentzien
wieder aufgemacht hat, haben
sich dieselben Leute ein weiteres Kino vorgenommen: Das
ehemalige Porno-Kino Rixi in der
Hermannstraße 20 heißt von Anfang des nächsten Monats an Off
und eröffnet das Filmprogramm
mit Rüdiger Nüchterns letztem
Streifen „Schluchtenflitzer“ am
5. Mai (Vorführungen 16.30,
18.30 Uhr). Die 20-Uhr-Vorstellung wurde mit „Assault – Anschlag bei Nacht“ programmiert.
Das Spätvorstellungs-Repertoire
stand bei Redaktionsschluß noch
nicht fest.
Die Motivation der Kinomacher
ist eine ähnliche wie im Yorck in
Kreuzberg, wo sie ihre Erfahrungen mit einem Konzept von
stadtteilbezogener Kino-Arbeit
gemacht haben. Das Programm
soll möglichst breit gefächert
werden und kann in Neukölln,
wo es außer dem Ili kein nennenswertes Angebot gibt, eine
große Lücke füllen.
22Georg Kloster entwickelte
aus diesen Anfängen die
heutige Yorck-Kinogruppe
40 Jahre tip 13
40 Jahre Tip • Die 70er Jahre
1978 • Juli • tip 15
1978 • Juli • tip 15
Wutrede 1
Berlinale-Chef Wolf Donner
über die Filmstadt Berlin
Warum ist Ihnen neulich im SFB
der Kragen geplatzt?
DONNER Gemotzt habe ich, weil
hier in Berlin sehr vollmundig
aus allen Kanonen orakelt, spektakelt und herumgedoktert wird
an der allzeit reduzierten Filmstadt Berlin, und das geschieht
auf so eine sehr seltsame Weise,
nämlich in Form von Statements
aus der Isolierstation. Jeder
setzt so auf sein kleines Häufchen (...), meistens mit aufgehaltener Hand, und vertritt nur
seinen eigenen Standpunkt.
Aber so entsteht keine Filmstadt. Was hier völlig fehlt, ist
das Bewusstsein, dass Filmstadt
zunächst einmal Frage eines Klimas wäre, eines Filmklimas, eines Filmbewusstseins, einer
Filmkultur.
1979 • März • tip 6
Ice Palace, Joachimstaler Straße, Eintritt: 5 Mark
Wutrede 2
Die ersten Discos
Haben Sie ein gestörtes Verhältnis zur Berliner Presse?
DONNER Ja, Sie können das sicher
so nennen. Das ist ein sehr prekäres Thema. Es gibt ein paar Indizien, die kann ich ruhig nennen,
machen Sie damit, was Sie wollen. Die Berliner Presselandschaft
insgesamt leidet unter einem
ziemlich mickrigen Niveau. Das ist
bekannt, darüber wird immer
wieder geklagt. Und das wird außerhalb Berlins mit leichtem Erstaunen und auch etwas Ratlosigkeit zur Kenntnis genommen.
Aber es ist so. Und ich habe von
Anfang an sehr wenig Lust gezeigt, mich darauf übermäßig intensiv einzulassen, was sicher ein
Fehler ist. Es gehört zu solch einem Job dazu, die Lokalmatadore
bei Laune zu halten. Ich habe
meinem Nachfolger empfohlen,
es so zu machen, wie einst Dr.
Bauer, mit zwei, drei dieser Herrschaften jede Woche mindestens
eine Stunde zu telefonieren, damit da für gut Wetter gesorgt ist.
14 40 Jahre tip
Neue Tanztempel ziehen die Massen an
Disco etabliert sich nun auch in
Europa als zentrales FreizeitPhänomen, gerade rechtzeitig im
Zeitalter der „neuen Einsamkeit“
mit dem freiwillig gewählten
„Single“-Dasein im Zeichen des
Gottes Narcissus. Also wohin mit
diesem neuen Feeling im ersten
Sommer unseres Disco-Vergnügens? Die deutschen Diskotheken der Post-Psychedelic-Ära
wirkten bislang so gräßlich anheimelnd wie Thingstätten bündischer Jugend.
Doch nun gibt es „Bowie“, die
Summe unserer Hard-Rock-Gymnastik-Erfahrung aus den frühen
Siebzigern und unserer neoschicken Disco-Deca-Trance à la
Kraftwerk. „Bowie“ ist all das,
wofür der Namensgeber David in
seinem neueren musikalischen
Œuvre einsteht: Glamour, der auf
dem proletarischen Teppich
bleibt, Futurismus, der die Gegenwart nicht ignoriert. Die Bowie-Besitzer haben vom ehemaligen „Tolstefanz“-Publikum die
Creme abgeschöpft: DrogenFlippies fehlen, Schickeria-Gecken lassen sich nicht blicken,
linke Langweiler gaffen nicht
bewusstseinsverändert herein.
Dafür beinahe jeden Abend Platz
für 500 ungemein attraktive jüngere Mittelklasse-Leute dreierlei
Geschlechts und zivile Preise zur
Musik von Graham Parker, Elvis
Cos­tello und Jonathan Richman.
Orientalisch aussehende Besucher müssen mit Einlass-Schwierigkeiten rechnen; gelegentlichem
Ärger reagieren die Bowie-Bewacher gleich mit Sippenhaft ab.
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tip 13·12
Foto: Klaus Hemme
Berlinale-Chef Wolf Donner
über die Berliner Presse
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1979 • August • tip 18
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Bestandteil des Angebots, sondern dienen
allein Vergleichszwecken zwischen verschiedenen Fahrzeugtypen. Abbildung
entspricht nicht dem Angebot.
2
Die berühmte Galerie Block schließt mit einer letzten
großen Beuys-Ausstellung
In schwere Säcke verstaut und
zum Abtransport nach Amerika
bereit liegt die Berliner Galerie
Block im Vorgarten der Wilmersdorfer Schaperstraße 11. Was da
beerdigt wird, ist nicht weniger
als eine der bedeutendsten Galerien im Nachkriegs-Berlin. Joseph Beuys, Plastiker für eine
menschlichere Gesellschaft, und
der Galerist René Block zelebrieren den Abbruch gemeinsam,
denn sie haben nach 15jähriger
Zusammenarbeit auch heute
noch eine wesentliche Gemeinsamkeit: Sie sind nicht interessiert am Leerlauf des modernen
Kunstbetriebs, „diesem kleinen
pseudokulturellen Getue“
(Beuys). Der abgeschlagene Putz
der Galerie macht den Entschluß
plastisch, und diese Konsequenz
hat Geschichte. „Ja, jetzt brechen wir hier den Scheiß ab“ ist
nicht nur der Titel der letzten
Ausstellung und das Ende der
Galerie Block, ein Experimentierfeld für die Entgrenzung der
Kunst, es ist auch ein Zitat. Joseph Beuys beantwortete damit
eine leidige Pressefrage nach
seinem ersten sechsstündigen
Happening in Berlin. Heute tönt
der Satz in einminütiger Folge
über den Lautsprecher in die
Abbruchgalerie.
1979 • Dezember • tip 26
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Enzensberger reimt für Zadek den Molière neu –
der tip reimt zurück
Hans Magnus Enzensberger fiel’s nicht schwer
für Zadek einzudeutschen den Molière.
Des „Volkes Bühne“ führt das Stück nun auf –
zum „Menschenfeind“ strömt man herbei zuhauf.
Man jubelt und klatscht sich die Hände wund,
die Schaperstraße hat ’nen dicken Hund.
Das Publikum berauscht sich an den Reimen,
die aus der neuen Übersetzung keimen.
Des Enzensberger Jamben – wohl gehegt,
da fühlt die tip-Kritik sich angeregt.
Fünfmal gehoben ist genau die Zeile
und auch gereimt – wenngleich in Hast und Eile.
13·12 tip
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40 Jahre tip 15
40 Jahre Tip • Die 80er Jahre
Die Achtziger
Hausbesetzer, Lummer, geniale Dilettanten, Ost-Berliner Punker, Heiner Müller, 750 Jahre Berlin, Einstürzende Neubauten, Heller Wahn, Linie 1, Wolfgang Neuss, die 3 Tornados, Mauerfall
1980 • März • tip 6
1980 • Oktober • tip 23
1980 • Januar • tip 2
PleitenBerlinale
Joy Division
Eine Einstimmung auf ihr
einziges Berlin-Konzert
Die erste Berlinale unter
der neuen Leitung von
Moritz de Hadeln und
Ulrich Gregor
Was man in den abschließenden
Pressestimmen zu den Internationalen Filmfestspielen Berlin
1980 liest, hat man schon während des Festivals kommen sehen: Enttäuschung über den
Mangel an wirklich erstklassigen
Filmen, Empörung über die Stillosigkeit der neuen Leitung Moritz de Hadeln/Ulrich Gregor im
Umgang mit Gästen, Presse und
Publikum, noch dazu fehlendes
Einverständnis mit mehreren
Entscheidungen der Jury.
»Hoffentlich ist diese
Berlinale nicht für den
gegenwärtigen Stand
des Filmschaffens
repräsentativ«
Als Kinogänger wünsche ich mir,
daß die Berlinale 80 nicht für
den gegenwärtigen Stand des
Filmschaffens in der Welt repräsentativ ist. Ich hoffe vielmehr,
daß die Gründe für die allgemein
beklagte Pleite des diesjährigen
Filmfests nur in den Kinderkrankheiten der neuen Leitung,
in den veränderten Auswahlprinzipien der Auswahlkommission oder etwa in der Zurückhaltung der großen Filmindustrie
gegenüber Berlin zugunsten von
Cannes zu suchen sind, und
nicht darin, daß gute Filme einfach nicht mehr produziert werden. Dies wäre das größere Übel.
22 Moritz de Hadeln leitete die
Berlinale bis 2001.
16 40 Jahre tip
Theater-Spektakel
Zehn Stunden „Orestie von Aischylos“ an der Schaubühne
Peter Steins neueste Inszenierung an der Schaubühne am Halleschen Ufer stellt sich als ein
gigantisches Theaterspektakel
dar. Zehn Stunden lang müssen
die Zuschauer ausharren, um der
„Orestie von Aischylos“ von Anfang bis Ende zu folgen. Ein Racheakt löst den nächsten ab, und
das Blut der Opfer ergießt sich
in Strömen übers Parkett.
Neuneinhalb Stunden – inklusive
zweier Pausen à eine Stunde –
auf dem Boden zu hocken und
Ur-Zeit-Dramatik zu erleben, das
schreckte mich und wird manche
Überlegung beeinflussen, ob
man sich das neue Antiken-Projekt der „Schaubühne“ zur Brust
nimmt oder nicht. Im Gegensatz
zu anderen Rezensenten hatte
ich es versäumt, den Text der
Trilogie vorher gründlich durchzuarbeiten – auch darin fühle ich
mich den nicht professionellen
Theatergängern verwandt. So
begab ich mich mit der Eintrittskarte und einem schlechten Gewissen ans Hallesche Ufer, gewärtig, im inszenierten Herrschaftswissen der Kulturprofis
zu versanden.
In der Pause gibt es eine warme
Suppe und Zeit, die Beine zu
vertreten. Das Publikum flaniert
diskutierend und argumentiert
Pro und Kontra aus dem verblaßten Informationsvorrat eigener humanistisch-klassisch-antiker Schulbildung. Aber es geht
auch ohne. Auch den Ungebildeten drückt Hauptdarsteller Udo
Samel am Ende artig die Hand:
„Leben Sie wohl. Vielen Dank,
daß Sie zugeschaut haben!“
Gern geschehen! Mein Kopf hat
auf Kosten meines Hinterns etwas gelernt.
Das gefürchtete Jahrzehnt, in
dem alles anders und schlechter
zu werden droht, ist da. Wenn
wir diese ungemütliche Dekade
überleben wollen, wird uns das
einige Anstrengungen kosten.
Joy Division kann mithelfen,
nicht nur, weil wir Musik noch
brauchen werden, sondern gerade diese Musik: Sie spiegelt Realitäten, entlarvt die zunehmende Unbewohnbarkeit der Vororte und zerstört Illusionen. „The
Sound Of The City“ – 1980!
Manchester ist keine so schöne
Stadt. Joy Division kommen da
her. Ihre Musik ist ein Spiegel der
Wirklichkeit, ihrer Wirklichkeit.
„Wir haben keine eigentliche
Botschaft“, sagt Sänger Ian Curtis. „Die Texte sind offen, interpretierbar, sozusagen multidimensional. Du kannst ihnen entnehmen, was du willst.“
Die Texte sind aber nur die eine
Hälfte. Noch viel wichtiger ist die
Musik: Überaus bedrohliche
Klanggebilde, die sehr, sehr erregend sind. Musik, die an leergefegte, nasse Straßen bei Nacht,
verlassene Parkhäuser und Kneipen, in denen die Stühle schon
hochgestellt sind, erinnern.
Wer ihr erstes im vorigen Jahr auf
dem Factory Label erschienenes
Album „Unknown Pleasure“ noch
nicht kennt, sollte dies schleunigst nachholen. Eine bessere
Platte ist 79 nicht erschienen,
und sie ist eine ideale Einstimmung fürs Konzert. (21. Januar,
Kant-Kino.)
22Sänger Ian Curtis erhängte
sich im Mai 1980. Die drei
verbliebenen Bandmitglieder
gründeten die New-WaveBand New Order.
tip 13·12
Die 80er Jahre • 40 Jahre Tip
1981 • Januar • tip 1
1981 • Oktober • tip 21
Lummer und
der tote Rattay
Der radikale Innensenator
räumt Häuser und ein
Demonstrant stirbt
Am 22. September läßt Berlins
CDU-Innensenator Heinrich Lummer acht von insgesamt 157 besetzten Häusern räumen. An
diesem Tag stirbt auch der 18jährige Demonstrant Klaus-Jürgen
Rattay, als Polizeieinheiten eine
Straßenkreuzung räumen.
»Lummer inspizierte
die besetzten Gebiete.
Draußen kochte es«
Leerstand
Spekulanten setzen auf den Verfall von Häusern und
vernichten günstigen Mietraum
Tatsächlich sind bis heute
höchstens zwei Dutzend Häuser
mit rund 100 Wohnungen in
Berlin besetzt – nach offiziellem
Eingeständnis stehen etwa 7.000
Wohnungen leer. In Wirklichkeit
dürfte die Zahl etwa doppelt so
hoch liegen: „Eine Leerstandsgenehmigung“ muß vom Hausbesitzer erst nach drei Monaten
beantragt werden, eine wirksame Kontrolle gibt es praktisch
nicht. Dagegen ist es „jahrzehntelange Praxis“, daß die staatlich
bestellten Sanierungsträger, die
ganze Quartiere in Berlin verwalten, „automatisch“ Leerstandsgenehmigungen ausgestellt bekommen – auch bei
„unklarer Planungslage“ über
die Zukunft der Altbauten.
Die Folge dieses Skandals kann
jeder bei einem Spaziergang
durch den Südosten Kreuzbergs,
13·12 tip
den Norden Schönebergs oder
durch den alten Wedding besichtigen: „Entmietete“ Straßenzüge, schwarze Fensterhöhlen, verrottende Fassaden. Die
Häuser der Gründerzeit – schon
zur Zeit ihres Baus als „Mißstand mit drei Hinterhäusern“
bezeichnet – haben ihre Schuldigkeit getan. Knapp 100 Jahre
alte Ruinen des Spekulantentums dämmern dem einzig profitablen Abriß und Neubau entgegen. Wenn selbst die türkische Bevölkerung die alten
Häuser nicht mehr „kaputtwohnen“ kann, ist dieses Schicksal
unvermeidlich: Trotz aller Beteuerungen von Politikern und
Planern ist damit zu rechnen,
daß bis Mitte der 80er Jahre etwa 50.000 billige Wohnungen
aus dem Altbau-Bestand Berlins
verschwinden.
Das Manöver war abgeschlossen,
die feindlichen Stellungen waren
gestürmt, ohne nennenswerten
Widerstand übrigens, denn die
militärische Überlegenheit war
eindeutig. Der Oberkommandierende inspizierte die besetzten
Gebiete. Draußen kochte es.
