Robert (Thomas Dietrich) Luther - Christian-Albrechts
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Robert (Thomas Dietrich) Luther - Christian-Albrechts
Please take notice of: (c)Beneke. Don't quote without permission. Robert (Thomas Dietrich) Luther (02.01.1868 [21.12.1867] Moskau - 17.04.1945 Dresden) und seine photochemischen Arbeiten Klaus Beneke Institut für Anorganische Chemie der Christian-Albrechts-Universität der Universität D-24098 Kiel k.beneke@email.uni-kiel.de Auszug und ergänzter Artikel (Oktober 2005): Klaus Beneke Biographien und wissenschaftliche Lebensläufe von Kolloidwissenschaftlern, deren Lebensdaten mit 1995 in Verbindung stehen. Beiträge zur Geschichte der Kolloidwissenschaften, VII Mitteilungen der Kolloid-Gesellschaft, 1998, Seite 96-98 Verlag Reinhard Knof, Nehmten ISBN 3-934413-01-3 2 Robert (Thomas Dietrich) Luther (02.01.1868 [21.12.1867] Moskau - 17.04.1945 Dresden) und seine photochemischen Arbeiten. Robert Luther wurde als Sohn des Collegien Assesors und Rechtsanwalts Alexander Luther (gestorben 1892) und dessen Frau Lina geb. Frese (gestorben 1881) in Moskau geboren. Bis zum achten Lebensjahre wurde Robert Luther zu Hause unterrichtet und besuchte danach das deutsche St.-Petri-Pauli Gymnasium in Moskau und die russischen Gymnasien in Twer und Moskau und legte am letzteren 1885 die Reifeprüfung ab. Er studierte von 1885 bis 1889 Chemie an der Universität Dorpat und erhielt 1888 für die Bearbeitung des Themas Prüfung der auf Reduction zu Ammoniak begründeten Robert Luther (1868 - 1945) Methoden zur Analyse der Nitrate die goldene Preismedaille. Im Jahre 1889 wurde Robert Luther nach bestandener Prüfung Kandidat der Chemie und hörte noch ein Semester Mathematik. Ende 1889 wurde er Assistent von Friedrich Konrad Beilstein1 am 1 Friedrich Konrad Beilstein (17.02.1838 St. Petersburg - 18.10.1906 St. Petersburg). Studierte ab 1853 Chemie in Heidelberg, München und Göttingen und promovierte 1858 bei Friedrich Wöhler (31.07.1800 Eschersheim (heute zu Frankfurt - 23.09.1882 Göttingen). Er ging danach nach Paris zu Charles Adolphe Wurtz (26.11.1817 Straßburg - 12.05.1884 Paris) und Charles Friedel (12.03.1832 Straßburg - 20.04.1899 Montauban) und untersuchte Verbindungen wie Ethylchlorid und Benzencarbonsäuren, die auf verschieden Wegen synthetisiert werden konnten. Er wurde Assistent bei Wöhler und 1860 Privatdozent in Göttingen. Er synthetisierte Propen und Penten aus Zinkethyl und Chloroform und führte Untersuchungen zu den Isomeren der Chlorbenzencarbonsäuren und der Nitromethylbenzene durch. Beilstein wurde 1865 außerordentlicher Professor in Göttingen und 1866 an das Technologische Institut der Universität nach St. Petersburg berufen, wo er als Professor der Chemie und Direktor des chemischen Laboratoriums bis zu seinem Tode tätig war. Er untersuchte später auch Erdöl von Baku, dessen hohen Dichte er auf den Gehalt an hydrierten Benzenderivaten (cyclische Kohlenwasserstoffe) zurückführen konnte. Bereits in Göttingen begann Beilstein mit der Sammlung von Notizen zur organischen Chemie, die 1880-1882 als zweibändiges Handbuch der organischen Chemie erschien. Der „Beilstein“ ist noch heute das wichtigste Nachschlagewerk für den organischen arbeitenden Chemiker [8]. 3 Chemischen Laboratorium des Technologischen Instituts in St. Petersburg. Er blieb in dieser Stellung bis zum Sommer 1891 und erkrankte plötzlich schwer. Von dieser Zeit bis 1894 mußte er sich der Wiederherstellung der Gesundheit widmen und schrieb sich Ostern 1894 zum Studium der Chemie an der Universität Leipzig ein. Universität Dorpat (1909) Das Physikalisch-Chemische Institut von Wilhelm Ostwald in Leipzig (ab 1898) 4 Bescheingte Vorlesungen von Robert Luther an der Universität Leipzig [5]: Jahr 1894 Vorlesung Chemisches Halbpraktikum - Energetik Chemisches Halbpraktikum - org. Chemie Physikal.- chemisches Colloquium 1894/95 Physikal.- chemisches Vollpraktikum Organische Chemie Physikalisches Halbpraktikum Elektrochemie 1895 Physikalisch- chem. Vollpraktikum Physikalisch- chem. Colloquium 1895/96 Physikalisch- chem. Praktikum Elektrizität und Magnetismus Physikalisch- chem. Colloquium Nachtrag Physikalisches Practikum 1896 Optik und Elektrotechnik Physikal.-chem. Colloquium Dozent Prof. Dr. Ostwald Prof. Dr. Wislicenus Dr. Le Blanc Prof. Dr. Ostwald Prof. Dr. Wislicenus Prof. Dr. Wiedemann Dr. Le Blanc Prof. Dr. Ostwald Dr. Le Blanc Prof. Dr. Ostwald Prof. Dr. Drude Dr. Le Blanc Prof. Dr. Wiedemann Prof. Dr. Drude Der. Wiedeburg Robert Luther promovierte im April 1896 mit der Dissertation Electromotorische Kraft und Verteilungsgleichgewicht., am 20. Dezember 1895 hatte er bereits die Doktorprüfung bestanden. Dabei erhielt er in Physik erhielt er die Note I bei Gustav Wiedemann2; in Chemie die Note I bei Wilhelm Ostwald3 und in Mathematik die Note 2 Gustav Heinrich Wiedemann (02.10.1826 Berlin- 23.03.1899 Leipzig). Sohn eines Berliner Kaufmanns der anfangs eine Privatschule besuchte und ab 1838 das Cölnische Humanistische Gymnasium. Studierte ab 1844 in Berlin Physik, Chemie und Mathematik und promovierte ebendort im Jahre 1847. Befreundetete sich mit Hermann von Helmholtz an und habilitierte sich an der Berliner Universität im Jahre 1851. Er war von 1854 bis 1863 Professor in Basel, danach in Braunschweig und Karlsruhe, ab 1871 in Leipzig, wo er 1883 Direktor des Physikalischen Instituts wurde. Er arbeitete über die Polarisation des Lichtes, Elektrizität und Magnetismus und entdeckte die mechanische Deformation (Torsion) eines stromdurchflossenen stabförmigen Magneten. Mit Rudolph Franz (1827 - 1902) stellte er das Wiedemann-Franz-Gesetz über die Beziehungen zwischen elektrischer und Wärmeleitfähigkeit auf. G. Wiedemann bestimmte auch den absoluten elektrischen Widerstand des Quecksilbers. Er bestimmte dazu die Länge eine Quecksilbersäule die bei einem Querschnitt von 1 mm2 einen Widerstand von 1 Ohm aufweist, wobei die genaue Länge der Quecksilbersäule 1,0626 m aufwies. Auf Grundlage dieser Meßergebnisse wurde 1893 die international gültige Maßeinheit Ohm verbindlich festgelegt. Er arbeitete auch über Endosmose. Wiedemann war seit 1877 Herausgeber der Annalen der Physik [9]. 3 Friedrich Wilhelm Ostwald (02.09.1853 Riga - 04.04.1932 Leipzig). Begann 1872 mit dem Studium der Chemie in Dorpat und promovierte dort 1878 und wurde 1882 Professor am 5 2a bei Adolf Mayer. Er erhielt in mündlicher Prüfung die Note I und für die Arbeit ebenfalls die Note I von Wilhelm Ostwald und Gustav Wiedemann, wobei ihm Wi. Ostwald Originalität und Selbständigkeit bescheinigte [1,5]. Friedrich Konrad Beilstein (1838 - 1906) Gustav Heinrich Wiedemann (1826 - 1899) Im Oktober 1896 wurde Robert Luther Privatassistent am PhysikalischChemischen Institut der Universität Leipzig bei Wilhelm Ostwald. Am 20. Juni 1899 reichte er seine Habilitationschrift Die Verschiebung des Gleichgewichts zwischen den Halogenverbindungen des Silbers und dem freien Halogen durch das Licht vor, die auch angenommen wurde. Wilhelm Ostwald schrieb dazu ein ausführliches Gutachten und empfiehlt die Annahme am 8. August 1899. Man liest darin u. a. [5]: Polytechnikum in Riga. Er wurde 1887 auf den Lehrstuhl für Physikalische Chemie nach Leipzig berufen und zog sich 1906 vom Lehrbetrieb zurück. Wi. Ostwald arbeitete über chemische Affinität und untersuchte langsam verlaufende Reaktionen. Er konnte aufzeigen, dass die Reaktiondgeschwindigkeit in Lösungen von der Ionenkonzentration abhängt und dass die molare Leitfähigkeit wässriger Elektrolytlösungen mit steigender Verdünnung wächst. Weiterhin arbeitete er auf dem Gebiet der Katalyse und führte 1889 den Begriff der Autokatalyse ein und hatte erkannt, dass Katalysatoren die Geschwindigkeit thermodynamischer möglicher Reaktionen beeinflussen, aber keine Reaktion auslösen. Später, nach seinem Rücktritt, beschäftigte sich Wi. Ostwald mit naturphilosophischen und chemiehistorischen Themen. Er erhielt 1909 den Nobelpreis der Chemie für seine Arbeiten über Katalyse, chemische Gleichgewichte und chemischen Reaktionsgeschwindigkeiten [8]. 