Arbeitsschutz und Gesundheitsförderung im
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Arbeitsschutz und Gesundheitsförderung im
13 Schriftenreihe der Unfallkasse Hessen Unfallkasse Hessen Leonardo-da-Vinci-Allee 20 60486 Frankfurt am Main ISBN 978-3-934729-12-4 Regionalbüro Nordhessen Friedrich-Ebert-Straße 21 34117 Kassel Arbeitsschutz und Gesundheitsförderung im Öffentlichen Dienst Band 13 Arbeitsschutz Arbeitsschutz und Gesundheitsförderung im Öffentlichen Dienst Gesundheit Handlungsempfehlungen sowie Ergebnisse aus zwei Umfragen in Mitgliedsbetrieben der Unfallkasse Hessen in den Jahren 1999 und 2004 Unfallkasse Hessen Partner für Sicherheit Schriftenreihe der Unfallkasse Hessen Schriftenreihe der Unfallkasse Hessen Band 13 ARBEITSSCHUTZ UND GESUNDHEITSFÖRDERUNG IM ÖFFENTLICHEN DIENST Handlungsempfehlungen sowie Ergebnisse aus zwei Umfragen in Mitgliedsbetrieben der Unfallkasse Hessen in den Jahren 1999 und 2004 Unfallkasse Hessen Partner für Sicherheit Herausgeber: © Unfallkasse Hessen Leonardo-da-Vinci-Allee 20, 60486 Frankfurt am Main Postanschrift: Postfach 10 10 42, 60010 Frankfurt am Main Servicetelefon: 069 29972-440, Telefax: 069 29972-207 Internet: www.ukh.de E-Mail: ukh@ukh.de Regionalbüro Nordhessen Friedrich-Ebert-Straße 21, 34117 Kassel Telefon: 0561 72947-0, Telefax: 0561 72947-11 Autor: Hans Günter Abt, Unfallkasse Hessen Redaktionelle Bearbeitung: Pia Ungerer, Unfallkasse Hessen Grafische Gestaltung und Satz: Format·Absatz·Zeichen, Niedernhausen Fotos: Winfried Eberhardt, Frankfurt am Main Herstellung: Manfred Morlok, Universum GmbH Verlag und Druck: Universum GmbH, 65175 Wiesbaden Gedruckt auf chlorfrei gebleichtem Recyclingpapier Verantwortlich für den Inhalt ist der Autor © für diesen Band: Unfallkasse Hessen März 2009, 2. überarbeitete Auflage ISBN 978-3-934729-12-4 Vorwort der Unfallkasse Hessen Die Unfallkasse Hessen hat ihren Mitgliedern gegenüber eine Doppelfunktion. Einerseits ist sie Dienstleistende, die Führungskräfte und Funktionsträger ihrer Mitgliedsunternehmen durch Beratung, Information und Schulung bei ihren vielfältigen Verpflichtungen im Arbeits- und Gesundheitsschutz unterstützt. Andererseits ist sie auch Aufsichtsbehörde, die ihre Mitglieder anweisen kann, vorhandene Mängel im Arbeits- und Gesundheitsschutz zu beseitigen. Für beide Aufgaben müssen wir den Stand des Arbeits- und Gesundheitsschutzes bei unseren Mitgliedern kennen und gleichzeitig deren Wünsche und Erwartungen an uns als ihre gesetzliche Unfallversicherung. Für uns ist es außerdem wichtig zu erfahren, wie die betriebliche Gesundheitsförderung in den Mitgliedsbetrieben verankert ist. Aus diesen Gründen – und gleichzeitig als Qualitätssicherung für unsere Präventionsarbeit – führten wir in den Jahren 1999 und 2004 zwei umfangreiche Befragungen unserer Mitgliedsbetriebe durch. Die Befragungen hatten drei Schwerpunkte: die Organisation des Arbeitsschutzes, Aktivitäten der Gesundheitsförderung sowie Stand und Bedarf an unterstützender Kooperation. Wir danken dem Hessischen Sozialministerium (HSM) und dem Bundesverband der Unfallkassen (BUK) für die Unterstüt- zung und Förderung der Umfragen. Die AOK Hessen hat eigens für diese Schrift ihre Arbeitsunfähigkeitsdaten für den öffentlichen Dienst ausgewertet; hierfür bedanken wir uns herzlich. Die Ergebnisse der Befragungen sind Anlass für uns, Führungskräfte, Personal- und Betriebsräte, andere Funktionsträger und auch alle übrigen Versicherten grundsätzlich über die Verantwortung der Betriebe und über ihre Rolle bei der Prävention von Arbeitsunfällen, Berufskrankheiten und arbeitsbedingten Gesundheitsgefahren zu informieren. Darüber hinaus geben wir Handlungsempfehlungen für alle, die Aktivitäten zur Gesundheitsförderung in ihren Betrieben planen, umsetzen oder verbessern wollen. Information ist der erste Schritt, um notwendige Veränderungen einzuleiten. Diese Schrift soll eine Grundlage hierfür sein. Für weiterführende Informationen stehen die Aufsichtspersonen sowie die Organisationsberatung der UKH bereit, um mit Ihnen vor Ort weitere notwendige Schritte zu besprechen. Wir wünschen unseren Mitgliedern viel Erfolg bei der Optimierung des Arbeits- und Gesundheitsschutzes sowie bei den Aktivitäten zur Gesundheitsförderung in ihren Betrieben. Ihre Unfallkasse Hessen Bernd Fuhrländer Geschäftsführer Dr. Torsten Kunz Leiter Prävention 5 Vorwort des Hessischen Sozialministeriums Die immer drängendere Fragestellung der demografischen Entwicklung der Bevölkerung unterstreicht eindrucksvoll, dass die Menschen das wichtigste Kapital in den Unternehmen sind. Die Sicherheit, die Gesundheit und das Wohlbefinden der Beschäftigten sind demnach entscheidende Unternehmensziele, die mit den wirtschaftlichen Zielen in enger Verbindung stehen. Hierzu liefern der Arbeitsschutz und die betriebliche Gesundheitsförderung wichtige und nützliche Beiträge. Die sich daraus ergebenden Aufgabenstellungen des Arbeitsschutzes und der Gesundheitsförderung werden gleichzeitig komplexer: Die Anforderungen an die Beschäftigten steigen und ändern sich stetig. Lebenslanges Lernen und Erhaltung der physischen und psychischen Gesundheit sind die zentralen Bedingungen zur Erhaltung der Beschäftigungsfähigkeit der Menschen geworden. Keiner der Akteure im Arbeitsschutz und in der Gesundheitsförderung kann diese umfangreichen Aufgaben aus eigener Kraft und alleine erfüllen, seien es die Unfall- oder Krankenversicherungsträger, die staatliche Arbeitsschutzverwaltung, die gewerblichen Präventionsdienstleister oder die betrieblichen Verantwortlichen. Erforderlich ist vielmehr die vertrauensvolle Zusammenarbeit aller Partner im Arbeitsschutz und der Gesundheitsförderung. Und in dieser Zusammenarbeit verstehen sich die Aufsichtsinstitutionen eben auch als Präventionsdienstleister. Die Unfallkasse Hessen sowie das Hessische Sozialministerium und die hessische Arbeitsschutzverwaltung verbindet seit der Einführung des Arbeitsschutzgesetzes vor über einem Jahrzehnt eine gute Kooperation für wirkungsvollen und effizienten Arbeitsschutz im öffentlichen Dienst. Die hier vorliegende Untersuchung ist ein Beweis für konkrete und gelebte Kooperation. Mit der 2005 zwischen der Unfallkasse und dem Hessischen Sozialministerium abgeschlossenen Kooperationsvereinbarung ist diese Kooperation in eine neue Stufe der konkreten Umsetzung in der betrieblichen Praxis eingetreten. Die in dieser Broschüre dargestellten Ergebnisse veranschaulichen die erfolgreiche kooperativ gestaltete Aufsichts- und Präventionsarbeit der hessischen Partner. Die Untersuchungsergebnisse führen zu wichtigen Gestaltungsempfehlungen sowohl für die Verantwortlichen in den Unternehmen des öffentlichen Dienstes als auch für die sie betreuenden Institutionen. Sie stellen somit auch eine tragende Grundlage für die gemeinsame Arbeit von Unfallkasse und staatlicher Arbeitsschutzverwaltung in Hessen dar – in deren doppelter Mission: als Aufsichtsinstitutionen genauso wie als Präventionsdienstleister. Ihre Silke Lautenschläger Hessische Sozialministerin 7 Inhalt I Einleitung 11 II Organisation von Sicherheit und Gesundheitsschutz 2.1 Aufbauorganisation Bestellung von Arbeitsschutzexperten 2.2 Elemente des Arbeitsschutzmanagements Leitlinien zum Arbeits- und Gesundheitsschutz Arbeitsschutzhandbuch Arbeitsschutzkoordination Spielräume bei der Arbeitsschutzorganisation 2.3 Auswahlverantwortung und Qualifizierung Bildungsbedarfsermittlung und Führungskräftequalifizierung Auswahl externer Beauftragter Regelwerks- und Wissensmanagement 2.4 Weitere wichtige Organisationsaufgaben 15 18 19 21 23 23 24 25 27 27 29 30 31 III Umsetzung gesetzlicher Vorgaben zum Arbeitsschutz Beurteilung der Arbeitsbedingungen Beurteilung psychischer Belastungen 34 34 37 IV Einsatz von Analyse- und Steuerungsinstrumenten für Arbeitsschutz und Gesundheitsförderung 4.1 Kennzahlen für die betriebliche Gesundheitssituation Kenntnis der Fehlzeitenquote Auswertung der Fehlzeitendaten Gesundheitsbericht 4.2 Exkurs: Arbeitsunfähigkeitsanalysen der AOK Hessen 4.3 Weitere Informationsquellen Auswertung der Unfalldaten Auswertung von Krankenrückkehrgesprächen Mitarbeiterbefragung 4.4 Einsatz von Kennzahlen und Steuerungsinstrumenten 38 38 38 38 41 42 44 44 47 47 50 V Präventive Ausrichtung des Arbeitsschutzes 53 VI Führungsinstrumente für Sicherheit und Gesundheitsschutz Mitarbeitergespräche zu Sicherheit und Gesundheit Rückkehrgespräche nach Krankheit Stellenwert strukturierter Kommunikation 58 58 60 61 9 VII Maßnahmen der Gesundheitsförderung Thematische Schwerpunkte der Gesundheitsförderungsmaßnahmen in Mitgliedsbetrieben Unterschiede zwischen den Mitgliedsbetrieben bei Gesundheitsförderungsmaßnahmen Kooperationen bei Gesundheitsförderungsmaßnahmen 66 68 VIII Inanspruchnahme von Gesundheitsförderungsmaßnahmen Kosten der Teilnehmer an Gesundheitsförderungsmaßnahmen Zeit und Ort von Gesundheitsförderungsmaßnahmen Vorbildung und Vermittlung von Gesundheitsförderungsmaßnahmen Verbindlichkeit von Gesundheitsförderungsmaßnahmen 69 69 69 70 72 IX Dienstvereinbarungen und andere Regelungen für Arbeitsund Gesundheitsschutz und Gesundheitsförderung 73 X Infrastruktur der Gesundheitsförderung Gesundheitszirkel Betriebliches Vorschlagswesen 76 78 83 XI Nutzen von Arbeitsschutz- und Gesundheitsförderungsmaßnahmen 85 XII Unterstützung bei Arbeitsschutz und Gesundheitsförderung Kontakte mit Präventionsinstitutionen Unterstützungserwartungen für Gesundheitsförderungsmaßnahmen Leistungen der öffentlichen Unfallversicherungsträger und ihre Bedeutung für die Gesundheitsförderung Inhaltliche Ausrichtung des Unterstützungsbedarfs für die Gesundheitsförderung Bedarfsmeldungen und Handlungsbedarf Kooperation von staatlichen Arbeitsschutzbehörden und Unfallkasse Hessen 90 90 94 XIII Plädoyer für eine stärkere Integration von Arbeitsschutz und Gesundheitsförderung Beurteilung der Arbeitsbedingungen als Mittelpunkt aller Gesundheitsaktivitäten Entwicklung von Führungskompetenz Angemessene Einbeziehung von Mitarbeitern Verfügbares Expertenwissen nutzen Aneignung eines erweiterten Methodenspektrums Anhang I Abkürzungen II Fragebogen der Befragung von 2004 10 63 63 96 97 99 100 102 102 105 106 108 108 110 110 111 I Einleitung Für die Mitgliedsbetriebe der Unfallkasse Hessen (UKH) ist die Gesundheit und Unversehrtheit ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eine wesentliche Voraussetzung, um ihre Aufgaben effizient zu erfüllen. Umfangreichere Aufgabenstellungen, kürzere Fristen zu deren Erledigung sowie qualitativ höhere Anforderungen prägen auch die Arbeitssituation in öffentlichen Betrieben. Die Erhaltung und Steigerung der Leistungsfähigkeit jedes Einzelnen gewinnt dadurch an Bedeutung für die Gegenwart und − angesichts der demographischen Entwicklung − auch für die langfristige Zukunft. Die gesundheitsgerechte und sichere Gestaltung der Arbeitsbedingungen ist dafür immer noch das einflussreichste betriebliche Instrument. Zugleich stellt sich die Grenze zwischen Leistungsfähigkeit und Leistungsbereitschaft als fließend dar. Physische und psychische Anforderungen im Arbeitszusammenhang beeinflussen nicht nur die Gesundheit, sondern auch die Kreativität, das Engagement und die kritische Reflexion. Diese emotionalen und mentalen Erfolgsfaktoren können gefördert oder gehemmt werden. Die so genannten weichen Faktoren der Arbeit, die inhaltliche Ausgestaltung von Tätigkeiten, die Arbeitsbeziehungen und insbesondere die Führungsqualität sind hierbei Ausschlag gebend. Insofern war die Neuausrichtung der Arbeitsschutzinstitutionen in den 1990er Jahren nur konsequent. Ihre Aufgabe wurde über die Unfallverhütung und die Vermeidung von Berufskrankheiten hinaus auf die Verhütung aller arbeitsbedingten Gesundheitsgefahren ausgeweitet. Die Prävention zielt nicht nur auf die Vermeidung von Entschädigungsleistungen der gesetzlichen Unfallversicherung, sondern ebenso auf die aktive Gesunderhaltung der Beschäftigten. Die Erfahrungen aus etwa zwei Jahrzehnten betrieblicher Gesundheitsförderung fließen in den modernen Arbeitsschutz ein und werden mit ihm zu einem umfassenden Gesundheitsmanagement in den Betrieben zusammengeführt. Seit der Erweiterung des Präventionsauftrags hat sich sowohl in den Arbeitsschutzinstitutionen als auch in den Betrieben viel bewegt. Die UKH unterstützt ihre Mitgliedsbetriebe immer stärker bei der Gestaltung sicherer und gesunder Arbeitsbedingungen. In den vergangenen Jahren wurde deshalb vorrangig die Beratung ausgebaut. Dass dies mit Erfolg geschehen ist, zeigen die Ergebnisse zweier Umfragen aus den Jahren 1999 und 2004, die in dieser Schrift ausführlich vorgestellt werden (Abbildung 1). Die Bedeutung der UKH als Beratungsinstitution für Sicherheit und Gesundheit wuchs in den Jahren 1999 bis 2004 für ihre Mitgliedsbetriebe deutlich an. Der Zuwachs ging jedoch nicht zu Lasten anderer Institutionen. Zu diesen wurden 2004 seitens der Betriebe ebenfalls mehr Kontakte gepflegt, was für ein steigendes Interesse und den daraus folgenden Beratungsbedarf spricht. Die Intensivierung der Zusammenarbeit ist in der größeren Aufmerksamkeit für die Themen Sicherheit und Gesundheit begründet, nicht einer Negativentwicklung bei Arbeitsunfällen oder arbeitsbedingten Erkrankungen geschuldet. Für die Sicherheit und Gesundheit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Landesdienststellen, in der Kommunalverwaltung und in den vielen weiteren Mitgliedsbetrieben sind davon positive Resultate zu erwarten. 11 EINLEITUNG 2004 1999 Unfallkasse Hessen Staatliche Ämter für Arbeitsschutz Andere Institutionen 0% 20 % 40 % 60 % 80 % 100 % Abbildung 1: Kontakte der Mitgliedsbetriebe zu Präventionsabteilungen. Die UKH greift diesen Anspruch auf. Sie bietet ihren Mitgliedsbetrieben fachliche Unterstützung bei der Prävention in unterschiedlicher Form an: Besichtigung und individuelle Beratung durch die zuständige Aufsichtsperson Schulungen für Führungskräfte der verschiedenen betrieblichen Ebenen, für Fachkräfte für Arbeitssicherheit, Betriebsärzte und Sicherheitsbeauftragte sowie für Personal- und Betriebsräte Ausbildung von Fachkräften für Arbeitssicherheit für den betrieblichen Bedarf Organisationsberatung zur Gestaltung der Aufbau- und Ablauforganisation im Arbeitsschutz und zur Ausgestaltung von Gesundheitsförderungsprojekten Projekte mit Mitgliedsbetrieben zur Gewinnung neuer Erkenntnisse über arbeitsbedingte Gefahren und zur Erprobung neuer Schutzmaßnahmen. 12 Noch nutzen nicht alle Mitgliedsbetriebe die vorhandenen Beratungsangebote. In dieser Broschüre werden die Befragungsergebnisse veröffentlicht und kommentiert. Darüber hinaus werden Grundlagen einer guten Arbeitsschutzorganisation verdeutlicht, um den Mitgliedsbetrieben weitere Hilfestellung zu geben. Das Beratungs- und Betreuungsangebot der UKH zur Prävention von Arbeitsunfällen und arbeitsbedingten Erkrankungen soll Führungskräften, die davon bisher noch wenig Gebrauch gemacht haben, in seiner ganzen Bandbreite aufgezeigt werden. Alle angesprochenen Themen werden mit ausführlichen Informationen und Empfehlungen für die Verantwortlichen und Praktiker im Arbeits- und Gesundheitsschutz abgehandelt. Anschließend werden die Ergebnisse der Umfragen vorgestellt und kurz kommentiert. Zur klaren Unterscheidung sind die Ergebnisse der Umfragen sowie die dazu gehörenden Kommentare − abweichend vom übrigen Text − in Kursivschrift verfasst. EINLEITUNG Die Umfragen, Ergebnisse und Schlussfolgerungen der Unfallkasse Hessen Bei den vorliegenden Erhebungen handelt es sich um zwei schriftliche Befragungen von Mitgliedsbetrieben, die vom Institut für Sport und Sportwissenschaft der Universität Karlsruhe im Auftrag der UKH, des Hessischen Sozialministeriums und des Bundesverbandes der Unfallkassen durchgeführt wurden. Angeschrieben wurden Mitgliedsbetriebe der Unfallkassen Hessen und Thüringen. Die zweite Befragung im Jahr 2004 war als Wiederholungsbefragung konzipiert und orientierte sich deshalb weitgehend an dem Fragenkatalog der Erstbefragung 1999. Lediglich einige Fragen zur Organisation des Arbeitsschutzes wurden ergänzt, um Basisinformationen für die Organisationsberatung der UKH zu erhalten (s. a. Fragebogen im Anhang). Die hier veröffentlichten Ergebnisse beziehen nur die hessischen Betriebe und Dienststellen mit ein. Letztlich nahmen 135 Mitgliedsbetriebe in Hessen an beiden Umfragen teil, so dass sich auf dieser Basis Entwicklungstendenzen beim Arbeitsschutz und bei der Gesundheitsförderung im öffentlichen Dienst aufzeigen lassen. Die Auswertung wird weitgehend in einer einheitlichen Form und Dar- Durchgeführte Umfragen Erstbefragung 1999 Zweitbefragung 2004 Befragte Mitgliedsbetriebe der Unfallkasse Hessen Erhebungsart Schriftliche Befragung Durchführung Universität Karlsruhe stellung vorgenommen. Entsprechend der Mitgliederstruktur der UKH werden jeweils drei Gruppen miteinander verglichen. Zum einen wird zwischen Landesdienststellen, Kommunen und Kreisen einschließlich ihrer vielfältigen Verwaltungseinheiten und Eigenbetriebe sowie anderen Betrieben, die in jedem Fall über eine eigene Arbeitsschutzorganisation verfügen wie Krankenhäuser und Sparkassen, unterschieden. Zum anderen werden die Mitgliedsbetriebe anhand der Anzahl ihrer Beschäftigten in drei Größenordnungen eingeteilt und miteinander verglichen, wobei die genaue Aufteilung pragmatischen Kriterien folgt. Die Trennlinien werden bei 150 und bei 400 Beschäftigten gezogen, um eine Einteilung in angemessen große Gruppen vorzunehmen. Basis der vorgenommenen Auswertungen Teilnehmende Betriebe an beiden Befragungen, darunter 135 − Landesdienststellen 44 − Kommunen und Kreise 63 − Andere Betriebe (Krankenhäuser, Sparkassen usw.) 28 Betriebe mit Angabe der Beschäftigtenzahl, darunter 126 − Betriebe unter 150 Beschäftigte 48 − Betriebe zwischen 150 und 399 Beschäftigten 41 − Betriebe mit 400 und mehr Beschäftigten 37 13 EINLEITUNG Die Umfragen richteten sich zwar an Organisationen, doch ausgefüllt wurden die Fragebögen letztlich von Menschen. Die Auswahl der antwortenden Personen sowie das genaue Prozedere wurden jeder Organisation selbst überlassen. Naturgemäß nehmen die Befragten eine zentrale Position in ihrem jeweiligen Betrieb ein. Daher ist bei der Bewertung der Ergebnisse zu beachten, dass Aktivitäten in zentraler Verantwortung besser abgebildet sein können als Aktivitäten in dezentraler Zuständigkeit. Trotz dieser Unzulänglichkeit gewähren die Ergebnisse wichtige Einblicke in die Situation und zei- 1) 14 gen die Trends der Mitgliedsbetriebe beim Arbeitsschutz und in der Gesundheitsförderung auf. Eine Auswertung der Umfragen wurde von der Universität Karlsruhe unter wissenschaftlichen Fragestellungen vorgenommen. Sie umfasst jedoch vor allem globale Aussagen zum Stand der Gesundheitsförderung im öffentlichen Dienst in Hessen.1) Die vorliegende Broschüre enthält hingegen eine größere Auswahl detaillierter Ergebnisse. Diese sind für die UKH Anlass, auf Defizite und Verbesserungsmöglichkeiten hinzuweisen. Download der Zusammenfassung unter: www.sozialnetz.de ➝ Arbeit und Gesundheit ➝ infoline Gesundheitsförderung ➝ zum Informationsangebot ➝ Aktuelle Informationen ➝ Dokumentationen und Projektergebnisse. II Organisation von Sicherheit und Gesundheitsschutz Der Unternehmer ist für die Arbeitsschutzorganisation in seinem Betrieb verantwortlich. Dieser lapidar klingende Auftrag umfasst jedoch bereits vielfältige Festlegungen und Handlungen, die Bürgermeistern, Dienststellenleitern, Betriebsleitern oder Geschäftsführern durch rechtliche Vorschriften auferlegt werden. Die Organisation von Sicherheit und Gesundheitsschutz umfasst drei Bereiche: Aufbauorganisation Sie umfasst die Festlegungen zur Aufgabenverteilung auf verschiedene Verantwortliche im Betrieb. Jede Auswahl sollte mit einer Prüfung der fachlichen Befähigung der beauftragten Person verbunden sein. Deshalb gehören Fragen der Aus-, Fort- und Weiterbildung mit in den Themenkreis der Aufbauorganisation. Ablauforganisation Vorgaben der obersten Leitung für wichtige Prozesse, die der Durchführung von Maßnahmen zum Arbeitsschutz dienen, beeinflussen den Umfang der Arbeitsschutzaktivitäten, vor allem aber den Stellenwert der Prävention im Betrieb. Einheitlichkeit, Abstimmung und Zusammenarbeit nach festgelegten Regeln erleichtern die Umsetzung der komplexen Arbeitsschutzvorschriften. Strukturen für Gesundheitsförderung Vorschriften für die Organisation der Gesundheitsförderung existieren nicht. Von besonderem Interesse ist deshalb, welche organisatorischen Strukturen die oberste Leitung in eigener Verantwortung schafft, um Maßnahmen der Gesundheitsförderung zu integrieren. In allen öffentlichen Betrieben findet man praktisch Organisationsansätze für den Arbeitsschutz vor. Doch unter qualitativen Aspekten gibt es große Unterschiede, die zum Teil innerhalb eines Mitgliedsbetriebs nebeneinander bestehen. Ein Stufenmodell kann dies veranschaulichen, wobei die höheren Stufen die niedrigeren immer einschließen (Abbildung 2). Die rudimentäre Form der Arbeitsschutzorganisation sind punktuelle Regelungen von Verantwortlichkeiten in Form von Bestellungen und einzelnen Aufgabenzuweisungen ohne Umsetzungsvorgaben. Vielen Führungskräften ist ihre Verantwortung für den Arbeitsschutz noch nicht hinreichend bekannt. Defizite in der Umsetzung von Arbeitsschutzvorschriften sind unter diesen Umständen die zwangsläufige Folge. Die zweite Stufe, die routinierte Durchführung von Schutzmaßnahmen, ist in vielen technischen Betrieben Praxis, in denen das klassische Verständnis von Arbeitsschutz im Sinne von Sicherheitstechnik Tradition hat. ASM-Verbesserung kontinuierlich angestrebt Gefahren planmäßig angegangen und Erfolg überprüft Gefahren vorausschauend vermieden oder reduziert Schutzmaßnahmen routiniert durchgeführt Bestellungen und Beauftragungen erfolgt Abbildung 2: Qualitätsebenen der Arbeitsschutzorganisation. 15 K A P I T E L I I · O R G A N I S AT I O N V O N S I C H E R H E I T U N D G E S U N D H E I T S S C H U T Z Eine weitere Qualitätsstufe wird erreicht, wenn das Bemühen um die Vermeidung oder die weitgehende Reduzierung von Gefahren organisiert angegangen wird. Dies setzt vor allem eine Berücksichtigung der Arbeitsschutzaspekte in Planungs-, Bau- und Beschaffungsprozessen voraus. Von Arbeitsschutzmanagement (ASM) kann erst auf der nächsten Stufe gesprochen werden, wenn alle zuvor genannten Aktivitäten zielorientiert und planmäßig erfolgen und auch die Wirkung der getroffenen Maßnahmen überprüft wird. Eine letzte Steigerung der Qualität ist das auf dem ASM aufbauende, abgestimmte Bemühen um eine ständige Prozess- und Ergebnisverbesserung beim Arbeitsschutz. Dies gelingt durch die wiederholte, lebendige Abfolge der Elemente des Managementkreislaufs, von betrieblicher Zielsetzung, Planung, Durchführung und Überprüfung. Für die Gesundheitsförderung fehlt eine gesetzliche Verpflichtung, an der man den Grad der Umsetzung festmachen könnte. Qualitätsunterschiede lassen sich jedoch auch hier an der Zielorientierung und Systematik erkennen (Abbildung 3): Betriebliche Gesundheitsförderung kann sich bereits im Angebot einzelner Maßnahmen zur Gesundheitsförderung erschöpfen. Beschäftigte, die am Angebot interessiert sind, nehmen es in Anspruch, andere nicht. Eine Steuerung seitens des Betriebs erfolgt nicht. Über die meist zufällig ausgewählten oder von außen angeregten Angebote kommt nur hinaus, wer Analyseinstrumente einsetzt. Diese können sich auf die Bedürfnisse der Beschäftigten oder auf deren Gesundheitssituation beziehen. Bildet eine konkrete betriebliche Zielsetzung den Hintergrund, die explizit formuliert und überprüfbar ist, so ist eine weitere Qualitätsstufe erreicht. Sind die Analyseinstrumente ebenso wie die Maßnahmen selbst in ein Gesamtkonzept eingebunden, das auch eine Überprüfung vorsieht, spricht man von einem betrieblichen Gesundheitsmanagement (BGM). Viele Programme, die durch die Gesundheitsförderung eine Verbesserung der Anwesenheit erreichen wollen, erheben außerdem den Anspruch des Anwesenheits- oder Fehlzeitenmanagements. Wie beim Arbeitsschutz bildet die höchste Qualitätsstufe das kontinuierliche Gesundheitsmanagement, verbunden mit dem Anspruch, ständige Verbesserungen zu erzielen. BGM-Verbesserung kontinuierlich angestrebt Betriebskonzept Gesundheitsmanagement Betriebliche Zielsetzung für Gesundheitsförderung Analysen zum Bedarf von Gesundheitsförderungsmaßnahmen Angebot betrieblicher Gesundheitsförderungsmaßnahmen Abbildung 3: Qualitätsebenen der betrieblichen Gesundheitsförderung. 16 K A P I T E L I I · O R G A N I S AT I O N V O N S I C H E R H E I T U N D G E S U N D H E I T S S C H U T Z Bei Organisationsentscheidungen zum Arbeitsschutz sind die Betriebe nicht völlig frei, sondern müssen die vorhandenen Vorschriften berücksichtigen, die teilweise konkrete Vorgaben beinhalten. Die Vielzahl an Vorschriften wird häufig beklagt. Sie spiegelt jedoch die Vielfalt an Gefahren wider, die mit der Arbeit verbunden sein können. In stark ausdifferenzierten Betrieben mit sehr heterogenen Tätigkeiten muss daher ein erheblicher Teil der Vorschriften zur Anwendung kommen. Die Zuordnung der wichtigsten Vorschriften zu betrieblichen Aufgaben im Arbeits- und Gesundheitsschutz kann hierbei eine Orientierung geben. Auswahl der wichtigsten Vorschriften zum Arbeitsschutz Thema Gesetzliche Unfallversicherung Verantwortung Beauftragung von Betriebsärzten und Fachkräften für Arbeitssicherheit Beschaffung von Betriebsmitteln Beschaffung von Stoffen Zusammenarbeit mit Fremdfirmen Schutz besonderer Personengruppen Erste Hilfe Gefährdungsbeurteilung und Schutzmaßnahmen Verkehrssicherung Prüfung von Betriebsmitteln Vorschriften Sozialgesetzbuch VII (SGB VII) Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) Unfallverhütungsvorschrift Grundsätze der Prävention (GUV-V A1) Bürgerliches Gesetzbuch (BGB), insb. §§ 618, 823, 831 Ordnungswidrigkeitengesetz (OwiG), § 9 Strafgesetzbuch (StGB), §§ 13, 14 Arbeitssicherheitsgesetz (ASiG) Unfallverhütungsvorschrift GUV-V A6/72) Verordnung zur arbeitsmedizinischen Vorsorge (ArbMedVV) Geräte- und Produktesicherheitsgesetz (GPSG) Verordnungen zum GPSG (GPSGV) Gefahrstoffverordnung (GefStoffV) Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG), § 8 Baustellenverordnung (BaustellV), § 3 Unfallverhütungsvorschrift GUV-V A1, § 6 Mutterschutzgesetz (MuSchG), Verordnung zum Schutz der Mütter am Arbeitsplatz (MuSchArbV) Kinderarbeitsschutzgesetz (KindArbSchG) Jugendarbeitsschutzgesetz (JArbSchG) Sozialgesetzbuch IX (SGB IX), insb. Prävention nach § 84 (2) Sozialgesetzbuch VII (SGB VII) Unfallverhütungsvorschrift GUV-V A1, §§ 24 ff. Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG), §§ 5 und 6 Betriebssicherheitsverordnung (BetrSichV), § 3 Bildschirmarbeitsverordnung (BildscharbV), § 3 Biostoffverordnung (BioStoffV), §§ 5 bis 8 Gefahrstoffverordnung (GefStoffV), § 7 PSA-Benutzungsverordnung (PSA-BV) Arbeitsstättenverordnung (ArbStättV) Bürgerliches Gesetzbuch (BGB), insb. §§ 829, 836 bis 838 und 842 Betriebssicherheitsverordnung (BetrSichV) Unfallverhütungsvorschrift „Elektrische Betriebsmittel“ (GUV-V A3) 2) Geplant ist deren Ablösung in naher Zukunft durch die Unfallverhütungsvorschrift GUV-V A2 „Betriebsärzte und Fachkräfte für Arbeitssicherheit“. 17 K A P I T E L I I · O R G A N I S AT I O N V O N S I C H E R H E I T U N D G E S U N D H E I T S S C H U T Z 2.1 Aufbauorganisation Der Schutz von Leben und Gesundheit ist Verfassungsgrundsatz. Neben dem ArbSchG und den nachfolgenden Verordnungen lässt sich die Verantwortung für die Sicherheit und Gesundheit der Beschäftigten sowohl aus dem BGB herleiten, als auch aus den sanktionierenden Vorschriften des OWiG und des StGB. Die Arbeitsschutzvorschriften schreiben die Verantwortung für die Vermeidung von Unfall- und Gesundheitsrisiken aber auch für die Umsetzung von Schutzmaßnahmen stets der Unternehmensleitung zu. Die Verantwortung für die Umsetzung des Arbeitsschutzes ist vorrangig mit der Linienorganisation der Betriebe verknüpft. Die Führungskräfte stehen mit der Übernahme ihrer Position im Betrieb in der Fürsorgepflicht für ihre Mitarbeiter. Unabhängig von konkreten Arbeitsschutzvorschriften müssen diese für Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit sorgen (§ 618 und § 823 BGB). Führungskräften wächst die Verantwortung für die Umsetzung des Arbeitsschutzes auch ohne formalen Auftrag zu. Die konkrete Verantwortung einer Führungskraft ist an ihren Befugnissen abzulesen. Was sie entscheiden kann, muss mit den Belangen von Sicherheit und Gesundheitsschutz in Einklang stehen. Daneben werden bestimmte Aufgaben Spezialisten oder ausgewählten Personen mit koordinierender Funktion übertragen. Damit sind alle Aufgaben gemeint, die man in einem Organigramm des betrieblichen Arbeitsschutzes abbilden kann. Folgende Beauftragungen sind vorgeschrieben: Betriebsarzt Fachkraft für Arbeitssicherheit Sicherheitsbeauftragte3) Ersthelfer Vorgeschriebene Beauftragungen bei Bedarf: Strahlenschutzbeauftragter Hygienebeauftragter andere prüfberechtigte Personen Nicht gesetzlich vorgeschrieben, aber zweckmäßig sind oft folgende Beauftragungen: Arbeitsschutzkoordinator bzw. Vertreter des Unternehmers im Arbeitsschutzausschuss Brandschutzbeauftragter Zuständiger für Verkehrssicherung in zentralen Bereichen. Nicht für jeden Betrieb sind die zuletzt genannten Festlegungen optional. Sachversicherungen verlangen gelegentlich in ihren Versicherungsverträgen bestimmte Beauftragungen, zum Beispiel für Brandschutz. Im Folgenden wird die Bestellung der Betriebsärzte und der Fachkräfte für Arbeitssicherheit − gemeinsam als Arbeitsschutzexperten bezeichnet − vertiefend behandelt, die für den betrieblichen Arbeitsschutz eine herausragende Rolle spielt und auch in den Umfragen Thema war. 3) Sicherheitsbeauftragte sind Mitarbeiter, die ihre Vorgesetzten ehrenamtlich in Fragen des Arbeitsschutzes unterstützen. Wegen ihrer in § 22 SGB VII festgelegten Bezeichnung werden sie oft gleichgesetzt mit Mitarbeitern, denen bestimmte Sicherheitsaufgaben übertragen sind. Die gesetzlichen Sicherheitsbeauftragten haben in ihrer Funktion jedoch keinerlei Umsetzungsverantwortung. 