Doch er kostete den Triumph wie
einer, der jahrelang davon nur
träumen durfte. „Wenn schon,
denn schon“, resümierte er vor
der versammelten Presse, „alles
in einem Aufwasch“. Wenige Minuten später wurde das Blut eines Opfers von der Straße gewaschen. Ein „Verkehrsunfall“ –
aber nicht der BVG, sondern des
Innensenators.
Heinrich Lummer, fast einziger
Berliner in den Reihen des neuen
Senats – nicht nur die Radikalen
der Hausbesetzerszene erhalten
Zulauf aus Westdeutschland –
wußte, was er tat. Schon bei den
Auseinandersetzungen um das
Rathaus Schöneberg forderten
nicht nur wir: „Lummer muß zurücktreten!“ Im tip-Gespräch
offenbarte Lummer ein eigentümliches Verantwortungsgefühl.
Auf die Frage: „Wann brennt Berlin“, antwortete der Mandatsträger in zynischer Ohnmacht: „Berlin brennt dann, wenn die das
wollen!“ Heißt im Klartext: Daran
kann ich, der dafür Beauftragte,
nichts ändern. (Andere nähmen
schon hier ihren Hut.)++ Heißt
weiter: Dafür schlagen wir aber
zurück! „Wenn schon, denn
schon. Alles in einem Aufwasch.“
40 Jahre tip 17
40 Jahre Tip • Die 80er Jahre
1981 • September • tip 20
Festival genialer Dilettanten
West-Berlins wichtigstes Konzert der 80er. Mit dabei: Sprung aus den Wolken, Malaria!,
Mania D., Die Tödliche Doris, Sentimentale Jugend und Einstürzende Neubauten
„Das ist Folklore, Berliner Folklore. Einfach authentische Musik, authentische Musik aus
West-Berlin“, sagt Blixa Bargeld,
Sänger und Gitarrist der Gruppe
„Einstürzende Neubauten“. Was
er da als Berliner Folklore bezeichnet, war Anfang September
im Tempodrom-Zelt am Potsdamer Platz, vis-à-vis von der Mauer, zu hören: Rund vierzig Musiker traten in diversen Gruppen
zu einem „Festival genialer Dilettanten“ an, das Bargeld zusammen mit dem Schauspieler,
Musiker und Veranstalter Mabel
und dem Schauspieler und Filmemacher Wieland Speck organsiert hatte. Diese „Große Untergangsshow“ bot rund 1500 zum
größeren Teil ungläubig staunenden Besuchern eine Musik
als Volksmusik an, die mit Wanderliedern zur Gitarre oder dem
martialischen Singsang der
Schöneberger Sängerknaben
nichts mehr gemein hat. Wohl
aber mit dem Ursprung von Folklore als einer Musik, die so einfach ist, daß sie jeder spielen
kann und die eben nicht von
wenigen für viele gemacht wird.
In maximal zwanzig Minuten langen Auftritten pro Band waren
an diesem Abend mehr an bisher nicht gehörten Rhythmen
und Klängen zu hören als den
Neuerern der Rockmusik, den
Neue-Welle-Fabrikanten, zugesprochen werden. Und in ihren
Texten, zumeist kurzen, zynischen Statements, ist mehr von
der Realität in Berlin zwischen
Kreuzberg und Wedding zu erfahren als in den lapidaren und
aufgepeppten „Ich steh auf
Berlin“-Hymnen der kommerziell erfolgreichen Wellen-Reiter.
Auch hier und auch so läßt sich
der Anspruch, Volksmusik zu
spielen, festmachen.
1982 • Juli • tip 15
Punker vom Prenzlauer Berg
Der West-Berliner Rockmusiker Dimitri Leningrad über die Ost-Berliner Punk-Szene und
ihr Leben am Rand der sozialistischen Gesellschaft
Ich traute meinen Augen nicht,
als ich ihnen das erste Mal begegnete. Sie standen draußen, in einer geschlossenen Traube zusammen und gehörten zu denen, die
den schon seit Wochen ausverkauften Konzertsaal nicht betreten würden. Das war vor wenigen
Tagen vor einem Gig der Gruppe
Pankow in der „Hauptstadt“. Vielleicht, dachte ich, ist an der alten
Römerweisheit „nomen est
omen“ doch etwas Wahres dran?
Leider, dem war nicht so. Die
Band langweilte. Zwar klappten
einige Blockrockfans von den
Stühlen, forderten euphorisch
Zugaben, aber mit Punk hatte die
Kapelle Pankow wirklich nichts zu
tun. Egal, immerhin lernte ich an
diesem Abend sieben Punks ken-
18 40 Jahre tip
nen. Als wäre ich ihnen gestern in
der Musichall oder im SO36 begegnet, so markant setzten sie
sich von der wartenden Menge
ab. Sie fallen auf. Fashion? Oder
gilt es als der letzte Schrei, ein
Punk zu sein in Ost-Berlin? Weder
noch, denn „modisches Nachahmen führt zu nichts“, meint Reporter Martin Linzer zur unklaren
Situation: ein klares Wort aus der
kulturpolitischen Wochenzeitung,
die der Kulturbund der DDR regelmäßig vorlegt. Herr Linzer hat
Recht. Die Punks in der DDR sind
keine Mode-Punks. Vielmehr bewegen sie sich riskant am Rand
der sozialistischen Gesellschaft.
Die SED staunt. Die Volkspolizei
ist noch ratlos. Was tun? Aus allen Lagern der Society schließen
sich ständig neue Anhänger dieser aufregenden Außenseitergruppe an, teilweise erst gerade
14, 15 Jahre alt. Es bilden sich
Treffs, die meistens privat und
geheim gehalten werden.
tip 13·12
Die 80er Jahre • 40 Jahre Tip
1983 • März • tip 6
Heller Wahn
Ein Verriss im tip sorgt für eine Empörungswelle
auf der Berlinale und beschmierte Wände im Verlag
Wie langweilig muß eigentlich ein
Filmfestival sein, damit ein Verriß
tagelang für Gesprächsstoff sorgen kann? Als vorletzten Donnerstag – an diesem Tag lief erstmals „Heller Wahn“ – der tip in
Berlin ausgeliefert wurde, standen die Cineasten kopf. Die Kritik,
die tip-Redakteur Werner Mathes
unter dem Titel „Von Dackeln und
Doggen“ über Margarethe von
Trottas Film verfaßt hatte, bewegte die Gemüter, männliche
wie weibliche.
Auf der Pressekonferenz nach der
Vorführung des Trotta-Werks verlas Margit Eschenbach eine Erklärung des Verbandes der Filmarbeiterinnen gegen die MathesKritik. Derselbe Text kursierte an
diesem Tag auch als Flugblatt auf
der Berlinale. Abends gegen 19
Uhr kreuzten mehrere Frauen im
Haus der tip-Redaktion in der
Potsdamer Straße auf und beschmierten die Wände des Hausflures bis hinauf in den zweiten
Stock: „Mathes Schwanz-Bonus“.
Auch ein Stil, immerhin.
Schelte bezogen wir auch von
Vertretern der Filmindustrie, die
uns vorhielten, der tip sei als
„Pilot-Blatt“ zu mehr Zurückhaltung verpflichtet. Deren Befürchtungen erwiesen sich als richtig:
Fast in der gesamten deutschen
Tagespresse wurde der TrottaFilm verrissen. Selbst nach den
Filmfestspielen geisterte der Tenor der tip-Kritik noch durch die
öffentlich-rechtlichen Nachbereitungen. Dabei ist der Film wirklich nicht gut – was sogar Kritikerinnen bestätigen.
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Der DDR-Dramatiker Heiner Müller inszeniert im Westen
und erzählt die ganze Wahrheit über Bochum
Da er alle bisherigen Aufführungen seiner Stücke für falsch hielt
(„zu penetrant-aufklärerisch“)
inszenierte der DDR-Dramatiker
Heiner Müller nun selbst. In Bochum brachte er spektakulär seinen „Auftrag“ zur Aufführung.
Zentrales Thema des Stückes ist
der Verrat an der Revolution
13·12 tip
Kann man in Bochum arbeiten?
MÜLLER Ja.
Kann man in Bochum leben?
Nein.
Wie kann man dort arbeiten
ohne zu leben?
So was geht nur im Theater.
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40 Jahre tip 19
40 Jahre Tip • Die 80er Jahre
1985 • Januar • tip 2
1984 • September • tip 19
Blixa Bargeld
Was für eine
Arschlochfrage!
Nick Cave über Blixa Bargeld und die Neubauten
Das erste Mal sah ich Einstürzende Neubauten im holländischen
Fernsehen. Es war im Jahr des
Herrn 1982. Meine damalige
Gruppe The Birthday Party machte eine Serie von Konzerten in
den Niederlanden, und es war
gegen Ende der Tournee in Den
Haag. Also ich war gerade bemüht, die Treppe unseres bescheidenen Hotels herunterzulaufen, als ein merkwürdiger
hypnotischer Ton aus dem Fernsehraum geblasen kam und meine Ohren auf eine unwiderstehliche Art verführte – wie ein
Wurm oder eine Zunge. Nicht
unähnlich Odysseus, der Gestalt
der griechischen Mythologie,
wurde ich an die Quelle dieses
geisterhaften, sirenischen
Sounds gezogen, und als ich den
Fernsehraum betrat, wurden
meine musikalischen Vorstellungen mit einem Schlag weggewischt – zerschlagen auf dem
Felsen der Musik von Einstürzende Neubauten.
(...) Schließlich fand die Kamera
den dritten Mann. Er stand da im
schwarzen Leoparden-Imitat,
schwarzen Gummi-Hosen,
schwarzen Gummi-Stiefeln. Um
seinen Nacken baumelte eine
völlig ruinierte Gitarre. Seine
Haut klebte an seinen hervorstechenden Knochen, sein Schädel
war ein völliges Desaster – und
die Augen quollen ihm aus dem
Kopf wie einem blinden Mann.
Und trotzdem: Die Augen starrten uns an, als würden sie einen
himmlischen Besuch signalisieren. Hier stand ein Mann an der
Schwelle zur Großartigkeit, hier
stand ein Napoleon vor den Feuern des Sieges, ein Cäsar, der zu
wissen schien, wer die Messer
bereithielt. Für sechzig Sekunden
stand dieser Mann wie erstarrt.
Dann öffnete er seinen Mund und
stieß einen Schrei hervor, der
klang, als ob man ihm eine Distel
aus der Seele gezogen hätte. Dieser Mann war Blixa Bargeld.
22Blixa Bargeld war von 1984
bis 2003 Gitarrist der Band
Nick Cave and the Bad
Seeds.
Interview mit Queen-Sänger
Freddie Mercury
Was macht die Frische dieser
Tournee aus?
MERCURY Ich und meine herrlichen Kostüme natürlich! (lacht)
Das spannende Element dieser
Tour ist, daß wir wirklich von allen Queen-Alben Songs spielen
werden. Wir haben in den letzten
Wochen auch viele alte Songs
wieder einstudiert. Das hat mich
nachdenklich gemacht. Vor 13 Jahren haben wir das gespielt. Damals hatte ich noch lange Haare,
schwarze Fingernägel, Make-up
im Gesicht – so wie das Boy George heute macht – das Gefühl, diese alten Lieder heute noch zu
singen, ist seltsam – hört sich an,
als wäre ich ein alter Mann, nicht
wahr? Na ja, für 37 schaue ich gar
nicht so schlecht aus, das sag ich
dir, Darling! (lacht)
Würdest du dich als Künstler
beschreiben? Bist du eher ein
ordentlicher, organisierter
Mensch oder ein chaotischer,
spontaner?
Ich bin bloß eine musikalische
Hure, mein Lieber.
Eine ordentliche?
Chaotisch, ordentlich und unordentlich. Manchmal so und
manchmal so. Was für eine
Arschlochfrage! Ich bin ich. Ich
bin wie ich bin, das reicht doch,
oder?
1983 • Juli • tip 14
Neues Deutsches Feuilleton
Jörg Fauser in seiner Kolumne „Wie es Euch gefällt“ über die neuen Kulturkritiker
Zu den bedenklichen Erbstücken, die uns der Narzißmus der
siebziger Jahre hinterlassen hat,
gehört ein Trend im Neuen
Deutschen Feuilletonismus – jene Kulturkritik, deren Autoren
sich selbst wichtiger nehmen als
den Gegenstand ihrer Betrachtung. Sich selbst, damit meine
ich: ihr Spiegelbild im lauen Bad
ihrer Sätze. Daß sie auch Haarausfall oder Hämorrhoiden ha-
20 40 Jahre tip
ben wie andere Menschen, Fickprobleme oder Schwierigkeiten
mit dem Hausmeister, nein, das
haben sie nicht zum Gegenstand
ihrer Diskurse gemacht, sondern
die schwarzen Stiefel, die Yamaha oder Harley Davidson, ihr
geiles Fußballfeeling, den Fluß
ihrer wichtigen Wörter, ihr Styling, ihre Gefühle, ihren eigenen
Stil. Nicht etwa rasende Reporter und politische Paranoiker
bestimmen den „new journalism“ bei uns, sondern durchgestylte Narzisse aus dem Dunstkreis der Adorno-Seminare und
des Kulturbolschewismus der
68er-Bewegung, eine DeinhardLila-Fraktion der deutschen
Spätlinken.
22Der Schriftsteller Jörg Fauser
schrieb ab 1979 für den tip.
1987 verunglückte er tödlich.
tip 13·12
Die 80er Jahre • 40 Jahre Tip
1986 • Mai • tip 11
1985 • Juni • tip 14
Botho Strauß
Ein frühes Bashing des
Schwurbelmeisters
Der Windmacher verdichtet in seinem Buch „Diese Erinnerung an
einen, der nur einen Tag zu Gast
war“ den bösen Zeitgeist wieder
einmal unnachahmlich. In den
Sand möchte er stecken seinen
Kopf. Klagt Strauß: „Ah, nicht wissen möchte’ ich, sondern / erklingen. Versaitet bis unter die Milz“,
und das im Zeitalter des Kabel.
Seine Prosa- und Theaterstücke
»Wir überflogen
uns nur / wie in
einem viel zu langen
Zeitungsbericht«
Linie 1
Foto: Jochen Clauss / story press
Die Premierenkritik zum größten Erfolg und Evergreen des Grips-Theaters
So ein Berlin-Stück, so ein Stück
Berlin schafft keine andere Bühne. Denn die Grips-Spieler sind
auf dem Quivive, singen und
agieren haarscharf zur U-Musik
von Birger Heymann, die No-Ticket-Band macht Dampf. Der Zug
geht ab, durch die Mythen des
Berliner Alltags. Es wird ein
Festzug: sich selbst anerkennend
auf die Schulter zu klopfen, ist
ein existenzielles Grundbedürfnis der Berliner. Jenseits von
Sommernachtsträumen und
750-Jahrfeiern hat man auch im
Grips-Theater ein Wir-BerlinerGefühl gern; das wird hier nicht
von offiziellen Stellen verordnet,
»Volker Ludwig hat
wieder einen Hit
geschrieben fürs Grips.
Einen Hit für Berlin«
das will erst einmal erarbeitet
sein. Es ist viel drin in dieser
Untergrund-Revue, wie in der
Currywurst; viel Fleisch, aber
nicht nur. Und auch viel Ketchup
wird drübergegossen, dicke Soße des Gefühls beim Happy-End
im Bahnhof Zoo.
Volker Ludwig hat wieder einen
großen Hit fürs Grips geschrieben. Einen Hit für Berlin. Das
Lebensgefühl für diese Stadt, die
Grundstimmung ist positiv. Woher der Grips-Chef seinen Optimismus nimmt, das wird uns auf
der langen Reise vom Zoo zum
Schlesischen Tor und zurück
nicht verraten.
waren ja schon immer kalauerverdächtig. Das elegische Gedicht
(bei Hanser) vom Leben, Lieben
und Sterben in unheiliger Zeit
zeigt jetzt den Meister des unfreiwilligen Humors in Höchstform. In
der tip-Redaktion macht vor allem
der unsterbliche Epitaph: „Wir
überflogen uns nur / wie einen
viel zu langen Zeitungsbericht …“
die fröhliche Runde.