6 Experimentalvortrag von Wilhelm Ostwald bei der Einweihung des Physikalisch-chemischen Institut in Leipzig (03.01.1898) Wilhelm Ostwald (um 1902) Ernst Otto Beckmann (1853 - 1923) 7 „Sie enthält in ihrem experimentellen wie in ihrem theoretischen Theil so viel Neues und wissenschaftlich Beachtenswerthens, daß ich mich anstehe, sie als die wichtigste Arbeit zu bezeichnen, welche seit längerer Zeit in dem behandelten Gebiete, dem der photochemischen Vorgänge, erschienen ist“. Johann Theodor Lemberg (1842 - 1902). Arthur Joachim von Oettingen (1836 - 1920) Otto Wiener (1862 - 1927; Experimentalphysiker) (am 8. Oktober 1899) und Ernst Otto Beckmann4 (am 12. Oktober 1899) empfohlen ebenfalls die Annahme und 4 Ernst Otto Beckmann4 (04.07.1853 Solingen - 13.07.1923 Berlin-Dahlem). Sohn eines Fabrikbesitzers, war zunächst Apothekengehilfe in Arolsen, Leipzig und Köln und wurde 1874 Assistent im Laboratorium von Carl Remigius Fresenius (28.12.1818 Frankfurt am Main - 11.06.1897 Wiesbaden) in Wiesbaden. Beckmann begann 1875 mit dem Chemiestudium an der Universität Leipzig, wo er 1877 das pharmazeutische Staatsexamen ablegte und 1878 an der chemischen Fakultät promovierte. Er wechselte 1879 an die TH Braunschweig wo er sich 1882 habilitiert und kehrte 1883 nach Leipzig zurück wo er Dozent wurde. 1890 wurde er außerordentlicher Professor in Leipzig, 1891 in Gießen. Von 1892 bis 1897 wirkte er als ordentlicher Professor für Pharmazeutische Chemie in Erlangen und von 1897 bis 1912 als ordentlicher Professor für Angewandte Chemie in Leipzig. 1912 wurde Beckmann ordentlicher Professor an der Universität Berlin und Direktor des neu geschaffenen Institut für Physikalische Chemie und Elektrochemie des KWI in Berlin-Dahlem, wo er 1921 emeritiert wurde. Beckmann untersuchte zunächst die räumliche Isomerie von organischen Verbindungen und beobachtete 1886 die intramolekulare Umlagerung von Ketoximen in substituierte Amide (Beckmann-Umlagerung). Sein Interesse zur Physikalischen Chemie wurde in Leipzig geweckt. Er benutzte die von Raoult angegebene Methode der Gefrier- und 8 so erhielt Robert Luther am 22. Dezember 1899 die venia legendi und wurde zum Privat-Dozenten ernannt. In seinen Unterlagen an den Dekan der Philosophischen Fakultät der Universität Leipzig Professor Adolf Mayer legte Robert Luther folgenden Lebenslauf bei [5]: „Vita Ich, Robert Thomas Dietrich Luther, evang.-luth. Confession bin am 21.XII.[18]67 alten Styls, 2.1.68 neuen Styls als Sohn des Collegien Assesors und Rechtsanwalts Alexander Luther ( 1892) und dessen Frau Lina geb. Frese ( 1881) geboren. Ich bin russischer Unterthan, habe aber bereits Schritte gethan, um die deutsche Reichsangehörigkeit zu erwerben. Nachdem ich bis zu meinem 8ten Jahre häuslichen Unterricht genossen hatte, besuchte ich das deutsche St.-Petri-Pauli Gymnasium in Moscau, darauf die russischen Gymnasien in Twer und Moscau. Letzteres absolvierte ich 1885 mit dem Zeugnis der Reife und bezog die Universität Dorpat, wo ich mich für das Studium der Chemie immatriculieren liess. Im Jahre 1888 erhielt ich für die Bearbeitung des Themas „Prüfung der auf Reduction zu Ammoniak begründeten Methoden zur Analyse der Nitrate“ die goldene Preismedaille. Im Jahre 1889 erwarb ich nach bestandener Prüfung den Grad eines Candidaten der Chemie und hörte darauf noch ein Semester mathematische Collegia. Ende 1889 wurde ich Assistent von Prof. Beilstein am chemischen Laboratorium des Technologischen Instituts in St. Petersburg. In dieser Stellung verblieb ich bis zum Sommer 1891, wo ich plötzlich schwer erkrankte. Die Jahre 1891 bis 1894 waren der Wiederherstellung der Gesundheit gewidmet. Ostern 1894 liess ich mich an der Universität Leipzig für das Studium der Chemie immatriculieren und wurde im April 1896 auf Grund der Dissertation: „Electromotorische Kraft und Verteilungsgewicht“ zum Doctor promoviert, nachdem ich im December 1895 die Doctorprüfung bestanden hatte. Seit October 1896 bin ich Assistent am physikalisch-chemischen Institut der Universität Leipzig.“ Robert Luther und Wilhelm Ostwald erhielten ihre erste Universitätsausbildung in Siedepunktsbestimmung zur Molmassenbestimmung organischer Verbindungen, die er entscheidend verbesserte und erweiterte. Die Entwicklung des Beckmann-Thermometers ermöglichte für beliebige Temperaturbereiche sehr genaue Messungen (0.01K). Beckmann beschäftigte sich auch mit Analysenmethoden von Nahrungsmitteln und beschäftigte sich mit Spektrallampen und deren Anwendung [8]. 9 Dorpat und hatten praktisch die gleichen Lehrer (Carl Schmidt5, Johann Lemberg6, Arthur v. Oettingen7). Robert Luther wurde zur äußersten Genauigkeit beim experimentellen Arbeiten erzogen, das Publizieren sollte sparsam erfolgen. Letzteres behagte Wilhelm Ostwald weniger, besonders als Robert Luther dessen Privatassistent wurde. Wilhem Ostwald war stets darauf bedacht, dem eigenen Fachgebiet durch Publikationen und Vorträge zum Durchbruch zu verhelfen. Als dieser nach einer Erschöpfungsphase zwischen 1895/96 eine längere 5 Carl Ernst Heinrich Schmidt (13.06.1822 Mitau (Jelgava bei Riga) - 27.02.1894 Dorpat). Studierte Naturwissenschaften und Medizin in Berlin, Gießen und Göttingen, wo er 1845 in der Medizin promovierte. Schmidt arbeitete danach an der Militär-Medizinischen-Akademie in St. Petersburg und ging 1846 als Privatdozent für physiologiscvhe und pathologische Chemie an die Universität Dorpat. Dort wurde er 1850 außerordentlicher Professor für Pharmazie und 1852 oredentlicher Professor für medizinische Chemie. Schmidt publizierte in den 18(40)er und 18(50)er Jahren mehrere bahnbrechde Arbeiten über Verdauung, Stoffwechsel, Blut und Lymphe. Ab den 18(60)er Jahren galt Schmidts Hauptinteresse der Geochemie der Lagerstätten von Torf, Salz, Phosphorit, Guano, Erdgas und Erdöl im Baltikum, Rußland und Sibierien [8]. 6 Johann Theodor Lemberg (07.09.1842 - 20.11.1902). 