18 K A P I T E L I I · O R G A N I S AT I O N V O N S I C H E R H E I T U N D G E S U N D H E I T S S C H U T Z Bestellung von Arbeitsschutzexperten Die Betreuung der Mitgliedsbetriebe durch Betriebsärzte und Fachkräfte für Arbeitssicherheit hat bereits eine lange Tradition. Im ASiG werden die Aufgabenkataloge von Betriebsärzten und Fachkräften für Arbeitssicherheit beschrieben. Erfahrungsgemäß werden die dort festgelegten Aufgaben nur zum Teil durchgeführt. Dies gilt vor allem für solche Betriebsärzte, die fast ausschließlich als externe Dienstleister für die Mitgliedsbetriebe tätig werden. Ihre Tätigkeit beschränken sie häufig fast ausschließlich auf arbeitsmedizinische Untersuchungen und Wiedereingliederungsverfahren. Doch auch zur Mitwirkung an Gefährdungsbeurteilungen und zur Beratung über arbeitsbedingte Gesundheitsgefahren sind Betriebsärzte unverzichtbar. Eine solche Mitwirkung setzt überdies die Kenntnis der Arbeitsplätze − und damit gelegentliche Begehungen − bei Fachkräften für Arbeitssicherheit und Betriebsärzten voraus. Ausdrücklich wird die Überprüfung von Krankmeldungen aus dem betriebsärztlichen Leistungskatalog ausgeschlossen. Die Verordnung zur arbeitsmedizinischen Vorsorge (ArbMedVV) sieht Untersuchungen vor, die im ASiG nicht konkretisiert sind. Außerdem verlangen die GefStoffV, die Bio StoffV sowie die LärmVibrationsArbSchV bei vorhandenen Gefährdungen die arbeitsmedizinische Beratung der Beschäftigten. Diese Aufgaben sollten in den Bestellungen der Betriebsärzte ausdrücklich berücksichtigt werden oder aber anderen arbeitsmedizinisch qualifizierten Ärzten übertragen werden. Bei der Bestellung von Betriebsärzten und Fachkräften für Arbeitssicherheit lohnt ein Blick in das ASiG sowie in die ArbMedVV. Die Einsatzzeiten für Betriebsärzte und Fachkräfte für Arbeitssicherheit werden durch die Unfallversicherungsträger genauer festgelegt. Die GUV-V A6/7 spezifiziert die Mindesteinsatzzeiten für verschiedene Betriebsarten. Die Differenzierung der Einsatzzeiten orientiert sich an der Anzahl der Beschäftigten sowie an den möglichen Gesundheitsrisiken. Unsicherheiten und Missverständnisse gibt es erfahrungsgemäß häufig bezüglich der Einsatzzeiten von Betriebsärzten. Die Mindesteinsatzzeit soll nicht die gesamte betriebsärztliche Tätigkeit abdecken, sondern nur die Aufgaben nach dem ASiG. Dieses führt in § 3 die allgemeinen arbeitsmedizinischen Vorsorgeuntersuchungen mit auf. Darüber hinaus gibt es jedoch die ArbMedVV, die spezielle arbeitsmedizinische Vorsorgeuntersuchungen verlangt. Diese fallen nicht unter die Mindesteinsatzzeiten, sondern sind zusätzlich anzurechnen, was in der Vertragsgestaltung zu berücksichtigen ist. Die in Bearbeitung befindliche neue UVV GUV-V A2 wird an dieser Stelle für Klarheit sorgen. Beratung des Arbeitgebers und der für Arbeitsschutz verantwortlichen Personen (d. h. auch der Führungskräfte) Beurteilung der Arbeitsbedingungen arbeitsmedizinische Untersuchung, Beurteilung und Beratung der Arbeitnehmer Dokumentation und statistische Aufbereitung der Untersuchungsergebnisse Ursachenanalyse bei arbeitsbedingten Erkrankungen Vorschläge für Maßnahmen gegen arbeitsbedingte Erkrankungen Begehungen der Arbeitsplätze Belehrung der Betriebsangehörigen über Gefahren und Präventionsmaßnahmen Mitwirkung an der Einsatzplanung und Schulung der Ersthelfer und medizinischen Hilfspersonals NICHT: Überprüfung von Krankmeldungen Abbildung 4: Aufgabenschwerpunkte von Betriebsärzten nach dem ASiG. 19 K A P I T E L I I · O R G A N I S AT I O N V O N S I C H E R H E I T U N D G E S U N D H E I T S S C H U T Z Mindesteinsatzzeiten für Betriebsärzte und Fachkräfte für Arbeitssicherheit: GUV-V A6/74) Arbeitsmedizinische Vorsorge bei Lärm oder Vibrationen: Lärm- und VibrationsArbeitsschutzverordnung (LärmVibrationsArbSchV) Die wichtigsten Vorschriften für den Einsatz der Arbeitsschutzexperten Aufgaben der Betriebsärzte und Fachkräfte für Arbeitssicherheit: ASiG, insb. §§ 3, 6, 10 und 11 Gefährdungsbeurteilung bei biologischen Arbeitsstoffen: BioStoffV, § 8 Gefährdungsbeurteilung bei Gefahrstoffen: GefStoffV, § 7 (7) Arbeitsmedizinische Untersuchungen: Verordnung zur arbeitsmedizinischen Vorsorge (ArbMedVV) Arbeitsmedizinische Vorsorge bei biologischen Arbeitsstoffen: BioStoffV, §§ 15, 15a und Anhang IV Arbeitsmedizinische Vorsorge bei Gefahrstoffen: GefStoffV, §§ 15, 16 und Anhang V Über die Aufbauorganisation in den Mitgliedsbetrieben gibt die Umfrage nur begrenzt Auskunft. 2004 wurden hierüber mehrere Fragestellungen hinzugefügt, so dass sich nicht immer eine Entwicklung abzeichnen lässt. Die Bestellung der wichtigsten Experten im Arbeitsschutz, nämlich der Betriebsärzte und der Fachkräfte für Arbeitssicherheit, wurde in beiden Jahren erhoben. Das ASiG schreibt ebenso wie die UVV deren Alle Betriebe 400 und mehr Beschäftigte 150-399 Beschäftigte Unter 150 Beschäftigte Landesdienststellen Kommunen und Kreise Andere Betriebe 0% 20 % 40 % 2004 60 % 80 % 100 % 1999 Abbildung 5: Mitgliedsbetriebe mit bestellten Betriebsärzten. 4) Sie wird spätestens 2010 durch die GUV-V A2 ersetzt. In Abstimmung mit den Berufsgenossenschaften und dem Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung wird die Letztere wesentliche Veränderungen bei der Berechnung der Einsatzzeiten mit sich bringen. 20 K A P I T E L I I · O R G A N I S AT I O N V O N S I C H E R H E I T U N D G E S U N D H E I T S S C H U T Z der betreuten Beschäftigten war höher als der Anteil der betreuten Betriebe, weil nur in einigen Kleinbetrieben die Bestellung nicht erfolgt oder den Befragten wegen der seltenen Präsenz der Arbeitsschutzexperten unbekannt war.5) schriftliche Bestellung einschließlich der Aufgabenübertragung vor. Die gesetzlich vorgeschriebene Bestellung von Betriebsärzten und Fachkräften für Arbeitssicherheit wurde fast vollständig umgesetzt (Abbildungen 5 und 6). Der Anteil Alle Betriebe 400 und mehr Beschäftigte 150-399 Beschäftigte Unter 150 Beschäftigte Landesdienststellen Kommunen und Kreise Andere Betriebe 0% 20 % 40 % 2004 60 % 80 % 100 % 1999 Abbildung 6: Mitgliedsbetriebe mit bestellten Fachkräften für Arbeitssicherheit. 2.2 Elemente des Arbeitsschutzmanagements Die Vorschriften verlangen von keinem Betrieb ein Arbeitsschutzmanagement, sondern lassen den Unternehmen großen Spielraum, wie sie die Anforderungen umsetzen. Die Broschüre behandelt deshalb im folgenden wichtige Elemente von Managementsystemen für Sicherheit und Ge- sundheitsschutz, die auch in der Befragung erfasst wurden. Sie sind auch im Einzelnen als zweckmäßig für eine gute Arbeitsschutzorganisation anzusehen. Insofern ist es von Interesse, inwieweit die Mitgliedsbetriebe der UKH über praktische Erfahrung mit diesen Instrumenten verfügen. 5) Die Unkenntnis zentraler Stellen über die erfolgte Bestellung von Betriebsärzten und Fachkräften für Arbeitssicherheit ist als Indiz für einen schlecht integrierten Arbeitsschutz zu werten. 21 K A P I T E L I I · O R G A N I S AT I O N V O N S I C H E R H E I T U N D G E S U N D H E I T S S C H U T Z Zum Arbeitsschutzmanagement gehören sowohl transparente Zielvorstellungen und Handlungsmaximen als auch eine transparente Organisation. Arbeitsschutzaufgaben sind verbindlich zugeteilt. Hinzu kommt die wiederkehrende Abfolge des Managementkreislaufs mit einem Soll-Ist-Abgleich, der Planung von Arbeitsschutzmaßnahmen, eine Umsetzungsphase mit anschließender Überprüfung der Ergebnisse. Dieser Kreislauf ist auf Betriebsebene zu durchlaufen, aber auch in jedem Bereich. Eine umfangreiche Dokumentation gewährleistet die Nachvollziehbarkeit und damit die Rechtssicherheit bei Überprüfungen von außen und gilt als Nachweis der verlangten Aktivitäten im internen Kontext. Eine Einhaltung formalisierter Systemanforderungen setzt ein Arbeitsschutzmanagement nur dann voraus, wenn der Anspruch auf eine Zertifizierung erhoben wird. Alle Betriebe 400 und mehr Beschäftigte 150-399 Beschäftigte Unter 150 Beschäftigte Landesdienststellen Kommunen und Kreise Andere Betriebe 0% 20 % 40 % 60 % 80 % 100 % 2004 Abbildung 7: Mitgliedsbetriebe mit einem Arbeitsschutzmanagementsystem. Ein Arbeitsschutzmanagementsystem setzt voraus, dass viele Festlegungen und Aktivitäten zielorientiert ausgerichtet sind und in einem sinnvollen Zusammenhang zu einander stehen. Dies lässt sich mit einer standardisierten Befragung nicht überprüfen. Die vorliegenden schriftlichen Befragungen erfassten nur den Anspruch der Befragten und verschiedene Ausschnitte, die in ausgearbeiteten Managementsystemen eine wichtige Rolle spielen. 22 Etwa jeder fünfte Mitgliedsbetrieb beansprucht, ein Arbeitsschutzmanagementsystem realisiert zu haben, von den größeren Betrieben sogar jeder vierte (Abbildung 7). Dieser Trend wird am stärksten von Krankenhäusern gefördert, denen die Zertifizierung nach Qualitätsmanagementkriterien abverlangt wird und die diese durch Umwelt- und Arbeitsschutzmanagement ergänzen. Darüber hinaus gibt es aber auch entsprechende Initiativen bei Landesdienststellen, Kommunen und Kreisen. K A P I T E L I I · O R G A N I S AT I O N V O N S I C H E R H E I T U N D G E S U N D H E I T S S C H U T Z Leitlinien zum Arbeits- und Gesundheitsschutz Ein Managementsystem verlangt nach einer „Politik“: zum Beispiel in Form einer Leitlinie für Arbeits- und Gesundheitsschutz. Darin werden üblicherweise Grundsätze für das betriebliche Handeln auf diesem Gebiet festgelegt. Natürlich kann eine solche Leitlinie auch erarbeitet werden, um die Verbesserung der Arbeitsschutzorganisation anzupacken. Inhalte einer Leitlinie sind: Stellenwert des Arbeitsschutzes im Unternehmen Bedeutung der Prävention von Unfällen und arbeitsbedingten Erkrankungen Sicherheits- und Gesundheitsstandards des Unternehmens Verantwortungsgrundsätze, insbesondere für die Führungsverantwortung Integration des Arbeitsschutzes in die betrieblichen Prozesse Gesundheitsverträglichkeit und Sicherheit von Arbeitsverfahren Gesundheitsverträglichkeit und Sicherheit von Produkten und Dienstleistungen Grundsätze für Abläufe wie Unfalluntersuchungen und Notfallregelungen Einbeziehung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Berichterstattung über Arbeitsschutzaktivitäten Streben nach Verbesserung Anforderungen an den Arbeits- und Gesundheitsschutz bei Geschäftspartnern Mit einer Leitlinie für den Arbeits- und Gesundheitsschutz arbeitete 2004 nur eine kleine Minderheit der Mitgliedsbetriebe. Jeder siebte größere Betrieb verfügte über eine solche Leitlinie, aber nur jeder 50ste mittlere oder kleinere Betrieb. Die Kommunen und Kreise standen hierbei am weitesten zurück. Arbeitsschutzhandbuch Zertifizierbare Managementsysteme verlangen eine ausführliche Dokumentation wichtiger Aktivitäten. Dies kann in einem eigenen Handbuch oder im Rahmen einer umfassenderen Dokumentation mit Qualitäts- und Umweltmanagement geschehen. Allerdings kann ein Arbeitsschutzhandbuch auch einfach dazu dienen, die vorhandenen Festlegungen zur Aufbau- und Ablauforganisation zusammenzufassen und die relevanten Dokumente in eine transparente Ordnung zu bringen (Abbildung 8). Arbeitsschutzhandbuch Inhalte ggf. Leitlinien oder Grundsätze zum Arbeitsschutz Verträge Bestellungen Fundstellen und Ablageordner wichtiger Dokumente Dienstanweisungen zum Arbeits- und Gesundheitsschutz Dienstvereinbarungen zum Arbeitsschutz und zur Gesundheitsförderung ggf. zusätzliche Ablaufbeschreibungen Betriebsanweisungen Vorlagen zur Dokumentation Berichte zu Sicherheit und Gesundheitsschutz aktuelle Statistiken zu Unfällen, Fehlzeiten und Arbeitsschutzaktivitäten Abbildung 8: Inhalte eines Arbeitsschutzhandbuches. 23 K A P I T E L I I · O R G A N I S AT I O N V O N S I C H E R H E I T U N D G E S U N D H E I T S S C H U T Z Nur etwa jeder elfte Mitgliedsbetrieb hatte 2004 bereits ein Arbeitsschutzhandbuch erstellt (9 %), jeder zwölfte hatte eines in Planung (8 %). Im Grunde spiegelt dieses Ergebnis die Situation bei Arbeitsschutzmanagementsystemen wider. Mit 29 % lagen Handbücher in „anderen Mitgliedsbetrieben“ am häufigsten vor. Bedarf an einem Arbeitsschutzhandbuch äußerten 16 % der Mitgliedsbetriebe. Arbeitsschutzkoordination Unterhalb der obersten Leitungsebene werden häufig Arbeitsschutzaufgaben gebündelt, die mit der Umsetzung der Unternehmerpflichten verbunden sind. Dabei geht es um die Vertretung im Arbeitsschutzausschuss, um die Vorbereitung und Umsetzung zentraler Entscheidungen sowie um die grundsätzliche Abstimmung mit Betriebsärzten und Fachkräften für Arbeitssicherheit. Es handelt sich nicht um eine rechtlich definierte Position, sondern in der Regel um die Zuweisung als Teilaufgabe zu einer bestehenden Führungsposition. Für diese Funktionsträger sind verschiedene Begrifflichkeiten in Gebrauch: Arbeitsschutzkoordinatoren, Systembeauftragte für Arbeitsschutz oder auch Zentrale Beauftragte für Arbeitsschutz. In der Regel vertreten die benannten Personen ihren Arbeitgeber im Arbeitsschutzausschuss. Darüber hinaus variieren ihre Aufgaben erheblich. Oft übernehmen sie Arbeitsschutzaufgaben wie die Organisation der Betriebsmittelprüfungen oder der arbeitsmedizinischen Untersuchungen. Aus Unklarheiten über das Aufgabenspektrum resultieren für die Betroffenen häufig Einschränkungen wie ein geringes Zeitbudget für den Arbeitsschutz, fehlende Qualifizierung und damit auch Überforderung und Frustration bezüglich der Umsetzung oder der Ergebnisse. Unterbreitung von Vorschlägen für Zielsetzungen und Planungen Überprüfung der Bestellungen weiterer Beauftragter für Arbeitsschutzaufgaben Überprüfung wichtiger betrieblicher Abläufe auf Berücksichtigung von Sicherheits- und Gesundheitsanforderungen Überprüfung des Regelwerksmanagements Überprüfung des Stands der Gefährdungsbeurteilungen Koordinierung der Erstellung zentraler Dienstanweisungen zum Arbeits- und Gesundheitsschutz Dokumentation und Berichterstattung zum Arbeits- und Gesundheitsschutz Abbildung 9: Aufgaben von Arbeitsschutzkoordinatoren. Die Koordinatorenfunktion beinhaltet die Zuarbeit für die oberste Leitung in Arbeitsschutzbelangen, insbesondere die Vorbereitung von Entscheidungen, die Abstimmung bereichsübergreifender Vorgehensweisen, die Aufsicht und Berichterstattung über die Aktivitäten.6) Wichtig ist die Einnahme der Arbeitgeberperspektive. Ein Rollenkonflikt droht überall dort, wo Arbeitsschutzkoordinatoren gleichzeitig als Fachkräfte für Arbeitssicherheit bestellt sind. Denn sie sollen sich dann sowohl in die Rolle des Unternehmervertreters als auch in die Rolle von dessen Berater begeben. Unternehmerverantwortung und Fachverantwortung für den Arbeitsschutz sollten besser in getrennten Händen liegen. Voraussetzung einer erfolg- 6) Der Aufgabenkatalog für Arbeitsschutzkoordinatoren ist in inform 2/2005, der Mitgliederzeitschrift der UKH, ausführlich beschrieben. Er orientiert sich an den gesetzlichen Aufgaben des Unternehmers. Die Zeitschrift inform kann im Internet unter www.ukh.de als PDF-Datei herunter geladen werden. 24 K A P I T E L I I · O R G A N I S AT I O N V O N S I C H E R H E I T U N D G E S U N D H E I T S S C H U T Z reichen Ausübung ist außerdem die Qualifizierung hinsichtlich der gesetzlichen Vorschriften für den Arbeitgeber. Insofern ist die eingerichtete Koordinierungsstelle noch nicht in jedem Fall als ein funktionierendes Element im Sinne des Arbeitsschutzmanagements anzusehen. In knapp der Hälfte aller Mitgliedsbetriebe sind Systembeauftragte oder Koordinatoren für den Arbeitsschutz bestellt (Abbildung 10). Mit zunehmender Größe der Mitgliedsbetriebe ist eine solche Koordinierungsstelle etwas häufiger eingerichtet. In Landesdienststellen, Kommunen und Kreisen sind sie häufiger vorzufinden als in anderen Mitgliedsbetrieben. Nur auf den ersten Blick scheint hier ein Widerspruch zu den Ergebnissen der Managementsysteme auf. Während dort ein Systembeauftragter zum Konzept gehört, haben viele andere Betriebe und Verwaltungen auf die Komplexität der Anforderungen aus dem Arbeitsschutz reagiert, indem sie einer bestimmten Person die Koordinierungsaufgaben aufgetragen haben. Weder die Funktion noch ihre Bezeichnung oder Ausgestaltung sind gesetzlich festgeschrieben. Spielräume bei der Arbeitsschutzorganisation Die Mehrheit der Mitgliedsbetriebe praktiziert nach eigenem Bekunden kein Arbeitsschutzmanagementsystem. Es sind zwar Ansätze dazu vorhanden, doch ist kein Trend ermittelbar, weil vergleichbare Fragen 1999 nicht gestellt wurden. Erfolgreicher Arbeitsschutz setzt kein zertifizierbares Managementsystem voraus. Er kann von dessen Leitgedanken jedoch profitieren. Bei der Anwendung des Managementkreislaufs entwickeln sich Zielorientierung und Routine. Die Arbeitsschutzaktivitäten werden effizienter eingesetzt als bei punktuellen Aktivitäten. Von Vertretern der Mitgliedsbetriebe wird gelegentlich die Frage aufgeworfen, ob nicht ein Anreiz für Arbeitsschutzmanagement geschaffen werden könnte. Meist verbindet man diese Idee mit der Erwartung, als Gegenleistung für ein zertifiziertes Managementsystem die Verpflichtungen bezüglich Alle Betriebe 400 und mehr Beschäftigte 150-399 Beschäftigte Unter 150 Beschäftigte Landesdienststellen Kommunen und Kreise Andere Betriebe 0% 20 % 40 % 60 % 80 % 100 % 2004 Abbildung 10: Mitgliedsbetriebe mit Koordinatoren oder Systembeauftragten für den Arbeitsschutz. 25 K A P I T E L I I · O R G A N I S AT I O N V O N S I C H E R H E I T U N D G E S U N D H E I T S S C H U T Z der Einsatzzeiten verringern zu dürfen. Das besondere Engagement soll durch die damit verbundene Kosteneinsparung belohnt werden. Ein Beleg für die praktische Realisierbarkeit dieser Idee existiert bisher nicht. Ein Managementsystem verlangt einen hohen Aufwand an konzeptioneller Vorarbeit, eine umfassende, zielgerichtete Umsetzung und deren nachvollziehbare Dokumentation. Die Umsetzung der staatlichen Vorschriften und der Unfallverhütungsvorschriften ist bereits die Minimalanforderung von Arbeitsschutzmanagementsystemen. Der erforderliche Unterstützungsbedarf durch Betriebsärzte und Fachkräfte für Arbeitssicherheit steigt gegenüber der herkömmlichen Arbeitsschutzorganisation. Er kann allenfalls in solchen Fällen sinken, in denen die Arbeitsschutzexperten bisher sehr ineffizient eingesetzt wurden. Zu berücksichtigen sind bei Managementsystemen hingegen zusätzliche Kosten für die Auditierung und Zertifizierung. Für die Einführung eines Arbeitsschutzmanagements sprechen deshalb vor allem die folgenden Wirkungen: Reduzierung von Unfällen und arbeitsbedingten Erkrankungen, in deren Folge die Reduzierung von Ausfallzeiten und damit der Entgeltzahlungen ohne Gegenleistung Reibungslose Arbeitsabläufe, die bei Betrieben oder Bereichen mit Außenwirkung auf das Image und damit ggf. auf den wirtschaftlichen Erfolg ausstrahlen Entlastung der verantwortlichen Führungskräfte vom Risiko ordnungsrechtlicher oder gar strafrechtlicher Maßnahmen. 7) 26 Auswahl an Modellen und Leitfäden zur Arbeitsschutzorganisation und zum Arbeitsschutzmanagement im Internet Leitfaden für Arbeitsschutzmanagementsysteme: Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit u. a., 20027) http://www.baua.de Arbeitsschutzmanagement Arbeitsschutzmanagementsysteme. LASI-LV 21: Länderausschuss für Arbeitsschutz und Sicherheitstechnik (LASI), 3. Auflage, 2006 http://lasi.osha.de/publications/ Grundsätze der behördlichen Systemkontrolle. LASI-LV 33: Länderausschuss für Arbeitsschutz und Sicherheitstechnik (LASI), 2003 http://lasi.osha.de/publications Arbeitsschutz sicherheitstechnischer Check in Anlagen (ASCA): Hessisches Sozialministerium http://www.sozialnetz.de Arbeit und Gesundheit Arbeitsschutzverwaltung Hessen Occupational Health- and Risk-Managementsystem (OHRIS): Bayerisches Staatsministerium für Umwelt, Gesundheit und Verbraucherschutz (Hrsg.), 2005 http://www.lfas.bayern.de Managementsysteme Occupational Health and Safety Assessment Series (OHSAS 18001): British Standard Institution; eine am Qualitätsmanagement angelehnte Norm zur Implementierung eines Arbeitsschutzmanagementsystems Sicherheits Certifikat Contraktoren (SSC). Regelwerk für die Zertifizierung von Managementsystemen für Sicherheit, Gesundheit und Umweltschutz http://www.scc-sekretariat.de. In Fachkreisen wird dieser oft nur als „Nationaler Leitfaden“ bezeichnet. K A P I T E L I I · O R G A N I S AT I O N V O N S I C H E R H E I T U N D G E S U N D H E I T S S C H U T Z 2.3 Auswahlverantwortung und Qualifizierung Arbeitsschutz ist nicht nur eine Frage des guten Willens. Vielmehr fließen inzwischen Erfahrungen aus mehr als einem Jahrhundert Unfallverhütung und Gesundheitsschutz in Vorschriften und fachkundige Empfehlungen ein. Große Teile dieses gesammelten Wissens sind in Normen und fachliche Standards eingeflossen. Dagegen baut die betriebliche Gesundheitsförderung auf relativ neue Erkenntnisse aus etwa zwanzig Jahren wissenschaftlicher und praktischer Beschäftigung mit arbeitsbedingten Gesundheitsgefahren und gesundheitsfördernden Maßnahmen auf. Hier werden statt eines vorhandenen Regelwerks in Aus-, Fort- und Weiterbildung vorrangig beispielhafte Anregungen und Vorgehensweisen an die Praxis vermittelt, die so genannte „good practice“. Beide Themenkomplexe sind weder Bestandteil der Verwaltungsausbildung noch des Alltagswissens und müssen deshalb in Qualifizierungsmaßnahmen vermittelt werden, um zur Anwendung zu kommen. Bildungsbedarfsermittlung und Führungskräftequalifizierung Obwohl die Grundpflichten einer Führungskraft stets Arbeitsschutz und Fürsorgepflicht einschließen, haben viele Führungskräfte weder in ihrer Ausbildung noch in der Weiterbildung jemals über diese Themen gesprochen. In den Seminaren der UKH ist diese Zielgruppe noch unterrepräsentiert, wenn man von den Leitern technischer Bereiche absieht. Angesichts einer Vielzahl von Neuerungen bei den Arbeitsschutzvorschriften im letzten Jahrzehnt überrascht dieser Sachverhalt um so mehr. Projekte der UKH erbrachten Hinweise auf einen ungünstigen Selektionsmechanismus bei der Weiterbildung. In vielen Mitgliedsbetrieben werden Weiterbildungsmaßnahmen von den Beschäftigten selbst beantragt. Deren Anträge werden geprüft und − in der Regel − genehmigt. Dieses Verfahren gilt auch für Führungskräfte. Wer aber die Anforderungen aus Arbeitsschutzvorschriften nicht kennt, verspürt kaum die Notwendigkeit, sich darin weiter zu bilden. Umgekehrt verlangt von Führungskräften oft niemand den Nachweis von Kenntnissen im Arbeitsschutz, so lange sich kein gravierender Unfall ereignet. Die beschriebene Praxis ist mit dem Verantwortungsgrundsatz, dass bei der Delegation und Beauftragung von Arbeitsschutzaufgaben die Eignung der Personen zu berücksichtigen ist, unvereinbar (§ 7 ArbSchG; § 13 GUV-V A1). Grundkenntnisse im Arbeitsschutz sind als Voraussetzung für die Übernahme von Verantwortung für Mitarbeiter unverzichtbar. Gleiches gilt für die Fürsorgepflicht von Führungskräften der zweiten oder dritten Ebene (§ 823 BGB). Es ist Aufgabe der obersten Leitung, bei der Auswahl ihrer Führungskräfte darauf zu achten, dass diese ihre Pflichten kennen. Wo entsprechende Kenntnisse fehlen, hat sie geeignete Qualifizierungsmaßnahmen anzuordnen. Somit ist eine Steuerung der Qualifizierung erforderlich, die nicht vom Qualifizierungsbedürfnis einzelner Führungskräfte, sondern von einem Konzept des Personalmanagements zur Führungskräfteentwicklung ausgeht. Inhaltlich sind mit den verschiedenen Führungsebenen naturgemäß unterschiedliche Führungsanforderungen und Entscheidungsbefugnisse verbunden. Die Kenntnisse über Sicherheitsanforderungen und Gesundheitsschutz sollen der jeweiligen Aufgabenstellung angemessen sein. Die Qualifizierungsinhalte sind entsprechend anzupassen. Das Grundprinzip der Überprüfung der Eignung gilt letzten Endes bis zur Ebene der Mitarbeiter. Insbesondere für gefährliche Tätigkeiten sind deshalb Schulungen für 27 K A P I T E L I I · O R G A N I S AT I O N V O N S I C H E R H E I T U N D G E S U N D H E I T S S C H U T Z Mitarbeiter ohne ausdrückliche gesetzliche Verpflichtung angemessen. Verantwortung für die Auswahl und die fachliche wie persönliche Eignung der Mitarbeiter trägt die jeweilige Person, die Aufgaben zur Ausführung zuweist. Nur etwa jeder fünfte Mitgliedsbetrieb erhob regelmäßig den Bildungsbedarf zum Arbeits- und Gesundheitsschutz (Abbildung 11). Größere Betriebe taten dies häufiger als kleinere, kommunale und Kreisverwaltungen häufiger als Landesdienststellen. Doch die überwiegende Mehrheit nahm keine entsprechende Erhebung vor. Über die Art und Weise der Erhebung sagt die Befragung nichts aus. In vier von fünf Betrieben blieb es nach diesem Ergebnis den Verantwortlichen überlassen, ihren Bildungsbedarf zu formulieren und anzumelden. Alle Betriebe 400 und mehr Beschäftigte 150-399 Beschäftigte Unter 150 Beschäftigte Landesdienststellen Kommunen und Kreise Andere Betriebe 0% 20 % 40 % 60 % 80 % 100 % 2004 Abbildung 11: Mitgliedsbetriebe mit Bildungsbedarfsermittlung zum Arbeitsschutz. Auffallend ist, dass der Anteil der Mitgliedsbetriebe, die Seminare zur Verantwortung im Arbeitsschutz für ihre Führungskräfte anboten, fast der gleiche war wie bei der Bildungsbedarfserhebung. Entgegen allen Erwartungen waren es nicht die größeren Mitgliedsbetriebe, die solche Seminare durchführten, sondern die kleineren. Anders 28 verhielt es sich mit Seminaren zur Gesundheitsförderung (Abbildung 12). Diese wurden insgesamt zwar seltener durchgeführt, im Jahr 2004 jedoch am häufigsten von den größeren Mitgliedsbetrieben. Bei dieser Gruppe war auch die größte Steigerung seit 1999 auszumachen, allerdings auf insgesamt niedrigem Niveau. K A P I T E L I I · O R G A N I S AT I O N V O N S I C H E R H E I T U N D G E S U N D H E I T S S C H U T Z Alle Betriebe 400 und mehr Beschäftigte 150-399 Beschäftigte Unter 150 Beschäftigte Landesdienststellen Kommunen und Kreise Andere Betriebe 0% 20 % 40 % Arbeitsschutzseminare 60 % 80 % 100 % BGF-Seminare Abbildung 12: Mitgliedsbetriebe mit Führungskräfteseminaren zur Verantwortung im Arbeitsschutz und zur betrieblichen Gesundheitsförderung 2004. Dieses Umfrageergebnis wirft die Fragen nach den Gründen für die unterschiedlichen Schwerpunkte auf. Doch diese lassen sich durch die Umfrage nicht beantworten. Auch im Vergleich zwischen Landesdienststellen, Kommunen und Kreisen sowie anderen Betrieben zeigt sich kein einheitliches Bild. Vielmehr lagen Kommunen und Kreise bei Seminaren zur Verantwortung an der Spitze, bei denen zur Gesundheitsförderung am Ende. Es gab bei den Mitgliedsbetrieben demnach keinen generalisierten Qualifizierungstrend zum Themenkreis Gesundheit, sondern eine unterschiedliche Schwerpunktsetzung. Trotz aller Unsicherheiten der Bewertung lässt ein weiteres Ergebnis noch einen erheblichen Bedarf erkennen. 2004 meldeten 22 % der Mitgliedsbetriebe Bedarf an Führungskräfteseminaren zur Verantwortung im Arbeitsschutz an. Die Quote hinsichtlich der Seminare zur betrieblichen Gesundheitsförderung lag sogar bei 26 %. Dies spricht für eine etwa gleichwertige Aufmerksamkeit für beide Themen. Auswahl externer Beauftragter Nicht alle erforderlichen Qualifikationen kann ein Unternehmen selbst bereitstellen. Dies trifft insbesondere auf vorgeschriebene Prüfungen von Anlagen oder Geräten zu (BetrSichV und UVVen). Bei der Beauftragung externer Dienstleister behält der Unternehmer die Verantwortung dafür, dass er ein geeignetes Unternehmen auswählt (§ 831 BGB). Für seine Prüfung kann er eigene Erfahrungen mit einem Dienstleister, Referenzen anderer Unternehmen und Zertifikate des potenziellen Auftragnehmers heranziehen. Ansonsten wäre mit der Ausla29 K A P I T E L I I · O R G A N I S AT I O N V O N S I C H E R H E I T U N D G E S U N D H E I T S S C H U T Z gerung von Tätigkeiten ein Verlust an Sicherheit und Gesundheitsschutz verbunden. Zur Überprüfung der Einhaltung von Verträgen empfiehlt es sich, einschlägige Nachweise über die Qualifikation der Personen einzufordern, die für den Auftraggeber Prüfungen oder andere relevante Arbeitsschutzleistungen vornehmen. Ganz ohne Kenntnisse über die gestellten Anforderungen kommt der Auftrag erteilende Betrieb demnach nicht aus.8) Regelwerks- und Wissensmanagement Arbeitsschutzvorschriften, Erkenntnisse über Gefährdungen und geeignete Schutzmaßnahmen sowie Hilfsmittel zur Gefährdungsbeurteilung müssen in den Betrieben und dort von den Verantwortlichen überhaupt erst einmal zur Kenntnis genommen werden. Nur dann besteht auch eine Chance, dass sie beachtet und angewandt werden. Die staatliche Deregulierung zu Sicherheit und Gesundheitsschutz hat den Bedarf an der Beschaffung qualifizierter Informationen eher erhöht als reduziert. Die staatlichen Vorschriften enthalten immer seltener konkrete Empfehlungen. Die UVVen wurden bereits erheblich reduziert. Viele konkrete Vorgaben, die Anwendungssicherheit schaffen, sind gegenwärtig in differenzierten Regeln oder in Normen enthalten. Von der Bundesregierung einberufene Ausschüsse erarbeiten Technische Regeln zum Vorgehen bei Betriebssicherheit (TRBS), beim Vorkommen von biologischen Stoffen (TRBA), beim Einsatz oder der Entstehung von Gefahrstoffen (TRGS) und − zukünftig − auch für die Gestaltung von Arbeitsstätten.9) Andere Bereiche, wie zum Beispiel der Brandschutz, kennen keine zusammenfassende Regelung, sondern werden in unterschiedlichen Gesetzen, UVVen, Regeln und Normen behandelt. Wo den einzelnen Verantwortlichen abverlangt wird, dass sie alle Vorschriften und das gesamte relevante Wissen selbst beschaffen und auswerten, entstehen Lücken und Überforderung, im schlimmsten Fall Resignation. Möglicherweise mildern informelle, aber funktionierende Informationskanäle die zu erwartenden Defizite etwas ab. Darauf ist jedoch kein Verlass. Insofern gehören Regelwerks- und Wissensmanagement zu den Grundanforderungen einer erfolgreichen Arbeitsschutzorganisation. Nur jeder siebte Mitgliedsbetrieb hatte 2004 ein Regelwerks- oder Wissensmanagement installiert (Abbildung 13). Hierbei waren die größeren Betriebe deutlich besser aufgestellt als kleinere, Landesdienststellen, Kommunen und Kreise schlechter als andere Betriebe. Bei 6 % der Mitgliedsbetriebe war ein Regelwerksmanagement zum Arbeitsschutz in Planung. Bedarf äußerten 13 %. Angesichts der Vielzahl und Komplexität von Regelungen und Fachwissen im Arbeitsschutz lässt die geringe Zahl von Betrieben, die sich zum Zweck der Regelungs- und Wissensaufnahme organisierten, Defizite in der Kenntnis und − als Folge davon − bei der Umsetzung erwarten. 8) Vergleiche Schriftenreihe der UKH, Band 12: Kooperation mit Fremdfirmen. Arbeitsschutz bei Werkverträgen. 9) Gegenwärtig gelten noch die bestehenden Arbeitsstätten-Richtlinien (ASR) weiter. Der aktuelle Stand ist wie bei allen Technischen Regeln unter www.baua.de einzusehen. 30 K A P I T E L I I · O R G A N I S AT I O N V O N S I C H E R H E I T U N D G E S U N D H E I T S S C H U T Z Alle Betriebe 400 und mehr Beschäftigte 150-399 Beschäftigte Unter 150 Beschäftigte Landesdienststellen Kommunen und Kreise Andere Betriebe 0% 20 % 40 % 60 % 80 % 100 % 2004 Abbildung 13: Mitgliedsbetriebe mit einen Regelwerks- und Wissensmanagement im Arbeitsschutz. 