22Botho Strauß lebt heute in
Berlin und in der Uckermark
und steht weiterhin unter
Kalauerverdacht.
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40 Jahre tip 21B e
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40 Jahre Tip • Die 80er Jahre
1987 • August • tip 16
1986 • April • tip 9
750 Jahre Berlin
Das Risiko
Jubiläum, japanisches Großfeuerwerk, Tour de France,
Queen, Reagan, Turnfest: Eine Sause jagt die nächste
Die 750-Jahrfeier nähert sich dem
Höhepunkt. Berlin (West) soll an
den August-Wochenenden seine
„SternStunden“ erleben. Die
Sieges-Else im Tiergarten strahlt
schon in frischem Gold.
»Das Amüsement ist
kalkuliert bis zum
Klosettgroschen“
Jetzt nur nicht schlappmachen.
Nach Deutschem Turnfest und
Tour de France, nach Mythos und
Reise nach Berlin, Berliner Lektionen und Berliner Gästebuch,
nach Reagan, Mitterand und
Queen Elizabeth, nach Bauausstellung, Oberbürgermeistertreffen und Transit 87 geht die Geburtstagsparty erst richtig los.
Seit 15. Juli wird das „Stadtfest“
gefeiert, nonstop bis zum 30. August. Mit einem historischen
Jahrmarkt und „Sternschnuppen“
auf der – seit Wochen schon abgesperrten – Straße des 17. Juni,
„Nachtlandschaften“ im Tiergarten, Wasserkorso über Landwehrkanal, Spree und Havel,
Westhafenfest und, zum Abschluß und -schuß, einem japa-
nischen Großfeuerwerk auf dem
Flughafen Tempelhof.
Vom Sommerloch und Sommerpause keine Rede. Auch wenn es
längst zum guten Ton gehört, sich
über die Gigantomanie der
750-Jahrfeier zu mokieren, möchte man sich dem Urteil des Herrn
Alfons Goldschmidt anschließen
– „Wie kaum eine andere Großstadt der Welt verkauft Berlin
seine Vergnügungen. Das Amüsement ist kalkuliert bis zum Klosettgroschen.“ Dies wurde den
Berlinern allerdings schon 1928
ins Stammbuch geschrieben.
1986 • Juli • tip 16
Zu-rück-blei-ben!
Die BVG zwischen Samtträumen und Sturmbannführerin
„Ei-se-na-cher Straaaahse“, wispert die Stimme aus dem Lautsprecher, als werde dem ahnungslosen Fahrgast die Endstation Sehnsucht annonciert. Eigentlich wollten wir ja nur zum
Video-Shop fahr’n; sind wir nun
unversehens in Shangri-La eingelaufen, wo Märchenprinzen
und Glücksnymphen auf uns
warten? „Zurück-bleiben-bitte“,
säuselt die Stimme beinahe flehentlich, mit einem dicken Seufzer hintendran.
Die Türen knallen zu – aus, der
kurze Traum! Eine ganz ordinäre
22 40 Jahre tip
U-Bahn-Fahrt. Aber diese Stimme ... Für die Gemeinde der regelmäßigen Fahrgäste auf der U7
ist der Stopp in der Eisenacher
Straße ein Kulturerlebnis – natürlich nur, wenn jener Zugabfertiger mit der Samtstimme das
Mikro ableckt.
„KLEISTPARK!!!“, kreischt uns
dagegen die Sturmbannführerin
vom nächsten Bahnhof die Ohren voll. „Einsteigen, bitte! Zurückbleiben!! ZURÜCKBLEIBEN!!!“ Wir stehen auf im Waggon, legen die Hände an die
Jeans-Naht und salutieren.
Zum Ende von Berlins
schwärzestem Lokal
Die Untergrund-Spelunke „Risiko“ hat am Ostersonntag dichtgemacht. Nach fünf Jahren
nächtlicher Exzesse in Berlins
schwärzestem Lokal ging nun
das gnädige Rotlicht dort endgültig aus.
Mit diesem „Laden“ an den
Yorckbrücken wurde Stadtgeschichte gemacht; hier traf sich
die Creme der sogenannten
Rock-Subkultur. Vor allem in der
Blütezeit zwischen 1981 und
1983 entpuppte sich das Risiko
als Wohnzimmer der Berliner
Untergrund-Kulturschaffenden.
In aufsehenerregenden Spektakeln wurde der Grundstein für
manche Karriere gelegt. Unter
anderem wurde hier die Bewegung der „genialen Dilettanten“
ausgetüftelt.
Der Laden wurde am 4. April
1981 von einem Kollektiv eröffnet. Zuvor beherbergten die
Räume Deutschlands erste Frauenkneipe „Blocksberg“. Als jene
das Handtuch warf, begann dort
eine neue Epoche. Die Nächte, in
denen es meist bis in die Morgenstunden ging, waren jeweils
sehr unterschiedlich. Man konnte dort ein schwebendes Glücksgefühl erleben, aber auch finsterstes Chaos und Depression.
»Das Wohnzimmer der
Berliner UntergrundKulturschaffenden«
Ebenfalls bemerkenswert war
die Bandbreite der Musik, die
aufgelegt wurde. Alles wurde
gespielt und nicht selten brachten die Gäste eigene Produktionen mit. Aber auch Blut, fliegende Barhocker, zerbrochene Fenster gehörten zu diesem einzigartigen Ambiente. Mit der Schließung an Ostern ist es nun endgültig vorbei. Das komplizierte
Miet- und Pachtverhältnis hat
zum Ende geführt. Schade um
diesen herrlichen „Schandfleck“,
der nach der Räumung der Ruine
am Winterfeldtplatz eine der
letzten Bastionen des alten Berliner Underground war.
tip 13·12
Die 80er Jahre • 40 Jahre Tip
1988 • April • tip 9
Du telefonierst
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Bei uns hast Du jetzt
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Kundenbetreuer/in
(Inbound)
durchzustarten!
NEUSS Ich rede hier nicht als
tip-Mitarbeiter, ich mache kein
Interview, ich mache kein Gespräch mit euch, ich schlage
vor, wir machen ’ne Diskussion.
Jeder sagt, was ihm einfällt,
weil, erstmal die Leser zum Lesen zu kriegen, das ist ’n Kunststück. Für mich ist in Berlin tip
immer noch tip-top, verstehste?
Ich les’ das immer noch lieber
(lacht) als den „Stern“, wo ich
doch „Stern“-Mitarbeiter bin.
Ihr kommt gar nicht zu Wort,
das merkt ihr, ja, ja?
HOLGER Weil wir nicht im
„Stern“ kommen?
»Der AlkoholRock‘n‘Roll ist stehengeblieben. Kannste
hören überall«
NEUSS Weil sie erstens nicht im
„Stern“ kommen. Zweitens: Im
RIAS sind se nicht zu hören.
Mach doch mal SFB 2 an. Da
hörst du alles, nur nicht die Tornados. Und? Bei Radio Schamoni, ja, 100,6, Pornosender in
Berlin, dieser eingewanderte
13·12 tip
DDR-Sender, Schamoni, dieser
Wichsgriffel aus Münster, der
beschäftigt die Tornados und
den Wolfgang nicht. Neiiin,
nichts Angetörntes will der haben, und schon gar nicht,
wenn’s jetzt im tip steht. Also:
Der Arnulf Rating aus Wuppertal ist einer von den Tornados,
der Holger Klotzbach aus Hannover ist der zweite von den
Tornados …
HOLGER Aus Düsseldorf.
NEUSS Aus Düsseldorf. Ich hab’
extra Hannover gesagt, und aus
Celle, der Willi Günter Thews
ist der dritte Tornado. Und der
vierte Tornado diskutiert mit
denen, Wolfi Neuss. (...) Wenn
ihr nicht soviel auswendig lernen müßtet, sondern Stegreif
machen würdet, dann würdet
ihr am liebsten toben – die ganze Nacht. Ihr würdet gar nicht
mehr aufhören. Und wenn es
nicht so ist, red’ ich es euch ein.
ARNULF: Aber Wolfgang, die
Leute bleiben nicht, wenn ich
zwei Stunden schweige.
NEUSS Nee, aber icke. Das war
ja ’ne persönliche Sache zwischen uns beiden. Nee, so’n Typ
wie du darf nicht zwei Stunden
schweigen. Du bist ja schon mit
Reden langweilig. Aber ich hab
das doch mit dem Schweigen
nur gemeint, weil du doch jetzt
auf der Bühne den Günter mit
der Ekstase übertriffst. Der
Günter, der trinkt ja nun keinen
Alkohol, das ist ja der Unterschied zwischen euch beiden,
also drück ich’s mal elegant
aus.
HOLGER Zum Rock’n’Roll gehört
aber Alkohol …
NEUSS Früher. Der Rock’n’Roll
hat auch ’ne Entwicklung. Und
der Alkohol-Rock’n’Roll ist stehengeblieben. Kannste hören
überall. Ach übrigens: Wenn
wir im Rock’n’Roll- Jargon sprechen würden: Klar gehört ihr
dann zu den Leuten, die Hardrock machen. Totalen Hardrock.
22Kurz nach Mauerfall lösten
sich die 3 Tornados auf. Holger Klotzbach gründete die
Bar jeder Vernunft und leitet
heute das Tipi. Arnulf Rating
arbeitet als Solo-Kabarettist.
Günter Thews erlag 1993 seinem Aidsleiden. Wolfgang
Neuss starb 1989. Man kann
ihn auf dem Waldfriedhof
Zehlendorf besuchen.
40 Jahre tip 23
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40 Jahre Tip • Die 80er Jahre
1988 • Juli • tip 15
Besetzer flüchten über die Mauer
Die Besetzung des Lenné-Dreiecks endet in einem großen Gelächter
Bombige Aufnahme in Ost-Berlin: Frühstück und Zigaretten für 220 Mauerspringer
In der Nacht zum 1. Juli, um 5.01
Uhr, räumte die Polizei das Lenné-Dreieck und machte Schluß
mit fünf Wochen „Freie Republik“. Damit nahm die längste Besetzung, die es seit Jahren gegeben hat, ein Ende. Trotzdem war
wohl die Staatsmacht überrascht, mit welchem Ideenreichtum die Besetzer ihr entgegen-
traten. Nur 52 von ihnen nahmen
das Angebot an, durch eine
Schleuse, eskortiert von Polizei,
den Platz zu verlassen. Die große
Mehrheit ging einen anderen
Weg: über die Mauer. Laut Polizeiangaben waren es 182 Personen, nach Ansicht von Ex-Besetzern sollen es allerdings mindestens 220 gewesen sein, die bei
der Mauerspring-Aktion mitmachten. Ein Augenzeuge: „Die
Leute haben sich den Bauch gehalten vor lachen.“ „Drüben, in
Ost-Berlin, wurden sie, so ein
Beteiligter, „bombig behandelt“.
Mit LKWs wurden sie aus dem
Sperrbereich gefahren; der
Staatssicherheitsdienst nahm
ihre Personalien auf.
Doch, noch einmal ein Beteiligter, „denen war es egal, ob wir
unseren Ausweis zeigten oder
nicht“. Danach gab es erst einmal ein opulentes Frühstück mit
Gratiszigaretten. Schließlich
wurden sie gefragt, welchen
Übergang sie denn bevorzugen
würden. Ihre Wünsche wurden
samt und sonders erfüllt. In
Sechsergruppen wurden sie zum
Übergang ihrer Wahl gebracht.
Der größte Teil der Ex-Besetzer
stieg Friedrichstraße in die UBahn ein. Kaum ein Dutzend von
ihnen wurde von Polizeikräften
bei Spontanüberprüfungen identifiziert. Ein Novum des deutschdeutschen Tourismus: Kein Mauerspringer wurde zum Zwangsumtausch verdonnert. Keiner
allerdings bekam nachher, wieder zurück im Westen, das obligatorische Begrüßungsgeld.
»Kein Mauerspringer
wurde zum Zwangsumtausch verdonnert«
Und die Moral von der Geschicht:
Die Drohung „Geht doch rüber in
den Osten, wenn es euch hier im
Westen nicht mehr paßt“ werden
jetzt wohl immer mehr Leute
beherzigen.
Immer einen tip voraus.
Danke für 40 Jahre Berliner Kulturinfo.
Auch über gewöhnliche und besondere Ereignisse.
24
24 40
40 Jahre
Jahre tip
tip
tip 13·12
Die 80er Jahre • 40 Jahre Tip
1989 • Dezember • tip 26
Revolution und Mauerfall
Fotos: aus dem Buch „Berlin im November“, erschienen in der Nicolaischen Volksbuchhandlung
Ost-Berliner Notizen aus den Tagen der Revolution – von Wolfgang Gersch
Wir trauen unseren Augen nicht:
Es ist Revolution! Tag für Tag. Und
immer ein Stück mehr. Wir protestieren und unterschreiben,
diskutieren und demonstrieren –
und lesen am Morgen, und sehen
am Abend, daß wir viele sind.
Das sei keine echte Revolution,
meinte ein Schriftsteller, weil es
nicht um die Besitzverhältnisse
ginge. Um was denn sonst? Es
geht um das Besitzrecht, das die
SED sich über das Volk angemaßt
hat. Die Massen enteignen die
sozialistischen Expropriateure.
Neunter November, 18.57 Uhr,
Fernsehen DDR. Ich verstehe
wohl, daß die Grenze aufgehen
wird, als Schabowski einen Zettel hervorfingert und am Schluß
der Pressekonferenz so tut, als
habe er noch den Wetterbericht
zu verlesen. Aber die Phantasie
reicht nicht aus, sich die Zukunft
vorzustellen und daß sie noch
am gleichen Abend beginnt.
Auch ich möchte zur Bornholmer, als das Fernsehen die ersten Bilder vom Freudentaumel
der Berliner bringt. Aber ich vermag es nicht. Ich rede mich auf
das Referat heraus, an dem zu
arbeiten mir in diesen Tagen unglaubliche Schwierigkeiten
macht. In Wahrheit bin ich blockiert. Oft zu Vorträgen oder
Lesungen eingeladen in die
westliche Welt, war die Mauer
für mich durchlässig geworden.
Und ich wäre mir absurd erschienen zwischen jene, die nach 28
Jahren oder überhaupt zum ersten Mal im Leben ins andere Halberstadt zogen, wo ich eben erst,
im Hanseatenweg geredet hatte.
Ich schaue den Trabis nach, die
durch die Nacht flitzen, wie ich
noch nie Trabis flitzen sah.
Früh um drei klingelt das Telephon. Der Sohn: „… Ich bin drüben. Hier sieht’s ja genauso aus
wie bei uns!“ Hatte er gedacht,
nach Phantasien zu kommen?
Aber er hat nur erst den Wedding gesehen. Jetzt kann ich mit
den anderen schluchzen. Noch
nie ist in Deutschland auf einen
Schlag soviel geweint worden.
CineStar gratuliert herzlich!
Wir sagen Danke für 40 Jahre filmreife HaupstadtInfos und das volle Kinoprogramm im tip Berlin!
Karten dazu gibt’s unter CineStar.de
13·12 tip
40
40 Jahre
Jahre tip
tip 25
25
40 Jahre Tip • Die 90er Jahre
Die Neunziger
Hauptstadt, rechtsradikale Jugend, East Side Gallery, Skandalfilme, Paul Van Dyk, Auguststraße,
Loveparade, Volksbühne, Christos Reichstag, Mitte-Clubs, Hertha-Aufstieg, Holocaust-Denkmal
1990 • Januar • tip 1
1990 • Juli • tip 14
1990 • Januar • tip 1
Ost-Kino
Ost-Musik
Eine Einführung in den
sozialistischen Kinoalltag
Geht doch: In der DDR tönt
mehr als Puhdys und Silly
Die Ost-Berliner Kinolandschaft
ist recht überschaubar: 22 Filmtheater gibt es dort. Keine in
Wohnzimmergröße aufgeschachtelten Kinosäle oder sonstiger
Schnickschnack, aber leider auch
kein übermäßig moderner Komfort. Eben Kino, wie es mal war.