7 Arthur Joachim von Oettingen (28.03.1836 [16.03.1836] Dorpat - 05.09.1920 Bensheim an der Bergstraße). Er hatte zwei Brüder die ebenfalls an der Universität Dorpat wirkten, den Ophthalmologen Georg von Oettingen (1824 - 1916) und den Theologen Alexander von Oettingen (1827 - 1905). Der jüngste der Brüder Arthur von Oettingen studierte ab 1853 bis 1858 in seiner Heimatstadt Astronomie und später Physik. Danach ging er nach Paris zu Victor Regnault und 1860 nach Berlin wo er mit den Physikern der Physikalischen Gesellschaft in Verbindung kam. Der sehr musikalische veranlagte A. v. Oettingen arbeitete über elektrische Entladungen und auf Anregung von Hermann Helmholtz über Ton- und Harmonielehre und arbeitete nach seiner Rückkehr nach Dorpat die Arbeiten auf und veröffentlichte 1866 ein Harmoniesystem in dualer Entwicklung [6]. In Dorpat erwarb er 1862 den Grad eines Magisters der Physik und wurde im Dezember zum außeretatsmäßigen Privatdozent (ab Juni 1863 etatsmäßiger Privatdozent) der Physik ernannt. Im Dezember 1865 promovierte A. v. Oettingen mit einer Arbeit Die Korrektion der Thermometer, insbesondere über Bessels Kalibriermethode und wurde im März 1866 zum außerordentlichen Professor ernannt. Die Berufung zum Ordinarius der Physik erfolgte im April 1868. Er widmete sich ausgiebig der Meteorologie und gründete ein Observatorium in Dorpat welches die Universität 1869 übernahm. Er wurde auch Mitglied in verschiedenen wissenschaftlichen Gesellschaften und ihm wurden mehrere Orden (Stanislaus-Orden, Annen-Orden, Wladimir-Orden) verliehen. A. von Oettingen betätigte sich wissenschaftlich auf dem Gebiet der Thermodynamik und gehörte zu den ersten europäischen Physikern, der die Arbeiten von Josiah Willard Gibbs anerkannte. A. von Oettingen emeritierte sich 1893, nachdem zunehmende politische Auseinandersetzungen im Hochschulwesen der baltischen Länder Ende der 18(80)er Jahre auftraten. Vordergründig entzündete sich dies an der Einführung des Russischen als Lehrsprache. Wilhelm Ostwald konnte für seinen Lehrer erreichen, dass dieser zum ordentlichen Honorarprofessor an der Universität Leipzig wurde, ein Amt das A. von Oettingen bis 1919 ausübte. Finanziell wurde sein Lebensunterhalt dadurch für sich und seine Familie (sechs Kinder) nur zum Teil gesichert. Durch Überlassung der Gesamtredaktion der von Wilhelm Ostwald gegründeten „Klassiker der exakten Wissenschaften“ konnte er pekuniären Gewinn ziehen. Andere literarische Unternehmungen wie das Schreiben von Büchern taten ihr übriges. Zunehmende Krankheit und ein Augenleiden ließen seine Kräfte schwinden. Er übersiedelte 1919 zu seinem Sohn Reinhart von Oettingen (1876 - 1953) nach Bensheim wo er ein Jahr später mit 85 Jahren starb [7]. 10 Erholungsphase benötigte und wie er selbst meinte „aus jener Erschöpfungsphase als Halbinvalide hervorgegangen war“, wurde Robert Luther stärker für Lehre und Forschung herangezogen. Als Privatdozent übernahm er ab 1900 Vorlesungen und nach dem Weggang von Georg Bredig8 (1901) wurde er Subdirektor des OstwaldInstituts und absolvierte das Pensum eines Institutsdirektors. Als sich Wilhelm Ostwald 1903/04 von der Vorlesungstätigkeit befreien ließ, mußte Robert Luther die Vorlesungen halten, wobei er Schwierigkeiten bei der didaktisch und anschaulichen Gestaltung der Vorlesungsinhalte hatte [5]. Carl Ernst Heinrich Schmidt (1822 - 1894) 8 Im Jahre 1899 brachte Robert Luther die Monographie Die chemischen Vorgänge in der Photographie heraus. Wilhelm Ostwald und Robert Luther brachten 1902 die 2. Auflage des Hand- und Hülfsbuch zur Ausführung Physiko-Chemischer Messungen [10] heraus. Im Jahre 1909 erschien die dritte Auflage wobei als Herausgeber Robert Luther und der Privatdozent aus Leipzig Karl Drucker fungierten; Wilhelm Ostwald hatte sich zurückgezogen. Am 18. November 1902 wurde vorgeschlagen Robert Georg Bredig (01.10.1868 Glogau - 24.04.1944 New York). Studierte ab 1886 Naturwissenschaften an der Universität Freiburg, danach an der Universität Berlin und Leipzig wo er 1894 in Chemie promovierte. Danach ging G. Bredig zu Jacobus Henricus van´t Hoff nach Amsterdam, nach Paris und zu Svante Arrhenius nach Stockholm und wurde 1895 Assistent bei Wilhelm Ostwald in Leipzig. Dort habilitierte er sich im Jahre 1901 und wurde Privatdozent. Im selben Jahr wurde Georg Bredig als außerordentlicher Professor für Physikalische Chemie an die Universität Heidelberg berufen. 1910 folgte er einem Ruf als ordentlicher Professor an die ETH Zürich und bereits 1911 als Professor für Physikalische Chemie und Elektrochemie an die TH Karlsruhe. Aus politischen Gründen, Georg Bredig war Jude, wurde er 1933 emeritiert. Er ging 1939 in die Niederlande und emigrierte 1940 in die USA. Wegen Krankheit konnte er eine von der University of Princeton angebotene Professur nicht mehr antreten. Georg Bredig begann seine wissenschaftlichen Arbeiten mit der Dissoziation schwacher Basen. Er wies 1899 die Existens von Zwitterionen nach. Er war danach bestrebt die Analogien zwischen katalytischen Vorgängen und Fermentwirkungen nachzuweisen, wobei er für Metallsole den Begriff anorganische Fermente verwandte und stellte 1898 erstmals kolloide Metallsole mit dem elektrischen Lichtbogen dar. G. Bredig untersuchte die Zersetzung des Diazoessigesters und wies 1905 nach, dass die Stickstoffabspaltung eine Reaktion 1. Ordnung ist und diese von Wasserstoffionen katalytisch beeinflußt wird. Bei seinen Untersuchungen der Wasserstoffperoxidzersetzung an Quecksilber entdeckte Georg Bredig die Erscheinung der pulsierenden Katalyse und 1906 die Existens eines explosiven Quecksilberperoxid. Mit Kasimir Fajans (25.05.1887 Warschau - 18.05.1975 Ann Arbor (Michigan)) gelang es G. Bredig 1908 durch Einsatz optisch aktiver Alkaloide als Katalysatoren eine teilweise Racemspaltung optisch inaktiver Gemische und nach 1911 die asymmetrische Synthese optisch aktiver organischer Substanzen. 1932 stellte G. Bredig mit Gerstner und Lang einen Katalysator mit besonders starker asymmetrischer Wirkung her, der Diethylamin an optisch aktiver Cellulose anlagerte [8]. 11 Luther zum außerordentlichen Professor zu befördern, der Antrag wurde jedoch am 3. Dezember 1902 zurückgezogen. Im Jahre 1904 erhielt er ein Angebot der BASF in Ludwigshafen. Im Januar 1904 wurde erneut ein Antrag zur Ernennung von Robert Luther zum a. o. Professor gestellt. Wilhelm Ostwald schrieb dazu am 4. Februar 1904 einen Kommissionsbericht an die Philosophische Fakultät der Universität Leipzig [5]: „Da die Anfrage des Kgl. Ministeriums (22.1.04 – U. N.) dahin geht, ob der philosophischen Facultät Bedenken gegen die Ernennung des Privatdocenten Dr. Luther zum etatsmässigen ausserordentlichen Professor beikommen, so fasst die Commission ihre Aufgabe dahin auf, ihren Bericht der Facultät und nicht dem Ministerium zu erstatten, da des letzteren Anfrage durch ein einfaches Ja oder Nein zu erledigen ist. Dr. Luther gehört zu älteren Lehrbeamten unserer Universität, denn er ist als Assistent am Physikalischchemischen Institut bereits seit 1896 thätig. Georg Bredig Infolge seiner Hingabe an den Laborato(1868 - 1944) riumsunterricht ist er erst verhältnismässig spät zur Habilitation gelangt. Dieselbe erfolgte im December 1899 und seit dem Januar 1900 hat Dr. Luther ununterbrochen Vorlesungen gehalten, über welche in der Beilage sich die näheren Angaben befinden. Somit wäre Dr. Luther ohnedies nach dem von der Facultät geübten Gebrauche jetzt für die Präsentation zum Extraordinarius in Frage gekommen und der entsprechende Antrag wäre jedenfalls bereits eingebracht worden, wenn sich nicht inzwischen die im Ministerium erwähnten Verhältnisse eingestellt hätten Was nun die Qualifikation des Herrn Dr. Luther anlangt, so liegt diese wesentlich auf dem Gebiete der Forschung und dem des Laboratoriumsunterrichtes. Bezüglich des ersten Gebietes wird er vom Director des Physikalisch-chemischen Instituts als (nächst Nernst)* einer der bedeutensten seiner zahlreichen Schüler und Assistenten angesehen. Luther gehört zu den wenigen Gelehrten, die neben der Fähigkeit, grosse Gebiete des vorhandenes Wissens sich bis zu völlig freier Verfügung zu eigen machen, noch die andere Fähigkeit besitzen, sich unerforschten und wenig 12 bekannten Gebieten gegenüber mit erfolgreichen und umfassenden neuen Ideen zu bethätigen. Dies kennzeichnet sich dadurch, dass neben den