2.4 Weitere wichtige Organisationsaufgaben Die den Unternehmern zugewiesenen Arbeitsschutzaufgaben gehen weit über die in den Umfragen behandelten Themen hinaus. Deshalb sollen noch einige Leitlinien für die Arbeitsschutzorganisation deutlich gemacht werden. Die Verantwortung im Arbeitsschutz geht immer von der Spitze des Betriebs aus. Die oberste Leitung muss den Arbeitsschutz organisieren, geeignete Personen für die anstehenden Aufgaben auswählen und deren Durchführung überwachen. Dabei kann sie sich ihrer Führungskräfte bedienen, indem sie diesen verschiedene Pflichten überträgt, sofern eine entsprechende Befähigung vorliegt und angemessene Kompetenzen zugewiesen sind. Oberste Leitung Organisation und Auswahl Beauftragte bestellen Qualifikation der Beauftragten prüfen Angemessene Kompetenzen übertragen Rückmeldung Festlegungen zur Durchführung treffen und AnweiÜber Umsetzung berichten sungen erteilen Handlungsbedarf anmelden Umsetzung der Vorschriften und Anweisungen überprüfen Zweite Führungsebene Abbildung 14: Verantwortungsregelung in der Linienorganisation durch die oberste Leitung. 31 K A P I T E L I I · O R G A N I S AT I O N V O N S I C H E R H E I T U N D G E S U N D H E I T S S C H U T Z Zweckmäßig für eine wirksame Pflichtenübertragung und damit für Rechtssicherheit der Beteiligten ist als erster Schritt ein Organisationsmodell mit einer klaren und konkreten Aufgabenverteilung. Ohne die Regelung wichtiger Abläufe wird dies nicht möglich sein. Die Aufgaben müssen transparent und Entscheidungsbefugnisse geklärt sein. Bei Bedarf müssen Qualifizierungsmaßnahmen veranlasst und Haushaltsmittel bereit gestellt werden. Erst auf dieser Basis ist eine Pflichtenübertragung sinnvoll (Abbildung 14). In Betrieben mit mehreren Bereichen oder Einrichtungen spielt außerdem die Aufteilung auf zentrale und dezentrale Verantwortlichkeiten eine Rolle (Abbildung 15). Kriterien für die zentrale Ansiedelung einer Aufgabe sind: Ein einheitliches Organisationsmodell für den Arbeitsschutz kann es nicht geben. Zum einen variieren die konkreten Aufgaben mit den vorhandenen Gefahren. Zum anderen unterscheiden sich die Organisationsprinzipien der Mitgliedsbetriebe, unter anderem wegen ihrer unterschiedlichen Größe. Gleich lautende Pflichtenübertragungen auf alle Führungskräfte können somit die tatsächliche Arbeitsschutzorganisation nicht abbilden. Organisatorische Zusammenführung wie bei Prüfungen und betriebsärztlichen Untersuchungen Steuerndes Eingreifen der obersten Leitung oder beauftragter Personen oder Bereiche wie bei Qualifizierungsmaßnahmen und größeren Projekten Bereiche übergreifende Aufgaben wie die Aufsicht über zentrale Arbeitsstätten Informative Zusammenführung zur raschen Weitervermittlung von Wissen und Erfahrungen Rascher Zugriff zu Aufsichtszwecken oder in Notfällen wie beim Gefahrstoffverzeichnis. Eher zentral Eher gemischt Eher dezentral Planung von Arbeitsstätten und Abläufen Organisation arbeitsmedizinischer Untersuchungen Prüfung elektrischer Betriebsmittel Beurteilung bereichsübergreifender Gefahren Mitwirkung im Arbeitsschutzausschuss Sammlung von Vorschriften und Leitfäden Unfallmeldungen an Unfallversicherungsträger Beschaffung von Betriebsmitteln Vorgeschriebene Genehmigungen und UVV-Prüfungen für Anlagen und Betriebsmittel Verkehrssicherung für Arbeitsstätten Brandschutz für Arbeitsstätten Sicherstellung der Ersten Hilfe Bedarfsmeldungen für arbeitsmedizinische Untersuchungen Bestandserfassung elektrischer Betriebsmittel Beurteilung der Gefahren aus Tätigkeiten Erstellung von Betriebsanweisungen Unterweisung der Mitarbeiter/innen Unfalluntersuchungen Abbildung 15: Zentrale und dezentrale Arbeitsschutzaufgaben in gegliederten Betrieben. 32 K A P I T E L I I · O R G A N I S AT I O N V O N S I C H E R H E I T U N D G E S U N D H E I T S S C H U T Z Bei zentral angesiedelten Aufgaben sind oftmals die Schnittstellen für das Funktionieren entscheidend. Denn in einigen Abläufen liegen voraus gehende oder nachfolgende Schritte in dezentraler Verantwortung, um zu einem erfolgreichen Ergebnis zu gelangen. Beispiele sind die vollständige Meldung der elektrischen Betriebsmittel zur Prüfung, die korrekte Auswahl der Mitarbeiter für die arbeitsmedizinischen Untersuchungen sowie die Kenntnisnahme und Berücksichtigung von deren Ergebnissen. Für eine dezentrale Ansiedelung von Aufgaben sprechen: Klare Abgrenzbarkeit der Verantwortlichkeiten zwischen Bereichen oder Einrichtungen Enger Bezug zur Situation in ausgelagerten Einrichtung wie bei Brandschutzmaßnahmen Besonderer Handlungs- und Entscheidungsbedarf wie bei der Beschaffung spezialisierter Arbeitsmittel Enger Bezug auf die Beschäftigten der Bereiche oder Einrichtungen wie bei der Gefährdungsbeurteilung und bei Unterweisungen. Dezentrale Organisationsformen erschweren die Anwendung komplexeren Wissens, von übergeordneten Vorschriften und fachlichen Erkenntnissen, weil deren Aneignung in jedem Einzelfall erforderlich wird. Daher ist für die dezentralen Aufgaben zu prüfen, inwieweit zentrale Unterstützung geleistet werden kann. Hierzu zählen zum Beispiel die Bereitstellung vorhandenen Wissens, die Zusammenführung von dezentral verfügbaren Kenntnissen oder einheitliche Verfahrensanweisungen, die den Bereichen und Einrichtungen zur Verfügung gestellt werden. Die moderne Technik bietet mittels Intranet oder anderen Hilfsmitteln noch unausgeschöpfte Möglichkeiten. Aber auch die Kooperation der Verantwortlichen vor Ort mit den Arbeitsschutzexperten ist im Detail zu regeln, insbesondere bei der Betreuung durch überbetriebliche Dienste. Weder Organisationsdefizite der obersten Leitung noch Nichtwissen entlasten die Führungskräfte, in deren Bereich Beschäftigte infolge von Mängeln bei Sicherheit oder Gesundheitsschutz Arbeitsunfälle erleiden. Bei der Suche nach Verantwortlichen wird die Frage der Schuld aufgeworfen. Daraufhin werden alle Aktivitäten und Handlungsmöglichkeiten von Führungskräften, die in der Fürsorgepflicht für den verletzten Beschäftigten stehen, auf Fehler und Unterlassungen hin untersucht.10) Insofern lastet der Verantwortungsdruck im Verletzungsfall auf allen Führungsebenen. Literatur zur Verantwortung und zur Arbeitsschutzorganisation Organisation des Arbeitsschutzes: GUV-I 8631 Führungswissen Arbeitssicherheit: Schliephacke J., Berlin, E. Schmidt Verlag, 2003 Arbeitssicherheit und Unfallverhütung im öffentlichen Dienst: Graßl M., Zakrzewski I., Landsberg, ecomed, 3. Aufl. 1999.11) 10) In „faktor Arbeitsschutz“ 6/2006, der Zeitschrift des Bundesverbandes der Unfallkassen, sowie in inform 4/2006 wird die strafrechtliche Perspektive auf die Verantwortlichkeit dargestellt. 11) Diese speziell auf öffentliche Betriebe ausgerichtete Publikation ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt leider vergriffen und soll in überarbeiteter Fassung neu aufgelegt werden. Sobald die Neuauflage vorliegt, werden wir in inform darauf hinweisen. 33 III Umsetzung gesetzlicher Vorgaben zum Arbeitsschutz Beurteilung der Arbeitsbedingungen Beurteilungen der Arbeitsbedingungen sind nach dem ArbSchG seit 1996 Pflichtaufgabe der Unternehmen (§§ 5 und 6). Diese Beurteilungen, meist verkürzend Gefährdungsbeurteilungen genannt, sollen zum Kernelement des modernen Arbeitsschutzes werden und als Grundlage für die betrieblichen Maßnahmen zum Schutz der Gesundheit dienen. Deshalb verweisen viele nachfolgende Verordnungen des Gesetzgebers wiederum auf das Instrument der Beurteilung: BetrSichV, BioStoffV, GefStoffV, BildscharbV, im Grunde auch die BaustellV mit dem Sicherheits- und Gesundheitsschutzplan, der eine solche Beurteilung zur Grundlage hat. zum Beispiel für die Aufsichtspersonen der Unfallversicherungsträger, kein Konzept erkennbar ist. Der Gesetzgeber hat die Art und Weise der Beurteilung weitgehend offen gelassen. Die Betriebe haben daher einen größeren Spielraum bei der Durchführung. Auf Grund dieser Offenheit trifft man in den Betrieben auf sehr unterschiedliche Vorstellungen von einer angemessenen Beurteilung. Teilweise werden die Begehungsprotokolle der Fachkräfte für Arbeitssicherheit als ausreichend für die Gefährdungsbeurteilung angesehen. Manchmal werden auch Checklisten eingesetzt, aus denen lediglich ersichtlich ist, ob im Betrieb bestimmte Gefährdungen noch anzutreffen sind. Die Dokumentation enthält jedoch keine einzige praktizierte Schutzmaßnahme, so dass für Außenstehende, Als Handlungsanleitung eignen sich Beurteilungen nur, wenn die Ermittlung von Gefahren und die Festlegung von Schutzmaßnahmen einander systematisch zugeordnet sind. Dann wird deutlich, welche Gefahren im Fokus der Aufmerksamkeit stehen müssen, wo Schutzmaßnahmen zu ergreifen sind und welche Absicht damit verbunden ist. Die Führungskräfte haben damit eine Checkliste an der Hand, an der sie selbst mitgewirkt haben und die ihnen Auskunft über ihre Arbeitsschutzaufgaben gibt. Betriebsanweisungen und Unterweisungen sind dann lediglich Folgeprodukte der Beurteilung, keine aufwändigen Zusatzaufgaben mehr.12) Die Beurteilung der Arbeitsbedingungen erweist sich unter zwei Bedingungen als hilfreich: Wenn betriebliche Erfahrungen und fachliche Erkenntnisse über Gefährdungen und über eine sichere und gesunde Arbeitsgestaltung einfließen und wenn die Führungskraft damit eine Anleitung für ihre eigenen Arbeitsschutzaktivitäten an die Hand bekommt. 12) Siehe dazu auch die beiden Artikel zur Gefährdungsbeurteilung in inform 1/2006 und 4/2006. 34 KAPITEL III · UMSETZUNG GESETZLICHER VORGABEN ZUM ARBEITSSCHUTZ Arbeitsmittel, Tätigkeit, Belastung, Gefährdung, Umfeld Thema Beschreibung der Gefährdung Wer? Wann? Wodurch? Risikobeurteilung Häufigkeit, mögliche Schädigung Vorschriften, Hilfsmittel Gesetze, UVVen, Leitfäden Schutzziele Erreichbares Niveau Praktizierte Schutzmaßnahmen Technik Organisation Personenbezogen Arbeitsmedizinische Untersuchungen Beispiele: Technische Hilfsmittel inkl. Prüfungen Arbeitseinteilung PSA, Schulung, Unterweisung Geltende Dokumente Betriebsanweisungen u. a. Noch erforderliche Schutzmaßnahmen Aktuelle Agenda Längerfristige Maßnahmen Investitionen Abbildung 16: Systematisches Dokumentationsschema für die Beurteilung der Arbeitsbedingungen. Vorschriften mit Bezug zur Gefährdungsbeurteilung Gefährdungsbeurteilung und Schutzmaßnahmen Arbeitsschutzgesetz § 5 und 6 Arbeitsumfeld und Verkehrssicherung Arbeitsstättenverordnung (ArbStättV) Arbeitsstätten-Richtlinien13) s. a. Bundesimmissionsschutzgesetz (BImSchG) Arbeitsgeräte, Maschinen, Anlagen Betriebssicherheitsverordnung (BetrSichV) Technische Regeln für Betriebssicherheit (TRBS) Baustellen Baustellenverordnung (BaustellV) Gefährliche Tätigkeiten oder Arbeitsbedingungen UVVen, Reihe GUV-V Bildschirmarbeit Bildschirmarbeitsverordnung (BildscharbV) Lasten Lastenhandhabungsverordnung (LasthandhabV) Biologische Gefährdung Biostoffverordnung (BioStoffV) Technische Regeln für Biologische Arbeitsstoffe (TRBA) s. a. Infektionsschutzgesetz (IfSG) Gefahrstoffe Gefahrstoffverordnung (GefStoffV) Technische Regeln für Gefahrstoffe (TRGS) Explosionsschutzverordnung (11. GPSGV) Persönliche Schutzausrüstung PSA-Benutzungsverordnung UVV GUV-V A1 §§ 29 ff. Strahlung Strahlenschutzverordnung (StrlSchV) Röntgenverordnung (RöV) Lärm Richtlinie 2003/20/EG 13) Diese gelten weiter bis zur Verabschiedung neuer Technischer Regeln für Arbeitsstätten. 35 KAPITEL III · UMSETZUNG GESETZLICHER VORGABEN ZUM ARBEITSSCHUTZ Alle Betriebe 400 und mehr Beschäftigte 150-399 Beschäftigte Unter 150 Beschäftigte Landesdienststellen Kommunen und Kreise Andere Betriebe 0% 20 % 40 % 2004 60 % 80 % 100 % 1999 Abbildung 17: Mitgliedsbetriebe mit Gefährdungsbeurteilungen. Nur knapp zwei Drittel der Unternehmen gaben an, Gefährdungsbeurteilungen durchgeführt zu haben (Abbildung 17). Der seit 1999 zu verzeichnende Zuwachs um vier Prozentpunkte fiel überraschend niedrig aus. Größere Betriebe setzten die gesetzliche Vorgabe häufiger um als kleinere, Landesdienststellen deutlich seltener als die übrigen Mitgliedsbetriebe. Der Vorsprung größerer Betriebe bei der Durchführung von Gefährdungsbeurteilungen ist mit Vorsicht zu bewerten. Denn häufig sind nur einzelne Tätigkeiten oder Betriebsbereiche hinsichtlich ihrer Gefährdungen beurteilt, andere wiederum nicht. In der Praxis sind technische Abteilungen damit weiter voran geschritten als Verwaltungsbereiche. Darin spiegelt sich immer noch ein traditionelles Bild des Arbeitsschutzes wi36 der. Dies belegen zusätzlich die Ergebnisse zur Beurteilung psychischer Belastungen. Nach den Umfrageergebnissen ist von einer unzureichenden Umsetzung der gesetzlichen Aufgabe auszugehen. Dieses Ergebnis überrascht insofern, als die Beurteilung der Arbeitsbedingungen von den Betrieben weder etwas völlig Neues verlangt, noch unverbunden neben den übrigen Aufgaben einer Führungskraft steht. Sie scheint in ihrer vom Gesetzgeber beabsichtigten Rolle als Steuerungsinstrument des betrieblichen Arbeitsschutzes vielfach noch unverstanden zu sein. Denn auch Betriebe ohne dokumentierte Beurteilungen ergreifen viele Schutzmaßnahmen und nehmen Unterweisungen vor. Der Hintergrund solcher Maßnahmen ist oft nicht transparent, obwohl sicherlich Überlegungen zu vorhandenen Gefahren vor der Umsetzung KAPITEL III · UMSETZUNG GESETZLICHER VORGABEN ZUM ARBEITSSCHUTZ Wichtige Quellen für Informationen und Hilfestellungen zur Gefährdungsbeurteilung von Schutzmaßnahmen angestellt wurden. Die Dokumentation dieser Einschätzungen inklusive der Maßnahmen stellt bereits einen wesentlichen Teil der Beurteilung dar. Leitfäden für die Ermittlung von Gefährdungen und für die Ableitung von Schutzmaßnahmen: http://www.baua.de, dort unter verschiedenen Themenstellungen Gefährdungsleitfäden für ausgewählte Branchen oder Tätigkeitsbereiche: http://www.unfallkassen.de Publikationen Regelwerk (Buchstabe) G Empfehlungen zu Schutzmaßnahmen: http://www.unfallkassen.de Publikationen Regelwerk, dort die Reihen GUV-R und GUV-I, unter anderen GUV-I 8628 Psychische Belastungen am Arbeits- und Ausbildungsplatz − ein Handbuch. Beurteilung psychischer Belastungen Nur jeder vierte Mitgliedsbetrieb nahm 2004 Beurteilungen über die psychischen Belastungen vor (Abbildung 18). Auch hierbei waren größere Betriebe aktiver als kleinere. Am stärksten hielten sich Kommunen und Kreise damit zurück, obwohl es dort 1999 bereits mehr Ansätze zur Beurteilung psychischer Belastungen zu geben schien als 2004. Die Landesdienststellen und die anderen Betriebe hingegen steigerten diese Beurteilungen im gleichen Zeitraum. Alle Betriebe 400 und mehr Beschäftigte 150-399 Beschäftigte Unter 150 Beschäftigte Landesdienststellen Kommunen und Kreise Andere Betriebe 0% 20 % 40 % 2004 60 % 80 % 100 % 1999 Abbildung 18: Mitgliedsbetriebe mit Beurteilungen psychischer Arbeitsbelastungen. 37 IV Einsatz von Analyse- und Steuerungsinstrumenten für Arbeitsschutz und Gesundheitsförderung Mit der Beurteilung der Arbeitsbedingungen werden Arbeitsschutzmaßnahmen auf den Ausschluss bestimmter Gefahren oder auf bestimmte Aspekte zur Erhaltung der Gesundheit ausgerichtet. Dies geschieht im Kontext ausgewählter Tätigkeiten oder Arbeitsbereiche. Es gibt jedoch auch die Möglichkeit, den Arbeitsschutz und die Gesundheitsförderung hinsichtlich ihrer Effektivität 4.1 Kennzahlen für die betriebliche Gesundheitssituation Kenntnis der Fehlzeitenquote Die Umfrage richtete das Augenmerk sowohl auf Informationen, die innerbetrieblich beschafft werden können als auch auf Datenmaterial, das von außen geliefert wird. Mehr als die Hälfte der Befragten in den Mitgliedsbetrieben kannte die Fehlzeitenquote aufgrund von Unfällen oder Erkrankungen, 1999 etwas häufiger als 2004 (Abbildung 19). Demnach war die Ermittlung der Fehlzeitenquote in einigen kleineren und mittleren Betrieben inzwischen aufgegeben worden. Dies betraf insbesondere Landesdienststellen sowie Kommunen und Kreise. Auswertung der Fehlzeitendaten Datenauswertungen werden erst dadurch zum Analysebaustein und zum Steuerungsinstrument, wenn sie herangezogen werden, um Vergleiche anzustellen und Prioritäten für nachfolgende Aktivitäten abzuleiten. Den Betrieben selbst liegen verschiedene Informationen vor, die sie sammeln und aufbereiten können, um zielgerichtet Einfluss zu nehmen. Andere müssen sie an entsprechenden Stellen anfordern, etwa bei gesetzlichen Krankenkassen. 38 und Effizienz auf Betriebsebene zu steuern. Eine Voraussetzung dafür ist die Verfügung über Datenmaterial, aus dem Rückschlüsse über Sicherheit und Gesundheit im Betrieb gezogen werden können. Als Beispiele hierfür seien die Auswertung von Fehlzeiten und Arbeitsunfällen sowie betriebliche Gesundheitsberichte genannt. Hinweise auf arbeitsbedingte Erkrankungen liefern Vergleiche bei Krankenständen und Krankheitshäufigkeiten. Als Basiskennzahl wird in der Regel das Verhältnis der Krankheitstage pro Jahr zu 365 Kalendertagen oder zu Arbeitstagen errechnet. Diese Kennzahl ist für die Personalplanung und die Entgeltfortzahlungskosten ein wichtiger Indikator. Etabliert hat sich inzwischen in vielen Betrieben auch die Zählung der Krankheitsepisoden pro Jahr und Mitarbeiter. Dadurch erhält die Krankheitshäufigkeit ein größeres Gewicht als die Dauer des Ausfalls. Diese Kennzahl kann ein deutlich anderes Fehlzeitenprofil ergeben als der Krankenstand und findet in den meisten Gesundheitsmanagementprogrammen gleichwertige Beachtung. In Abbildung 20 wird beispielsweise erkennbar, dass Mitarbeiter der Gruppe 1 beim Krankenstand an der Spitze liegen, bei der Krankheitshäufigkeit hingegen im Mittelfeld. Dafür sind Einzelfälle mit langen Ausfallzeiten Ausschlag gebend. Hingegen hebt sich die Gruppe 5 bei der Krankheitshäufigkeit deutlich auffälliger ab als beim Krankenstand. K A P I T E L I V · E I N S A T Z V O N A N A LY S E - U N D S T E U E R U N G S E L E M E N T E N Alle Betriebe 400 und mehr Beschäftigte 150-399 Beschäftigte Unter 150 Beschäftigte Landesdienststellen Kommunen und Kreise Andere Betriebe 0% 20 % 40 % 2004 60 % 80 % 100 % 1999 Abbildung 19: Mitgliedsbetriebe mit Kenntnis ihrer Fehlzeitenquote. Gruppe 1 Gruppe 2 Gruppe 3 Gruppe 4 Gruppe 5 Gruppe 1 Gruppe 2 Gruppe 3 Gruppe 4 Gruppe 5 0 3 2 1 Krankenstand im Jahr 4 5 7 6 8 Ausfallhäufigkeit pro Mitarbeiter 9 10 Abbildung 20: Beispiel für Auswertungen von Krankenstand und Krankheitshäufigkeiten für fünf Mitarbeitergruppen im Vergleich. 39 K A P I T E L I V · E I N S A T Z V O N A N A LY S E - U N D S T E U E R U N G S E L E M E N T E N In größeren Betrieben bietet sich der Vergleich einzelner Bereiche untereinander anhand beider Kennzahlen an. In kleineren Betrieben lässt sich der Vergleich mit der Branche anstellen, was über die Industrieund Handelskammer (IHK) oder in Kooperation mit Krankenkassen ermöglicht wird. Die Ergebnisse können jedoch nur einen „Anfangsverdacht“ begründen. Entgegen der Meinung vieler Führungskräfte gibt es weder eindeutige Anzeichen für arbeitsbedingte noch für verhaltensbedingte Fehlzeiten. Erhöhte Krankheitszeiten können durch eine überdurchschnittliche Alterung der Belegschaft oder durch den Verzicht auf krankheitsbedingte Entlassungen bedingt sein. Erhöhte Krankheitsfälle sind in Betrieben, in denen Anwesenheit mit geringer Aufmerksamkeit belegt ist, genauso zu finden wie bei einseitig beanspruchenden Arbeitsbedingungen. Arbeitsunzufriedenheit kann sich in häufigerem und in längerem Fehlen äußern. Beide Indikatoren steigen übrigens auch dadurch an, dass im betrieblichen Kontext generell hohe Anforderungen ohne Rücksicht auf aktuelle Leistungseinschränkungen gestellt werden. Allgemeine Fehlzeitenanalysen geben zwar erste Hinweise, aber keine abschließenden Antworten. Dazu müssen sie mit weiteren A sz u f ri e d e n h e ung it hon r Arbeitsorganisation Gruppe Freiraum Sc Gesundheitsverhalten Führung it Belastungs- Belastungskontinuität intensität Ge sundhe it 40 Auffallend war der niedrige Anteil von einem Drittel bei den Kommunen und Kreisen, die dem Fehlzeitengeschehen entsprechende Aufmerksamkeit widmeten. Krankenhäuser, Sparkassen und andere Betriebe werteten 2004 trotz eines Rückgangs seit 1999 die Abwesenheiten mit 54 % noch immer am häufigsten aus. e Schonraum Vier von zehn Betrieben werteten 2004 ihre Fehlzeiten aus. Unter den größeren Betrieben war es die Hälfte, unter den kleineren nur ein Drittel. Im Vergleich zu 1999 sank dieser Wert sogar ab (Abbildung 22). b AnwesenTätigkeit heitsverhalten Analyseinstrumenten verknüpft werden. Sie zeigen erst einmal die Richtung des Handlungsbedarfs auf und legen die Suche nach relevanten Einflüssen auf die Fehlzeiten nahe. Die gesundheitlichen Faktoren sind nur ein Grund für Ausfallzeiten, insbesondere in Verbindung mit geringem Schon- und Freiraum zur eigenen Ausgestaltung der Tagesarbeit (Abbildung 21). Erhebliche Einflüsse haben die Arbeitstätigkeiten an sich, die Arbeitsorganisation und die sozialen Beziehungen im Arbeitsumfeld. Natürlich spielt auch die Einstellung gegenüber arbeitsrechtlichen Pflichten eine Rolle. Abbildung 21: Einflüsse auf die Anwesenheit bei gesundheitlichen Einschränkungen. K A P I T E L I V · E I N S A T Z V O N A N A LY S E - U N D S T E U E R U N G S E L E M E N T E N Alle Betriebe 400 und mehr Beschäftigte 150-399 Beschäftigte Unter 150 Beschäftigte Landesdienststellen Kommunen und Kreise Andere Betriebe 0% 20 % 40 % 2004 60 % 80 % 100 % 1999 Abbildung 22: Mitgliedsbetriebe, die ihre Fehlzeiten auswerten. Gesundheitsbericht Eine besondere Form der Auswertung von Fehlzeitendaten stellen Gesundheitsberichte dar. Sie können von größeren gesetzlichen Krankenkassen erstellt werden, sofern diese eine ausreichende Anzahl von Mitgliedern in einem Betrieb versichern. Die Besonderheit besteht in der Auswertung medizinischer Daten. Die auf der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung angegebenen Diagnosen werden verwendet, um die Erkrankungshäufigkeit in verschiedenen Diagnosegruppen zu bestimmen. So können betriebsspezifische Profile der Erkrankungsschwerpunkte sichtbar gemacht werden, aus denen sich wiederum spezifischere Präventionsansätze herleiten lassen. Neben der Unkenntnis vieler Betriebe über die Möglichkeit der Erstellung eines Ge- sundheitsberichts gibt es zwei wesentliche Hindernisse für deren Einsatz. Zum einen ist eine gewisse Anzahl von Beschäftigten erforderlich, um den Datenschutz gewährleisten zu können. Insbesondere bei Diagnose bezogenen Auswertungen für kleinere Betriebe ist dies häufig nicht möglich. Zum anderen hat die individuelle Wahlfreiheit innerhalb der Gesetzlichen Krankenversicherung zu einer Aufsplitterung der Mitgliedschaften auf verschiedene Krankenkassen geführt, wovon Betriebe mit vielen Angestellten stärker betroffen sind. Hinzu kommen im öffentlichen Dienst die Beamten, die überwiegend einer privaten Krankenversicherung angehören. Auf die Daten konkurrierender Krankenkassen gibt es keine Zugriffsmöglichkeit, um Daten betriebsbezogen zusammenzuführen. Insofern stehen vor dem zweckmäßigen Einsatz dieses 41 K A P I T E L I V · E I N S A T Z V O N A N A LY S E - U N D S T E U E R U N G S E L E M E N T E N Instruments in seiner üblichen Form hohe bis unüberwindbare Hürden. Eine Auswertung der Krankenkassenzugehörigkeit der Beschäftigten kann Aufschluss über die Realisierungschancen eines Gesundheitsberichts geben. Inzwischen liegen in einzelnen größeren Betrieben positive Beispiele für eine kooperative Gesundheitsberichterstattung mehrerer Krankenkassen vor. Die Anzahl der Mitgliedsbetriebe, für die ein Gesundheitsbericht erstellt wurde, hat sich mit 8 % seit 1999 verdoppelt. Doch dieses Instrument wurde noch selten genutzt, wofür es die genannten sachlichen Gründe geben kann. Insofern spielte der Gesundheitsbericht als Steuerungsinstrument für Sicherheit und Gesundheitsschutz bisher nur eine marginale Rolle. 4.2 Exkurs: Arbeitsunfähigkeitsanalysen der AOK Hessen Die AOK Hessen war freundlicherweise bereit, uns ihre Auswertungen für die öffentliche Verwaltung aus dem Jahr 2005 zur Verfügung zu stellen.14) Selbstverständlich beziehen sich alle Angaben nur auf Angestellte und Arbeiter, die bei der AOK Hessen versichert sind. Abweichungen von betrieblichen Daten sind möglich, weil die Krankenkassen nur solche Arbeitsunfähigkeitsereignisse auswerten können, für die ihnen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen der Ärzte vorliegen. Kurzzeiterkrankungen bis zu drei Tagen können daher unzureichend erfasst sein. Als Bezugsgröße dienen die Mitgliedschaftszeiten umgerechnet auf volle Jahre, nicht die Personen. Die Analysen der AOK Hessen zeigen, dass männliche Versicherte 2005 leicht über dem durchschnittlichen Krankenstand aller AOK-Mitglieder von 6,3 % lagen, weibliche darunter (Abbildung 23). Dieser Geschlechtertrend entwickelt sich erst in den letzten Jahren. Während der 1990er Jahre wiesen die Frauen regelmäßig einen überdurchschnittlichen Krankenstand auf. 10 % 8% Krankenstand in % Eine Alternative zum betriebsbezogenen Gesundheitsbericht kann für alle Betriebe mit geringer Beschäftigtenzahl oder aufgesplitterter Versicherungslandschaft ein branchenbezogener Gesundheitsbericht sein, bei dem Betriebe aus bestimmten Wirtschaftsbereichen zusammengefasst werden. Auch überbetriebliche, tätigkeitsbezogene Auswertungen sind grundsätzlich möglich und können Hinweise auf spezielle Gefährdungen geben. 6,3 % 6,6 % Gesamt Männer 5,9 % 6% 4% 2% Frauen Abbildung 23: Krankenstand 2005 der AOK-Mitglieder in der öffentlichen Verwaltung in Hessen. 14) Quelle der Abbildungen 23 bis 26: Arbeitsunfähigkeitsprofil. Kennzahlen zum Gesundheitszustand für das Jahr 2005. Branche 751 Öffentliche Verwaltung: AOK - Die Gesundheitskasse in Hessen - Service Gesunde Unternehmen, Groß-Gerau 2006. 42 K A P I T E L I V · E I N S A T Z V O N A N A LY S E - U N D S T E U E R U N G S E L E M E N T E N Auf ganzjährig beschäftigte Mitarbeiter entfielen 2005 jeweils knapp 23 ärztlich bescheinigte Arbeitsunfähigkeitstage. Dies ist demnach die Größenordnung, die bei der Berechnung von Personalkapazitäten als krankheitsbedingte Ausfallzeiten einzukalkulieren ist. Männer und Frauen unterschieden sich hierbei um 2,4 Tage pro Jahr. mit anderen AOK-Versicherten hinaus − die Schwerpunkte des Krankheitsgeschehens beobachtet werden. Branchenvergleiche geben einen Eindruck von den Auffälligkeiten, bei denen die Frage zu stellen ist, inwieweit sich darin Einflüsse aus der Arbeitswelt niederschlagen. 30 25 20 22,9 % 24,1 % 2,5 21,7 % 2 1,8 1,9 1,8 1,5 15 10 1 5 0,5 0 0 Gesamt Männer Frauen Gesamt Männer Frauen Abbildung 24: Arbeitsunfähigkeitstage pro AOK-Mitglied in der öffentlichen Verwaltung in Hessen im Jahr 2005. Abbildung 25: Arbeitsunfähigkeitsfälle pro AOK-Mitglied in der öffentlichen Verwaltung in Hessen im Jahr 2005. Arbeitsunfähigkeitsfälle sind abgeschlossene Ereignisse, bei denen ein Anfangsund ein Enddatum der Ausfallzeit erfasst ist. Mehrere, direkt aufeinander folgende Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen werden als zusammen gehörendes Ereignis angesehen und als „ein Fall“ gezählt. Die folgende Auswertung zeigt, dass bei der Häufigkeit, in der Mitarbeiter 2005 erkrankten, geringere Unterschiede zwischen den Geschlechtern vorlagen (Abbildung 25). Der höhere Krankenstand von Männern war somit weitgehend auf längere Ausfallzeiten zurückzuführen. Im Durchschnitt fehlte jeder Mitarbeiter im Jahr 2005 demnach knapp zwei Mal. 2005 standen bei der öffentlichen Verwaltung die Atemwegserkrankungen im Vordergrund (Abbildung 26). Zwar trifft dies auch auf die hier als Vergleichsgruppe gewählten Betriebe des Handels und der Instandhaltung zu, doch in einem weitaus geringeren Umfang.15) Ähnlich sieht es bei den zweitplatzierten Erkrankungen des Bewegungsapparats und den nachfolgenden Diagnosegruppen aus. Während jeder Betrieb die bisherigen Kennzahlen für seine Beschäftigten selbst errechnen kann, verfügt keiner über die medizinischen Daten der Krankenkassen. Insofern können hier − über den Vergleich Die angezeigte Reihenfolge selbst ist für eine Branchenauswertung nicht ungewöhnlich. Bei deutlichen Abweichungen sollten Einflüsse aus der Arbeit auf das Krankheitsgeschehen in Betracht gezogen werden. Neben betrieblichen Einflüssen können auch Alterseinflüsse eine Rolle spielen. So haben Jüngere häufiger Atemwegserkrankungen und Verletzungen als ältere Beschäftigte. Umgekehrt treten Erkrankungen des Be- 15) In der Vergleichsgruppe ist eine Mischung aus Dienstleistungsberufen und technischen Berufen zusammengefasst, die der Zusammensetzung des öffentlichen Dienstes nahe kommt. 43 K A P I T E L I V · E I N S A T Z V O N A N A LY S E - U N D S T E U E R U N G S E L E M E N T E N 60 50 47 46 Atemwegserkrankungen Muskel-SkelettErkrankungen 30 25 Erkrankungen des Verdauungsapparates 23 19 18 11 17 11 7 7 Verletzungen und Vergiftungen Kreislauferkrankungen 0 Öffentliche Verwaltung Handel, Instandhaltung Psychische Störungen Abbildung 26: Arbeitsunfähigkeitsfälle nach Diagnosegruppen auf 100 AOK-Mitglieder in der öffentlichen Verwaltung im Vergleich zu Handels- und Instandhaltungsbetrieben in Hessen im Jahr 2005. wegungsapparats und des Herz-KreislaufSystems mit zunehmendem Alter häufiger auf. Insofern ist die Zusammensetzung der 4.3 jeweiligen Belegschaft immer mit zu berücksichtigen. Weitere Informationsquellen Auswertung der Unfalldaten Unfallstatistik und Kennzahlen Unfallereignis Dokumentation Unfallanalyse Innerbetriebliche Unfallmeldung Retrospektive Gefährdungsbeurteilung Unfallmeldung an den Unfallversicherungsträger Ableitung und Umsetzung präventiver Maßnahmen Schadensregulierung Unfallverhütung Abbildung 27: Betriebliche Unfallerfassung und deren Auswertung. 44 K A P I T E L I V · E I N S A T Z V O N A N A LY S E - U N D S T E U E R U N G S E L E M E N T E N Unfälle werden in Betrieben nicht zwangsläufig erfasst, um daraus Erkenntnisse für den Arbeitsschutz abzuleiten, sondern wegen der Schadensregulierung (Abbildung 27). Mit der Erfassung der einzelnen Unfälle ergibt sich die Gelegenheit, zentral oder in einzelnen Bereichen bestimmte statistische Kennzahlen zu bilden, die einen Einblick in Sicherheit und Gesundheit im Betrieb geben können. Die meisten Betriebe werten nur die meldepflichtigen Unfälle statistisch aus. In der UKH hingegen werden alle Unfälle erfasst, die gemeldet werden oder die zu Leistungsausgaben, beispielsweise infolge einer ärztlichen Wundversorgung, führen. Daher können leicht Diskrepanzen zwischen Unfallzahlen der Mitgliedsbetriebe und der UKH auftreten. Für die Prävention von Arbeitsunfällen ist zunächst einmal von Bedeutung, dass Wege- und Arbeitsunfälle getrennt betrachtet werden, weil sie die Verantwortung des Betriebes und seiner Verantwortlichen für Sicherheit und Gesundheitsschutz in unterschiedlicher Weise berühren. Für den Betrieb bietet sich die individuelle Untersuchung von Unfällen an, weil dadurch die Unfallursachen erkannt und Maßnahmen zur Reduzierung der Gefährdung abgeleitet werden können. Dieser Weg führt zur Überprüfung der Gefährdungsbeurteilung, trägt aber nur wenig zur Kontrolle der Effektivität der Arbeitsschutzorganisation insgesamt bei. In den Mitgliedsbetrieben herrscht häufig die Auffassung vor, dass sich eine Führungskraft vorwiegend um schwere Unfälle kümmern sollte. Die Verantwortlichen folgen damit der juristischen Logik, die vom Ausmaß der Schädigung ausgeht und die Schuld festzustellen versucht. Je schwerwiegender eine Verletzung ausfällt, um so schwerer kann im Ergebnis die Schuld gewertet werden.16) Doch das Augenmerk darauf zu beschränken und vorrangig am Ergebnis eines Unfallereignisses festzumachen, entspricht keinesfalls der Logik präventiven Denkens. Natürlich sollen schwere Unfälle möglichst vermieden werden. Aber oft ist es eine Frage zufälliger Umstände, welche Folge ein Sicherheitsmangel bei der Ausführung einer Tätigkeit nach sich zieht. Der Sturz vom Bürodrehstuhl, der sicherheitswidrig als Trittleiter benutzt wird, kann eine Schrecksekunde, einen blauen Fleck, einen Knochenbruch oder eine bleibende Behinderung herbei führen. Das Ausmaß der Verletzungen und anderer Schäden resultiert häufig aus äußeren, weniger beeinflussbaren Bedingungen in Kombination mit einem riskanten Verhalten. Gleiches gilt bei der Verwendung unsicherer Arbeitsmittel. Schwere Verletzungen Wiederholte leichte Verletzungen Gefährliche Situationen und Ereignisse Abbildung 28: Arbeitsunfälle im Verhältnis zum Risikopotenzial von Arbeitssituationen. 