Die Preise sind einheitlich und
liegen, zumindest noch, auf dem
sagenhaften Tiefstand von 2,05
bis 3,05 Mark, die fünf Pfennige
sind die „Kulturabgabe“. Für Filme mit Überlänge wird 50%
Aufschlag verlangt.
Wer seine Ohren liebt, der hielt
sie bisher beim Stichwort „Rock
aus der DDR“ meist ganz schnell
zu. Er musste schließlich befürchten, dass sie durch den real
existierenden Schleim solcher
Rock-Zombies wie City, Karat
oder Puhdys sofort verklebten.
Die gleiche Gefahr bestand auch
bei den pseudoaufklärerischen
Ost-Berliner Soft-Rockern Pankow oder Silly. Das, was sich
bereits vor der Öffnung der Mauer privilegiert auf westlichen
Bühnen tummeln durfte, war
jedoch nur der offizielle, der
SED-kompatible Teil der DDRMusikszene. Seit dem 9. November drängt nun eine Flut neuer,
bisher unbekannter Bands in
den Westen, speziell in den
Westteil dieser Stadt.
»Die Preise liegen auf
dem sagenhaften Tiefstand von 2,05 Mark«
Die großen modernen Uraufführungskinos befinden sich vorzugsweise in City-Nähe: Das International und das Kosmos in
der Karl-Marx-Allee, und das
altehrwürdige Colosseum in der
Schönhauser Allee. Hier gibt es
auch Spätvorstellungen. Eins
der neuen Vorzeigeobjekte mit
dem bezeichnenden Namen Sojus liegt im Neubaubezirk Marzahn. Gelegentlich finden Filmpremieren aber auch in kleineren, weniger zentralen Kinos
wie dem Pankower Tivoli oder
im Johannisthaler Astra statt.
Hervorzuheben ist das Babylon
am Rosa-Luxemburg-Platz. In
diesem Kino laufen auch ältere
Filme, Wiederaufführungen und
Fundstücke für filmgeschichtlich
Interessierte.
Übrigens – Naschkatzen sollten
ihre Verpflegung lieber mitbringen, die Süßwarenstände, sofern es sie gibt, sind häufig geschlossen.
26 40 Jahre tip
East Side Gallery
Malerinnen und Maler für ein letztes Mauerstück
Von der Oberbaumbrücke bis
Berlin Hauptbahnhof in der
Mühlenstraße in Berlin-Friedrichshain entsteht auf dem ehemaligen Antifaschistischen
Schutzwall die längste Bildersammlung der Welt unter freiem Himmel: „East Side Gallery
GDR, The Largest Open Air Gallery in the World“. Wer kann
und will, darf sich noch bis zum
13. August daran beteiligen.
Die sogenannte Hinterlandmauer an der sechsspurigen Ausfallstraße ist mit ihrem festgefügten Beton eine logische Ergänzung zu der asphaltierten Autorennstrecke. Ein paar „verunfallte“ Schrottwagen zeugen
stets von der ungebrochenen
menschlichen Sehnsucht nach
überhöhter Geschwindigkeit.
Im absoluten Gegensatz dazu
befindet sich die Malerei von
inzwischen 27 Künstlern, die
aus aller Damen und Herren
Länder ihre Vorstellungen zu
der thematischen Vorgabe „Umwelt, Toleranz und Frieden“ an
die ehemals Unberührbare gepinselt, gespachtelt und ge-
sprüht haben. Gemanagt wird
die ungewöhnliche Galerie im
Westen der Stadt von Christine
MacLean. Die „wuva GmbH“, die
„Werbe- und VeranstaltungsAgentur“, im östlichen Teil der
Stadt hat vom Friedrichshainer
Bezirk die Nutzungsrechte erworben und sich für die Idee
begeistert, die Mauer als Mauer
zum real existierenden Kunstwerk zu verändern: „Die Mauer,
ehemals ein Symbol für Abgrenzung, Angst und Unterdrückung,
wird durch diese Galerie in ein
Kunstwerk umgewandelt, welches Menschen, Völker und Gedanken vereinigt.“
Wenn sich Malerinnen und Maler angesprochen fühlen, zu den
vorgegebenen Themen ihre Umsetzung zu verwirklichen, sollten sie sich mit Christine MacLean in Verbindung setzen. Wie
lange allerdings diese Kunstprodukte Bestand haben werden, weiß noch niemand. Und
sicher ist es von Interesse, dann
auch zu erfahren, was werden
wird, wenn diese Mauer doch
noch einmal abgebaut wird.
»Eine Flut neuer Bands
drängt in den Westteil
dieser Stadt«
Gruppen mit so kuriosen Namen
wie Die Ich-Funktion, Big Savod,
Herbst in Peking, Die Firma, Freigang, Feeling B, Die Skeptiker
oder Die Vision gehören zu einer
DDR-Musikszene jenseits der
staatlichen Plattenfirma AMIGA.
Allerdings war bisher keine
DDR-Band in der Lage, den Staat
völlig zu ignorieren. Um öffentlich auftreten zu dürfen, musste
sich jede Band einer sogenannten „Einstufung“ vor Mitgliedern
des Kulturministeriums unterziehen. Diese „Einstufungskommission“ überzeugte sich bei
einem Live-Auftritt von den
künstlerischen Qualitäten jeder
Gruppe und vergab dann eine
Spiellizenz.
tip 13·12
Die 90er Jahre • 40 Jahre Tip
1991 • November • tip 24
1990 • Dezember • tip 25
Rechtsradikale
Kann Berlin
Hauptstadt?
Scheißwesten, Scheißausländer: Ein Besuch bei Skinheads
in Hohenschönhausen
In der Vergangenheit war die pädagogische Betreuung rechter
Schmuddelkinder in West-Berlin
tabu. Tauchten rechtsradikale
Cliquen auf, wurde mit Dokumentarfilmen über den Nationalsozialismus geantwortet.
„Nazis raus!“ Mit unmissverständlichen Worten setzten die
empörten Eltern Peter nach einem längeren Knastaufenthalt an
die Luft. Seitdem ist der Achtzehnjährige, Skinhead aus Hohenschönhausen, obdachlos.
Noch muss er sich die Nächte
nicht in irgendwelchen Abbruchhäusern oder Parkanlagen um
die Ohren schlagen. Ein Freund
überließ ihm vorübergehend seine Bude – inzwischen Treffpunkt
einer Skinclique aus Hohenschönhausen. „Die Alten sind für
mich gestorben“, erklärt Peter
mit stockender Stimme und
feuchten Augen, die einer halb
geleerten Brandyflasche geschuldet sind.
„Ausländer kriegen die Sozialhilfe in den Arsch geschoben, und
Peter kriegt nichts“, empört sich
Freundin Susi (16). Wenig später
gesteht Peter ein, dass er nicht
weiß, wie er „den ganzen Stress
auf dem Sozial- und Arbeitsamt
bewältigen soll“. Seine Hilflosigkeit im Ämterdickicht steht im
krassen Widerspruch zu seinem
Machogehabe. Weder Straßenkampferfahrungen noch sein
durchtrainierter Körper helfen
ihm weiter. Während einer
Schimpfkanonade auf den
„Scheißwesten“ und die „Scheißausländer“ betreten zwei Kumpels die Wohnung, knallen Sixpacks auf den Couchtisch, legen
umständlich ihre Bomberjacken
ab. Linkisch ziehen sie ihre Gasknarren aus Schulterhalftern,
deponieren sie demonstrativ
neben einer Baseballkeule und
einem Springmesser im ansonsten leeren Bücherregal.
Man darf ja mal fragen
So hart es klingt: Berlin fehlt die
Reife für die Rolle der statisch
empfindlichsten Hauptstadt im
vielgerühmten europäischen
Haus. Der Berliner eignet sich
gerade noch für das kleinstädtische Personal einer Posse über
ein europäisches Desaster unter
deutscher Federführung.
»Der Berliner leidet an
zerebraler Muffigkeit«
Er ist selbstgefällig, provinziell,
lokalpatriotisch, zutiefst fremdenfeindlich, großmäulig und
autistisch zugleich. Jeder Bewohner einer westdeutschen
Mittelstadt weiß mehr über die
Welt außerhalb seiner Stadtgrenzen als der Berliner. Der
Berliner leidet an einer zerebralen Muffigkeit: Jeder Auffahrunfall in seinem Kiez erscheint
weltpolitisch erheblicher als ein
Volksaufstand in einem Nachbarland. Mit dem Berliner ist
keine Hauptstadt zu machen.
22Am 20. Juni 1990 hatte sich
der Bundestag für Berlin als
Regierungssitz entschieden –
mit 338 zu 320 Stimmen.
1992 • März • tip 6
Gorgonzola-Club
Als Service in Kreuzberg noch besonders klein geschrieben wurde
Foto: Birgit Hoffmann / tip
Nur lästige Hektiker verlassen
den Gorgonzola-Club in der
Dresdener Straße, wenn nach
einer Viertelstunde noch keine
Karte auf dem Holztisch liegt.
Schließlich ist das Restaurant
halb gefüllt. Da können drei
Kellner schon mal ins Schleudern kommen. Sie erklären dennoch geduldig, warum das gewünschte Gericht nicht bestellt
werden kann („Ist aus“). Die
zweite Wahl ist keine gute Idee
(„Auch aus“). Die Gnocchi in
Salbeibutter sind auf Zimmer13·12 tip
temperatur gehalten. Hohes
Niveau auch bei den Desserts.
Die Panna cotta, erst wenige
Tage alt, ziert nicht etwa Beerenfruchtmark, sondern Apfelmus. Darüber hinaus stimmt die
Atmosphäre. Hier räumen sogar
manche Gäste nach dem Essen
selbst das Geschirr ab, wenn
sich gerade niemand darum
kümmern kann. Viele leere Gläser und volle Aschenbecher sorgen zusätzlich für Gemütlichkeit. Und dafür zahlen Kreuzberger gern ein bisschen mehr.
40 Jahre tip 27
40 Jahre Tip • Die 90er Jahre
1993 • Januar • tip 1
1992 • Juli • tip 14
Paul van Dyk
Der junge Paul van Dyk
träumt von eigenen Partys
Skandalfilme
Christoph Schlingensief, Philip Gröning, Thomas Heise und
Romuald Karmakar stören den politischen Betrieb
Die spinnen, die Deutschen. Erst
rufen sie laut nach Filmen, die
sich mit den aktuellen Themen
und Problemen auseinandersetzen. Und wenn sie da sind,
macht man es ihnen schon wieder schwer. Kanzler Kohl beschwert sich höchstpersönlich
über Philip Grönings „Die Terroristen“, Heiner Müller traut sich
nicht, Thomas Heises „Stau“ in
seinem Theater zu zeigen, die
Filmbewertungsstelle verweigert
Romuald Karmakars SöldnerDokumentation „Warheads“ ein
Prädikat, und das Fernsehen
wäre den von ihm koproduzierten Film „Terror 2000“ von
Christoph Schlingensief gerne
wieder los. Skandalfilme in skandalösen Zeiten.
Ein Land hat sich radikal verändert. Eberswalde, Rostock, Hoyerswerda, Mölln. Das Vierte
Reich. 76 registrierte rechtsex­
treme Organisationen, 4.000
straff organisierte Ultras, 6 bis
7.000 randalierende Neonazis
und Skins. Ein Viertel aller Deutschen will die Ausländer rausschmeißen. Hass, dumpfe, dumme Vorurteile, Fremdenangst,
Aggressionen gegen Türken, Vietnamesen, Asylbewerber, Juden, Linke, Schwule, Behinderte.
Allein 1992 1.600 Gewalttaten,
800 Verletzte, 18 Tote.
Jahrelang werden Neonazis und
der rechte Straßenterror das beherrschende deutsche Thema
sein. Die ganze Welt weiß das,
sagt es, sorgt sich. Nur die Her-
28 40 Jahre tip
ren in Bonn betreiben business
as usual und reagieren mehr verärgert als entsetzt, seit das Geschäft gestört ist, seit der Industriestandort und Handelspartner
Deutschland in Verruf gerät.
Dauernd muss er sich entschuldigen, klagt Herr Kinkel. Währenddessen zündeln CDU und
CSU weiter, schüren das Klima
militanten Fremdenhasses, hetzen subtil die Rechten auf und
laufen den Reps nach.
Immer schon haben sie alles Linke verteufelt und alles Rechte
toleriert. Nicht die ersten Morde
in Deutschland, sondern die stille Duldung durch Politik, Polizei
und Justiz hat die Welt aufge-
»Bundeskanzler Kohl
beschwerte sich
höchstpersönlich über
Philip Grönigs Film
›Die Terroristen‹«
schreckt. Nicht die unselige Asyldebatte hat die Neonazis heimlich bestätigt, sondern unglaubliche antisemitische, fremdenfeindliche, nazifreundliche Bemerkungen seit Jahrzehnten aus
dem Mund von CDU- und CSUChargen, Ministern, Bürgermeistern, Staatssekretären, die in
anderen Demokratien sofort
entlassen worden wären. Nicht
hier, wo der braune Urschlamm
nie ausgetrocknet wurde. Und
nun geht die Saat auf.
Wo wäre die House Music in
Berlin ohne den ehemals von
der Stasi beherrschten Teil des
Volkes? Sicherlich stellte die
jetzt vielbejubelte Szene einen
ziemlich lächerlichen Haufen
dar, denn gerade das Engagement von im Osten geborenen
Techno-Trabanten sorgte oftmals für den entscheidenden,
ekstaseverbreitenden Kick. So
wurden die wichtigen Tekknozid-Partys vom ehemaligen Arbeiter- und Bauern-Staatsbürger
Wolle Neugebauer organisiert,
der Tresor von seinem Landsmann Johnny Keller zu einem
der spektakulärsten Clubs in
Europa hochgemanagt. Und die
tollsten Partyorte befinden sich
sowieso im alten Ost-Berlin.
»Er mixt perfekt und
saugt die Stimmung
der Tänzer auf«
Zum Beispiel mit Paul van Dyk,
bekannt als DJ der „Brain“- und
„Dubmission“-Partys. Der 20jährige ist in Eisenhüttenstadt bei
Frankfurt/Oder geboren und aufgewachsen, ehe er kurz vor dem
Mauerfall per Ausreiseantrag
nach Berlin kam. Seine unverbrauchte Begeisterung brachte
ihn dann später an die Plattenspieler, um die sich alles dreht.
Er mixt perfekt, wirbelt hinter
seinen Turntables, schwenkt die
Arme und versucht, die Stimmung der Tänzer in sich aufzusaugen und zu steigern.
„Was sind das nur für DJs, die
pünktlich um 5 Uhr den Saphir
über die Platte kratzen lassen,
einpacken und nach Hause gehen, weil sie nicht länger bezahlt
werden?“, fragt Paul verständnislos und fügt hinzu: „Ich kann
mir nicht vorstellen, dass diese
Menschen überhaupt noch etwas
für die Musik empfinden. Sie zerstören mit solchen Aktionen die
ganze Atmosphäre und sorgen
bei den Leuten für ein schlechtes
Gefühl. Wenn ich irgendwann
meine eigenen Partys mache,
kommt das nicht vor.“
tip 13·12
Die 90er Jahre • 40 Jahre Tip
1992 • Juni • tip 12
1992 • März • tip 6
Berlinale dreist
Die Filmfestspiele versinken
in der Bedeutungslosigkeit
Wem gehört die Auguststraße? Die Ausstellung „37 Räume“ hatte die entscheidende Antwort
Auguststraße
Foto: Birgit Hoffmann / tip
Noch ist die Auguststraße in Mitte eine verrottete Gegend. Doch ein Ausstellungsprojekt
macht sie zum Kunst- und Galerie-Zentrum
Einst gehörte die Auguststraße in
der Spandauer Vorstadt zu den
Flecken dichtester Besiedlung Europas; heute droht das Gespenst
des Abrisses der alten Bebauung.