durch die bisherige Arbeitsrichtung des Instituts gegeben Problemen in zunehmendem Unfange neue Probleme durch die Practicanten bearbeitet werden, die man aus dem Gedankenund Forschungskreise Luthers herrüberragend bezeichnen muß. Es sind dies neben photochemischen Problemen die merkwürdigen, bisher als chemische Räthsel angesehenen Verhältnisse der gekoppelten und der stufenweise verlaufenden Reactionen, die durch ihn und seine Schüler wesentliche Förderung erfahren haben und in Bezug auf welche durch Luthers Thätigkeit des Leipzigers Institut die Führung unternommen hat. Was Luthers Lehrtätigkeit anlangt, so ist seine Arbeit im Laboratorium von der auf dem Katheder getrennt zu behandeln. Als Laboratoriumslehrer besitzt Luther ausgezeichnete Eigenschaften. Sehr ausgedehnte Kenntnisse verbunden mit der entsprechenden geistigen Behendlichkeit ermöglichen es ihm, den oft verwickelten Wegen der zahlreichen wissenschaftlichen Arbeiten, die nebeneinander im Institut einhergehen, jederzeit zu folgen und eintretende Schwierigkeiten erfolgreich zu beseitigen. Eine grosse Anzahl unter seiner besonderen Leitung ausgeführter Dissertationen mit ihrem zum Theil recht erheblichen Ergebnissen sind hierfür Zeugniss. Ein weiteres Zeugniss liefern die Robert Luther (1868-1945) grossen Erfolge der von ihm seit einer Reihe von Jahren vollkommen selbständig geleiteten Feriencurse, an denen sich nicht nur Studenten, sondern in nicht geringer Zahl wissenschaftlich selbständige Herren, wie Assistenten, Privatdocenten und Professoren, die während des Semesters Leipzig nicht aufsuchen können, betheiligen. Auf solche Weise darf Luther bereits eine ganze Anzahl inzwischen selbständiger hervorgetretenen Gelehrten seine Schüler nennen. Am wenigsten günstig lässt sich über Luther bezüglich seiner Vorlesungen sagen. Wiewohl sie sachlich sehr viel bieten und dem Vorbereiteten einen grossen Genuss durch die Originalität der Auffassung und die weitreichenden Ausblicke gewähren, sind sie doch dem Tadel ausgesetzt, dass sie auf den Gedankengang des Anfängers nicht genügend Rücksicht nehmen und dass der Vortragende allzu oft 13 durch den Gang seiner eigenen Gedanken die leichte Uebersicht ueber den Gegenstand der Vorlesung stören lässt. Doch sind dies ersichtlicherweise Nachtheile, die mit dem zunehmenden Alter geringer zu werden pflegen; andererseits sind bei dem ausgezeichneten Studentenmaterial, das für diese Vorlesungen vorhanden ist, die hieraus zu befürchtenden Schädigungen nicht beträchtlich. Die Commission empfielt daher auf das wärmste de Facultät, dass Sie hrn. Dr. Luther dem Königlichen Ministerium als in hohem Grade geeignet für den in Aussicht genommenen Lehrauftrag bezeichnen möchte. W[ilhelm] Ostwald“ Arthur Rudolf Hantzsch (1857 - 1935) 9 Dem Gremium gehörten Wilhelm Ostwald, Ernst Beckmann, Otto Wiener, Theodor Des Coudres (1862 - 1926) und Arthur Hantzsch9 an. Theodor Des Coudres und Arthur Hantzsch waren einverstanden. Beckmann und Wiener vorbehaltlich einer Klammer-Korrektur einverstanden. Arthur Rudolf Hantzsch9 (07.03.1857 Dresden- 14.03.1935 Dresden). Sohn eines Kaufmanns der ab 1875 am Polytechnikum in seiner Heimatstadt Chemie studierte. Er wechselte 1879 an die Universität Würzburg wo er 1880 promovierte. Hantzsch arbeitete danach als Assistent am Physikalisch Chemischen Institut der Universität Leipzig, wo er sich 1882 mit einer Arbeit der Synthese für Pyridine aus ß-Ketocarbonsäuresestern, Aldehyd und Ammoniak (Hantzsche Pyridin-Synthese) habilitierte und als Privatdozent wirkte. 1885 wurde er als ordentlicher Professor an das Polytechnikum Zürich berufen. Ab 1893 wirkte Arthur Hantzsch als ordenticher Professor an der Universität Würzburg und ab 1903 an der Universität Leipzig, wo er 1927 emeritiert wurde. 1890 stellte Arthur Hantzsch durch eine mehrstufige Synthese Pyrrol aus ßKetocarbonsäureestern, α-Chlorketon und Ammoniak (Hantzsche Pyrrol-Synthese) dar. Weiterhin beschäftigte er sich mit Phenylnitromethan wobei er die Aci-Form Pseudosäure nannte. Bei der Untersuchung dieser Erscheinung gelangte er zur allgemeinen Theorie der Pseudosäuren und -basen, die die Indikatoreigenschaften einer Reihe organischer Stoffe als Umlagerung in isomere Aci- bzw. Basenform erklärte, wobei die farbige Form eine chinoide Struktur aufweist. Die Untersuchung über die physikalisch-chemischen Eigenschaften aller Säuren, einschließlich der Mineralsäuren, führten Hantzsch zu einer Stärke-Reihe einbasischer Säuren. Diese Forschungen ergaben eine wesentliche Verbreiterung des Säure-Basen-Begriffs und legten den Grundstein der Brønstedschen Säure-Basen-Theorie (Johannes Nicolaus Brønsted (22.02.1879 Varde (Dänemark) - 17.12.1947 Kopenhagen) [8]. 14 Schließlich wurde Robert Luther am 1. April 1904 zum außerordentlichen Professor mit Lehrauftrag für Physikalische Chemie an der Universität Leipzig ernannt. Wilhelm Ostwald beantragte 1905 beim Königlich-Sächsischem Ministerium in Dresden erneut aus gesundheitlichen Gründen eine Freistellung von der Vorlesungstätigkeit. Die „naturwissenschaftliche Fraktion“ in der Philosophischen Fakultät wurde überstimmt und der Antrag abgelehnt. Bereits 1903 hatte die Fakultät einen Antrag von Wilhelm Ostwald auf Lehrentlastung abgelehnt., wobei das Ministerium 1903 von seinem Weisungsrecht zugunsten von Wilhelm Ostwald Gebrauch machte. Um eine Wiederholung auszuschließen und das Urteil der Fakultät beachtet wurde schrieb der Dekan Johannes Volkelt (Inhaber des Lehrstuhl für Philosophie und Pädagogik) am 26. Januar an das Ministerium, dass ein wesentlicher Teil der Wilhelm Ostwald (1912) Funktionen eines Ordinarius das Abhalten von systematischen Vorlesungen sei und jene nicht „einer minder vertrauten Lehrkraft anvertraut“ werden. „Die Fakultät ist der Überzeugung, daß die wichtigste Aufgabe des Universitätsprofessors im Lehren bestehe, daß es eine Schädigung der Universitätsinteressen bedeute, wenn vergleichweise untergeordnete Lehrkräfte mit dem Abhalten von Hauptvorlesungen betraut werden ...“. Nicht nachweisbar ist ob die Fakultät Robert Luther als weniger qualifizierte Lehrkraft ansah. Wilhelm Ostwald der bereits 1903 einen längeren Aufenthalt in den USA hatte, weilte 1905/06 als erster Austauschprofessor in den USA, auch da mußte ihn Robert Luther im Institut vertreten [5]. Wilhelm Ostwald war über die Ablehnung seines Gesuches durch diie Fakultät sehr verärgert und schrieb verbittert [5]: „Im August 1906 schloß ich meine Lehrtätigkeit an der Universität Leipzig ab, ohne von dieser, der ich in meinem besonderen Lehrgebiet die Stellung der ersten in der Welt erworben hatte, ein Zeichen der Anteilnahme an diesem Vorgange zu erfahren“. 