16) Vergleiche den Artikel über Verantwortung in inform 4/2006. 45 K A P I T E L I V · E I N S A T Z V O N A N A LY S E - U N D S T E U E R U N G S E L E M E N T E N Aus Sicht der Prävention sind deshalb Ereignisse, die als Beinaheunfälle bezeichnet werden, genau so beachtenswert wie tatsächliche Unfälle (Abbildung 28). Im Mittelpunkt der Betrachtung steht das Risikopotenzial eines Ereignisses: „Was hätte passieren können?“ Dank dieser Sichtweise lässt sich ein hohes Sicherheitsniveau erreichen. Zugegebener Maßen lassen sich abgrenzbare Ereignisse besser erfassen, dokumentieren und auswerten. Die Ermittlung unerwünschter „gefährlicher Situationen“ bleibt dennoch ein sinnvolles Anliegen. Ihre Realisierung erscheint wenigstens punktuell möglich, beispielsweise im Rahmen von Sicherheitsgesprächen. Ein anderes Phänomen ist in vielen Betrieben die Gewöhnung an kleinere Unfälle. Schon mittels einer einfachen Strichliste auf Basis der Verbandbuchaufzeichnungen kann eine Führungskraft sich rasch ein Bild über die Anzahl, die zeitliche Verteilung oder die individuelle Unfallhäufigkeit machen. Der Vergleich verschiedener Zeiträume kann Erfolge veränderter Schutzmaßnahmen belegen oder Fragen nach Verbesserungsmöglichkeiten aufwerfen. Die Fragen nach der Eignung und Akzeptanz der vorhandenen Schutzausrüstung sowie nach arbeitsorganisatorischen Schwierigkeiten drängen sich bei wiederkehrenden Unfällen geradezu auf. Alle Betriebe 400 und mehr Beschäftigte 150-399 Beschäftigte Unter 150 Beschäftigte Landesdienststellen Kommunen und Kreise Andere Betriebe 0% 20 % 40 % 60 % 80 % 100 % 2004 Abbildung 29: Mitgliedsbetriebe mit Unfallauswertungen. Drei von zehn Mitgliedsbetrieben werteten die Unfallereignisse aus, wobei offen bleibt, in welcher Weise dies geschah (Abbildung 29). In der Gruppe der mittleren und größeren Betriebe tat dies ein gutes Drittel, unter den kleineren nur ein Fünftel. Rein statistisch sollte in kleineren Betrieben die absolute Zahl der Unfälle geringer ausfallen und das 46 Unfallgeschehen auch transparenter sein. Möglicherweise messen kleinere Betriebe einer Statistik eine geringere Bedeutung bei. Da die Umfrage auf zentraler Ebene beantwortet wurde, ist anzunehmen, dass die Ergebnisse für die statistische Erhebung und Auswertung von Arbeits- und Wegeunfällen gelten. K A P I T E L I V · E I N S A T Z V O N A N A LY S E - U N D S T E U E R U N G S E L E M E N T E N Auswertung von Krankenrückkehrgesprächen Eine weitere betriebliche Chance, Informationen über die Gesundheit der Beschäftigten und über Möglichkeiten präventiver Maßnahmen zu gewinnen, besteht in der Auswertung von so genannten Krankenrückkehrgesprächen. In fürsorglich ausgerichteten Rückkehrgesprächen hat die Frage nach Arbeitseinflüssen auf die Gesundheit und gegebenenfalls nach Verbesserungsvorschlägen eine zentrale Bedeutung. Die daraus gewonnenen Erkenntnisse können von den Führungskräften unmittelbar zur Überprüfung der Gefährdungsbeurteilungen herangezogen werden. Die inhaltliche Bedeutung der Krankenrückkehrgespräche wird im Kapitel „Führungsinstrumente“ (Kapitel 6) ausführlicher behandelt. Nach eigenem Bekunden zogen 18 % der Mitgliedsbetriebe Erkenntnisse aus Krankenrückkehrgesprächen. Die Betriebe mittlerer Größe erwiesen sich dabei als die aktivsten, während die Gespräche in größeren Betrieben seit 1999 stagnierten. Zwischen den Betriebsarten gab es auffallende Unterschiede. Landesdienststellen sowie Kommunen und Kreise legten zu, die übrigen reduzierten hingegen die Rückkehrgespräche. Mitarbeiterbefragung In der Regel werden Mitarbeiterbefragungen von externen Beratern oder Dienstleistungsanbietern durchgeführt, um Anhaltspunkte für Gesundheitsgefährdungen, Arbeitsbelastungen, betriebliche Schwachstellen oder um Verbesserungsvorschläge zu ermitteln. Sie sind im Arbeits- und Gesundheitsschutz kein unbekanntes Instrument mehr. Sie sind überall dort eine zweckmäßige Alternative, wo andere Informationen nicht verfügbar sind oder der Aufwand für ihre Erfassung und Auswertung zu hoch erscheint. Die flexible Gestaltung von Befragungen erlaubt einen genauen Zuschnitt auf die betrieblichen Verhältnisse. Bereits vorliegende Erkenntnisse können ergänzt und Vermutungen über Gefährdungsarten überprüft werden. Aber auch Ansätze für Gestaltungsmaßnahmen lassen sich damit generieren. Überall dort, wo eine enge Verbindung zwischen der Einsatzfähigkeit und Einsatzbereitschaft der Beschäftigten einerseits und dem betrieblichen Erfolg andererseits gesehen wird, finden Mitarbeiterbefragungen zunehmende Akzeptanz. Bei der Durchführung von Mitarbeiterbefragungen ist im Vorfeld zu überlegen, welche Methode die am besten geeignete ist (Abbildung 30): Schriftliche Befragungen eignen sich sehr gut für repräsentative Ergebnisse zu einfach formulierbaren, standardisierten Fragen. Anonymität und statistische Auswertung lassen persönlichere Fragestellungen zu. Bei der Vertiefung bestimmter Fragen hinsichtlich des Einzelfalls wird dieses Instrument rasch unübersichtlich. Komplizierte Fragen führen zu Missverständnissen und Beantwortungsfehlern. Mündliche Einzelbefragungen sind sehr aufwändig in der Durchführung, weswegen sie im betrieblichen Rahmen nur selten eingesetzt werden. Sie bieten sich beispielsweise an, um arbeitsmedizinische Fragen zu einer bestimmten Tätigkeit oder Beanspruchung abzuklären oder um konkrete Umstände, Verhaltensweisen oder Vorstellungen zu erfragen. 47 K A P I T E L I V · E I N S A T Z V O N A N A LY S E - U N D S T E U E R U N G S E L E M E N T E N Mündliche Gruppenbefragungen eignen sich gut, um Themen für die weitere Bearbeitung einzugrenzen und erste Anregungen für Verbesserungen zu sammeln. Ein bekanntes Beispiel dafür ist die von einigen Krankenkassen eingesetzte „Arbeitssituationsanalyse“. Grenzen lässt die Befragung in Gruppen vor allem bei tabuisierten Themen erkennen. Die Gruppendynamik sowie Sprecherrollen können die Ergebnisse erheblich beeinflussen, weswegen eine geschulte Moderation erforderlich ist. Befragungen unterliegen der Mitbestimmung. Betriebs- oder Personalrat sind einzubeziehen. Erfolg versprechend ist eine frühzeitige Verabredung über Ziele und Inhalte, über die Vorgehensweise sowie die Auswertung der Befragung. Die Vorgehensweise beeinflusst die Verwertbarkeit einer Mitarbeiterbefragung erheblich, insbesondere die Repräsentativität und die Zuverlässigkeit der Befragungsergebnisse. Daher zahlt sich eine sorgfältige Vorbereitung aus. Die Teilnehmerquote einer Befragung beeinflusst die Aussagekraft für das Unternehmen. Die Teilnahme lässt sich erheblich steigern, wenn die Befragung in einem organisierten Rahmen während der Arbeitszeit durchgeführt wird. Die Information über die Absichten der Verantwortlichen und die Durchführung der Befragung können unmittelbar verknüpft werden. Freiwilligkeit ist dennoch ein wichtiger Grundsatz. Überzeugung der Mitarbeiter, verbunden mit einem einfachen Verfahren ohne Zwang, führt zu einer hohen Teilnehmerquote. Die Glaubwürdigkeit der Verantwortlichen ist eine weitere wichtige Voraussetzung für die Meinungsäußerung der Mitarbeiter. Dies gilt insbesondere für die Zusicherung der Anonymität bei schriftlichen Mitarbeiterbefragungen. Vor allem soll die Verfahrensweise daran keine Zweifel aufkommen lassen. Eine gemeinsame schriftliche Zusicherung der obersten Leitung und des Betriebs- oder Personalrats, dass persönliche Nachteile ausgeschlossen sind, kann das Vertrauen stärken. Eine Differenzierung bei personenbezogenen Merkmalen, die von vorneherein die Stichprobengröße berücksichtigt, beugt einem Missbrauch vor. Dies betrifft zum Beispiel die Bildung von Alters- oder Tätigkeitsgruppen. Vereinbarungen mit dem Betriebsoder Personalrat über die Auswertungsstrategie sind hierbei ebenfalls hilfreich. Schriftliche Befragung Gruppenbefragung Häufigkeit und Intensität von Arbeitsbelastungen Beanspruchung durch Belastungen Gesundheitliche Beschwerden Klima der Zusammenarbeit Beliebte und unbeliebte Tätigkeiten Haltungen gegenüber Schutzmaßnahmen Gruppenzugehörigkeit (um Vergleiche anzustellen) Konkretisierung der Arbeitsbelastungen Zusammenhänge zwischen Beschwerden und Arbeitsbelastungen Kenntnis von Schutzmaßnahmen Haltung gegenüber Schutzmaßnahmen Ideen zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen Erwartungen an die Zusammenarbeit mit der Führungskraft Abbildung 30: Schwerpunktthemen in Mitarbeiterbefragungen. 48 K A P I T E L I V · E I N S A T Z V O N A N A LY S E - U N D S T E U E R U N G S E L E M E N T E N Alle Betriebe 400 und mehr Beschäftigte 150-399 Beschäftigte Unter 150 Beschäftigte Landesdienststellen Kommunen und Kreise Andere Betriebe 0% 20 % 40 % 2004 60 % 80 % 100 % 1999 Abbildung 31: Mitgliedsbetriebe, die Mitarbeiterbefragungen durchführten. Befragungen erzeugen Erwartungen auf Seiten der Befragten. Wer seine Meinung äußert, tut dies in Erwartung darauf, dass die Verantwortlichen die Ergebnisse akzeptieren und sich erkennbar damit auseinandersetzen. Auch der Zeitraum zwischen einer Befragung, der Veröffentlichung von Ergebnissen sowie nachfolgenden Maßnahmen wirkt sich auf die Glaubwürdigkeit der Verantwortlichen aus. Verantwortliche, die keine Veränderungen wollen, sollten auf Mitarbeiterbefragungen verzichten, weil sie ansonsten Unzufriedenheit produzieren. Ein Viertel aller Mitgliedsbetriebe setzte 2004 das Instrument der Mitarbeiterbefragung ein (Abbildung 31). Dies war nur eine leichte Steigerung gegenüber 1999. Jedoch gab es innerhalb der Mitgliedsbetriebe auffallende Verschiebungen. Betriebe mittlerer Größe setzten dieses Instrument 2004 am häufigsten ein und überflügelten damit die größeren Betriebe, die 1999 noch an erster Stelle lagen. Eine Parallele dazu fand sich bei den Betriebsarten. Die Landesdienststellen hatten 2004 eine erhebliche Steigerung bei Mitarbeiterbefragungen zu verzeichnen, Betriebe wie Krankenhäuser, Sparkassen und andere einen entsprechenden Rückgang. 49 K A P I T E L I V · E I N S A T Z V O N A N A LY S E - U N D S T E U E R U N G S E L E M E N T E N 4.4 Einsatz von Kennzahlen und Steuerungsinstrumenten Niemand muss auf ein umfassendes Managementsystem oder auf die Umsetzung der Verwaltungsreform warten, um eine stärkere Zielorientierung im Arbeitsschutz einzuführen. Die erfragten Analyseinstrumente erleichtern es, Handlungsbedarf zu erkennen und Erfolge zu belegen. Die vielfach vorhandenen Kennzahlen zur Planung und Beurteilung von Arbeitsschutz- und Gesundheitsförderungsmaßnahmen heranzuziehen, ist ein erster Schritt. Mit dem Aufbau eines einfachen Berichtswesens, wie es die Überwachungspflicht der obersten Leitung ohnehin verlangt, können geeignete Kennzahlen als verdichtete Informationen nach und nach entwickelt werden. Mit einer planmäßigen Herangehensweise steigt der Bedarf an weiteren Kennzahlen ganz von selbst. Denn nicht nur Gefahren oder unerwünschte Ereignisse wie Unfälle lassen sich darstellen, sondern ebenso die Aktivitäten für Sicherheit und Gesundheit (Abbildung 32). Auf der Basis dieser Kennzahlen lässt sich ein Berichtswesen aufbauen, das über Jahre hinweg die Entwicklung dokumentiert und als Hintergrund für die Zieldiskussion zukünftiger Aktivitäten dienen kann. Die verschiedenen Instrumente, deren Einsatz in den Mitgliedsbetrieben abgefragt wurde, können isoliert oder in Kombination miteinander eingesetzt werden. In einer eigenen Auswertung wurde geprüft, wie viele Betriebe 2004 überhaupt über Erfahrung damit verfügten. Einbezogen wurde die Verwendung von Kennzahlen und von Methoden der Situationsanalyse. 1. Anzahl bestehender, neuer zentraler Arbeitsschutzregelungen 2. Anzahl der Einzelbeurteilungen von Tätigkeiten, Arbeitssituationen oder Arbeitsmitteln 3. Anzahl der vorhandenen, ersetzten, beurteilten Gefahrstoffe 4. Anzahl der vorgenommenen Betriebsmittelprüfungen 5. Anzahl der arbeitsmedizinischen Vorsorgeuntersuchungen 6. Anzahl der erstellten oder neu erstellten Betriebsanweisungen 7. Anzahl durchgeführter Unterweisungen 8. Anzahl der Bau- und Umbaumaßnahmen unter Beteiligung der Arbeitsschutzexperten 9. Anzahl der Maßnahmen zur Arbeitsplatzgestaltung unter Beteiligung der Arbeitsschutzexperten Darstellungsmöglichkeiten Insgesamt, jeweils auf den Betrieb oder den Bereich bezogen Anteil der Arbeitsbereiche, die im Berichtsjahr entsprechende Aktivitäten durchgeführt haben Abbildung 32: Beispiele für verdichtete Informationen über Arbeitsschutzaktivitäten. 50 K A P I T E L I V · E I N S A T Z V O N A N A LY S E - U N D S T E U E R U N G S E L E M E N T E N Alle Betriebe 400 und mehr Beschäftigte 150-399 Beschäftigte Unter 150 Beschäftigte Landesdienststellen Kommunen und Kreise Andere Betriebe 0% 20 % 40 % 60 % Mehrere Instrumente 80 % 100 % Ein Instrument Abbildung 33: Mitgliedsbetriebe, die Steuerungsinstrumente einsetzten. Ein Drittel aller Mitgliedsbetriebe verwendete 2004 weder eine Kennzahl noch ein anderes Analyseinstrument (Abbildung 33). Hierbei waren erhebliche Unterschiede festzustellen, die sich aber vor allem an der Beschäftigtenzahl festmachten. Von den kleineren Betrieben hatte jeder zweite keine Erfahrung mit der Erhebung oder Auswertung der genannten Daten und Informationen. In der Gruppe der mittelgroßen Betrieben schrumpfte deren Anteil auf ein Drittel und bei den größeren auf 22 %. Auf mehr als eine Auswertung oder Erhebung konnten die Mitgliedsbetriebe mittlerer Größe jedoch etwas häufiger zurückgreifen als die größeren. Erfolge. Insofern überraschte es, dass zwar zwei Drittel der Mitgliedsbetriebe über solche Informationen verfügten, aber nur 9 % angaben, dass sie im Arbeitschutz eine Form des Controlling vornahmen. Selbst unter den größeren Betrieben und den mit solchen Instrumenten erfahreneren Krankenhäusern, Sparkassen und anderen Betrieben ist es nur jeder siebte, der über ein Controlling im Arbeitsschutz verfügt. Die Unterschiede zwischen den Betriebsarten fielen im Vergleich dazu eher gering aus. Einzige Auffälligkeit ist der mit 43 % relativ hohe Anteil von Betrieben mit mehreren Instrumenten unter Krankenhäusern, Sparkassen und anderen Betrieben. Das Steuerungselement der Zielvereinbarung setzte eine so geringe Zahl von Betrieben im Arbeitsschutz ein, dass die vorhandenen Unterschiede zwischen den Gruppen nicht weiter analysiert werden müssen. Angesichts der Ergebnisse ist davon auszugehen, dass es im Arbeitsschutz und in der Gesundheitsförderung nur selten eine Integration in ein betriebliches Zielsystem gab, obwohl dafür brauchbare Informationen in vielen Mitgliedsbetrieben vorhanden waren. Zweck von Kennzahlen und Analysen ist üblicherweise die planmäßige Steuerung von Aktivitäten und die Überprüfung ihrer Daraus lässt sich keineswegs die Schlussfolgerung ziehen, dass Arbeitsschutz und Gesundheitsförderung völlig ziellos umgesetzt 51 K A P I T E L I V · E I N S A T Z V O N A N A LY S E - U N D S T E U E R U N G S E L E M E N T E N wurden. Die vorhandenen Informationen und Instrumente wurden vermutlich nur punktuell oder zur Begründung einzelner Maßnahmen genutzt, aber nicht in formelle Zielsetzungen und Überprüfungsroutinen überführt, wie es bei einem systematischen Management der Fall sein sollte. Literatur zur Gesundheitsberichterstattung für den Öffentlichen Dienst Fehlzeiten-Report 2005 − Arbeitsplatzunsicherheit und Gesundheit: Badura u. a., Berlin, Springer, 2006: − Untersuchungen zu Arbeitsplatzunsicherheit, Arbeitslosigkeit und Gesundheit − Krankheitsbedingte Fehlzeiten in der deutschen Wirtschaft 2004 auf Basis der AOK-Daten Frühere Schwerpunkte: 2004: Gesundheitsmanagement in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen 52 2003: Work-Life-Balance 2002: Demografischer Wandel 2001: Gesundheitsmanagement im öffentlichen Sektor 2000: Zukünftige Arbeitswelten: Gesundheitsschutz und Gesundheitsmanagement 1999: Psychische Belastung am Arbeitsplatz Die öffentliche Verwaltung − ein kranker Sektor? Sochert R. & Schwippert C., Wirtschaftsverlag NW, Bremerhaven, 2003: − Internationaler Vergleich − Arbeitsbelastungen im öffentlichen Dienst − Häufigkeit gesundheitlicher Beschwerden Branchengesundheitsbericht für den öffentlichen Dienst: Wolters J. u. a., Wirtschaftsverlag NW, Bremerhaven, 2000: − Tätigkeitsspezifische Erkrankungsquoten V Präventive Ausrichtung des Arbeitsschutzes Seit langer Zeit ist die Vorbeugung gegen Unfälle und Gesundheitsschäden und weniger die Behandlung oder Entschädigung verunfallter oder erkrankter Personen, Schwerpunkt der Arbeitsschutzgesetzgebung. Dennoch treten in der Praxis immer wieder Situationen auf, in denen Entscheidungen getroffen werden, ohne die Anforderungen für Sicherheit und Zuträglichkeit zu beachten. Deshalb sind oft nachträgliche Korrekturen oder Verbesserungen erforderlich, um Sicherheit und Gesundheit zu gewährleisten. Beispiele sind: die technische Nachrüstung von Maschinen und Arbeitsgeräten zur Abschottung von verletzenden Teilen oder zur Reduzierung des Lärms die Ersatzbeschaffung elektrischer Geräte wegen fehlender Sicherheitseinrichtungen die Nachrüstung von Kindertagesstätten und Schulen zur Reduzierung der Lärmausbreitung Nachbesserungen in lichtdurchfluteten Büros für Bildschirmarbeit wegen vorhandener Blendeffekte der Einbau von Klimageräten in stark verglasten Bauten mit der Folge extremer Temperaturunterschiede zwischen den Jahreszeiten. Die Liste der Beispiele kann noch länger ausfallen. Hinzu kommen aufwändige Sicherungsmaßnahmen, die für Wartungsoder Instandhaltungsarbeiten erforderlich werden, weil diese bei Baumaßnahmen nicht eingeplant waren. Entscheidend ist, dass häufig an Sicherheit und Gesundheit der Mitarbeiter zu spät gedacht wird, nämlich erst bei der Inbetriebnahme oder gar nach Unfällen oder auftretenden Beschwerden. Wären Sicherheits- und Gesundheitsanforderungen integrierter Bestandteil der Pflichtenhefte bei Baumaßnahmen, bei Beschaffungen und bei der Neuorganisation der Tätigkeiten, würde ein großer Teil der angeführten Probleme entfallen. In vielen Mitgliedsbetrieben ist von positiven Erfahrungen bei der sicheren und gesunden Gestaltung der Arbeitsbedingungen auszugehen. Es spricht jedoch vieles dafür, dass die Ansätze dafür punktuell oder vorübergehend praktiziert werden. Dies stimmt mit unseren Erfahrungen aus der Beratung überein. Meist existieren keine klaren, formalen Regelungen zur Prävention von Gesundheits- und Unfallgefahren. So geben gesammelte Erfahrungen und Kenntnisse, persönliche Kontakte zu den Fachkräften für Arbeitssicherheit oder das persönliche Engagement der Verantwortlichen häufig den Ausschlag dafür, bei welchen Entscheidungen Sicherheit und Gesundheit eine Rolle spielen. Dem Zufall soll die sichere und gesundheitsverträgliche Gestaltung der Arbeitsbedingungen jedoch nicht anheim fallen. Deshalb fordert die UVV Grundsätze der Prävention (GUV-V A1) in § 5, Abs. 1 und 2, dass Aufträge zur Planung und Gestaltung von Arbeitseinrichtungen und Arbeitsverfahren ebenso wie Lieferaufträge für Arbeitsmittel, Ausrüstungen und Arbeitsstoffe mit der schriftlichen Aufforderung an den Auftragnehmer zu verbinden sind. Sicherheit und Gesundheitsschutz der Beschäftigten sowie die Einhaltung der einschlägigen Vorschriften sollen gewährleistet sein. Je häufiger Sicherheits- und Ergonomiestandards bei Lie53 KAPITEL V · PRÄVENTIVE AUSRICHTUNG DES ARBEITSSCHUTZES ferungen und bei der Auftragsausführung von Kunden verlangt werden, um so mehr setzen sich diese durch. Sicherheitsmerkmale und ergonomische Gestaltungsprinzipien werden im Marketing von Maschinen und Geräten inzwischen fast selbstverständlich als Verkaufsargumente verwendet. Veränderungen am Markt erfordern anspruchsvolle Kunden. Die Qualifizierung der Führungskräfte für ihre Aufgaben im Arbeitsund Gesundheitsschutz und die Beurteilung der Arbeitsbedingungen sind wirksame Hebel, um Gefahren besser vorherzusehen und frühzeitig auszuschalten. In Kombination mit dem Instrument der Gefährdungsbeurteilung und einer fundierten Kenntnis der Vorschriften erkennen Führungskräfte die Vorteile einer präventiven Beeinflussung von Planungs- und Veränderungsprozessen sowie von Einkaufsstrategien. Die oberste Leitung ist dabei als Vorbild gefragt und kann die Verfahrensweise verbindlich regeln. Für Betriebsärzte und Fachkräfte für Arbeitssicherheit bringt eine Integration des Arbeitsschutzes in betriebliche Prozesse einen weiteren Vorteil mit sich. Ihre Beratung wird im Vorfeld von Entscheidungen eher als Hilfestellung und Unterstützung empfunden. Hinweise auf Mängel nach Entscheidungen oder gar Veränderungen bereits vorgenommener Investitionen werden immer als unbequeme Kritik eingestuft. Die selben formulierten Anforderungen werden von den Verantwortlichen im ersten Fall als konstruktiv, im zweiten Fall als destruktiv erlebt. Dieses Phänomen wirkt sich langfristig auf die Zusammenarbeit zwischen Verantwortlichen und Arbeitsschutzexperten aus. Alle Betriebe 400 und mehr Beschäftigte 150-399 Beschäftigte Unter 150 Beschäftigte Landesdienststellen Kommunen und Kreise Andere Betriebe 0% 20 % 40 % 60 % 80 % 100 % 2004 Abbildung 34: Mitgliedsbetriebe mit Integration des Arbeitsschutzes in Planungs-, Investitions-, Beschaffungs- und Instandhaltungsprozesse. 29 % der Mitgliedsbetriebe gaben 2004 an, in ihren Planungs-, Investitions-, Beschaffungs- und Instandhaltungsprozessen den Arbeitsschutz integriert zu haben (Abbildung 54 34). Unter den größeren Betrieben waren es 38 %, unter den kleineren und mittleren etwa ein Viertel. Letzteres entsprach auch der Situation in Kommunen und Kreisen. Die KAPITEL V · PRÄVENTIVE AUSRICHTUNG DES ARBEITSSCHUTZES Landesdienststellen lagen mit einem knappen Drittel in der Mitte, während unter den anderen Betrieben mehr als ein Drittel den Arbeitsschutz integriert hatte. In der Regel trifft man jedoch auch in den zuletzt genannten Betrieben noch auf Defizite. In manchen Prozessen ist die Berücksichtigung von Sicherheit und Gesundheit der Mitarbeiter eingespielt, in anderen jedoch Neuland oder als Bedarf noch gar nicht erkannt. Immerhin waren bei 29 % der Betriebe positive Ansätze vorhanden, Sicherheit und Gesundheitsschutz zu berücksichtigen. Im Jahr 2004 waren 39 % der Betriebe der Auffassung, dass ihre Aufbau- und Ablauf- organisation gesundheitsgerecht gestaltet war (Abbildung 35). Dies war eine leichte Steigerung um fünf Prozentpunkte gegenüber 1999, wobei die Einschätzung der größeren Betriebe am positivsten ausfiel. Auffallend war der Rückgang bei anderen Betrieben wie Sparkassen und Krankenhäusern, die 1999 weit an der Spitze lagen. Ob die Einschätzungen von bestimmten Gestaltungsmaßnahmen zum damaligen Zeitpunkt abhingen, die in diesen Betrieben 2004 bereits zu lange abgeschlossen waren, lässt sich mittels der Studie nicht klären. Bei den Landesdienststellen herrschte 2004 hingegen eine deutlich optimistischere Einschätzung als 1999 vor. Alle Betriebe 400 und mehr Beschäftigte 150-399 Beschäftigte Unter 150 Beschäftigte Landesdienststellen Kommunen und Kreise Andere Betriebe 0% 20 % 40 % 2004 60 % 80 % 100 % 1999 Abbildung 35: Mitgliedsbetriebe mit gesundheitsgerechter Gestaltung der Aufbau- und Ablauforganisation. 55 KAPITEL V · PRÄVENTIVE AUSRICHTUNG DES ARBEITSSCHUTZES Alle Betriebe 400 und mehr Beschäftigte 150-399 Beschäftigte Unter 150 Beschäftigte Landesdienststellen Kommunen und Kreise Andere Betriebe 0% 20 % 40 % 2004 60 % 80 % 100 % 1999 Abbildung 36: Mitgliedsbetriebe mit Verbesserungen des Arbeitsumfeldes und der Arbeitsbedingungen. Die Frage nach der Durchführung von Verbesserungen im Arbeitsumfeld und bei den Arbeitsbedingungen erlaubte es den Mitgliedsbetrieben, auch punktuelle Aktivitäten positiv anzumerken. Demzufolge gaben etwa sechs von zehn Mitgliedsbetrieben bereits 1999 an, entsprechende Verbesserungen realisiert zu haben (Abbildung 36). Bis 2004 stieg dieser Anteil nur unwesentlich. Die größeren Betriebe verwiesen stabil mit 70 % auf Verbesserungen. Die deutlichste Zunahme war 2004 bei den kleineren Betrieben und bei den Landesdienststellen zu verzeichnen. Sehr positiv fielen die Einschätzungen bezüglich der Anwendung der Ergonomie und präventiver Arbeitsplatzgestaltung in den Mitgliedsbetrieben aus. In allen Größenord- 56 nungen und Betriebsarten mit Ausnahme der Betriebsart Sparkassen, Krankenhäuser und andere Betriebe waren deutlich mehr positive Antworten zu verzeichnen (Abbildung 37). Bei den kleineren Betrieben und den Landesdienststellen fand die größte Veränderung statt. Auch hier ist wiederum nicht von einem umfassenden Einsatz ergonomischer Kenntnisse und entsprechender Arbeitsplatzgestaltung auszugehen. Jedoch ist die erreichte Verbreitung dieser Gestaltungsgrundsätze auf inzwischen fast drei Viertel aller Mitgliedsbetriebe sehr zu begrüßen. Nicht zuletzt die Umsetzung der Bildschirmarbeitsverordnung sowie Gesundheitsprobleme bei der Lastenhandhabung dürften hierzu einen Beitrag geleistet haben. KAPITEL V · PRÄVENTIVE AUSRICHTUNG DES ARBEITSSCHUTZES Alle Betriebe 400 und mehr Beschäftigte 150-399 Beschäftigte Unter 150 Beschäftigte Landesdienststellen Kommunen und Kreise Andere Betriebe 0% 20 % 40 % 2004 60 % 80 % 100 % 1999 Abbildung 37: Mitgliedsbetriebe mit Ergonomie und präventiver Arbeitsplatzgestaltung. Weitere Auswertungen ließen erkennen, dass die Auskünfte auf allgemeine Fragen nach vorgenommenen Gestaltungsmaßnahmen und Verbesserungen nur als temporär gültig zu betrachten sind. Ein Indiz dafür ist, dass Betriebe 1999 zustimmten, aber 2004 entsprechende Aktivitäten verneinten oder umgekehrt. Bei der gesundheitsgerechten Gestaltung der Organisation betraf dies 40 % der Betriebe, bei Verbesserungen im Arbeitsumfeld oder bei den Arbeitsbedingungen war es ein Drittel.17) 17) Wer mittels Umfragen Vergleiche anstellen will, sollte die Frage nach der praktizierten Vorgehensweise deshalb immer auf feste Zeiträume beziehen. 57 VI Führungsinstrumente für Sicherheit und Gesundheitsschutz Mitarbeitergespräche zu Sicherheit und Gesundheit Die Verantwortung für Sicherheit und Gesundheit setzt sich von der obersten Leitung in der Linie über die Führungsebenen hinweg fort. Sie ist eindeutig hierarchisch strukturiert. Doch ohne den Dialog mit den Beschäftigten kann diese Verantwortung nicht erfolgreich wahrgenommen werden. Mit Blick auf die Gesundheitsförderung wird davon gesprochen, dass die Beschäftigten als Experten ihrer Arbeitssituation anzusehen sind. Diese wissen am besten, welche Belastungen sie am stärksten beanspruchen und welche gesundheitlichen Beschwerden damit einhergehen. Sie kennen die Bedingungen am besten, unter denen sie ihre Aufgaben ausführen. Sie erleben Gefahrensituationen bei ihrer Arbeit und sie kennen die Schwierigkeiten oder Unannehmlichkeiten, die mit manchen Schutzmaßnahmen einher gehen. Mitarbeitergespräche gehören deshalb inzwischen zum selbstverständlichen Repertoire des Gesundheitsmanagements. In einer entwickelten Arbeitsschutzorganisation hat auch das „Sicherheitsgespräch“ seinen festen Platz. Gesundheit und Sicherheit sind in fast jedem Betrieb in irgendeiner Form Thema. Denn nach der zentralen Unfallverhütungsvorschrift „Grundsätze der Prävention“ sollen Beschäftigte mindestens einmal im Jahr über die vorhandenen Gefährdungen unterwiesen werden. Die im Arbeitsschutz verwendeten Begriffe der Unterweisung und Belehrung legen die einseitige Vermittlung von Regeln und Informationen nahe. Jedoch beinhalten diese keine Vorgabe, die einem Dialog zwischen Führungskraft und Beschäftigten entgegenstehen würde. Selbst dort, wo Unterweisungen von der Fachkraft für Arbeitssicherheit oder dem Betriebsarzt Alle Betriebe 400 und mehr Beschäftigte 150-399 Beschäftigte Unter 150 Beschäftigte Landesdienststellen Kommunen und Kreise Andere Betriebe 0% 20 % 40 % 60 % 80 % 2004 Abbildung 38: Mitgliedsbetriebe mit Mitarbeitergesprächen zum Arbeits- und Gesundheitsschutz. 58 100 % KAPITEL VI · FÜHRUNGSINSTRUMENTE FÜR DEN ARBEITS- UND GESUNDHEITSSSCHUTZ Alle Betriebe 400 und mehr Beschäftigte 150-399 Beschäftigte Unter 150 Beschäftigte Landesdienststellen Kommunen und Kreise Andere Betriebe 0% 20 % 40 % 60 % 80 % 100 % 2004 Abbildung 39: Mitgliedsbetriebe mit Mitarbeitergesprächen zur Arbeitszufriedenheit. durchgeführt werden, soll die Führungskraft im Gespräch mit ihren Mitarbeitern sein. Sie muss schließlich die Einhaltung der Schutzmaßnahmen überwachen und notfalls eingreifen. Da die Beanspruchung durch psychische und andauernde körperliche Belastungen großen Einfluss auf die Arbeitszufriedenheit hat, kommen diese Themen sicherlich im Dialog mit den Beschäftigten zur Sprache. Stress, Angst oder Konflikte werden in den Betrieben häufig nicht mit Gesundheit und noch seltener mit Arbeitsschutz in Verbindung gebracht, sondern nur mit Arbeitsunzufriedenheit. Unabhängig davon, wie die Beteiligten Gespräche zum Betriebsklima einstufen, ist deren Einfluss auf eine gesunde Unternehmenskultur in Fachkreisen unbestritten. Die Wiederholungsbefragung der UKH befasste sich mit einigen Kommunikationsinstrumenten, deren Anwendung direkt in der Hand der Führungskräfte lag. In einem Drittel aller Mitgliedsbetriebe führte man 2004 Mitarbeitergespräche zu Sicherheit und Gesundheitsschutz durch (Abbildung 38). Die größeren Betriebe wichen vom Durchschnitt leicht nach oben hin ab, die Landesdienststellen etwas nach unten. Es ist davon auszugehen, dass damit nur angeordnete Mitarbeitergespräche erfasst wurden, denn diese Angaben fallen unerwartet niedrig aus. Die Ergebnisse können darauf beruhen, dass Unterweisungen in zentralen Verwaltungsbereichen oft nur selten praktiziert und − bei dezentraler Durchführung in technischen Abteilungen − kaum wahrgenommen werden. Mitarbeitergespräche zur Arbeitszufriedenheit wurden 2004 in vier von zehn Betrieben geführt (Abbildung 39). In jedem zweiten größeren, aber nur in jedem dritten kleineren Mitgliedsbetrieb gehörten sie zum Führungsinstrumentarium. Die Landesdienststellen hoben sich bei den Gesprächen zur Arbeitszufriedenheit besonders positiv hervor. Doppelt so häufig wie in anderen Betrieben, nämlich in 61 %, wurden sie geführt. 