Die Klärung der Besitzverhältnisse lähmt jede Entwicklung. Für
eine Woche (14. bis 21. Juni) wollen Kunstjournalisten und Ausstellungsmacher das soziale und
kulturelle Potential des Ortes in
„37 Räumen“ erschließen.
Wem die Auguststraße im alten
Berliner Scheunenviertel gehört,
ist seit der Wende zur die Geschicke der Bewohner entscheidenden Frage im Berliner Monopoly
MEIN Mii.
geworden. Viele Wohnungen stehen zwangsweise leer und Häuser
verfallen, während die Behörden
nach alten Akten graben. Nahe
des zukünftigen Regierungsviertels droht das Quartier als begehrter Standort verplant zu werden. Doch bevor in der brisanten
baupolitischen Situation die Karten offen auf den Tisch gelegt
werden, verteilen sich 37 Spieler
über die Felder der Straße. Nicht
in Besitz wollen sie die Räume
nehmen, sondern sich für kurze
sieben Tage in dem Zeitloch einnisten, das die ungewisse Zukunft
als Spekulationsobjekt von der
NULL Anzahlung
NULL Zinsen
ab 85 ¤/Monat
1
Vergangenheit trennt; schon einmal regierte hier die Politik der
Vertreibung, nämlich der jüdischen Gemeinde. In kurzfristigen
Mietverträgen hat der Kunstwerke e.V. die Möglichkeit der Zwischennutzung gesichert, die zur
produktiven Keimzelle eines anderen Umgangs mit dem Stadtraum werden will.
„Ich kannte die Auguststraße vorher nicht“, berichtet die junge
Kuratorin Melitta Kliege. „Zunächst
war ich erstaunt, erschüttert über
die Baufälligkeit. Erst dachte ich:
das ist Anmaßung, eine Farce, hier
mit Kunst einzugreifen.“
Moritz de Hadeln sitzt fest im
Sattel. Je tiefer das Festival in
der Bedeutungslosigkeit versinkt, umso dreister dichtet der
Festivalleiter Misserfolge in Erfolge um. „Es herrschte die beste
Stimmung seit Jahren“, gab Festivalleiter Moritz de Hadeln seine
Einschätzung zur Berlinale 1992
im offiziellen „berlinale journal“
zu Papier. Mochten regelmäßige
Festivalbesucher auch an einen
Druckfehler glauben – den Funktionären in Gremien und Kuratorien und ihrer greisen Kamarilla
aus der deutschen Filmwirtschaft, der abhängigen Fachpresse und den Filmpolitikern wider
Willen kam de Hadelns Notlüge
gut zupass.
Das Branchenblatt „Filmecho“,
offizielles Organ des Hauptverbandes Deutscher Filmtheater,
wo noch immer kräftig Fünfziger-Jahre-Luft geatmet wird,
schloss sich dem Eigenlob des
Festivalchefs an.
„Eine erfreuliche Bilanz“ zog
auch Berlins an der Berliner
Filmkultur nachweislich desinteressierte Kultursenator Ulrich
Momin. Der Schulterschluss der
alten Garde und der jungen hedonistischen Lohnschreiber
schafft ein Klima, in dem dem
Kritiker die Rolle des Hofnarren
zukommt. Die Berlinale ist auf
dem besten Wege in eine Epoche, nach der sich das deutsche
Kino seit Langem sehnt: geradewegs in die fünfziger Jahre.
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40 Jahre Tip • Die 90er Jahre
1993 • Februar • tip 5
1994 • Juli • tip 15
Frank Castorf
Ein Krawallmacher, der begeistert
Und Regisseure, die ohne falsche
Sentimentalität den ostwestdeutschen Konflikt angehen.
Castorf sucht sich gezielt Verstärkung. Er braucht verwandte
Seelen, doch will er zugleich das
Spielangebot erweitern. Seine
eigenen Inszenierungen objektivieren sich in solchen Zusammenhängen. Er weiß wohl
selbst, dass sich das große Haus
auf Dauer mit Castorfiaden allein nicht füllen lässt.
22Frank Castorf hat gerade
seinen Intendantenvertrag
bis 2016 verlängert.
1995 • Juni • tip 12
Holocaust-Denkmal
Wie Lea Rosh die Mauer beinahe mal zum Denkmal für die
ermordeten Juden gemacht hätte
Ohne sie gäbe es das geplante
Holocaust-Denkmal wahrscheinlich nicht. Unbeirrt zog sie das
Projekt durch: Lea Rosh, eine
führende Kraft der deutschen
Bewältigungsbranche.
Hätte man gleich auf Lea Rosh
gehört, dann wäre uns der ganze
Rummel um das HolocaustDenkmal, das eine 20.000 Quadratmeter große Fläche zwischen Brandenburger Tor und
Potsdamer Platz füllen soll, erspart geblieben. Keiner der über
500 größenwahnsinnigen Ent-
30 40 Jahre tip
würfe hätte je das Licht der Welt
erblickt. Aber es wollte ja keiner
hören. Lea Rosh’ Vorschlag im
Bildband „Berlin 13. August
1990“ war ebenso einleuchtend
wie genial, und vor allem billig.
Einfach den ehemals antifaschistischen Schutzwall stehen lassen
und zum „Denkmal für die Juden“ umdeklarieren.
221997 wurde ein zweiter
Wettbewerb ausgeschrieben.
Das heutige Stelenfeld
wurde 2004 eröffnet.
Betriebsurlaub vom Planeten Ork
Loveparade
Die Rave-Nation kam und
spaltete die Stadt
Wie ein aus dem Ruder gelaufener Betriebsausflug vom Planeten Ork brach am 2. Juli die RaveNation über Berlin herein. Die
Loveparade hinterließ neben
dem verwüsteten Ku’damm eine
geteilte Hauptstadt. Die Urteile
der halbnackten, durchgedrehten Raver und die der hüftsteifen
Chronisten am Rande des Umzugs könnten nicht unterschiedlicher sein: „Love, Peace & Happiness funktioniert noch immer“,
jubeln die einen; „Weltkongress
der Autisten in Trance“, nörgeln
die anderen.
Die Sozialpädagogen sichteten in
diesem Jahr Massen an Proleten
und Kindsköpfen mit Spritzpistolen. Permanent blickten diese in
das Antlitz des Bösen, ohne es
zu erkennen: Adidas und Puma
waren präsent, und Camel versuchte sich mit schnödem Mammon und Kugelschreibern street
credibility zu erschleichen. Die
blasierten kleinen Rave-Arschlöcher ließen sich jedoch – unbeeindruckt vom Vorwurf der Hohlköpfigkeit – gutgelaunt die Hirnrelais von den mächtigen Beats
auf „Party“ umschalten.
Will wirklich noch jemand den
Begriff „Underground“ in den
Diskurs über den Massenkarneval Loveparade einführen, dessen Donnerhall selbst in der
„Dithmarscher Landeszeitung“
zu vernehmen war, und sich damit nicht lächerlich machen? Ja?
Dann einfach weiter beim Schreiben den Autopiloten anlassen:
Die Klischees kommen so ganz
von selbst.
tip 13·12
Foto: Birgit Hoffmann / tip (unten)
Frank Castorfs Volksbühne am
Rosa-Luxemburg-Platz ist ein erstaunliches Phänomen. Ganz egal,
wie die Inszenierungen (Klassiker,
aber auch viele neue Stücke) im
Einzelnen beurteilt werden – dieses zu DDR-Zeiten heruntergespielte Haus lebt. Es gibt Bewegung, Aufregung, Diskussion. Von
welchem anderen Theater könnte
man das behaupten! Nicht zu vergessen – die einmalig günstigen
Eintrittspreise. So bekommt man
junges Publikum ins Theater.
Es zeigt sich jetzt auch, dass der
Regisseur Castorf das Zeug zum
Intendanten hat. Er lässt das
ganze Haus bespielen, holt
Rockmusiker, Videokünstler, Literaten in den Roten Salon. Und
er macht eben nicht alles allein,
sondern umgibt sich mit Theatermachern, deren Arbeit man
sonst gar nicht zu sehen bekommt – den Schweizer Christoph Marthaler, den Filmregisseur Christoph Schlingensief
(sein Polit-Horror-Film „Terror
2000“ wurde von der BerlinaleLeitung ausgesperrt), den Choreographen Johann Kresnik. Allesamt, wie Castorf selbst, Provokateure, Krawallmacher im
eingeschlafenen Theaterbetrieb.
Die 90er Jahre • 40 Jahre Tip
1995 • Juni • tip 14
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2
So lässig war Berlin noch nie – dank Christo und Jeanne-Claude
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Allen Unkenrufen und Wetterunbilden zum Trotz, der Reichstag
ist verhüllt. Und es ist großartig.
Bei Sonnenschein, bei Regen,
bei Dunkelheit und in der Dämmerung. Und bis auf die Nörgler,
die immer die Haare in der Suppe suchen, die Mäkler, die es
nicht leiden können, wenn anderen etwas ziemlich Tolles ge-
lingt, sind alle zufrieden. Sie
gehen und staunen, reden und
zeigen, machen Picknick und
umkreisen den ehemaligen
Reichstag wie Motten das Licht.
Sie unterhalten sich über Kunst,
über das Für und das Wider. Sie
sind begeistert und merken
meist gar nicht, wie sehr dieses
Ereignis nicht nur den Reichstag,
1995 • Mai • tip 11
1997 • April • tip 9
Prater
Hertha BSC
Foto: tip
Der traditionell herunter–
gekommene Prater wird
eine neue Spielstätte der
Volksbühne
Proletarier aller Stadtteile –
amüsiert euch! Wo sich vor hundert Jahren die Dienstmädchen
und Ladengehilfen mit Polka,
einem Schießstand und einer
Würfelbude vergnügten, wo der
Gesangsverein „Immerfroh“ und
der Raucherklub „Maryland“ rauschende Sommerfeste feierten,
hat die Volksbühne eine neue
Spielstätte eröffnet: Im alten
Berliner Ballhaus und Vergnügungslokal „Prater“, mitten im
Prenzlauer Berg an der Kastanienallee gelegen, wollen Castorfs
Mannen eine Mischung aus Varieté und Experimentierbühne
etablieren: Entertainment auf
der Höhe der Zeit.
13·12 tip
sondern die ganze Stadt verändert. Das Brandenburger Tor ist
auf, die Linden sind die Straße,
auf der man flaniert, und die
Mauer ist nur noch eine Fußnote
der Geschichte. Und alle bleiben
dabei normal, sind freundlich
wie nie. Christo und JeanneClaude haben ein Kunststück
fertiggebracht.
Am Tag, als alle über die Zahl 75.000 sprachen
Liebe Hertha,
zugegeben, wir haben dir immer
wieder die rote Karte gezeigt –
Jahr für Jahr, Saison für Saison.
Wer interessierte sich schon für
dich? Kein Schwein, höchstens
ein paar verlorene Froschseelen
im riesigen Olympiastadion. Du
hast es uns auch nicht leicht gemacht: Skandale über Skandale,
Dummheiten über Dummheiten,
Grabenkämpfe noch und nöcher.
Fußball fand nur nebenbei statt.
Doch plötzlich ist alles ganz anders. Du hast eine zurechnungsfähige Geschäftsführung, einen
erstklassigen Trainer und eine
sympathische Mannschaft.
Am Tag nach dem Spiel gegen
Kaiserslautern machte eine Zahl
in der Stadt die Runde: 75.000.
Ob beim Bäcker oder Blumenhändler, in der U-Bahn oder am
Tresen. Alle sprachen diese Zahl
fast ehrfürchtig aus und bekamen dabei leuchtende Augen.
Wir natürlich auch. Ist doch klar.
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»Fußball fand bei dir
nur nebenbei statt.
Doch plötzlich ist alles
ganz anders«
75.000. Eine so schöne Zahl kriegen die Bayern in ihrem Olympiastadion ihren Lebtag nicht
zustande. Nie mehr zweite Liga!
Und vor allem: immer wieder ins
Olympiastadion!
40 Jahre tip 31
40 Jahre Tip • Die 90er Jahre
1994 • Dezember • tip 26
1996 • Mai • tip 10
Clubszene Mitte
Karneval der
Kulturen
Gut für Mitte: Die Bonner bleiben lieber zu Hause.
Der Club-Wildwuchs kann ungestört weitergehen
Für die Clubszene im Stadtbezirk Mitte sah es noch vor ein
oder zwei Jahren eher schlecht
aus, schwebte doch über jeder
kleinen Spelunke die Vision eines topsanierten Bürokomplexes mit Erlebnisgastronomie,
wenn nicht sogar hauptstädtische Raumordnung. Doch das
Ausbleiben der Bonner Ministerialkolonnen führt jetzt wieder
zum Wachstum der subkulturellen Mauerblümchen. Es vergeht
kein Monat, in dem nicht irgendwo ein neuer Laden die
Berliner Nachtschattengewächse bereichert.
Aber das Clubbing hat in Mitte
einen anderen Charakter als
sonst in Berlin. Clubtouren müssen nicht von MTV erschaffen
werden, sie finden jedes Wochenende statt. Hier ist mehr
Raum zum Experimentieren,
denn genau das, was andere urbane Bereiche eher behindert
und abschreckt, bildet den Nährboden für die WMFs, Toasters,
Delicious Doughnuts, Moskaus,
E-Werke, Tresore, Bunker, ExKreuz-Clubs, Lime-Clubs und
Friseure. Es gibt kaum jemanden, der die genaue Anzahl von
Örtlichkeiten aufzuzählen vermag, die in Mitte einen festen
Platz gefunden haben. Das Ausblieben der hauptstädtischen
Flugbegradigung hat die notwendige Intimität geschaffen,
die im Westteil der Stadt für die
Clubszene immer hart erkämpft
werden musste. Dazu kommt
noch, dass es dort auch immer
schwerer wird, sich zu platzieren. Seitdem selbst die Gegend
um das Schlesische Tor den
Charme Charlottenburger Prunk­
immobilien versprüht, gibt es
offenbar für die Clubszene kein
Halten mehr. Das fällt umso
leichter, da in Mitte „ja sowieso
schon alle herumhängen“.
Der Karneval tanzt zum
ersten Mal durch Kreuzberg
Der „Karneval der Kulturen“
geht in die Arena und feiert mit
einem Straßenumzug. Eigentlich
ist es ja schade, dass keiner rufen wird: „Kamellekes, de Prinz
kütt.“ Aber dafür ist dieses neu
ins Leben gerufene Fest weniger
vom Lokalkolorit, dafür umso
mehr international geprägt. All
die Kulturen, die in Berlin zu
Hause sind, seien sie nun afrikanisch, südamerikanisch oder
auch türkisch geprägt, haben
den Deutschen ein Rhythmusgefühl beigebracht.
Die Selbstdarstellung der Kulturen, deren Spektrum von traditioneller Musik bis zu EthnoPop, von Jungle bis Soul, von
Walzer bis zur Samba reicht,
dürfte schon am Vorabend des
Himmelfahrtstages auf der Party in der Arena reichen, um das
tanzwütige Publikum in Laune
zu bringen. An dem Erfolg der
Parade vom Hermannplatz zum
Mariannenplatz, mit 30 Sattelschleppern und 2000 Akteuren,
dürfte kaum ein Zweifel bestehen, schließlich haben die Erfahrungen mit der „Love Parade“ gezeigt, dass das Potenzial
der Amüsierwilligen unerschöpflich ist.
1998 • Mai • tip 12
George Tabori
Ein Interview mit der Theaterlegende zum 84. Geburtstag
32 40 Jahre tip
Ja, aber ich sehe hier genug und
ich höre genug.
„Der nackte Michelangelo“ ist
ein Stück mit wenig Text.
Sehr schöne Songs.
Nach Gedichten von Michelangelo.
Sehr, sehr schöne Songs von
Schostakowitsch, die er geschrieben hat, bevor er starb.
Spielte der Stalinismus eine
Rolle in diesem Werk?
Wer?
Der Stalinismus.