15 Haus Energie auf Wilhelm Ostwalds Landsitz Großbothen bei Grimma (2003) Wilhelm Ostwald zog sich verärgert auf seinen Landsitz nach Großbothen zurück. Es mußte ein Nachfolger für ihn gefunden werden, seine positive Beurteilung aus dem Jahre 1904 über Robert Luthers Tätigkeit war bedeutungslos geworden. Der spätere Institutsdirektor (1947 bis 1959) Herbert Staude10 hatte von Robert Luther in dieser Angelegenheit folgendes erfahren [5]: 10 Herbert Staude (20.03.1901 Schmölln - 28.08.1983 Frankfurt am Main). Studierte in Leipzig und promovierte bei F. Weigert über monochromatische Lichtfilter. Er war bis 1931 Assistent unter Max Le Blanc und arbeitete über die Bestimmung der spezifischen Wärmen von Benzol in der Nähe des Schmelpunktes. Von 1933 bis 1936 arbeitete Herbert Staude am Photographischen Institut in Dresden unter Robert Luther. Im Jahre 1939 habilitierte er sich an der TH Berlin mit einer Arbeit Beitrag zur Kenntnis des Entwicklungsvorganges. Die Rolle der Oxydationsprodukte. Er schrieb mit G. Stade das Lehrbuch Mikrophotographie. Zwischenzeitlich wirkte H. Staude in der Industrie und wurde 1943 Dozent an der TH Berlin bei Max Volmer (03.05.1885 Hilden - 03.06.1965 Potsdam), wo er mit elektrochemischen Arbeiten beschäftigt war. Staude wurde 1947 in Leipzig Nachfolger von Karl Friedrich Bonhoeffer (13.01.1899 Breslau - 15.05.1957 in Göttingen), der an die Universität Berlin wechselte. Dort war er maßgeblich am Wiederaufbau des Nordflügels des ehemaligen Ostwaldschen Instituts in der Linnéstraße 2 beteiligt und verfaßte das Physikalischchemische Taschenbuch. 1959 konnte er massiven politischen Repressalien, denen er sich unverschuldet ausgesetzt sah, nur durch die Flucht in den westlichen Teil Deutschlands entgehen. Von 1959 bis 1964 wirkte H. Staude als Gastprofessor für Physikalische Chemie an der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität in Frankfurt am Main und übernahm 1964 ebendort das 2. Ordinariat für Physikalische Chemie bis zu seiner Emeritierung [11]. 16 „Ostwald zeigte sich in bezug auf seinen Nachfolger völlig desinteressiert, er gehörte nicht der Berufungskommission an und hatte wohl nicht einmal einen Rat erteilt. Nur nach Aufstellung der Fakultätsliste habe er, ... auf eine Rückfrage geäußert, es wäre ihm gleichgültig, sie sollten seinetwegen den ersten nehmen, und das war nach langer Beratung Le Blanc geworden“. Der Photochemiker J. Plotnikow berichtete später in seinen Memoiren zu den Vorfällen um Wilhelm Ostwald [1]: „Das Jahr 1906 wurde für mich ein schicksalschweres Jahr. Während ich, in Arbeit vertieft, meine eigenen Wege ging, sammelten sich Herbert Staude langsam düstere Wolken auf meinem Horizonte (1901 - 1983) und endlich brach, für mich ganz unerwartet, das Gewitter los. Ostwald verlässt das Institut! Voll Kraft und vor Gesundheit strotzend er war damals 52 Jahre alt - musste er gehen. Und auf ihn war meine ganze Laufbahn aufgebaut. Er wollte von Vorlesungen befreit sein und nur die wisseschaftliche Oberleitung behalten. Das wollten die Philologen an der Fakultät nicht zulassen, weil nach ihrer Auffassung die Vorlesungen die Hauptsache waren.“ J. Plotnikow schrieb weiter über die Wahl und Berufung des Nachfolgers von Wilhelm Ostwald [1]: „Provisorisch wurde die Institutsleitung Prof. Luther übergeben. Es begann der Kampf um diese Stelle. Das Institut leerte sich. Die ersten waren die Ausländer, die es zu verlassen begannen. Dann auch die Einheimischen. Bodenstein ist zu Prof. Nernst nach Berlin übersiedelt, Fredenhagen zu Prof. Wiener in die Physik. Eine starke freundschaftliche Gruppe, wie Drucker, Weigert, v. Halban, Robert Mark11, 11 Robert Marc (07.04.1876 Moskau -1. Mai 1918 Bapaune (Frankreich) gefallen). Der Vater kam aus Thüringen und führte in Moskau das Handelshaus Marc & Wogau. Robert Marc wurde 1889 nach Dresden geschickt wo er das Vitzhum´sche Gymnasium besuchte und 1896 sein Abitur ablegte. Danach studierte R. Marc Chemie in Halle und Genf, diente 1898 bis 1899 als Einjährig-Freiwilliger und beendete seine Studien an der Universität München im Arbeitskreis von Wilhelm Muthmann (08.02.1861 Elberfeld, heute Wuppertal - 03.08.1913 München). Hier promovierte er 1902 über Seltene Erden. Robert Marc heiratete und bereiste mit seiner Frau die USA um dort zu arbeiten, kam aber nach wenigen Jahren wieder nach Deutschland zurück. Er arbeitete in Berliner Laboratorien, war Assistent von Hermann Thiele in Dresden (1904-1905) und kam im Mai 1905 an das Leipziger Physikalisch-chemische Institut, das damals Robert Luther leitete. Hier begann er die Lichtempfindlichkeit des Selens 17 Freundlich12 ist geblieben. Diese Gruppe wollte Luther als Nachfolger haben. Luther zu untersuchen. Im Sommer 1906 ging er an das Mineralogische Institut in Jena wo er sich 1907 in physikalischer Chemie habilitierte und 1911 zum außerordentlichen Professor ernannt wurde. Robert Marc beschäftigte sich mit Kristallisationseigenschaften und Auflösungsgeschwindindigkeiten an verschiedenen Systemen und untersuchte Adsorptionseigenschaften an Kristallen. Weiterhin untersuchte er Wechselbeziehungen zwischen kolloidalen und kristallinen Stoffen und bestimmte kolloidale Stoffe in Abwässern mit dem Flüssigkeitsinterferometer [19]. 12 Herbert Max Finlay Freundlich (28.01.1880 Charlottenburg (heute zu Berlin) - 31.03.1941 Minneapolis (Minnesota)). Die Mutter war Schottin (Ellen Elizabeth, geb. Finlayson); H. Freundlich wuchs in Wiesbaden auf, wo sein Vater E. Philip Freundlich die Leitung einer Eisengießerei übernommen hatte. Herbert Freundlich wollte eigentlich Pianist werden, begann dann aber doch nach langem Zögern 1898 in München Naturwissenschaften zu studieren und wechselte 1899 an die Universität Leipzig wo er 1903 bei Wilhelm Ostwald mit der Arbeit Über das Ausfällen kolloider Lösungen durch Elektrolyte promovierte. Herbert Freundlich blieb als Assistent bei Wilhelm Ostwald und habilitierte sich 1906 mit der Arbeit Kapillarchemie und Physiologie. 1911 wurde er Dozent für Physikalische Chemie, chemische Technologie und Chemie der Metalle an der TH Braunschweig, wo er 1913 außerordentlicher Professor wurde. H. Freundlich wurde 1916 an das Kaiser-Wilhelm-Institut für Physikalische Chemie berufen dessen stellvertretender Direktor er 1919 wurde. Dazu wurde er 1923 noch Honorarprofessor an der Universität Berlin. H. Freundlich trat 1933 von seinen Ämtern zurück, emigrierte nach England und arbeitete zunächst an der Universität London. 1938 übernahm er eine Gastprofessor für Kolloidchemie an die University of Minnesoto in Minneapolis. Herbert Freundlich beschäftigte sich besonders mit kolloidalen Systemen und der Kolloidchemie. Er erkannte, dass das Ausfällen von Gelen durch Elektrolyte ein zeitlich ablaufender Vorgang ist, der von der Zugabegeschwindiigkeit des Elektrolyten und der Wanderungsgeschwindigkeit der Ionen im kolloidalen System abhängt. 1906 beschrieb er die Freundlich-Isotherme die vorzugweise für die Adsorption von Gasen und Dämpfen an Festkörperoberflächen verwendet wird. Bei der Untersuchung vom Quellungsdruck an Gelen konnte er zeigen, dass dabei ein definiertes Gleichgewicht vorliegt. Er beschrieb die Strömungsdoppelbrechung von Vanadiumpentoxidsolen und erkannte den Zusammenhang mit der Form der kolloidalen Teilchen. Mit Rona untersuchte er elektrokinetische Erscheinungen bei der Koagulation (Potentialsprünge), wobei er das Zeta-Potential als Doppelschicht auf der Oberfläche des kolloidalen Teilchens einführte und dessen Bedeutung für die Flockung und Stabilität kolloidaler Lösungen zeigte. An Eisen(II)-hydroxid-Solen beobachtete H. Freundlich die Thixotropie, den Begriff er 1923 prägte (Abnahme der Viskosität oder Konsistenz beim Einwirken einer Schubspannung (z. B. Rührern, Schütteln) bei Nicht-Newton´schen-Flüssigkeiten). H. Freundlich entdeckte 1929 die magnetische Thixotropie und begann 1928 mit der mechanischen Beeinflussung von Ultraschall auf Sole, Gele und andere kolloidale Systeme. Weiterhin beschäftigte er sich mit der Anwendung der Kolloidwissenschaften auf biologische Vorgänge [8,20,21]. Inzwischen sind von Herbert Freundlich Kompositionen gefunden worden. Davon sind die 16 Lieder für Mezzo-Sopran und Klavier und Zwei Quatuor für Quartett