59 KAPITEL VI · FÜHRUNGSINSTRUMENTE FÜR DEN ARBEITS- UND GESUNDHEITSSSCHUTZ Rückkehrgespräche nach Krankheit Die Bedeutung der Rückkehrgespräche nach Krankheit ist von ihrer Zielrichtung abhängig. Für ihre Ausgestaltung gibt es bisher keine verbindlichen Standards. Im Rahmen eines betrieblichen Gesundheitsmanagements dienen sie dem Zweck, Arbeitsbelastungen zu erkennen, welche die Gesundheit gefährden, sowie Mitarbeiter nach ihrer Rückkehr angemessen zu informieren und einzusetzen. Damit gelingt es, Gefahren auszuschalten, die aus Überforderung und noch vorhandenen Einschränkungen resultieren können. Diese weit verbreitete Vorgehensweise ist Ausdruck der Fürsorgepflicht der Führungskraft.18) Selbstverständlich lassen sich nur qualifizierte Gespräche zur Beurteilung der betrieblichen Arbeitsbedingungen und ihrer gesundheitlichen Auswirkungen heranziehen (Abbildung 40). Gespräche, die lediglich das Interesse an der Anwesenheit der Mitarbeiter betonen, liefern hingegen keine Ansatzpunkte für den Arbeits- und Gesundheitsschutz. Die dritte abgefragte Gesprächsart, das Gespräch nach Rückkehr aus der Krankheit, wurde 2004 von 30 % aller Mitgliedsbetriebe durchgeführt und damit weniger praktiziert als die beiden vorher behandelten (Abbildung 41). Es ist anzunehmen, dass sich die Angaben auf die offizielle Version des Rückkehrgesprächs beziehen. Die meisten Führungskräfte führen nach einer Erkrankung mit ihren Mitarbeitern selbstverständlich Begrüßungsgespräche, aber in informeller Weise. Während es bei den größeren Betrieben sogar einen leichten Rückgang dieser Gesprächsart gab, wurde sie 2004 gegenüber 1999 in doppelt so vielen Betrieben mittlerer Größe praktiziert. Die aktivste Betriebsart bei den Rückkehrgesprächen sind die Landesdienststellen. 1. Zusammenhang Erkrankung − Arbeit Gibt es Hinweise auf einen Einfluss der Arbeit auf die Erkrankung? Kam es vor der Erkrankung zu besonderen oder zu besonders hohen Arbeitsbelastungen? Wurden Beschwerden durch die Arbeit ausgelöst? 2. Rücksichtnahme auf fortschreitende Gesundung Welchen Anforderungen kann der Mirarbeiter noch nicht (im normalen Umfang) ausgesetzt werden? Ergibt sich aus der Art der Erkrankung eine besondere Gefährdung und damit zusätzliche Fürsorge? 3. Informationen zur Sicherheit Haben inzwischen Veränderungen stattgefunden? Abbildung 40: Gesundheits- und sicherheitsrelevante Fragestellungen für Rückkehrgespräche nach einer Erkrankung. 18) Begrifflich und inhaltlich verschieden davon sind Fehlzeitengespräche. Diese nehmen bestimmte Fehlzeitenmuster zum Anlass für ein Mitarbeitergespräch, das nicht zwangsläufig in zeitlicher Nähe zur Rückkehr aus Krankheit an den Arbeitsplatz stattfinden muss. 60 KAPITEL VI · FÜHRUNGSINSTRUMENTE FÜR DEN ARBEITS- UND GESUNDHEITSSSCHUTZ Alle Betriebe 400 und mehr Beschäftigte 150-399 Beschäftigte Unter 150 Beschäftigte Landesdienststellen Kommunen und Kreise Andere Betriebe 0% 20 % 40 % 2004 60 % 80 % 100 % 1999 Abbildung 41: Mitgliedsbetriebe, die mit ihren Beschäftigten Rückkehrgespräche nach Krankheit führen. Stellenwert strukturierter Kommunikation Die drei erwähnten Gesprächsarten, Mitarbeitergespräche, Sicherheitsgespräche sowie Rückkehrgespräche, können einander nicht ersetzen. Dafür sind ihre Ansatzpunkte zu unterschiedlich. Das Rückkehrgespräch nach Krankheit ist immer ein Einzelgespräch und richtet sich in erster Linie an die Beschäftigten wegen möglicher gesundheitsgefährdender Arbeitsbelastungen. Sicherheitsgespräche haben die getroffenen und zu beachtenden Schutzmaßnahmen zum Inhalt. Eine Überschneidung ergibt sich hauptsächlich mit den Mitarbeitergesprächen, in denen üblicherweise Arbeitsbelastungen, Gefährdungen und Schutzmaßnahmen direkt angesprochen werden. Eine Erörterung dieser Themen lässt sich effizient in der Gruppe vornehmen, sofern keine individuelle Problematik vorliegt, sondern das Augenmerk auf Tätigkeiten, Arbeitsplätze, Arbeitsorganisation oder Rahmenbedingungen der Arbeit gerichtet ist. Für eine Stärkung der organisierten Kommunikation im Arbeits- und Gesundheitsschutz sprechen mehrere Gründe. Im kommunikativen Bereich vollzogen sich in den vergangenen Jahrzehnten fast unbemerkte Veränderungen. Die fortschreitende Verdichtung der Arbeitsaufgaben beseitigte viele Gelegenheiten zum informellen Austausch. Die moderne Kommunikationstechnik ersetzte den persönlichen Kontakt durch den digitalisierten Austausch. Diese Entwicklung war vielfach auch beabsichtigt. In vielen Betrieben fehlt jedoch eine Kompensation, mit deren Hilfe die mit transportierten Informationen zum Arbeitsgeschehen und zur Situation des Betriebs gesichert werden kann. Der kommunikative Austausch konzentriert 61 KAPITEL VI · FÜHRUNGSINSTRUMENTE FÜR DEN ARBEITS- UND GESUNDHEITSSSCHUTZ sich heute insgesamt stärker auf die aktuellen Aufgaben, wird einseitiger, kürzer und eindimensionaler. Daneben befassen sich Mitarbeitergespräche häufig mit Problemfällen, so dass das persönliche Gespräch selbst zunehmend zum unangenehmen Erlebnis für Führungskräfte und Beschäftigte wird. Vor diesem Hintergrund wird deutlich, warum geplante Kommunikationsanlässe und strukturierte Gespräche kein Ergebnis eines willkürlichen Zeitgeistes sind, sondern eine zwangsläufige Konsequenz nachhaltiger Veränderungen. Der Führungskraft bieten strukturierte Gespräche viele Vorteile: Strukturierte Mitarbeitergespräche verbreitern die Basis für das Verständnis betrieblicher Zusammenhänge und reduzieren damit die Zahl möglicher Missverständnisse und Fehlinterpretationen im Betriebsalltag. Für alle beteiligten Personen schaffen sie mehr Transparenz über die besprochenen Inhalte als zufällige Gesprächsanlässe. Damit wird zum Beispiel die Wahrnehmung der Führungsverantwortung im Arbeits- und Gesundheitsschutz deutlicher. Sie fördern − erfolgreiche Gesprächsführung vorausgesetzt − die Zusammenarbeit zwischen Führungskraft und Mitarbeitern, bei Gruppengesprächen auch im Team. Sie schaffen für getroffene Aussagen größere Verbindlichkeit und vermitteln die geltenden betrieblichen Regeln. Damit betonen sie zum Beispiel auch stärker die Geltung für Sicherheitsregeln als etwaige Nebenbemerkungen. Sie entlasten die Führungskraft von Problemgesprächen zu Gunsten von konstruktiven Gesprächen und können so eine emotionale Kehrtwendung in den Teambeziehungen herbeiführen. 62 Alle drei Gesprächsanlässe zusammen (Mitarbeitergespräche, Sicherheitsgespräche sowie Rückkehrgespräche) wurden 2004 jedoch nur in 11 % der Betriebe genutzt (Abbildung 42). 23 % setzten wenigstens zwei Gesprächsarten ein und weitere 24 % eine davon. Demnach spielte in 42 % aller Mitgliedsbetriebe keine Gesprächsart eine Rolle. Die vertiefte Auswertung zeigt, dass 54 % aller Betriebe, die Gefährdungsbeurteilungen vornahmen, offenbar keine Mitarbeitergespräche zum Arbeits- und Gesundheitsschutz führten. Dies wirft Fragen nach der Qualität der Beurteilungen auf, weil diese sich offenbar allein auf Expertenwissen und auf die Eindrücke der Führungskraft stützen. 11 % 23 % 42 % 23 % 24 % Alle 3 Gesprächsarten 2 Gesprächsarten 1 Gesprächsart Keine Mitarbeitergespräche Abbildung 42: Mitgliedsbetriebe mit Mitarbeitergesprächen zu allen drei Themen 2004. VII Maßnahmen der Gesundheitsförderung Die Abgrenzung zwischen Arbeitsschutz und betrieblicher Gesundheitsförderung ist in den Vorstellungen vieler Akteure deutlicher, als dies bei sachlicher Betrachtung des tatsächlichen Geschehens angebracht erscheint. Dem Arbeitsschutz werden meist diejenigen Aktivitäten zugeordnet, die auf Vorschriften zurückgehen und sich an Pflichten des Unternehmers festmachen lassen. Dazu zählen insbesondere technische Sicherheitsmaßnahmen und Sicherheitsanweisungen. Alle Maßnahmen im Rahmen der Gesundheitsförderung erhalten damit einen Anstrich von Freiwilligkeit. Doch zwei Entwicklungen lassen diese historisch entstandene und erklärbare Differenzierung als überholt erscheinen: Zum einen wurde der Arbeitsschutzauftrag der Unternehmen und der Unfallversicherungsträger auf die Verhütung arbeitsbedingter Gesundheitsgefahren ausgeweitet (§ 2 (1) ArbSchG und § 1 SGB VII). Damit wurden alle Gesundheitsthemen mit einem direkten Bezug zur Arbeit zum Gegenstand des Arbeitsschutzes. Zum anderen verloren die Vorschriften im Zuge erwünschter Deregulierung an Konkretheit bezüglich ihrer Umsetzung. Die Unternehmen werden zur eigenverantwortlichen Gefahrenermittlung angehalten und aufgefordert, zielgerichtete Schutzmaßnahmen zu ergreifen. Fast alle Aktivitäten, die im Zusammenhang mit betrieblicher Gesundheitsförderung als „Verhältnisprävention“ bezeichnet werden, lassen sich auch als Arbeitsschutzmaßnahmen verstehen. Auch wenn sie den Unternehmen im Detail nirgendwo vorgeschrieben werden, so sind sie in aller Regel als Beitrag zur Verminderung der Arbeitsbeanspruchung anzusehen. Die historisch erklärbare Unterscheidung in Arbeitsschutzmaßnahmen und Verhältnisprävention wird deshalb zunehmend obsolet. Die Eingrenzung von Gesundheitsförderungsmaßnahmen im Rahmen der vorliegenden Schrift orientiert sich im wesentlichen daran, dass durchgeführte Maßnahmen in erster Linie an die Mitarbeiter gerichtet sind, auf deren Problemsicht oder auf deren Gesundheitsverhalten. Thematische Schwerpunkte der Gesundheitsförderungsmaßnahmen in Mitgliedsbetrieben Ein Schwerpunkt der Umfragen lag bei den Aktivitäten der Gesundheitsförderung, die als freiwillige Aktivitäten der Mitgliedsbetriebe verstanden werden. Die Darstellung einer Vielzahl von Einzelergebnissen würde die Übersichtlichkeit gefährden. Deshalb werden − abweichend vom bisherigen Auswertungsschema − die Ergebnisse stärker zusammengefasst. Zunächst wird die Frage behandelt, mit welchen Gesundheitsförderungsthemen sich die Betriebe am häufigsten befassten. An dieser Stelle ist noch ein methodischer Hinweis zum Verständnis der Ergebnisse erforderlich. In den Fragebögen wurde nur angegeben, ob zu einem Thema Maßnahmen durchgeführt wurden oder nicht. Die genaue Anzahl der Gesundheitsförderungsmaßnahmen wurde nicht erfasst. Deshalb geben die statistischen Werte immer nur die 63 KAPITEL VII · MASSNAHMEN DER GESUNDHEITSFÖRDERUNG Bewegungsprogramme Suchtprävention Stressbewältigung Mobbingbewältigung Entspannungsprogramme Herz-KreislaufProgramme Ernährungsprogramme Krebsvorsorge 0% 20 % 40 % 2004 60 % 80 % 100 % 1999 Abbildung 43: Mitgliedsbetriebe mit Gesundheitsförderungsmaßnahmen. Anzahl oder den Anteil der Betriebe wieder, die ein Thema aufgegriffen haben, und nicht die Anzahl oder den Anteil der Maßnahmen selbst. Unter den Gesundheitsförderungsthemen nahmen 2004 die Bewegungsprogramme zur Prävention von Erkrankungen des Muskel- und Skelettapparats mit 30 % den ersten Rang ein (Abbildung 43). Offenbar trugen die Mitgliedsbetriebe damit dem hohen Stellenwert dieser Erkrankungen für das Arbeitsunfähigkeitsgeschehen Rechnung. Auf den folgenden Plätzen befanden sich diverse psychosoziale Themen. Die Suchtprävention wurde 2004 mit 28 % nicht nur am häufigsten genannt, sondern wurde bereits 1999 in 20 % aller Betriebe praktiziert. Stressbewältigung,19) die Bewältigung von Mobbing und Entspannungsprogramme wurden in dieser Rangfolge von 24 bis 18 % der Betriebe angeboten. Jeweils unter 10 % der Betriebe führten 2004 krankheitsorientierte Programme (zu Krebs- und HerzKreislauf-Erkrankungen) oder Ernährungsprogramme durch. 19) Maßnahmen zur Stressbewältigung wurden 1999 nicht abgefragt. 64 KAPITEL VII · MASSNAHMEN DER GESUNDHEITSFÖRDERUNG 36 % Alle Themen*) 4 %5 % 10 % Psychosoziale Themen 13 % 46 % 57 % 30 % 0% 20 % 7-8 Themen 5-6 Themen 40 % 60 % 3-4 Themen 1-2 Themen 80 % 100 % Keine *) Durch Rundungen bedingt kommen in der Summe 101 % zusammen. Abbildung 44: Umfang der Gesundheitsförderungsthemen in Mitgliedsbetrieben 2004. Etwas mehr als die Hälfte aller Mitgliedsbetriebe hatte 2004 Erfahrung mit Gesundheitsförderungsmaßnahmen, sogar 43 % mit Maßnahmen aus dem psychosozialen Themenkreis (Abbildung 44). Die Differenz zwischen beiden Zahlen geht fast ausschließlich auf Betriebe zurück, die zwar Bewegungsangebote, aber keine psychosozialen Angebote durchführten. Von großem Interesse wäre es, den Zusammenhang zwischen Gesundheitsförderungsmaßnahmen und Gesundheitsgefährdungen bei der Arbeit zu beurteilen. Doch zu einer solchen Prüfung würden konkretere Ergebnisse der Gefährdungsbeurteilung benötigt. Diese Informationen liegen allerdings nicht vor. Anhand der Umfrage lässt sich lediglich überprüfen, ob Betriebe mit Gefährdungs- Mitgliedsbetriebe mit Gefährdungsbeurteilung beurteilungen häufiger Gesundheitsförderungsmaßnahmen durchführten als andere. Mitgliedsbetriebe, bei denen Gefährdungsbeurteilungen vorlagen, waren 2004 auch in der Gesundheitsförderung deutlich aktiver (Abbildung 45). Sie hatten zu etwa doppelt so vielen Gesundheitsförderungsthemen Maßnahmen angeboten wie Betriebe ohne Gefährdungsbeurteilung. Im gleichen Verhältnis galt dies für psychosoziale Themen. Die Aufmerksamkeit für Gefährdungsbeurteilungen ging offensichtlich mit größerem Interesse an Gesundheitsförderungsthemen einher. Ähnlich verhielt es sich mit Betrieben, die psychische Belastungen ermittelt hatten. Auch sie waren in der Gesundheitsförderung aktiver als solche, die keine derartige Beurteilung vorgenommen hatten. ohne Gefährdungsbeurteilung mit Ermittlung psychischer Belastungen ohne Ermittlung psychischer Belastungen Alle Gesundheitsthemen 68 % 31 % 85 % 44 % Psychosoziale Themen 54 % 25 % 70 % 34 % Abbildung 45: Mitgliedsbetriebe mit Gesundheitsförderungsmaßnahmen 2004 nach unterschiedlichem Status bei der Beurteilung der Arbeitsbedingungen. 65 KAPITEL VII · MASSNAHMEN DER GESUNDHEITSFÖRDERUNG Unterschiede zwischen den Mitgliedsbetrieben bei Gesundheitsförderungsmaßnahmen Gesundheitsförderung als kleinere, so dass sie häufiger aktiv mit Gesundheitsförderungsmaßnahmen umworben werden. Gesundheitsförderungsmaßnahmen bedürfen einer unternehmenspolitischen Entscheidung und in der Regel auch der Unterstützung durch Kooperationspartner außerhalb des Betriebs. Unter diesen Umständen ist nicht zu erwarten, dass Betriebe unterschiedlicher Größenordnung und in allen Bereichen des öffentlichen Dienstes gleichermaßen Gesundheitsförderung praktizieren. Größere Betriebe können leichter eigenes Personal bereitstellen, das solche Aktivitäten vorbereitet, steuert und nach innen und außen koordiniert. Sowohl für einige externe Partner wie die Krankenkassen als auch für private Dienstleister sind größere Betriebe attraktivere Kunden in der Immer noch ist der Anteil der Betriebe, die bisher keinen Zugang zur Gesundheitsförderung gefunden haben, relativ hoch. Vor diesem Hintergrund erscheint es zweckmäßig, auf einige Anforderungen an die Durchführung und Gestaltung von Gesundheitsförderungsmaßnahmen hinzuweisen. Damit soll unerfahrenen Mitgliedsbetrieben der organisatorische Einstieg in die betriebliche Gesundheitsförderung erleichtert werden. Die Empfehlungen orientieren sich vorrangig an zwei Zielen. Einerseits soll die Akzeptanz der Maßnahmen bei den Mitarbeitern erreicht werden. Andererseits gilt es, die Effizienz der Durchführung für das Unternehmen zu gewährleisten. Alle Betriebe 400 und mehr Beschäftigte 150-399 Beschäftigte Unter 150 Beschäftigte Landesdienststellen Kommunen und Kreise Andere Betriebe 0,0 0,5 1,0 Alle Themen 1,5 2,0 2,5 3,0 Psychosoziale Themen Abbildung 46: Durchschnittliche Anzahl unterschiedlicher Gesundheitsförderungsthemen in Mitgliedsbetrieben 2004. 66 KAPITEL VII · MASSNAHMEN DER GESUNDHEITSFÖRDERUNG Als Vergleichszahlen werden in Abbildung 46 die Mittelwerte aller Gesundheitsförderungsthemen der Befragung von 2004 herangezogen. Dabei sind auch diejenigen Betriebe eingerechnet, die keine Maßnahmen durchführten. Die Durchschnittswerte − bezogen auf alle Betriebe − von 1,4 Gesundheitsförderungsthemen insgesamt und 0,9 psychosozialen Themen pro Betrieb wurden von den größeren Betrieben deutlich überschritten. Demzufolge hatte die Gesundheitsförderung ihren Platz vorrangig in größeren Betrieben. Im Vergleich zu kleineren und mittleren Betrieben deckten größere Betriebe mit ihren Gesundheitsförderungsmaßnahmen eine mehr als doppelt so breite Themenpalette ab. Dasselbe trifft auch auf psychosoziale Maßnahmen zu. Die Unterschiede zwischen den Betriebsarten fielen im Gegensatz dazu eher gering aus. Vor allem Kommunen und Kreise drückten den Durchschnitt an Gesundheitsförderungsmaßnahmen etwas nach unten. Auch bei den Inhalten der Maßnahmen traten deutliche Unterschiede auf. Es lässt sich leicht feststellen, dass es bezüglich der Verbreitung der Gesundheitsförderungsmaßnahmen über die Betriebe hinweg keinen einheitlichen Mechanismus gab. So war die Suchtprävention in den größeren Betrieben am stärksten verbreitet (Abbildung 47). Bei kleineren Betrieben waren es die Bewegungsangebote. In mittleren Betrieben lagen die Bewegungsangebote gleichauf mit der Stressbewältigung. Doch in größeren Betrieben wurden die weiter hinten rangierenden Themen immer noch häufiger aufgegriffen als die Spitzenreiter in kleineren und mittleren Betrieben. Die Landesdienststellen wiesen in der inhaltlichen Ausrichtung 2004 andere Prioritäten auf als die anderen Betriebsarten. Mobbingund Stressbewältigung nahmen mit 34 % gemeinsam eindeutig den ersten Platz ein. In Kommunen und Kreisen sowie bei den anderen Mitgliedsbetrieben standen hingegen Suchtprävention und Bewegungsangebote im Vordergrund. Mitgliedsbetriebe Maßnahmen: Anteil der Betriebe Betriebe unter 150 Beschäftigte Bewegungsprogramme: 23 % Betriebe zwischen 150 und 399 Beschäftigten Bewegungsprogramme: Stressbewältigung: 22 % 22 % Betriebe mit 400 und mehr Beschäftigten Suchtprävention: Bewegungsprogramme: Stressbewältigung: Mobbingbewältigung: Entspannungsprogramme: 62 % 57 % 46 % 38 % 35 % Landesdienststellen Mobbingbewältigung: Stressbewältigung: 34 % 34 % Kommunen und Kreise Suchtprävention: Bewegungsprogramme: 29 % 29 % Andere Betriebe (Krankenhäuser, Sparkassen usw.) Bewegungsprogramme: Suchtprävention: 39 % 36 % Abbildung 47: Inhaltliche Schwerpunkte der Gesundheitsförderungsmaßnahmen in Mitgliedsbetrieben 2004. 67 KAPITEL VII · MASSNAHMEN DER GESUNDHEITSFÖRDERUNG Kooperationen bei Gesundheitsförderungsmaßnahmen In der Regel werden Gesundheitsförderungsmaßnahmen mit Unterstützung von außen durchgeführt. Die Krankenkassen waren in der Vergangenheit die aktivsten Partner der Betriebe auf diesem Gebiet. Inzwischen gibt es darüber hinaus viele weitere Fachleute für Gesundheitsförderung und für Gesundheitsmanagement, die sich privatwirtschaftlich betätigen und beauftragt werden können. Sowohl die Zusammenarbeit mit diesen Partnern als auch die Gewährleistung einer hohen Beteiligung der Mitarbeiter stellt besondere Anforderungen an die Betriebe. Die großen gesetzlichen Krankenkassen geben Empfehlungen zu Qualifikationsanforderungen, die an die Leitung von Gesundheitsförderungsmaßnahmen gestellt und an die fachlichen Konzepten angelegt werden sollen. Vielfach verfügen Krankenkassen über einen Pool von geeigneten Fachkräften, die sie an Betriebe vermitteln. Es liegt daher nahe, eine Krankenkasse anzusprechen, die einen größeren Teil der Beschäftigten im Betrieb versichert. Eine Verständigung im Vorfeld kann für die Finanzierung von Gesundheitsförderungsmaßnahmen von erheblicher Bedeutung sein. Die Krankenkassen können betriebliche Maßnahmen bezuschussen, sind allerdings selbst gehalten, bestimmte Qualitätsanforderungen an das Konzept und die Durchführung einer Maßnahme zu stellen. Zwar sind die Beschäftigten nicht alle bei einer einzigen Krankenkasse versichert, doch in der Regel akzeptieren die gesetzlichen Krankenkassen die von einem anderen 68 Versicherer mitorganisierten oder geprüften Maßnahmen. Private Krankenversicherungen beteiligen sich bisher in der Regel nicht an den Kosten von Gesundheitsförderungsmaßnahmen. Der betriebliche Kostenaufwand kann gesenkt werden, indem eine Mitfinanzierung der Krankenkassen vereinbart oder zumindest im Vorfeld abgestimmt wird. Pauschale Kostenübernahmen sind ebenso Praxis wie individuelle Kostenerstattungen an die versicherten Mitarbeiter. Die zuletzt genannte Verfahrensweise ist vor allem in Betrieben üblich, in denen die Mitgliedschaft über viele Krankenkassen gestreut ist. Eine andere Form der Kostenübernahme kann die kostenlose Bereitstellung von Kursleitern für den Einsatz im Betrieb sein. VIII Inanspruchnahme von Gesundheitsförderungsmaßnahmen Betriebe gehen, wie andere Anbieter von Gesundheitsförderungsmaßnahmen auch, häufig zunächst davon aus, dass wohl gemeinte Angebote für sich selbst sprechen und entsprechend gerne in Anspruch genommen werden. Die Erfahrungen verweisen auf eine andere Realität. Vier wichtige Einflussfaktoren auf die Inanspruchnahme sind bekannt (Abbildung 48): Zeit und Ort der Gesundheitsförderungsmaßnahmen Vorbildung der Beschäftigten und vermittelnde Aktivitäten Verbindlichkeit von Gesundheitsförderungsmaßnahmen Kosten der Teilnehmer an Gesundheitsförderungsmaßnahmen Zeit und Ort Vorbildung Inanspruchnahme Verbindlichkeit Kosten Abbildung 48: Einflussfaktoren auf die Inanspruchnahme von Gesundheitsförderungsmaßnahmen. Kosten der Teilnehmer an Gesundheitsförderungsmaßnahmen Die Finanzierung ist nicht nur eine Frage des betrieblichen Aufwands, sondern wirkt sich auf die Inanspruchnahme angebotener Maßnahmen aus. Mit kostenfreien Gesundheitsförderungsmaßnahmen wird die Schwelle für die Teilnahme der Beschäftigten gesenkt. Allerdings zieht die damit einher gehende Unverbindlichkeit der Teilnahme auch eine höhere Abbrecherrate bei solchen Maßnahmen nach sich, die sich über einen längeren Zeitraum mit mehreren Treffen erstrecken. Außerhalb der Betriebe sind Modelle mit einer Kostenbeteiligung der Teilnehmer erfolgreich. Als Motivationsmodell für die Teilnehmer hat sich die Eigenbeteiligung mit Erstattungsmöglichkeit im Erfolgsfall erwiesen. Dabei bezahlen Teilnehmer zunächst einen gewissen Beitrag, der nicht kostendeckend sein muss und erhalten diesen nach Abschluss der Gesundheitsförderungsmaßnahme wieder zurück, wenn sie eine Mindestteilnahme nachweisen. Auch von Betrieben wird dieses zuletzt genannte Modell in unterschiedlichen Varianten praktiziert, mit selbst organisierten Maßnahmen ebenso wie mit Maßnahmen von Fremdanbietern im betrieblichen Umfeld. Zeit und Ort von Gesundheitsförderungsmaßnahmen Zeitliche Regelungen bei der Durchführung können die Akzeptanz der Gesundheitsförderungsmaßnahmen erheblich beeinflussen. Hierzu gibt es sehr unterschiedliche Modelle (Abbildung 49). Die Durchführung kann vollständig in die Arbeitszeit gelegt werden, aber auch völlig davon getrennt sein. In die Entscheidung darüber fließen einerseits Kostenüberlegungen, andererseits Anforderungen der Betriebsorganisation ein, weshalb hierzu keine generelle Empfehlung gegeben werden kann. Grundsätzlich sollten Gesundheitsförderungsmaß69 KAPITEL VIII · INANSPRUCHNAHME VON GESUNDHEITSFÖRDERUNGSMASSNAHMEN bezahlte Zeit außerhalb der Arbeitszeit, aber bezahlt Freizeit während der Arbeitszeit Kombination Arbeitszeit 50 : 50 außerhalb der Arbeitszeit und unbezahlt unbezahlte Freistellung unbezahlt Abbildung 49: Modelle zur Durchführung von betrieblichen Gesundheitsförderungsmaßnahmen. nahmen, die sehr eng an Tätigkeiten oder an den Arbeitsplatz gebunden sind, als Bestandteil der Arbeit angesehen und bezahlt werden. Eine Klärung ist im Vorfeld mit dem Betriebs- oder Personalrat herbeizuführen. Die Nähe zum Betrieb kann jedoch eine unterschiedliche Wirkung auf die Inanspruchnahme durch die Beschäftigten haben. Es ist bekannt und für die Gesundheitsförderung von großem Nutzen, dass über länger dauernde Gesundheitsförderungsmaßnahmen auch soziale Beziehungen unter den Teilnehmern geknüpft beziehungsweise intensiviert werden. Gruppenangebote erhöhen bei den meisten Beschäftigten die Stabilität der Teilnahme, weil sich die sozialen Kontakte vertiefen. Insbesondere im Hinblick auf die Beibehaltung eines bewegungsfreudigeren Lebensstils sind diese bei der Überleitung in weiterführende Angebote wie Betriebs- oder Vereinssportgruppen Ausschlag gebend. Die positive Wirkung der innerbetrieblichen Gruppenbildung trifft jedoch nur auf Gesundheitsthemen zu, von denen im betrieblichen Rahmen keine Nachteile erwartet werden. Bei psychosozialen Themen wie auch bei Angeboten zu bestimmten Erkrankungen erleichtert eine größere soziale Distanz die Ansprache von Problemen und Befürchtungen. Ein erfolgreiches Lehrbei- 70 spiel hierfür sind die Anonymous-Gruppen für Suchtprobleme. Je stärker die erwarteten Themenstellungen in den persönlichen Bereich der Teilnehmer gehen, um so eher empfiehlt sich die Vermittlung und Förderung externer Gesundheitsförderungsmaßnahmen. Die Zusammenarbeit mit Beratungsstellen, Selbsthilfegruppen, Sportvereinen und Fitnesseinrichtungen bietet sich als Alternative an. Für kleinere Betriebe ist dies aus rein organisatorischen Gründen eine wichtige Option. Vorbildung und Vermittlung von Gesundheitsförderungsmaßnahmen Hauptsächlich nehmen solche Beschäftigte Gesundheitsförderungsmaßnahmen von sich aus in Anspruch, bei denen bereits eine Gesundheitsorientierung ausgeprägt ist. Vor allem die Überzeugung, dass das eigene Verhalten günstig auf die Gesundheit wirken kann, erleichtert es, aktiv zu werden. Nach allen wissenschaftlichen Erkenntnissen wird diese Haltung sehr stark vom Vorwissen der Betroffenen und vom Zugang zu fachlichem Wissen beeinflusst, ist also bildungsabhängig. Auf Grund ihrer bisherigen Lebenserfahrung ist das Verhältnis der Beschäftigten zu Themen und Methoden der Gesundheitsförderung unterschiedlich ausgeprägt. Daraus KAPITEL VIII · INANSPRUCHNAHME VON GESUNDHEITSFÖRDERUNGSMASSNAHMEN können Anknüpfungspunkte, aber auch Hindernisse und Widerstände entstehen. Einige Beispiele sollen diesen Aspekt veranschaulichen: kann zum Lebensprinzip werden, neue Kenntnisse können die Neugier wecken und für Gesundheitszwecke kanalisiert werden. Bewegungsmangel oder falsche Belastungen des Bewegungsapparats gehören zu den wichtigsten Krankheitsursachen, die zur Arbeitsunfähigkeit führen. Die meisten Tätigkeiten verlangen immer weniger körperlichen Kraftaufwand und unterfordern die Muskulatur und den Kreislauf gleichermaßen. Trainingseffekte fehlen den meisten Beschäftigten in ihrem beruflichen Alltag. Ein Verständnis für diesen Zusammenhang kann bei ehemaligen Sportlern leichter geweckt werden als bei sportfernen Gruppen. Ebenso kann die Bereitschaft, in ein Bewegungs- oder Sportprogramm einzusteigen, bei Sporterfahrenen leichter wieder aktiviert werden. Auf große Vorbehalte können psychologische Methoden der Gesundheitsförderung im Betrieb treffen. Falsche Bilder von psychologischem Wissen, insbesondere die Verwechslung psychologischer Analysen mit Bloßstellen und der Verhaltensänderungen mit Manipulation, erschweren bereits den Kontakt zu Psychologen und zu Angeboten, die Probleme auf der emotionalen Ebene ansprechen. Es ist zu beobachten, dass Beschäftigte, die in ihrer Aus- und Fortbildung mit pädagogischen oder psychologischen Kenntnissen in Berührung kamen, eine größere Offenheit für den psychosozialen Themenkreis aufweisen als andere. Hinzu kommen Unterschiede in der persönlichen Lern- und Veränderungsbereitschaft. Immer wieder wird belegt, dass Teilnehmer an Gesundheitsförderungsmaßnahmen deutlich höhere Bildungsabschlüsse vorweisen als der Durchschnitt der Bevölkerung. Lernen Diese oft bestätigten Erfahrungen schließen nicht aus, dass auch andere Gruppen mit der Gesundheitsförderung erreicht werden können. Dafür sind jedoch andere und zumeist auch weitere Wege zu gehen. So haben Krankenkassen über ihre Zusammenarbeit mit den Hausärzten deutlich mehr Personen aus Arbeiterfamilien in ihre Ernährungsberatung bekommen als vorher. Um sportferne Personen für Gesundheitsförderungsmaßnahmen zu aktivieren, müssen zusätzliche Motive genutzt werden. Das Gesundheitsmotiv ist dabei nicht zu unterschätzen. Um dieses zur Wirkung zu bringen, hat es sich bewährt, Aufklärung mit individuellen ärztlichen Einschätzungen zu kombinieren. Auf der Basis von einfachen Checkups (Blutdruck, Cholesterin usw.) können in der Gesundheitsberatung persönliche Gesundheitsziele formuliert und mittels Wiederholungsmessungen erfolgreiche Wirkungsmechanismen aufgezeigt werden. Solche Zwischenschritte zur Gewinnung neuer Zielgruppen lassen sich durch bloße Aufforderungen zur Teilnahme in der Regel nicht ersetzen. Für die betriebliche Gesundheitsförderung kann die arbeitsmedizinische Infrastruktur ebenfalls genutzt werden, um für entsprechende Angebote zu werben. Leider werden Ergebnisse der arbeitsmedizinischen Vorsorgeuntersuchungen noch viel zu wenig genutzt, um den Bedarf an gesundheitsfördernden Maßnahmen zu begründen. Betriebsärzte nutzen ihre Rolle als Berater für Beschäftigte und Arbeitgeber noch zu selten zur Empfehlung konkreter gesundheitsfördernder Maßnahmen. Dies trifft insbesondere auf die überbetrieblichen Dienste zu. 71 KAPITEL VIII · INANSPRUCHNAHME VON GESUNDHEITSFÖRDERUNGSMASSNAHMEN Darüber hinaus besteht gerade in Betrieben jedoch eine Chance zur Motivierung, die freien Angeboten zumeist fehlt. Wenn zwischen Arbeitsanforderungen und Gesundheitsförderungsmaßnahmen ein enger Zusammenhang hergestellt werden kann, lässt sich die Ansprache der Mitarbeiter viel direkter und überzeugender gestalten. Statt drohender Krankheiten können die Fitness für einen bestimmten Job oder die Erhaltung der Leistungsfähigkeit bei der Motivierung in den Vordergrund rücken. Der Nutzen wird anschaulich und naheliegend. Dies erfordert jedoch ein tiefergehendes Verständnis für die körperliche, emotionale oder geistige Über- oder Unterforderung am Arbeitsplatz bei den Führungskräften. Deren Schulung zu angemessenen Leistungsanforderungen und zur gesundheitsverträglichen Arbeitsgestaltung sowie die gezielte Kommunikation mit den Mitarbeitern stehen in den meisten Betrieben noch aus. Verbindlichkeit von Gesundheitsförderungsmaßnahmen An die Steuerung von Gesundheitsförderungsmaßnahmen anknüpfend stellt sich eine weitere Frage, die man in der Fachliteratur zur Gesundheitsförderung gegen- 72 wärtig vergeblich suchen wird, nämlich die der Pflichtteilnahme. In Gesundheitsförderungsmaßnahmen gilt bezüglich der Teilnahme derzeit der Grundsatz der Freiwilligkeit. Gesundheitsförderung wird angeboten, aber nicht vorgegeben. Unter bestimmten Umständen verliert dieser Grundsatz jedoch seine Berechtigung. Wenn beispielsweise Techniken gelernt werden sollen, die unmittelbar in die betriebliche Tätigkeit einfließen sollen, so kann die Verpflichtung zur Teilnahme zweckmäßig sein. Allerdings sind diese Gesundheitsförderungsmaßnahmen dann auch wie andere betrieblich veranlasste Schulungsmaßnahmen als Teil der Arbeit zu behandeln. Ein Beispiel ist das Erlernen von Hebe- und Tragetechniken für Beschäftigte, die schwere Lasten handhaben müssen und dabei nicht völlig durch technische Hilfsmittel entlastet werden können. Ein weiteres Beispiel sind psychologische Techniken zur Bewältigung von Konfliktsituationen bei Beschäftigten, die eine schwierige Klientel beraten. Insbesondere, wenn die vermittelten Techniken in der Gruppe anzuwenden sind, passt die Freiwilligkeit nicht mehr ins Bild, weil die abweichende Ausführung zu Mehrbelastung oder gar zur direkten Gefährdung der anderen beteiligten Kollegen führen kann. IX Dienstvereinbarungen und andere Regelungen für Arbeits- und Gesundheitsschutz und Gesundheitsförderung Formelle Regelungen sind ein Indikator für die Strukturierung und Nachhaltigkeit betrieblicher Aktivitäten. Dies gilt auch für den Arbeits- und Gesundheitsschutz. Im Arbeitsschutz dienen sie darüber hinaus als Nachweis, dass die Umsetzung bestimmter Aufgaben organisiert ist. Dienstanweisungen und Dienstvereinbarungen werden dafür genutzt. Die Einhaltung von Dienstvereinbarungen wird − anders als bei Dienstanweisungen − in der Regel von zwei Seiten kontrolliert, von der obersten Leitung und vom Betriebs- oder Personalrat. Formelle Regelungen haben im Arbeitsschutz eine rechtliche und eine praktische Relevanz. Zu den Organisationspflichten im Arbeitsschutz gehört neben der Festlegung von Zuständigkeiten auch die Vorgabe von Verfahrensweisen. Insbesondere bei drei Arten von Prozessen bringen solche Vorgaben klare Vorteile mit sich. Zum ersten gilt dies für Prozesse, an denen mehrere Unternehmensbereiche möglichst reibungsfrei und abgestimmt kooperieren müssen. Zum zweiten ist mit formellen Regelungen ein Vorteil gegeben, wenn homogene Abläufe in verschiedenen Bereichen gewährleistet werden sollen, weil eine Nachweispflicht gegenüber externen Kontrollinstanzen be- steht. Zum dritten lässt sich die Einbindung der Stabsfunktionen im Arbeitsschutz in Linienentscheidungen durchsetzen. Schriftliche Regelungen für betriebliche Abläufe schaffen Verbindlichkeit und Transparenz. Formell handelt es sich um offizielle Dienstanweisungen, Verfügungen oder Anordnungen der obersten Leitung. Auch Dienstanweisungen werden zunehmend genutzt, um die Freiräume, die der Gesetzgeber lässt, betrieblicherseits einvernehmlich zu regeln. Entsprechende formelle Regelungen sind insbesondere für nachfolgend aufgelistete Prozesse zu empfehlen: Beurteilung der Arbeitsbedingungen Beschaffung sicherheits- und gesundheitsrelevanter Arbeitsmittel Erfassung und Prüfung elektrischer Betriebsmittel sowie Prüfungen nach UVVen Planung und Durchführung baulicher Maßnahmen Verfahrensweise im Umgang mit gesundheitsgefährlichen Stoffen Festlegung neuer Arbeitsverfahren einschließlich neuer Organisationsabläufe Bedarfsfeststellung und Organisation arbeitsmedizinischer Untersuchungen. 