Nein.
Foto: David Baltzer / Zenit
George Tabori, wie geht es Ihnen? Sie haben gerade Ihren 84.
Geburtstag gefeiert.
TABORI Ich sehe und ich höre
fast nichts mehr.
Wie kann man Regie führen,
ohne etwas zu sehen und zu
hören?
Sagen Sie das bitte noch mal …
Es ist doch sicher ein Problem,
Regie zu führen, wenn man
nicht mehr viel hören und sehen kann …
tip 13·12
Die 90er Jahre • 40 Jahre Tip
1998 • April • tip 9
Modern Talking
Oh doch, sie sind wieder da! Und größer als Gott
Dieter Bohlen und Thomas Anders sind als Modern Talking vereint zurück. Und tip-Autor Knud
Kohr erklärt uns, warum man
davon auch begeistert sein kann.
Das Comeback von Modern Talking nimmt Ausmaße an, von
denen die Protagonisten selbst
überrascht sein dürften. Dass
sie eine Menge CDs verkaufen
werden – das Album stieg von
null auf eins in die deutschen
Charts ein, das Remix-Album
„Back For Good“ hatte 200.000
Vorbestellungen – damit war zu
rechnen. Schließlich setzte die
Band von 1984 bis ’87 weltweit
über 60 Millionen Platten ab.
Wirklich verwunderlich aber ist,
wie triumphal die Rückkehr der
peinlichen Zwei vonstatten
geht: Während ihres ersten Auftritts bei „Wetten, dass …?“ waren über 17 Millionen Fernsehzuschauer dabei. Nahezu jedes
seriöse Feuilleton berichtete
über sie. Mädchen, die beim
Split des Duos gerade erst ihre
Milchzähne bekamen, drängeln
sich nun vor ihren Hotels. Auch
ich mache da übrigens keine
Ausnahme: Ich fuhr an einem
Tag die 600 Kilometer von Berlin nach Frankfurt am Main und
zurück, um ihrer Pressekonferenz beizuwohnen. Für die Rolling Stones täte ich das nicht.
Und nicht für Gott persönlich.
Wir gratulieren herzlich zum
Jubiläum und freuen uns
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1999 • November • tip 25
Mein Berlin
LAS VEGAS IN BERLIN
Wladimir Kaminer über das insektenarme Berlin
Auf mich wirkt Berlin wie ein
Kurort. In erster Linie wegen des
milden Wetters. Im Sommer ist
es selten heiß, im Winter nie
richtig kalt. Und es gibt ganz
wenig Mücken, hier im Prenzlauer Berg eigentlich gar keine. In
New York gefährden die Moskitos den Straßenverkehr, sie
übertragen Krankheiten und
sorgen dort ständig für Epidemien. In Moskau ist die Mückenproblematik auch aktuell. Überall auf der Welt gibt es Mücken.
Nur hier nicht. Das ist selbstverständlich nicht der einzige
Grund, warum mir Berlin so
gefällt. Die Menschen finde ich
auch cool. Die meisten Bewohner der Hauptstadt sind ruhig,
gelassen und nachdenklich.
Wenn man überlegt, was so alles passiert ist in den letzten
Jahren, der Mauerfall, die Wie13·12 tip
dervereinigung, die Schließung
des Kasinos im Europa-Center …
Trotzdem drehen nur wenige
durch. Die Berliner tun stets,
was sie für richtig halten, und
haben am Leben Spaß.
»Trotz Mauerfall und
Kasino-Ende drehen
nur wenige durch«
In Moskau dagegen, als die Tagesschau einmal 20 Minuten
später gesendet wurde, kam es
zu einer Serie von Selbstmorden, und viele flohen aus der
Stadt, weil sie dachten, die Welt
geht unter. Laut Statistik haben
in Russland nur 17,8 Prozent der
Bevölkerung an ihrem Leben
Spaß. Zu viele Mücken wahrscheinlich. Deswegen ziehe ich
Berlin vor.
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20 EURO
EURO ·
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MI -- SA
SA 20.30,
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UHR
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STARS-IN-CONCERT.DE
40 Jahre tip 33
40 Jahre Tip • Die 90er Jahre
1999 • April • tip 8
Deutscher Filmpreis
Sektglashumanist Michael Naumann lädt zum Nomination-Event
minierungen reden. Mit dem
neudeutschen Filmtitel „The
Marriage of Eva Braun“ hat unser
Staatsminister für kulturelle Angelegenheiten bereits auf den
Filmfestspielen den richtigen
Impuls gegeben.
Der Adlon-Abend der Filmpreisnominierungen war Event qua
seiner Präsenz, ein NaumannEvent eben, mit der Mischung
aus platonischem Staatsphilosophentum und Bad Godesberger
Wir-sind-wieder-wer. Naumann,
der immer ein wenig den Sektglashumanisten gibt, wenn er
ganz nietzscheanisch vom
„Kunstwillen“ des deutschen
Films spricht, Naumann, der zart
den Zeitgeist geißelt und nach
einem kleinen spontanen Aperçu
stolz wie Oskar bemerkt: „Das
stand nicht im Manuskript.“
Michael Naumann ohne Hummerhäppchen, dafür mit Lola-Statue
Foto: Svea Pietschmann / tip
Am 17. Juni wird der letzte deutsche Filmpreis dieses Jahrhunderts verliehen. Da kann man die
Nominierungen nicht einfach nur
vermelden. Michael Naumann
lud zum Nomination-Event ins
Adlon Hotel.
Was macht den Event zum
Event? Und was unterscheidet
den Nomination-Event zum
deutschen Filmpreis von den
dpa-Meldungen der letzten Jahre? Vielleicht die typischen
Event-Insignien: windschnittige
Empfangsdamen, Corporate Design, neurotische EntertainmentEinlagen und die Hummerhäppchen von der Hypo-Bank. Nomination, natürlich, wo wir doch
sowieso schon keine Ortsgespräche, sondern Citycalls führen,
aber komischerweise immer
noch altmodisch von Oscar-No-
Echt mittendrin.
Echt unterwegs.
Echt schon 40?
Der Berliner Kurier gratuliert dem
jüngsten 40-Jährigen der Hauptstadt
zu mehr als 1000 Ausgaben tip.
34 40 Jahre tip
Der von hier
tip 13·12
Die 90er Jahre • 40 Jahre Tip
1999 • Dezember • tip 26
Schaubühne am Lehniner Platz
Neue Bewirtschaftung: Sasha Waltz und Thomas Ostermeier übernehmen die berühmteste Bühne Deutschlands
Einerseits ist es ein ganz normaler Intendantenwechsel, neue
Leute übernehmen ein großes
Theater. Andererseits ist es ein
Einschnitt, der wie kein anderer
in den letzten Jahren einen Generationswechsel markiert:
Thomas Ostermeier (Ex-DT-Baracke) und die Choreografin Sasha Waltz (Ex-Sophiensäle)
übernehmen gemeinsam die
seit der Stein-Zeit berühmteste
Bühne Deutschlands.
Ostermeiers Theater lässt sich
in Stoffwahl und theatralischen
Mitteln radikal auf die Gegenwart ein – dem schicken Stil der
alten Schaubühne setzt er neue
Stücke entgegen, die von einer
heruntergekommenen, kaputten, verfallenden Gesellschaft
erzählen. Sasha Waltz hat mit
ihren Tanztheaterstücken („Al-
lee der Kosmonauten“) dem
Tanz ein neues, jugendliches
Publikum erschlossen und mit
ihren komisch melancholischen
Stücken absurde, traurige, temporeiche Geschichten erzählt.
Mit dem Neubeginn an der
Schaubühne übernehmen zum
ersten Mal ein Regisseur und
eine Choreografin gemeinsam
ein Theater. Einen Bruch mit
schlechten Konventionen des
Kulturbetriebs markiert die
neue Schaubühne durch Mitbestimmung des Ensembles und
finanzielle Selbstbeschränkung
der Künstler.
222005 verließ Sasha Waltz
die Schaubühne. Thomas
Ostermeier gehört weiterhin
zur künstlerischen Leitung
der Schaubühne.
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13·12 tip
40 Jahre tip 35
40 Jahre Tip • Die 2000er Jahre
zweitausender
Die peinlichsten Berliner, Generation Wodka, Hebbel am Ufer, Göttinnen der Volksbühne,
Neukölln, Baader Meinhof Komplex, Neues Museum, Bonaparte, Lars von Trier, Schlingensief
2001 • Dezember • tip 24
2000 • Januar • tip 1
Cookie
Die Peinlichen
Ein Mann und seine Bars
Zum Millenniumbeginn
kürte der tip das erste
Mal die 100 peinlichsten
Berliner
In einer wüsten Kellerbar hat
alles angefangen. Hier sind wir
versunken, nachts, wie in einem
Traum, mit hart gemixten Cocktails für fünf Mark. Wir haben die
Winternächte im Keller geliebt,
berauscht und glücklich, dass es
einen Ort wie diesen gab: die
erste Cookies Bar, Auguststraße,
Berlin-Mitte, 1994.
Cookie, alias Heinz, betreibt
seit sechs Jahren die Cookies
Bar. Er war blutjung, als er 1992
von London nach Berlin ging.
„Ich wollte in Berlin leben und
Spaß haben“, sagt der 26-Jährige. Inzwischen hat sich ein
Traum für ihn erfüllt, den er gar
nicht hatte. Innerhalb von
sechs Jahren hat er die Kellerbar zum kommerziellen Club
etabliert, ist Mitinhaber der
Greenwich Bar und Besitzer des
Café Bravo geworden.
Die Zeiten haben sich geändert,
mit ihnen Cookie und sein Publikum. „Ich bin ein Mitte-Boy,
und das find ich gut“, sagt der
unnahbare Cookie. „Berlin-Mitte
hat sich sehr verändert. Und ich
bin froh darüber. Gäbe es keine
Veränderung, wären wir noch
beim klassischen Haustanz.“
36 40 Jahre tip
Miss Sexyland
Sie war jung und brauchte das Geld. So wurde Marion S.
für 500 Mark zum bekanntesten Busen Berlins
Marion S. ist von Natur aus eher
schüchtern. Verhandeln war
noch nie ihre starke Seite. Und
außerdem: Woher sollte sie ahnen, was aus diesem Bild einmal
werden würde? 500 Mark klang
gut, Anfang der 80er. Und stolz
war sie natürlich auch ein wenig,
sagt sie heute.
Vorher hatte eine Farbige für Big
Sexyland geworben und davor
eine Brünette und vor der Brünetten noch eine andere. Nach
Marion kam gar keine Frau mehr,
ganze 18 Jahre lang, bis heute.
Und so ist sie die „Miss Sexyland“
von Berlin geworden, erst im
Westen und dann – nach dem Fall
der Mauer – auch im Osten.
Irgendwann, vielleicht Mitte der
90er, hat sich das Bild von seinem ursprünglichen Inhalt gelöst, hat sich befreit von den
sexuellen Konnotationen und
Anspielungen, wurde zu etwas
anderem, zum Markenzeichen
des alten Berlin, zum verbliche-
nen Logo einer Stadt, die unter
Tonnen von Betonplatten, Baukränen und Partner-für-BerlinBroschüren begraben wurde. Wer
heute das Plakat sieht, denkt an
David Bowie und das Sound, an
den Dschungel und Christiane F.,
an Peepshow-Baracken zwischen
Ku’damm und Kant-Dreieck.
Wenn Marion ihr eigenes Bild
sieht, denkt sie immer nur, wie
blöd sie war – damals, als sie den
Fetzen Papier unterschrieb, der
sie für 500 Mark zum Lockvogel
für einen Sexbetrieb machte, zur
Masturbationsvorlage im öffentlichen Raum. Mehrmals hat sie
versucht, das Plakat zu beseitigen, hat mit den Sexyland-Betreibern gesprochen, hat Anwälte eingeschaltet, irgendwann
resigniert. Das war Mitte der
80er und für Marion S. Zeit, einen Schlussstrich zu ziehen.
Schlussstrich unter ein Leben,
das ihr nur wenig Geld und viele
falsche Freunde einbrachte.
Platz Nr. 1: Dr. Motte
Magier für Millionen möchte er
sein, doch in Wahrheit ist er
kaum mehr als ein Pausenclown
für Provinzraver: Motte alias Matthias Roeingh, „größter Partyveranstalter aller Zeiten“. Mit
dümmlichen Mottos („Music is
the Key“) und noch dümmlicheren Teilnehmern (Junge Union)
hat er aus der Love Parade eine
pubertäre Trallala-Veranstaltung
für Sparkassen-Azubis und Marken-Junkies gemacht. Will man
ihm sein Riesenspielzeug wegnehmen, stampft er mit den Füßen und droht mit Liebesentzug.
Für seine anhaltenden Verdienste
um den schlechten Geschmack
bekam er im letzten Jahr den
Bambi verliehen. Das qualifiziert
ihn für einen Spitzenplatz in unserer Liste. Ab in die Kiste, Motte!
tip 13·12
Foto: Harry Schnitger / tip (links)
2001 • Januar • tip 2
Die 2000er Jahre • 40 Jahre Tip
2001 • September • tip 20
Bastarde
Qpferdachs Editorial nach dem 11. September 2001
„Bastarde“ – so titelte in der vergangenen Woche unmittelbar
nach dem Anschlag die New Yorker „Village Voice“. Bastarde sind
Menschen, die Dinge tun, die
man unter keinen Umständen
tut. Bastarde sind die Terroristen, die das La Belle in die Luft
sprengten und in diesen Tagen
nach 15 Jahren ihr Urteil erwarten. Der Bombe damals bin ich
als regelmäßiger Besucher dieser
Disco nur knapp entgangen, weil
ich nicht dort war, sondern zufällig an dem Wochenende in
Westdeutschland weilte.
Ich kenne die Wut und den Hass,
die so ein Anschlag erzeugt. Und
trotzdem war es damals wie
heute klar, dass man sich so etwas nicht gefallen lassen kann.
Die Auftraggeber für den Massenmord zu finden und vor ein
Gericht zu stellen, wird unvergleichlich schwieriger, doch nicht
unmöglich. Unsere westliche
Lebensart aber werden die Islamisten nicht aushebeln. Und
wenn sich das Koordinatensystem unserer Wahrnehmung tatsächlich verschoben hat, betrifft
es sicher nur die Relation von
wichtig und unwichtig. Die Bastarde aber, die meinen, sie könnten sich in Gottes Namen zu
Herren über Leben und Tod machen, sie soll der Teufel holen,
wenn es ihn denn geben sollte.
2002 • Februar • tip 5
Kosslicks Einstand
Fettnäpfe ohne Ende: Dieter Kosslicks erste Berlinale
Lieber Dieter Kosslick,
Zugegeben, Ihr Deutsch ist besser als das von Moritz de Hadeln,
doch damit hat es sich denn
auch. Mit dem seismografischen
Gespür eines Minensuchgeräts
orteten Sie jeden Fettnapf im
Umkreis von zehn Meilen zum
Berlinale-Palast, outeten sich
auf der Verleihung des Teddy im
Tempodrom als Nicht-Gay,
klampften im Kant-Kino zur musikalischen Todesstrafe BAP
oder ließen sich auf dem Marle13·12 tip
ne-Dietrich-Platz im Bademantel ablichten. Jeder einzelne
Fauxpas hätte anderen Festspieldirektoren längst den Ruf
ruiniert, doch Sie leben damit
gänzlich ungeniert.
So spontan wird keine Berlinale
mehr sein. Und so viel Stimmung
wird der Stadt in den nächsten
Monaten fehlen. Vielleicht auch
ein Signal an den Senat: Don’t
worry! Be peinlich! Wowereit,
übernehmen Sie.
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40 Jahre tip 37
40 Jahre Tip • Die 2000er Jahre
2002 • April • tip 8
2004 • Januar • tip 2
Kaminers
Kaffee Burger
Hebbel am Ufer
Was kann schon toll sein, ein
paar Russen beim Feiern zuzuschauen? Eine ganze Menge. Zu
den Polka-Partys im Burger oder
im Mudd Club kommen vor allem
Deutsche.