inzwischen aufgeführt worden. Der jüngere Bruder von Herbert Max Finlay Freundlich, Erwin Finlay Freundlich (29.05.1885 Biebrich - 24.07.1964 Wiesbaden) war Astrophysiker. Er arbeitete ab 1911 mit Albert Einstein und wollte experimentelle Beweise für dessen Allgemeine Relativitätstheorie erbringen. Bei der am 21. August 1914 stattfindenden Sonnenfinsternis wollte er in Rußland einen experimentellen Beweis für die Ablenkung von Sonnenstrahlen im Schwerefeld der Sonne erbringen, was jedoch am Ersten Weltkrieg scheiterte; Erwin F. Freundlich wurde in Rußland interniert. Nach Kriegsende nach Deutschland zurückgekehrt, setzte er sich stark für den Bau eines Sonnenobservatoriums ein, das als Einsteinturm in Potsdam von dem 18 kam als armer Student aus Moskau nach Leipzig und wurde von Ostwald warm aufgenommen. Als er heiratete, hatte Frau Geheimrat Ostwald dem Jungvermählten die Wohnung ausgestattet. Und jetzt standen sich beide Familien feindlich gegenüber.... Als zweiter Kandidat für die Ostwald-Stelle trat Prof. Le Blanc aus Karlsruhe auf. Auch ein gewesener Assistent von Ostwald. Er kam an der Fakultät durch. Luther bekam einen Lehrstuhl in Dresden für Photografie.“ Erwin Finlay Freundlich (1885 - 1964) Herbert Max Finlay Freundlich (1880 - 1941) Max Julius Le Blanc13 wurde schließlich 1906 Nachfolger von Wilhelm Ostwald, deutsch-amerikanischen Architekten Erich Mendelsohn (1887 - 1953) errichtet wurde (eingeweiht 1924). Später leitete er das zum Oberservatorium gehörende Einstein-Institut. Der von der Allgemeinen Relativitätstheorie vorhergesagte Effekt der Rotverschiebung von Spektrallinien im Schwerefeld der Sonne konnte allerdings nicht nachgewiesen werden. Erwin F. Freundlich mußte 1933 Deutschland verlassen und lehrte bis 1937 an der Universität in Istanbul. Dort baute er ein neues Sonnenobservatorium auf und überarbeitete Lehrbücher. Danach hatte er bis 1939 einen Lehrstuhl an der Karls-Universität in Prag. Über Holland gelangte er nach St. Andrews in Schottland, wo er ein neues Observatorium aufbaute, und hatte von 1951 bis 1959 den John Napier-Lehrstuhl inne. Erwin F. Freundlich kehrte 1959 nach Wiesbaden zurück und lehrte als Honorarprofessor an der JohannesGutenberg-Universität in Mainz [22]. 13 Max Julius Le Blanc (26.05.1865 Barten - 31.07.1943 Leipzig). Studierte von 1883 bis 1886 Chemie an den Universitäten Tübingen, München und Berlin, wo er 1888 bei August Wilhelm von Hofmann (08.04.1818 Gießen - 05.05.1892 Berlin) promovierte und dessen Privatassistent wurde. Von 1890 bis 1893 wirkte Le Blanc als Assistent bei Wilhelm Ostwald 19 wo dieser bis zu seiner Emeritierung 1933 wirkte. Robert Luther wurde 1906, unter der Leitung Max Le Blancs, Leiter der photochemischen Abteilung am PhysikalischChemischen Institut der Universität Leipzig. Im Januar 1907 kam Robert Luther für das Ordinariat der Elektrochemie der TH Hannover in Betracht, was er ablehnte. Einsteinturm in Potsdam (2003) Max Julius Le Blanc (1865 - 1943) Mit Hilfe der Dresdner photographischen Industrie wurde an der dortigen TH im Jahre 1908 ein wissenschaftliche arbeitendes Photographisches Institut in Leipzig wo er sich 1891 mit einer Arbeit habilitierte, in der er beschrieb, dass die Zersetzungsspannung für jedes Ion ein charakteristisches Abscheidungspotential besitzt. Diese Gesetzmäßigkeit bildete die Grundlage für elektrolytische Trennungen von gelösten Salzgemischen. Als Privatdozent führte er 1893 die Wasserstoffelektrode zur pH-Messung ein und wurde 1895 zum außerordentlichen Professor in Leipzig ernannt. Er wechselkte 1896 zu den Farbwerken Hoechst in Frankfurt am Main, wo er Leiter der elektrochemischen Abteilung wurde. Im Jahre 1901 wurde er als Ordinarius für Physikalische Chemie an die TH Karlsruhe berufen und gründete das erste Institut für Elektrochemie, dessen Direktor er wurde. Von 1906 bis 1933 war Max Le Blanc Direktor des Physikalisch.Chemischen Instituts der Universität Leipzig. Um 1900 setzte er säurefeste Diaphragmen zur Elektrolyse ein; 1902 gelang ihm die elektrolytische Darstellung von Chromium und er begann mit Versuchen der Wechselstrom-Elektrolyse in Karlsruhe. Für das Registrieren schneller Potentialänderungen führte Max Le Blanc den Oszillographen in die Elektrochemie ein. Er stellte bei seinen Versuchen fest, dass die Polarisierung bei Elektrodenprozessen hauptsächlich an den Phasengrenzen stattfindet und diese durch Temperatur, Zusätze und die Elektrodenoberfläche beeinflußt wird. Später beschäftigte sich Max Le Blanc mit Kautschukuntersuchungen und arbeitete über Aufbau und Eigenschaften der Mischkristalle. 1932 konnte er an Metalloxiden nachweisen, dass durch geringe Abweichungen von der stöchiometrischen Zusammensetzung die elektrische Leitfähigkeit stark erhöht wird [8]. 20 eingerichtet und Robert Luther am 1. April 1908 zum ordentlichen Professor für Photographie berufen. Der Vorgänger war Hermann Krone (14.09.1827 Breslau 17.09.1916 Laubegast bei Dresden) der ab 1870 an der damaligen Technischen Hochschule Vorlesungen und Praktika zur Photographie gehalten hatte. Hier wurde zunächst in bescheidenen provisorischen Räumem gearbeitet, dem aber im Oktober 1913 die Einweihung eines neuerbauten Instituts folgte [2,3,12]. Max Bodenstein berichtete [12]: „Aus diesem Institut sind in der üblichen Form der wissenschaftlichen Veröffentlichungen verhältnismäßig wenig Arbeiten hinausgegangen. Aber wenn man daraus auf geringe Produktion des Institutes schließen sollte, so wäre das ein großer Irrtum. Hierüber kann der Schreiber dieser Zeilen aus eigener Erfahrung allerdings nur eines sagen. Er hat mehrfach folgende Unterhaltung mit Luther gehabt: ‘Man sollte doch einmal dies und das Problem untersuchen’ oder ‘Wir haben die und die Untersuchung gemacht’ und als Antwort: ‘Ja, das haben wir auch mal ausgeführt, und zwar so und so’ - und dann folgte jedesmal die Schilderung einer vortrefflich erdachten Versuchsanordnung und schöner Ergebnisse. Offensichtlich hat Luther oft nicht die Zeit gefunden, eine experimentell abgeschlossene Untersuchung für die Publikation fertigzumachen, und wenn dadurch gewiß dem Fernerstehenden die Leistungen des wissenMax Bodenstein (1871 - 1942) schaftlich-photographischen Institutes nicht erheblich erscheinen - die Beteiligten kennen sie besser und schätzen sie hoch ein. Das kam, auch für die Außenstehenden, zu kräftigstem Ausdruck etwas 1933 bei der Feier des 25jährigen Bestehen des Instituts, wo die Vertreter der gesamten deutschen photographischen Forschung und Industrie dem Leiter desselben huldigten, oder 1931 auf dem internationalen Kongreß in Dresden, wo das gleiche seitens der Fachleute der ganzen Welt geschah“. In Leipzig konstruierte Luther ein empfindliches Kapillarelektrometer für Potentialmessungen. Dabei fand er eine Beziehung zwischen den Normalpotentialen 21 von Metallionen unterschiedlicher Wertigkeitsstufen (Lutherscher Satz). Nach 1900 wandte er sich photochemischen Vorgängen zu und untersuchte den Lichteinfluß auf die Polymerisation des Anthracens. Aus seiner Untersuchung über die photochemische Oxidation von Chinin mit Chromsäure konnte Max Ernst August Bodenstein14 später ableiten, daß unter geeigneten Bedingungen ein absorbiertes Energiequant ein Chininmolekül umsetzt. Robert Luther führte in seinem Vortrag Aufgaben der Photochemie (1905) aus, daß von 200 Billionen PS, die die Erde dauernd von der Sonne empfange, von den Pflanzen nur wenige Millionstel photochemisch ausgenutzt würden, während der Rest die Erde wieder verläßt, ohne nützliche Arbeit geleistet zu haben, eine Aussage, die auch heute noch fast genau so zutrifft [2]. Im Jahre 1906 erschien von Robert Luther eine Arbeit Räumliche Fortpflanzung chemischer Reaktionen. In dieser beschrieb er erstmals Experimente über die Ausbreitung chemischer Reaktionsfronten in flüssiger Phase, wobei er auch eine Formel für deren Ausbreitungsgeschwindigkeit angab. Diese Arbeit beruhte auf einem Vortrag, den er während der 13. Hauptversammlung der Deutschen BunsenGesellschaft für angewandte physikalischen Chemie gehalten hatte, die vom 21. 