73 KAPITEL IX · DIENSTVEREINBARUNGEN UND ANDERE REGELUNGEN Alle Betriebe 400 und mehr Beschäftigte 150-399 Beschäftigte Unter 150 Beschäftigte Landesdienststellen Kommunen und Kreise Andere Betriebe 0% 20 % 40 % 2004 60 % 80 % 100 % 1999 Abbildung 50: Mitgliedsbetriebe mit formellen Regelungen zur betrieblichen Gesundheitsförderung. In der Umfrage wurden zwei Fragen zu vorhandenen formellen Regelungen gestellt. Mit der ersten sollten bestehende Dienstvereinbarungen erfasst werden, mit der zweiten weitere Regelungen zu Sicherheit und Gesundheitsschutz. Diese beiden Frageninhalte überschnitten sich im Verständnis der Befragten. Deshalb wurden die Antworten auf beide Fragen zusammengefasst ausgewertet. 1999 hatte jeder dritte Mitgliedsbetrieb mindestens eine formelle Regelung getroffen, die den Arbeits- und Gesundheitsschutz oder die Gesundheitsförderung betraf (Abbildung 50). 2004 galt dies bereits für mehr 74 als die Hälfte aller befragten Betriebe. Je mehr Beschäftigte die Betriebe hatten, um so häufiger bestanden 2004 entsprechende Dienstvereinbarungen oder Regelungen. Die 1999 vorhandenen Unterschiede zwischen Landesdienststellen, Kommunen und Kreisen sowie den anderen Mitgliedsbetrieben nivellierten sich fast ganz. Die frei formulierten Themen beschreiben die Inhalte vermutlich nicht immer eindeutig. Doch die nachfolgende Zusammenstellung von 2004 lässt erkennen, dass es sich um sehr unterschiedliche Vereinbarungen und Regelungen handelte. Mehrfachnennungen waren bei der Beantwortung möglich. KAPITEL IX · DIENSTVEREINBARUNGEN UND ANDERE REGELUNGEN Inhalte der Regelungen und Vereinbarungen zu Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit 21 x 17 x 15 x 9x 6x 5x 4x 3x 3x 3x 3x 3x 2x 1 x 1 x 1 x 1 x 1 x Sucht bzw. Suchtprävention Bildschirmarbeit Arbeitsmedizinische Vorsorgeuntersuchungen Nichtraucherschutz Arbeits-, Schutzkleidung, Schutzausrüstung Arbeitsschutz, Sicherheit, Sicherheitstechnik Impfungen Erste Hilfe Gesundheitsmanagement, Gesundheitsförderung Umgang mit Arbeitsunfällen Rückenschule Mobbing Arbeitsplatzgestaltung, Ergonomie Gefährdungsbeurteilung Betriebssport Krankenrückkehrgespräche Sonderurlaub nach Gefährdung Umgang mit Gefahrstoffen Jeder sechste Betrieb hatte eine Regelung zum Thema Sucht. Das waren mehr als die Hälfte derjenigen, die auf diesem Feld Aktivitäten angaben. Regelungen zur Bildschirmarbeit und zur arbeitsmedizinischen Vorsorge lagen auf Rang 2 und 3. Insgesamt hatten die Themen der betrieblichen Gesundheitsförderung keinen herausragenden Stellenwert. Dies kann zwei Gründe haben. Zum einen konnte das Interesse an diesem Themenfeld gering sein. Dies widerlegten die bisher aufgeführten Ergebnisse, nach denen die betriebliche Gesundheitsförderung 2004 keine Randerscheinung mehr war. Zum anderen konnte das Interesse an formellen Regelungen gering sein. Damit bleibt offen, wie verbindlich Gesundheitsförderungsmaßnahmen durchgeführt wurden und welche Mitarbeiterkreise sie einbezogen, welchen Stellenwert sie letzten Endes für die Betriebe besaßen. 75 X Infrastruktur der Gesundheitsförderung Um eine Nachhaltigkeit im betrieblichen Arbeitsschutz zu erzielen, wurden Vorschriften und Kontrollinstanzen wie die Aufsichtsdienste der Unfallversicherungsträger geschaffen. Für die betriebliche Gesundheitsförderung trifft weder das eine noch das andere zu. Sie hat sich seit den 1980er Jahren parallel zum Arbeitsschutz entwickelt. Da sie als Baustein des Personalmanagements in die Betriebe getragen wurde, kam sie häufig erst sehr spät mit dem innerbetrieblichen Arbeitsschutz in Berührung. Ausnahmen bildeten Großbetriebe mit eigenem betriebsärztlichem Dienst. Die innerbetrieblichen Projektleiter gehörten meistens dem Personalwesen an. Insofern war es nur konsequent, dass für die betriebliche Gesundheitsförderung eigene Projektstrukturen und Abläufe entwickelt wurden. Nur wenn in den Betrieben selbst eine Infrastruktur vorhanden ist, die Analysen, Planung und Umsetzung der Gesundheitsförderung steuert, kann deren Nachhaltigkeit gesichert werden. Eingebürgert hat sich für das Steuergremium in vielen Betrieben die Bezeichnung „Arbeitskreis Gesundheit“. Diese entstand auf Anregung von gesetzlichen Krankenkassen. Obwohl das ArbSchG die Aufgaben der gesetzlichen Unfallversicherung und der Unternehmen seit 1996 um die arbeitsbedingten Gesundheitsgefahren erweiterte, verblieb die Gesundheitsförderung in den meisten Betrieben beim Personalwesen. Zunehmend kommt es jedoch zu Kooperationen mit dem Arbeitsschutzausschuss, insbesondere wenn Maßnahmen zur Gestaltung der Arbeitsbedingungen anstehen. Persönliche Bindeglieder zwischen beiden Gremien sind 76 häufig Betriebs- oder Personalräte, die in beiden vertreten sein müssen. Der Arbeitsschutzausschuss kann auf eine weit längere Geschichte zurückblicken als die betriebliche Gesundheitsförderung. Seine Eignung als Steuergremium für die betriebliche Gesundheitsförderung ist nicht grundsätzlich in Frage zu stellen. Wichtige Partner für die betriebliche Gesundheitsförderung sind im Arbeitsschutzausschuss vertreten, der Personalbereich kann zusätzlich einbezogen werden. Die Hürden liegen eher in der inhaltlichen Konzentration vieler Arbeitsschutzausschüsse auf Gefahren der Technik oder der Arbeitsstoffe. Der im Arbeitssicherheitsgesetz vorgeschriebene, mindestens vierteljährliche Sitzungsrhythmus wird gerade im letztgenannten Fall als zu häufig angesehen. Dies rührt daher, dass ohne eine Strategie auf Seiten des Unternehmens und bei einer völlig autonomen, selbst gesteuerten Arbeitsweise der Arbeitsschutzexperten die Steuerungsfunktion des Arbeitsschutzausschusses gering bleibt. Er dient dann vorwiegend der Klärung punktueller Fragen und weniger der Planung und der Überprüfung von Vorgehensweisen. Die ausgeführten Bedingungen, die den Stellenwert des Arbeitsschutzausschusses vermindern, sind jedoch veränderbar, vor allem, wenn die Unternehmensleitung größeren Wert auf eine zielorientierte Ausrichtung von Arbeitsschutz und Gesundheitsförderung legt. Werden zwei separate Steuerungsgremien für den Arbeitsschutz und die betriebliche Gesundheitsförderung gebildet, so kommen diese nicht umhin, sich wechselseitig KAPITEL X · INFRASTRUKTUR DER GESUNDHEITSFÖRDERUNG Alle Betriebe 400 und mehr Beschäftigte 150-399 Beschäftigte Unter 150 Beschäftigte Landesdienststellen Kommunen und Kreise Andere Betriebe 0% 20 % 40 % 2004 60 % 80 % 100 % 1999 Abbildung 51: Mitgliedsbetriebe mit einem Steuerungsgremium für die Gesundheitsförderung. über Ziele und Vorgehensweisen zu verständigen. Zum einen wird es immer wieder zu inhaltlichen Überschneidungen kommen, zum anderen sollen die Erkenntnisse und Methoden aus der Gesundheitsförderung für die Erfüllung des erweiterten Arbeitsschutzauftrags der Unternehmen nutzbar gemacht werden (siehe Kapitel 8). Statt zweier getrennter Gremien wäre auch eine deutliche Differenzierung bei den Inhalten des Arbeitsschutzausschusses denkbar, die Raum für eine innovative Orientierung schaffen hilft. Die erweiterte Themenpalette und die neuen Methoden zur Erfassung und Verhütung arbeitsbedingter Gesundheitsgefahren können zusätzlich zu den klassischen Inhalten als eigenständiger Themenbereich abgearbeitet werden. So wird das Neuartige betont, ohne den bewährten Arbeitsschutz in Frage zu stellen. Die Frage, ob für die Aktivitäten zur Gesundheitsförderung ein Steuerungsgremium im Betrieb bestand, bejahte 2004 nur ein knappes Fünftel der Mitgliedsbetriebe. 1999 waren es noch etwas weniger (Abbildung 51). Dieses Ergebnis entsprach nicht einmal der Hälfte jener Betriebe, die angaben, Gesundheitsförderungsmaßnahmen durchzuführen. 30 % der größeren Betriebe hatten sowohl 1999 als auch 2004 ein Steuerungsgremium gebildet, die mittleren nur halb so oft und die kleineren noch seltener. Eine Überprüfung zeigte, dass 7 % der Mitgliedsbetriebe 1999 auf ein solches Gremium verwiesen, 2004 aber keines mehr besaßen, wobei die meisten auch keine Gesundheitsförderungsmaßnahmen mehr durchführten. Die verschiedenen Betriebsarten unterschieden sich 2004 hingegen nur noch wenig, weil die Landesdienststellen im 5-Jahres-Zeitraum aufgeholt hatten. 77 KAPITEL X · INFRASTRUKTUR DER GESUNDHEITSFÖRDERUNG Alle Betriebe 400 und mehr Beschäftigte 150-399 Beschäftigte Unter 150 Beschäftigte Landesdienststellen Kommunen und Kreise Andere Betriebe 0% 20 % 40 % 2004 60 % 80 % 100 % 1999 Abbildung 52: Mitgliedsbetriebe, die den Arbeitsschutzausschuss in Gesundheitsförderung einbinden. Der Arbeitsschutzausschuss war 2004 in einem knappen Drittel der Mitgliedsbetriebe bei den Maßnahmen eingebunden (Abbildung 52). Somit spielte er durchaus eine eindeutige Rolle. Dass dies in größeren Betrieben häufiger der Fall war als in mittleren und kleineren, war nach den bereits vorgestellten Ergebnissen zu erwarten. Auffallend ist hingegen die geringe Bedeutung, die dem Arbeitsschutzausschuss bei den Landesdienststellen eingeräumt wurde, während Betriebe wie die Krankenhäuser, Sparkassen und andere diesen Ausschuss deutlich stärker nutzten. In manchen Betrieben werden Maßnahmen ohne Steuerung durch ein besonderes Gremium durchgeführt. Initiatoren sind gelegentlich einzelne innovative Unternehmensbereiche oder 78 Fachabteilungen, in anderen Fällen der Personalbereich, der Betriebs- oder Personalrat oder auch engagierte Einzelpersonen. Nicht immer münden deren Initiativen in eine Projektstruktur. Selbst wenn sie im Betrieb aktiv aufgegriffen werden, bleibt es in vielen Fällen bei isolierten, zeitlich limitierten Sonderaktivitäten. Gesundheitszirkel Mit der Einrichtung von Gesundheitszirkeln wird eine temporäre Infrastruktur installiert. Als organisierte Problemlösegruppen sind sie jedoch ein guter Indikator für eine aktive Einbeziehung der Mitarbeiter in die Analyse und Lösung arbeitsbezogener Probleme mit Relevanz für Gesundheit und Sicherheit. Ihr KAPITEL X · INFRASTRUKTUR DER GESUNDHEITSFÖRDERUNG Einsatz ist somit eine Gewähr für eine gewisse Verbindlichkeit von Gesundheitsförderungsaktivitäten. Die Durchführung von Gesundheitszirkeln erfordert einige Abstimmungsprozesse und stellt auch organisatorische Anforderungen an den Betrieb. Je besser Gesundheitszirkel vorbereitet werden, umso größer ist die Chance, dass der damit verbundene Aufwand auch Erfolge zeitigt. Die UKH erreichen immer wieder Anfragen, weil einzelne engagierte Personen in ihrem Betrieb Gesundheitszirkel initiieren wollen. Doch nur eine im Betrieb abgestimmte Vorgehensweise stellt sicher, dass im Ergebnis nicht Frustration, sondern Verbesserungen erzielt werden. An erster Stelle steht die Abstimmung mit den Verantwortlichen im Betrieb. Nur wenn diese sich deutlich hinter die Ziele und die Durchführung stellen, haben Verbesserungsideen eine ausreichende Chance auf Realisierung. Der Umgang mit den Ideen der Beschäftigten muss im Vorfeld geklärt werden: Welchen Stellenwert haben die Verbesserungsvorschläge und wie sieht gegebenenfalls ihre Behandlung in einem betrieblichen Vorschlagswesen aus? Außerdem muss die Vorgehensweise bei auftretenden Meinungsverschiedenheiten oder Konflikten abgestimmt werden. Unter der Bezeichnung Gesundheitszirkel firmieren zwei Organisationsmodelle mit unterschiedlicher Zusammensetzung. Im Modell der homogenen Zirkel sind zunächst ausschließlich Beschäftigte vertreten, während Führungskräfte nur an ausgewählten Sitzungen im späteren Verlauf oder überhaupt nicht beteiligt werden. Im zweiten Modell werden die Führungskräfte generell beteiligt, wobei die Moderation in externer Hand verbleibt. Betriebs- oder Personalräte sind üblicherweise in beiden Modellen aktiv beteiligt. Beide Modelle haben unterschiedliche Vorzüge, die bei der Vorgehensweise zu beachten sind. In homogenen Gesundheitszirkeln fallen Mitarbeitern, die in strukturierter Kommunikation wenig geübt sind, freimütige Meinungsäußerungen leichter. Die Eingangshürde ist somit niedriger. Erfahrungsgemäß fällt dem Moderator in diesen Zirkeln jedoch die Aufgabe zu, aus unpräzisen, emotional gefärbten und häufig pauschalierten Äußerungen gemeinsam mit der Gruppe zunächst eine differenzierte, sachbezogene Problembeschreibung zu entwickeln. Bei der Ausarbeitung von Verbesserungsideen ist die Gruppe auf das bereits vorhandene Wissen angewiesen, denn Informationslücken können nicht ausgefüllt werden. Die Einbindung der Führungskraft zu einem späteren Zeitpunkt oder die Bekanntgabe der fertigen Ergebnisse kann leichter zur Konfrontation unterschiedlicher Vorstellungen führen und die weitere Klärung erschweren. Regelmäßige, begleitende Gespräche zwischen Moderation und Führungskraft über die Vorgehensweise und Zwischenergebnisse können einen solchen Konflikt verhindern und die spätere Einbindung vorbereiten. Das Modell der Einbindung der Führungskraft von Anfang an erschwert freie Meinungsäußerungen der Beschäftigten. Andererseits wird ein gemeinsamer Lernprozess über die Problemanalyse und entsprechende Bearbeitungsmethoden in Gang gesetzt, der nach der Zirkellaufzeit seine Fortsetzung finden kann. Die Führungskraft muss sich in den ersten Sitzungen auf eine neue Rolle einlassen, nämlich die des Zuhörers, der nur Fragen zum Verständnis stellt. Bei Bedarf übernimmt die Führungskraft auch die Rolle des Informanten mit weiterreichenden betrieblichen oder fachlichen Kenntnissen. 79 KAPITEL X · INFRASTRUKTUR DER GESUNDHEITSFÖRDERUNG Moderator/in 5-6 Mitarbeiter/innen, davon 1 Betriebsrats- bzw. Personalratsmitglied (B) Führungskraft, zumindest bei der Diskussion der Verbesserungsideen Sachverständige bei Bedarf B Abbildung 53: Zusammensetzung von Gesundheitszirkeln. Wichtig ist, dass die Themenbearbeitung im Zirkel verbleibt und nicht selbstständig außerhalb fortgesetzt wird. Andererseits darf keine Geheimhaltung praktiziert werden, da Ideen aus dem Umfeld ebenfalls willkommen sind. Dies ist in den Gesprächsregeln zu vereinbaren, die zu Beginn der Zirkelarbeit festgelegt werden. Da in den Gesundheitszirkel in den meisten Fällen nur ein Teil der Beschäftigten eingebunden werden kann, empfiehlt es sich, die Beteiligten wählen zu lassen, um den Vertretungscharakter zu betonen. Dies geschieht am besten in der Informationsveranstaltung über die Gesundheitszirkel. Mindestens ein Mitglied des Betriebs- oder Personalrats soll an den Zirkelsitzungen teilnehmen. Freiwillige Meldungen mögen zu einer engagierteren Gruppe führen. Doch für die Akzeptanz der Ergebnisse kommt es darauf an, dass eine Vertrauensbasis zwischen Verantwortlichen und Zirkelteilnehmern wie auch zwischen diesen und ihren Kollegen entsteht. Ein Abstimmungsverfahren über 80 die Zusammensetzung des Zirkels verhilft den Teilnehmern zu größerer Beachtung. Sie repräsentieren ihren Arbeitsbereich und fühlen sich aufgefordert, ihre Kritik und ihre Ideen im Kollegenkreis zu besprechen. Üblich ist die externe Moderation von Gesundheitszirkeln, wodurch dem Betrieb Kosten entstehen. Deren Aufgabe ist die in der Sache neutrale Gesprächsleitung, die sich darauf konzentriert, Themen zu strukturieren, Kritikpunkte mit der Gruppe so aufzubereiten, dass sie bearbeitbar werden. Bei der Ausarbeitung von Lösungen hat die Moderation die Aufgabe, vorschnelle Einschränkungen oder Festlegungen − die so genannte Betriebsblindheit − zu vermeiden und die Ideenfindung zu fördern. Eine weitere wichtige Aufgabe besteht in der Dokumentation des Ablaufs und der Ergebnisse, meist in Form von Protokollen und Bearbeitungslisten für die vereinbarten Lösungen. Je nach Fragestellung oder Lösungsoption kann es zweckmäßig sein, Sachkundige an KAPITEL X · INFRASTRUKTUR DER GESUNDHEITSFÖRDERUNG einzelnen Sitzungen des Gesundheitszirkels zu beteiligen. Dies kann beispielsweise der Betriebsarzt sein, der medizinische Zusammenhänge aufzeigt und erklärt. Bei Verbesserungen von Schutzmaßnahmen kann die Fachkraft für Arbeitssicherheit Hilfestellung geben. Bei organisatorischen Verbesserungen erleichtert die Einbindung von Personen an Schnittstellen die Vereinbarung neuer Abläufe. Analyse und Verbesserung sind in der Regel gemeinsame Bestandteile eines Gesundheitszirkels. Dieser eignet sich insbesondere für die Aufarbeitung von Erkenntnissen aus anderen Quellen wie Gesundheitsberichten oder Mitarbeiterbefragungen. Der Gesundheitszirkel kann die erkannten Belastungsschwerpunkte sowie den Umgang damit genauer analysieren. Insofern kann der Themenrahmen für Gesundheitszirkel sehr weit gespannt sein. Ungeeignet sind Diskussionen über tarifliche Themen wie die Entgeltgestaltung. Über gesundheitsbezogene Fragestellungen hinaus kann auch die persönliche Zusammenarbeit im Betrieb zum Thema werden. Entlastungseffekte durch gegenseitige Unterstützung oder Abstimmung spielen sowohl bei hohen physischen Anforderungen als auch bei psychischen Belastungen eine wichtige Rolle. Ein generalisierter Stressfaktor ist die schlechte Zusammenarbeit zwischen Mitarbeitern und ihren Führungskräften, weil daraus Ärger und Angst resultieren. In Gesundheitszirkeln wird dieses Thema in der Regel aus der Mitarbeiterperspektive bearbeitet, wobei die eigene Beteiligung der Mitarbeiter an der Konflikterhaltung oder -eskalation berücksichtigt werden muss. Die Diskussion über die Klärung und Lösung von Sachproblemen kann im Gesundheits- Analyse der Belastungsschwerpunkte aus Mitarbeitersicht + Entwicklung von Verbesserungsvorschlägen + Vermittlung von Problemlösemethoden und Gruppendiskussion Erhöhung des Verantwortungsbewusstseins bei Mitarbeitern + Anstoß zu verstärkter Mitarbeiterorientierung bei Führungskräften + Mittelfristige Reduzierung des Krankenstandes Abbildung 54: Vorgehensweise und Ziele von Gesundheitszirkeln. zirkel zu kurz greifen. Dies hängt von den Vorerfahrungen der Teilnehmer ab. In Betrieben mit eher gering strukturierter Kommunikation kann die Erörterung der Vorgehensweise ein wesentlicher Bestandteil des Gesundheitszirkels werden. Er bildet in diesem Fall den Raum für praktisches Kommunikationstraining, das ganz wesentlich zur Nachhaltigkeit des Gesundheitseffekts beitragen kann. Durch die Erhöhung der Problemlösekompetenz und mit den positiven Erfahrungen des Gesundheitszirkels im Hintergrund entwickeln sich Gesundheitszirkel-Teilnehmer häufig zu Multiplikatoren und Mediatoren für nicht beteiligte Mitarbeiter. Sie tragen auf längere Sicht dazu bei, die Kommunikation in ihrem Arbeitsbereich konstruktiver zu gestalten. 81 KAPITEL X · INFRASTRUKTUR DER GESUNDHEITSFÖRDERUNG Literatur über Erfahrungen mit Gesundheitszirkeln Gesundheitszirkel im Betrieb: Schröer A. & Sochert R., Wiesbaden, Universum, 1997 Gesundheitsbericht und Gesundheitszirkel - Evaluation eines integrierten Konzepts betrieblicher Gesundheitsförderung: Sochert R., BAuA-Schriftenreihe Fb 827, Bremerhaven, Wirtschaftsverlag NW, 1999 Betriebliche Gesundheitszirkel: Westermayer G. & Bähr B., Göttingen, Verlag für Angewandte Psychologie, 1994. Gesundheitszirkel waren 2004 noch eine eher seltene Aktionsform in den Mitgliedsbetrieben (Abbildung 55). Unter kleineren und mittleren Betrieben wurden nur einzelne ermittelt, die solche Zirkel durchgeführt hatten, bei den größeren war es jeder neunte Betrieb. Kommunen und Kreise sowie Landesdienststellen standen hierbei den anderen Mitgliedsbetrieben deutlich nach. Alle Betriebe 400 und mehr Beschäftigte 150-399 Beschäftigte Unter 150 Beschäftigte Landesdienststellen Kommunen und Kreise Andere Betriebe 0% 20 % 40 % 2004 Abbildung 55: Mitgliedsbetriebe mit Gesundheitszirkeln. 82 60 % 1999 80 % 100 % KAPITEL X · INFRASTRUKTUR DER GESUNDHEITSFÖRDERUNG Betriebliches Vorschlagswesen Viele Verbesserungen in Unternehmen können am besten aus der Kenntnis der tatsächlichen betrieblichen Abläufe entwickelt werden. Dies trifft für die sichere und gesunde Arbeitsausführung genauso wie für konkrete Arbeitsbedingungen zu. Die Erfahrungen und Ideen der Beschäftigten stellen deshalb ein großes Potenzial für Verbesserungen dar. Es kommt darauf an, diese aktiv zu kommunizieren und das entsprechende Engagement der Beschäftigten zu würdigen. Ein offizielles betriebliches Vorschlagswesen − in der Regel basierend auf einer Betriebs- oder Dienstvereinbarung − ist ein Instrument, um die Beschäftigten zur Äußerung ihrer Verbesserungsideen anzuregen. Erfahrungen aus Gesundheitsmanagementprojekten zeigen, dass präventive Vorschläge zur Sicherheit und zum Gesundheitsschutz im Vorschlagswesen nur dann eingebracht werden, wenn sie von der Unternehmensseite immer wieder ausdrücklich eingefordert werden. Auffallend hohe Zahlen sicherheits- und gesundheitsrelevanter Vorschläge nach dem Start von Gesundheitszirkeln und Gesundheitsmanagementprogrammen weisen auf einen Nachholbedarf an Verbesserungen hin. Jede Kampagne für Verbesserungsideen sorgt daher für ein höheres Sicherheitsniveau. Es sind eigene Bewertungskriterien für solche Vorschläge erforderlich, da sie meist nicht unmittelbar der Ergebnisverbesserung dienen. Da Gewinn- oder Rationalisierungseffekte oft nicht ermittelbar sind, braucht man für die Prävention andere Maßstäbe. Bewährt haben sich hier Punktesysteme, nach denen Vorschläge hinsichtlich ihrer Relevanz für Mitarbeiter und Betrieb bewertet und entsprechend belohnt werden. Die Kriterien sind vorab mit dem Betriebsoder Personalrat zu entwickeln, der auch an der Bewertung unmittelbar mitwirkt. Der Arbeitsschutzausschuss kann bei weitreichenden Vorschlägen zur Bedeutung und Umsetzung gehört werden. Alle Betriebe 400 und mehr Beschäftigte 150-399 Beschäftigte Unter 150 Beschäftigte Landesdienststellen Kommunen und Kreise Andere Betriebe 0% 20 % 40 % 60 % 80 % 100 % 2004 Abbildung 56: Mitgliedsbetriebe mit betrieblichem Vorschlagswesen. 83 KAPITEL X · INFRASTRUKTUR DER GESUNDHEITSFÖRDERUNG Die bestehende Verantwortung für Sicherheit und Gesundheit wird durch die Existenz eines Vorschlagswesens nicht abgelöst. Führungskräfte können die auf Basis der Beurteilung der Arbeitsbedingungen zu verantwortenden Schutzmaßnahmen nicht im Vorschlagswesen geltend machen. Solche Festlegungen gehören zu ihrer Aufgabe. Auch die Beseitigung akuter Gefährdungen bleibt eine Sofortmaßnahme, wobei jeder, vom Mitarbeiter bis zum Verantwortlichen, die entdeckten Mängel sofort beheben oder anzeigen muss. 84 Knapp die Hälfte der Mitgliedsbetriebe verfügte 2004 über ein betriebliches Vorschlagswesen (Abbildung 56). Die Häufigkeit wuchs mit der Betriebsgröße. Unter den kleineren Betrieben war es ein gutes Drittel, unter den größeren waren es fast zwei Drittel, die ein Vorschlagswesen institutionalisiert hatten. Die Unterschiede zwischen den Betriebsarten waren dagegen nur schwach ausgeprägt. Unter den Kommunen und Kreisen hatten lediglich 43 % ein betriebliches Vorschlagswesen installiert, während es bei Landesdienststellen und anderen Mitgliedsbetrieben 50 % waren. XI Nutzen von Arbeitsschutz- und Gesundheitsförderungsmaßnahmen Aktivitäten für Sicherheit und Gesundheitsschutz gehören in den Mitgliedsbetrieben der UKH nicht zu den Kernprozessen. Dennoch wird in den Betrieben damit der Anspruch verbunden, dass sie zum Erreichen der Unternehmensziele wenigstens einen mittelbaren Beitrag leisten. Diese Erwartung gewinnt im Zuge der Einschränkung personeller Ressourcen und finanzieller Spielräume in den Betrieben noch mehr an Bedeutung. Arbeitsschutzmaßnahmen beruhen auf rechtlichen Verpflichtungen. Sie stehen deshalb in den Betrieben nicht zur freiwilligen Disposition. Es ist jedoch zu erwarten, dass Art und Umfang der Maßnahmen durch die Einsicht und die Vorstellungen von deren Nutzen in den Betrieben erheblich beeinflusst sind. Die betriebliche Gesundheitsförderung kann bislang auf keine rechtliche Verpflichtung der Betriebe zurückgreifen. Sie muss ihre Berechtigung belegen, indem sie ihre Ziele mit betrieblichen Erwartungen in Einklang bringt. Dies ist der Grund, warum Aktivitäten in diesem Bereich skeptischer Beobachtung ausgesetzt sind. Beim Arbeitsschutz und bei der Gesundheitsförderung spielen mehrere Erwartungen zum Nutzen eine Rolle. Obwohl in Fachkreisen zunehmend eine betriebswirtschaftliche Bewertung einschlägiger Maßnahmen zum Thema gemacht wird, lässt sich die Einengung darauf nicht begründen. Betriebe sind keineswegs nur organisatorische Gebilde mit dem Ziel der Rentabilitätssteigerung, öffentliche Betriebe erst recht nicht. Betriebe sind immer soziale Gebilde, die von Menschen ausgestaltet werden. Dies hat erheb- liche Auswirkungen darauf, wie der Nutzen von Maßnahmen bewertet wird. Der gesundheitliche Effekt von Arbeitsschutz und Gesundheitsförderung ist für sich genommen bereits ein wertvoller Nutzen. Zum einen sind Humanität und Solidarität, die durch solche Maßnahmen praktisch ausgeübt werden, Ansprüche einer zivilisierten Gesellschaft, die vor den Betrieben nicht Halt macht. Nicht umsonst gehört der Schutz der Gesundheit nach dem Grundgesetz und dem Bürgerlichen Gesetzbuch zu den grundlegenden Rechtsansprüchen jedes Bürgers. Verantwortungsbewusste Führungskräfte stellen sich diesem Anspruch ganz selbstverständlich. Es ist nur konsequent, wenn sie aus ihrem Engagement für die Gesundheit ihrer Mitarbeiter auch ein positives Selbstbild herleiten und damit einen ganz persönlichen Nutzen haben. Dass Führungskräfte oft auch nach Rechtssicherheit streben, sich im Rahmen der Legalität bewegen wollen und deshalb die vorgeschriebenen Maßnahmen ausführen, kommt noch hinzu. Gesundheit ist eine wesentliche Voraussetzung für das Leistungsvermögen. Dies gilt für den Einzelnen wie für den Betrieb insgesamt. Mit gesunden Mitarbeitern lassen sich höhere Leistungen erzielen als mit einer Belegschaft, die durch Unfälle und arbeitsbedingte Erkrankungen geschwächt und dezimiert wird. Gefahren durch die Arbeit und hohe Belastungen, insbesondere wenn sie als vermeidbar angesehen werden, fördern die Arbeitsunzufriedenheit und senken die Leistungsbereitschaft. Insofern hat erfolgreicher Gesundheitsschutz immer eine positive Wirkung auf die Produktivität. 