Ab 23 Uhr ist das Kaffee Burger,
wo die Veranstaltung zweiwöchentlich samstags stattfindet,
voll. Vor dem Eingang bilden sich
lange Schlangen. Aber nur jeder
fünfte Gast sei tatsächlich ein
Russe. „Meine Frau überprüft die
Quote regelmäßig, indem sie an
der Kasse sitzt und jeden Besucher auf Russisch anspricht“,
erzählt Wladimir Kaminer. Er
lacht. „Sie hat damit nicht viel
Erfolg. An einem Abend konnten
sogar nur vier Leute auf ihre Fragen richtig antworten.“ Kaminer
denkt nach, sagt, er wisse nicht,
weshalb fast nur Deutsche kommen. Er wendet sich wieder seinem Turntable zu und sucht die
nächsten Platten aus. Ska, Punk
und Independent-Rock.
»Wenn die MoskauTussis tanzen, fliegt
der Goldschmuck«
Viele Deutsche kommen nur
deshalb, weil er der DJ ist: Wladimir Kaminer ist hierzulande
der beliebteste Russe seit Gorbatschow. Mit seinen Erzählungen über die Berliner Russen
erreicht der 34-Jährige eine immer größer werdende Anhängerschaft. Auch im Burger ist er der
Star: Auf dem Podest an der
Tanzfläche stehen immer ein
paar Russinnen direkt in seiner
Nähe. Doch Kaminer, ein Familienvater mit gemütlicher Ausstrahlung, beachtet sie kaum.
Mehr als in allen anderen Szeneläden aber erfüllen die BurgerRussinnen auch hier das Klischee: Sie sind stark geschminkt,
die Haare tragen sie vorn mit
kurzem Pony, an den Seiten wallend und hoch toupiert. Wenn
sie tanzen, fliegt der Goldschmuck: Moskau-Tussis.
38 40 Jahre tip
Matthias Lilienthals ausschweifendes HAU-rein-Theater
Seit dem Neubeginn unter Matthias Lilienthal vor zwei Monaten hat sich das Hebbel-Theater
in ein Versuchslabor verwandelt:
Das Hebbel am Ufer, kurz HAU,
testet die Grenzen des Theaters
aus – und sorgt für spannende
Kollisionen zwischen Kunst und
Wirklichkeit.
Das Jahr hat gut angefangen für
Matthias Lilienthal, den Mann,
der seit November an den drei
HAU-Bühnen das Theater neu
erfindet. Auf der Silvesterparty
im HAU2, dem früheren Theater
am Halleschen Ufer, tobte eine
„Porno-Karaoke“, bei der Performer live für den passenden
Soundtrack zu Filmen der Sparten Blümchensex, Oswald Kolle
und Hardcore sorgten. Kein
Wunder, dass die HAU-Partys
inzwischen auch bei Leuten, die
nie freiwillig ins Theater gehen
würden, Kultstatus genießen.
Ein paar Stunden später, morgens um kurz nach sieben am
ersten Tag des neuen Jahres,
hängt Lilienthal nicht wie jeder
normale Mensch verkatert im
Bett, sondern im Flugzeug nach
New York, er will einige Regisseure treffen, mit denen das
HAU zusammenarbeitet. Der
Mann schont sich nicht.
Allein in den ersten beiden Monaten fanden auf den drei HAUBühnen gut 70 Premieren statt,
dazu noch Minifestivals, HipHopKonzerte, ein Themenwochenende zur Wirtschaftskrise in
Argentinien, Besuche streiken-
der Studenten, Diskussionen mit
Diedrich Diederichsen und
Guillaume Paoli, dem Philosophen der Glücklichen Arbeitslosen, und jede Menge ausschweifende Partys. Ein gewisser Overkill scheint zum Stil des Hauses
zu gehören.
Das Prinzip Überforderung funktioniert. Das HAU hat in wenigen
Wochen eine enorme Ausstrahlungskraft entwickelt. Die Werbeplakate mit den lädierten
Boxern sind in Kreuzberg, Mitte
und Schöneberg kaum zu übersehen, auch Theater-Ignoranten
haben von dem neuen Theater
zumindest mitgekriegt, dass es
irgendwie hip ist, und im Zuschauerraum tauchen immer
öfter lauter junge Gesichter auf.
Sieht so aus, als hätte das HAU
in Rekordzeit ein neues Publikum gefunden.
2006 • Februar • tip 3
Arctic Monkeys
Ein waschechtes Punkalbum und das nächste große Ding
„I Predict A Riot“ – mit diesem
Schlachtruf mischten die Kaiser
Chiefs aus Leeds vor einem Jahr
die Szene auf. Doch der wahre
Krawall findet woanders statt.
Vier Jungs um den 19-jährigen
Sänger Alex Turner ist das gelungen, was andere Bands in den
letzten Jahren versprachen, aber
nie ganz einlösten: ein waschechtes Punkalbum. „Never mind
the bollocks, here’s the Arctic
Monkeys!“
Doch der Hype ist berechtigt.
Die klasse Kracher auf „Whatever
People Say I Am, That’s What I’m
Not“ werden diese Band zum
großen Ding machen.
tip 13·12
Foto: Thomas Aurin
Party bis zum Abwinken
mit Polka, Punk und Ska
Die 2000er Jahre • 40 Jahre Tip
2004 • August • tip 18
Unsere Göttinnen
Die Schauspielerinnen der Volksbühne sind scharf und
gefährlich wie Rasiermesser. Eine Begeisterung
Bald ist es so weit: Die Sommerpause ist vorbei, die Spielzeit
beginnt. Und wenn es endlich
wieder in die Volksbühne geht,
dürfen wir ihnen wieder begegnen, den Dostojewski-Nihilisten, Koks-Gräfinnen und Hysterikern der New Economy, all den
Exzesskünstlern aus Frank Castorfs und René Polleschs Theaternächten. Lauter Heroen der
Schauspielkunst. Und vor allem:
lauter unglaubliche Schauspielerinnen.
Nirgends sind Frauen auf der
Bühne so sexy und so unkalkulierbar, nirgends werden Radikalfeminismus, der offene Sexismus des Intendanten und die
Lust am großen männermordenden Auftritt so rasant kurzgeschlossen. Die Volksbühne, das
bedeutet Astrid Meyerfeldts
heisere Tobsuchtsanfälle. Susanne Düllmanns fein nuanciertes Parlando. Jeanette Spassovas unterkühlte Melancholie.
Kathrin Angerers wimpernklimpernder Lolita-Sex. Die hysterische Intelligenz und damenhafte Grandezza von Sophie Rois.
Lauter Ex–tremisten.
Ein Darstellerkollektiv, wie es
seit Fassbinders Tagen keines in
Deutschland mehr gegeben hat.
Und ein Ensemble aus lauter
Stars, wie sie lange kein Theater
hervorgebracht hat.
2006 • Oktober • tip 21
Helge Schneider
Helge Schneider übers Sterben und sein Eduscho-Studium
SCHNEIDER Das Interview ist
doch für den Film „Das kleine
Arschloch und der alte Sack –
Sterben ist schön“, oder?
„Sterben ist scheiße.“
Sterben ist scheiße? Ach ja, ist
ja scheiße.
Obwohl im Film das Sterben
letztlich doch ganz schön ist.
Ich habe den Film ja noch nicht
ganz gesehen. Nimmst du schon
auf?
Ja. Ich habe gelesen, dass Sie als
junger Mann in Ihrer Freizeit ein
Eduscho-Studium betrieben haben – also alte Männer in Stehcafés beobachten. Haben Sie für
13·12 tip
die Synchronisation des alten
Sacks noch auf diese Erfahrungen zurückgegriffen?
Der alte Sack ist ja jetzt schon in
einem Stadium, wo er alle Facetten des Menschseins durchgemacht hat. Da kommt dann das
Sich-Ergeben-im-Leben, das
einfache Dasein, und in meiner
Synchronstimme ist das alles
erhalten. Ich versetze mich dann
in diese Figur und bin das dann.
Da habe ich bei den alten Opas
im Eduscho einiges gelernt.
Vielen Dank für das Gespräch.
Was war das jetzt? „taz“?
Nein, tip.
40 Jahre tip 39
40 Jahre Tip • Die 2000er Jahre
2006 • April • tip 9
2007 • April • tip 9
Die Berliner
Ein überfälliges Loblied
Nord-Neukölln
Nach dem Rütli-Skandal und vor der Gentrifizierung:
In Neukölln lebt die berühmte Berliner Mischung
Nord-Neukölln gilt seit dem
Rütli-Skandal als die Berliner
Bronx. Das ist Unsinn, denn die
robuste Berliner Mischung aus
Bürgerlichen und Freaks, Kreativen und Migranten verhält sich
gegen alle Einheitsprinzipien
extrem resistent, auch gegen das
Ghetto-Label.
Wenn ich aus meinem Wohnzimmerfenster schaue, sehe ich auf
den Hof der Rütli-Schule. Seit
die ersten Meldungen vom Hilferuf der Rütli-Lehrer kamen
und sich die Pressemeute vor
dem Schultor sammelte, lebe ich
laut „Spiegel“ in der deutschen
Bronx. Manche sprechen gar von
Slum. Doch wenn ich vor die
Haustür trete, stolpere ich über
die Auslagen eines Bio-Ladens,
der Trödler an der Ecke winkt,
und die Glocken der St. Christophorus-Kirche läuten. Der Kiez
hat es schwer, seinem GhettoImage gerecht zu werden, denn
seine neuen Seiten werden immer sichtbarer.
Die Veränderung kommt mit
leuchtenden Schaufenstern
n a ch N o rd - N e u kö l l n , d a s
manchmal ganz schön dunkel
ist, weil so viele Geschäfte leer
stehen. In einem ehemaligen
Döner-Laden jedoch lehnen seit
40 40 Jahre tip
Kurzem großformatige Bilder an
den Wänden.
Der Ausländeranteil im ReuterKiez liegt bei 30 Prozent, und
damit weit über dem Neuköllner
Durchschnitt. Doch gerade deswegen ist die Gegend heiß begehrt, vor allem bei jungen Leuten und solchen, die Wert auf
die berühmte Berliner Mischung
legen – Bürgerliche und Proleten, Kreative und Migranten,
Spießer und Freaks, alle auf einem mehr oder minder harmonischen Haufen. Prächtige Gründerzeitbauten prägen das Straßenbild. Die Wohnungen sind
toll, aber oft unsaniert, und so
bleiben die Mieten billig.
Vor Kurzem hat das Café Ringo
»Der Kiez hat es
schwer, seinem
Ghetto-Image gerecht
zu werden«
in der Sanderstraße eröffnet und
ist schon ein Magnet. Betreiberin Christina Hohmann, deren
Teilhaber auch das Café Mathilda
in der Kreuzberger Graefestraße
gehört, schätzt das ruppige Flair
in Neukölln.
Dem Berliner wird, und daran ist
er möglicherweise nicht ganz
unschuldig, eine recht grobschlächtige Beurteilung zuteil.
Unfreundlich soll er sein, ruppig
und ausgestattet mit großer
Schnauze. Mag alles stimmen,
greift aber viel zu kurz. Daher
folgt hier ein Loblied.
Zunächst mal ist gar nicht einzusehen, was so unfreundlich da­­
ran ist, wenn jemand einen
Großteil der Stadt von Zugezogenen besiedeln lässt – ja, ihnen
ganze Stadtteile überlässt, ohne
zu mucken. Der Berliner erzeugt
keinen Assimilationsdruck auf
die neuen Bürger. Er lässt sie in
ihren Ghettos wursteln, er zeigt
jedem eine Ecke, in der er sich
einrichten kann, und schreit
nicht ständig nach Anpassung
wie die Schwaben, die schon
schief gucken, wenn der Bürgersteig schlecht gefegt ist.
»Der Berliner schreit
nicht ständig nach
Anpassung«
Er ist tolerant. Man kann mit
Krawatte in eine Kreuzberger
Kneipe gehen oder mit kurzen
Hosen ins Borchardt, ohne dass
es jemanden juckt. Der Berliner
hat einen großen Langmut. Mit
besonders nervigen Neu-Berlinern geht er nach dem Motto
um: nicht mal ignorieren. Überhaupt ist der Berliner nicht vordergründig freundlich, nur weil
das nach außen besser wirkt.
Seine Schroffheit ist Ehrlichkeit
auch Fremden gegenüber, die er
immer wissen lässt, woran sie
sind. Er kennt keine Klassenunterschiede – jeder kann sein
Freund werden, das hat er z.B.
den Hamburgern voraus.
Auch den Unfug überlässt er den
Auswärtigen: Das Stadtschloss
will ein Baumarktbesitzer aus
Norddeutschland wieder errichten, und den rbb, einen der
schlechtesten Sender der ARD,
führt eine Frau aus Heidelberg.
Im Grunde genommen ist und
bleibt er der einzige Weltbürger
der Stadt.
tip 13·12
Die 2000er Jahre • 40 Jahre Tip
2008 • September • tip 21
RAF im Kino
Der Ballerfilm „Baader Meinhof Komplex“ versetzt die
Nation in ein schweres Trauma. Viele müssen jetzt reden
Die RAF ist immer noch in der
Lage, Schaden anzurichten. Eines der prominentesten Opfer
im aktuellen deutschen Herbst
ist Frank Schirrmacher. Nach
Sichtung des RAF-Films veröffentlichte der „FAZ“-Herausgeber einen Text, der zwischen
Größenwahn und Heulsusigkeit
pendelte. Schirrmacher betrachtete den Film nämlich als „eine
Befreiung von der Erziehungsdiktatur“, und man würde schon
gerne wissen, welche Erziehungsdiktatur gemeint ist und
was sie unterrichtet. Aber
Schirrmacher redet in Zungen.
Überhaupt entwickelte sich in
den Tagen vor dem Kinostart
eine anschwellende Gespensterdebatte. Reihum fuhren viele
Medien Augenzeugen, Betroffene und Leibhaftige auf. Der ExBundesjustizminister Hans-Jochen Vogel talkte bei „Anne
Will“, der Ex-Innenminister Gerhart Baum schrieb für die „Zeit“,
der Ex-Terrorist Peter-Jürgen
Boock parlierte mit dem
Deutschlandfunk. Es war wie ein
riesiges Ehemaligentreffen. „Der
Baader Meinhof Komplex“ ist da
lange kein Film mehr, sondern
eine öffentliche Gruppentherapie mit Millionen von Teilnehmern. Halb Deutschland ist im
RAF-Trauma, Schirrmacher nur
einer von vielen.
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und mehr als 50 weitere regionale Magazine in ganz Deutschland
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2008 • September • tip 21
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Bonaparte
Foto: Harry Schnitger / tip
Ein kleines Wunder: kritische Musik zum Glücklichsein
Durchatmen, hinsetzen. Noch mal
drüber nachdenken. Nein, wirklich, Bonaparte sind das nächste
große Ding. Das, worauf die Welt
gewartet hat. Kritische Musik zum
Glücklichsein. Anspruch und Party. Nicht brav, nicht doof, nicht
hässlich. Dabei macht die „Hedonist Army“ – wie sie sich auch
bezeichnen – nicht unbedingt
neue Musik, nur bringen sie sie
13·12 tip
verdammt glaubwürdig rüber. In
Berlin, Europa oder Neuseeland
hat Bonaparte seine Zirkustruppe
überzeugend präsentiert. Wo sie
waren, stand hinterher eine verschwitzte und weich gerockte
Menge mit Zeilen im Ohr wie „You
know Tolstoi, I know Playboy. You
know too much too much too
much!“, immer noch freudig auf
und ab springend.
AUS DEN SAMMLUNGEN DES
DEUTSCHEN HISTORISCHEN MUSEUMS
7. JUNI BIS 25. NOVEMBER 2012
25
2012
1987
I
L
B
C
M
K
H
G
J
N
E
D
DEUTSCHES HISTORISCHES MUSEUM
UNTER DEN LINDEN 2 | BERLIN
TÄGLICH 1018 UHR WWW.DHM.DE
40 Jahre tip 41
40 Jahre Tip • Die 2000er Jahre
2010 • Juni • tip 13
2009 • September • tip 21
Neue Mitte
Wird die King Size Bar zum
Partykeller der Berliner
Republik?