24. Mai 1906 in Dresden stattfand. Diese Arbeit von Robert Luther geriet in Vergessenheit und wurde erst wieder mit der Entdeckung und der weiteren Bearbeitung oszillierender Reaktionen vom Belousov-Zhabotinsky-Typ (BZ-Reaktion) wiederentdeckt. Diese von Boris Pavlovich 14 Max Ernst August Bodenstein (15.07.1871 Magdeburg - 03.09.1942 Berlin). Sohn eines Brauereibesitzers, begann 1889 mit dem Studium der Chemie an der Universität Heidelberg. War auch einige Semester im Laboratorium von Remigius Fresenius in Wiesbaden und promovierte 1893 an der Universität Heidelberg. Nach kurzer Zeit im Labor von Carl Theodor Liebermann (23.02.1842 Berlin- 28.12.1914 Berlin) in Berlin ging Max Bodenstein nach Göttingen und 1895 wieder an die Universität Heidelberg wo er sich 1899 habilitierte. 1900 habilitierte er sich in Leipzig um und arbeitete bei Wilhelm Ostwald. 1906 wurde er als außerordentlicher Professor und Abteilungsleiter nach Berlin, und 1908 als ordentlicher Professor und Leiter des Physikalisch-Chemischen Instituts der TH Hannover berufen. Im Jahre 1923 übernahm Max Bodenstein den Lehrstuhl für Physikalische Chemie an der Universität Berlin, wo er 1936 emeritiert wurde. Kinetische und thermodynamische Probleme bei der Bildung und Zerfall von Wasserstoffverbindungen standen am Anfang der Forschung von Max Bodenstein. Der Verlauf von katalytischen Reaktionen und dessen Theorie folgten in Leipzig, die er in Hannover fortsetzte. Hier konnte er besonders am katalytischen Verlauf der Schwefeltrioxidbildung aufzeigen, dass die Diffusion der Ausgangsstoffe an dem Kontakt der geschwindigkeitsbestimmende Vorgang ist. Es folgten Untersuchungen der fotochemischen Knallgasreaktion und Bildung und Zerfall von Stickoxiden. In Berlin arbeitete er weiter über kinetische Probleme, besonders bei thermischen und fotochemischen Kettenreaktionen. Max Bodenstein schuf mit seinen Untersuchungen die Grundlage der kinetischenTheorie von Gasreaktionen. Er konnte erstmals genaue Geschwindigkeitsmessungen an bimolekularen Gasreaktionen im größeren Temperaturbereich durchführen und die Geschwindigkeitskonstanten bestimmen [8]. 22 Belousov15 (1893 - 1970) erstmals beschriebene Belousov-Zhabotinsky-Reaktion wurde von Anatol M. Zhabotinsky16 (geb. 1938 in Moskau) weiterentwickelt. Anatol M. Zhabotinsky zitierte Robert Luthers Arbeit aus dem Jahre 1906 in einer Monographie aus dem Jahre 1974 [15]. Luthers Motivation für seine Untersuchungen über die Fortpflanzung chemischer Reaktionsfronten in homogener flüssiger Phase war es, einen Beitrag zum Verständnis der Reizleitung im Nervensystem zu erbringen [5]. Diese Arbeit von Robert Luther gehört in die Reihe der Selbstorganisation chemischer Strukturen wie sie vorher schon von Friedlieb Ferdinand Runge17 1850 mit seinen Runge-Bildern [16] und Raphael Eduard Julius Liesegang18 1896 mit seinen Liesegang-Ringen beschrieben wurden. Letztere kommen z. B. auch bei der Bildung von Achaten in der Natur vor [17]. 15 Klaus Beneke (2004) Boris Pavlovič Belousov15 (1893 Sarntow - 1970 Moscow). URL: http://www.uni-kiel.de/anorg/lagaly/group/klausSchiver/Liesegang%20named%20literature-2.pdf 16 Anatol Markovich Zhabotinsky (geb. 1938 in Moskau). Studierte Physik und wirkte von 1962 bis 1973 am Institut für Biologische Physik in Moskau. Hier führte er seine grundlegenden Arbeiten über Oszillation und Wellenphänomene in chemischen Systemen durch. 1980 wurde Anatol Zhabotinsky Professor am Physikalisch-Technischen Institut in Moskau und Leiter des Laboratoriums für mathematische Modellierung. Er ist heute an der Brandeis-University in Waltham (Massachusetts) und arbeitet in der Forschergruppe von I. R. Epstein an osziellierenden Reaktionen. 17 Friedlieb Ferdinand Runge (08.02.1794 Billwärder (bei Hamburg) - 25.03.1867 Oranienburg (bei Berlin). Sohn eines Pfarrers der von 1810 bis 1816 Apotherlehrling in Lübeck war. Von 1816 bis 1822 studierte Runge an den Universitäten Berlin, Göttingen und Jena zuerst Medizin, unter Döbereiners Einfluß in Jena, Chemie. Runge promovierte 1819 über Belladonna (Atropin) zum Dr. med., und 1822 in Berlin über Indigo und dessen Salze zum Doktor der Philosophie. Eine dreijährige Studienreise führten Runge nach Frankreich, in die Schweiz, England und die Niederlande. Runge wurde 1826 Privatdozent und 1828 außerordentlicher Professor der Chemie an der Universität Breslau. Dort widmete er sich auch der hiesigen Textilindustrie und der Stadthygenie. 1832 wurde er chemischer Leiter der Chemischen Produktenfabrik zu Oranienburg, die zum preußischen Staatsunternehmen Königliche Seehandlungs-Societät gehörten. Als diese 1850 privatisiert wurden wurde Runge 1852 gekündigt. Er lebte danach hauptsächlich von chemischen Ratschlägen in der Haushaltsführung. Runge führte bis 1830 hauptsächlich Untersuchungen pflanzlichen Materials durch. Dabei isolierte er die Chinabase (Chinin, 1819) Catechin, Gerbsäure, die Inhaltsstoffe der Krappwurzel (darunter Purpurin, 1822), die Kaffeebase (Coffein) und Indigo (Waidsäure). Ab 1831 isolierte Runge aus Steinkohlenteer Anilin, Pyrrol, Leukol (Chinoline) und Carbolsäuren (Phenol). Er stellte mit der Rosolsäure (Aurin, aus Phenol) und dem Anilinschwarz die ersten synthetischen Farbstoffe her. Weiterhin fand er 1842 ein Recylingverfahren bei der Seifenherstellung und die Alaunfabrikation aus Abfall-Ammonoiak. Über die Tüpfelproben der Textilindustrie enwickelte er seine Musterbilder (Runge-Bilder), die als Vorläufer der Papierchromatografie gelten [8]. Seit 1994 gibt es den Friedlieb-Ferdinand-Runge-Preis für unkonvetionelle Kunstvermittlung. 18 Klaus Beneke (2004) Kurzbiographie über Raphael Eduard Julius Liesegang (01.11.1869 Elberfeld - 13.11.1947 Bad Homburg vor der Höhe). URL: http://www.uni-kiel.de/anorg/lagaly/group/klausSchiver/Liesegang%20named%20literature-1.pdf 23 Boris Pavlovič Belousov (1893 – 1970) Friedlieb Ferdinand Runge (1794 - 1867) Anatol Markovich Zhabotinsky (geb. 1938) Raphael Eduard Julius Liesegang (1903) (1869 - 1947) 24 Liesegang-Ringe Runge-Bild Achat-Bänderung (Ausschnitt) L. Kuhnert und U. Niedersen schrieben zu dem Demonstrationsexperiment von Robert Luther [5]: 25 „Luther führte nach seinem Vortrag [14] einen Demonstrationsversuch vor, wobei ihm Herr cand. Meinecke, auf den wir noch zu sprechen kommen werden, assistierte. Er wurde eine schwefelsaure Oxalsäurelösung mit einer wäßrigen Lösung von Kaliumpermanganat gemischt und das Gemisch in ein senkrecht stehendes Röhrchen gefüllt. Dieses Gemisch soll, wenn es sorgfältig unter Ausschluß von reduzierenden Verunreinigungen hergestellt wird, ca. 30 Minuten stabil bleiben, bis eine sichtbare Reaktion eintritt. Im demonstationsversuch wurde die Reaktion durch Überschichten mit einigen Tropfen des durchreagierten Gemisches (das damit bereits Autokatalysator enthielt) gezündet. Die