85 KAPITEL XI · NUTZEN VON ARBEITSSCHUTZ- UND GESUNDHEITSFÖRDERUNGSMASSNAHMEN Für Betriebe, deren Beschäftigte − wegen ihrer qualifizierten Tätigkeiten − nicht kurzfristig zu ersetzen sind, ist dies von besonderer Bedeutung. Oft wird darauf hingewiesen, dass die Qualität der Arbeitsergebnisse mit der Arbeitssicherheit und mit Gesundheitsförderungsmaßnahmen steigt. Mitarbeiter, die sich bei ihrer Tätigkeit nicht um ihre Sicherheit und Gesundheit sorgen müssen und die eine Wertschätzung durch die Verantwortlichen erfahren, richten eine größere Aufmerksamkeit auf ihre Tätigkeit. Die Bedeutung der Kommunikation zwischen Führungskräften und ihren Mitarbeitern für den Gesundheitsschutz ist bereits hervorgehoben worden. Sofern sie erfolgreich praktiziert wird, hat sie entsprechend positive Nebenwirkungen. Führungskräfte erleben bei aktiver Mitwirkung am Arbeitsschutz und in der Gesundheitsförderung, dass der konstruktive Dialog um die Gesundheit seine Fortsetzung bei anderen betrieblichen Themen findet.20) Der Nutzen einer besseren Zusammenarbeit bleibt nicht auf das Thema Gesundheit beschränkt. Insofern kann jedes gelungene Projekt zum Gesundheitsschutz für die Verantwortlichen als Nutzen für den Betrieb betrachtet werden, weil es tragfähige Beziehungen geschaffen oder verstärkt hat. Ein weiterer Nutzen besteht in organisatorischen Vorzügen, die mit hoher Anwesenheit der Mitarbeiter verbunden sind. Planungen werden durch die Verfügbarkeit gesunder Mitarbeiter erleichtert und die Abläufe funktionieren besser. Die Führungskraft erfährt keine Belastung durch kurzfristige Umorganisation oder durch zusätzliche Anforderungen von Personal mit entsprechendem Zeitaufwand für Einarbeitung und Einweisung. Unvorhergesehene Verzögerungen oder Umplanungen wegen des Fehlens zuständiger Mitarbeiter werden seltener. Diese geringere Störanfälligkeit nutzt vor allem den betroffenen Bereichen. Je mehr ein Betrieb in die Einarbeitung und Qualifizierung von Mitarbeitern investiert hat, um so eher verbleibt ihm ein Nutzen durch die längerfristige Bindung des Personals. Dieses wiederum ist an den Erhalt der Gesundheit und Leistungsfähigkeit gebunden, ein Aspekt der infolge der demografischen Entwicklung in Deutschland eine besondere Aufwertung erfährt. Viele der aufgelisteten Nutzenaspekte haben auch mit betrieblichen Kosten zu tun, die durch die fehlende Verfügbarkeit bezahlten Personals entstehen. Die Entgeltfortzahlung ist per se zwar keine zusätzliche Ausgabe. Doch in manchen Fällen müssen fehlende Mitarbeiterleistungen durch Auftragsvergabe oder durch Einsatz von Aushilfskräften kompensiert werden, für die zusätzliche Entgelte anfallen. Bei anhaltend hohen Ausfällen durch Arbeitsunfälle oder arbeitsbedingte Erkrankungen ist ein höherer Personalsockel erforderlich. Geringere oder verzögerte Leistungen können zu Einnahmenverlusten oder zu zeitlichen Verschiebungen führen. Die versteckten Kosten von organisatorischen Störungen durch Ausfälle lassen sich weit schlechter überblicken, da sie in jedem Betrieb und in jedem Tätigkeitsbereich andere Formen annehmen können. Ein aus betriebswirtschaftlicher Sicht wichtiger Aspekt hat mit der präventiven Ausrichtung zu tun. Oft werden von Verantwortlichen Kosten für Arbeitsschutzmaßnahmen 20) Diese Übertragung kann natürlich genau so von anderen Aktivitäten auf den Gesundheitsschutz erfolgen. Ein Team, das bereits gut kooperiert und harmoniert, wird auch in Fragen der Gesundheit konstruktiver nach Lösungen suchen und Verbesserungen erproben, als ein Bereich von „Einzelkämpfern“. 86 KAPITEL XI · NUTZEN VON ARBEITSSCHUTZ- UND GESUNDHEITSFÖRDERUNGSMASSNAHMEN kritisiert, die durch eine bessere Planung vermeidbar gewesen wären. Wenn bei Baumaßnahmen oder bei Beschaffungen Sicherheit, Ergonomie und Gesundheit zum selbstverständlichen Anforderungskatalog gehören, kann manche kostenträchtige Nachbesserung unterbleiben. Investitionen ohne Berücksichtigung der Sicherheit und Gesundheit sind nicht grundsätzlich günstiger. Aber in jedem Fall sind nachträglich einzusetzende Kosten für die Verantwortlichen ein Ärgernis. Insofern hilft die vorausschauende Planung unter Einbeziehung von Arbeits- und Gesundheitsschutz, die eine oder andere zusätzliche Schutzmaßnahme ganz oder teilweise überflüssig werden zu lassen. In jedem Fall erlaubt sie eine sichere Ausgabenkalkulation. Auch darin kann ein erfahrbarer Nutzen von praktiziertem Arbeitsschutz liegen. In der Umfrage sollten die Mitgliedsbetriebe unabhängig von ihren eigenen Aktivitäten eine Einschätzung abgeben, ob effektiver Arbeitsschutz zur Steigerung ihrer Arbeitsergebnisse beitragen würde. 2004 bezogen 46 % der Mitgliedsbetriebe eindeutig posi- tiv Stellung zum Arbeitsschutz (Abbildung 57). Zusammen mit den Betrieben, die „eher schon“ eine Steigerung des Arbeitsergebnisses sahen, waren dies mehr als drei Viertel aller Betriebe. 1999 machte diese Gruppe zwei Drittel aus. Daran wird deutlich, dass die allgemeine Einschätzung des Arbeitsschutzes im Zuständigkeitsbereich der UKH durchaus positiv ausfällt und dies bereits seit Jahren. Vor allem die größeren Betriebe schätzten 2004 die Wirkungen des Arbeitsschutzes fast vollzählig als Beitrag zur Produktivitätssteigerung ein. In dieser Gruppe hatte sich die Einschätzung seit 1999 nochmals deutlich verbessert, während sie sich in den kleineren Betrieben sogar leicht verschlechterte. In den Landesdienststellen wurden deutlich weniger Effekte auf die Ergebnissteigerung gesehen als in Kommunen und Kreisen. Am positivsten fiel das Urteil in Sparkassen, Krankenhäusern und anderen Mitgliedsbetrieben aus. Die Ergebnisse der Umfrage zeigen, dass der Arbeitsschutz in den befragten Betrieben 2004 bereits auf fruchtbaren Boden gefallen war und grundsätzlich mit einer po- Alle Betriebe 400 und mehr Beschäftigte 150-399 Beschäftigte Unter 150 Beschäftigte Landesdienststellen Kommunen und Kreise Andere Betriebe 0% 20 % 40 % positiv 60 % 80 % 100 % eher positiv Abbildung 57: Mitgliedsbetriebe mit positiven Erwartungen an den Arbeitsschutz 2004. 87 KAPITEL XI · NUTZEN VON ARBEITSSCHUTZ- UND GESUNDHEITSFÖRDERUNGSMASSNAHMEN Alle Betriebe 400 und mehr Beschäftigte 150-399 Beschäftigte Unter 150 Beschäftigte Landesdienststellen Kommunen und Kreise Andere Betriebe 0% 20 % Nutzen der Maßnahmen 40 % 60 % sehr groß groß 80 % 100 % mittel Abbildung 58: Mitgliedsbetriebe 2004, die den betrieblichen Nutzen der durchgeführten Maßnahmen zum Arbeitsschutz und zur Gesundheitsförderung positiv bewerten. sitiven Motivation der Betriebe zu rechnen ist. Die UKH betrachtet dieses Ergebnis auch als Erfolg ihrer Arbeit und sieht darin ihre Schwerpunktverlagerung der vergangenen Jahre auf die Beratungstätigkeit tendenziell bestätigt. Gefragt wurde nach der Einschätzung, ob die tatsächlich durchgeführten Maßnahmen im Rahmen von Arbeitsschutz und Gesundheitsförderung von Nutzen waren, entweder für den Betrieb oder für die Mitarbeiter. Da fast alle Betriebe irgendeine Maßnahme aus dem Spektrum von Gesundheitsförderung, Situationsanalyse, Arbeitsschutzorganisation oder Arbeitsgestaltung vorgenommen hatten, wurden die Ergebnisse auf der Basis aller Betriebe errechnet. Ganz ähnlich wie die positiven Einschätzungen von Arbeitsschutzaktivitäten fielen die Aussagen zum Nutzen der durchgeführten Maß- nahmen für die Betriebe aus. Einen sehr großen Nutzen sprach 2004 jeder zehnte Betrieb den durchgeführten Maßnahmen zu, ein weiteres Drittel behauptete einen großen und ein gutes Viertel einen mittleren Nutzen (Abbildung 58). Insgesamt überwog damit bei fast drei Viertel aller Betriebe die positive Bilanz. 1999 waren es noch nicht ganz zwei Drittel gewesen. Die größeren Betriebe veranschlagten den Nutzen 2004 am höchsten und setzten sich damit stärker von den mittleren und kleineren Betrieben ab als 1999.21) Mit der Größe nahm demnach der Erfolg der praktizierten Maßnahmen zu. Die Betriebsarten unterschieden sich hinsichtlich ihrer Einschätzungen etwas stärker. Während 1999 die Landesdienststellen mit positiven Nutzenbewertungen noch deutlich hinter allen anderen Verwaltungen und Betrieben zurück lagen, hatten sie 2004 21) Aus Gründen der Übersichtlichkeit sind die Ergebnisse von 1999 in der Grafik nicht dargestellt. 88 KAPITEL XI · NUTZEN VON ARBEITSSCHUTZ- UND GESUNDHEITSFÖRDERUNGSMASSNAHMEN ein viel positiveres Bild. Die Kommunen und Kreise lagen mit 81 % bei ihren Bewertungen von mittlerem bis sehr großem Nutzen ihrer Maßnahmen an der Spitze. In der Gesamtheit der positiven Bewertungen kam es bei anderen Betrieben wie Sparkassen und Krankenhäusern hingegen zu keiner Steigerung. Jedoch war der Anteil der sehr positiven Bewertungen gegenüber „mittlerem Nutzen“ angewachsen. Der Nutzen für die Mitarbeiter wurde 1999 und 2004 fast identisch mit dem betrieblichen Nutzen eingeschätzt. Mit 0.94 (1999) und 0.87 (2004) fielen die Rangkorrelationen zwischen beiden Antworten sehr konform aus.22) Deshalb wiederholten sich bei dieser Frage die eben beschriebenen Unterschiede zwischen den Mitgliedsbetrieben. 22) Die Rangkorrelation ist eine statistische Kennzahl, die sich zwischen +1 und –1 bewegt. Bei einer Rangkorrelation von +1 gehen die Ergebnisse zweier Variablen, hier die Antworten zum Nutzen für Dienststellen und Mitarbeiter, immer in die gleiche, bei –1 immer in die entgegengesetzte Richtung. Werte über +0.8 drücken daher eine auffallend hohe Ähnlichkeit der Ergebnisse aus. Wer den betrieblichen Nutzen hoch einschätzte, bewertete den Nutzen für die Mitarbeiter ähnlich hoch. 89 XII Unterstützung bei Arbeitsschutz und Gesundheitsförderung Kontakte mit Präventionsinstitutionen Arbeitsschutz und Gesundheitsförderung sind Aktionsfelder, die wegen ihrer Komplexität von den Mitgliedsbetrieben nur mit externer Unterstützung effizient zu bewältigen sind. Die Vielzahl von Vorschriften und Regelungen seitens des Gesetzgebers und des Unfallversicherungsträgers sowie die differenzierten Kenntnisse aus fast allen wissenschaftlichen Fachgebieten, die zur Anwendung gelangen sollen, erfordern eine adäquate Zusammenarbeit. Die eingangs erwähnte Zunahme an Kontakten zur UKH, zu den Staatlichen Ämtern für Arbeitsschutz und zu den Krankenkassen macht dies deutlich. Viele Kontakte zu den präventiv tätigen Institutionen, die von Betrieben ausgehen, laufen über Schlüsselpersonen in den Betrieben. Vielfach sind dies die Fachkräfte für Arbeitssicherheit oder die Sicherheitsbeauftragten. Hinzu kommt, dass in größeren Betrieben auch unter den Führungskräften mehr potenzielle Ansprechpartner für die Unfallversicherungsträger vorhanden sind. Besonderer Anstrengungen und organisa- Alle Betriebe 400 und mehr Beschäftigte 150-399 Beschäftigte Unter 150 Beschäftigte Landesdienststellen Kommunen und Kreise Andere Betriebe 0% 20 % 40 % 2004 60 % 80 % 100 % 1999 Abbildung 59: Mitgliedsbetriebe mit Kontakt zur Präventionsabteilung von Unfallversicherungsträgern. 90 KAPITEL XII · UNTERSTÜTZUNG BEI ARBEITSSCHUTZ UND GESUNDHEITSFÖRDERUNG torischer Bemühungen bedarf es vor allem, um kleinere Betriebe zu erreichen. Im Jahr 2004 gab die Hälfte aller Mitgliedsbetriebe an, die Präventionsabteilung eines Unfallversicherungsträgers kontaktiert zu haben (Abbildung 59). 1999 war es nur ein Drittel gewesen. Die Mehrzahl dieser Kontakte dürfte die UKH betreffen.23) Ein Zuwachs an Kooperation war bei Betrieben jeder Größenordnung zu verzeichnen. Mit wachsender Beschäftigtenzahl verstärkte sich diese Entwicklung. So gaben 2004 fast zwei Drittel der größeren Betriebe entsprechende Kontakte an. Deutliche Unterschiede gab es 2004 bei den Betriebsarten. Die Landesdienststellen hatten keine Intensivierung der Kontakte zu den Unfallversicherungsträgern zu verzeichnen. Nur 30 % von ihnen gaben Kontakte zum Präventionsbereich der Unfallversicherungsträger an. Bei Kommunen, Kreisen und anderen Betrieben war hingegen der Anteil von Betrieben mit Kontakten zu Präventionsabteilungen auf das Doppelte angewachsen. Auch die Kontakte zu den Staatlichen Ämtern für Arbeitsschutz nahmen von 1999 auf 2004 zu (Abbildung 60). Jeder dritte Betrieb Alle Betriebe 400 und mehr Beschäftigte 150-399 Beschäftigte Unter 150 Beschäftigte Landesdienststellen Kommunen und Kreise Andere Betriebe 0% 20 % 40 % 2004 60 % 80 % 100 % 1999 Abbildung 60: Mitgliedsbetriebe mit Kontakten zu Staatlichen Ämtern für Arbeitsschutz. 23) Viele Kommunen werden von der UKH und zusätzlich noch von gewerblichen Berufsgenossenschaften betreut. 91 KAPITEL XII · UNTERSTÜTZUNG BEI ARBEITSSCHUTZ UND GESUNDHEITSFÖRDERUNG gab 2004 solche Kontakte an. 1999 war es nur jeder vierte gewesen. Wiederum nahm die Zahl der kontaktierten Betriebe mit steigender Belegschaftsgröße deutlich zu. So hatte 2004 jeder zweite größere Betrieb entsprechende Ämterkontakte, aber nur jeder fünfte kleinere. 2004 hatten unter den Landesdienststellen 46 % entsprechende Kontakte, alle anderen Mitgliedsbetriebe weniger. So gab es unter dem Dach des Landes Hessen 2004 eine gewisse Kompensation für die selteneren Kontakte zu den Unfallversicherungsträgern. Bei Sparkassen, Krankenhäusern und anderen Betrieben gab es in dem genannten 5-Jahres-Zeitraum keine Steigerung. Die Kontakte zu Präventionsbereichen anderer Partner verdoppelten sich von 1999 auf 2004 von 18 auf 36 % (Abbildung 61). Es ist anzunehmen, dass hierbei die Krankenkassen die größte Bedeutung hatten. AOK und Betriebskrankenkassen waren 2004 bereits rund 15 Jahre in der Gesundheitsförderung aktiv. Inzwischen zogen einige Ersatzkassen nach und beraten Betriebe bei der Durchführung von Gesundheitsförderungsmaßnahmen.24) Die kleineren Betriebe nutzten diese Kontakte am wenigsten und blieben 2004 auf dem niedrigen Niveau von 1999. Die mittleren und größeren Betriebe hingegen legten deutlich zu. Ähnlich sah die Situation bei den Betriebsarten aus. Die Landesdienststellen, die 1999 sogar am häufigsten Alle Betriebe 400 und mehr Beschäftigte 150-399 Beschäftigte Unter 150 Beschäftigte Landesdienststellen Kommunen und Kreise Andere Betriebe 0% 20 % 40 % 2004 60 % 80 % 100 % 1999 Abbildung 61: Mitgliedsbetriebe mit Kontakten zu Krankenkassen oder anderen Institutionen der Gesundheitsförderung. 24) Die Innungskrankenkassen sind zwar in ihrem Kernbereich, dem Handwerk, mit Gesundheitsförderungsmaßnahmen aktiv. Sie spielen für die Betriebe des öffentlichen Dienstes nach vorliegenden Erkenntnissen aber keine Rolle. 92 KAPITEL XII · UNTERSTÜTZUNG BEI ARBEITSSCHUTZ UND GESUNDHEITSFÖRDERUNG Alle Betriebe 400 und mehr Beschäftigte 150-399 Beschäftigte Unter 150 Beschäftigte Landesdienststellen Kommunen und Kreise Andere Betriebe 0% 3 Kontaktierte 20 % 40 % 2 Kontaktierte 60 % 1 Kontaktierte 80 % 100 % Keine Kontakte Abbildung 62: Mitgliedsbetriebe mit Kontakten zu Institutionen der Prävention. Kontakte zu anderen Partnern aufwiesen, lagen 2004 mit 27 % deutlich hinter Kommunen und Kreisen und vor allem hinter den anderen Betrieben zurück. Von der letztgenannten Gruppe mit Sparkassen und Krankenhäusern hatte 2004 jeder zweite Betrieb Kontakt mit einer Krankenkasse oder einem sonstigen Partner. Zum Teil schienen die unterschiedlichen Kontaktzahlen in den bestehenden Beratungsalternativen begründet zu sein. Um dies zu überprüfen, wurden die Kontaktpartner der Betriebe insgesamt errechnet. Die Ergebnisse belegen, dass 2004 für einen Teil der Mitgliedsbetriebe parallele Kontakte zu Institutionen auf dem Feld der Prävention bestanden, für einen anderen Teil überhaupt keine (Abbildung 62). Als Gruppe fallen insbesondere die kleineren Betriebe auf, unter denen nur jeder zweite zu irgendeiner Institution Kontakt aufnahm. Je größer die Belegschaft, um so größer war die Anzahl der Betriebe mit Kontakten, vor allem auch mit mehreren Kontakten. Deshalb müssen die Zahlen in ihrer Bedeutung für die Prävention relativiert werden. Dies bedeutet nämlich, dass der Anteil der Beschäftigten, die über Präventionsmaßnahmen von den Kontakten profitieren konnten, höher war als der Anteil der Betriebe. Vor dem Hintergrund der Ergebnisse von 2004 sind die kleineren Betriebe am ehesten als blinder Fleck in der Betreuung beim Arbeits- und Gesundheitsschutz durch die dafür verantwortlichen Institutionen anzusehen. Bezogen auf ihre Kontakte wiesen die Betriebsarten ebenfalls unterschiedliche Muster auf. Ein Drittel der Landesdienststellen hatte keine Kontakte zu Präventionsinstitutionen, von den anderen Betrieben waren dies 29 %. Bei Sparkassen, Krankenhäusern und anderen Betrieben hatte ein Viertel mit drei Partnern Kontakt, ein weiteres Viertel mit zweien. In dieser Betriebsart kumulierten die Kontakte am stärksten, während bei Kommunen, Kreisen und Landesdienststellen Kontakte zu einer einzigen Institution überwogen. 93 KAPITEL XII · UNTERSTÜTZUNG BEI ARBEITSSCHUTZ UND GESUNDHEITSFÖRDERUNG Unterstützungserwartungen für Gesundheitsförderungsmaßnahmen Unterstützungsbedarf in den Betrieben ist sicher nur zum Teil als Folge vermehrter Aufmerksamkeit für die betriebliche Gesundheitsförderung zu verstehen. Politik und Wirtschaftsverbände präferieren seit einem Jahrzehnt die Deregulierung im Arbeitsschutz. Infolgedessen wurde eine Vielzahl von Vorschriften geändert und auf viele konkrete Festlegungen zur Umsetzung verzichtet. Informations- und Beratungsbedarf ergibt sich daher zum einen aus Fragen zum Verständnis und zur Anwendung der erneuerten Vorschriften. Zum anderen wird die Kehrseite des Verzichts auf viele verbindliche Vorgaben zur Umsetzung immer deutlicher. Allgemeinere Zielsetzungen und For- mulierungen lassen Spielräume für Interpretationen und fordern eigenverantwortliche Festlegungen. Bei allen Verantwortlichen, die sich nicht intensiv mit Arbeitsschutz und Gesundheitsförderung befassen, sorgt dies zwangsläufig für Verunsicherung und Orientierungssuche. Die wachsende Flexibilität wird mit intensiverer Informationsbeschaffung erkauft. Dabei geht es nicht nur um neue Normen oder Grenzwerte. Es sind vor allem neue Verfahrensweisen in den Unternehmen zu entwickeln, wie sie die erforderlichen Informationen beschaffen, auswerten und zur Anwendung bringen. Dieser Aspekt des Unterstützungsbedarfs wird vielen Mitgliedsbetrieben erst allmählich bewusst. Die betriebliche Gesundheitsförderung verbreitet Alle Betriebe 400 und mehr Beschäftigte 150-399 Beschäftigte Unter 150 Beschäftigte Landesdienststellen Kommunen und Kreise Andere Betriebe 0% 20 % Unfallversicherung 40 % 60 % Staatlicher Arbeitsschutz 80 % 100 % Krankenkassen Abbildung 63: Mitgliedsbetriebe mit Unterstützungserwartungen an Unfallversicherungsträger, staatlichen Arbeitsschutz und Krankenkassen. 94 KAPITEL XII · UNTERSTÜTZUNG BEI ARBEITSSCHUTZ UND GESUNDHEITSFÖRDERUNG sich hingegen über innovative Projekte sowie über Beispiele „guter Praxis“. Die Förderung des Austauschs unter den Betrieben ist ebenso eine Herausforderung für die gesetzliche Unfall- und Krankenversicherung wie für den staatlichen Arbeitsschutz. rangegangenen. Allerdings waren hierbei zwei Drittel der größeren Betriebe beteiligt, während die mittleren Betriebe nur zu einem Drittel solchen Erwartungen äußerten. Die kleineren Betriebe lagen zwischen diesen beiden Gruppen. Der Einstieg in die Gesundheitsförderung ist in vielen Mitgliedsbetrieben mit einzelnen Maßnahmen bereits gelungen. Die offenbar positiven Erfahrungen lassen eine Intensivierung der Gesundheitsförderung erwarten. In der Umfrage wurde ermittelt, an welche Partner sich die Erwartungen der Betriebe auf Unterstützung bei der Planung und Durchführung von Gesundheitsförderungsmaßnahmen richten. Wegen der Vielzahl der Daten konzentriert sich die Darstellung auf die Angaben des Jahres 2004. Mit 27 % war der Anteil der Landesdienststellen, die sich von den Krankenkassen Unterstützung wünschten, weitaus niedriger als der anderer Betriebe. Unter allen anderen Betrieben erwartete hingegen mehr als die Hälfte entsprechende Unterstützung. Der höhere Anteil der Beamten im Landesdienst kann dabei eine Rolle spielen, denn diese sind Mitglieder in privaten Krankenversicherungen. Nur die gesetzlichen Krankenkassen erbringen Leistungen zur Gesundheitsförderung. Die Erwartungen an die Unfallversicherungsträger hatten 2004 ein hohes Niveau erreicht. Fast drei Viertel wollten bei Gesundheitsförderungsmaßnahmen unterstützt werden (Abbildung 63). Die Unterschiede ließen sich dabei weniger an der Betriebsgröße festmachen. Unter den Landesdienststellen fielen die Erwartungen auf gut die Hälfte der Betriebe ab. Hingegen wünschten mehr als 80 % der Kommunen, Kreise und anderen Betriebe die Unterstützung der Unfallversicherungsträger. Immerhin die Hälfte aller Mitgliedsbetriebe stellte sich vor, dass die Staatlichen Ämter für Arbeitsschutz einen Unterstützungsbeitrag leisten sollten. Auch hier spielte die Betriebsgröße keine Rolle. Am häufigsten wurden Erwartungen an diese Stellen mit 66 % von Landesdienststellen genannt, während die anderen Betriebe unter dem Durchschnitt blieben. Die Erwartungen an die Krankenkassen erreichten ein ähnliches Ausmaß wie die vo- Andere potenzielle Partner, die in der Umfrage explizit aufgeführt waren, folgten mit weitem Abstand: Der öffentliche Gesundheitsdienst wurde von 27 % aller Betriebe genannt und damit noch am häufigsten aufgeführt. Die kleineren Betriebe setzten darauf ihre Hoffnung deutlich häufiger auf den öffentlichen Gesundheitsdienst als alle anderen Mitgliedsbetriebe. Nur 9 % der Mitgliedsbetriebe richteten ihre Erwartungen an wissenschaftliche Einrichtungen. Hier taten sich wiederum die größeren Betriebe mit 22 % hervor. Kaum eine Rolle spielten in den Vorstellungen der Betriebe mit knapp 3 % hingegen die Unternehmensberater als potenzielle Unterstützer, obwohl die Zahl der freien Berater für Gesundheitsförderung und Gesundheitsmanagement eine steigende Tendenz aufweist. Auf dem selben niedrigen Niveau bewegten sich die Erwartungen an die Gewerkschaften. 95 KAPITEL XII · UNTERSTÜTZUNG BEI ARBEITSSCHUTZ UND GESUNDHEITSFÖRDERUNG Leistungen der öffentlichen Unfallversicherungsträger und ihre Bedeutung für die Gesundheitsförderung Die Unfallversicherungsträger haben für die Prävention von Unfällen und arbeitsbedingten Erkrankungen verschiedene Leistungsangebote entwickelt. Schwerpunkte bilden Information, Beratung, Besichtigung oder Überwachung, Schulung, Aus- und Weiterbildung. Für die UKH ist das aktuelle Leistungsangebot auf ihrer Internetseite (www.ukh.de) zu finden. Dazu gehören insbesondere die Informationsschriften (Reihe GUV-I), die Beratung durch fachlich oder regional zuständige Aufsichtspersonen und die Organisationsberatung sowie das differenzierte Seminarprogramm. Die Leistungen des Bereichs Prävention für die Mitgliedsbetriebe unterscheiden sich in einigen wesentlichen Aspekten. So sind beispielsweise die Informationsangebote kostenfrei und einfach zugänglich, während der Zugang zu Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen zu beantragen ist. Die meisten Leistungen sind offene Angebote und verlangen die Initiative der Mitgliedsbetriebe. Die Besichtigung kann ganz ohne die Einwilligung der Betriebe erfolgen. Die fünf genannten Leistungsangebote der Unfallversicherungsträger (Information, Beratung, Schulung, Aus- und Weiterbildung und Überwachung) wurden in den Umfragen zur Bewertung vorgegeben. Die Mitgliedsbetriebe sollten sie nach ihrer Bedeutung für die Gesundheitsförderung in eine Rangfolge bringen. Die Ergebnisse von 1999 und von 2004 unterschieden sich nur in wenigen Punkten. Aus Gründen der Übersichtlichkeit erfolgt die Darstellung deshalb bezogen auf 2004. Auf wesentliche Abweichungen von 1999 wird im Text hingewiesen.25) 2004 erwarteten 43 % der Mitgliedsbetriebe den größten Nutzen von Informationen der Unfallversicherungsträger über die Gesundheitsförderung (Abbildung 64). Mit 30 % ersten Rängen folgten in der Einschätzung der Betriebe Beratungsleistungen. Beide Leistungen zusammen, Information und Beratung, wurden von der Mehrheit der Betriebe auf den ersten beiden Rängen platziert. Nur jeder zehnte Mitgliedsbetrieb sah in Schulungen den wichtigsten Hebel und 13 % in der Aus- und Weiterbildung. Am wenigsten versprachen sich die Betriebe für die Gesundheitsförderung von Besichtigungen mit Überwachungscharakter. Bei genauerer Betrachtung zeigt sich, dass die Einschätzungen sowohl von der Größe der Mitgliedsbetriebe als auch von ihrer Art abhingen. Die Information wurde mit zunehmender Betriebsgröße für wichtiger gehalten. Die Beratung kam bei den kleineren Betrieben auf den ersten Rang. Die Betriebe mittlerer Größe gewichteten die Schulung etwas höher als die anderen. Die kleineren Betriebe bewerteten die Wirksamkeit der Überwachung höher. Für die Landesdienststellen spielte die Beratung bei der Nutzbarmachung der Gesundheitsförderung die Hauptrolle. Doch diese Einschätzung trugen weder Kommunen und Kreise noch die anderen Betriebe mit. Für diese waren Informationen die wichtigere Unterstützung. Die Bedeutung der Schulungen wurde generell von allen deutlich niedriger angesetzt. Bei Sparkassen, Krankenhäusern und anderen Betrieben lagen sie kaum besser als die Überwachung. Eine Erklärung für diese Unterschiede liefert die Umfrage nicht. So ließ sich zum Beispiel kein eindeutiger Zusammenhang mit den vorliegenden Erfahrungen in der Gesundheitsförderung, gemessen an der Zahl der Gesundheitsförderungsthemen, ermitteln. 25) Methodischer Hinweis: Da einige der Befragten die ersten Ränge mehrfach, einige wiederum nur erste Ränge vergaben und andere überhaupt keine Bewertung vornahmen, weichen die Gesamtergebnisse zu den ersten und zweiten Rängen von den jeweils zu erwartenden 100 % pro Rang ab. 96 KAPITEL XII · UNTERSTÜTZUNG BEI ARBEITSSCHUTZ UND GESUNDHEITSFÖRDERUNG Information Beratung Schulung Aus- und Weiterbildung Besichtigung 0% 20 % 40 % 1. Rang 60 % 80 % 100 % 2. Rang Abbildung 64: Bewertung verschiedener Unterstützungsleistungen der Unfallversicherungsträger durch die Mitgliedsbetriebe.26) Inhaltliche Ausrichtung des Unterstützungsbedarfs für die Gesundheitsförderung Die Umfrage gibt genauere Aufschlüsse über die Themen, bei denen Unterstützungsbedarf geäußert wurde. Denn zu beiden Zeitpunkten stellte jeweils die Hälfte der Mitgliedsbetriebe einen Bedarf an Information und Beratung in Fragen der Gesundheitsförderung fest. Da es auch hier keine großen Veränderungen gab, konzentriert sich die Darstellung wiederum auf die Ergebnisse von 2004 (Abbildung 65). In beiden Umfragen wurden jeweils fünf mögliche Unterstützungsarten vorgegeben. Jedoch blieb die Rangfolge bei allen Themen die gleiche: Am häufigsten wurde der Bedarf an Information geäußert. Auf dem zweiten Platz rangierte die Beratung. Hilfen bei der Durchführung und Austausch mit anderen Unternehmen sowie konkrete Ansprechpartner wurden erheblich seltener gewünscht. In der Abbildung wurde zugunsten der Übersichtlichkeit deshalb auf diese Differenzierung verzichtet. An der Spitze des Informations- und Beratungsbedarfs stand 2004 der Umgang mit psychischen Belastungen. Vier der sechs meist genannten Themen gehörten zu dieser Gruppe. Angebote der UKH zu psychischen Belastungen sollten daher offene Türen bei den Mitgliedsbetrieben vorfinden. An Führungskräfteseminaren zur betrieblichen Gesundheitsförderung sowie für betriebliche Bewegungsprogramme bestand ebenfalls ein hoher Bedarf. 26) Da alle fünf Leistungsarten in eine Rangfolge zu bringen waren, machen die Ränge 3 bis 5 die Differenz zu 100 % aus. 97 KAPITEL XII · UNTERSTÜTZUNG BEI ARBEITSSCHUTZ UND GESUNDHEITSFÖRDERUNG Alle Betriebe 400 und mehr Beschäftigte 150-399 Beschäftigte Unter 150 Beschäftigte Landesdienststellen Kommunen und Kreise Andere Betriebe 0% 20 % 40 % 2004 60 % 80 % 100 % 1999 Abbildung 65: Mitgliedsbetriebe mit Informations- und Beratungsbedarf. Informations- und Beratungsbedarf in Fragen des Gesundheitsschutzes und der Gesundheitsförderung Sehr hoher Bedarf 2004: ≥ 30 % Mobbingbewältigung Stressbewältigung Hoher Bedarf 2004: 25-29 % Ermittlung psychischer Belastungen Führungskräfteseminare zur betrieblichen Gesundheitsförderung Entspannungsprogramme Bewegungsprogramme Mittlerer Bedarf 2004: 20-24 % Gefährdungsbeurteilung Suchtprävention Gesunde Gestaltung von Arbeitsumfeld und Arbeitsbedingungen 98 Ergonomie bzw. gesunde Arbeitsgestaltung Konfliktbewältigungsseminar Mitarbeitergespräche Arbeitszufriedenheit Führungskräfteseminar zur Verantwortung im Arbeitsschutz Kommunikationstraining Gesundheitsgerechte Aufbau- und Ablauforganisation Rückkehrgespräche nach Krankheit Mäßiger Bedarf 2004: 15-19 % Auswertung von Fehlzeiten Herz-Kreislauf-Programme Ernährungsprogramme Krebsvorsorge Auswertung von Krankenrückkehrgesprächen KAPITEL XII · UNTERSTÜTZUNG BEI ARBEITSSCHUTZ UND GESUNDHEITSFÖRDERUNG Seminare zum Umgang mit Gefahrstoffen Arbeitsschutzhandbuch Arbeitsschutzleitlinien Mitarbeitergespräche zum Arbeitsschutz Niedriger Bedarf 2004: ≤ 14 % Zielvereinbarungen Auswertung von Unfalldaten Mitarbeiterbefragungen Regelwerksmanagement Betriebliches Vorschlagswesen Controlling im Arbeitsschutz Gesundheitszirkel Gesundheitsberichte Integration des Arbeitsschutzes in Prozesse Im Bereich der mittleren Bedarfshäufigkeit fanden sich unter anderem klassische Arbeitsschutzthemen wie Gefährdungsbeurteilung, Ergonomie sowie sichere und gesunde Gestaltung von Arbeitsbedingungen. Auch die Gestaltung der Aufbau- und Ablauforganisation gehörte dazu. Bausteine aus dem betrieblichen Gesundheitsmanagement wie Kommunikationstraining, Mitarbeitergespräche zur Arbeitszufriedenheit und Krankenrückkehrgespräche wurden ebenfalls im Mittelfeld platziert. Als Einzelthema wurde außerdem die Suchtprävention genannt. Auffallend waren im Vergleich zu 1999 die rückläufigen Bedarfsnennungen bei den damals ebenfalls abgefragten Arbeitsschutzthemen. Ein Teil des Bedarfs schien inzwischen befriedigt oder hatte an Relevanz verloren. Mäßige bis niedrigere Bedarfsbekundungen gab es 2004 für Programme mit Krankheitsbezug, ausgenommen die Suchtthematik. Im weniger nachgefragten Bereich landeten auch die Elemente des Arbeitsschutzmanagements vom Arbeitsschutzhandbuch bis hin zum Arbeitsschutzcontrolling sowie Arbeitsschutzthemen, die erst in neuerer Zeit in die Diskussion gebracht wurden wie etwa das Regelwerksmanagement und die Inte- gration in relevante Prozesse. Auch der Bedarf hinsichtlich von Analyseinstrumenten der betrieblichen Gesundheitsförderung schien 2004 unerheblich zu sein. Besonders stark zurückgefallen war seit 1999 der Gesundheitsbericht. Bedarfsmeldungen und Handlungsbedarf Bei der Gesundheitsförderung und dem Arbeitsschutz handelt es sich nicht um Kernaufgaben der befragten Mitgliedsbetriebe. Vielmehr sind sie spezifische Instrumente, die beim Personalmanagement, bei betrieblichen Sozialaufgaben oder − als Sicherheitstechnik den Ausschnitt der Unfallverhütung betreuend − in einem technischen Bereich angesiedelt sind. Als solche stehen sie immer nur vorübergehend im Fokus betrieblicher Aufmerksamkeit, in der Regel nämlich bei betrieblichen Problemen mit Sicherheit, Gesundheit oder überhöhter Abwesenheit wegen Krankheit sowie bei der Umsetzung neuer strukturverändernder Vorschriften. Die betrieblichen Bedürfnisse sind daher nicht als dauerhaft anzusehen, sondern stellen eine Momentaufnahme dar. Sie unterliegen einer Konjunktur, die von Informationen und öffentlicher Diskussion, aber auch von technischer Innovation und Managementkonzepten beeinflusst wird. Der Druck zur Zertifizierung von Managementsystemen bezieht in einigen Bereichen, wie den Einrichtungen des Gesundheitsdienstes, zunehmend die Sicherheits- und Gesundheitsanforderungen mit ein. Für die UKH ergeben sich daraus zweierlei Aufgaben: Die geäußerten Informations- und Beratungsbedürfnisse positiv aufzugreifen und die Kommunikation des neuen Verständnisses von Arbeitsschutz im nationalen 99 KAPITEL XII · UNTERSTÜTZUNG BEI ARBEITSSCHUTZ UND GESUNDHEITSFÖRDERUNG und europäischen Trend zu intensivieren. Bei einigen Themen kann auf die vorhandenen Bedürfnisse aufgebaut werden. Dort stellt sich die Frage, wie Angebot und Nachfrage besser in Übereinstimmung gebracht werden können. Für andere Themen wird mehr Aufklärung und ein beharrliches Werben erforderlich sein, wenn sie stärkere Beachtung in den Betrieben finden sollen. Die Seminare für Bürgermeister in den Jahren 2005 und 2006, in denen über Verantwortung und Haftung der Gemeindevorsteher informiert wurde, verbanden beides miteinander. Eine Vielzahl von nachfolgenden Anfragen zeigte, dass sich vorhandener Beratungsbedarf durchaus in ein Beratungsbedürfnis überführen lässt. Doch nicht für alle Organisationsthemen wird die oberste Leitungsebene die geeignete Zielgruppe sein. Neben der zweiten Führungsebene gilt es, die Verantwortlichen für Personal, Beschaffung, Baumaßnahmen und Organisation als Partner für Sicherheit und Gesundheitsschutz in den Mitgliedsbetrieben zu gewinnen. Die Befragungsergebnisse machen einerseits deutlich, dass für bestimmte Themen aktuell eine besondere Nachfrage vorhanden ist. So hatte das Thema „Psychische Belastungen“ offenbar 2004 „Konjunktur“ und war in zentralen Bereichen wesentlich stärker gefragt als 1999. Das Bedürfnis nach Unterstützung bei der Beurteilung psychischer Belastungen ist zwar immer noch relativ stark ausgeprägt, aber rückläufig. Da gleichzeitig festzustellen ist, dass die Beurteilung psychischer Belastungen sich nach der Selbsteinschätzung der Mitgliedsbetriebe kaum verändert hat, ist dies ein klares Indiz für ein abnehmendes Interesse an diesem Thema. Das vordere Feld der geäußerten Informations- und Beratungsbedürfnisse besetzen darüber hinaus weitere klassische Themen der betrieblichen Gesundheitsförderung. Hingegen liegt das Interesse an Themen, die sich auf die Organisation des Arbeitsschutzes und der Gesundheitsförderung beziehen, auf einem deutlich niedrigeren Niveau. Daran wird ein Dilemma der aktuellen Diskussion deutlich: Einerseits wird Themen des Arbeitsschutzes und der Gesundheitsförderung eine gewisse Bedeutung beigemessen. Auch Unterstützung wird eingefordert. Andererseits sind die Konzepte des modernen Arbeitsschutzes und des betrieblichen Gesundheitsmanagements noch nicht akzeptiert. Es ist jedoch anzustreben, beide Felder zielgerichtet und strukturiert zu bearbeiten. Kooperation von staatlichen Arbeitsschutzbehörden und Unfallkasse Hessen Die Kooperation zwischen den Arbeitsschutzinstitutionen ist in Hessen besonders eng. Zwischen dem Hessischen Sozialministerium und der UKH wurde 2005 eine Vereinbarung zur Zusammenarbeit geschlossen. Damit sollen die Prioritäten in der Beratung und Überwachung deutlicher abgegrenzt werden, ohne ein Eingreifen der staatlichen Behörden auszuschließen. Die Kooperation bezieht sich auf präventive Aktivitäten. Während die UKH ihre Schwerpunkte auf die Beratung und Überwachung zum Arbeitsschutzgesetz und zu den nachfolgenden Verordnungen legt, bleibt der soziale Arbeitsschutz weiterhin ein Aktionsfeld der staatlichen Dienststellen.27) Auch die Überwachung bestimmter Anlagen sowie der in Verkehr gebrachten Produkte und Geräte bleibt in staatlicher Hand. 27) Zum Zeitpunkt der Befragungen trugen die staatlichen Dienststellen die Bezeichnung „Staatliches Amt für Arbeitsschutz“. Im Zuge einer Neugliederung der Landesdienststellen wurden sie in die Regierungspräsidien eingegliedert und sind dort jeweils als „Abteilung Arbeitschutz und Sicherheitstechnik“ angesiedelt. 