Shalom, Berlin!
Berlin wird zum Magneten für junge Israelis
Junge Israelis erobern das Berliner Nachtleben. Sie eröffnen
Clubs in alten Lagerhallen, veranstalten Disco-Nächte in Kellergewölben und legen Platten
von Grandmaster Flash und
Dschingis Khan auf. Ihre Herkunft ist dabei zwar stets präsent, spielt aber oft nur eine
untergeordnete Rolle.
„Ganz ehrlich“, sagt Natalie, als
ihr Romina den Flyer zeigt. „Das
Ganze ist schon ein bisschen
meschugge.“ Rabbinerköpfe fliegen darauf herum, siebenarmige
Leuchter und Davidsterne – und
das in einer Optik, die man
sonst nur von Werbezetteln für
Großraumdiscos kennt. Der Flyer kündigt die schwul-jüdische
„Meschugge“-Party an, die ein
wilder Israeli einmal im Monat
im Ackerkeller in Mitte veranstaltet. Über dem Dancefloor
hängen israelische Flaggen. Aus
den Lautsprechern kommen
Oriental-Sounds, hebräische
Schlager, Electropop und die
größten Grand-Prix-Hits aller
Zeiten. „‚Dschingis Khan‘ ist einer meiner absoluten Lieblingssongs“, sagt DJ Jonathan, die
gleichnamige Band sei damit
1979 beim Grand Prix in Jerusalem angetreten. Auch Modern
Talking gehört zu seinem Repertoire, „Maria Magdalena“ von
Sandra und „Personal Jesus“ von
Depeche Mode. Der Top-Hit der
Party heißt „Messiah“, eine Klezmerpop-Hymne, die von der Ankunft des Erlösers handelt und
42 40 Jahre tip
alle mitreißt. Etwa ein Drittel
der tanzenden Menge versteht
den hebräischen Text und singt:
„Messiah, Oioioioioi!“ Auch Natalie und Romina sind nicht
mehr zu bremsen.
Hinter dem DJ hüpft Aviv Netter
auf und ab, der den „Meschugge“Abend veranstaltet und heute
Hasenohren trägt. Das Energiebündel aus Israel freut sich, dass
die Stimmung mal wieder super
ist. „Ich möchte mit meiner Party die unkoschere Seite Israels
zeigen“, sagt er und erzählt, dass
schon bei seiner ersten Veranstaltung vor zwei Jahren der Andrang so groß gewesen sei, dass
die Polizei kommen musste, weil
sich Nachbarn über das Tohuwabohu vor der Tür beschwert hatten. Als er vor vier Jahren zum
ersten Mal nach Berlin kam, hat
er sich gleich in die Stadt verliebt. „Kein Vergleich zum Nachtleben in New York“, sagt der
24-Jährige. Dort lebt seine Familie heute. Avivs Affinität für die
deutsche Hauptstadt war für sie
ein Skandal. Seine verstorbene
Großmutter, die vor dem Krieg
nach Palästina ausgewandert
war, stammte aus einer Intellektuellenfamilie in Berlin-Mitte, die
fast komplett dem Holocaust
zum Opfer fiel. Für Familie Netter war Deutschland tabu. „Mein
Vater hat mich für verrückt erklärt, als ich ihm sagte, dass ich
nach Berlin gehen werde“, erzählt er. Meschugge eben, genau
wie seine Party.
King Size – der Name ist natürlich ein Witz. Ein Tresen, ein paar
Barhocker, eine Wand, ein
Durchgangsbereich zu den Toiletten, der sich zu vorgerückter
Stunde in eine Tanzfläche verwandelt. Der Laden in der Friedrichstraße 112b ist winzig, hinter
den verspiegelten Scheiben verbirgt sich kaum mehr als ein
Loch in der Wand, und das ist
auch der Grund, warum hier
nicht jeder reinkommt.
Die besten Kontakte helfen nicht
weiter, wenn es drinnen so voll
ist wie in der U-Bahn von Tokio
zur Rush Hour. Und das war seit
der Eröffnung der Bar im Mai
bisher an jedem Wochenende
der Fall.
King Size, so heißt die neue Bar,
für die sich die Grill-Royal-Betreiber Boris Radczun und Stephan Landwehr mit dem überaus umtriebigen Partyveranstalter Conny Opper zusammengetan haben. Wenn der Grill Royal
das Wohnzimmer der Berliner
Republik ist, hat die King Size
Bar das Zeug dazu, ihr Partykeller zu werden.
Auch der Hype um das King Size
wird irgendwann abklingen, und
dann wird eine kleine, tolle Bar
übrig bleiben, in der sich wohl
noch öfter solche Szenen abspielen werden wie neulich auf
dem Nachhauseweg.
Ein Paar stolpert aus der Bar. Er
stützt sich bei ihr ab. Bleibt stehen, wankt, kramt in seinen Taschen. „Scheiße, ich hab mein
ganzes Geld verloren.“ Sie: „Das
hast du nicht verloren, das hast
du da drin versoffen.“
Dass das Geld der beiden nicht
mehr fürs Taxi reicht, ist aber
nicht so schlimm. Die Straßenbahn hält direkt gegenüber.
Auch nachts.
tip 13·12
Die 2000er Jahre • 40 Jahre Tip
2011 • September • tip 21
H ERZ L I C H EN
gLüCkwu NsCH
Wir gratulieren dem
TIP Verlag zum Jubiläum!
40
Lars von Trier
Das Filmfestival von Cannes hat Lars von Trier wegen
eines Nazi-Scherzes verbannt. Im tip-Interview spricht er
nun über die Nazi-Franzosen. Scherzhaft natürlich
Nein, das soll ich nicht sagen.
Schneiden Sie das raus. (lacht)
Das habe ich auf Band.
„Die Franzosen sind die echten
Nazis.“ Das ist ein gutes Zitat.
Ja, das ist ein gutes Zitat.
Ja, das finde ich auch.
Autorisieren Sie das ganze Interview?
Oh ja.
Haben Sie etwas gesagt, das Sie
zurücknehmen möchten?
Nein, nein. Bitte.
Danke.
Ich bin sicher, Sie beschützen
mich so gut Sie können.
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done by WE DO
Sind Sie denn mit zukünftigen
Filmen aus Cannes verbannt?
VON TRIER Ich bin mir nicht sicher. Ich habe nichts gehört. Das
Problem ist ja auch: Was, wenn
ich mich plötzlich für Schuhe zu
interessieren beginne? Die veranstalten ja auch andere Messen
im Festivalpalais, eine Schuhmesse etwa – darf ich mich dann
dort aufhalten?
Niemand will jenseits des Filmfestivals freiwillig nach Cannes.
Vielleicht. Aber die Theorie interessiert mich. Die Franzosen. Die
Franzosen sind die echten Nazis.
Fresh &
French
2011 • März • tip 8
Til Schweiger
Til Schweiger über die Peinlichen-Liste und gute Komödien
In „Zweiohrküken“ gibt es eine
Szene, in der Sie den tip ausführlich würdigen: Sie überfahren
einen Kiosk, der exklusiv mit
tip-Heften mit dem fiktiven Titel
„Die 40 nervigsten Kritiker“
ausgestattet ist. Im Audiokommentar auf der DVD sprechen
Sie über das Jahr, in dem Sie
prominent die ganze Stadt geziert haben, weil wir Sie in unserer Liste der 100 peinlichsten
Berliner aufgenommen hatten.
Sie machen das mit viel Humor.
SCHWEIGER Das hat mir auch
einen wahnsinnigen Spaß ge13·12 tip
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macht, die Szene zu drehen.
Aber ich würde es nicht noch
mal machen.
Aber nicht, weil Sie uns schonen wollen?
Nein, weil das ein Insider-Gag
war, der für viele Zuschauer
nicht nachvollziehbar war, die
dann die Szene als unrealistisch
empfanden.
Was ist für Sie der Maßstab für
eine gelungene Komödie?
Wenn ich lache.
Zum Beispiel?
„Keinohrhasen“.
40 Jahre tip 43
40 Jahre Tip • Die 2000er Jahre
2011 • Juli • tip 15
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44 40 Jahre tip
Auf seine alten Tage hat der
Münchener Guerilla-Filmemacher Klaus Lemke seine Liebe zu
Berlin entdeckt. Er sagt, dass
ihm die Stadt so gut gefällt, weil
man hier lernen kann, glücklich
von einer Katastrophe des Lebens in die nächste zu schreiten.
»Die Bauarbeiter in
den Cafés sehen hier
aus wie Rockstars«
Lassen Sie uns über Berlin sprechen. Vor ein paar Jahren sagten Sie in einem Interview, Berlin sei gar nichts. Neowilhelminischer Unsinn. Eine Steinwüste. Was für verwirrte Söhne,
verspannte Töchter. Warum
drehen Sie nun trotzdem hier?
LEMKE Erst mal glaube ich, dass
der Satz mit den Söhnen und
Töchtern immer noch stimmt.
Aber der ist egal. Berlin ist die
einzige Stadt, die tatsächlich
ideologiefrei ist. Weder katholisch wie München noch in der
calvinistischen Ideologie der
Dinge gefangen wie Hamburg.
Jeder hier, der nicht ganz doof
ist, versucht sich ein Stück Boheme zu erhalten. (...) Für die
meisten Leute sind die 14 Tage,
die sie hier verbringen, die freiesten ihres Lebens. In dieser
Stadt, die nur aus Lücken besteht. Man kann in Berlin lernen,
glücklich von einer Katastrophe
des Lebens in die nächste zu
schreiten.
Ist es trotzdem nicht etwas seltsam, dass Sie ausgerechnet
vorm Oberholz gedreht haben,
der Berliner Zentrale der Webkreativen?
Das ist ganz fantastisch mit denen. Ich kann dort alles machen.
Wir haben davor schon mit Stühlen geschmissen. Alle, die da
sitzen, wollen zum Film, deswegen sagen sie nichts.
Gibt es noch andere Gründe,
warum Sie Berlin auf einmal ins
Herz geschlossen haben?
Die Straße des 17. Juni mit dem
Sowjetischen Ehrenmal, mit den
Panzern, das ist eindrucksvoll.
Wir sind nächtelang durch die
Stadt gefahren. Du fährst eine
Stunde lang und es ist immer
noch Stadt. Das ist für uns ungewöhnlich. Oder wenn ich hier
die Bauarbeiter in den süßen,
kleinen billigen Cafés sehe – die
sehen hier aus wie Rockstars.
Was hier alles in der U-Bahn
fährt, in dem Karton, also in dem
Waggon, das ist hier so bunt.
Oder die Wohnungen, die hundertmal größer sind als das, was
ich mir in München leisten könnte. Mit dieser Notbeleuchtung,
da hat man fast Angst, vergewaltigt zu werden in der Ecke.
Das klingt ja wie eine Liebeserklärung.
Berlin ist für mich wie ein Splitter vom Paradies. Ich gehe
manchmal weinend durch die
Straßen, weil ich so viel Glück
habe, das in meinem Alter noch
kennenlernen zu dürfen.
tip 13·12
Die 2000er Jahre • 40 Jahre Tip
2010 • August • tip 19
Christoph Schlingensief
Christoph Schlingensief starb im August 2010. Ein Nachruf
„Es ist so schön, Blödsinn zu machen, dass einfach nur das Leben
da ist. Ich will, dass diese Krankheit abhaut, dass sie von der
Erde verschwindet“, hat Christoph Schlingensief, schon schwer
krank, vor gut einem Jahr in seinem letzten tip-Interview gesagt, wütend, verletzt und lebensbejahend, auch wenn das
Leben wehtut. Die Ehrlichkeit,
mit der er sich in seinen letzten
Inszenierungen und dem Buch
über seine Krebserkrankung mit
seinem drohenden Sterben auseinandergesetzt hat, hat vielen
Menschen in ähnlichen Situationen geholfen. Und vermutlich
jeden, der sich da­rauf eingelassen hat, tief berührt. Christoph
Schlingensief war ein sehr besonderer Mensch. Sein Mut, seine Warmherzigkeit, seine ziemlich radikale Kunst, sein guter
Humor, eine menschliche und
künstlerische Integrität und
Nicht-Korrumpierbarkeit, die
weder durch Erfolg noch durch
Karrierekrisen gefährdet war, die
scheinbar kindliche unverstellte
Unschuld, mit der er sich in seine
Theater-, Kino- und Kunstabenteuer gestürzt hat, machen ihn
zu einer Ausnahme in einem Kulturbetrieb, der fast nur aus Profis, kaum aus Leuten, die aufs
Ganze gehen, zu bestehen
scheint. Deshalb gibt es auch
keinen Widerspruch zwischen
seinen harten Schock-Kunstwerken und dem letzten Projekt, ein
Festspielhaus für Afrika zu bauen: Immer ist das Kunstwerk, mit
einem von Beuys geliehenen
Lieblingsausdruck Schlingensiefs, eine „soziale Plastik“.
Kunst war für Christoph Schlingensief kein Beruf, sondern eine
Lebensform, die einzig mögliche
Weise, sich in der Welt zu bewegen. Christoph Schlingensief war
für das Theater, für die Aktionskunst und erst recht für viele
Menschen, die ihn kannten, das,
was Fassbinder, neben Beuys
wahrscheinlich sein zweites großes Vorbild, für das deutsche
Kino sein wollte: jemand, nach
dem nichts mehr ist wie davor.
Eure
13·12 tip
40 Jahre tip 45
40 Jahre Tip • Die 2000er Jahre
Abspann
MEDIA
FALKEN
WERBE UND PROMOTIONAGENTUR
HERZLICHEN
GLÜCKWUNSCH
TIP BERLIN!
Wir sagen DANKE und
freuen uns auf die
weitere Zusammenarbeit.
Wir danken herzlich den Autoren, aus deren Texte wir auf
den vorangegangenen Seiten zitiert haben ...
Bernd Albrecht (7), Wolfgang Altmann (42), Joel Amaretto (28), Helmut Blecher (6),
Michael Böhm (17), Nick Cave (20), Rudolph Dolezal (20), Wolf Donner (28), Ottavio
Endrizzi (7), Eraserhead (22), Laura Ewert (41), Jörg Fauser (20), Monika Frey (8), Oliver
Gehrs (40), Wolfgang Gersch (25), Fiesta Gitana (6), Barry Graves (14, 22), Hans Jürgen
Günther (16), Iris Hahnemann (7), Brigitte Herdlitschke (26), Karl Hermann (36, 37),
Alfred Holighaus (27), Bärbel Jäschke (9), Julia Johannsen (36), Wladimir Kaminer (33),
Knud Kohr (33), Peter Lauderbach (31, 32, 35, 38, 39, 45), Olaf Leitner (15, 16), Dimitri
Leningrad (18), Stephen Locke (12), Lutz Manthe (9), Werner Mathes (11, 12, 13, 17),
Rebecca Menzel (40), Katrin Bettina Müller (29), Wolfgang Neuss (23), Sassan Niasseri
(38), Katja Nicodemus (34), Beate Ostermann (26), Hans-Ulrich Pönack (14, 16), Qpferdach (26, 32, 37), Carola Rönneburg (27), Hans-Georg Sausse (18), Rüdiger Schaper (21,
22, 30, 32), Michaela Schlagenwerth (35), Barbara Schnurle (15), Eberhard Seidel-Pielen
(27), Andre Simonoviescz (8), Stief (6), Johnnie Stieler (32), Kaus Stemmler (4), Nicolas
Sustr (44), Christoph Terhechte (29), Sascha Rettig (39), Klaus Vogt (30), Thomas
Weiland (38), Heiko Zwirner (42, 43)
... und den Kolleginnen und Kollegen aus 40 Jahren:
»Die
Rechtschreibreform
ist alternativlos! «
Schöne Grüße an das „Tipp“
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Birgit Hoffmann
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Peter W. Jansen
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Bärbel Jäschke
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