Reaktion, an der Oberfläche ausgelöst, breitete sich hut sichtbar durch den Farbumschlag von rot (Permanganat) zu farblos (Mn2+) vpon oben nach unten aus, was durch Projektion dem Publikum demonstriert wurde. Luther führte an, daß es sich um die Fortpflanzung autokatalytischer Vorgänge handelt. Anschließend bemerkte er, daß die Zahl der für derartige Versuche brauchbaren und überhaupt der bekannten autokatalytischen Reaktionen nicht sehr groß ist. ‘Zudem muß die Reaktion mit einer Farbänderung verknüpft sein, um die Reaktion mit dem Auge beobaxgten zu können’. Er zählt jedoch folgende weitere Beispiele auf, ohne näöhere Angaben zu den Reaktionsbedingungen zu machen: - - saure Verseifung von Alkylsulfaten in gelatinierter Lösung, um Störungen dzurch Konvektion zu verhindern in Gegenwart eines pH-Indikators wie Lackmus; weitere autokatalytische Reduktionen des Permanganats; Reaktion zwischen Jodwasserstoffsäure und Salpetersäure; Reduktionen der Halogensauerstoffsäuren vom Typus HXO3 - insbesondere der Bromsäure mit arseniger Säure, die von seinem Schüler Schilow schon untersucht worden war [18]. Die Möglichkeiten, die das letzte Beispiel bietet, diskutiert er etwas ausführlicher. So gibt er an, daß als Indikator zum Sichtbarmachen der Reaktionsfront der Farbstoff Indigokarmin angewendet wird. Der Mechanismus beruht darauf, daß entsprechendes Brom den Farbstoff irreversibel zerstört, eine aus der Bromat/Bromid-Titration heute bekannte Verfahrensweise. Luther versucht an diesem Beispiel zu erläutern, daß es neben der Reizfortplanzung noch weitere mögliche kinetische Analogien zu biologischen Erregungsphänomenen gibt. So führt er das Phänomen der Refraktarität, die Reizschwelle, das Antwortverhalten des Nervs auf meherere aufeinanderfolgende, unterschwellige Reize und die Reaktion des Nervs auf sogenannte unspezifische Reize an. Weiterhin erwähnt er, leider ohne Details anzugeben, daß sich auch eine chemische Theorie des Gedächtnisses konstruieren läßt. Auch macht er den Vorschlag einer photochemischen Auslösung der chemischen Wellen im Permanganatsystem durch Ankopplung der 26 photochemischen Reduktion des Ferrioxalats, eines heute jedem Photochemiker bekannten Aktinometers. Zum Schluß seiner Ausführungen geht Luther auf Analogien der von ihm untersuchten Vorgänge, die er als isotherme Explosionen bezeichnet, mit den wirklichen Explosionen ein, wie sie bei Verbrennungsvorgängen von Gasen oder Sprengstoffen auftreten und die anisotherme Vorgängen darstellen. Die Analogie is formalkinetischer Art. Sie besteht darin, daß es es sich in beiden Fällen um rückgekoppelte Vorgänge handelt. Einmal ist das die schon erwähnte stöchiometrische Autokatalyse (bei Luthers isothermen Explosionen), zum anderen die exponentielle Abhängigkeit der Geschwindigkeitskonstanten (nach der bekannten Formel von Arrhenius) bei den anisothermen Verbrennungsvorgängen, bei denen sich bei ungenügender Wärmeableitung das Reaktionsgemisch allmählich aufheizt. Allerdings ist der zweite Fall theoretisch wesentlich schwieriger zu behandeln, worauf auch Luther hinweist. Er schreibt deshalb zum Schluß: ‘Ich Robert Luther (1868 - 1945) glaube daher, daß das Studium der Teilvorgänge, also die von Bredig gegonnene Untersuchung adiabatischer Vorgänge einerseits, das von mir und Herrn Meinecke begonnene Studium der isothermen Reaktionsfortpflanzung im homogenen Medium andererseits als Vorstufen zur Kenntnis des zeitlichen Verlaufes von Gas- und Sprengstoffexplosionen dienen können. Ich glaube daher, daß unseren im Gange befindlichen Versuchen auch eine gewisse praktische Bedeutung zukommen kann’“. In Dresden untersuchten Luther und seine Mitarbeiter viele Gebiete der photographischen Wissenschaft, insbesondere die Theorie des latenten Bildes, die Farbenphotographie und die Sensitometrie. Unter Bezugnahme auf das latente Bild beschrieb er - gleichzeitig mit anderen Forschern - 1927 die wichtige Rolle des Schwefels für die Empfindlichkeit photographischer Schichten. Das Silber- 27 Farbbleichverfahren ist auf farbphotographischem Gebiet besonders hervorzuheben. Mit Hilfe einer gekoppelten Reaktion wird durch das Silber ein Farbstoff zerstört, so daß an Stelle des Silberbildes ein Farbstoffbild entsteht. Diese Untersuchungen führten später zu farbphotographischen Verfahren. In der Sensitometrie konnte er mit der Methode der gekreuzten Keile einen einfachen Weg zur Darstellung von Schwärzungskurven photographischer Schichten aufzeigen. Er erarbeitete auch Verfahren zur Messung der Lichtempfindlichkeit aus, die in die DIN-Norm aufgenommen wurden [2,3]. Luther beschäftigte sich daneben mit Fragen der Physiologie und Psychologie. In seiner klassischen Veröffentlichung Aus dem Gebiete der Farbreizmetrik beschrieb er u. a., wie die Filter für eine trichromatrische Analyse beschaffen sein müssen. Diese Forderung ist als Luther-Bedingung in die Literatur eingegangen. Luther war eine große Forscherpersönlichkeit, die weniger durch eine imponierende Fülle von Publikationen gekennzeichnet war. Selbst im Alter hinderte ihn eine übersteigerte Selbstkritik am endgültigen Abschluß von Veröffentlichungen, jedoch konnte er durch seine Vorlesungen und Vorträge eine Menge wertvoller Anregungen weitergeben. Robert Luther wurde 1936 emeritiert. Sein Nachfolger wurde Hellmut Frieser (22.08.1901 - 26.01.1988) der bis 1952 Direktor des Wissenschaftlich Photographischen Instituts der Technischen Hochschule Dresden war. Mit Wilhelm Ostwald brachte Robert Luther 1902 die zweite Auflage Hellmut Frieser (1901 - 1988) des Hand- und Hülfsbuch zur Ausführung Physiko-Chemischer Messungen heraus. Luther war 1922 Gründungsmitglied der Kolloid-Gesellschaft [4]. Im Jahre 1930 wurde die Deutsche Gesellschaft für photographische Forschung gegründet in der Robert Luther wiederholt Erster Vorsitzender war. Die Deutsche Gesellschaft für Photographie (DGPh) stiftet seit 1966 den Robert- 28 Luther-Preis zur Anerkennung und Förderung jüngerer Wissenschaftler und der Anregung zur wissenschaftlichen Bearbeitung photographischer Probleme. „Sein Name erinnert an Prof. Dr. Robert Luther, der von 1908 bis 1936 das Wissenschaftliche Photographische Institut der Technischen Hochschule Dresden leitete, und als einer der ersten die Ergebnisse und Methoden der Physik und Chemie auf die Bearbeitung photographischer Probleme anwandte. Der Preis zeichnet eine abgeschlossene wissenschaftliche Arbeit aus, die Probleme auf dem Gebiet der Bildwissenschaften zum Gegenstand hat. Die Arbeit muß an einer deutschen Hochschule oder in einem anderen deutschen Forschungslaboratorium durchgeführt worden sein“ [13]. Robert Luther starb am 17. April 1945 in Dresden, an dem Tag, als nachmittags der letzte schwere Angriff noch große Teile der Stadt zerstörte. Das Wissenschaftliche Photographische Institut in Dresden gibt es noch heute und nennt sich jetzt Institut für Angewandte Photophysik (IAPP). Das zerstörte Dresden (1948) 29 Literaturverzeichnis [1] Plotnikow J (1956) Memoiren. Im Nachlaß des Wilhelm-Ostwald-Archivs in Großbothen/Sachsen. In: Messow U, Krause K (1998) Physikalische Chemie in Leipzig. Festschrift zum 100. Jahrestag der Einweihung des Physikalisch-chemischen Instituts an der Universität Leipzig, Leipziger Universitätsverlag: 78; 83 [2] Eggert J (1946) In Memoriam: Robert Luther. Zeitschrift für Naturforschung 1: 357-359 [3] Fischer A (1989) Luther, Robert. 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