100 KAPITEL XII · UNTERSTÜTZUNG BEI ARBEITSSCHUTZ UND GESUNDHEITSFÖRDERUNG Ein direkter Austausch von Informationen mit dem jeweiligen Regierungspräsidium ist vereinbart: Bei schwerwiegenden Mängeln − zum Beispiel fehlenden Prüfungen überwachungsbedürftiger Anlagen − sowie Mängeln von überbetrieblicher Bedeutung − zum Beispiel fehlerhafte Stoff- kennzeichnung und -information oder gefährliche Gerätekonstruktionen. Im übrigen ist ein regelmäßiger Austausch zu Betriebsarten wie Schulen, Hochschulen, Kliniken, Theatern und zum Flughafen Frankfurt vorgesehen, wo weiterhin beide Institutionen initiativ tätig sein werden. 101 XIII Plädoyer für eine stärkere Integration von Arbeitsschutz und Gesundheitsförderung Die betriebliche Gesundheitsförderung wurde in den vergangenen Jahren im Öffentlichen Dienst in Hessen forciert. Doch trotz aller positiven Bekundungen behielten viele Ansätze Projektcharakter und blieben ohne eigene Infrastruktur. Darin verbirgt sich ein Risiko. Sicherheit und Gesundheitsschutz sind in den Mitgliedsbetrieben schließlich keine Kernaufgaben, sondern werden neben dem Kerngeschäft mit erledigt. Auf Dauer wird sich in den Betrieben jedoch kein Dualismus von Arbeitsschutz und Gesundheitsförderung etablieren lassen. Je stärker sich der Arbeitsschutz den im Arbeitsschutzgesetz genannten Zielen aktiv zuwendet und je stärker sich die Gesundheitsförderung zum Gesundheitsmanagement weiterentwickelt, um so mehr werden die Überschneidungen zwischen den Ansätzen deutlich. Warum aber sollten sich Betriebe zwei unterschiedliche Systeme leisten, um die Gesundheit ihrer Mitarbeiter zu schützen und zu fördern? In den Zielsetzungen besteht eine Gemeinsamkeit, die in der Verhütung arbeitsbedingter Erkrankungen oder − bei präventiver Orientierung − in der Verhütung arbeitsbedingter Gesundheitsgefahren liegt. Deswegen hat der Gesetzgeber diese Aufgabe sowohl den gesetzlichen Unfallversicherungsträgern als auch den gesetzlichen Krankenkassen in deren Pflichtenhefte geschrieben, letzteren sogar mit einem Kooperationsgebot. Des weiteren ist die Verringerung betrieblicher Fehlzeiten ein Bestreben, in dem sich Arbeitsschutz und Gesundheitsmanagement treffen, da Fehlzeiten sowohl durch unfallbedingte Verletzungen als auch durch andere Erkrankungen entstehen. 102 Eine naheliegende Perspektive der Weiterentwicklung ist die stärkere Integration von Arbeitsschutz, Gesundheitsförderung und Gesundheitsmanagement auf betrieblicher Ebene. Damit ist jedoch nicht die eilige organisatorische Zusammenführung zum Selbstzweck gemeint. Vielmehr kommt es darauf an, die Stärken der unterschiedlichen Konzepte zu erhalten und wechselseitig besser zu nutzen. Dazu werden im folgenden einige praktische Möglichkeiten aufgezeigt. Beurteilung der Arbeitsbedingungen als Mittelpunkt aller Gesundheitsaktivitäten Mit der Beurteilung der Arbeitsbedingungen hat der Gesetzgeber ein Instrument in den Mittelpunkt des Gesundheitsschutzes gerückt, dessen Möglichkeiten noch nicht umfassend genutzt werden. Das Ziel ist die sichere und gesundheitsverträgliche Arbeit. Das Verfahren ist nicht im Detail vorgeschrieben. Es orientiert sich jedoch offensichtlich am Managementkreislauf. Deshalb umfasst es die Pflichten zur Ermittlung von Gefährdungen, zur Festlegung von Schutzmaßnahmen und zu deren Überprüfung mit dem Ziel der Verbesserung. Damit soll dem Anspruch nach ein kontinuierlicher Prozess zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen in Gang gesetzt werden, was in der Praxis noch zu selten der Fall ist. Grundsätzlich richtet sich die Intention der Beurteilung auf die Prävention, d. h. auf die Verhütung von Unfällen und Erkrankungen. Doch auch die reaktive Variante ist sinnvoll, nämlich die Untersuchung von Arbeitsunfällen und arbeitsbedingten Erkrankungen KAPITEL XIII gemäß dem Beurteilungsschema. Anhand der Fragestellungen, welche Gefahren bisher nicht gesehen wurden und welche zusätzlichen Schutzmaßnahmen zu ergreifen sind, wird eine vorhandene Beurteilung fortgeführt und angepasst. Nicht nur das Versagen der vorhandenen Schutzmaßnahmen, sondern auch neue Erkenntnisse zu Gefährdungen über das bisher bekannte Spektrum hinaus, sollen zur Überprüfung genutzt werden. Wenn man das ganze Spektrum der Aktivitäten im Arbeitsschutz, in Gesundheitsförderungs- und Gesundheitsmanagementprojekten betrachtet, so gibt es eine Vielzahl von Gelegenheiten, die Anstoß zu einer Überprüfung der Gefährdungen und der getroffenen Schutzmaßnahmen geben können: Arbeitsunfälle werfen die Frage auf, ob die Gefährdungen ausreichend ermittelt und die getroffenen Schutzmaßnahmen angemessen sind. Deshalb sollten dies die Leitfragen der Unfalluntersuchung sein. Gleiches gilt für auftretende Berufskrankheiten oder andere arbeitsbedingte Erkrankungen, deren individuelle Verursachung eindeutig in der Arbeit begründet liegen. Hinzu kommen Unfallereignisse, die zwar Dritte betreffen (z. B. Beschäftigte von Fremdfirmen oder Besucher), aber in mangelhafter Verkehrssicherung des Betriebs begründet sind. Gesundheitsberichte oder andere statistische Auswertungen von Unfall- und Erkrankungsdaten können auf erhöhte Risikopotenziale einzelner Betriebe, Betriebsbereiche oder Tätigkeitsgruppen hinweisen. Damit steht die Frage nach dem Einfluss der Arbeit im Raum. Ihre Beantwortung erfordert in der Regel allerdings weitere Untersuchungen oder zumindest Überlegungen zu den konkreten Gefährdungen, bevor mit Schutzmaßnahmen angemessen reagiert werden kann. · PLÄDOYER Weitere Informationen über erhöhte Risikopotenziale von Mitarbeitergruppen liefern Mitarbeiterbefragungen. Da hiermit in der Regel gesundheitliche Befindlichkeiten erhoben werden, sind Risiken bereits vor ihrer Manifestierung in Krankheitszahlen erkennbar. Hier gilt ebenso wie bei Gesundheitsberichten, dass zunächst die betrieblichen Einflussfaktoren, die damit im Zusammenhang stehen, genauer zu untersuchen sind. In Gruppenbefragungen wie der Arbeitssituationsanalyse lassen sich Defizite bei Schutzmaßnahmen ermitteln. Die gewonnenen Erkenntnisse werden anschließend mit anderen Instrumenten des Gesundheitsmanagements verfeinert. Gruppengespräche sind eine gute Möglichkeit, nicht erkannte Gefährdungen zu ermitteln und Verbesserungen bei Schutzmaßnahmen zu erörtern. Dazu können alle auf Dialog angelegten Unterweisungen, Sicherheitsgespräche, Gesundheitszirkel sowie andere Gespräche mit einschlägigem Inhalt dienen, wie sie häufig zu Gesundheitsmanagementprogrammen gehören. Etliche Hinweise auf Gefährdungen der Gesundheit werden in vielen Einzelgesprächen geäußert, ohne dass sie weitere Verwendung finden. In jedem Mitarbeitergespräch, das die Arbeitszufriedenheit berührt, tauchen zumindest am Rande Aussagen zur Belastung auf. In Gesundheitsmanagementprogrammen sehen Mitarbeitergespräche das Thema Belastungen explizit vor. Rückkehrgespräche und die viel kritisierten Fehlzeitengespräche enthalten zweckmäßigerweise die Frage nach Arbeitseinflüssen auf die individuelle Gesundheit, wie es auch in den Integra103 KAPITEL XIII · PLÄDOYER tionsgesprächen vorgesehen ist. Es ist zu erwarten, dass hierbei neben persönlichen Faktoren überfordernde Arbeitsbedingungen eine wesentliche Rolle spielen. In Gesundheitsförderungsmaßnahmen werden Kenntnisse und Fertigkeiten vermittelt, die den Teilnehmern eine bessere Einschätzung von Gefährdungen erlauben und dazu anregen, über Verbesserungen der Arbeitsbedingungen und der eigenen Arbeitstechniken nachzudenken. Als Resultat können daraus Hinweise auf Risiken und gezielte Vorschläge zu gesundheitsverträglicher Arbeitsgestaltung erwachsen. Insbesondere von Maßnahmen, die Lastenhandhabung, Bewegungsabläufe, Bewegungsarmut oder Stressbewältigung zum Inhalt haben, ist dies bekannt. Ganz abgesehen davon können sie gezielt als Qualifizierungs- und Schutzmaßnahmen eingesetzt werden, wenn ein Bezug zur Tätigkeit hergestellt wird. Beispiele sind das Erlernen von Hebe- und Tragetechniken für manuelle Tätigkeiten oder von Methoden der Stresskontrolle und Entspannung für Mitarbeiter, die häufig in entsprechende Situationen kommen können. Nicht zuletzt können in der Zusammenarbeit mit Gesundheitsförderungsexperten neue Erkenntnisse über längerfristige Auswirkungen der Arbeitsbedingungen auf die Gesundheit vermittelt werden. Von Sportfachkräften durchgeführte Bewegungsanalysen am Arbeitsplatz sind ein Beispiel dafür, wie Gefährdungen mit einer Fachgruppe, die bislang selten in Betrieben präsent war, entdeckt und geeignete Schutzmaßnahmen entwickelt werden können. 104 In Betrieben, die Gesundheitsförderung oder Gesundheitsmanagement betreiben, fällt demnach eine Fülle von Informationen an, die für die Beurteilung der Arbeitsbedingungen genutzt werden können. Allerdings gehört dazu die Bereitschaft, die erlangten Informationen aufzubereiten. Oft müssen vom Verdacht auf Gefährdungen der Gesundheit bis hin zu einer eindeutigen Antwort oder bis zu Schutzmaßnahmen einige Fragen geklärt werden. Deshalb ist es zielgerichtet, Verdachtsmomente über Gefährdungen in der Beurteilung vorläufig zu dokumentieren, anstatt sie bis zum endgültigen Beweis zu ignorieren. Im übrigen erscheint es hilfreich, auch positive Ergebnisse − etwa aus Befragungen − sowie vorgenommene Gestaltungsmaßnahmen mit positiven Wirkungen zu dokumentieren, um das Engagement in Arbeitsschutzbelangen zu belegen. Die Schwerpunkte der vorhandenen Beurteilungen der Arbeitsbedingungen liegen häufig bei Gefährdungen durch Arbeitsmittel, Arbeitsstoffe und die Arbeitsumgebung. Mit der Einbeziehung weiterer Erkenntnisse können sich die Themen stärker hin zur Arbeitsorganisation, zu den Arbeitsanforderungen und dem Arbeitsverhalten verschieben. Damit wird die Bereicherung der Beurteilungen um so deutlicher. Insgesamt führt die Integration von Arbeitsschutz, Gesundheitsmanagement und Gesundheitsförderung zur anspruchsvollen Erfüllung einer gesetzlich geforderten Aufgabe, wie sie in der Beurteilung der Arbeitsbedingungen besteht. Mit der Integration verbindet sich daher ein zusätzlicher Nutzen für das Unternehmen und die verantwortlichen Führungskräfte, der in Unternehmen und Fachkreisen bisher noch kaum wahrgenommen wird. KAPITEL XIII · PLÄDOYER Erkenntnisse über Gefährdungen und Gestaltungs- oder Schutzmaßnahmen aus Aktivitäten zur Gesundheitsförderung und zum Gesundheitsmanagement Aufgaben Ermittlung von Gefährdungen Gestaltungsund Schutzmaßnahmen Zusätzliche Erkenntnisse Instrumente Erhöhte Erkrankungshäufigkeiten bzw. Krankenstände Erhöhte Unfallhäufigkeiten Gesundheitsberichte Statistische Auswertungen Auffällige Häufung von gesundheitlichen Beschwerden Überdurchschnittliche Beanspruchung durch die Arbeit Sicherheitsbedenken Mitarbeiterbefragungen Erfahrungen mit der Beanspruchung durch die Arbeit Sicherheitsbedenken Gruppengespräche Gesundheitszirkel Gesundheitsförderungsmaßnahmen Individuelle Erfahrungen mit der Beanspruchung durch die Arbeit Mitarbeitergespräche Rückkehrgespräche Fehlzeitengespräche Vorschläge zur Verringerung ungünstiger Beanspruchung Vorschläge für verbesserte Schutzmaßnahmen Aneignung von tätigkeitsrelevanten gesundheitsförderlichen Verhaltensweisen Gruppengespräche Gesundheitszirkel Mitarbeitergespräche Rückkehrgespräche Fehlzeitengespräche Gesundheitsförderungsmaßnahmen Vorschläge zur individuellen Anpassung von Anforderungen und Schutzmaßnahmen Rückkehrgespräche Fehlzeitengespräche Integrationsgespräche Sicherheitsvorschläge Gesundheitszirkel Betriebliches Vorschlagswesen Gruppengespräche Mitarbeitergespräche Bewertung und Akzeptanz von Gestaltungs- und Schutzmaßnahmen Mitarbeiterbefragung Entwicklung von Führungskompetenz Im betrieblichen Gesundheitsmanagement wird die Verantwortung und Kompetenz der Führungskräfte herausgehoben. Ihre Kommunikation und ihr Handeln werden als ausschlaggebend für den Erfolg angesehen. Im Arbeitsschutz gilt dies auch in rechtlicher Hinsicht, weil die Verantwortung für die Umsetzung in der Linienorganisation liegt. In der Praxis wird diese Verantwortung jedoch häufig auf die Arbeitsschutzexperten ver- schoben, beispielsweise bei der Beurteilung der Arbeitsbedingungen. Die explizite Übernahme von Verantwortung für Sicherheit und Gesundheitsschutz der Mitarbeiter mit der Führungsrolle, die nach juristischen Kriterien im Rahmen der erteilten Befugnisse faktisch erfolgt, hätte eine Aufwertung der Führungsaufgabe zur Folge. Beispiele dafür sind: 105 KAPITEL XIII · PLÄDOYER Die Veranlassung und Koordination der Beurteilung der Arbeitsbedingungen, auch die Abstimmung mit den Arbeitsschutzexperten das regelmäßige Gespräch der Führungskraft mit ihren Mitarbeitern zu Sicherheit und Gesundheit die gemeinsame Begehung mit Fachkraft oder Betriebsarzt, bei der nicht nur Mängel gesucht, sondern Schutzkonzepte besprochen werden die Erstuntersuchung von Arbeitsunfällen durch die Führungskraft mit Vorschlägen zur Vermeidung die Veranlassung von geeigneteren Schutzmaßnahmen im Rahmen ihrer Befugnisse die Zusammenstellung von Anforderungskriterien für sichere und gesundheitsverträgliche Betriebsmittel aus eigener Sicht und derjenigen der Mitarbeiter bei der Beschaffung oder Veränderung die regelmäßige Information der Führungskraft über Sicherheit und Gesundheit in ihrem Bereich anhand von Kennzahlen die Berichterstattung der Führungskraft über Gesundheit und Sicherheit in ihrem Bereich an die übergeordneten Führungsebenen. Der Nutzen größerer Führungskompetenz im Arbeitsschutz liegt nicht nur in der größeren Transparenz der Aufgabenverteilung, sondern schlägt sich auch in erweiterten Kenntnissen der Vorschriften und einem engagierteren Umgang mit Schutzmaßnahmen nieder. Sie dient somit auch der Führungskraft selbst, indem diese ihre Verantwortung im doppelten Sinne bewusster wahrnimmt. Hier liegt in der Gesundheitsförderung ein weiteres Handlungsfeld. Oftmals wird den Führungskräften nur die Rolle von Beobachtern zugeschrieben, bis die Umsetzung von Verbesserungsvorschlägen ansteht. Der Personalbereich steuert das Gesundheitsförde106 rungsangebot für die Mitarbeiter in Eigenregie. Gesundheitsförderungsmaßnahmen mit einem thematischen Bezug zu den auszuführenden Tätigkeiten bieten den Führungskräften ebenso wie den Mitarbeitern die Gelegenheit, ihre Kenntnisse zu erweitern. Dies ist von besonderer Bedeutung, wenn den Mitarbeitern Veränderungen im Arbeitsverhalten empfohlen werden. Die Teilhabe am kollektiven Lernprozess erleichtert einer Führungskraft die Kommunikation mit ihrem Personal über die praktische Anwendung neuer Verhaltensweisen und über die gezielte Anpassung von Arbeitsbedingungen. Statt der direkten Teilnahme kann auch ein begleitendes Coaching durch Gesundheitsförderungsexperten ein geeigneter Weg sein, mit der Führungskraft die gesundheitliche Bedeutung, die wichtigsten Techniken und die Vorgehensweise im Programm zu erörtern. Der Nutzen einer stärkeren Einbindung der Führungskräfte ist ein sukzessiver Aufbau von Gesundheitskompetenz im Betrieb. Angemessene Einbeziehung von Mitarbeitern Während in der Gesundheitsförderung die Mitarbeiter als „Experten ihrer Arbeit und ihrer Gesundheit“ gelten, sperrt sich der Arbeitsschutz mit seiner Vielzahl an Regelungen und dem umfangreichen Fachwissen, das auch in der Anwendung zum Tragen kommen soll, gegen eine einfache Vermittlung an die Mitarbeiter. Die Regelungen des Arbeitsschutzgesetzes werden im Sinne des T-O-P-Prinzips interpretiert: Technische Schutzmaßnahmen haben Priorität vor organisatorischen Maßnahmen, diese wiederum vor personenbezogenen Schutzmaßnahmen. Betriebsanweisungen und Unterweisungen, die das persönliche Verhalten der Beschäftigten beeinflussen sollen, werden konsequent als Endglied der Schutzmaßnahmen betrachtet. Damit soll einer übermäßigen Verlagerung der Risikobewältigung auf das Arbeitsverhalten KAPITEL XIII vorgebeugt werden. Gleichzeitig beschränkt die gesetzliche Unfallversicherung die Verantwortung der Beschäftigten bei Arbeitsunfällen auf die seltenen Fälle vorsätzlicher Selbstschädigung. Es verwundert daher nicht, dass Beschäftigte aus der Perspektive des Arbeitsschutzes vorwiegend als zu schützende Personen betrachtet werden. Sie haben vor allen Dingen vorgegebene Regeln einzuhalten und die Schutzausrüstung zu benutzen. Eine aktive Rolle in der Mitgestaltung wird im Arbeitsschutzrecht nur den nach § 22 SGB VII als Sicherheitsbeauftragten bestellten Beschäftigten zugeschrieben. In der Gesundheitsförderung und noch mehr im betrieblichen Gesundheitsmanagement werden Mitarbeiter hingegen in einer aktiven Rolle gesehen. Im Gesundheitsmanagement werden sie als Informations- und Ideengeber betrachtet, aber auch als Verantwortliche für ihr Gesundheits- und Anwesenheitsverhalten. Ihre Sichtweise zu den Arbeitseinflüssen auf ihre Gesundheit ist gefragt, aber auch ihre Vorschläge, wie ihre Tätigkeit gesundheitsverträglich gestaltet werden kann. In Fehlzeitengesprächen, denen in der Regel ein festgelegtes Fehlzeitenmuster vorausgeht, sind sie zur Stellungnahme zu ihrem Gesundheitsverhalten aufgefordert. Darüber hinaus werden sie zum Überdenken ihrer Anwesenheitsentscheidung angeregt. Die Verantwortungszuschreibung an die Mitarbeiter ist also sehr weit gefasst, eine Aufwertung, die auch Anlass zu Kritik von verschiedenen Seiten gibt. In der Gesundheitsförderung ist eine solche Ambivalenz nicht anzutreffen. Vielmehr dominiert eine optimistische Sicht: Mitarbeiter können eigene Beiträge zu ihrer Gesunderhaltung leisten, wofür man ihnen die Aneignung entsprechender Kenntnisse und Fertigkeiten in Form von Gesundheitsförderungsmaßnahmen anbietet. Mit anderen Instrumenten wie Mitarbeiterbefragungen · PLÄDOYER und Gesundheitszirkeln verfolgt man einen noch weiter führenden Gedanken: Mitarbeiter kennen ihre Arbeitssituation besser als ihre Führungskräfte und erst recht besser als Außenstehende. Diese intime Kenntnis bezieht sich vor allem auf das Auftreten von Belastungen und die daraus folgende Beanspruchung, auf die Häufung gefährlicher Situationen und naturgemäß auch auf den Umgang mit den getroffenen oder angeordneten Schutzmaßnahmen. Diese Arbeitserfahrungen lassen sich abfragen und für Verbesserungen nutzbar machen, was viele Mitarbeiterbefragungen und Gesundheitszirkel belegen. Ein weiteres Anwendungsbeispiel ist die Beurteilung der Arbeitsbedingungen. In der Praxis scheinen die Fälle, in denen eine externe Beurteilung durch Fachkräfte für Arbeitssicherheit vorgenommen wurde, deutlich zu überwiegen. Demgegenüber wird die Erörterung mit den Mitarbeitern offenbar deutlich seltener praktiziert. Offen bleibt, wie das Zusammenwirken von Mensch, Technik und Organisation auf diese Weise erfasst wird. Insbesondere die Fälle von physischer oder psychischer Erschöpfung, wie sie durch Mitarbeiterbefragungen gelegentlich aufgedeckt werden, können im Rahmen einer Begehung kaum erkannt werden. Manchmal klingt die Betonung, die der Einbeziehung der Mitarbeiter verliehen wird, wie eine romantische Vorstellung vom harmonischen Team. Besser sind realistische Erwartungen an den Dialog. Mitarbeiter können auch unrealistische und falsche Einschätzungen äußern, weil sie manche betrieblichen Gegebenheiten nicht kennen oder weil ihnen fachliches Wissen fehlt. In einer Arbeitswelt mit Produkten und Anwendungen aus den verschiedensten Fachdisziplinen treten leicht Vermutungen an die Stelle gesicherten Wissens. Aber selbst die Aufdeckung unzutreffender Gefährdungseinschätzungen der Mitarbeiter ist für den Betrieb und die Führungskraft von Bedeu107 KAPITEL XIII · PLÄDOYER tung, weil sich die Meinungen im Verhalten oder in der Stimmung der Mitarbeiter niederschlagen können. oder die Auffälligkeiten bei einer exponierten Gruppe, nicht die Leistungsfähigkeit des Einzelnen. Es ist hilfreich, die Einbeziehung der Mitarbeiter nicht dem Belieben jeder Führungskraft zu überlassen, sondern betriebliche Regeln dafür zu entwickeln. In moderierten Gesundheitszirkeln und beim Training von Mitarbeitergesprächen zum Themenkreis Gesundheit wird vielfach deutlich, dass fehlende Übung im konstruktiven Dialog im allgemeinen und mit dem Thema Gesundheit im besonderen das Gespräch erschweren. Die Festlegung von Gesprächsanlässen und von allgemeinen Fragestellungen zum Arbeitsschutz kann deshalb Hilfestellung geben und den Einstieg in eine neue Gesprächskultur erleichtern. Ebenso können ausgearbeitete Methoden zur effizienten Gesprächsführung beitragen, etwa zur Ermittlung von Gefährdungen und zur Ausarbeitung von besseren mitarbeiterorientierten Schutzkonzepten. Umgekehrt lässt die arbeitsmedizinische Betreuung für einzelne Mitarbeiter und für bestimmte Tätigkeiten Empfehlungen für gezielte Gesundheitsförderungsmaßnahmen zu. Solche Empfehlungen können sich auf Untersuchungsergebnisse oder auf Ergebnisse der arbeitsmedizinischen Gefährdungsbeurteilung stützen. Im Rahmen einer erweiterten Konzeption kann der Betriebsarzt als Ideengeber für die Auswahl und Ausgestaltung von Gesundheitsförderungsmaßnahmen einen Bedeutungszuwachs erfahren. Aus der Zusammenarbeit zwischen den Arbeitsschutzexperten und den Gesundheitsförderern können auf diese Weise vielfältige neue Ansätze zum Gesundheitsschutz entstehen. Verfügbares Expertenwissen nutzen Die Zusammenführung von Erkenntnissen über die gesundheitliche Situation der Mitarbeiter mit den Einschätzungen des Betriebsarztes und der Fachkraft für Arbeitssicherheit für einen Arbeitsbereich wird in der Gesundheitsförderung oftmals unterlassen. Das medizinische, ergonomische und sicherheitstechnische Know how ist aber für die Abklärung von Befragungsbefunden unverzichtbar. Wenn zum Beispiel gesundheitliche Beschwerden in einer Tätigkeitsgruppe gehäuft auftreten und eine eindeutige Erklärung dafür aussteht, bietet die arbeitsmedizinische Untersuchung eine Alternative oder Ergänzung zur Klärung im Gespräch. Dafür ist eine epidemiologische und präventivmedizinische Perspektive zweckmäßiger als eine individualmedizinische. Im Fokus der Aufmerksamkeit liegen bei einem solchen betriebsärztlichen Betreuungskonzept die Beanspruchungen einer Tätigkeitsgruppe 108 Aneignung eines erweiterten Methodenspektrums An den aufgeführten Beispielen für die Integration von Arbeitsschutz, Gesundheitsmanagement und Gesundheitsförderung wird deutlich, dass sie für einander wichtige Ergänzungen darstellen. Die Erkenntnisse können bei entsprechender Aufbereitung im wechselseitigen Austausch zur Verbesserung des Gesundheitsschutzes beitragen. Gleichzeitig ist festzustellen, dass bei allen drei Ansätzen der Blick in die Werkzeugkiste der jeweils anderen zu einer Bereicherung führen kann. Das Spektrum an Instrumenten zur Gewinnung von Informationen über Angemessenheit und Risiken von Arbeitsanforderungen wurde durch die betriebliche Gesundheitsförderung erheblich erweitert. Zur Erhebung von Belastungen und Beanspruchungen haben sich die Befragungsinstrumente ebenso bewährt wie zur Aufdeckung organisatorischer Mängel. Eine Weiterentwicklung zum Zweck der Gefährdungsbeurteilung ist KAPITEL XIII leicht vorstellbar, insbesondere durch die Einbeziehung von Fragestellungen, die eine vorläufige Bewertung von Risiken ermöglichen, indem sie den Umfang spezifischer Belastungen sowie das Ausmaß und die Häufigkeit der daraus resultierenden Beanspruchungen mit erfassen. Einige Möglichkeiten zur Verbesserung der Gesprächskultur in Arbeitsschutzbelangen wurden bereits erwähnt. Die Intensivierung des Dialogs zwischen Führungskräften und Mitarbeitern sowie zwischen Führungskräften und Experten für Arbeitsschutz und Gesundheitsförderung wurde dabei in den Vordergrund gerückt. Doch auch zur Methodik · PLÄDOYER des Dialogs sollten weitere Überlegungen angestellt werden, weil ein höherer Grad an Verbindlichkeit in ihren Ergebnissen erwartet wird. Sie sollen auch bei einer Prüfung von außen bestehen können. Einheitliche Fragestellungen und Moderationsmethoden erleichtern den Vergleich von Resultaten im gemeinsamen Gespräch. Beim Dialog über Gefährdungen und Schutzmaßnahmen sowie bei Unterweisungen ist dies von Bedeutung. Eine klare Strukturierung von Gesprächen anhand von Leitfäden erleichtert den Führungskräften die Vorbereitung und Durchführung, sichert ihnen außerdem die Akzeptanz ihrer Ergebnisse. 109 XIV I Abkürzungen ArbSchG ArbStättV ASCA ASiG ASM ASR BaustellV BetrSichV BGB BildscharbV BImSchG BioStoffV BGF BGM GefStoffV GPSG GPSGV GUV-V A1 GUV-V A2 GUV-V A3 GUV-V A4 GUV-V A6/7 110 Anhang Arbeitsschutzgesetz Arbeitsstättenverordnung Arbeitsschutz sicherheitstechnischer Check in Anlagen Arbeitssicherheitsgesetz Arbeitsschutzmanagement Arbeitsstätten-Richtlinie Baustellenverordnung Betriebssicherheitsverordnung Bürgerliches Gesetzbuch Bildschirmarbeitsverordnung Bundesimmissionsschutzgesetz Biostoffverordnung Betriebliche Gesundheitsförderung Betriebliches Gesundheitsmanagement Gefahrstoffverordnung Geräte- und Produktesicherheitsgesetz Verordnung(en) zum Geräteund Produktesicherheitsgesetz Unfallverhütungsvorschrift „Grundsätze der Prävention“ In Bearbeitung befindliche Unfallverhütungsvorschrift „Betriebsärzte und Fachkräfte für Arbeitssicherheit“ Unfallverhütungsvorschrift „Elektrische Betriebsmittel“ Unfallverhütungsvorschrift „Arbeitsmedizinische Vorsorge“ Unfallverhütungsvorschrift „Betriebsärzte, Sicherheitsingenieure und andere Fachkräfte für Arbeitssicherheit“ (derzeit gültige Fassung) IfSG IHK Infektionsschutzgesetz Industrie- und Handelskammer JArbSchG Jugendarbeitsschutzgesetz KindArbSchG Kinderarbeitsschutzgesetz LASI Länderausschuss für Arbeitsschutz und Sicherheitstechnik LasthandhabV Lastenhandhabungsverordnung MuSchArbV Verordnung zum Schutz der Mütter am Arbeitsplatz MuSchG Mutterschutzgesetz OHRIS Occupational Health- and Risk-Managementsystem OHSAS Occupational Health and Safety Assessment Series OWiG Ordnungswidrigkeitengesetz PSA Persönliche Schutzausrüstung PSA-BV PSA-Benutzungsverordnung RöV Röntgenverordnung SCC Sicherheits Certifikat Contraktoren SGB Sozialgesetzbuch StGB Strafgesetzbuch StrlSchV Strahlenschutzverordnung TR Technische Regel TRBA Technische Regeln für Biologische Arbeitsstoffe TRBS Technische Regeln für Betriebssicherheit TRGS Technische Regeln für Gefahrstoffe UKH Unfallkasse Hessen UVV Unfallverhütungsvorschrift II Fragebogen der Befragung von 2004 111 ANHANG 112 II · FRAGEBOGEN DER BEFRAGUNG VON 2004 ANHANG II · FRAGEBOGEN DER BEFRAGUNG VON 2004 113 ANHANG 114 II · FRAGEBOGEN DER BEFRAGUNG VON 2004 ANHANG II · FRAGEBOGEN DER BEFRAGUNG VON 2004 115 ANHANG 116 II · FRAGEBOGEN DER BEFRAGUNG VON 2004 ANHANG II · FRAGEBOGEN DER BEFRAGUNG VON 2004 117 ANHANG 118 II · FRAGEBOGEN DER BEFRAGUNG VON 2004 Die bislang erschienenen Titel sind zu beziehen: Unfallkasse Hessen Leonardo-da-Vinci-Allee 20, 60486 Frankfurt am Main Servicetelefon Prävention: 069 29972-440, Telefax: 069 29972-207 E-Mail: ukh@ukh.de Download: www.ukh.de Informationen Druckschriften Schriftenreihe der UKH Nichtmitglieder wenden sich bitte an den Universum Verlag, Wiesbaden, Tel.: 06 11 90 30-501, Fax: 06 11 90 30-181 bzw. www.universum.de/shop Band 1 Nachbereitung extrem belastender Einsätze bei der Feuerwehr Band 2 Mehr Sicherheit im Schulsport Band 3 Mehr Sicherheit durch Bewegung Band 4 Der Gewalt auf der Spur Band 5 Handbuch der Arbeitssicherheit Band 6 Körpergerechtes Arbeiten für Erzieherinnen und Erzieher Band 7 Erziehung (k)ein Kinderspiel Band 8 Kindertagesstätten sicher gestalten Band 9 Die sichere Schule Band 10 Einführung in die Schultafelprüfung Band 11 Bibliotheken und Archive. (K)ein Platz für Schimmelpilze Band 12 Kooperation mit Fremdfirmen. Arbeitsschutz bei Werkverträgen Band 14 Einführung in die Gefährdungsbeurteilung für Führungskräfte Band 15 Unterweisen in der betrieblichen Praxis